Vorwort Die Beiträge zu diesem Band stammen von zwei Symposien zur Medizinischen Ethik, die das Interuniversitäre Institut für Angewandte Ethik im Herbst 2008 und im Herbst 2011 veranstaltet hat. Die Beiträge zu einem dritten Symposium des Interuniversitären Instituts für Angewandte Ethik, das im November 2010 stattgefunden hat, erscheinen gesondert in einem eigenen Band. In den Beiträgen des vorliegenden Bandes geht es einerseits um aktuelle Probleme und anderseits um Grundlagenfragen der Medizinischen Ethik. Dementsprechend ist der Band in zwei Teile gegliedert. Danach folgt noch eine Dokumentation über die Tätigkeit des Interuniversitären Instituts für Angewandte Ethik. Die Beiträge im ersten Teil über aktuelle Probleme der Medizinischen Ethik sind thematisch breit gestreut: Sie reichen von einer Darstellung der neuesten Entwicklungen im Bereich der Stammzellenforschung und einer Diskussion um deren ethische und rechtliche Beurteilung, über ethische Fragen der Präimplantationsdiagnostik und der Debatte um “überzählige Embryonen” bis hin zu speziellen Problemen bezüglich der Patientenverfügungen. In den Beiträgen zu Grundlagenfragen der Medizinischen Ethik im zweiten Teil des Bandes wird das vom Salzburger Erziehungswissenschaftler Jean-Luc Patry und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelte Projekt “VaKE” (Values and Knowledge Education) vorgestellt und diskutiert. In weiteren Beiträgen wird beispielhaft aufgezeigt, wie die Methoden der modernen Logik auch auf dem Gebiet der Medizinischen Ethik fruchtbar eingesetzt werden können. 7 Das Interuniversitäre Institut für Angewandte Ethik beschließt mit diesem Band seine vierjährige Tätigkeit. Aus diesem Anlass ist dem Band auch noch ein Bericht beigefügt, in dem Bilanz über die Arbeit des Instituts gezogen wird. Die Medizinische Ethik ist – wie die gesamte Angewandte Ethik – ein Musterbeispiel für eine Disziplin, in welcher interdisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich ist. Die Forderung nach Interdisziplinarität war daher auch ein wesentlicher Bestandteil im Programm des Interuniversitären Instituts für Angewandte Ethik. Diese programmatische Zielsetzung wurde auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt; das zeigt sich u. a. daran, dass im vorliegenden Band die Paracelsus Medizinische Privatuniversität ebenso wie alle vier Fakultäten der Paris-Lodron-Universität Salzburg mit Beiträgen vertreten sind. Die Herausgeber danken allen, die an den beiden Symposien teilgenommen und ihre Beiträge für diesen Band ausgearbeitet haben. Vor allem aber danken wir auch Anneliese Müller, die nach vielen Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit für das Interuniversitäre Institut für Angewandte Ethik und dessen Vorgänger zum Abschluss auch noch den vorliegenden Band vorbildlich für die Drucklegung vorbereitet und redigiert hat. Salzburg, im August 2012 Heinrich Ganthaler Christian R. Menzel Edgar Morscher Die in diesem Band abgedruckten Beiträge wurden vor dem Sommer 2012 verfasst, die letzten Korrekturen erfolgten im August 2012. Die wichtigen Vorschläge der österreichischen Bioethik-Kommission vom September 2012 konnten daher nicht mehr berücksichtigt werden. 8 Teil I Aktuelle Probleme der Medizinischen Ethik MICHAEL BREITENBACH, MARK RINNERTHALER & GÜNTER VIRT Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen, iPSC) Bioethische Einschätzung, Stand der Forschung, Verwendung als Krankheitsmodelle und in der Therapie In diesem Beitrag werden folgende Abkürzungen verwendet: iPSC: induzierte pluripotente Stammzellen hiPSC: humane induzierte pluripotente Stammzellen ESC: embryonale Stammzellen hESC: humane embryonale Stammzellen SCNT-ESC: embryonale Stammzellen, die durch Kerntransfer aus somatischen Zellen hergestellt wurden Durch die Entwicklung der Biomedizin in den letzten 10 Jahren sind Heilverfahren auf der Basis der autologen Regeneration von Zellen und Organen möglich geworden oder jedenfalls, wie es scheint, in greifbare Nähe gerückt, die es bisher noch nie gegeben hat. Gemeint ist hier die Neubildung von fehlendem oder fehlerhaftem biologischem Material (Nerv, Muskel, Knochen, etc.), das genetisch identisch ist mit dem Patienten und immunologisch verträglich und kompatibel ist, nicht zu immunologischen Abstoßungsreaktionen führt und daher sozusagen eine biologische restitutio ad integrum ermöglicht. Dieses Konzept ist neu, obwohl es ein alter Wunschtraum der Medizin ist, und es hat zahlreiche Konsequenzen, die erst bedacht und diskutiert werden müssen, was ansatzweise in diesem Beitrag geschehen soll. 11 Aufbauend auf zwei früheren Arbeiten zu diesem Thema [1, 2], die geschrieben wurden, bevor das Konzept der iPSC durch die Arbeitsgruppe von Yamanaka [3, 4] vorgestellt wurde, wollen wir nunmehr zunächst in kurzen Worten das Konzept der iPSC erläutern und sodann die fundamentale Änderung in der bioethischen Einschätzung von iPSC im Vergleich mit ESC (embryonalen Stammzellen) behandeln. Wir schließen den Beitrag mit einer kritischen Beleuchtung des Standes der Forschung und einem Ausblick auf die zu erwartenden Anwendungen in der Medizin und in der biomedizinischen Forschung ab. Hier werden zwei Anwendungsfelder zu behandeln sein: Die kombinierte Stammzellund Gentherapie und die Erstellung neuer Krankheitsmodelle. Dazu gehört auch die Ermöglichung einer patientenspezifischen „personalisierten“ Therapie. Ein oft zitiertes „landmark paper“ aus der Arbeitsgruppe von Rudolf Jaenisch [5] beschreibt die vollständige Heilung eines genetischen Defekts im Modellsystem der Maus (Fig. 1). Die Maus war homozygot deletiert für das Gen rag2 und war daher vollständig immundefizient. Das angewendete Verfahren entspricht dem sogenannten therapeutischen Klonen und besteht aus folgenden Schritten: 1) Anlegen einer Fibroblastenkultur der kranken Maus, 2) Transfer eines Zellkerns aus dieser Fibroblastenkultur in eine entkernte Oozyte einer Maus, 3) in vitro Züchtung eines Embryos bis zum Stadium der Blastozyste, 4) Anlegen einer Kultur von embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) aus der inneren Zellmasse der Blastozyste, 5) Ersatz des defekten rag2 Gens durch das entsprechende Wildtypgen nach der Methode der sequenzgesteuerten rekombinativen Integration in das Chromosom (6, 7), in vitro Differenzierung der ESC und Isolierung von hämatopoietischen Stammzellen, 7) Infusion dieser Zellen in die Schwanzvene der kranken Maus, 8) die Zellen besiedeln jetzt 12 spontan das rote Knochenmark der Maus, und innerhalb weniger Wochen entwickelt diese nunmehr geheilte Maus einen normalen Immunresponse gegen beliebige Antigene. Der Grund, warum das aufwendige Verfahren zur Erzeugung von SCNT-ESC (somatic cell nuclear transfer embryonal stem cells) im beschriebenen Modellversuch verwendet wurde, liegt darin, dass auf diesem Wege gesichert ist, dass die zur Heilung verwendeten Zellen genetisch mit dem „Patienten“ (also der kranken Maus) identisch sind und daher keine immunologische Abstoßungsreaktion auf Grund der HLA Determinanten auftreten. Vermutlich könnte ein ähnliches Verfahren – trotz gewisser technischer Unterschiede – auch mit humanen SCNT-ES etabliert werden. SCNT-ES wurden im Humansystem erfolgreich hergestellt [8, 9], jedoch ist bisher kein klinischer Versuch mit menschlichen Patienten nach diesem Modell durchgeführt worden. Dafür waren neben Überlegungen zur Patientensicherheit (Tumorbildung!) und dem Mangel an Erfahrung mit humanen SCNT-ESC, also technischen Problemen, in erster Linie auch ethische Bedenken maßgeblich. Die ethischen Einwände wollen wir in drei Gruppen von jeweils unterschiedlichem Gewicht gliedern. Einwand 1: Probleme bei der Eizellspende: Die Spende einer Eizelle ist in vielen europäischen Ländern verboten (z.B. Österreich); wo sie aber erlaubt ist (z.B. Schweiz, Tschechien), unterliegt sie strengen Regeln und darf nur der assistierten Fortpflanzung unfruchtbarer Paare dienen. Die Eizellspende stellt eine schwere psychische und körperliche Belastung für die Spenderin dar und wird oft gegen Bezahlung bei wirtschaftlicher Not der Spenderin durchgeführt. Einwand 2: Probleme mit der Gewinnung von humanen ESC (hESC) durch Zellkernklonen (SCNT): Dieses Verfahren ist in vielen Ländern verboten, aber in einigen wenigen Ländern 13 unter sehr speziellen Bedingungen erlaubt (z.B. England). Hier ist eine Bemerkung zur Nomenklatur dieser Techniken angebracht. „Research cloning“ dient für Forschungszwecke, (sogenanntes) therapeutisches Klonen dient der Herstellung von ESC, die mit dem Patienten genetisch (nahezu) identisch sind und in der einen oder anderen Form zur Therapie einer Krankheit eingesetzt werden; „babycloning“ oder „reproductive cloning“ dient der assistierten Fortpflanzung, wobei der Begriff „reproduktives Klonen“ eigentlich eine falsche Bezeichnung ist, weil jedes Klonen durch SCNT vom Begriff her reproduktiv ist. Erlaubt wäre interessanter Weise das sogenannte therapeutische Klonen, also die Herstellung von geeigneten ES-Zellen für die Therapie (ähnlich wie in Fig. 1 beschrieben), nicht aber das reproduktive Klonen (assistierte Fortpflanzung). Die Argumente gegen das reproduktive Klonen sind vielfältig (Zusatzprotokoll 168 zur Oviedo Convention des Europarats ETS 164 [10]), es gibt aber auch radikal abweichende Meinungen [11], die keinen fundamentalen Unterschied zwischen der „in vitro fertilisation“ (IVF) und dem reproduktiven Klonen sehen. Einwand 3: Probleme mit der verbrauchenden Embryonenforschung (embryo research): Dieses Argument ist zum Teil im Einwand 2 enthalten. Es besagt, dass ein menschlicher Embryo unabhängig von seinem Entwicklungsstadium niemals vernichtet werden darf, auch wenn dies der Heilung eines anderen Patienten dient. Das Problem, das hier zu Grunde liegt, ist, wie in unserem früheren Artikel [2] ausführlich diskutiert, der ontologische, moralische und rechtliche Status des menschlichen Embryos. Ein Urteil des EUGH vom 18. Okt. 2011 über die Patentierung von Verfahren, die unter Verbrauch menschlicher Embryonen gewonnen wurden, sagt dazu: „A process which involves removal of a stem cell from a human embryo at the blastocyst stage, 14 entailing the destruction of that embryo, cannot be patented“. Zur Begründung heißt es in der dazu publizierten Presseerklärung: “The context and the aim of the biopatent directive 98/44/EC show that the European Union legislation intended to exclude any possibility of patentability where respect for human dignity could thereby be affected. It follows in the view of the Court, that the concept of human embryo must be understood in a wide sense. Accordingly, the Court considers that any human ovum must, as soon as fertilised, be regarded as a human embryo if that fertilisation is such as to commence the process of development of a human being. A non-fertilised human ovum into which the cell nucleus from a mature human cell has been transplanted and a non fertilised human ovum whose division and further development have been stimulated by parthenogenesis must also be classified as a human embryo. Although those organisms have not, strictly speaking, been the object of fertilisation, due to the effect of the technique used to obtain them they are capable of commencing the process of development of a human being just as an embryo created by fertilisation of an ovum can do so” [12]. Zusammenfassend können wir sagen: Die aufgezählten ethischen Bedenken sind so schwerwiegend, dass sie neben den technischen und medizinischen Problemen der menschlichen ESC Biologie einen wesentlichen Grund dafür darstellen, dass die biomedizinische Forschung in den letzten Jahren im Wesentlichen nicht den Weg des therapeutischen Klonens gegangen ist. Die Respektierung ethischer Grenzen hat zur forcierten Suche nach akzeptablen Alternativen geführt. Es gibt aber einen weiteren Grund für das (annähernde) Moratorium der Forschung an humanen ESC, nämlich die Entdeckung und Weiterentwicklung der iPSC Technologie. 15 Fig. 2 [13] zeigt das Prinzip dieses Verfahrens und zwei zur Zeit intensiv diskutierte Anwendungen. Aus einer Hautbiopsie des Patienten wird eine Fibroblastenkultur angelegt. Durch die Expression von vier Transkriptionsfaktoren, die in ES-Zellen eine wichtige Rolle spielen, gelingt es, das Genom der Fibroblasten so umzuprogrammieren, dass Zellen entstehen, die hinsichtlich Genexpression und Funktionalität gleichwertig mit ES-Zellen sind. Diese Zellen werden iPSC (induzierte pluripotente Stammzellen) genannt. Zu den Methoden der Herstellung und den (geringfügigen) Unterschieden zwischen ES-Zellen und iPSZellen werden wir weiter unten Stellung nehmen. iPSC wurden zuerst im Mausmodell entdeckt [4]; sodann wurde gezeigt, dass menschliche iPSC mit ähnlichen Methoden isoliert werden können [3]. iPSC der Maus sind hinsichtlich globaler Genexpression und Expression von Genen, die für ESC charakteristisch sind [14] und hinsichtlich ihrer Fähigkeit, durch Tetraploidenkomplementation eine normale und fertile Maus zu erzeugen [15 –18], äquivalent mit ES-Zellen. Tetraploidenkomplementation ist ein für die Maus entwickeltes Verfahren, bei dem ESC oder auch iPSC in eine tetraploide Blastozyste eingesetzt werden. Bei diesem Verfahren können bei einem erfolgreichen Experiment nur Embryonen und in weiterer Folge normale, fertile Individuen entstehen, die genetisch zur Gänze den iPSC entsprechen [19]. Es entstehen keine Chimären (Mosaiktiere). Menschliche iPSC sind in ihrem Genexpressionsmuster ebenfalls äquivalent hESC [14]. Die Entstehung eines menschlichen Embryos aus hiPSC wurde aus technischen und ethischen Gründen bis jetzt nicht getestet. Es ist nach unserer Meinung klar, dass zunächst keiner der oben angeführten ethischen und rechtlichen Einwände gegen das Arbeiten mit SCNT-ES auch auf iPSC zutrifft. Die Frage 16 der ethischen Bewertung der Herstellung von iPSC kann aber differenzierter gesehen werden und wurde sofort nach Bekanntwerden dieser neuen Technik in der bioethischen Literatur diskutiert. Die meisten Wortmeldungen zu dieser Frage waren uneingeschränkt positiv [20, 21], darunter auch eine Stellungnahme eines Vertreters des Vatikans [22]. Eine Meta-Analyse dieser Stellungnahmen und eine kritische Bewertung der Herstellung von iPSC wurde von Watt [23] und unter eingehender Diskussion des Konzepts der „Komplizität“ von Devolder [24] publiziert. Etwas vereinfacht lautet das Argument der letztgenannten Autorin, dass die intensive Weiterverfolgung der Technik der Herstellung von humanen iPSC als „Begleitforschung“ und „Kontrollforschung“ vermutlich für eine Übergangszeit auch die weitere Benützung von hESC und auch die weitere Herstellung von neuen hESC-Linien erfordert. Die iPSC-Forschung wird dadurch zum Komplizen der hESC Forschung. Das Problem der ethischen Komplizität ist ernst zu nehmen und nicht endgültig geklärt. Wir antworten dennoch darauf: Ungeachtet dieser jetzt noch bestehenden Komplizität, die aus technischen Gründen notwendig ist, sehen wir die Entwicklung von hiPSC für die klinische Praxis und für die Forschung aus bioethischer Sicht als einen entscheidenden Fortschritt in die richtige Richtung, nämlich in Richtung auf die (spätere) ausschließliche Verwendung von ethisch unbedenklichen iPSC. Es sollte daher der Weg frei sein, die iPS-Zell-Technologie weiter zu entwickeln mit dem Ziel, langfristig Therapiemöglichkeiten auf der Basis der kombinierten Stammzell- und Gentherapie zu entwickeln. Kurzfristig und mittelfristig gibt es aber auch noch weitere enorm wichtige biomedizische Anwendungsmöglichkeiten der hiPSC. Diese sind, wie schon erwähnt, die Erstellung von Krankheitsmodellen, die den bisherigen Krankheitsmodellen 17 überlegen sind, und die Ermöglichung der patientenspezifischen, individualisierten Therapie, z.B. der medikamentösen Therapie. Für die Realisierung aller dieser Anwendungsmöglichkeiten müssen noch zellbiologisch-technische Probleme gelöst werden, die im Folgenden kurz aufgezählt werden und dann im Zusammenhang mit den Themen „Gentherapie/Stammzelltherapie“, „Krankheitsmodelle“ und „patientenspezifische Therapie“ im Detail besprochen werden. Diese technischen Probleme sind: 1) Die sichere Beherrschung der Reprogrammierung ohne unerwünschte und eventuell ungesteuerte genetische Veränderung der Patientenzellen; 2) die sichere Beherrschung der in vitro Differenzierung der hiPSC in diverse differenzierte Zellen; 3) die Reinigung dieser differenzierten Zellen, so dass keine restlichen undifferenzierten Stammzellen in der Kultur verbleiben; 4) in engem Zusammenhang damit: die Beherrschung des Krebsrisikos beim Einbringen dieser Zellen in Patienten; 5) das „homing“ der therapeutisch eingesetzten Zellen an ihren „richtigen“ Ort im Empfänger bzw. nanomedizinische Methoden, um den richtigen Ort zu erreichen; 6) die Entwicklung von sicheren Methoden, um in hiPSC die für die Gentherapie eingesetzt werden sollen, ein exaktes „gene replacement“ zu erreichen; 7) die Klärung des Alterns von hiPSC sowie die Klärung der Frage, ob die Fähigkeit zur Reprogrammierung somatischer Zellen (zB. Hautfibroblasten) mit dem Alter des Patienten abnimmt oder ganz verlorengeht. Im Zusammenhang damit steht die Frage, ob die Reprogrammierung eine echte Rejuvenation (Verjüngung) darstellt. Reprogrammierung Der Weg zur Reprogrammierung, d.h. zur Wiederherstellung der „stemness“, wurde zuerst von S. Yamanaka (unter Verwendung 18 von 4 Transkriptionsfaktoren: Klf4, c-Myc, Sox2, Oct4) gefunden und bedeutet, dass die für somatische Zellen charakteristischen epigenetischen Veränderungen (Veränderungen der DNA und Histon-Methylierung, der Bindung von Chromatinproteinen an die DNA sowie zahlreiche andere Veränderungen des Chromatins) beseitigt und durch den relativ unveränderten Status des Genoms in frühen embryonalen Zellen ersetzt werden [4]. Nota bene: Die erwähnten epigenetischen Veränderungen gehen ohne Änderung der Genomsequenz vor sich. Nebenbei bemerkt: Es waren genau diese epigenetischen Veränderungen, die bei den „Dolly“-Versuchen zu zahlreichen Missbildungen der geklonten Tiere geführt hatten. Eine Übersicht über verschiedene Methoden zur Reprogrammierung wurde in [25] gegeben. Die vier Transkriptionsfaktoren wurden in den ersten Versuchen von Yamanaka mit Hilfe viraler Vektoren in das Genom der Fibroblasten integriert. Der Ort der Integration war nicht genau bestimmbar, und es konnte ungewollt durch die Integration eine krebsauslösende Mutation entstehen. Die Aktivität der vier Transkriptionsfaktoren war nur während der Reprogrammierung, nicht aber für die Aufrechterhaltung der Stammzelleigenschaften der iPSC notwendig. Die Häufigkeit der reprogrammierten Zellen in diesen Versuchen war extrem gering (weit unter 1%). Es war nicht klar, dass alle im Modellsystem der Maus erprobten Verfahren zur Reprogrammierung sich in genau derselben Weise auch auf menschliche Zellen anwenden ließen. Aus diesen Gründen wurden in den Jahren seit der Erstveröffentlichung von Yamanaka zahlreiche weitere technische Verbesserungen im Verfahren der Reprogrammierung erforscht, die wir kurz erwähnen wollen: Verwendung nicht integrierender Plasmidvektoren, Verwendung des „cre-lox“ Systems [26], um integrierte Gene in den iPSC aus dem Chromosom wieder ausschneiden zu können, wenn sie nicht mehr 19 gebraucht werden, Einsatz der Genprodukte (Proteine) an Stelle der Gene, Einsatz von kleinmolekularen pharmakologischen Wirkstoffen [27], die die Signalwege aktivieren können, welche von den erwähnten Transkriptionsfaktoren kontrolliert werden. Eine Zusammenfassung dieser Problematik findet man z.B. in Kiskinis [25]. Es war möglich, hiPSC aus einer großen Zahl verschiedener, auch terminal differenzierter Zellen zu gewinnen, darunter Hautfibroblasten, Keratinozyten und haematopoietische Progenitorzellen [25]. In vitro Differenzierung und Reinigung der differenzierten Zellen; Krebsrisiko Aus zwei Gründen war es notwendig, die soeben beschriebenen etablierten und stabil wachsenden, vermehrungsfähigen iPSC wieder zur Zelldifferenzierung in die gewünschte Richtung anzuregen. Erstens zeigte sich, dass für die Therapie und für die Verwendung als Krankheitsmodell differenzierte Zellen gebraucht werden. Also z.B. ganz bestimmte Subtypen von Neuronen, um ein Modell für neurodegenerative Krankheiten erstellen zu können (Beispiel: dopaminerge Neuronen und Parkinson’sche Krankheit), aber auch, um durch Zellersatztherapie einen Heilungserfolg zu erzielen (Beispiel: [28]). Zweitens zeigte sich, dass auch genetisch unveränderte ESC und iPSC Tumoren bilden können, und es war daher notwendig und ist auch gelungen, nach der in vitro Differenzierung die differenzierten Zellen so zu reinigen, dass keine iPSC zurückbleiben und in den Patienten transferiert werden. Dazu sind die Oberflächenmarker der Zellen und die Methode des FACS (fluorescence activitated cell sorter) geeignet [29]. Hier werden zweifellos noch weitere Forschungen benötigt, 20 aber es ist abzusehen, dass das Krebsrisiko der hESC und der hiPSC – auch wenn sie ein weitgehend unverändertes Genom besitzen – darauf beruht, dass undifferenzierte Zellen in ein Organ eingebracht werden. Wenn es gelingt – und es ist im Modellversuch bereits gelungen – die in vitro in geeigneter Weise differenzierten Zellen von den noch verbleibenden undifferenzierten Stammzellen zu reinigen, ist das Krebsrisiko minimiert. „Homing“ bei der Zelltherapie Erkrankungen des blutbildenden Systems, wie die weiter oben erwähnte homozygote rag2-/- Immundefizienz [5] haben für die kombinierte Stammzell- und Gentherapie den großen Vorteil, dass die in die Blutbahn gebrachten haematopoietischen Stammzellen selbständig ihren Ort im roten Knochenmark finden („homing“), dort anwachsen, sich vermehren, und auf diese Weise zur Heilung der Krankheit führen. Manche andere (sowohl genetische als auch sporadische) Erkrankungen, die sich z.B. in bestimmten Neuronen des Zentralnervensystems ausprägen, haben diesen Vorteil nicht. Es ist daher notwendig, Methoden zu entwickeln, um die geheilten Zellen an die richtige Stelle zu bringen, an der sie durch geeignete Wechselwirkung mit den Zellen des Patienten zu einer Heilung des gesamten Organs (z.B. Gehirnareal) beitragen können. Eine Möglichkeit, dies zu erzielen, besteht in der Anwendung nanotechnischer Methoden inklusive Mikromanipulation und wurde in einer Opinion der European Group on Ethics (17.1.2007) dargestellt [30]. Im Absatz 2.2.5 b) wird gesagt: „stem cell therapy combined with nanotechnology, based on magnetic cell sorting, also offers promising possibilities for the regeneration of diseased tissue. Stem cells may be identified, activated and guided to the place of damage within 21 the body with the use of cell-signalling molecules as a source of molecular Regeneration messengers“. Bei der Modellierung von neurodegenerativen Krankheiten in der Ratte und Maus wurde inzwischen festgestellt, dass die Injektion geeigneter Zellen in das betroffene Gehirnareal zur Ausbildung neuer Synapsen, Zellvermehrung und messbarer Besserung der Krankheitssymptome führt [31, 32]. Ähnliche Erfolge gibt es auch bei der Nachbehandlung des Herzinfarkts durch die Injektion in vitro differenzierter autologer Kardiomyozyten [33]. Insgesamt zeigen diese Versuche, dass auch für neurodegenerative Krankheiten und Herzkrankheiten die Zelltherapie und weiterführend die kombinierte Zelltherapie/Gentherapie vielversprechend ist. Gene replacement ESC der Maus sind eines der wenigen molekulargenetischen Modelle, in denen im Genom einer Zelle gezielt (durch geeignete Selektion und Gegenselektion, die hier nicht im Detail beschrieben werden soll) ein Gen durch einen selektierbaren Resistenzmarker ersetzt werden kann [6, 7], um eine sogenannte „knock out mouse“ zu erhalten. Ebenso kann in einer Weiterentwicklung der Methode ein Wildtypgen durch ein in vitro hergestelltes gewünschtes Mutantenallel ersetzt werden oder vice versa („knock in mouse“). Dies ist genau das Verfahren, welches auch für die Gentherapie mit hiPSC benötigt wird. Voraussetzung dafür ist, dass hiPSC ohne Verlust der stemness und ohne Änderung ihrer Eigenschaften – sie sind „immortalisiert“ ohne Krebszellen zu sein – beliebig weitergezüchtet und selektiert werden können, was der Fall ist [34]. Die Verfahren existieren, wurden z.B. an Hand von hiPSC eines ParkinsonPatienten etabliert, sind aber zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels noch nicht im klinischen Versuch angelangt [34]. 22 Stammzellen und Altern Dies ist ein vielschichtiges Thema, das hier nicht in voller Breite, sondern nur in Hinsicht auf seine Bedeutung für Therapie und Krankheitsmodelle behandelt werden soll. Zwei experimentelle Ergebnisse scheinen uns bedeutend. Erstens, die Reprogrammierbarkeit von Zellen einer Zellkultur (z.B. Fibroblasten, die im Allgemeinen gut geeignet sind zur Herstellung von iPSC), nimmt mit der in vitro Alterung (Hayflick-Altern) dramatisch ab, so dass schließlich keine iPSC mehr erhalten werden [35]. Andererseits war es aber möglich, sowohl in der Maus als auch im Humansystem von sehr alten Individuen iPSC zu erhalten, die sich morphologisch und funktionell von den iPSC nicht unterschieden, die von jungen Individuen gewonnen wurden [35, 36]. Nebenbei bemerkt ist dies einer der experimentellen Befunde, die das Hayflick-Altern als Alternsmodell in Frage stellen. Was hier aber wichtiger ist: Alte Patienten, z.B. solche mit neurodegenerativen Erkrankungen, haben auf Grund dieser Entdeckungen eine gute Chance, mit autologer Zelltherapie behandelt werden zu können. Diese Frage wurde in der Arbeitsgruppe von Jaenisch an Hand der Parkinson’schen Krankheit, einer typischen Alterskrankheit, untersucht [31, 32, 34] und ist auch von großer Bedeutung für die Erstellung eines Krankheitsmodells für diese Krankheit und für eine Reihe von anderen neurodegenerativen Erkrankungen. Lapasset et al. [36] ziehen den berechtigten Schluss, dass die Reprogrammierung von Fibroblasten von Hundertjährigen ein Beispiel für zelluläre Rejuvenation (Verjüngung) ist. Dieses Phänomen wäre von großer Bedeutung für die Alternsforschung und sollte der Anlass für eine detaillierte Untersuchung der Alternsmarker und ihrer Reversibilität in diesen Zellen sein. 23 Krankheitsmodelle, drug screening und individualisierte Therapie In Fig. 2 (linker Teil) ist die Erstellung eines Modells aus hiPSC für die schwere genetisch bedingte neurodegenerative Krankheit SMA (spinal muscular atrophy) dargestellt. Wir wollen kurz die wichtigsten Unterschiede zwischen den bekannten Krankheitsmodellen in der Maus (und gelegentlich in anderen genetisch gut untersuchten Tieren wir Drosophila und Caenorhabditis) und den Krankheitsmodellen diskutieren, die auf hiPSC beruhen. Zur Zeit existiert bereits eine relativ große Anzahl solcher zellulärer Krankheitsmodelle [37, 38]. Das Beispiel der SMA zeigt, dass manchmal das Mausmodell trotz hoher Sequenzhomologie zwischen den beiden verwandten Genen (SMN1 der Maus und des Menschen) das Krankheitsgeschehen nicht abbilden kann. Der Grund ist in diesem Beispiel, dass der Mensch (nicht aber die Maus) ein zweites paraloges Gen (SMN2) besitzt, das schwach exprimiert wird und den Defekt im ersten Gen funtionell teilweise komplementieren kann, wodurch der Phänotyp der Krankheit entsteht (Letalität im zweiten Lebensjahr). Die Maus hat das zweite Gen nicht, was dazu führt, dass die homozygote Deletion embryo-letal ist und der Krankheitsphänotyp nicht ausgeprägt und beobachtet werden kann. Aus den Fibroblasten eines Patienten, die den Gendefekt besitzen, nicht aber die neuronal-spezifischen Phänotypen entwickeln, wurden hiPSC hergestellt. Sodann wurde mit einem neu entwickelten in vitro Verfahren die Differenzierung zu Neuronen eingeleitet, und es zeigte sich, dass die Krankheitsphänotypen in der Zellkultur abgebildet (Morphologie und Zahl der Motoneuronen) und benutzt werden konnten, um mögliche medikamentöse Therapien zu testen, die durch gesteigerte Expression von SMN2 die Krankheitsphänotypen kompensieren konnten [39]. 24 Die zellulären Krankheitsmodelle auf der Basis der hiPSC und der in vitro Differenzierung und Kultur der relevanten Zelltypen haben aber noch weitere klare Vorteile, so dass sie als Ergänzung zu den Tiermodellen unverzichtbar sind [37]. Durch die Rejuvenation und die folgende Differenzierung der Zellen können verschiedene Krankheitsstadien untersucht werden, auch frühere Stadien der Krankheit, die im Patienten nicht untersucht werden können. Auch nicht genetisch bedingte Krankheiten (wie der sporadische Altersdiabetes Typ II) und komplexe multigenische Krankheiten können untersucht werden. Zellen können untersucht werden, die aus Patienten aus ethischen Gründen nicht gewonnen werden können, wie z.B. Zellen aus bestimmten Gehirnarealen. Neuerdings setzt sich die Erkenntnis durch, dass es, vor allem in der medikamentösen Therapie, individuelle Unterschiede zwischen einzelnen Patienten gibt. Es ist daher oft ratsam, durch Vortests unter mehreren Möglichkeiten die für den individuellen Patienten optimale Therapie zu wählen. Dies kann mit patientenspezifischen hiPSC und den daraus abgeleiteten differenzierten Zellen geschehen. Ebenso können auf diese Weise drug screenings mit sehr großen chemischen Banken durchgeführt werden, um bei manchen Krankheiten (wie der Parkinson’schen Krankheit), die zur Zeit noch als unheilbar gelten, eine medikamentöse Therapie zu finden [40, 41]. Zukunftsaussichten für die kombinierte Gentherapie/Stammzelltherapie Die technischen Probleme der hiPSC, die noch zu lösen sind und an denen zur Zeit intensiv gearbeitet wird, wurden oben beschrieben. Die Lösung der verbleibenden technischen Probleme 25 ist aus Gründen der klinischen Sicherheit unabdingbar, bevor die neue Technologie in die klinische Praxis der Zellersatztherapie übergeführt werden kann. Wenn man die gesetzlichen Vorschriften und Fristen für klinische Versuche bedenkt, so ist es wohl realistisch, dass die Patienten noch mindestens weitere 10 Jahre (also bis 2022) warten müssen, bevor die hier skizzierten Verfahren klinische Routine werden. Es ist vorhersehbar, welche Krankheiten vermutlich behandelt werden können. Wir erwarten, dass die erste Gruppe von Krankheiten, die erfolgreich behandelt werden wird, genetische Erkrankungen des blutbildenden Systems sein werden. Dies deshalb, weil auf diesem Gebiet die in vitro Differenzierung, die Reinigung der Zellen, und vor allem die Einbringung der Zellen in den Patienten unproblematisch sind. Ungelöst ist vorläufig das Problem des punktgenauen „gene replacement“. Bereits vor mehr als 10 Jahren wurden mit damals technisch unzureichenden Mitteln (die Details wurden schon früher [2] beschrieben und brauchen hier nicht wiederholt zu werden) zwei klinische Versuche durchgeführt [42, 43]. Sie wurden nicht wiederholt, weil bei einem der beiden Versuche zwei Patienten als Folge des genetischen Eingriffs in die Knochenmarksstammzellen an Leukämie erkrankten [44]. Die Möglichkeit der Krebserkrankung auf Grund der ungezielten Integration ins Genom wäre bei einem „exact gene replacement“ nicht mehr gegeben. Es scheint, dass das Spektrum der Krankheiten, die behandelt werden können, viel größer ist, als ursprünglich gedacht. Es besteht die Hoffnungen auf Heilung nicht nur bei genetischen Erkrankungen, die schon im Kindesalter auftreten, sondern vor allem auch für degenerative Alterskrankheiten, auch für solche (und das ist die Mehrzahl), die nicht monogenische Erbkrankheiten sind. Die Frage, ob hiPSC von alten Menschen gewonnen 26 werden können und welche Eigenschaften sie haben, wurde schon oben behandelt und positiv beantwortet. Ausblick Der „heilige Gral“ der kombinierten Gentherapie und Stammzelltherapie ist es seit Jahrzehnten, genetische Erkrankungen und neuerdings auch degenerative Erkrankungen dadurch zu heilen, dass die defekten Zellen und Organe biologisch ersetzt werden. Dies würde einer enormen Vergrößerung und Verbesserung der regenerativen Kapazität des Organismus gleichkommen. Möglichkeiten wie die eben beschriebenen sind erstmals realisierbar erschienen, als im Mausmodell die vollständige Heilung der rag2-/- Immundefizienz gelungen war (Fig.1). Warum sahen und sehen die Ärzte und Forscher, die auf diesem Gebiet arbeiten, so wichtige Vorteile in der therapeutischen Verwendung von ES Zelllinien, die nach SCNT gewonnen wurden? Unserer Meinung nach sind zwei Gründe ausschlaggebend: Erstens, die genetische Identität der Zellen mit dem Empfänger, die eine immunosuppressive begleitende Therapie nach der Transplantation der Zellen nicht mehr notwendig macht. In Klammern sei hier angemerkt, dass die genetische Identität bei der Technik der Kerntransplantation (nuclear transfer) nicht vollständig ist. Die mitochondriale DNA der Zellen ist (wie beim Klonschaf Dolly) nicht mit der Spenderin des somatischen Zellkerns identisch, sondern mit der „Eimutter“. Das hat jedoch anscheinend keinen Einfluss auf die immunologischen Abstoßungsreaktionen. Bei hiPSC ist die genetische Identität vollständig. Zweitens, und ebenso wichtig ist aber die Tatsache, dass ESC mit den geeigneten Zusätzen im Medium (zB. LIF, leukaemia inhibitory factor) beliebig vermehrt werden können, was wichtig ist, um 27 die nötige Menge an Zellen für die Therapie zu gewinnen, und auch die Voraussetzung dafür ist, dass nach Methoden (inklusive Selektionsmethoden), die ursprünglich für die Maus entwickelt wurden [6, 7], gezielte und punktgenaue Veränderungen am Genom vorgenommen werden können, die notwendig sind, um die beabsichtigte Gentherapie ohne das Risiko von größeren und ungesteuerten Veränderungen am Genom durchzuführen. Unserer Meinung nach sind diese Vorteile entscheidend, wenn es gelingt, einen ethisch unbedenklichen Weg zur Gewinnung Patientenidenter hiPSC und für die Umwandlung dieser Zellen in die gewünschten organspezifischen Zellen in vitro zu finden. Dies ist, beginnend mit den Publikationen von Takahashi [3, 4] und hunderten von seither erschienenen zusätzlichen Publikationen, gelungen. 28 Abbildung 1: Heilung durch therapeutisches Klonen Ausgangspunkt ist eine für die Mutation rag2 homozygote (rag2-/-) Maus. Aus dieser Maus wurde eine Fibroblastenkultur gezüchtet, ein Zellkern entnommen und in eine entkernte Eizelle transferiert. Aus der resultierenden Blastozyste wurden ES-Zellen angezüchtet. Durch Transformation mit der Wildtyp-DNA des Rag2 Gens und homologe Rekombination wurde das funktionierende Wildtypgen chromosomal integriert. Die ES-Zellen waren also genetisch geheilt. Sie differenzierten spontan zu sogenannten „embryoid bodies“ (EB), die verschiedene Zelltypen, darunter auch HSC enthielten. Diese wurden genetisch markiert, selektiv gezüchtet und durch Infusion in das mutante Empfängertier eingebracht, dessen eigene HSC durch eine genau dosierte Strahlenbehandlung abgetötet wurden. Bei einem genetischen Defekt, der fast ausschließlich im blutbildenden System zur Ausprägung kommt, genügte es, die geheilten Zellen intravenös zu injizieren. Diese besiedelten dann das rote Knochenmark. Innerhalb von Wochen entwickelten die Tiere die Fähigkeit zu einer normalen Immunreaktion. 29 Abbildung 2: Mögliche Anwendung von iPSC Wir zeigen mögliche Anwendungen der iPSC Technologie für die Zelltherapie von Patienten und für die Erstellung eines Krankheitsmodells. In Patienten mit SMA (spinal muscular atrophy) sind Motoneuronen betroffen, sterben ab und verursachen die Krankheitssymptome. SMAspezifische iPSC konnten hergestellt und in vitro zu Motoneuronen differenziert werden. Auf diese Weise wurde ein Zellkulturmodell der Krankheit erstellt, das zur Identifizierung neuer Medikamente dienen kann, die den Tod der Motoneuronen verhindern (linker Teil der Abbildung). Alternativ (rechter Teil der Abbildung) können die SMAIPSC durch reverse Genetik in Kultur „repariert“ und daraufhin zu gesunden normalen Motoneuronen differenziert werden. Diese können in den Patienten transplantiert werden. 30 Anmerkungen [1] Breitenbach M & Laun P (2006): Einige biologische Grundlagen der modernen Reproduktionsmedizin und der Stammzell- bzw. Gentherapie. Medizin- und Bioethik – Ethik transdisziplinär, eds Fischer M & Zänker KS (Peter Lang Verlag, Frankfurt), Vol 1, pp 29 – 50. [2] Breitenbach M & Laun P (2009): Stammzellforschung und Klonen – Biologische Grundlagen und medizinische Aspekte. Rohstoff Mensch, das flüssige Gold der Zukunft?, Wissenschaft und Religion, ed Weingartner P (Peter Lang Verlag, Frankfurt), pp 11 - 31. [3] Takahashi K, et al. (2007): Induction of pluripotent stem cells from adult human fibroblasts by defined factors. Cell 131(5): 861– 872. [4] Takahashi K & Yamanaka S (2006): Induction of pluripotent stem cells from mouse embryonic and adult fibroblast cultures by defined factors. Cell 126(4): 663 – 676. [5] Rideout WM, 3rd, Hochedlinger K, Kyba M, Daley GQ, & Jaenisch R (2002): Correction of a genetic defect by nuclear transplantation and combined cell and gene therapy. Cell 109(1): 17–27. [6] Capecchi MR (1989): Altering the genome by homologous recombination. Science 244(4910): 1288 –1292. [7] Thomas KR & Capecchi MR (1987): Site-directed mutagenesis by gene targeting in mouse embryo-derived stem cells. Cell 51(3): 503 – 512. [8] French AJ, et al. (2008): Development of human cloned blastocysts following somatic cell nuclear transfer with adult fibroblasts. Stem Cells 26(2): 485 – 493. 31 [9] Li J, et al. (2009): Human embryos derived by somatic cell nuclear transfer using an alternative enucleation approach. Cloning Stem Cells 11(1): 39 – 50. 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Der Anwendungsbereich von Stammzellen soll als Heilmittel der Zukunft krankes Gewebe oder zerstörte Organe ersetzen1. Die biomedizinische Forschung strebt an, Stammzellen zu isolieren und diese schließlich in jene Zelltypen umzuwandeln, die dann im Körper des Patienten die verloren gegangenen Funktionen wieder übernehmen können. Künftige Gewebebanken könnten im Krankheitsfall Ersatz für jeden Zelltyp bereithalten, wie zB Nervenzellen2 bei Alzheimer, Multipler Sklerose, Morbus Parkinson3; Leberzellen bei Hepatitis, Zirrhose; Knochenzellen bei Osteoporose, Knochenkrebs; Herzmuskelzellen bei Erkrankungen des Herzens4; Hautzellen bei Hautkrankheiten bzw. -verletzungen, Verbrennungen, Inselzellen bei Diabetes (Typ I5); Blutzellen bei Bluterkrankungen. Voll etabliert sind Stammzellen allerdings im Rahmen der Transplantation bei bestimmten Blutkrankheiten, wie zB Leukämie. Damit könnten auch Rückenmarksverletzung oder Schlaganfall geheilt werden bzw. neue Sinneszellen für das Auge geschaffen werden. Erwähnenswert ist eine dem Biotechnikunternehmen Geron in den USA genehmigte Studie, in der einem teilweise querschnittsgelähmten Mann mit Rückenmarksverletzung menschliche embryonale Stammzellen in das Rückenmark injiziert wurden. Ziel 37