II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG THEMENFELD: NACHHALTIGKEIT ANFORDERUNGEN AN EINE ZEITGEMÄSSE WOHNQUARTIERSENTWICKLUNG AM BEISPIEL HELLWINKEL AM 25. NOVEMBER 2013 INHALT WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit EINLEITUNG Stadtbaurätin Monika Thomas, Moderatorin Prof. Elke Pahl-Weber .............................. Seite 5 REFERENTEN ...................................................................................................................................... Seite 9 TEIL 1 – REFERATE INTEGRIERTES NACHHALTIGKEITSKONZEPT – WAS IST DAS? Jochen Rabe, Buro Happold ................................................................................................................. Seite 11 AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS/ KLIMAANPASSUNG Dieter Grau, Atelier Dreiseitl ................................................................................................................. Seite 19 DAS HAUS ANDERS DENKEN – ENERGIEGEWINNE MAXIMIEREN Prof. Günter Pfeifer, Fondation Kybernetik ........................................................................................... Seite 25 TEIL 2 – DISKUSSION GESPRÄCHE MIT DEN REFERENTEN ............................................................................................. Seite 33 PODIUMSDISKUSSION Moderation: Elke Pahl-Weber ...................................................................... Seite 42 FAZIT UND AUSBLICK........................................................................................................................ Seite 46 ANHANG Teilnehmende des II. Forums Wohnen ................................................................................ Seite 47 Abbildungs- und Quellennachweis: Die abgebildeten Grafiken und Fotos wurden, sofern nicht anders gekennzeichnet, von den Referenten bereitgestellt. Fotos der Veranstaltung: N. Rehsöft II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 3 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit IMPRESSUM Veranstalter/ Geschäftsführung Stadt Wolfsburg, Fachbereich Stadtplanung und Bauberatung [email protected] Moderation Prof. Elke Pahl-Weber TU Berlin [email protected] II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Dokumentation Dipl.Ing. Nicoletta Rehsöft Stadt+Bild, Albstadt www.stadtundbild.de 4 EINLEITUNG STADTBAURÄTIN MONIKA THOMAS, PROF. ELKE PAHL-WEBER WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Veranstaltungsreihe: Forum „Wohnen in Wolfsburg“ I. Forum am 13.2.2013: Themenfeld „Entwicklung Nordsteimke“ (Städtebauliche Rahmenbedingungen, Mobilität, Energie und Wohnen) II. Forum am 22.11.2013: Themenfeld Nachhaltigkeit am Beispiel Hellwinkel III.+IV. Forum (2014/ 2015) mögliche Themen: Mobilität, soziale Nachhaltigkeit Anforderungen der Wohnstandortentwicklung Stadtbaurätin Monika Thomas stellt den Anspruch klar voran: Wolfsburg hat das Ziel, sich als Stadt nachhaltig zu entwickeln. Durch die städtische CO2-Minderungsstrategie und die Mitgliedschaft in internationalen Vereinigungen wie dem „Covenant of Mayors“ hat die Stadt diesen Anspruch in den vergangenen Jahren bekräftigt. Die Notwendigkeit, neue hochwertige Wohnlagen zu schaffen, um der großen Wohnungsnachfrage zu begegnen, hat nach der mutigen Ausweisung von 100ha Wohnbauflächen im Flächennutzungsplan - zur aktuellen Wohnbauoffensive Wolfsburg 2020 geführt. Ein außerordentlicher Entwicklungsdruck ist die Folge. Die enormen Flächen, die nun einer neuen Nutzung zugeführt werden sollen, bieten die einmalige Chance, innovative Wohnungsbaukonzepte auf der Höhe der planerischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse des 21. Jahrhunderts umzusetzen. Die Stadt braucht neben dem quantitativen auch einen qualitativen Schub nach Vorne, um in den neuen Stadtquartieren Wohn- und Lebensqualitäten zu schaffen, die langfristig ökonomisch und ökologisch Sinn machen. Für alle Ebenen der Projektplanung und der baulichen Umsetzung stellt sich daher die Frage nach entsprechenden Kriterien und Standards, die von der städtebaulichen Ideenfindung über die Grundstücksvergabe bis hin zur Bauausführung helfen, diesen notwendigen Anspruch umzusetzen. Veranstaltungsreihe „Wohnen in Wolfsburg“ Im Februar 2013 hat die Stadt Wolfsburg eine Veranstaltungsreihe „Wohnen in Wolfsburg“ gestartet. Im Rahmen mehrerer Foren werden aktuelle Standards der Planung neuer Wohnquartiere vorgestellt, um daraus Schlüsse für die Anforderungen an zukünftige Stadtbausteine in Wolfsburg zu ziehen. Teilnehmende der Foren sind verschiedene Woh- II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 nungsbauakteure aus Politik, Fachämtern und Wohnungsbauunternehmen. Ziel ist es, anhand einer breit angelegten Diskussion unter Einbeziehung externer Experten verbindliche Kriterien für die zukünftige Wohnbauentwicklung in Wolfsburg zu definieren und bei den für die Umsetzung entscheidenden Akteuren zu verankern. Erkenntnisse aus den Foren sollen in die Planung der aktuellen Wohnbauprojekte einfließen und ihren Niederschlag in der verbindlichen Bauleitplanung, in Handreichungen zum Bauen und zur Gestaltung und in den Anforderungen an zukünftige Auswahlverfahren für die Vergabe von Grundstücken in Baugebieten finden. Wohnungsbauentwicklung gewinnt besondere Qualität durch frühzeitige Einbeziehung der Nutzer- und Bewohnersicht. Dieses Angebot zur Information und Teilhabe wird von allen Seiten konstruktiv getragen und aktiv genutzt. Die Dokumentation der Foren wird den Teilnehmenden in Papierform und der Öffentlichkeit als download zur Verfügung gestellt. Hellwinkel - Pilotprojekt einer nachhaltigen Stadtentwicklung!? Schwerpunkt des II. Forums ist das Thema Nachhaltigkeit, das beispielhaft an dem neuen Stadtquartier Hellwinkel diskutiert wird. Welche Ansprüche muss eine Stadt an ihre bauliche Entwicklung und deren Akteure stellen, um für zukünftige Herausforderungen wie den Klimawandel und die Veränderungen der sozialen Beziehungen gerüstet zu sein? 5 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Neues Stadtquartier Hellwinkel 1. Preis Gutachterverfahren Verfasser: SMAQ Stand November 2012 II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 6 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Das Projekt Hellwinkel ist eines das größte Wohnbaugebiete der Stadt Wolfsburg in zentraler, innerstädtischer Lage. Auf einer 11ha großen Fläche einer ehemaligen Kleingartenanlage sollen hier ab 2016 ca. 720 Wohnungen entwickelt werden. Ziel der Stadt ist, mit dem Projekt Hellwinkel einen Prototyp für ein ökologisch nachhaltiges Quartier zu entwickeln, das als Vorbild für zukünftige Wohnbauentwicklungen in Wolfsburg dienen kann. Die Planung am Quartier dient insofern als eine Art Versuchslabor und hat eine Vorreiterfunktion für die anderen in Planung befindlichen Baugebiete. Das Rahmenkonzept, das 2012 im Rahmen eines Gutachterverfahrens entwickelt wurde, wird aktuell von dem 1. Preisträger, dem Büro SMAQ aus Berlin, weiterentwickelt. Mit Hilfe externer Experten wird dabei insbesondere auch die ökologische und nachhaltige Leistungsfähigkeit des Konzeptes weiter optimiert. Die schon geleistete Vorarbeit -das macht Moderatorin Prof. Elke Pahl-Weber klar - erlaubt heute einen vertieften Blick auf ausgewählte Themen des breiten Spektrums nachhaltiger Stadtentwicklung. Dieses Forum erweitert die Diskussionen, die im Wolfsburger „Bündnis für Wohnen und Leben“ zur Wohnstandortentwicklung in der Stadt geführt werden und konkretisiert zentrale Zielsetzungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung und eines ebensolchen Bauprozesses am Beispiel eines zukünftigen Wohnstandortes. Ablauf, Schwerpunkte und Ziele des II. Forums Zum Einstieg in die Diskussion stellen drei international aktive Experten, die zum Teil in die Planungen zum Hellwinkel involviert sind, die Bandbreite des Themenfeldes Nachhaltigkeit dar. Sie legen offen, welche Erkenntnisse den Kriterien einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung zu Grunde liegen, präsentieren Praxisbeispiele und erläutern Ansätze für die Planungen im Hellwinkel. Mit Diskussion der II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Vorträge in kleinen Runden und einem gemeinsamen Podium können spezielle Einzelaspekte erörtert und anschließend die Themen zusammengeführt werden, um daraus Schlüsse für zukünftige Qualitätsstandards zu ziehen. Jochen Rabe (Buro Happold) gibt einen Überblick über die vielfältigen Bausteine und Strategien einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Anhand des Quartiers Hellwinkel erläutert er den Ansatz einer Sonnenstands- und Verschattungsanalyse und deren konzeptionellen Auswirkungen. Dieter Grau (Atelier Dreiseitl) stellt anhand von Praxisbeispielen dar, wie Elemente einer integrierten Wasserkreislauf- und Infrastrukturplanung zu Qualitätsmerkmalen des Freiraums und damit eines nachhaltigen, dem Klimawandel angepassten Städtebaus entwickelt werden können. Atelier Dreiseitl bearbeitet auch das Freiraumkonzept Hellwinkel. Prof. Günter Pfeifer (Fondation Kybernetik) erläutert Möglichkeiten einer kybernetischen Gebäudekonstruktion, die anstelle der Minimierung von Energieverlusten mit Hilfe von Dämmung den Fokus auf die konstruktive und technische Maximierung der Energiegewinnung eines Gebäudes richtet. Moderiert wird das Forum von Prof. Elke Pahl-Weber, die am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin das Fachgebiet Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten leitet. Als Moderatorin des „Bündnisses für Wohnen und Leben in Wolfsburg“ und Mitverfasserin des Wolfsburger Stadtstrukturkonzeptes (2003/ 2006) ist sie mit den Wolfsburger Verhältnissen bestens vertraut. 7 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Die Frage nach den Wohnquartieren der Zukunft, mit der sich Wolfsburg heute beschäftigt, steht zur Zeit in vielen Städten auf der Tagesordnung. Dabei geht es neben der Suche nach generellen Standards für Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit auch immer um spezifische Antworten für die Bedingungen vor Ort, die konkrete Situation in den Quartieren. Ist Hellwinkel in diesem Zusammenhang als Prototyp für Wolfsburg zu sehen oder als Brutkasten für neue Ideen („Inkubator“)? Welche Erkenntnisse lassen sich auf andere Quartiere übertragen? Stadtbaurätin Monika Thomas begrüßt 65 Teilnehmende im Alvar Aalto Haus und bedankt sich für das große Interesse an dem Forum „Wohnen in Wolfsburg“. Mit den Planungen im Hellwinkel befindet sich die Stadt an einem Punkt, an dem wichtige Weichen für die Quartiersentwicklung gestellt werden müssen. Ziel des II. Forums ist es deshalb, nicht nur allgemeine Empfehlungen für die zukünftige Wohnstandortentwicklung in Wolfsburg zu diskutieren, sondern ganz konkret Leitlinien für aktuelle Fragen im Quartier Hellwinkel zu erarbeiten – auch vor dem Hintergrund seiner Rolle als „Pilotprojekt“ für weitere Wohnbauvorhaben in Wolfsburg. Wir freuen uns auf interessante Vorträge und eine angeregte Diskussion! II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 8 REFERENTEN WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Jochen Rabe, Projektdirektor des Büros Happold in Berlin, ist spezialisiert auf Corporate Sustainability-Strategien, integrierte Stadtplanung, nachhaltige und umweltfreundliche Infrastruktur, Innovation und Systemisches Denken. Er hat 19 Jahre Erfahrung mit großen Projekten, in der Leitung multidisziplinärer Teams und als Universitätsdozent zu integraler Planung und Klimaveränderung und zu den Schnittstellen zwischen gebauter und natürlicher Umwelt. Die Essenz seiner Arbeit ist die Entwicklung nachhaltiger und innovativer Strategien und Lösungen, die strapazierfähig und kostengünstig sind. Das Berliner Büro ist Teil eines Netzwerkes von Niederlassungen in Europa, Nordamerika und Asien. Interdisziplinär werden verschiedene Maßstäbe des Bauens, von der Stadt- und Regionalplanung, über die Konzeption und Bewertung von Gebäuden bis zur Detailentwicklung bearbeitet. Dabei geht es um die Lösung der heutigen sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen. www.burohappold.com Dieter Grau, Partner im Büro Dreiseitel aus Überlingen, arbeitet daran, Landschaftsarchitektur, Nachhaltigkeit und herausragendes Design in seinen Projekten zu verwirklichen. Er arbeitet in den verschiedensten Maßstäben, vom Stadtplatz bis zu gesamtstädtischen Konzeptionen, um strategische Nachhaltigkeit in der Entwicklung von Städten voranzutreiben. Er leitet Projekte in Europa, Asien und den USA. Dieter Grau hält weltweit Vorträge, veröffentlicht regelmäßig in nationalen und internationalen Fachzeitschriften und ist Autor diverser Fachbücher. Atelier Dreiseitls Ziel ist es, Lebensräume für Menschen zu schaffen, die ein tieferes Verständnis von Natur, von deren Prozessen und von deren Verletzlichkeit II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 ermöglichen, gleichzeitig aber der modernen und flexiblen Nutzung entsprechend eine urbane Robustheit und Zeitlosigkeit ausstrahlen - und dabei die Grenzen des Machbaren ausloten und Innovation sinnvoll integrieren. Künstler, Landschaftsarchitekten, Architekten, Stadtplaner und Ingenieure arbeiten im Atelier Dreiseitl von der ersten Idee bis hin zur Bauausführung eng zusammen. www.dreiseitl.com Prof. Günter Pfeifer, Fondation Kybernetik der TU Darmstadt, ist einer der Gründerväter der ökologischen Architektur in Deutschland. In den letzten 30 Jahren erhielt er mit seinem Architekturbüro in Lörrach und Freiburg zahlreiche Architekturpreise (insgesamt bis heute 70 Auszeichnungen mit Schwerpunkt Wohnungsbau). Zwischen 1987 – 1993 arbeitete er bei Vitra u.a. mit Frank O. Gehry, Zaha M. Hadid, Tadao Ando und Alvaro Siza. 1992 - 2012 war er ord. Universitätsprofessor an der TU Darmstadt, erst für Entwerfen und Hochbaukonstruktion, ab 2001 für Entwerfen und Wohnungsbau. 1999 - 2002 leitete er die Sommerakademie „ZukunftsWerkstatt Wohnbauen“ der Wüstenrot Stiftung Ludwigsburg. Seit 2003 ist er Konventsmitglied der Bundessstiftung Baukultur. 2011 gründete er mit Prof. Dr. Annette Rudolph-Cleff die Fondation Kybernetik, Pool für Nachhaltigkeitsforschung – Praxislabor an der TU Darmstadt. Seine Expertise im ökologischen Bauen, in allen Bereichen der Baukonstruktion und im Wohnungsbau, insbesondere der Typologieforschung, hat er seit 1997 in 34 Fachbüchern dargelegt. www.guenterpfeifer.de 9 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit TEIL 1 REFERATE II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 10 INTEGRIERTES NACHHALTIGKEITSKONZEPT - WAS IST DAS? JOCHEN RABE, BURO HAPPOLD WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Das Buro Happold ist bei der Entwicklung des Quartiers Hellwinkel beratend tätig, um gemeinsam mit dem Büro SMAQ das Rahmenkonzept hinsichtlich der Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung weiter zu optimieren. Anhand des Vorgehens im Hellwinkel und weiterer Praxisbeispiele stellt Jochen Rabe vor, welche Bausteine Teil einer zeitgemäßen, nachhaltigen Wohnquartiersentwicklung sein können und wie diese Module strategisch ineinander greifen. Leitbild und Module einer nachhaltigen Wohnquartiers Nachhaltige Quartiere sehen nicht immer gleich aus. Das Leitbild einer nachhaltigen Wohnquartiersentwicklung kann innerhalb der Schwerpunkte Wirtschaftlichkeit, Dauerhaftigkeit und Gesundheit eine Vielzahl von Einzelaspekten umfassen, wie z.B. die Stadtgestalt, Ökologie, Infrastruktur, Ausbildung, Verwaltung, Erholung uvm. Eine Optimierung aller Einzelaspekte gleichzeitig steht oftmals im Widerspruch zu wirtschaftlichen Überlegungen und somit geht es um eine effiziente Abstimmung der Einzelaspekte. In manchen Städten oder Quartieren spielt z.B. eine nachhaltige Stadtstruktur eine entscheidendere Rolle für deren Nachhaltigkeit, während die technische Infrastruktur weniger relevant sein kann. Die Vielzahl an Einzelaspekten bildet ein komplexes Geflecht, das bei einer nachhaltigen Quartiersentwicklung beachtet werden muss. Strategisch gesetzte Entwicklungsschwerpunkte können ein individuelles Quartier generieren, in dessen Mittelpunkt z.B. die CO2-Neutralität, der Freiraum oder sozio-kulturelle Maßnahmen stehen. Die Frage „welche Art von Wohnquartier soll entstehen?“ steht am Anfang eines Planungsprozesses für eine nachhaltige Quartiersentwicklung. Leitbild: Themen/ Aspekte Buro Happold hat sein Beratungskonzept zur nachhaltigen Stadtentwicklung modular aufgebaut. Daraus ergibt sich ein II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 guter Überblick des breiten Spektrums an Aspekten, die unter Nachaltigkeitsgesichtspunkten auf Quartiersebene abgewogen werden können. Die Betrachtung der Thematik in Modulen/ Modulpaketen stellt eine ergebnisorientierte Herangehensweise an die nachhaltige Stadtquartiersplanung dar. Beschreitet man diesen Weg, so können aufbauend auf das Quartiersleitbild zielgerichtet die verschiedenen Planungsmodule eingesetzt werden. Diese umfassen Instrumente der Prozessgestaltung/ Kommunikation, Simulationen zu klimatischen Gegebenheiten/ Besonnung, Ansätze zur Optimierung des Wasserhaushaltes sowie Möglichkeiten der Energiegewinnung auf Quartiers- und Gebäudeebene. Darüber hinaus gibt es ergänzende Module, die sich mit der Wirtschaftlichkeit/ Kosten, Zertifizierung als DGNB-Stadtquartier und Möglichkeiten einer nachhaltigen Mobilität beschäftigen. A city that is rooted in site characteristics A city with clean air A city that conserves energy and water A city of sustainable real estate that is complete from the beginning A city that opens new market conditions in RE technologies, IP commercialization and NEP development A city of outdoor living is vibrant and walkable A city that fosters innovation, interand intra-connectivity an collaboration A city that accelerates the build up of sustainable water and power supply Develop clean tech intellectual property A city that promotes improved standards of living Enhance the diversification of the local economy in nonhydrocarbon based industries Develop services from intelligent communications technology Leitbild: Welche Art von Wohnquartier soll entstehen? 11 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Im Hellwinkel wurden die ersten drei der insgesamt sechs Basismodule der Beratungskonzeption von Buro Happold bis Ende 2013 bearbeitet (Module A-C). Eine Vertiefung der Betrachtung könnte bis Ende 2014 durch die Bearbeitung der Basismodule D-F und ggf. vier weiterer ergänzender Module (G-J) erweitert werden. setzt werden können, mit denen schnell die gewünschten Ziele zu erreichen sind. Sind Änderungen an Gebäudestellung und –geometrie für eine mikroklimatische Verbesserung sinnvoll? Ist das Quartier anfällig für Klimafolgen, ist also eine Klimafolgenanpassung notwendig? Windstudien zur Optimierung des Luftaustausches (Modul B) Mit Hilfe eines 3D-Modells hat Buro Happold intensiv die Sommer- und Winterwinde im Quartier Hellwinkel untersucht. Geprüft wurde u.a., ob aufgrund des Durchlüftungspotentials und der Temperaturunterschiede zwischen Hauptverkehrserschließung im Norden und Waldfläche im Süden potentieller Smog auf natürliche Weise „weggespült“ wird. Entwurfsvarianten wurden wiederholt auf die Windsituation hin untersucht und windkritische Bereiche umgeplant. 3D-Windsimulation Quartier Hellwinkel Beratung Vorentwurf (Modul A) Am Anfang jedes Beratungsprozesses steht die Kommunikation mit den zentralen Akteuren, um das gemeinsame Vorgehen und die umzusetzenden bzw. umsetzbare Module zu bestimmen. Die Prozessqualität mit zielführendem Zusammenspiel der verschiedenen Bausteine und Akteure der Planung ist für eine nachhaltige Quartiersentwicklung von entscheidender Bedeutung. Die Beratung für den Hellwinkel fand als iterativer Workshop- und Feedback-Prozess in der Vorentwurfsphase statt, in dem Simulationsergebnisse und Entwurf schrittweise rückgekoppelt und weiterentwickelt wurden. Gemeinsam mit SMAQ und der Stadt Wolfsburg wurde geklärt, wo Handlungsbedarf gesehen wird und welche Werkzeuge einge- II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Sommerwind von Westen Windgeschwindigkeiten und Richtung – Winter (Stand: 4.9.2013) 12 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Eine erste Untersuchung zeigte einige Bereiche mit erhöhten Windgeschwindigkeiten und eingeschränkter Aufenthaltsqualität, darunter auch die zentralen Plätze (s. Simulation, gelbe Kreise). Nach kleinen Änderungen in der städtebaulichen Struktur mit Verschiebung der Hochhäuser und einer schmalen Wegeöffnung nach Süden sowie unter Einbeziehung des Parks mit dichten Baumpflanzungen, der gerade im Winter eine wichtige Funktion als „Windschild“ hat, sind die Windgeschwindigkeiten nun im angenehmen Bereich. Simulationen zur Windsituation in einem Quartier lassen sich mit Hilfe moderner Technologien gut darstellen und liefern sehr griffige Ergebnisse und bei Umsetzung langfristig positive Wirkungen. Folgende Aspekte der Windstudien wurden im vorliegenden Entwurf Hellwinkel berücksichtigt: Luftaustausch über West-Ost-Erschließung möglich gute Durchlüftung des Quartiers, vor allem im Sommer Winterwinde kommen aus Südwesten, der Park/ Wald im Süden kann die Funktion eines Windschildes übernehmen durch Optimierung der Ein- und Ausfahrten der Tiefgaragen könnte evtl. eine natürliche Be-/ Entlüftung erfolgen Hauszugänge ohne Windsog/ -druck angeordnet Verweil- und Freiflächen mit Windgeschwindigkeiten unter 8 m/s können Verweilqualitäten aufweisen, was bei höheren Windgeschwindigkeiten Beeinträchtigungen bringen kann Als nächste Schritte wären eine detailliertere Betrachtung von Verweilflächen sowie eine Prüfung des Potentials für die Querlüftung der Gebäude sinnvoll. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 3D-Windsimulationen Quartier Hellwinkel Identifizierung von Bereichen mit erhöhten Windgeschwindigkeiten (oben) und Anpassung des Entwurfs (unten) 13 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Sonnenstudien zur Optimierung der solaren Ausrichtung der Gebäude (Modul C) Eine im Hinblick auf mögliche Energiegewinne aufeinander abgestimmte Dachlandschaft stellt eine wesentliche Voraussetzung für eine CO2-Reduzierung im Quartier dar. Dieser Beitrag auf städtebaulicher Ebene muß auf die Ebene des Einzelgebäudes unterschiedlich weiter transportiert werden, um die CO2-Einsparungen durch konkrete Vorgaben zu Baukörperkubatur und Höhenentwicklung wirksam werden zu lassen. Eine energetische Nutzung der Dachlandschaft ist wichtig für das Ziel eines CO2-neutralen Quartiers. Die Vermeidung gegenseitiger Verschattung reduziert den Energiebedarf der Gebäude. Zur Optimierung der solaren Ausrichtung der Gebäude und Vermeidung gegenseitiger Verschattung hat Buro Happold eine Sonnenstudie erarbeitet. Simuliert wurde, wie viel Wärmeenergie von den Flächen je nach deren Ausrichtung zum Sonnenverlauf im Sommer bzw. Winter aufgenommen wird. Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass die Quartiersstruktur gute Potenziale zur Nutzung von Solarenergie auf den Dachflächen hat. Zudem wurden diejenigen Orte deutlich, die die besten Erträge erwarten lassen. Auf Grundlage des Modells wurden kleine Interventionen in der Quartiersstruktur vorgenommen, um die solare Ausrichtung weiter zu optimieren. Für den Winterfall könnten zusätzlich geeignete Maßnahmen getroffen werden, um möglichst viel Licht in die Wohnungen zu bringen (z.B. durch Oberflächen, Lichtlenkung, Reflektion, etc.). Hier sind weitere Untersuchungen auf den Ebenen Straße, Gebäude und Einbauten notwendig. Tiefgaragen: Natürliche Belichtung und Blüftung, Einbindung in den Freiraum Innerhalb des Moduls wurde zudem untersucht, wie eine natürliche Belichtung und Belüftung der Tiefgaragen sicher- II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Simulation Sonneneintrag im Hellwinkel oben: Sommer / unten: Winter gestellt werden könnte. Durch ausreichend große Gebäudeöffnungen wie z.B. Ein- und Ausfahrten könnte genügend Frischluft nachströmen. Voraussetzung sind ausreichende Windgeschwindigkeiten und eine Ausrichtung auf die vorherrschenden Windrichtungen, wie sie in den Windsimulationen ermittelt wurden. Eine dementsprechende Optimierung des Entwurfs ist weit kostengünstiger als technische Lösungen zur künstlichen Belüftung der Tiefgarage. 14 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Maßnahmen zur Optimierung des Wasserhaushaltes (Modul D) Dieses Modul wird im Quartier Hellwinkel von dem Landschafts- und Infrastrukturplanungsbüro Atelier Dreiseitl bearbeitet, das Maßnahmen zur Optimierung des Wasserhaushaltes als Teil der Freiraumgestaltung einbringt. Welche planerischen Möglichkeiten und Bausteine es gibt, wird Dieter Grau in seinem Vortrag erläutern. Aktive Maßnahmen im Quartier (Modul E) Als nächster Schritt innerhalb des aufeinander aufbauenden Modulsystems sollten für das Quartier Hellwinkel Möglichkeiten zur Einsparung und Erzeugung von Energie auf Quartiersebene untersucht werden. Dabei wird auch bei einer Fernwärmeversorgung im Hellwinkel CO2-Neutralität angestrebt, z.B. durch Integration von Prozesswärme oder energetisch verwertbaren Rohstoffen in die Versorgungsstruktur. Als Beispiel für ein solches Vorgehen stellt Herr Rabe die Europacity am Berliner Hauptbanhof vor. Als Reaktion auf Forderungen nach einer möglichst quartiersbezogenen, regenerativen Versorgung dieses neuen Quartiers wurden verschiedene Möglichkeiten der Energieversorgung geprüft. Die Visualisierung des Flächenbedarfs von PV oder Windkraftanlagen zeigt anschaulich deren Grenzen: Eine ausschließliche Versorgung über PV ist nicht oder nur schwer, unter erheblichem finanziellen Aufwand, realisierbar. Auch eine theoretische Versorgung rein über Windenergie wäre nur über Windparks außerhalb der Stadt zu leisten. In Berlin wurde das Thema mit Hilfe der Visualisierungen relativiert und letztlich eine Entscheidung für eine Fernwärmeversorgung nebst Alternativen wie etwa Gas und Strom herbeigeführt – ergänzt durch quartiersbezogene Maßnahmen. Von der Vorstellung, eine nachhaltige Energieversorgung II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 vollständig im Quartier zu realisieren, wurde in Berlin schließlich Abstand genommen. Das Beispiel zeigt, dass gerade bei der Energieversorgung grundsätzlich auch jenseits der Quartiersgrenzen gedacht werden sollte, zumal hier auch ökonomische Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Wie in Berlin gibt es auch in Wolfsburg ein gut ausgebautes Fernwärmenetz, das zudem eine gute CO2-Bilanz aufweist. Eine Prognose des anfallenden Verbrauchs hilft, die für die jeweilige Phase notwendigen Medien vorzuhalten. Europacity Visualisierung des Flächenbedarfs einer autarken Versorgung mit PV bzw. Windenergie Prognose der anfallenden Verbräuche Heiz-/ Kühllast, Elektro 15 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit IBA-Softhaus in Hamburg Soft energy systems Solar energy harvesting water retaining surfaces thermal collector wind energy radiant natural greywater heating ventilation system + cooling person- geothermal alized collector + climate heat pump Aktive Maßnahmen im Gebäude (Modul F) Auf Gebäudeebene stellt sich die Frage, welche Elemente für eine nachhaltige Gebäudetechnik und –konstruktion notwendig sind und welche Festsetzungen den Eigentümern und Bauherren zugemutet werden können. Im Quartier Hellwinkel könnte dies z.B. folgende Maßnahmen umfassen: Vorgaben und Auswahl- bzw. Bewertungskriterien für Bauprojekte haustechnische, konzeptionelle und gestalterische Anforderungen bei der Grundstücksvergabe an Bauinteressenten für Neubau und Definition der Gebäudebewirtschaftung Gewährleitung von gesundem Raumklima/ Gesundheitsaspekte bei der Gebäudeplanung aufzeigen Reduktion von Ressourcenverbrauch (Material/Energie), Möglichkeiten eines nachhaltigen Stoffstrommanagements Baukonstruktive Möglichkeiten einer Maximierung möglicher Energiegewinne Ein Beispiel für ein Gebäude, das konsequent nach nachhaltigen Gesichtspunkten konstruiert wurde, ist das IBASofthaus in Hamburg: Ein sehr spannendes Pilotprojekt, mit dessen Hilfe eine Vielzahl von Erkenntnissen zur Machbarkeit und Kosten nachhaltiger Gebäudetechnik erzielt werden konnte. Voraussetzung zur Realisierbarkeit des Projektes war die öffentliche Subventionierung im Rahmen der IBA, da sehr hohe Kosten pro Wohneinheiten entstanden. In der Praxis muss mit den lokal zu erzielenden Miet- bzw. Verkaufserlösen abgeglichen werden, welche bautechnischen Vorgaben für die Investoren realistisch sind. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 16 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Bilanzierung und Evaluierung der Quartiers-Lebenshaltungskosten (Modul G) Von hoher Bedeutung für ein langfristig nachhaltiges Quartier ist seine wirtschaftliche Tragfähigkeit. Ein unbedingt notwendiger Schritt für ein CO2-neutrales Quartier ist die Bilanzierung und Evaluierung seiner kompletten „Lebenshaltungskosten“. Nur 15% der Kosten entstehen in der Bauphase eines Quartiers, 85% treten nach Fertigstellung mit dessen Betrieb, Wartung und Rückbau auf. Beide Phasen müssen von Anfang an realistisch kalkuliert werden, zumal verschiedene Akteure zum Tragen kommen, denen wirtschaftliche Geschäftsmodelle ermöglicht werden müssen. Im Rahmen des Moduls H könnte das Quartier Hellwinkel bilanziert und Empfehlungen für die Einzelbaufelder und Baukomponenten gegeben werden. Das Mitdenken möglicher Geschäftsmodelle für Betreiber nachhaltiger Quartierskomponenten spielt dabei eine wichtige Rolle. bildung im Hellwinkel bewusst einbezogen werden. Geprüft werden für eine DGNB-Zertifizierung fünf Themenfelder: Ökologie, Ökonomie, Soziokulturelle Aspekte/ Funktionalität, Technik und Prozess/ Beteiligung. Die Nachhaltigkeitskriterien und der Einsatz der vorgestellten Instrumente sollte bereits in der frühen Phase der Quartiersplanung geprüft werden. Während z.B. das Erstellen von Windanalysen in der Vorentwurfsphase mit relativ wenig Aufwand verbunden ist und gleichzeitig einen hohen Einfluss auf die Nachhaltigkeit des Quartiers haben kann, werden korrigierende Maßnahmen mit fortschreitender Planung immer aufwändiger und uneffektiver. Mit einer DGNBZertifizierung, die von Anfang an mitgeführt und von einem integrierten Team begleitet wird, kann eine umfassende Betrachtung sämtlicher Nachhaltigkeitsthemen initiiert und der Planungsprozesses systematisch begleitet werden. Beurteilungskriterien der DGNB- Zertifizierung Zertifizierung als DGNB-Stadtquartier (Modul H) Mit einem Stadtquartier-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) könnte das Quartier Hellwinkel seine Ambitionen als Pilotprojekt nachhaltiger Quartiersentwicklung umsetzen. DGNB-Zertifizierungen gewinnen in Deutschland an Bedeutung und werden auch von Investorenseite verstärkt nachgefragt. Als erstes DGNB Stadtquartier der Marktversion konnte Buro Happold im Oktober 2013 das Sony Center am Potsdamer Platz in Berlin ausgezeichnet bekommen. Im Hellwinkel könnten erreichbare Ziele und finanzieller Aufwand im Rahmen einer Vorbesprechung mit allen beteiligten Akteuren erörtert werden, mit detaillierter Vorstellung des Systems und einer Voruntersuchung durch einen DGNBStadtquartier Auditor. Dabei würden die öffentlichen und gewerblichen Funktionen der Umgebung in die Quartiers- II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Prozessqualität Ökologische Qualität Ökonomische Qualität Sozialkulturelle und funktionale Qualität Technische Qualität 17 Aktuell steht die Elektromobilität im Mittelpunkt der Diskussion um nachhaltige Verkehrskonzepte. In Zukunft werden dabei multimodale Systeme mit flexibler Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel eine zentrale Rolle spielen, wie sie bereits in einigen Großstädten etabliert wurde. Ein aktuelles Beispiel, wie Mobilität in der Stadt vollkommen neu gedacht werden kann, ist das Siemens Headquarters in München. WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Integriertes Mobilitätskonzept Multimodale Elektro-Mobilität Mobilitätskonzepte (Module I+J) Mobilität ist gerade in Wolfsburg ein zentrales Thema, für das nachhaltige Bausteine entwickelt werden sollten. Mit der Volkswagen AG sitzt ein global player im Bereich Mobilität direkt vor Ort. Gleichzeitig stellt der enorme Pendlerverkehr die Stadt vor besondere Herausforderungen. Die integrierte Betrachtung nachhaltiger Mobilität im Wohnquartier umfasst kleine Maßnahmen vor Ort, wie sie bereits Teil des Entwurfs Hellwinkel sind. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, den Blick auf eine stadtweite Verkehrskonzeption zu lenken. Für Hellwinkel wären folgende erste Arbeitsschritte zum Thema Mobilität sinnvoll (Modul I): Analyse des vorgeschlagenen Verkehrskonzepts Hellwinkel, Auswertung vorliegender Gutachten Prüfung Stellplatzanforderungen in Wolfsburg (sind zwei Stellplätze je Wohnung notwendig?) Untersuchung und Konzeption nachhaltiger Verkehrsangebote: Anbindung des Quartiers mit Öffentlichem Verkehr (Bus), Autoverkehr, Radverkehr, Stationäre Verleihangebote (Car- und Bikesharing) Untersuchung und Konzeption nachhaltiger Verkehrsangebote zur internen Erschließung II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Bei der Etablierung multimodaler Systeme ist die Lösung von Detailfragen oft von zentraler Bedeutung, ebenso wie die Frage des Geschäfts- bzw. Betreibermodells. In einem nächsten Schritt könnten die Potenziale elektromobiler Angebote im Hellwinkel geprüft werden (Modul J): Erhebung der Potentiale, grobe Zielgruppenanalyse Untersuchung möglicher Umsetzungsmodelle (z.B. e-Auto Pools der Wohnungswirtschaft) Prüfung infrastruktureller Bedarfe (Ladesäulen) Grobe Kostenschätzung Prüfung der Machbarkeit integrierter, multimodaler Angebote im Quartier Mobilitätsstationen und -punkte Gestaltung von multimodalen Umsteigemöglichkeiten 18 AUSWIRKUNGEN DES KLIMAWANDELS KLIMAANPASSUNG DIETER GRAU, BÜRO DREISEITL WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Gestaltung von Freiräumen? Wie sieht unter Einbindung der städtebaulichen Strukturen der Umgang mit Freiflächen im verdichteten urbanen Raum aus, wie in locker bebauten Quartieren? Dieter Grau veranschaulicht anhand von Praxisbeispielen des Atelier Dreiseitl, welche Anforderungen an eine an Kriterien der Nachhaltigkeit ausgerichtete Freiraumplanung gestellt werden und wie sich dies auf die Gestalt und die Nutzbarkeit des Quartiers auswirkt. Die Bedeutung von Wasser in der Stadt Das Atelier Dreiseitl hat seinen Sitz in Überlingen, am Ufer des Bodensees. Als multifunktionales Element hat der Bodensee eine zentrale Bedeutung weit über die Region hinaus: Er schützt als enormes Rückhaltebecken die Städte am Rhein vor Überflutungen, er ist Wohn-, Arbeits- und Freizeitort für 300.000 Menschen, wichtiges Tourismusziel und versorgt die Region mit Trinkwasser. Für Atelier Dreiseitl ist der Bodensee Synonym und Vorbild für seine integrierte, übergreifende Arbeits- und Betrachtungsweise. Auch die jährlichen Schwankungen des Wasserspiegels dienen als Projektvorbild: mit dem Wasserstand ändert sich das Landschaftsbild zwischen Sommer und Winter und die Höhenschwankungen stellen besondere Anforderungen an die Nutzung der Uferbereiche und den Schutz von Bebauung. Das Wasser ist ein Schlüsselelement für uns alle, das respektiert werden muss, es versorgt den Menschen, zieht ihn an und bereitet viel Freude. In der Geschichte der Stadt waren daher die Brunnen Keimzellen der städtischen Entwicklung - nicht nur Orte der täglichen Wasserversorgung, sondern wichtige Treffpunkte und soziale Räume für das tägliche Gespräch mit vielfältigen Qualitäten. Durch die technischen Möglichkeiten ist dieser soziale Aspekt der II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Wasserversorgung immer weiter in den Hintergrund gerückt. Atelier Dreiseitl hat diese wesentliche Bedeutung und verbindende Kraft des Wassers im Blick. Sie verstehen Wasser als integrierenden und integrierbaren Bestandteil der Stadtstruktur und als wichtige soziale Komponente der Stadt, die große Potenziale zur Entwicklung von Freiraumqualitäten in den Städten bietet. Für eine nachhaltige, ökologische Planung und den Schutz der Landschaft ist es dabei wichtig, dass der jeweilige Ort und die jeweilige Landschaftssituation genau verstanden und in die topografischen, landschaftlichen Konzepte eingebunden werden. Für Atelier Dreiseitl ist dies kein neues Thema: Bereits vor 30 Jahren wurden dort Projekte mit einem integrierten Umgang mit der Ressource Wasser realisiert, die auch heute noch wie geplant in Betrieb sind. Wasser als Element des Straßenraums Projekt Atelier Dreiseitl, 1984 19 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Ziele der Integration Ausgeglichener Wasserhaushalt Integration der Wasserversorgung in den Stadtkörper Mit einer integrierten Planung, die das wesentliche Infrastrukturelement Wasser in die Freiraumplanung und damit in den Stadtkörper einbindet und es wirksam und erlebbar werden lässt, können mehrere Ziele erreicht werden: Verbesserung des Mikroklimas Sichtbarkeit Chancen der Integration in die Freiräume Beispiel einer Regenrückhalte-Mulde Eine integrierte Planung mit Versickerung, Rückhaltung und Verdunstung von Regenwasser ist die Grundlage für einen ausgeglichenen Wasserhaushalt im Quartier. Dieser bildet die Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung mit Grundwasser-, Boden- und Naturschutz. Die Verdunstung von Regenwasser wirkt über die entstehende Verdunstungskälte kühlend. Mit Hilfe offener Gräben und Rückhaltebecken kann dieser Effekt zur Verbesserung des Mikroklimas eingesetzt werden. Die Sichtbarkeit von offen geführten Wasserelementen als Bestandteil der Straßen- und Freiräume unterstützt die Identifikation der Menschen mit dem Element Wasser. Die Integration in die Freiraumgestaltung bietet die Chance einer Doppelnutzung des Wassers im Quartier als Infrastruktur- und als Freizeitelement. In Folge des Klimawandels nehmen sowohl Starkregenereignisse als auch Perioden mit zu geringen Regenfällen, in denen die Städte überhitzen und austrocknen, zu. Wenige Minuten Starkregen können dann zur Überschwemmung von Straßen und Gebäuden mit enormen wirtschaftlichen Schäden führen. Deshalb sucht z.B. die Stadt Hamburg zur Zeit händeringend nach geeigneten Rückhalteflächen für ihr überlastetes Kanalnetz. Sommerhitze verursacht Stress bei den Stadtbewohnern, führt zur Senkung des Grundwasserspiegels, zur Unterversorgung von Stadtbäumen und zu Artensterben durch das Austrocknen von Bächen. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Urban fabric with blue and green infrastructur dt.: Städtische Situation mit „blau-grüner“ Infrastruktur Dieses Ungleichgewicht kann mit Hilfe einer intelligenten, das Wasser integrativ und als aktive Einflussgröße mitdenkenden Freiraumplanung reduziert werden. Für das Atelier Dreiseitl ist die Integration von Landschaft und Wasser zentraler Bestandteil eines nachhaltigen Städtebaus. Diese „blau-grüne“ Infrastruktur ermöglicht eine dauerhafte und sinnvolle Integration des Quartiers in die Landschaft, durch die multifunktionale Flächennutzung eine hohe städtebauliche Dichte sowie eine hohe gestalterische und funktionale Vielfalt des Freiraums. 20 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Instrumente und Beispiele einer integrierten Wasser- und Freiraumplanung Die technischen Werkzeuge für eine blau-grüne Infrastruktur- und Freiraumplanung sind vorhanden und können zielgerichtet auf die jeweilige Situation (Flächengröße, Klima, bauliche Dichte, Funktion) angewendet werden. water features dt.: Bausteine eines integrierten Regenwassersystems Potsdamer Platz, Berlin Ein Beispiel für eine passgenaue Anwendung dieser Technologien ist der Potsdamer Platz in Berlin. Gemeinsam mit dem Architekten Renzo Piano hat Atelier Dreiseitl ein integriertes Freiraum- und Wasserkonzept für einen extrem dicht bebauten städtischen Raum erarbeitet. Die gesamte Freifläche wurde so geplant, dass sie dasselbe Abfluss- und Versickerungsverhalten wie eine Wiese hat, so dass nur sehr wenig Wasser zusätzlich in den Landwehrkanal eingeleitet werden muss. Das Dachflächenwasser wird in Zisternen gesammelt, die mit einem zentralen See verbunden sind. Mit der Multiplikation solcher dezentralen Konzepte lassen sich viele Probleme des Wasserhaushaltes einer Stadt lösen. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Wasser- und Freiraumkonzept Potsdamer Platz Atelier Dreiseitl 21 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Zollhallenplatz Freiburg Atelier Dreiseitl Für den langfristigen Erfolg solcher Maßnahmen und die Akzeptanz auch kommender Generationen ist elementar, dass die Konzepte nicht nur funktional wirksam sind, sondern darüber hinaus ein positives Stadtbild ergeben. Ein weiteres Beispiel aus dem Büro Dreiseitl ist eine Platzgestaltung in Freiburg im Rahmen der Konversion eines ehemaligen Güterbahnhofs. Zwar ist das Wasser bei dieser Platzgestaltung nicht im öffentlichen Raum sichtbar, um eine möglichst multifunktionale Nutzung zu ermöglichen. Der komplett mit Recylingmaterial gestaltete Platz funktioniert jedoch vollständig als Versickerungsfläche, mit Rückhaltebecken unterhalb der Platzfläche und Abführung an den Untergrund. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Wohngebiet Winnenden: Auf einer ehemaligen Industriefläche wurde eine 5ha große Wohnsiedlung entwickelt. Die Grünflächen wurden multifunktional gestaltet, so dass sie in Regenzeiten als Retentionsbecken und in Trockenzeiten als Spielfläche dienen können. Eine vollständige Überschwemmung der Freifläche wird nur in sehr seltenen Starkregenfällen (1.000-jährige Flutzone) auftreten, so dass ein Großteil in der Regel als Naherholungs- und Freizeitbereich zur Verfügung steht. Auch in den Straßenraum wurden Entwässerungselemente offen sichtbar integriert. Landschaft und Wasser stehen in diesem Quartier im Gleichgewicht, das Thema Wasser wurde positiv im Freiraum umgesetzt und gestaltet einen sozialen Raum für die Nachbarschaft. Wohngebiet Arkadien, Winnenden Atelier Dreiseitl 22 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Portland, Oregon/ USA: Ein kleiner Park wurde so umgestaltet, dass er auch zur Entwässerung der angrenzenden Straßen genutzt werden kann, um die Stadtentwässerung zu entlasten. Heute ist dieser Park eine Mischung aus Freizeitfläche, Biotop, Treffpunkt und Entwässerungsbauwerk - es findet eine effektive Überlagerung der wichtigsten ökologischen, infrastrukturellen und sozialen Funktionen statt. Tanner Spring Park, Portland/ Oregan USA Atelier Dreiseitl „Fluss für neues Stadtleben“ Singapur: Aus einem kanalisierten, einbetonierten Fluss, der den Stadtraum durchschnitt, wurde ein grün gefasster Frei- und Naherholungsraum, der auch bei extremen Regenereignissen noch seiner Funktion als Entwässerungs-Leitelement gerecht werden kann. „Fluss für neues Stadtleben“ Singapur Atelier Dreiseitl II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 23 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Mögliche Elemente einer integrierten Planung am Hellwinkel Schritte zu einem integrierten Entwässerungskonzept im Quartier Hellwinkel Die Struktur des Quartiers Hellwinkel eignet sich sehr gut für eine integrierte Freiraum- und Wasserkonzeption, wie sie in den Beispielen dargestellt wurde. Erste Ideen und mögliche Ansätze müssen gemeinsam mit dem Büro SMAQ und der Stadtverwaltung weiter geschärft, für Hellwinkel zielgenau dargestellt und ausgearbeitet werden. Im Quartier Hellwinkel könnte das Wasser als prägendes Gestaltungselement des Freiraums weiterentwickelt werden, und so den Nachbarschaften ein prägendes Gesicht geben. Mögliche Elemente eines freiräumlich integrierten Entwässerungskonzeptes im Hellwinkel wären: sichtbare Bewirtschaftung sämtlichen Regenwassers in einem oberirdischen Entwässerungssystem aus offenen Rinnen, Mulden und Retentionsflächen öffentliche Grünflächen als temporäre Retentionsflächen mit geringer Einstautiefe, Entleerung nach jedem Regen Versickerung durch belebte Bodenzone in den Untergrund, Zwischenspeicherung in Kiesschicht Anpassung der Entwässerungstopografie der Straßen, offene Ableitung des Regenwassers in Richtung der zentralen öffentlichen Grünflächen; ausreichendes Längsgefälle und Ableitungsrinnen gedrosselte Einleitung überschüssigen Regenwassers in die Reislinger Straße Kombination Gestaltung und Regenrückhaltung öffentlicher Freiflächen, z.B. durchlässige Beläge auf Angerplätzen zur Förderung der Verdunstung und Reduzierung des Oberflächenabflusses II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Bäume spenden Schatten und fördern die Verdunstung, Baumsubstrate speichern Regenwasser Regenrückhaltung auf den Grundstücken zur Entlastung des öffentlichen Entwässerungssystems z.B. über Gründächer, Zisternen, Rigolenspeicher Voraussetzung zur Umsetzung integrierter Konzepte ist grundsätzlich eine klare Zielformulierung der Stadterwaltung und ein Konsens aller Fachdisziplinen. Darüber hinaus müssen Vereinbarungen zum Betrieb/ Unterhaltung eines solchen Systems und seiner rechtlichen Absicherung getroffen werden. Option: Entwässerungstopografie Hellwinkel 24 DAS HAUS ANDERS DENKEN ENERGIEGEWINNE MAXIMIEREN PROF. GÜNTER PFEIFER, FONDATION KYBERNETIK WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Prof. Günter Pfeifer stellt vor, welche Chancen für die Gestaltung eines nachhaltigen Stadtquartiers auf Gebäudeebene mit Hilfe des kybernetischen Planungsansatzes liegen. Die kybernetische Planung betrachtet das Haus in allen seinen energetischen Aspekten und entwickelt mit Reduktion auf die Wirkungsprinzipien und Darstellung der Proportionen und Zusammenhänge neue Systeme. Grundsätzlich müssen Häuser müssen fünf energetische Eigenschaften der Akkumulation und Regulation erfüllen: Sammeln – Verteilen – Speichern – Entladen – Schützen Energetische Funktionsweise eines (klassischen) energiegeschützten Hauses (oben) Auf diese Wirkungsprinzipien baut die gesamte Architekturgeschichte auf, die vielfältige konstruktiv-bauliche Lösungen zum Umgang mit Energie bietet. In der aktuellen Diskussion – und der Energieeinsparverordnung – stehen jedoch Aspekte der Wärmedämmung (Schutz vor Energieverlusten) sowie technische Lösungen zur Energiegewinnung im Vordergrund, während architektonische Lösungen immer mehr in Vergessenheit geraten. Der kybernetische Ansatz dreht dieses Prinzip gewissermaßen um und maximiert die Energiegewinnung: über Wand- und Dachformen, die Energie sammeln, direkt in die Speichermasse des Gebäudes einbringen und im Haus verteilen – mit Hilfe baukonstruktiver Elemente, ohne aufwendige Gebäudetechnik. Die kybernetische Planung bietet einen Strauß von konstruktiven Möglichkeiten. Anhand von Praxisbeispielen wird ein Überblick über mögliche Elemente, ihre Wirkungsweise, Effektivität und Kosten gegeben. eines energiesammelnden und -speichernden Hauses (unten) Patchworkhaus in Mühlheim/ Baden 2006 Pfeifer Roser Kuhn Architekten mit Balck+Partner Doppelhaus mit solarer Grundrisszonierung mit Energiegarten transluzente Gebäudehülle aus Polycarbonat Speichermassen: Beton (Innen) und Holz (Außen) NF: 294qm / BGF: 396qm / BRI 1.179cbm Heizwärmeverbrauch: 32kWh/qma1 Primärenergiebedarf: 24,3 kWh/qma Kernstück des Patchworkhauses ist der sogenannte „Energiegarten“, der sich über die gesamte Gebäudehöhe im Zentrum des Hauses erstreckt und als offener, heller Erschließungs- und Interaktionsraum dient. Die Wohnräume sind so um diesen zentralen Bereich angeordnet, dass sie für jede Wohneinheit ideal nach energetischen Gesichtspunkten ausgerichtet sind. Im Winter wird die Sonnenergie über die transluzente Fassade und Dach gewonnen, in den Energiegarten geleitet und von dort über einen zentralen Kaminzug mit Hilfe eines einfachen Lüfters in die Räume geblasen. Überschüssige Energie wird in der Gebäudemasse gespeichert und je nach Bedarf an die Aufenthaltsräume abgegeben. Im Sommer wird die Wärme über das Dach nach Außen abgeleitet und das Gebäude über Fassadenöffnungen natürlich belüftet. 1 II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 11.900 kWh bei 377qm nach EnEV: BRI x 0,32 25 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Daten zum Heiz- und Kühlbedarf des Pachtworkhauses wurden über Simulationen für unterschiedliche Besonnungsund Temperaturverhältnisse errechnet. In einem zweijährigen Monitoring wurde zudem untersucht, wie sich die Energiegewinnung des Patchworkhauses tatsächlich im Jahres- und Tageszeitenwechsel darstellt. Dabei konnten selbst bei diffusen Lichtverhältnissen erstaunliche Energiemengen erzeugt werden. Im Winter sanken die Temperaturen nachts zwar auf ca. 15 bis 18°C, tagsüber wurden aber im Firstbereich des Energiegartens selbst in Frostperioden bis zu 40°C gemessen. Allein durch die Gebäudekonstruktion konnten daher über den Großteil des Jahres gleichmäßige Temperaturen zwischen 20 und 30°C erreicht werden; lediglich bei Schnee (=Verhinderung von solaren Energieeinträgen) wurde eine Heizungsunterstützung notwendig. Dadurch wurde der berechnete Gesamtenergieverbrauch von ca. 19.000 kWh sogar unterschritten (2006: 16.222 kWh für Heizung und Warmwasser). Das Patchworkhaus zeigt, wie man durch die kybernetische Vernetzung von Raum, Konstruktion, Material und Energie mit geringem technischen Aufwand ein energetisch hochqualifiziertes Gebäude erhält, das noch unter dem Passivhausstandard nach EnEV liegt. Dabei musste lediglich auf die Grundbausteine der architektonischen Planung - Masse, Raum und Hülle - zur natürlichen Kühlung/ Lüftung, Energiegewinnung und -speicherung zurückgegriffen werden. Wärmeverteilung Energieverteilung im Gebäude Solare Grundrisszonierung Zentraler Energiegarten Messdaten Lufttemperatur September 2010 80°C 60°C 40°C Masse Speicher 20°C Raum Kommunikation Energiegarten Hülle Luftkollektor Schutz II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 26 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Prinzipien und Module der kybernetischen Planung Basismodule der kybernetischen Planung sind: Zonierung der Funktionen nach energetischen Gesichtspunkten Energiegarten-Luftkollektor in Kombination mit Hypobaukastensystemen aller Arten Lufterwärmung durch Energieeintrag über lichtdurchlässige Bauelemente (UV-Lichtanteil der Sonne – wirkt auch bei diffusen, bedeckten Lichtverhältnissen) mit dem Effekt der Erwärmung der dahinterliegenden Luftschicht Bauteilaktivierung/ Speichermassen Wasser zur Reflexion (Licht), Kühlung und Speicherung, adiabate (=Verdunstungs-) Kühlung Nutzung von Prozessenergien Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene Universität Freiburg, 2003-2007 Pfeifer Kuhn Architekten, Freiburg/ Delzer Kybernetik, Lörrach offener Grundriss, Installationskerne als Tragfunktionen Laborinstallationen vor der Nordfassade Bauteilaktivierung (24 cm Holzwand, Betondecken) Energiegewinnung über Luftkollektor vor der Holzwand Geothermie mit horizontalen Erdwärmekollektoren Heizwärmebedarf: 47,6 kWh/qma Primärenergiebedarf: 46,3 kWh/qma Thermodynamische Gebäudesimulationen liefern genaue Daten über den Energiebedarf, -gewinne und -verluste eines Gebäudes, Raumtemperaturen, Heiz- und Kühlleistung, transportierte Luftmenge usw. und ermöglichen dadurch einen passgenauen Einsatz der kybernetischen Module sowie zusätzlicher Gebäudetechnik. Grundlage für die Simulation ist die Eingabe u.a. von bauphysikalischen und klimatischen Daten, Angaben zum Nutzungsprofil, Gebäudezonierung, Gebäudetechnik und Konstruktion. Die Prinzipien der kybernetischen Energiegewinnung werden im folgenden anhand von Beispielen erläutert: Prinzip Wand-Außen-Speichermassen Prinzip Wand-Innen-Speichermassen Prinzip Dach Prinzip Fenster II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 27 Sanierung Sozialer Wohnungsbau in Mannheim, 2013 Fondation Kybernetik TU Darmstadt/ Balck+Partner, Heidelberg Luftkollektorfassade Polycarbonatplatten WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Balkone als Energiegärten Neue Kennzahl Heizenergie: 11 kWh/qma Grundfunktion Wärmen/ Winterfall Forschungsprojekt TU Darmstadt Grundfunktion Kühlen/ Sommerfall Im Winter temperieren temperieren Erdkollektoren (knapp unter den Betonböden der Keller verlegte Wasserrohre) über knapp unter der Erdoberfläche verlegte Kollektoren die Betondecken; Energiegärten und Speichermassen bieten gute Klimapuffer. Solar erwärmte Luft strömt über Luftkollektoren in den Wänden in die Büros, verbrauchte Raumluft strömt über Schächte wieder ab. Die Energie wird über Wärmetauscher entnommen und dem Kreislauf wieder zugeführt. Im Sommer wird das Prinzip umgedreht, dann wird das Gebäude geothermisch gekühlt. Der Wärmetauscher wird mit gekühltem Wasser aus dem Erdkollektor versorgt. Die kühle Luft fällt über Schächte in die Bürozonen, die erwärmte Luft wird aus den Bürozonen über natürlichen Auftrieb im Luftkollektor nach außen abgezogen. Diese Klimaführung nutzt lediglich das physikalische Prinzip der aufsteigenden warmen und fallenden kalten Luft und benötigt keine technische Unterstützung. Dasselbe Prinzip der Energiegewinnung über die Außenwände kann auch im Wohnungsbau angewendet werden. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Das Beispiel zeigt einen sozialen Wohnungsbau der Nachkriegszeit, der durch eine Luftkollektoren-Fassade unter die Passivhausgrenze gebracht wurde. Die Balkone wurden ebenfalls verkleidet und dienen als Energiegärten. Gleichzeitig wurden die Grundrisse durch Zusammenlegung von zwei Wohnungen komplett neu gestaltet und energetisch optimiert. Über die Fassadenplatten kann die gewonnene Energie mittels kleiner Ventilatoren von der Ostseite zur Westfassade gebracht werden. Im Keller befindet sich ein großer Speicher. Als Forschungsprojekt der TU Darmstadt wird das Gebäude monitorisiert. 28 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Energetische Überformung eines 60er Jahre Hauses mit einem energetischen Gesamtkonzept, Heroldsberg, 2012 Energetische Sanierung Generalvikariat Fulda, 2014 Fondation Kybernetik TU Darmstadt/ Balck+Partner, Kuder, Heidelberg Innen liegende Doppelfassade Luftkollektorfassade und Dach aus Polycarbonatplatten Energiegärten Pufferzone für die Aufenthaltsräume Bestandskonstruktion als Speichermasse Holzofen Wohnfläche: 200qm Das Einfamilienhaus aus den 60er Jahren wurde vollständig mit Luftkollektoren umhüllt und erhielt so eine zusätzliche Pufferzone für die Aufenthaltsräume. Der Energiebedarf zum Heizen und für die Warmwasserbereitung konnte dadurch auf nur 8 Ster (=Raummeter/ geschichtete Holzscheite) Holz pro Jahr und die Heizkosten auf ca. 600 Euro gesenkt werden. Auch bei diesem Beispiel wurde als Material für die Luftkollektorenfassade Polycarbonat verwendet. Polycarbonatplatten sind leicht, kostengünstig, langlebig, einfach zu demontieren und vollständig recycelbar. Alternativ ist z.B. auch Glas denkbar. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Pfeifer Kuhn Architekten mit Balck+Partner Solarthermie integriert in Polycarbonatplatten Dachflächenkollektoren 200qm Wärmepumpe mit Spitzenlast Gaskessel Wettbewerbsbeitrag, DBU Forschungsprojekt Energiekostenersparnis: 88,7% (von 34.800 auf 3.900 € pro Jahr) Bei diesem Beispiel mussten Möglichkeiten einer energetischen Sanierung gefunden werden, ohne die denkmalgeschützte Fassade zu beeinträchtigen. Ähnlich der Wirkungsweise eines Kastenfensters wurde eine innenliegende Doppelfassade aufgebaut. Damit keine Energie verloren geht, wird die Wärme der Raumabluft über eine Wärmerückgewinnung der Zuluft zugeführt. Es wurden Dachkollektoren aus Blech und Polycarbonat getestet, die hochgerechnet auf die gesamte Dachfläche von 200qm einen Energiegewinn von 90.000 kWh (Blech) bzw. 150.000 kWh (Polycarbonat) in einem halben Jahr ermöglichen würden. 29 Kastenfenster WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Spitalkirche in Mannheim, 2011 Erweiterung Einfamilienhaus in Freiburg, 2013 Erzbischhöfliches Bauamt Heidelberg, Fondation Kybernetik, Balck+Partner Prof. Günter Pfeifer mit Balck+Partner Kulturdenkmal Luftkollektor (Polycarbonat) Fußbodenheizung mit Fernwärme und Luftführung aus Kollektoren Wärmerückgewinnung, Luftverteilung Polycarbonat-Kollektoren auf bestehenden Dachgauben Energiekennwert: ca. 30 kWh/qma Doppelfenster mit Folienklappen Bei dem Einfamilienhaus aus den 50er Jahren versorgt ein Anbau den Bestand mit kybernetisch gewonnener Energie. Die aus Luftkollektoren im Neubau gewonnene Solarenergie wird in den Altbau geleitet und versorgt diesen mit Wärme (Prinzip der Hydrostatik). Dieses Projektbeispiel einer denkmalgeschützten Kirche zeigt zusätzlich einige konstruktiven Möglichkeiten, die mit geringem technischen Aufwand realisiert werden können. Das Kirchenschiff wird über eine zweischichtige Fußbodenheizung (oben: Fernwärme/ unten: Wärmegewinnung aus Kollektoren) zusammen mit Wärmegewinnung über spezielle Fensterkonstruktionen geheizt. Die rein luftgesteuerte Folien-Klappenkonstruktion an den Fenstern ermöglicht es, die bei Sonneneinstrahlung entstehende Warmluft zwischen den historischen Außenfenstern und den neu eingepassten Fenstern für den Innenraum zu nutzen. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 30 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Kybernetische Strukturen im Siedlungs- und Städtebau Abschließend stellt Prof. Günter Pfeifer ein Beispiel eines städtebaulichen Projektes vor, das nach kybernetischen Prinzipien optimiert wurde. Für das Wohnquartier Knielingen in Karlsruhe mit 2,5 ha sollte der städtebaulichen Entwurf so optimiert werden, dass die Gebäude nach kybernetischen Prinzipien gebaut werden können. Mit Studien zum Sonnenverlauf wurden Verschattungen und energiesammelnde Gebäudeteile identifiziert. Mit einer Simulation wurden die Potenziale kybernetischer Energiegewinnung und ein durchschnittlicher Energiekennwert von ca. 20 kWh/qma ermittelt. Die Planung wird weiter vertieft und das Projekt als Vorzeigeprojekt einer örtlichen Baugenossenschaft umgesetzt. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Wohnanlage Karlsruhe – Knielingen Schneider + Schumacher Architekten Fondation Kybernetik Balck+Partner, Kuder 31 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit TEIL 2 DISKUSSION II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 32 GESPRÄCHE MIT DEN REFERENTEN WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Im Anschluss an die Referate finden Gespräche mit den drei Referenten im Stil eine „world-cafés“ statt, in denen in kleinen, wechselnden Runden auf die Fragen jedes Teilnehmenden eingegangen und verschiedene Themen ausführlich erörtert werden können. Die Kernpunkte der Diskussion werden anschließend im Plenum für alle zusammenfassend dargestellt. Gesprächsrunde mit Jochen Rabe Bausteine eines nachhaltigen Planungsprozesses Im Mittelpunkt der Diskussion stehen sowohl praktische Fragen nach den Ergebnissen der Klimasimulationen im Hellwinkel als auch allgemeine Fragen zur Integration der Instrumente in den Planungsprozess und zu den erforderlichen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Planung. Klimasimulation Hellwinkel: Ergebnisse und Auswirkungen für das Quartierskonzept In welchem Umfang waren Anpassungen an dem Rahmenkonzept Hellwinkel notwendig, um die Planung klimatisch zu optimieren? Rabe: Eingriffe in die Quartiersstruktur beschränkten sich auf den Bereich der Hochhäuser am südlichen Gebietsrand. Um zu hohe Windgeschwindigkeiten und dadurch reduzierte Aufenthaltsqualität auf den Plätzen zu verhindern, wurden einige der Punkthochhäuser um ca. 10 m seitlich versetzt und konnten so auch die solare Ausrichtung verbessern. Zudem wurden Zu- und Ausgänge der Tiefgaragen so zur Hauptwindrichtung gelegt, dass eine natürliche Belüftung möglich ist. Deutlich wurde in der Simulation die hohe klimatische Bedeutung des Parks mit waldähnlichen Baumpflanzungen im Süden. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 In Folge des Klimawandels wird das Thema Überhitzung in Zukunft auch in deutschen Städten stärker in den Mittelpunkt rücken. Eine gute Durchlüftung ist wichtig für ein angenehmes Stadtklima, mit Zunahme der Windgeschwindigkeit nimmt die (gefühlte) Temperatur ab. Wurde dieser Aspekt in den Klimasimulationen zum Hellwinkel berücksichtigt? Rabe: Die Simulationen haben gezeigt, dass sowohl im Sommer als auch im Winter ein ausreichender Winddurchfluss im Quartier gegeben ist. Außerdem wirkt sich der benachbarte Wald positiv auf das Quartiersklima aus, so dass eine Überhitzung nicht zu befürchten ist. Welche Relevanz haben Topografie und Umgebung für die Klimasimulation im Hellwinkel? Rabe: Die topografischen Gegebenheiten spielen im Hellwinkel für die klimatischen Qualitäten keine Rolle, da sie sich nicht entscheidend auf die Wind- und Sonnenverhältnisse im Quartier auswirken. Klimatisch relevant ist jedoch das Wald-/ Parkgebiet im Süden, das deshalb auch in die Simulationen einbezogen wurde. Neubauvorhaben in der Nachbarschaft können vernachlässigt werden, sofern sie sich auf einem moderaten städtebaulichen Maß bewegen. Optimierung des städtebaulichen Entwurfs in Kooperation von SMAQ und Happold 33 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Kriterien einer nachhaltigen Quartiersentwicklung – Anwendung in der Planungspraxis Windsimulationen werden noch nicht lange im Planungsprozess angewendet. Welche Erfahrungen wurden mit dieser relativ neuen Technologie gemacht, hat sie sich im Planungsalltag bewährt? Rabe: Windsimulationen liefern bei geringem Aufwand relativ genaue und verlässliche Voraussagen, die zu einer deutlichen Verbesserung der Klimasituation in einem Quartier genutzt werden können. In der Windsimulation werden Standardmomente erfasst, bestimmte Elemente u.a. der Architektur sind noch nicht bekannt. Sie sind daher eine Annäherung an die Realität, die sich z.B. in klimatischen Extremsituationen auch einmal anders darstellen kann. Sobald das 3D-Grundgerüst konstruiert wurde, können Planungsvarianten unaufwändig und schnell („über Nacht“) vergleichend simuliert werden. Die Technik ist da sehr flexibel. Die Erfahrung zeigt, dass Simulationen aufgrund ihrer Verlässlichkeit kommunale Entscheidungsprozesse vereinfachen und beschleunigen können. Wie wirken sich die Ergebnisse der Wind- und Solarstudien auf die städtebauliche Qualität eines Entwurfes aus? Ist eine klimatisch optimierte Quartiers- und Bebauungsstruktur mit den städtebaulich-stadtgestalterischen Anforderungen vereinbar? Rabe: Wind- und Solarstudien helfen, einen städtebaulichen Entwurf klimatisch zu optimieren. Mit Hilfe eines schrittweisen Integrationsprozesses wird die Vereinbarkeit mit der angestrebten städtebaulichen Struktur gewährleistet. Dabei zeigen wie im Hellwinkel bereits minimale Eingriffe häufig eine sehr große Wirkung. Bei extremen Windverhältnissen, wie sie z.B. am Fuße von Hochhäusern entstehen können, können auch Hilfsmittel wie ein „windcatcher“ zum Einsatz II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 kommen. Ein gutes Stadtklima sollte zu den Kernanliegen eines jeden städtebaulichen Entwurfs gehören. Wie kann mit den Erkenntnissen im Rahmen der Bebauungsplanung umgegangen werden? Wie eng müssen Festsetzungen z.B. zu Gebäudehöhen oder Baufeldern getroffen werden, um die klimatischen Ziele des Entwurfs zu gewährleisten? Rabe: Mit Hilfe der Simulation unterschiedlicher Varianten (z.B. verschiedener Geschossigkeiten, die wie beschrieben sehr einfach umzusetzen ist), können die städtebaulichen Toleranzen eines Entwurfs ausgelotet und veranschaulicht werden. Relevante Vorgaben z.B. zu Gebäudehöhen, Baufeldern, Bautypen oder Dachformen können dann im BPlan entsprechend eingegrenzt werden. Entscheidend dabei ist, dass vor Festsetzungen auf der Ebene technischer Vorgaben immer erst die Möglichkeiten passiver, struktureller Maßnahmen ausgeschöpft werden. Aufgrund ihrer Objektivität helfen Simulationen auch relativ enge Festsetzungen zu argumentieren und z.B. im Abwägungsprozess zu begründen. Gibt es einen Mindeststandard, den eine nachhaltige Quartiersplanung erfüllen muss? Welche Rolle spielt der B-Plan im Rahmen einer DGNB-Zertifizierung? Rabe: Grundsätzlich umfasst eine nachhaltige Quartiersplanung weit mehr Aspekte als die baulich-infrastrukturellen Elemente, die im Rahmen eines B-Plan festgesetzt werden können. So ist z.B. die Prozessqualität einer Quartiersentwick- 34 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit lung entscheidend, auch bei der DGNB-Zertifizierung. Die Zertifizierungskriterien stellen insgesamt einen guten Leitfaden für eine nachhaltige Planung dar. Dabei können je nach angestrebtem Quartierstyp und den jeweiligen Rahmenbedingungen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Planungsprozess: Ablauf, Einbindung der Akteure Welche Entwicklungsformen befördern eine nachhaltige Entwicklung? Ist eine nachhaltige Planung einfacher „aus einer Hand“ zu realisieren? Rabe: Die soziale Nachhaltigkeit spielt in einem Nachhaltigkeitskonzept eine große Rolle. Grundlage ist eine soziale Mischung im Quartier, die v.a. durch unterschiedliche Eigentums- und Wohnungstypen erreicht wird. Dies lässt sich am ehestens mit Hilfe unterschiedlicher Akteure und Investoren realisieren, während eine Entwicklung aus einer Hand häufig zu Monostrukturen führt. Kooperative Eigentumsformen (z.B. Bauherrengemeinschaften, Genossenschaften), aber auch private Einzeleigentümerstrukturen fördern die Identifikation und Eigeninitiative der Bewohner in einem Quartier – wichtige Aspekte für dessen langfristige Nachhaltigkeit. Welche Instrumente fördern die Umsetzung nachhaltiger Elemente? Wann sollten die verschiedenen Fachdisziplinen eingebunden werden? Rabe: Kooperation ist für die Umsetzung nachhaltiger Konzepte von entscheidender Bedeutung. Gerade bei vielfältigen Eigentümerstrukturen ist eine intensive Beteiligung von Eigentümern und Anwohnern an der Planung wichtig, um für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu werben und die notwendigen Maßnahmen zu verdeutlichen. Das Gesamtsystem sollte jedoch grundsätzlich so robust sein, dass es ein Ausscheren einzelner Akteure verträgt. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Auch auf fachlicher Ebene ist eine kooperative, integrative Arbeit unter Einbindung aller Fachbereiche wichtig. Je früher alle Disziplinen an der Planung beteiligt sind, umso besser. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Projekte nicht an technischen Fragestellungen scheitern, sondern weil die entscheidenden öffentlichen oder privaten Akteure nicht zusammengebracht werden konnten. Dabei muss eine Balance gehalten werden zwischen der wünschenswerten nachhaltigen Qualität eines Quartiers und der Zumutbarkeit für die Investoren, ohne die eine Umsetzung nicht möglich ist. Dies ist ein schwieriger Abwägungsprozess, der auch auf politischer Ebene ausführlich diskutiert und mitgetragen werden muss. 35 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Gesprächsrunde mit Dieter Grau Integrierte Entwässerungskonzepte als zentraler Bestandteil nachhaltiger Quartiersentwicklung Diskutiert werden drei Themenkomplexe, die sich mit den Möglichkeiten einer integrierten Entwässerungsplanung im Hellwinkel, den städtebaulichen Aspekten und Qualitäten der integrierten Planung sowie Frage nach den Kosten und dem Betrieb der Anlagen beschäftigen. Freiraum- und Entwässerungsplanung im Hellwinkel Eignet sich das Quartier Hellwinkel für eine integrierte Entwässerungs- und Freiraumplanung? Können die Entwässerungselemente gut in das städtebauliche Konzept integriert werden? Ist das Quartier groß genug? Grau: Im städtebaulichen Entwurf von SMAQ wurde das Entwässerungskonzept von Anfang an als zentrales Gestaltungselement des Freiraums mitgedacht. Die geplante Regenwasserführung nutzt das natürliche Geländegefälle. Es sind daher nur punktuelle Optimierungen notwendig, um ein integriertes Konzept langfristig tragfähig umzusetzen. Angesichts der Freiraumstruktur könnte Oberflächenwasser zum charakteristischen Gestaltungselement im Hellwinkel ausgebaut werden. Die zentralen „Wiesenterrassen“ als zentrale Wasserrückhalteflächen, wie sie im städtebaulichen Entwurf vorgesehen wurde, sind z.B. problemlos machbar. Noch abgestimmt werden muss, inwieweit eine offene Wasserführung auch im Straßenraum möglich ist oder ob es in Teilbereichen ein geschlossenes oder auch doppeltes System geben wird. Die Gebietsgröße reicht für eine autarke Entwässerungsplanung aus, es können zudem vorhandene Infrastrukturen in der Umgebung eingebunden werden. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Es wird befürchtet, dass eine verstärkte Versickerung im Hellwinkel aufgrund der lokalen Gegebenheiten zu erhöhten Grundwasserständen mit Überschwemmung in den weiter unten liegenden Gebieten führen könnten. Wurden diese Besonderheiten berücksichtigt? Grau: Die genaue Analyse der lokalen Möglichkeiten und Probleme vor Ort ist Teil eines jeden integrierten Entwässerungskonzeptes. Es gibt keine pauschalen Konzepte, jedes Regenwassermanagement muss auf die dem Ort eigene Situation angepasst werden. Auch im Hellwinkel wird selbstverständlich auf die lokalen Besonderheiten eingegangen und entsprechende Lösungsansätze erarbeitet. Auswirkungen einer integrierten Planung auf die gestalterische und funktionale Qualität eines Quartiers Welche Folgen hat eine integrierte Entwässerungsplanung auf die städtebaulichen Qualitäten eines Quartiers? Grau: Für die städtebauliche/ freiraumplanerische Gestaltung hat eine integrierte Planung eindeutig positive Effekte. Das Wasser wird als positives Gestaltungselement für die Nachbarschaft sichtbar gemacht. Gerade auch von Seiten der Bürger ist die Akzeptanz solcher Maßnahmen i.d.R. sehr gut, da Wasser als Teil des Lebensraums allgemein positiv bewertet wird. 36 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Zeiten der Mitbenutzung 95% im Jahr trocken 4% RegenwasserEinleitung ohne Einstau 1% RegenwasserEinleitung mit Einstau Wie wirkt es sich auf Gestalt und Nutzbarkeit des Freiraums aus, dass das Wasser nur zeitweise vorhanden ist? Grau: Grünflächen, die nur zeitweise überschwemmt werden, können durch eine entsprechende Gestaltung als Naherholungs- oder Spielfläche genutzt werden. Auch in Zeiten, in denen die Entwässerungsflächen kein Wasser führen, wird der Charakter eines Gebietes über besondere Freiraumelemente und spezielle Vegetation geprägt. Ist eine offene Wasserführung in den Straßenräumen mit der Verkehrssicherheit zu vereinbaren? Es wird die Ansicht vertreten, dass eine offene Führung im Sommer zwar gut für das Quartiersklima ist, im Winter das Wasser jedoch möglichst schnell von den Straßen abgeleitet werden sollte. Grau: Funktionalität, Komfort und Sicherheit des öffentlichen Raumes dürfen selbstverständlich durch die Planung nicht eingeschränkt werden. Die Beachtung dieser Aspekte und Formulierung von Lösungsvorschlägen ist Bestandteil jeder integrierten Planung und muss mit den verschiedenen Fachbereichen diskutiert werden. Im Hellwinkel steht die Abstimmung hierzu noch aus. Welche Rolle hat der Umgang mit Regenwasser generell für eine nachhaltige Quartiersentwicklung? Grau: Eine ausreichende Versickerung von Regenwasser ist entscheidend für die Versorgung jeglichen Grüns im Quartier und damit elementarer Teil des Mikroklimas. Zum Umgang mit Regenwasser im Städtebau gibt es eine Vielzahl von Konzepten, auch in Kombination mit Grauwasser. In unseren Regionen ist es sinnvoll, mit Hilfe des Regenwassers den natürlichen Wasserhaushalt zu unterstützten. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Welche Rolle spielt der Ansatz der „recycling citys“, die die Nutzung regenerativer Energien, Wiederverwertung und Ressourcenschutz in den Mittelpunkt der Planung stellen? Grau: Das Prinzip nachhaltiger Quartiersplanung beruht darauf, die Naturprozesse in Kreisläufen zu denken und positiv zu beeinflussen. Nachhaltige Planung endet dabei nicht auf Quartiersebene, sondern bezieht die gesamte Umwelt mit ein. Dieser Ansatz ist wesentlich für eine langfristig nachhaltigen Strategie. In diesem Kontext bewegen sich auch die Elemente der Wasserkreislaufwirtschaft. Voraussetzungen/ Quartierstypen und Betrieb Können auch ältere Wohngebiete mit einer offenen Wasserführung umgerüstet werden? Grau: Auch in bestehenden Wohngebieten ist die Integration eines nachhaltigen Wassermanagements nachträglich möglich und sinnvoll. Im Bestand wie im Neubau kann dadurch Sinnhaftigkeit in die Infrastruktur hineingebracht und in das tägliche Leben integriert werden. Das Quartier wird damit zur Lernumwelt, in der Zusammenhänge erfahren werden können. Gibt es regionale Unterschiede zur Anwendbarkeit integrierter Entwässerungskonzepte? Welche Rolle spielt z.B. die höhere jährliche Niederschlagsmenge im Norden? 37 Gesprächsrunde mit Prof. Günter Pfeifer Elemente einer kybernetischen Architektur Diskutiert werden die technischen und architektonischen Aspekte der kybernetischen Planung sowie Chancen und Hemmnisse für eine weitere Verbreitung im Rahmen einer nachhaltigen Quartiersentwicklung. WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Grau: Auch in Bereichen mit höheren Niederschlägen kann ein nachhaltiges Wassermanagement im Quartier realisiert werden und dessen Nachhaltigkeit verbessern. Ein NordSüd-Gefälle gibt es nicht. Die möglichen und sinnvollen Elemente eines Konzeptes müssen genau auf die lokalen Bedingungen abgestimmt werden. Neben der Niederschlagsmenge ist dies z.B. die Topografie, der Grundwasserspiegel oder die Versickerungsfähigkeit des Bodens. Wie kann langfristig ein reibungsloser Betrieb und die Funktionsfähigkeit der Anlagen gewährleistet werden? Grau: Wichtig ist die Benennung von eindeutigen Zuständigkeiten mit Zusammenarbeit der notwendigen Fachbereiche in der Stadt für Entwässerung und Grünplanung. Viele Konzepte scheitern auch an der mangelhaften Integration der Fachbereiche für Grün- und Verkehrsplanung. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Gebäudetechnik und Materialien Welche Eigenschaften haben die Polycarbonatplatten? Wie altert das Material, wie ist seine Kosten- und Ökobilanz? Wie verhält es sich in Bezug auf den Brandschutz? Pfeifer: Bei der Kosten-/ Ökobilanz muss neben der Herstellung auch die Instandhaltung über einen längeren Zeitraum sowie die Wiederverwendbarkeit eines Materials über einen längeren Zeitraum mit eingerechnet werden (Lifecircle Betrachtung). Polycarbonat ist günstig in der Herstellung, sehr einfach zu verarbeiten und sehr widerstandsfähig gegen mechanische Einflüsse, Verwitterung oder andere Alterserscheinungen. Es kann problemlos demontiert, wiederverwertet oder recycelt werden, so dass Polycarbonatelemente eine bessere Ökobilanz als Wärmeverbundsysteme haben. Polycarbonatplatten haben eine Brandschutzzulassung für 5-geschossige Gebäude. Gibt es Alternativen zum Einsatz von Polycarbonat? Pfeifer: Grundsätzlich können auch andere transluzente Materialien verwendet werden wie z.B. Glas, was aber sehr viel teuerer ist. Denkbar ist auch der Einsatz von Textilien. Die Industrie muss hier dringend Alternativen entwickeln. Durch fehlende geeignete Materialien werden Innovationsfähigkeit und Kreativität von Architekten und Forschern deutlich eingeschränkt! 38 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Welche Rolle spielt die Speicherung von Energie? Pfeifer: Bei der kybernetischen Architektur erfolgt die Energiespeicherung i.d.R über die Gebäudemasse. Wichtig ist dabei das Material, Porenbeton dämmt z.B. sehr viel besser als Beton. Die Speicherung kann auch ausgelagert werden, z.B. in Warmwasser- oder PCM-Speichern (=Latentwärmespeicher aus phase-change-materials zur verlustarmen Wärmespeicherung), was aber sehr viel teurer ist. Ist mit Nutzung der in Wolfsburg angebotenen Fernwärme CO2-Neutralität eines Gebäudes möglich? Pfeifer: Für die Nutzung im Rahmen eines kybernetischen Systems würde der Rücklauf der Fernwärmegewinnung ausreichen. Die CO2-Bilanz hängt von der Art der Fernwärmeproduktion in Wolfsburg ab2. Alternativ könnte auch Wärme aus Geothermie genutzt werden. In Wolfsburg wären dafür die Schächte aus dem Kalibergbau denkbar. Kann das kybernetische System ausreichend schnell auf kurzfristige Temperaturänderungen reagieren und auch bei plötzlichen Kälteeinbrüchen angenehme Wohnverhältnisse garantieren? Pfeifer: Um solche schnelle Änderungen der Witterungsverhältnisse abzupuffern, haben alle kybernetischen Gebäude zusätzlich eine normale Heizungsanlage. Als „Sicherheitssystem“ ist sie in der Lage das gesamte Haus zu beheizen, wird jedoch nur an wenigen Tagen im Jahr benutzt werden. Architektonische Qualität Verliert man durch die „Energiegärten“ nicht gerade die Bereiche der Fassade, die sich für Fenster und private Freiflächen eignen? Pfeifer: Sicher sind Polycarbonatelemente effizienter, wenn sie zur Sonne ausgerichtet sind. Aber meist ist nur so viel Fläche notwendig, dass noch ausreichend Platz für Balkone oder Fensterflächen bleibt. Außerdem können Kastenfenster genutzt werden, die selber zur Energiegewinnung dienen. In welchem Umfang entstehen Zusatzkosten im Vergleich zu herkömmlichen Passivhäusern, insbesondere auch durch die Dopplung des kybernetischen Systems mit einer Heizungsanlage? Pfeifer: Die Gebäudekonstruktion ist nicht teurer als bei herkömmlicher Architektur. Polycarbonatelemente sind mittlerweile günstiger als Wärmeverbundsysteme. Deutlich gespart werden kann durch die einfache Gebäudetechnik, während ein Passivhaus sehr teure technische Anlagen benötigt. Wärmerückgewinnung ist trotzdem möglich. Auch die Flächenbilanz ist im Vergleich mit einem Passivhaus günstiger, da 36er-Wände ausreichen und keine Flächen für die Gebäudetechnik benötigt werden. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Sind die Luftsysteme der Luftkollektoren mit den Innenräumen des Gebäudes gekoppelt? Wie wirkt sich dies auf Hygiene und Wohnqualität aus? Pfeifer: Das Luftdämmsystem ist von dem übrigen Heizsystem der Wohnung strikt getrennt. Die Warmluft, die zur Dämmung der Wand genutzt wird, gelangt nicht in die Wohnung. Eine Ausnahme ist das Patchworkhaus als privates Experimentalhaus, in dem der Energiegarten auch als Erschließungsraum genutzt wird. 2 Die im VW-Werk erzeugte Fernwärme hat einen Primärenergiefaktor von 0,485. Aufgrund dieser hohen Energieeffizienz ist die Wolfsburger Fernwärme offiziell als Ersatzmaßnahme für regenerative Energien im Sinne des EEG anerkannt (Quelle: Stadtwerke Wolfsburg AG). 39 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit BBSR-Modellvorhaben energetischen Maßnahmen im Denkmalschutz: www.bbsr.bund.de/BBSR/D E/FP/Weitere/EKF/Modellv orhabenGebaeudebestand/ 01_Start.html?nn=608274 Hinterfragt wird zudem, ob ein Städtebau nach primär kybernetischen Grundsätzen nicht zu einer sehr rationalen, orthogonal ausgerichteten Quartiersstruktur führt, bei der letztendlich die Qualitäten der europäischen Stadt mit Gestaltvielfalt, Aufenthalträumen uvm. verloren geht. Anwendbarkeit/ Gebäudetypen Ist kybernetische Architektur auch bei mehrgeschossigem Mietwohnungsbau oder im Altbau sinnvoll? Pfeifer: Bei Mehrfamilienhäusern können Luftkollektoren als reine Wärmedämmung alternativ zu Wärmeverbundsystemen eingesetzt werden. Bei der sogenannten „dynamischen Dämmung“ wird angewärmte Luft aus den Kollektoren der sonnenzugewandten Seite auf die kühlen Fassadenseiten gebracht. Um Benutzungsfehler v.a. in Mietwohnungen auszuschalten kann z.B. das Wärmerückgewinnungssystem mit den Fenstern gekoppelt werden – es schaltet aus, wenn die Fenster geöffnet sind. Neben den Fassadensystemen gibt es einen Strauß von Möglichkeiten für kybernetische Maßnahmen an einem Gebäude, die auch unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten verwendet werden können. Mögliche Maßnahmen sind z.B. eine Unterstützung der Fußbodenheizung durch Luftkollektoren, Kasten- oder Dachfenster mit Wärmekollektoren oder die Ausbildung der Dachflächen als Luftkollektoren. Aktuell gibt es beim BBSR ein Forschungsprogramm zu energetischen Maßnahmen im Denkmalschutz, die ohne Außen- oder Innendämmung nur mit Luftkollektoren im Dach und Wand- oder Rohrsystemen, die die Warmluft in das Gebäude bringen, arbeiten. Dabei ermöglichen heutzutage Simulationen, den Energiebedarf eines Gebäudes und notwendige Maßnahmen exakt, mit Abweichungen von lediglich 0,1% zu bestimmen. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Umsetzungschancen kybernetischer Architektur Wieso wird das kybernetische Prinzip nicht bereits in größerem Maße umgesetzt? Warum konnte sich kybernetische Planung noch nicht stärker durchsetzten? Pfeifer: Während der Planungsphase sind sowohl auf Quartiers- wie auf Gebäudeebene verschiedene Simulationen mit erheblichem Aufwand notwendig, die einen komplexen Planungsprozess und Zusatzkosten verursachen. Bereits im Frühstadium der Planung werden Fachleute für die aerodynamische Simulation und den Entwurf intelligenter Haustechnikkonzepte benötigt. Dies erweist sich häufig als Hemmnis, zumal diese komplexen Prozesse in der HOAI nicht ausreichend berücksichtigt werden (Honorarkalkulation für Gebäudetechnik nach Umfang der verbauten Technik). Der Einsatz von Planungsintelligenz sollte in Deutschland insgesamt stärker honoriert werden! Wie kann kybernetische Architektur in die Bauleitplanung oder in Investorenauswahlverfahren implementiert werden? Pfeifer: Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten kybernetischer Architektur, die immer dezidiert auf den Gebäudeentwurf und die Umgebung abgestimmt sein muss, ist die Entwicklung eines allgemeinen Regelwerks, das man z.B. als Festsetzung in den B-Plan integrieren kann, nur schwer vorstellbar. Sinnvoll wäre jedoch eine entsprechende Beratung und Begleitung bei Bauprojekten. Hier müsste ein entsprechendes System zu Qualifizierung entwickelt werden. Bei Investorenauswahlverfahren müsste die Kooperation mit Fachleuten, die eine thermodynamische Simulation erarbeiten können, vorausgesetzt werden. Sinnvoll wäre zudem eine Art Baukastensystem zur Anwendung kybernetischer Elemente. 40 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Aus dem Teilnehmerkreis wird ergänzt, dass auch privatrechtliche Vereinbarungen zur Förderung kybernetischer Bauformen möglich sind, z.B. in Form von städtebaulichen Verträgen. Als entscheidend wird jedoch v.a. die Überzeugungskraft guter Beispielprojekte gesehen. Sind kybernetische Maßnahmen nach Energieeinsparverordnung einsetzbar? Ist eine Anpassung notwendig? Pfeifer: Grundsätzlich geht die EnEV von einer maximalen Wärmedämmung aus. Die Energiegewinnung durch Energiegärten kann nicht in die Berechnung nach EnEV einbezogen werden. Hier wäre eine Anpassung notwendig. Da die Landesbauordnungen jedoch effizientere Alternativen erlauben, sind auch kybernetische Konzepte genehmigungsfähig. Um die notwendigen Energieeinsparmaßnahmen zu erreichen, sollten die Gebäudekennwerte nach EnEV weiter verschärft werden auf 15 kWh/qma. Sind kybernetische Maßnahmen förderfähig? Die KfW-Bank hat die Förderanträge bisher immer abgelehnt, da sie die Wärmeverluste eines Gebäudes berechnet, aber keine Bilanz aus Wärmegewinnen und Wärmeverlusten erstellt. Im Moment findet aber ein Prozess des Umdenkens statt, der Hoffnung für die Zukunft macht. wendung diffusionsoffener Materialien wirkt sich auch positiv auf das Gebäudeklima und die Wohngesundheit aus. Wie wird das kybernetische System von den Kunden angenommen? Wie wird es im Ausland aufgenommen? Insgesamt ist es nicht einfach, potenzielle Kunden von den Vorteilen der kybernetischen Architektur gegenüber dem etablierten System der Wärmedämmung zu überzeugen, da gerade bei privaten Bauherren eine konservative Sichtweise vorherrscht. Das gilt genauso im Ausland, wo es durchaus auch interessierte Abnehmer gibt. Erster Schritt ist eine Veränderung im Sprachgebrauch vom Passivhaus zum Solar-Aktiv-Haus. Das Grundthema der kybernetischen Planung muss in den Vordergrund gestellt werden: die Rückbesinnung auf natürliche und einfache Vorgehensweisen der Energiegewinnung und – verteilung sowie der Verzicht auf aufwändige Technik und umfangreichen Rohstoffverbrauch. Wie kann die Industrie gewonnen werden, die entsprechenden Produkte zu entwickeln? Grundsätzlich ist die Industrie natürlich daran interessiert, ihre heutigen Produkte auch weiter zu verkaufen. Voraussetzung für die Entwicklung neuer Produkte wäre daher eine Änderung der EnEV sowie ein Umdenken bei den Architekten, die anstelle von Beton plus Dämmung wieder eine bauphysikalisch sinnvollere Konstruktion setzen. Die Ver- II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 41 PODIUMSDISKUSSION PODIUM: STADTBAURÄTIN MONIKA THOMAS, JOCHEN RABE, DIETER GRAU, PROF. GÜNTER PFEIFER MODERATION: PROF. ELKE PAHL-WEBER WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Prof. Elke Pahl-Weber leitet in die gemeinsame Podiumsdiskussion mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse ein. Die Vorträge und Gesprächsrunden führen vor Augen, wie umfassend der Ansatz einer nachhaltigen Quartiersentwicklung ist und wie vielfältig die Elemente auf strategischer, städtebaulicher, freiraumplanerischer und architektonischer Ebene sein können. Die Auswahl geeigneter Bausteine muss immer auf die lokalen Besonderheiten vor Ort angepasst werden – es gibt keine Standardlösungen. Je nach natürlichen und städtebaulichen Bedingungen müssen andere Instrumente zum Einsatz kommen. Das gilt auch für den Planungsprozess, der auf Akteure, Abläufe und Entwicklungsmodelle abgestimmt sein muss. Alle drei Referenten plädieren für ein „Arbeiten mit der Natur“ und ein „Weniger an Technik“. Es wurden Beispiele gezeigt, wie durch die Nutzung natürlicher Rahmenbedingungen und Wirkungsweisen der Einsatz aufwändiger Technologie reduziert und die natürlichen Ressourcen geschont werden können.3 Moderne technische Komponenten z.B. zur regenerativen Energiegewinnung können dann dezentral zur weiteren Optimierung und Erhöhung der Versorgungssicherheit genutzt werden. Dies bedeutet selbstverständlich auch, dass innovative Techniken eingesetzt werden, sie stehen aber im Kontext eines Handelns, das auf eine natürliche Kreislaufwirtschaft ausgerichtet ist. Ebenfalls gemeinsamer Tenor war: Am Anfang jeder nachhaltigen Planung steht die Definition von Zielen. Welche Art von Quartier, mit welcher Identität und welchen Schwerpunkten soll entwickelt werden? Welche Qualitäten soll der Freiraum, welche meine Gebäude bieten? 3 So zeigt auch ein Forschungsprojekt der TU Berlin, dass allein mit der Gebäudeausrichtung der Energieverbrauch eines Quartiers um 60% reduziert werden kann. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Teil dieser Zieldiskussion ist auch die heutigen Veranstaltung. Im Lichte fachlicher Expertise und der Nutzersicht können Ziele vereinbart werden, die der Politik zur Beschlussfassung vorgestellt werden. Dazu dient auch die Beantwortung der Frage: Welche der vorgestellten Bausteine können für die Quartiersentwicklung in Wolfsburg übernommen werden? Stadtbaurätin Monika Thomas sieht Wolfsburg in einem Zwiespalt zwischen Entwicklungsdruck und Innovationswunsch: Die Entwicklung zukunftsfähiger, nachhaltiger Stadtquartiere ist erklärtes Stadtentwicklungsziel in Wolfsburg. Der Einsatz umfassender Maßnahmen und Instrumente nachhaltiger Planung in all ihrer Vielfalt, wie sie heute präsentiert wurden, benötigt jedoch einen ausreichenden Vorlauf sowie Zeit für laufende Rückkopplung und Lernprozesse. In Wolfsburg muss jedoch angesichts der extremen Engpässe auf dem Wohnungsmarkt möglichst sofort mit dem Bau neuer Wohnquartiere begonnen werden. Hellwinkel befindet sich bereits mitten im Planungsprozess. Es gibt einen städtebaulichen Entwurf, für den im nächsten halben Jahr die Eckdaten festgezurrt und dabei auch einige der vorgestellten Bausteine eingebunden werden. Wie von den Referenten zu hören war, bietet der Entwurf von SMAQ eine gutes Gerüst für eine nachhaltige Quartiersentwicklung – die Stadt befindet sich auf einem guten Weg! Aus den Vorträgen kann eine Vielzahl von Anregungen für die politische Diskussion mitgenommen werden. Die Zertifizierung des Quartiers Hellwinkel ist evtl. ein gutes Instrument, um die Planung weiter zu qualifizieren und zu begleiten. Als erstes müsste geprüft werden, ob Zertifizierungsprozess und -kriterien grundsätzlich zur Planung im Hellwinkel passen. 42 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Inhaltlich könnte bei einigen Themen noch nachgearbeitet werden, z.B. im Bereich Mobilität, mit dem sich auch das nächste Forum beschäftigen wird. So könnte z.B. anstelle der geplanten Bushaltestelle eine Fläche für eine Mobilitätsstation mit multimodalen Angeboten vorgehalten werden. Zentrales Merkmal des Hellwinkels ist seine hohe Lebensqualität mit identitätsprägenden Nachbarschaften, hochwertigen Freiräumen und benachbartem Wald. Die hohen städtebaulichen Qualitäten müssen eine zentrale Rolle im Rahmen des Nachhaltigkeitskonzeptes spielen. Die Erfüllung von Kennwerten sollte dagegen nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen. Außerdem muss die Stadt bei Entwicklungskriterien für Bauprojekte grundsätzlich auch die Anforderungen der Investorenseite im Blick haben und realistische Rahmenbedingungen für nachhaltige Projekte bieten, z.B. eine geeignete städtebauliche Gebäudestruktur für die Nutzung von solaren Energiegewinnen. Die Umsetzung eines nachhaltigen Wassermanagements liegt dagegen in der Hand der Stadt selber. Grundlage für eine integrierte Entwässerungsplanung ist ein Konsens von Politik und Fachverwaltung. Strukturell bietet der Hellwinkel sehr gute Voraussetzungen, die Machbarkeit einzelner Elemente wird noch geprüft. Die Ansätze kybernetischer Architektur spielen v.a. auf der Ebene technisch-baulicher Vorgaben für die einzelnen Gebäude eine Rolle und könnten z.B. bei der Entwicklung von Vergabekriterien berücksichtigt werden. Anstelle von Grenzwerten für den zulässigen Energieverlust eines Gebäudes könnten z.B. Kennwerte zum Primärenergiebedarf treten – damit wären Konzepte mit Wärmedämmung und Passivhaustechnik mit einer kybernetischen Energiegewinnung und –verteilung gleichgestellt. Denkbar wäre auch eine Vergabe von Grundstücken für die Projekte mit den besten Kennwerten. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Auch von Seiten des Publikums wird der Ansatz, die Logik natürlicher Abläufe und Mechanismen wieder in den Mittelpunkt der Planung zu rücken, befürwortet. Dies ist eine Art „Technik-Archäologie“, bei der z.T. seit Jahrtausenden bekannte städtebauliche und architektonische Instrumente, die in Vergessenheit geraten waren, wieder hervorgeholt und mit modernen Argumenten versehen werden. Die hohe Bedeutung der städtebaulichen Qualität für die Entwicklung am Hellwinkel wird ebenfalls gesehen. Diese sollte auf keinen Fall zugunsten z.B. einer optimalen Ausrichtung zur Sonne – die zu rasterförmigem, monotonem Städtebau führen würde – aufgegeben werden. Differenzierte Raumbildung, Atmosphäre und Aufenthaltsqualität sind zentrale Elemente des Hellwinkels! Kontrovers diskutiert wird, wie die Umsetzung solcher Ansätze bei privaten Bauprojekten gewährleistet werden kann. Bei Festsetzung von Maximalverbrauchswerten ohne zusätzliche Vorgaben besteht die Gefahr, dass die Wärmedämmung auch weiterhin im Vordergrund stehen wird – allein aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades. Auch werden praktische Probleme bei der Kontrolle der eingereichten Verbrauchsberechnungen gesehen – ist dies ohne allgemeingültige Prüfmechanismen machbar? 43 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Prof. Günter Pfeifer schlägt vor, anstelle von Kontrollen und Grenzwerten die Beratung von Bauherren und Architekten sowie positive Anreize zur Förderung kybernetischer Architektur in den Vordergrund stehen. Eine wichtige Rolle spielen Simulationen, die mit Hilfe moderner Techniken zielgenau notwendige Bausteine und deren Wirkung darstellen können. Hier kann Hightech helfen, Lowtech zu fördern. Zudem könnten z.B. Prämien ausgelobt werden, wenn der tatsächliche jährliche Energieverbrauch unterhalb eines bestimmten Grenzwertes bleibt. Auch Jochen Rabe befürwortet ein Anreizsystem, das eine nachhaltige Architektur möglichst positiv belegt. Trotzdem wird man seiner Meinung nach ohne gewisse Elemente der Kontrolle und Prüfung nicht auskommen. Nur mit Hilfe von Prämien für tatsächliche Verbrauchswerte ist z.B. ein nachträgliches Nachsteuern nicht möglich. Dieter Grau sieht ein enges Kontroll- und Prüfsystem für Investoren/ Bauherren grundsätzlich kritisch, da es die Flexibilität des Einzelnen zu stark einschränkt. Seiner Ansicht nach ist es zielführender, Bereiche der öffentlichen Hand möglichst konsequent umzusetzen, z.B. im Rahmen einer integrierten Entwässerungsplanung. Die Erfahrung zeigt, dass so ein System von den Anwohnern auch unterstützt wird, wenn es sinnvoll in Freiraum und Infrastruktur integriert wurde. Prof. Elke Pahl-Weber sieht neben den bisher diskutierten Kriterien weitere wichtige Themen einer nachhaltigen Quartiersentwicklung, die auch für Wolfsburg relevant sind: Die soziale Nachhaltigkeit eines Quartiers wird nicht zuletzt von der sozialen Mischung seiner Bewohner bestimmt. Hierfür ist ein Wohnungsbau notwendig, der für breite Schichten und auch für geringe Einkommen bezahlbar ist. Neben Benchmarks zum Energieverbrauch könnten z.B. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 auch Benchmarks zu Baukosten festgelegt werden. Eine verstärkte Integration der Nutzerperspektive in die Planung ist ein Ansatz, der verstärkt auch in den wissenschaftlichen Fokus rückt. Prof. Elke Pahl-Weber bearbeitet zusammen mit ihren Studenten ein Projekt an der TU Berlin, das sich mit dem Wohnen und der Mobilität älterer Menschen beschäftigt. Nach der Methode des Design Thinking werden auf Grundlage von Befragungen, Beobachtungen von Nutzern und deren Verhalten im Alltag sowie lösungsorientierten kreativen Denkens Prototypen entwickelt, die dann von den Nutzern direkt getestet werden.4 Auch bei den Grundlagen des neuen EU-Förderschwerpunktes zur SmartCity hat das Nutzerverhalten konstitutive Bedeutung. Sie schlägt vor, Ziele und mögliche Instrumente eines solchen Planungsansatzes in dem III. Forum „Wohnen in Wolfsburg“ zu behandeln und dabei auch die Nutzer direkt zu Wort kommen zu lassen. Die nachhaltige Quartiersplanung steht aus ihrer Sicht vor dem generellen Dilemma von Stadtentwicklung, die mit dem Wissen von heute die Stadt von morgen baut. In diesem Fall geht es darum, ein Quartier zu entwickeln, das den Bedürfnissen und Standards der Zukunft genügt. Zwar sind heute viele Zusammenhänge bekannt, die für eine nachhaltige Entwicklung grundlegend sind. Welche Ansprüche in 50 oder 100 Jahren an ein Wohnquartier gestellt werden, wissen wir jedoch nicht, zumal es aktuell eine starke Bewegung im Themenfeld der nachhaltigen Quartiersentwicklung gibt - viele bisher selbstverständliche Grundsätze werden in Frage gestellt, neue Leitbilder entwickelt. Eine nachhaltige 4 Mit einem ähnlichen Vorgehen hat das Büro CF Möller ein Krankenhaus mit 8.000 Betten im laufenden Betrieb saniert. Vor Ort wurde eine Werkstatt eingerichtet, in der Module entwickelt, getestet und angepasst wurden. 44 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Quartiersplanung muss daher immer Optionen für Veränderungen umfassen – sie formuliert kein fertiges Gebilde, sondern ein Grundgerüst, das mit möglichst wenig Aufwand veränderbar ist. Für Stadtbaurätin Monika Thomas ist es kaum möglich, ein Quartier zu entwickeln, dass in all seinen Aspekten in 50 oder 100 Jahren noch zeitgemäß ist. Gute Chancen für eine langfristige Qualität und Tragfähigkeit bietet jedoch ein hochwertiger Städtebau. Ein Wolfsburger Beispiel ist Detmerode, das in den 1960er Jahren entwickelt wurde und auch nach 50 Jahren noch eine hohe Wohnqualität aufweist. Wohnungsgrundrisse oder ökologische Standards sind zwar aus heutiger Sicht verbesserungswürdig. Der vielfältige Wohnungsmix, der gute Umgang mit der Landschaft und die städtebauliche Raumbildung wird jedoch heute noch den Anforderungen an ein hochwertiges, identitätsbildendes Quartier gerecht. Aus Sicht von Herrn Rabe stellt die Beschleunigung der technischen Entwicklung besondere Herausforderungen an eine nachhaltige Quartiersentwicklung. Während die Infrastruktur in Detmerode auch nach 50 Jahren durchaus noch funktionsfähig ist, wird unsere heutige Infrastrukturtechnik evtl. nicht einmal die nächsten 20 Jahre überdauern – so lange kann jedoch alleine die Entwicklung eines Quartiers dauern. Prof. Elke Pahl-Weber stimmt zu, dass es auch aus Kostengründen anzuraten ist, bei der Entwicklung neuer Stadtquartiere eine zukunftsfähige Infrastruktur auf dem neuesten Stand der Technik zu realisieren. Bereits jetzt müssen nach Zahlen des Deutschen Instituts für Urbanistik und der Kreditanstalt für Wiederaufbau jährlich 47 Mrd. Euro in die Erneuerung von Infrastruktur investiert werden; insgesamt besteht ein Investitionsdefizit von 128 Mrd. Euro. II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Zur Analyse der langfristigen Tragfähigkeit eines Quartiers bieten sich z.B. Zyklusberechnungen an. Eine wichtige Rolle spielen dabei die zukünftigen Geschäftsmodelle zur Entwicklung und Betrieb von Projekten oder Infrastruktur – z.B. gibt es heute noch kein tragfähiges Geschäftsmodell für Ladesäulen für Elektromobilität. Wie solche Modelle in 20 oder gar 50 Jahren aussehen können, ist völlig ungewiss. 45 FAZIT UND AUSBLICK WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Stadtbaurätin Monika Thomas und Prof. Elke Pahl-Weber bedanken sich für die anschaulichen Vorträge und die interessante Diskussion bei allen Anwesenden – so eine engagierte und umfangreiche Teilnahme ist nicht selbstverständlich! Ein besonderer Dank geht an den Organisator Pierre Rey vom Fachbereich Planung und Bauberatung, der auch das Projekt Hellwinkel sehr engagiert mit vorantreibt. Auch die Resonanz von Seiten des Publikums ist sehr positiv: Es gab heute sehr interessante neue Anregungen zu den Möglichkeiten bei der Wohnungsbauentwicklung, die sehr phantasievoll und kompetent präsentiert wurden. Unabhängig davon, in welchem Umfang es gelingt diese Bausteine im Hellwinkel umzusetzen, haben alle Teilnehmenden heute viel gelernt! Es lohnt sich, viele der vorgestellten Ansätze weiter zu vertiefen. Die Foren sind zudem ein wichtiger Baustein für einen intensiven Beteiligungsprozess bei Wohnbauentwicklung in Wolfsburg. Sie tragen dazu bei, dass sich die unterschiedlichen Standpunkte z.B. auf Seiten der Politik, der Verwaltung und der Investoren aufeinander zubewegen können. In der Veranstaltung wurden Leitlinien für die Quartiersentwicklung in Wolfsburg deutlich, die in der weiteren Diskussion weiter zu differenzieren und zu prüfen sind: Kriterien und Leitlinien einer nachhaltigen Quartiersentwicklung in Wolfsburg Abgestimmte Konzepte Auswahl der Instrumente abgestimmt auf lokale Gegebenheiten, keine Standardlösungen Definition von Zielen Bestimmung Schwerpunkte der nachhaltigen Entwicklung, Konsens in der Politik Schwerpunkt städtebauliche Qualität Ausbau zum zentralen Identitätsmerkmal der Quartiersentwicklung, Vorrang vor technischen Kennwerten, robuste und flexible Struktur Natur vor Technik Einsatz natürliche, einfache Wirkungsweisen vor aufwändigen technischen Hilfsmitteln in Städtebau und Architektur II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 Förderung von sozialer Vielfalt Mischung Eigentums-/ Wohnungstypen, keine Monostrukturen, gemeinschaftliches Wohnen Wasser als identitätsprägendes Freiraumelement Nutzung Grün- und ggf. Straßenräume für Wasserbewirtschaftung, Förderung natürliche Kreislaufprozesse, multifunktionale Elemente Qualitätsmerkmal Stadtklima Unter Beachtung der Aspekte Durchlüftung, Überhitzung, Windgeschwindigkeiten, Grün, Baumaterial und Rauigkeit von Fassaden Unterstützung kybernetischer Gebäudeplanung Berücksichtigung Prinzipien bei Vergaberichtlinien und Grenzwerten, kybernetischer Planungsbaukasten, Fachberatung/ Simulation Klimatische Simulationen Optimierung städtebauliche Struktur, frühzeitige Einbindung und enge Rückkopplung; Nutzung für Entscheidungsprozesse/ Planungsrecht Passgenaues Förder-/ Kontrollsystem Kombination positive Anreize mit Grenzwerten/ Kontrollmechanismen, Bauherrenberatung Kooperation und Mitbestimmung Werbung für Nachhaltigkeitsziele, Zumutbarkeit für Investoren ausloten, Nutzerperspektive Integration Fachbereiche Frühzeitige Einbindung Fachplaner, Kooperation Fachämter, Konsens DGNB-Zertifizierung zur Qualitätskontrolle Prüfung der Anwendbarkeit je nach Prozess und Themen der Quartiersentwicklung Mit dem Forum „Wohnen in Wolfsburg“ ist der Grundstein gelegt, um das Wohnungsbauprogramm, das mit einem jährlichen Bauvolumen von 6.000 Wohnungen die Stadt vor immense Herausforderungen stellt, gemeinsam umzusetzen! 46 ANHANG TEILNEHMENDE (NACH ANWESENHEITSLISTE) WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Referenten/ Planer Dieter Grau Jochen Rabe Prof. Günter Pfeifer Sabine Müller Andreas Quednau Christina Thanner J.-E. Raupach Atelier Dreiseitl, Überlingen Buro Happold, Berlin Fondation Kybernetik, TU Darmstadt SMAQ SMAQ SMAQ SMAQ Stadt Wolfsburg/ Verwaltung Monika Thomas Kai-Uwe Hirschheide Pierre Rey Peter Albrecht Sabine Ecker Michael Joos Antje Malig Annette Müller Heinz Schulz Michael Malewicz Rado Velkavrh Sabine Hennecke Ralph Hartmann Birgit Schulz Jürgen Claßen Gerald Altenau Gudrun Schulze Kirsten Rogalsky Katja Hundt Annette Dylong Thomas Lüsse Jürgen Dowideit Sandra Gründer Cevahir Sahinarslan Randolf Fiebich Stefanie Goy Karsten Ostendorf Nicole Froberg Dr. Horst Farny Stadtbaurätin Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung Stadtplanung und Bauberatung/ Denkmalschutz Straßenbau und Projektmanagement Grün Grundstücks- und Gebäudemanagement Grundstücks- und Gebäudemanagement Grundstücks- und Gebäudemanagement Grundstücks- und Gebäudemanagement Grundstücks- und Gebäudemanagement Grundstücks- und Gebäudemanagement Grundstücks- und Gebäudemanagement Hochbau Hochbau Hochbau Hochbau Jugend Jugend Schule Baudezernat, Forum Architektur Umweltamt II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 47 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit Politische Vertreter Elke Braun Detlef Conradt Bärbel Weist Dr. Karl Peter Wilhelm Svante Evenburg Rüdiger Langwald Inge Rosenburg Jan Sibbersen Annegret Willenbrink Bürgermeisterin Stadtrat/ Ortsrat Stadtmitte (SPD) Stadtrat (PUG) Stadtrat (Bündnis 90/ Die Grünen) Stadtrat (Die Piraten) Ortsrat Stadtmitte (SPD) Ortsrätin Stadtmitte (SPD) Ortsrat Stadtmitte (CDU) Ortsrätin Stadtmitte (SPD) Wohnungsbaugesellschaften Phillip Schmitz Manuel Windmann Dirk Backhausen Jörg Dahmer Volkswagen Immobilien GmbH Volkswagen Immobilien GmbH Allertal Immobilien eG Neuland Wohnungsgesellschaft mbH Bauträger/ Projektentwickler Michael Flentje Thomas Reich Stefan Unger Hartmut Rüdiger M. Wehner Rainer Fricke Wolfgang Kruse Katrin Balster Volksbank Braunschweig Wolfsburg Projekt GmbH Sparkasse Wolfsburg Gifhorn Sparkasse Wolfsburg Gifhorn AEDES Projekt Projektentwicklung GmbH AEDES Projekt Projektentwicklung GmbH HHF Planungsbüro Ingenieurbüro Wolfgang Kruse GmbH Ingenieurbüro Wolfgang Kruse GmbH Träger öffentlicher Infrastruktur Burkhardt Noltemeyer Wolfsburger Entwässerungsbetriebe Thorsten Riekhoff Wolfsburger Entwässerungsbetriebe Stefan Griesemann Stadtwerke Wolfsburg Weitere Kurt Karlisch S. Wöhrer O. Rosebrock Haus & Grund Wolfsburg und Umgebung e.V. Institut für Gebäude- und Solartechnik TU Braunschweig Institut für Gebäude- und Solartechnik TU Braunschweig Moderation/ Dokumentation Prof. Elke Pahl-Weber Nicoletta Rehsöft TU Berlin, Moderation Stadt+Bild, Dokumentation II. FORUM WOHNEN IN WOLFSBURG AM 25.11.2013 48 WOHNEN IN WOLFSBURG Themenfeld Nachhaltigkeit