Vorwort - Academia Verlag

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Vorwort
Die Beiträge zu diesem Band stammen von zwei Symposien
zur Medizinischen Ethik, die das Interuniversitäre Institut für
Angewandte Ethik im Herbst 2008 und im Herbst 2011 veranstaltet hat. Die Beiträge zu einem dritten Symposium des Interuniversitären Instituts für Angewandte Ethik, das im November
2010 stattgefunden hat, erscheinen gesondert in einem eigenen
Band.
In den Beiträgen des vorliegenden Bandes geht es einerseits
um aktuelle Probleme und anderseits um Grundlagenfragen der
Medizinischen Ethik. Dementsprechend ist der Band in zwei Teile gegliedert. Danach folgt noch eine Dokumentation über die Tätigkeit des Interuniversitären Instituts für Angewandte Ethik.
Die Beiträge im ersten Teil über aktuelle Probleme der Medizinischen Ethik sind thematisch breit gestreut: Sie reichen von
einer Darstellung der neuesten Entwicklungen im Bereich der
Stammzellenforschung und einer Diskussion um deren ethische
und rechtliche Beurteilung, über ethische Fragen der Präimplantationsdiagnostik und der Debatte um “überzählige Embryonen”
bis hin zu speziellen Problemen bezüglich der Patientenverfügungen.
In den Beiträgen zu Grundlagenfragen der Medizinischen Ethik
im zweiten Teil des Bandes wird das vom Salzburger Erziehungswissenschaftler Jean-Luc Patry und seinen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern entwickelte Projekt “VaKE” (Values and Knowledge
Education) vorgestellt und diskutiert. In weiteren Beiträgen wird
beispielhaft aufgezeigt, wie die Methoden der modernen Logik
auch auf dem Gebiet der Medizinischen Ethik fruchtbar eingesetzt werden können.
7
Das Interuniversitäre Institut für Angewandte Ethik beschließt
mit diesem Band seine vierjährige Tätigkeit. Aus diesem Anlass
ist dem Band auch noch ein Bericht beigefügt, in dem Bilanz über
die Arbeit des Instituts gezogen wird.
Die Medizinische Ethik ist – wie die gesamte Angewandte
Ethik – ein Musterbeispiel für eine Disziplin, in welcher interdisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich ist. Die Forderung nach
Interdisziplinarität war daher auch ein wesentlicher Bestandteil
im Programm des Interuniversitären Instituts für Angewandte
Ethik. Diese programmatische Zielsetzung wurde auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt; das zeigt sich u. a. daran, dass im
vorliegenden Band die Paracelsus Medizinische Privatuniversität ebenso wie alle vier Fakultäten der Paris-Lodron-Universität
Salzburg mit Beiträgen vertreten sind.
Die Herausgeber danken allen, die an den beiden Symposien
teilgenommen und ihre Beiträge für diesen Band ausgearbeitet
haben. Vor allem aber danken wir auch Anneliese Müller, die
nach vielen Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit für das Interuniversitäre Institut für Angewandte Ethik und dessen Vorgänger zum
Abschluss auch noch den vorliegenden Band vorbildlich für die
Drucklegung vorbereitet und redigiert hat.
Salzburg, im August 2012
Heinrich Ganthaler
Christian R. Menzel
Edgar Morscher
Die in diesem Band abgedruckten Beiträge wurden vor dem Sommer 2012 verfasst, die letzten Korrekturen erfolgten im August 2012. Die wichtigen Vorschläge der österreichischen Bioethik-Kommission vom September 2012 konnten daher nicht mehr berücksichtigt werden.
8
Teil I
Aktuelle Probleme der Medizinischen Ethik
MICHAEL BREITENBACH, MARK RINNERTHALER & GÜNTER VIRT
Induzierte pluripotente Stammzellen
(iPS-Zellen, iPSC)
Bioethische Einschätzung, Stand der Forschung,
Verwendung als Krankheitsmodelle und in der Therapie
In diesem Beitrag werden folgende Abkürzungen verwendet:
iPSC: induzierte pluripotente Stammzellen
hiPSC: humane induzierte pluripotente Stammzellen
ESC: embryonale Stammzellen
hESC: humane embryonale Stammzellen
SCNT-ESC: embryonale Stammzellen, die durch Kerntransfer aus
somatischen Zellen hergestellt wurden
Durch die Entwicklung der Biomedizin in den letzten 10 Jahren
sind Heilverfahren auf der Basis der autologen Regeneration von
Zellen und Organen möglich geworden oder jedenfalls, wie es
scheint, in greifbare Nähe gerückt, die es bisher noch nie gegeben hat. Gemeint ist hier die Neubildung von fehlendem oder
fehlerhaftem biologischem Material (Nerv, Muskel, Knochen, etc.),
das genetisch identisch ist mit dem Patienten und immunologisch
verträglich und kompatibel ist, nicht zu immunologischen Abstoßungsreaktionen führt und daher sozusagen eine biologische
restitutio ad integrum ermöglicht. Dieses Konzept ist neu, obwohl
es ein alter Wunschtraum der Medizin ist, und es hat zahlreiche
Konsequenzen, die erst bedacht und diskutiert werden müssen,
was ansatzweise in diesem Beitrag geschehen soll.
11
Aufbauend auf zwei früheren Arbeiten zu diesem Thema [1, 2],
die geschrieben wurden, bevor das Konzept der iPSC durch die
Arbeitsgruppe von Yamanaka [3, 4] vorgestellt wurde, wollen
wir nunmehr zunächst in kurzen Worten das Konzept der iPSC
erläutern und sodann die fundamentale Änderung in der bioethischen Einschätzung von iPSC im Vergleich mit ESC (embryonalen Stammzellen) behandeln. Wir schließen den Beitrag mit
einer kritischen Beleuchtung des Standes der Forschung und
einem Ausblick auf die zu erwartenden Anwendungen in der Medizin und in der biomedizinischen Forschung ab. Hier werden zwei
Anwendungsfelder zu behandeln sein: Die kombinierte Stammzellund Gentherapie und die Erstellung neuer Krankheitsmodelle.
Dazu gehört auch die Ermöglichung einer patientenspezifischen
„personalisierten“ Therapie.
Ein oft zitiertes „landmark paper“ aus der Arbeitsgruppe von
Rudolf Jaenisch [5] beschreibt die vollständige Heilung eines
genetischen Defekts im Modellsystem der Maus (Fig. 1). Die
Maus war homozygot deletiert für das Gen rag2 und war daher
vollständig immundefizient. Das angewendete Verfahren entspricht dem sogenannten therapeutischen Klonen und besteht
aus folgenden Schritten: 1) Anlegen einer Fibroblastenkultur der
kranken Maus, 2) Transfer eines Zellkerns aus dieser Fibroblastenkultur in eine entkernte Oozyte einer Maus, 3) in vitro Züchtung eines Embryos bis zum Stadium der Blastozyste, 4) Anlegen
einer Kultur von embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) aus der
inneren Zellmasse der Blastozyste, 5) Ersatz des defekten rag2
Gens durch das entsprechende Wildtypgen nach der Methode der
sequenzgesteuerten rekombinativen Integration in das Chromosom (6, 7), in vitro Differenzierung der ESC und Isolierung von
hämatopoietischen Stammzellen, 7) Infusion dieser Zellen in die
Schwanzvene der kranken Maus, 8) die Zellen besiedeln jetzt
12
spontan das rote Knochenmark der Maus, und innerhalb weniger
Wochen entwickelt diese nunmehr geheilte Maus einen normalen
Immunresponse gegen beliebige Antigene. Der Grund, warum das
aufwendige Verfahren zur Erzeugung von SCNT-ESC (somatic
cell nuclear transfer embryonal stem cells) im beschriebenen Modellversuch verwendet wurde, liegt darin, dass auf diesem Wege
gesichert ist, dass die zur Heilung verwendeten Zellen genetisch mit dem „Patienten“ (also der kranken Maus) identisch
sind und daher keine immunologische Abstoßungsreaktion auf
Grund der HLA Determinanten auftreten. Vermutlich könnte ein
ähnliches Verfahren – trotz gewisser technischer Unterschiede –
auch mit humanen SCNT-ES etabliert werden. SCNT-ES wurden
im Humansystem erfolgreich hergestellt [8, 9], jedoch ist bisher
kein klinischer Versuch mit menschlichen Patienten nach diesem
Modell durchgeführt worden. Dafür waren neben Überlegungen
zur Patientensicherheit (Tumorbildung!) und dem Mangel an
Erfahrung mit humanen SCNT-ESC, also technischen Problemen, in erster Linie auch ethische Bedenken maßgeblich. Die
ethischen Einwände wollen wir in drei Gruppen von jeweils
unterschiedlichem Gewicht gliedern.
Einwand 1: Probleme bei der Eizellspende: Die Spende einer
Eizelle ist in vielen europäischen Ländern verboten (z.B. Österreich); wo sie aber erlaubt ist (z.B. Schweiz, Tschechien), unterliegt
sie strengen Regeln und darf nur der assistierten Fortpflanzung
unfruchtbarer Paare dienen. Die Eizellspende stellt eine schwere
psychische und körperliche Belastung für die Spenderin dar und
wird oft gegen Bezahlung bei wirtschaftlicher Not der Spenderin
durchgeführt.
Einwand 2: Probleme mit der Gewinnung von humanen ESC
(hESC) durch Zellkernklonen (SCNT): Dieses Verfahren ist
in vielen Ländern verboten, aber in einigen wenigen Ländern
13
unter sehr speziellen Bedingungen erlaubt (z.B. England). Hier
ist eine Bemerkung zur Nomenklatur dieser Techniken angebracht. „Research cloning“ dient für Forschungszwecke, (sogenanntes) therapeutisches Klonen dient der Herstellung von
ESC, die mit dem Patienten genetisch (nahezu) identisch sind
und in der einen oder anderen Form zur Therapie einer Krankheit eingesetzt werden; „babycloning“ oder „reproductive cloning“ dient der assistierten Fortpflanzung, wobei der Begriff
„reproduktives Klonen“ eigentlich eine falsche Bezeichnung ist,
weil jedes Klonen durch SCNT vom Begriff her reproduktiv ist.
Erlaubt wäre interessanter Weise das sogenannte therapeutische
Klonen, also die Herstellung von geeigneten ES-Zellen für die
Therapie (ähnlich wie in Fig. 1 beschrieben), nicht aber das
reproduktive Klonen (assistierte Fortpflanzung). Die Argumente
gegen das reproduktive Klonen sind vielfältig (Zusatzprotokoll
168 zur Oviedo Convention des Europarats ETS 164 [10]), es
gibt aber auch radikal abweichende Meinungen [11], die keinen
fundamentalen Unterschied zwischen der „in vitro fertilisation“
(IVF) und dem reproduktiven Klonen sehen.
Einwand 3: Probleme mit der verbrauchenden Embryonenforschung (embryo research): Dieses Argument ist zum Teil im
Einwand 2 enthalten. Es besagt, dass ein menschlicher Embryo
unabhängig von seinem Entwicklungsstadium niemals vernichtet
werden darf, auch wenn dies der Heilung eines anderen Patienten
dient. Das Problem, das hier zu Grunde liegt, ist, wie in unserem
früheren Artikel [2] ausführlich diskutiert, der ontologische,
moralische und rechtliche Status des menschlichen Embryos.
Ein Urteil des EUGH vom 18. Okt. 2011 über die Patentierung
von Verfahren, die unter Verbrauch menschlicher Embryonen
gewonnen wurden, sagt dazu: „A process which involves removal
of a stem cell from a human embryo at the blastocyst stage,
14
entailing the destruction of that embryo, cannot be patented“. Zur
Begründung heißt es in der dazu publizierten Presseerklärung:
“The context and the aim of the biopatent directive 98/44/EC
show that the European Union legislation intended to exclude
any possibility of patentability where respect for human dignity
could thereby be affected. It follows in the view of the Court,
that the concept of human embryo must be understood in a wide
sense. Accordingly, the Court considers that any human ovum
must, as soon as fertilised, be regarded as a human embryo if that
fertilisation is such as to commence the process of development of
a human being. A non-fertilised human ovum into which the cell
nucleus from a mature human cell has been transplanted and a non
fertilised human ovum whose division and further development
have been stimulated by parthenogenesis must also be classified
as a human embryo. Although those organisms have not, strictly
speaking, been the object of fertilisation, due to the effect of the
technique used to obtain them they are capable of commencing
the process of development of a human being just as an embryo
created by fertilisation of an ovum can do so” [12].
Zusammenfassend können wir sagen: Die aufgezählten ethischen Bedenken sind so schwerwiegend, dass sie neben den technischen und medizinischen Problemen der menschlichen ESC
Biologie einen wesentlichen Grund dafür darstellen, dass die biomedizinische Forschung in den letzten Jahren im Wesentlichen
nicht den Weg des therapeutischen Klonens gegangen ist. Die
Respektierung ethischer Grenzen hat zur forcierten Suche nach
akzeptablen Alternativen geführt. Es gibt aber einen weiteren
Grund für das (annähernde) Moratorium der Forschung an humanen ESC, nämlich die Entdeckung und Weiterentwicklung der
iPSC Technologie.
15
Fig. 2 [13] zeigt das Prinzip dieses Verfahrens und zwei zur
Zeit intensiv diskutierte Anwendungen. Aus einer Hautbiopsie
des Patienten wird eine Fibroblastenkultur angelegt. Durch die
Expression von vier Transkriptionsfaktoren, die in ES-Zellen eine
wichtige Rolle spielen, gelingt es, das Genom der Fibroblasten
so umzuprogrammieren, dass Zellen entstehen, die hinsichtlich
Genexpression und Funktionalität gleichwertig mit ES-Zellen
sind. Diese Zellen werden iPSC (induzierte pluripotente Stammzellen) genannt. Zu den Methoden der Herstellung und den
(geringfügigen) Unterschieden zwischen ES-Zellen und iPSZellen werden wir weiter unten Stellung nehmen. iPSC wurden
zuerst im Mausmodell entdeckt [4]; sodann wurde gezeigt, dass
menschliche iPSC mit ähnlichen Methoden isoliert werden können
[3]. iPSC der Maus sind hinsichtlich globaler Genexpression und
Expression von Genen, die für ESC charakteristisch sind [14] und
hinsichtlich ihrer Fähigkeit, durch Tetraploidenkomplementation
eine normale und fertile Maus zu erzeugen [15 –18], äquivalent
mit ES-Zellen.
Tetraploidenkomplementation ist ein für die Maus entwickeltes
Verfahren, bei dem ESC oder auch iPSC in eine tetraploide
Blastozyste eingesetzt werden. Bei diesem Verfahren können
bei einem erfolgreichen Experiment nur Embryonen und in
weiterer Folge normale, fertile Individuen entstehen, die genetisch zur Gänze den iPSC entsprechen [19]. Es entstehen keine
Chimären (Mosaiktiere). Menschliche iPSC sind in ihrem
Genexpressionsmuster ebenfalls äquivalent hESC [14]. Die
Entstehung eines menschlichen Embryos aus hiPSC wurde aus
technischen und ethischen Gründen bis jetzt nicht getestet.
Es ist nach unserer Meinung klar, dass zunächst keiner der
oben angeführten ethischen und rechtlichen Einwände gegen
das Arbeiten mit SCNT-ES auch auf iPSC zutrifft. Die Frage
16
der ethischen Bewertung der Herstellung von iPSC kann aber
differenzierter gesehen werden und wurde sofort nach Bekanntwerden dieser neuen Technik in der bioethischen Literatur diskutiert. Die meisten Wortmeldungen zu dieser Frage waren uneingeschränkt positiv [20, 21], darunter auch eine Stellungnahme
eines Vertreters des Vatikans [22]. Eine Meta-Analyse dieser Stellungnahmen und eine kritische Bewertung der Herstellung von
iPSC wurde von Watt [23] und unter eingehender Diskussion des
Konzepts der „Komplizität“ von Devolder [24] publiziert. Etwas
vereinfacht lautet das Argument der letztgenannten Autorin, dass
die intensive Weiterverfolgung der Technik der Herstellung von
humanen iPSC als „Begleitforschung“ und „Kontrollforschung“
vermutlich für eine Übergangszeit auch die weitere Benützung von
hESC und auch die weitere Herstellung von neuen hESC-Linien
erfordert. Die iPSC-Forschung wird dadurch zum Komplizen
der hESC Forschung. Das Problem der ethischen Komplizität
ist ernst zu nehmen und nicht endgültig geklärt. Wir antworten
dennoch darauf: Ungeachtet dieser jetzt noch bestehenden Komplizität, die aus technischen Gründen notwendig ist, sehen wir
die Entwicklung von hiPSC für die klinische Praxis und für
die Forschung aus bioethischer Sicht als einen entscheidenden
Fortschritt in die richtige Richtung, nämlich in Richtung auf die
(spätere) ausschließliche Verwendung von ethisch unbedenklichen iPSC.
Es sollte daher der Weg frei sein, die iPS-Zell-Technologie weiter
zu entwickeln mit dem Ziel, langfristig Therapiemöglichkeiten
auf der Basis der kombinierten Stammzell- und Gentherapie zu
entwickeln. Kurzfristig und mittelfristig gibt es aber auch noch
weitere enorm wichtige biomedizische Anwendungsmöglichkeiten
der hiPSC. Diese sind, wie schon erwähnt, die Erstellung von
Krankheitsmodellen, die den bisherigen Krankheitsmodellen
17
überlegen sind, und die Ermöglichung der patientenspezifischen,
individualisierten Therapie, z.B. der medikamentösen Therapie.
Für die Realisierung aller dieser Anwendungsmöglichkeiten
müssen noch zellbiologisch-technische Probleme gelöst werden,
die im Folgenden kurz aufgezählt werden und dann im Zusammenhang mit den Themen „Gentherapie/Stammzelltherapie“,
„Krankheitsmodelle“ und „patientenspezifische Therapie“ im
Detail besprochen werden. Diese technischen Probleme sind:
1) Die sichere Beherrschung der Reprogrammierung ohne unerwünschte und eventuell ungesteuerte genetische Veränderung
der Patientenzellen; 2) die sichere Beherrschung der in vitro Differenzierung der hiPSC in diverse differenzierte Zellen; 3) die
Reinigung dieser differenzierten Zellen, so dass keine restlichen
undifferenzierten Stammzellen in der Kultur verbleiben; 4) in engem Zusammenhang damit: die Beherrschung des Krebsrisikos
beim Einbringen dieser Zellen in Patienten; 5) das „homing“ der
therapeutisch eingesetzten Zellen an ihren „richtigen“ Ort im
Empfänger bzw. nanomedizinische Methoden, um den richtigen
Ort zu erreichen; 6) die Entwicklung von sicheren Methoden, um
in hiPSC die für die Gentherapie eingesetzt werden sollen, ein
exaktes „gene replacement“ zu erreichen; 7) die Klärung des Alterns von hiPSC sowie die Klärung der Frage, ob die Fähigkeit
zur Reprogrammierung somatischer Zellen (zB. Hautfibroblasten)
mit dem Alter des Patienten abnimmt oder ganz verlorengeht. Im
Zusammenhang damit steht die Frage, ob die Reprogrammierung
eine echte Rejuvenation (Verjüngung) darstellt.
Reprogrammierung
Der Weg zur Reprogrammierung, d.h. zur Wiederherstellung der
„stemness“, wurde zuerst von S. Yamanaka (unter Verwendung
18
von 4 Transkriptionsfaktoren: Klf4, c-Myc, Sox2, Oct4) gefunden
und bedeutet, dass die für somatische Zellen charakteristischen
epigenetischen Veränderungen (Veränderungen der DNA und
Histon-Methylierung, der Bindung von Chromatinproteinen an
die DNA sowie zahlreiche andere Veränderungen des Chromatins)
beseitigt und durch den relativ unveränderten Status des Genoms
in frühen embryonalen Zellen ersetzt werden [4]. Nota bene: Die
erwähnten epigenetischen Veränderungen gehen ohne Änderung
der Genomsequenz vor sich. Nebenbei bemerkt: Es waren genau
diese epigenetischen Veränderungen, die bei den „Dolly“-Versuchen zu zahlreichen Missbildungen der geklonten Tiere geführt hatten. Eine Übersicht über verschiedene Methoden zur Reprogrammierung wurde in [25] gegeben.
Die vier Transkriptionsfaktoren wurden in den ersten Versuchen
von Yamanaka mit Hilfe viraler Vektoren in das Genom der Fibroblasten integriert. Der Ort der Integration war nicht genau
bestimmbar, und es konnte ungewollt durch die Integration eine
krebsauslösende Mutation entstehen. Die Aktivität der vier Transkriptionsfaktoren war nur während der Reprogrammierung, nicht
aber für die Aufrechterhaltung der Stammzelleigenschaften der
iPSC notwendig. Die Häufigkeit der reprogrammierten Zellen in
diesen Versuchen war extrem gering (weit unter 1%). Es war nicht
klar, dass alle im Modellsystem der Maus erprobten Verfahren
zur Reprogrammierung sich in genau derselben Weise auch
auf menschliche Zellen anwenden ließen. Aus diesen Gründen
wurden in den Jahren seit der Erstveröffentlichung von Yamanaka
zahlreiche weitere technische Verbesserungen im Verfahren der
Reprogrammierung erforscht, die wir kurz erwähnen wollen: Verwendung nicht integrierender Plasmidvektoren, Verwendung des
„cre-lox“ Systems [26], um integrierte Gene in den iPSC aus dem
Chromosom wieder ausschneiden zu können, wenn sie nicht mehr
19
gebraucht werden, Einsatz der Genprodukte (Proteine) an Stelle
der Gene, Einsatz von kleinmolekularen pharmakologischen
Wirkstoffen [27], die die Signalwege aktivieren können, welche
von den erwähnten Transkriptionsfaktoren kontrolliert werden.
Eine Zusammenfassung dieser Problematik findet man z.B. in
Kiskinis [25].
Es war möglich, hiPSC aus einer großen Zahl verschiedener,
auch terminal differenzierter Zellen zu gewinnen, darunter Hautfibroblasten, Keratinozyten und haematopoietische Progenitorzellen [25].
In vitro Differenzierung
und Reinigung der differenzierten Zellen; Krebsrisiko
Aus zwei Gründen war es notwendig, die soeben beschriebenen
etablierten und stabil wachsenden, vermehrungsfähigen iPSC
wieder zur Zelldifferenzierung in die gewünschte Richtung anzuregen. Erstens zeigte sich, dass für die Therapie und für die Verwendung als Krankheitsmodell differenzierte Zellen gebraucht
werden. Also z.B. ganz bestimmte Subtypen von Neuronen, um
ein Modell für neurodegenerative Krankheiten erstellen zu können (Beispiel: dopaminerge Neuronen und Parkinson’sche Krankheit), aber auch, um durch Zellersatztherapie einen Heilungserfolg zu erzielen (Beispiel: [28]). Zweitens zeigte sich, dass auch
genetisch unveränderte ESC und iPSC Tumoren bilden können,
und es war daher notwendig und ist auch gelungen, nach der in
vitro Differenzierung die differenzierten Zellen so zu reinigen,
dass keine iPSC zurückbleiben und in den Patienten transferiert
werden. Dazu sind die Oberflächenmarker der Zellen und die
Methode des FACS (fluorescence activitated cell sorter) geeignet
[29]. Hier werden zweifellos noch weitere Forschungen benötigt,
20
aber es ist abzusehen, dass das Krebsrisiko der hESC und der
hiPSC – auch wenn sie ein weitgehend unverändertes Genom besitzen – darauf beruht, dass undifferenzierte Zellen in ein Organ
eingebracht werden. Wenn es gelingt – und es ist im Modellversuch bereits gelungen – die in vitro in geeigneter Weise differenzierten Zellen von den noch verbleibenden undifferenzierten
Stammzellen zu reinigen, ist das Krebsrisiko minimiert.
„Homing“ bei der Zelltherapie
Erkrankungen des blutbildenden Systems, wie die weiter oben
erwähnte homozygote rag2-/- Immundefizienz [5] haben für die
kombinierte Stammzell- und Gentherapie den großen Vorteil,
dass die in die Blutbahn gebrachten haematopoietischen Stammzellen selbständig ihren Ort im roten Knochenmark finden („homing“), dort anwachsen, sich vermehren, und auf diese Weise
zur Heilung der Krankheit führen. Manche andere (sowohl genetische als auch sporadische) Erkrankungen, die sich z.B. in
bestimmten Neuronen des Zentralnervensystems ausprägen, haben diesen Vorteil nicht. Es ist daher notwendig, Methoden zu
entwickeln, um die geheilten Zellen an die richtige Stelle zu
bringen, an der sie durch geeignete Wechselwirkung mit den Zellen des Patienten zu einer Heilung des gesamten Organs (z.B.
Gehirnareal) beitragen können. Eine Möglichkeit, dies zu erzielen,
besteht in der Anwendung nanotechnischer Methoden inklusive
Mikromanipulation und wurde in einer Opinion der European
Group on Ethics (17.1.2007) dargestellt [30]. Im Absatz 2.2.5 b)
wird gesagt: „stem cell therapy combined with nanotechnology,
based on magnetic cell sorting, also offers promising possibilities
for the regeneration of diseased tissue. Stem cells may be
identified, activated and guided to the place of damage within
21
the body with the use of cell-signalling molecules as a source of
molecular Regeneration messengers“.
Bei der Modellierung von neurodegenerativen Krankheiten in
der Ratte und Maus wurde inzwischen festgestellt, dass die Injektion geeigneter Zellen in das betroffene Gehirnareal zur Ausbildung neuer Synapsen, Zellvermehrung und messbarer Besserung
der Krankheitssymptome führt [31, 32]. Ähnliche Erfolge gibt es
auch bei der Nachbehandlung des Herzinfarkts durch die Injektion
in vitro differenzierter autologer Kardiomyozyten [33]. Insgesamt
zeigen diese Versuche, dass auch für neurodegenerative Krankheiten und Herzkrankheiten die Zelltherapie und weiterführend
die kombinierte Zelltherapie/Gentherapie vielversprechend ist.
Gene replacement
ESC der Maus sind eines der wenigen molekulargenetischen Modelle, in denen im Genom einer Zelle gezielt (durch geeignete
Selektion und Gegenselektion, die hier nicht im Detail beschrieben
werden soll) ein Gen durch einen selektierbaren Resistenzmarker
ersetzt werden kann [6, 7], um eine sogenannte „knock out mouse“
zu erhalten. Ebenso kann in einer Weiterentwicklung der Methode
ein Wildtypgen durch ein in vitro hergestelltes gewünschtes Mutantenallel ersetzt werden oder vice versa („knock in mouse“). Dies
ist genau das Verfahren, welches auch für die Gentherapie mit
hiPSC benötigt wird. Voraussetzung dafür ist, dass hiPSC ohne Verlust der stemness und ohne Änderung ihrer Eigenschaften – sie sind
„immortalisiert“ ohne Krebszellen zu sein – beliebig weitergezüchtet
und selektiert werden können, was der Fall ist [34]. Die Verfahren
existieren, wurden z.B. an Hand von hiPSC eines ParkinsonPatienten etabliert, sind aber zum Zeitpunkt der Abfassung dieses
Artikels noch nicht im klinischen Versuch angelangt [34].
22
Stammzellen und Altern
Dies ist ein vielschichtiges Thema, das hier nicht in voller Breite,
sondern nur in Hinsicht auf seine Bedeutung für Therapie und
Krankheitsmodelle behandelt werden soll. Zwei experimentelle
Ergebnisse scheinen uns bedeutend. Erstens, die Reprogrammierbarkeit von Zellen einer Zellkultur (z.B. Fibroblasten, die
im Allgemeinen gut geeignet sind zur Herstellung von iPSC),
nimmt mit der in vitro Alterung (Hayflick-Altern) dramatisch
ab, so dass schließlich keine iPSC mehr erhalten werden [35].
Andererseits war es aber möglich, sowohl in der Maus als auch im
Humansystem von sehr alten Individuen iPSC zu erhalten, die sich
morphologisch und funktionell von den iPSC nicht unterschieden,
die von jungen Individuen gewonnen wurden [35, 36]. Nebenbei
bemerkt ist dies einer der experimentellen Befunde, die das
Hayflick-Altern als Alternsmodell in Frage stellen. Was hier aber
wichtiger ist: Alte Patienten, z.B. solche mit neurodegenerativen
Erkrankungen, haben auf Grund dieser Entdeckungen eine gute
Chance, mit autologer Zelltherapie behandelt werden zu können.
Diese Frage wurde in der Arbeitsgruppe von Jaenisch an Hand
der Parkinson’schen Krankheit, einer typischen Alterskrankheit,
untersucht [31, 32, 34] und ist auch von großer Bedeutung für die
Erstellung eines Krankheitsmodells für diese Krankheit und für
eine Reihe von anderen neurodegenerativen Erkrankungen.
Lapasset et al. [36] ziehen den berechtigten Schluss, dass
die Reprogrammierung von Fibroblasten von Hundertjährigen
ein Beispiel für zelluläre Rejuvenation (Verjüngung) ist. Dieses
Phänomen wäre von großer Bedeutung für die Alternsforschung
und sollte der Anlass für eine detaillierte Untersuchung der
Alternsmarker und ihrer Reversibilität in diesen Zellen sein.
23
Krankheitsmodelle, drug screening
und individualisierte Therapie
In Fig. 2 (linker Teil) ist die Erstellung eines Modells aus hiPSC für
die schwere genetisch bedingte neurodegenerative Krankheit SMA
(spinal muscular atrophy) dargestellt. Wir wollen kurz die wichtigsten Unterschiede zwischen den bekannten Krankheitsmodellen
in der Maus (und gelegentlich in anderen genetisch gut untersuchten Tieren wir Drosophila und Caenorhabditis) und den
Krankheitsmodellen diskutieren, die auf hiPSC beruhen. Zur Zeit
existiert bereits eine relativ große Anzahl solcher zellulärer Krankheitsmodelle [37, 38]. Das Beispiel der SMA zeigt, dass manchmal das Mausmodell trotz hoher Sequenzhomologie zwischen den
beiden verwandten Genen (SMN1 der Maus und des Menschen)
das Krankheitsgeschehen nicht abbilden kann. Der Grund ist in
diesem Beispiel, dass der Mensch (nicht aber die Maus) ein zweites paraloges Gen (SMN2) besitzt, das schwach exprimiert wird
und den Defekt im ersten Gen funtionell teilweise komplementieren kann, wodurch der Phänotyp der Krankheit entsteht (Letalität im zweiten Lebensjahr). Die Maus hat das zweite Gen nicht,
was dazu führt, dass die homozygote Deletion embryo-letal ist und
der Krankheitsphänotyp nicht ausgeprägt und beobachtet werden
kann. Aus den Fibroblasten eines Patienten, die den Gendefekt
besitzen, nicht aber die neuronal-spezifischen Phänotypen entwickeln, wurden hiPSC hergestellt. Sodann wurde mit einem neu
entwickelten in vitro Verfahren die Differenzierung zu Neuronen
eingeleitet, und es zeigte sich, dass die Krankheitsphänotypen in
der Zellkultur abgebildet (Morphologie und Zahl der Motoneuronen) und benutzt werden konnten, um mögliche medikamentöse
Therapien zu testen, die durch gesteigerte Expression von SMN2
die Krankheitsphänotypen kompensieren konnten [39].
24
Die zellulären Krankheitsmodelle auf der Basis der hiPSC und
der in vitro Differenzierung und Kultur der relevanten Zelltypen
haben aber noch weitere klare Vorteile, so dass sie als Ergänzung zu
den Tiermodellen unverzichtbar sind [37]. Durch die Rejuvenation
und die folgende Differenzierung der Zellen können verschiedene
Krankheitsstadien untersucht werden, auch frühere Stadien der
Krankheit, die im Patienten nicht untersucht werden können.
Auch nicht genetisch bedingte Krankheiten (wie der sporadische
Altersdiabetes Typ II) und komplexe multigenische Krankheiten
können untersucht werden. Zellen können untersucht werden,
die aus Patienten aus ethischen Gründen nicht gewonnen werden
können, wie z.B. Zellen aus bestimmten Gehirnarealen.
Neuerdings setzt sich die Erkenntnis durch, dass es, vor allem
in der medikamentösen Therapie, individuelle Unterschiede zwischen einzelnen Patienten gibt. Es ist daher oft ratsam, durch
Vortests unter mehreren Möglichkeiten die für den individuellen Patienten optimale Therapie zu wählen. Dies kann mit
patientenspezifischen hiPSC und den daraus abgeleiteten differenzierten Zellen geschehen.
Ebenso können auf diese Weise drug screenings mit sehr
großen chemischen Banken durchgeführt werden, um bei manchen Krankheiten (wie der Parkinson’schen Krankheit), die zur
Zeit noch als unheilbar gelten, eine medikamentöse Therapie zu
finden [40, 41].
Zukunftsaussichten für die kombinierte
Gentherapie/Stammzelltherapie
Die technischen Probleme der hiPSC, die noch zu lösen sind
und an denen zur Zeit intensiv gearbeitet wird, wurden oben beschrieben. Die Lösung der verbleibenden technischen Probleme
25
ist aus Gründen der klinischen Sicherheit unabdingbar, bevor die
neue Technologie in die klinische Praxis der Zellersatztherapie
übergeführt werden kann. Wenn man die gesetzlichen Vorschriften und Fristen für klinische Versuche bedenkt, so ist es
wohl realistisch, dass die Patienten noch mindestens weitere 10
Jahre (also bis 2022) warten müssen, bevor die hier skizzierten
Verfahren klinische Routine werden. Es ist vorhersehbar, welche
Krankheiten vermutlich behandelt werden können. Wir erwarten,
dass die erste Gruppe von Krankheiten, die erfolgreich behandelt
werden wird, genetische Erkrankungen des blutbildenden Systems sein werden. Dies deshalb, weil auf diesem Gebiet die in
vitro Differenzierung, die Reinigung der Zellen, und vor allem
die Einbringung der Zellen in den Patienten unproblematisch
sind. Ungelöst ist vorläufig das Problem des punktgenauen
„gene replacement“. Bereits vor mehr als 10 Jahren wurden mit
damals technisch unzureichenden Mitteln (die Details wurden
schon früher [2] beschrieben und brauchen hier nicht wiederholt zu werden) zwei klinische Versuche durchgeführt [42,
43]. Sie wurden nicht wiederholt, weil bei einem der beiden
Versuche zwei Patienten als Folge des genetischen Eingriffs in
die Knochenmarksstammzellen an Leukämie erkrankten [44].
Die Möglichkeit der Krebserkrankung auf Grund der ungezielten
Integration ins Genom wäre bei einem „exact gene replacement“
nicht mehr gegeben.
Es scheint, dass das Spektrum der Krankheiten, die behandelt
werden können, viel größer ist, als ursprünglich gedacht. Es
besteht die Hoffnungen auf Heilung nicht nur bei genetischen
Erkrankungen, die schon im Kindesalter auftreten, sondern vor
allem auch für degenerative Alterskrankheiten, auch für solche
(und das ist die Mehrzahl), die nicht monogenische Erbkrankheiten sind. Die Frage, ob hiPSC von alten Menschen gewonnen
26
werden können und welche Eigenschaften sie haben, wurde schon
oben behandelt und positiv beantwortet.
Ausblick
Der „heilige Gral“ der kombinierten Gentherapie und Stammzelltherapie ist es seit Jahrzehnten, genetische Erkrankungen und
neuerdings auch degenerative Erkrankungen dadurch zu heilen,
dass die defekten Zellen und Organe biologisch ersetzt werden.
Dies würde einer enormen Vergrößerung und Verbesserung der
regenerativen Kapazität des Organismus gleichkommen.
Möglichkeiten wie die eben beschriebenen sind erstmals realisierbar erschienen, als im Mausmodell die vollständige Heilung
der rag2-/- Immundefizienz gelungen war (Fig.1). Warum sahen
und sehen die Ärzte und Forscher, die auf diesem Gebiet arbeiten, so wichtige Vorteile in der therapeutischen Verwendung
von ES Zelllinien, die nach SCNT gewonnen wurden? Unserer
Meinung nach sind zwei Gründe ausschlaggebend: Erstens, die
genetische Identität der Zellen mit dem Empfänger, die eine immunosuppressive begleitende Therapie nach der Transplantation
der Zellen nicht mehr notwendig macht. In Klammern sei hier
angemerkt, dass die genetische Identität bei der Technik der
Kerntransplantation (nuclear transfer) nicht vollständig ist. Die
mitochondriale DNA der Zellen ist (wie beim Klonschaf Dolly)
nicht mit der Spenderin des somatischen Zellkerns identisch,
sondern mit der „Eimutter“. Das hat jedoch anscheinend keinen
Einfluss auf die immunologischen Abstoßungsreaktionen.
Bei hiPSC ist die genetische Identität vollständig. Zweitens,
und ebenso wichtig ist aber die Tatsache, dass ESC mit den
geeigneten Zusätzen im Medium (zB. LIF, leukaemia inhibitory
factor) beliebig vermehrt werden können, was wichtig ist, um
27
die nötige Menge an Zellen für die Therapie zu gewinnen, und
auch die Voraussetzung dafür ist, dass nach Methoden (inklusive
Selektionsmethoden), die ursprünglich für die Maus entwickelt
wurden [6, 7], gezielte und punktgenaue Veränderungen am
Genom vorgenommen werden können, die notwendig sind, um
die beabsichtigte Gentherapie ohne das Risiko von größeren und
ungesteuerten Veränderungen am Genom durchzuführen. Unserer
Meinung nach sind diese Vorteile entscheidend, wenn es gelingt,
einen ethisch unbedenklichen Weg zur Gewinnung Patientenidenter hiPSC und für die Umwandlung dieser Zellen in die
gewünschten organspezifischen Zellen in vitro zu finden. Dies
ist, beginnend mit den Publikationen von Takahashi [3, 4] und
hunderten von seither erschienenen zusätzlichen Publikationen,
gelungen.
28
Abbildung 1: Heilung durch therapeutisches Klonen
Ausgangspunkt ist eine für die Mutation rag2 homozygote (rag2-/-)
Maus. Aus dieser Maus wurde eine Fibroblastenkultur gezüchtet,
ein Zellkern entnommen und in eine entkernte Eizelle transferiert.
Aus der resultierenden Blastozyste wurden ES-Zellen angezüchtet.
Durch Transformation mit der Wildtyp-DNA des Rag2 Gens und
homologe Rekombination wurde das funktionierende Wildtypgen
chromosomal integriert. Die ES-Zellen waren also genetisch geheilt.
Sie differenzierten spontan zu sogenannten „embryoid bodies“ (EB),
die verschiedene Zelltypen, darunter auch HSC enthielten. Diese
wurden genetisch markiert, selektiv gezüchtet und durch Infusion in
das mutante Empfängertier eingebracht, dessen eigene HSC durch
eine genau dosierte Strahlenbehandlung abgetötet wurden. Bei einem
genetischen Defekt, der fast ausschließlich im blutbildenden System
zur Ausprägung kommt, genügte es, die geheilten Zellen intravenös zu
injizieren. Diese besiedelten dann das rote Knochenmark. Innerhalb
von Wochen entwickelten die Tiere die Fähigkeit zu einer normalen
Immunreaktion.
29
Abbildung 2: Mögliche Anwendung von iPSC
Wir zeigen mögliche Anwendungen der iPSC Technologie für die Zelltherapie von Patienten und für die Erstellung eines Krankheitsmodells.
In Patienten mit SMA (spinal muscular atrophy) sind Motoneuronen
betroffen, sterben ab und verursachen die Krankheitssymptome. SMAspezifische iPSC konnten hergestellt und in vitro zu Motoneuronen
differenziert werden. Auf diese Weise wurde ein Zellkulturmodell der
Krankheit erstellt, das zur Identifizierung neuer Medikamente dienen
kann, die den Tod der Motoneuronen verhindern (linker Teil der
Abbildung). Alternativ (rechter Teil der Abbildung) können die SMAIPSC durch reverse Genetik in Kultur „repariert“ und daraufhin zu
gesunden normalen Motoneuronen differenziert werden. Diese können
in den Patienten transplantiert werden.
30
Anmerkungen
[1] Breitenbach M & Laun P (2006): Einige biologische Grundlagen der modernen Reproduktionsmedizin und der Stammzell- bzw. Gentherapie. Medizin- und Bioethik – Ethik
transdisziplinär, eds Fischer M & Zänker KS (Peter Lang
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[4] Takahashi K & Yamanaka S (2006): Induction of pluripotent
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35
MARIA EDER-RIEDER
Rechtliche Aspekte der Stammzellentechnologie
I. Einführung
a) Heilmittel der Zukunft und Stand der Forschung
Die Stammzellenforschung hat medizinische und wirtschaftliche
Interessen geweckt. Der Anwendungsbereich von Stammzellen soll
als Heilmittel der Zukunft krankes Gewebe oder zerstörte Organe
ersetzen1. Die biomedizinische Forschung strebt an, Stammzellen
zu isolieren und diese schließlich in jene Zelltypen umzuwandeln,
die dann im Körper des Patienten die verloren gegangenen
Funktionen wieder übernehmen können. Künftige Gewebebanken
könnten im Krankheitsfall Ersatz für jeden Zelltyp bereithalten,
wie zB Nervenzellen2 bei Alzheimer, Multipler Sklerose, Morbus
Parkinson3; Leberzellen bei Hepatitis, Zirrhose; Knochenzellen bei
Osteoporose, Knochenkrebs; Herzmuskelzellen bei Erkrankungen
des Herzens4; Hautzellen bei Hautkrankheiten bzw. -verletzungen,
Verbrennungen, Inselzellen bei Diabetes (Typ I5); Blutzellen bei
Bluterkrankungen. Voll etabliert sind Stammzellen allerdings im
Rahmen der Transplantation bei bestimmten Blutkrankheiten,
wie zB Leukämie. Damit könnten auch Rückenmarksverletzung
oder Schlaganfall geheilt werden bzw. neue Sinneszellen für das
Auge geschaffen werden.
Erwähnenswert ist eine dem Biotechnikunternehmen Geron in
den USA genehmigte Studie, in der einem teilweise querschnittsgelähmten Mann mit Rückenmarksverletzung menschliche embryonale Stammzellen in das Rückenmark injiziert wurden. Ziel
37
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