Antarktischer Zirkumpolarstrom

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Antarktischer Zirkumpolarstrom
Das marine Schwungrad des
Erdklimas
von Sven Titz / 1.7.2016, 05:30 Uhr
Das Südpolarmeer vermag ungeheure Mengen an Wärme und CO2 zu
speichern oder abzugeben. Lange wurde unterschätzt, welchen EinQuss
diese stürmische Weltgegend auf unser Klima hat.
Pausenlos peitscht der Wind das Meer, haushoch türmen sich die
Wellen. Wer südlich von Kap Hoorn oder von Tasmanien das Meer
befährt, muss wissen, worauf er sich einlässt. Die starken Westwinde in
der Region zwischen 40 und 50 Grad südlicher Breite heissen nicht von
ungefähr «Roaring Forties». Mit dem Südpolarmeer, wie Wissenschafter
den Ozean rings um die Antarktis getauft haben, ist nicht zu spassen;
das wissen europäische Seeleute seit Ferdinand Magellan und James
Cook. Dass aber das Erdklima auf vielfältige und intensive Weise durch
das Südpolarmeer beeinflusst wird – durch Speicherung von Wärme
ebenso wie von Kohlendioxid –, hat sich erst in den letzten Jahren
herumgesprochen.
Stärkste Meeresströmung
Das Südpolarmeer ist permanent in wirbelnder Bewegung. Der
beharrliche Westwind und Unterschiede in der Wasserdichte treiben
nahe dem Südkontinent die stärkste Meeresströmung des Planeten an,
den Antarktischen Zirkumpolarstrom. Wie der Name sagt, verläuft die
Strömung ringförmig (siehe Grafik). Sie ist zwar langsamer als der
Golfstrom, aber das Volumen macht das locker wett: Der
Zirkumpolarstrom transportiert mehr als hundert Mal so viel Wasser
wie alle Flüsse der Erde zusammen. Dabei verquirlt er das Meerwasser
der drei grossen Ozeane, die an ihn grenzen.
Bei vielen Klimaschwankungen spiele das Südpolarmeer eine zentrale
Rolle, erklärten John Marshall vom Massachusetts Institute of
Technology und Kevin Speer von der Florida State University in einem
vielzitierten Übersichtsartikel im Journal «Nature Geoscience» im Jahr
2012. Ihr Verdikt hängt eng mit der Umwälzzirkulation zusammen,
einer wichtigen ozeanischen Verbindung der Meere im Norden und im
Süden.
Auftrieb kalten Wassers
Oft heisst es plakativ, durch die globale Erwärmung könne sich in
Zukunft «der Golfstrom abschwächen». Damit meinen Forscher, dass
ein wichtiger Ast der Umwälzzirkulation erlahmen könnte: der
Nordatlantikstrom. Das relativ warme Wasser, das an der Oberfläche
von den Tropen in den Nordatlantik fliesst, wird dort abgekühlt und
sinkt in die Tiefe. Irgendwo muss das Wasser aber an die Oberfläche
zurückkehren, um den Kreislauf zu schliessen. Und das passiert im
Südpolarmeer, wo Meerwasser und Atmosphäre riesige Mengen Wärme
und Kohlenstoff austauschen können. Speziell aus diesem Grund
halten Marshall und Speer das Südpolarmeer für ebenso wichtig für das
Erdklima wie den Nordatlantik.
Dass im Südpolarmeer überhaupt Wasser aus der Tiefe an die
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Zirkumpolarstroms zum Auftrieb kalten Wassers. Eine neue Studie fügt
diesem Bild jetzt ein wichtiges Detail hinzu: Laut einem Team um Ryan
Abernathey von der Columbia University in New York trägt auch das
Meereis rings um die Antarktis dazu bei, dass dort Wasser an die
Oberfläche befördert wird. Wind treibt die Eisschollen von der Küste
weg, und dort, wo das Eis dann schmilzt, wird das Wasser der
Umgebung durch die Zufuhr von Süsswasser mit geringerer Dichte
leichter. Das verstärkt den Auftrieb, wie die Forscher im Fachblatt
«Nature Geoscience» erläutern.
Das kalte Wasser, das ständig aus tieferen Schichten an die Oberfläche
quillt, bremst in der Region den Klimawandel. Messungen zeigen, dass
sich das Südpolarmeer entgegen dem globalen Trend in den letzten
Jahren nicht erwärmt hat – eher im Gegenteil. Das Meereis hat sich
dort sogar leicht ausgedehnt. Es werde Jahrhunderte dauern, bis das
Südpolarmeer auf die globale Erwärmung mit einem deutlichen
Temperaturanstieg reagiere, berichtet ein Team um Kyle Armour von
der University of Washington in Seattle, ebenfalls in «Nature
Geoscience». Erst müssen tiefere Wasserschichten der Ozeane
aufgeheizt werden, dann folgt die Oberfläche des Südpolarmeers. Das
aber dauert seine Zeit.
Wiewohl im Südpolarmeer die Temperatur stagniert, schluckt es doch
zurzeit unter allen Weltmeeren im Schnitt den grössten Teil der
Wärmemenge, die durch den verstärkten Treibhauseffekt zugeführt
wird – mehr als zwei Drittel. Was wie ein Paradox wirkt, wird jetzt von
Forschern um Oleg Saenko vom Canadian Centre for Climate Modelling
and Analysis in Victoria im Fachmagazin «Journal of Geophysical
Research» aufgelöst. Sie haben Messungen im Meer mit
Klimasimulationen verglichen. Demnach wird die Wärme per
Meeresströmung nach Norden verfrachtet, während im Süden ständig
kaltes Wasser von unten nachkommt. Dieser Auftrieb verhindert, dass
die im Südpolarmeer gespeicherte Wärme einen Temperaturanstieg an
der Oberfläche hervorruft.
In der Tiefe des Südpolarmeers lockt Klimaforscher ein ganz
besonderer Schatz: Dort haben sich an manchen Stellen meterdicke
Schichten von Meeressedimenten angesammelt – natürliche KlimaArchive par excellence. Sie verraten eine Menge über Temperaturen
und CO2-Konzentrationen während der letzten Eiszeit. «Das Sediment
ist eigentlich ein feiner, grauer Schlamm», sagt Samuel Jaccard vom
Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern, der
regelmässig die Proben auswertet. Anhand winziger Mikroorganismen
wie Foraminiferen und Diatomeen, die zum Plankton zählen und in
abgestorbener Form im Sedimentschlamm enthalten sind,
rekonstruiert Jaccard die Klimageschichte über viele Jahrtausende.
CO2-Speicher in der Eiszeit
Klimaforscher sind sich ziemlich sicher, dass das Südpolarmeer in der
letzten Eiszeit riesige Mengen Kohlendioxid speicherte und auf diese
Weise der Atmosphäre entzog: Plankton nahm das CO2 an der
Oberfläche auf und sank nach dem Absterben in die Tiefe. Bakterien
zersetzten das Plankton aber recht bald wieder. Dabei wurde das CO2
zwar wieder frei, es verblieb aber in gelöster Form in tiefen
Meeresschichten. Bis zum Ende der Eiszeit lag der Kohlendioxidgehalt
der Atmosphäre darum ungefähr ein Drittel unter dem Gehalt im
Holozän.
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Der CO2-Gehalt blieb während der Eiszeit allerdings nicht konstant,
sondern unterlag grossen Schwankungen. Welche Prozesse die
Aufnahme und die Abgabe von CO2 durch den Ozean diktierten,
darüber rätseln Forscher noch etwas. Entscheidend könnten in den
letzten 80 000 Jahren (wahrscheinlich auch schon länger) zwei
Prozesse gewesen sein – darauf deuten unter anderem auch Resultate
von Sedimentanalysen hin, von denen Jaccard neulich gemeinsam mit
Kollegen im Magazin «Nature» berichtete.
Zum einen änderte sich in der letzten Eiszeit mehrmals die Stärke der
globalen Umwälzzirkulation, was die Abgabe oder die Aufnahme von
CO2 durch den Ozean beeinflusste. Zum anderen variierte die
«Düngung» des Ozeans durch eisenhaltigen Staub, der von den
Kontinenten nach Süden geweht wurde. Dieser zweite Prozess
beeinflusste die «biologische CO2-Pumpe», die das CO2 per Plankton in
die Tiefe befördert: Die Mikroorganismen wachsen nur dann in
grossem Masse, wenn das Wasser genug Eisen und andere Nährstoffe
enthält. «Welcher der beiden Prozesse den CO2-Haushalt damals
dominierte, ist noch nicht klar», sagt Nicolas Gruber von der ETH
Zürich.
Der Kohlenstoffhaushalt des Südpolarmeers hält gemäss Jaccard noch
weitere Forschungsfragen parat. Zum Beispiel stieg der
Kohlendioxidgehalt der Luft gegen Ende der letzten Eiszeit rasch an.
Wie damals derart gigantische Mengen an Kohlendioxid freigesetzt
werden konnten, ist noch nicht endgültig geklärt. Irgendwie muss das
Südpolarmeer plötzlich stärker durchmischt worden sein, was
CO2-reiches Wasser an die Oberfläche beförderte, wo es dann an die
Luft abgegeben wurde. Die Ursache dafür waren vermutlich veränderte
Winde.
Das Südpolarmeer beeinflusst auch das Ausmass des künftigen
Klimawandels. So werden gegenwärtig nirgends auf dem Planeten
grössere Mengen des Treibhausgases CO2 aus der Luft aufgenommen
als dort. Das hängt unter anderem auf komplexe Weise vom Wind ab,
wie Gruber im letzten Herbst mit Kollegen zeigte. Die Westwindzone
rings um die Antarktis hat allerdings eine eigene Dynamik, die man
erst in groben Zügen versteht.
In mehreren Studien haben Forscher belegt, dass Stärke und Position
der «Roaring Forties» im Laufe der vergangenen Jahrtausende
schwankten. Jüngst untersuchte eine Gruppe um Chris Turney von der
University of New South Wales in Sydney Torfschichten auf den
Falklandinseln. Sie entdeckten Pollen und Kohlepartikel, die der Wind
aus Südamerika angeweht haben muss. Das erlaubte Rückschlüsse auf
die Windstärke. Wie die Forscher kürzlich im Journal «Climate of the
Past» berichteten, war der Wind in der Zeit zwischen 2000 und 1000
Jahren vor heute besonders stark – ohne dass man genau wüsste,
warum. Ausserdem schwankte die Windstärke aus ebenfalls noch
unbekannten Gründen mit einer Periodendauer von ungefähr 250
Jahren.
Expedition per Schiff
Vielleicht finden Klimaforscher ab Dezember mehr darüber heraus, im
nächsten Südsommer. Dann unternimmt das jüngst unter Leitung der
EPFL gegründete Konsortium Swiss Polar Institute eine
Erkundungsfahrt mit einem russischen Forschungsschiff: Während der
«Antarctic Circumpolar Expedition» soll die Antarktis einmal komplett
umrundet werden. Insgesamt 55 Wissenschafter aus 30 Ländern fahren
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mit, unter ihnen auch Jaccard. Er möchte bei dieser Gelegenheit
versuchen, die heutige biologische CO2-Pumpe besser zu verstehen,
unter anderem mithilfe frischer Wasserproben. Grubers
Forschungsgruppe schickt vermutlich ebenfalls einen Kollegen mit auf
die Tour. In einer interdisziplinären Anstrengung wollen die
Expeditionsteilnehmer so viele Geheimnisse des Südpolarmeers lüften
wie möglich. Von denen gibt es noch mehr als genug.
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