Kapitel 5 Modell von Newton 5.1 Entfernung als Integral In Gl. (2.1) definierten wir die Geschwindigkeit als Ableitung des Ortes nach der Zeit. Die Bestimmung der zurückgelegten Entfernung aus der Kenntnis der Geschwindigkeit ist gerade die Umkehr dieses Gedankens. Wenn wir wissen, wie schnell ein Auto als Funktion der Zeit unterwegs ist, dann bekommen wir den zurückgelegten Weg durch Integration. Im folgenden Bild könnten wir die zurückgelegte Wegstrecke abschätzen, indem wir für jede Sekunde den Weg annähern, der pro Sekunde ( t = 1) zurückgelegt wird und diese Werte summieren tX b =7 xta !tb ⇡ v(t2 ) t + v(t3 ) t + . . . + v(t7 ) t = v(t) t . (5.1) ta =2 3.5 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 0 tb vHtL vHtL Wenn die Zeitschritte t sehr klein gewählt werden, ist die Summe in Gleichung (5.1) eine gute Näherung für den zurückgelegten Weg. ta 2 4 6 8 3.5 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 0 tb ta 2 t 6 8 t Exakt wird das Ergebnis (5.1) wenn wir die Zeitschritte Z tb X x(ta ! tb ) = lim v(ti ) t = v(t) dt . t!0 4 i t infinitesimal klein wählen, (5.2) ta Den Grenzübergang zu t ! 0 bezeichnet man als bestimmtes Integral der Funktion v(t), der rechte Ausdruck in (5.2). Die so ermittelte Größe ist gleich der Fläche, die zwischen der Funktion v(t) und der t-Achse im Zeitbereich zwischen ta und tb eingeschlossen liegt. Für den allgemeinen Fall einer Funktion f (x), die von der Variablen x abhängt, schreibt man das unbestimmte Integral Z X lim f (xi ) xi = f (x) dx . (5.3) x!0 i 35 36 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Das unbestimmte Integral ist bis auf eine additive Konstante (die Integrationskonstante) bestimmt. Ein Beispiel dazu: f (x) ) = x2 + 66 ) f 0 (x) = 2 x Z Z 1 f 0 (x) dx = 2 x dx = 2 x2 + C 2 Im Fall der hier gewählten Definition von f (x) wäre C = 66. Im Allgemeinen ist die Integrationskonstante durch die Integrationsgrenzen bzw. durch die physikalischen Randbedingungen des Problems festgelegt. 5.2 Beschleunigung Die momentane Geschwindigkeit finden wir (bei Bewegung entlang x) aus vx := lim t!0 x . t xHtL HmL Wir erweitern jetzt die Kinematik um die Beschreibung eines beschleunigten Systems. Wie in §2.2 betrachten wir alspObjekt eine punktförmige Masse mit dem Ortsvektor ~r = {x, y, z} im Abstand r = |~r| = x2 + y 2 + z 2 vom Ursprung des Koordinatensystems. Die Bahnkurve ~r(t) = {x(t), y(t), z(t)} beschreibt die Bewegung des Objektes in Raum und Zeit. Die momentane Geschwindigkeit spiegelt sich in der Steigung der Tangente an die Bahnkurve, in den Bilder rechts : x(t) = a t2 + b t, dann ist vx (t) = 2 a t + b . 5.2.1 Definition der Beschleunigung 30 20 10 0 -10 xHtL = -t2 + 20 t t HsL 0 2 4 6 0 2 4 6 8 t HsL 8 10 12 14 10 12 14 4 ax HtL Hmês2 L vx := dx/dt = ẋ . vx HtL HmêsL Als Ableitung schreibt man dies 100 80 60 40 20 0 2 0 -2 der Geschwindigkeit Analog definieren wir eine mittlere Beschleunigung über ā ⌘-4Änderung . 0 Änderung 2 4 6der 8Zeit10 12 Die momentane Beschleunigung entlang x finden wir aus t HsL ax := lim t!0 vx , t 14 (5.4) in vektorieller Form1 d ~a ⌘ ~v . (5.5) dt In den Definitionen d~r(t) = ~v (t) = ~r˙ (5.6) dt d~v (t) = ~a(t) = ~v˙ (5.7) dt berücksichtigen wir die Zeitabhängigkeit (t) von Beschleunigung, Geschwindigkeit und Ort. Diese Abhängigkeit schreiben wir aber in der Folge nicht immer explizit an. 1 Die Ausdrücke d~v /dt, ~v˙ sind gleichwertig. ~v˙ wird bevorzugt für die Ableitung nach der Zeit verwendet. 5.2. BESCHLEUNIGUNG 5.2.2 37 Bewegungsgleichung bei konstanter Beschleunigung Einsetzen von (5.6) in (5.7) ergibt die Bewegungsgleichung in Form einer Differentialgleichung zweiter Ordnung 2 d d~r(t) d2 = 2 ~r(t) = ~a(t) . dt dt dt (5.8) Im Sinne der Überschrift zu diesem Kapitel (konstante Beschleunigung) schreibt sich diese Gleichung abgekürzt als ~r¨(t) = ~a = const . (5.9) oder in kartesischen Koordinaten in Form von drei Komponentengleichungen: 2 3 2 3 ax ẍ(t) 4 ÿ(t) 5 = 4 ay 5 = const . z̈(t) az (5.10) Bei gleichförmig beschleunigter Bewegung sind die drei Komponenten der Beschleunigung jeweils zeitlich konstant. Durch Integration erhalten wir aus der Bewegungsgleichung (5.9) einen Ausdruck für die Geschwindigkeit Z Z ~v (t) = ~a dt = ~a dt = ~a t + C1 . (5.11) Die Integrationskonstante C1 bestimmen wir aus den Anfangsbedingungen. Zum Beispiel könnte ~v (t = 0) = ~v0 sein. Damit wird C1 = ~v0 , in kartesischen Komponenten 2 3 2 3 2 3 vx (t) ax t v0x 4 vy (t) 5 = 4 ay t 5 + 4 v0y 5 . (5.12) vz (t) az t v0z Eine weitere Integration von (5.11) über die Zeit liefert die Bahnkurve Z Z 1 ~r(t) = ~v dt = (~a t + C1 )dt = ~a t2 + C1 t + C2 . 2 (5.13) Die Integrationskonstante C2 bestimmen wir auch aus den Anfangsbedingungen. Mit ~r(t = 0) = ~r0 wird C2 = ~r0 und unser Ergebnis ist 1 ~r(t) = ~a t2 + ~v0 t + ~r0 2 2 3 x(t) 4 y(t) 5 z(t) = oder 2 3 2 3 2 3 a t2 v t x 1 4 x 2 5 4 0x 5 4 0 5 ay t . + v0y t + y0 2 a z t2 v0z t z0 (5.14) (5.15) Wir verwenden diese Beziehungen in verschiedenen Beispielen: 2 Differentialgleichung: mathematische Beziehung zwischen abgeleiteten Funktionen und anderen Größen. (5.6) und (5.7) sind Differentialgleichungen erster Ordnung. 38 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON 1. Freier Fall Die Gravitationsbeschleunigung wirkt entlang der negativen z-Achse, also ~a = {0, 0, g}. Wir starten aus der Position ~r0 = {0, 0, h} mit der anfänglichen Geschwindigkeit ~v0 = {0, 0, 0}. Damit ergibt sich die Bahnkurve als (die x- und y-Koordinaten bleiben unverändert) z(t) = 1 2 gt + h. 2 (5.16) Aus dieser Gleichung ermitteln wir die Fallzeit, indem wir z = 0 setzen. Nach einem Fall durch die Höhe h ergibt sich die Fallzeit als p t(z = 0) = 2 h/g . (5.17) Die Endgeschwindigkeit vz (z = 0) ergibt sich aus Gl.(5.11) als p vz (z = 0) = g t(z = 0) = 2gh . (5.18) vzHtL = - g t 5 0 -5 -10 -15 0.0 0.5 az Hmês2L 25 zHtL = -g t2 ê 2 + h 20 15 10 5 0 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 t HsL vz HmêsL z HmL Die Fallgewegung hängt nicht von der Masse ab. In der folgenden Zeichnung starten wir bei h = 20 m mit einer Anfangsgeschwindigkeit vz (t = 0) = 0 m/s. Die Beschleunigung g = 9.81 m/s2 . 1.0 1.5 t HsL 2.0 0 -2 -4 -6 -8 azHtL = - g -10 -12 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 t HsL 2. Schräger Wurf Auch in diesem Fall ist ~a = {0, 0, g}. Wir nehmen an, dass wir aus der Position ~r0 = {0, 0, h} mit der anfänglichen Geschwindigkeit ~v0 = {vx0 , 0, vz0 } starten. Damit ergibt sich die Bahnkurve als 2 3 3 2 x(t) vx0 t 4 y(t) 5 = 4 0 5. (5.19) 2 1 g t + v t + h z(t) z0 2 20 20 15 15 z HmL z HmL Jetzt haben wir es mit der Überlagerung einer gleichförmig geradlinigen Bewegung entlang von x, und einer gleichförmig beschleunigten Bewegung entlang von z zu tun. Die Position y verändert sich nicht mit der Zeit. 10 5 0 10 5 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 t HsL 0 0 2 4 x HmL 6 8 Im den beiden Bildern sind die Anfangsbedingungen r0 = { 0, 0, 20} m v0 = { 3, 0, 4} m/s Durch Elimination von t (Einsetzen von t = x/vx0 aus Gl.(5.19) in die z-Komponente) erhalten wir die sogenannte Wurfparabel, z(x) = 1 g 2 vz0 x + x + h. 2 2 vx0 vx0 (5.20) Die Wurfparabel setzt zwei Raumkoordinaten zueinander in Beziehung, die Höhe z und die Koordinate in Wurfrichtung, hier x. Die Bahnkurve (5.20) ist im rechten Bild oben dargestellt. Die Punkte geben die Zeit in Schritten von 200 ms. Wir sehen vom horizontalen Gitter, dass die Bewegung entlang z beschleunigt ist und vom vertikalen Gitter, dass die Bewegung entlang x gleichförmig ist. 5.2. BESCHLEUNIGUNG 39 Die Bahn erreicht ihren höchsten Punkt am Scheitel . Für diesen gilt dz/dx = 0. Leiten wir (5.20) nach x ab, dz = dx g vz0 , x+ 2 vx0 vx0 (5.21) und setzen diesen Ausdruck gleich Null, dann erhalten wir für die x-Position des Scheitels (5.22) xs = vz0 vx0 /g . Die Anfangsbedingungen können wir auch über die Angabe des Betrages der Anfangsgeschwindigkeit v0 und den Anstiegswinkel ↵ definieren: vx0 = v0 cos ↵ vz0 = v0 sin ↵ . Damit ist die Position des Scheitels xs = v0 vz0 v02 1 v02 cos ↵ sin ↵ = sin 2↵ . g 2 g a Die Scheitelhöhe und die Wurfweite werden maximal für einen Anstiegswinkel ↵ = 45o . 25 20 d2zêdx2 = -gêv0x2= 1êR v0x 15 z HmL Die zweite Ableitung von (5.20) 2 d2 z(x)/dx2 = g/vx0 = 1/R ist am Scheitelpunkt gleich dem inversen Krümmungsradius R der Bahnkurve. Das Bild verdeutlicht die Kreisbewegung (Radius R) am Scheitel. Die Kreis2 beschleunigung a = v0x /R = g zeigt in Richtung z. vx0 Im Bild ist r0 = { 0, 0, 0 } |v0 | = 20 m/s ↵ = 3⇡/8. zHxL 10 v0z R 5 v0x 0 -5 0 5 10 15 20 25 30 x HmL 3. Graphische Untersuchung von Trajektorien 0 t axHtL 0 vxHtL vxHtL xHtL Wir kennen Beispiele für x(t), vx (t), oder ax (t) aus Beobachtungen: 0 t 0 t t t 3 Trick: t xHtL xHtL 0 vxHtL 0 axHtL axHtL xHtL axHtL vxHtL Im Bild unten skizzieren wir die auf der y-Achse gesuchten Größen: 3 0 t 0 t Wir analysieren die blauen Kurven gedanklich und bilden die zeitlichen Ableitungen oder Integrale. 40 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON 5.3 Newton’sche Axiome Die bisher diskutierten Gesetzmäßigkeiten zur Kinematik von massebehafteten Teilchen und Teilchensystemen hat Isaac Newton (1642-1727) in der Form von Axiomen formuliert. In diesen Axiomen steht der Kraftbegriff an zentraler Stelle. Die Newton’schen Axiome gelten im Bereich von Geschwindigkeiten, die sehr viel kleiner sind als die Lichtgeschwindigkeit (c = 3 ⇥108 m/s), und nur in sogenannten Inertialsystemen. Auf den Begriff Inertialsystem gehen wir später genauer ein. 5.3.1 Newton’s Erstes Axiom Es erscheint offensichtlich, dass der natürliche Zustand eines Körpers seine Ruhelage ist. Grund für diese gemeinhin akzeptierte Auffassung ist die Anwesenheit von Reibungskräften. Aber ohne Reibung (Beispiel Schlittschuhläufer) wäre ein weiterer natürlicher Zustand eines Körpers seine gleichförmige Bewegung. Gemeint ist konstante Geschwindigkeit, keine Richtungsänderung in der Bewegung des Körpers. Dies ist die Aussage des ersten Axioms von Newton. • Ein freier Körper ändert seinen Bewegungszustand nicht. • Ein Körper bleibt in Ruhe oder bewegt sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit, wenn keine resultierende äußere Kraft auf ihn einwirkt. Die resultierende Kraft ist die Vektorsumme aller Kräfte, die auf den Körper einwirken. X F~ = F~i = 0 . (5.23) i Dieses Gesetz kann man auch unter dem Begriff Trägheitsprinzip verstehen. 5.3.2 Newton’s Zweites Axiom Das zweite Axion besagt: Eine Änderung des Bewegungszustandes ist eine Folge der Wechselwirkung des Körpers mit seiner Umgebung. Mit Wechselwirkung meinen wir hier die Kraftübertragung durch einen festes Objekt (z.B. Stoß zwischen Billardkugeln) oder eine fundamentale Wechselwirkung (z.B. Gravitation). Kräfte beschreiben das Konzept einer Wechselwirkung. Charakteristisch für die Wechselwirkung sind: Reichweite, Stärke . . . Freier Körper: entweder erfährt er keine Wechselwirkung mit der Umgebung oder die Vektorsumme aller Kräfte die auf ihn einwirken ist Null. Beobachtung an einem Buch, das in Ruhe auf einem Tisch liegt: Die Gewichtskraft des Buches wird durch eine ebenso große Kraft des Tisches auf das Buch kompensiert. Um das Buch in Bewegung zu bringen, muss man eine minimale Kraft aufwenden. Je mehr Kraft wir aufwenden, umso schneller bewegt es sich. Beobachtung am Schlittenfahrzeug : Eine freihängende Masse M überträgt seine Gewichtskraft F = M g über eine Schnur an einen horizontal beweglichen Schlitten der Masse m. Über den Fallbereich der Masse M ändert sich die Erdbeschleunigung g nicht und die Masse M ist konstant. Also ist auch die Gewichtskraft konstant. Wir nehmen die Schnur als masselos und vernachlässigen das Trägheitsmoment und die Reibung an der Rolle sowie die Reibung des Schlittens. Die Gewichtskraft des Schlittens wird durch die Normalkraft der Unterlage kompensiert. 5.3. NEWTON’SCHE AXIOME 41 Rolle und Seil lenken die Kraftwirkung reibungslos um und ergeben so in idealisierter Weise eine starre Verbindung zwischen beiden Objekten. Zur Umlenkung der Kraft führen wir getrennte Koordinaten ein. Die Zugkraft (Seilspannung) auf die schwere Masse FTM ist entgegengesetzt gleich der auf die träge Masse FTm . Offensichtlich gilt für die schwere Masse z M ax = M g FTM , (5.24) FTm m und für die horizontal bewegte Masse x FTM max = FTm . (5.25) z Wenn die Seilspannung auf beiden Seiten der M Rolle gleich ist können die beiden Massen nur x gemeinsam beschleunigt werden, Fx=Mg (m + M ) ax = M g . (5.26) Experimente mit unterschiedlichen Massen m und M . Zweites Axiom von Newton : Mit der Definition der Beschleunigung (5.7) und des Impulses p~ ⌘ m ~v haben wir m ~a = d~ p m d~v = . dt dt (5.27) Die zeitliche Änderung des Impulses des Schlittens ist gleich dem Produkt aus seiner Masse und der auf ihn wirkenden Beschleunigung. Die Rate mit der sich der Impuls ändert ist gleich der Kraft, d~ p ⌘ F~ . dt Die Ursache für eine Impulsänderung ist eine von außen einwirkende Kraft, (5.28) d~ p d(m~v ) d~v dm F~ = = =m + ~v . dt dt dt dt Nur im Fall konstanter Masse gilt (5.29) d~v F~ = m = m~a . dt Maßeinheit für Kraft: 5.3.3 (5.30) [F~ ] = kg m s2 = N = Newton. Newton’s Drittes Axiom Wir betrachten zwei Körper, die nur miteinander in Wechselwirkung stehen. In diesem Fall dürfen wir die beiden Körper als ein abgeschlossenes und auch als freies System auffassen. In diesem Fall ist die Kraft auf den einen Körper F~1 gleich dem negativen der Kraft auf den anderen Körper F~2 . Dieses Gesetz ergibt sich aus dem Impulserhaltungssatz, denn der Gesamtimpuls bleibt erhalten: p~1 + p~2 d~ p1 d~ p2 + dt dt F~1 + F~2 = const (5.31) = 0 (5.32) = 0 (5.33) tension 42 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON In einem abgeschlossenen System gilt das dritte Newton’sche Axiom : F~1 = F~2 Actio = Reactio (5.34) Experiment mit Stickstoffrakete. 5.3.4 Kräftevergleich mit Federwaage Wir beobachten die Verformung einer elastischen Feder durch die Gewichtskraft Fz = m g. Bei kleiner Auslenkung ist die rücktreibende Federkraft proportional zur Auslenkung der Feder von der ungedehnten Position z0 z, Fz = ks (z0 z) . ksHz0-zL (5.35) k ist die Federkonstante (linearere Näherung). Kraftmessung wird hier auf eine Längenmessung zurückgeführt. Über einen Längenvergleich kann ein Massevergleich durchgeführt werden. z0 m z -mg Für eine direkte Bestimmung der Kraft muss die Federkonstante bekannt sein. Diese könnte unabhängig aus der Schwingungsdauer eines Federpendels bestimmt werden, siehe Seite 74. 5.3.5 Träge und schwere Masse Trägheit ist Eigenschaft eines Körpers in seinem Bewegungszustand zu verharren. Die Kraft, die notwendig ist, um den Bewegungszustand eines Körpers zu ändern, ist proportional zu seiner trägen Masse. Die Schwere ist eine Folge der Gravitationsanziehung auf eine Masse. Das Gewicht einer schweren Masse von 1 kg beträgt 9.81 N. Die Gravitationskraft4 der Erde auf einen Körper der Masse von 1 kg auf der Erdoberfläche ist ⇡ 9.81 N. Äquivalenzprinzip Die Äquivalenz von schwerer und träger Masse nahm Einstein als Ausgangspunkt für ein Gedankenexperiment. Wir betrachten einen geschlossenen Fahrstuhl, in dem eine Federwaage hängt. Anbringen einer Masse an die Feder führt zu einer Dehnung der Feder. Die Federausdehnung ist entweder eine Folge der Schwerebeschleunigung g oder sie resultiert aus der beschleunigten Bewegung des Fahrstuhls im gravitationsfreien Raum mit der Geschwindigkeit v = gt. v=gt m 0 m 0 F=-mg Ein Beobachter im Fahrstuhl kann nicht zwischen beiden Fällen unterscheiden. Wenn er von der Beschleunigung des Fahrstuhls weiss, dann interpretiert er den roten Pfeil im rechten Fahrstuhl als Scheinkraft. Ein Beobachter ausserhalb würde sagen, die Masse widersetzt sich der Beschleunigung. ) Träge und schwere Masse sind nicht unterscheidbar. 4 Für diese Größe hatte man mal versucht die Einheit 1 kilopond (= 1 kp) zu definieren. 5.3. NEWTON’SCHE AXIOME 5.3.6 43 Beschleunigung bei gleichförmiger Kreisbewegung Wir untersuchen Richtung und Größe der Beschleunigung bei gleichförmiger Kreisbewegung. Der Betrag der Geschwindigkeit ist konstant, die Richtung der Geschwindigkeit ändert sich aber. Offensichtlich ändert sich damit der Geschwindigkeitsvektor, also muss eine Beschleunigung vorliegen. Dazu betrachten wir drei Punkte auf der Kreisbahn. Unser Objekt besucht diese in Zeitschritten von t. Wir haben |~v12 | = |~v23 | = v, die Länge der Seg2 ” v”12 Dt v23 Dt mente zwischen den Punkten ist gleich, s = 1 3 v t. Die Änderung der Geschwindigkeit ist v”23 Dt a Dt2 ~v23 ~v12 = ~a t. Wenn wir in diesem Bild die Größen R bzw. v ändern, erkennen wir, dass die Beschleunigung proportional ist zu R |~a| / 1/R . Wir untersuchen diese Abhängigkeit am Beispiel einer kresiförmigen Satellitenbahn: Y Eine Wegstrecke auf dem Kreisbogen bezeichnen wir mit s. Der Umfang des Kreises ist 2 R ⇡. Ein kleiner Abschnitt auf dem Kreis sei s lang wobei s = R ↵. Die Umlaufgeschwindigkeit ist v = lim R t!0 ↵ d↵ =R = R!, t dt = v 2 t2 + R 2 h(2R + h) = v 2 t2 !Α X (5.36) wobei wir die Kreisfrequenz ! ⌘ d↵/dt verwenden. Ohne Beschleunigung würde sich der Satellit in der Zeit t vom Punkt P1 zum Punkt P20 bewegen. Die Beschleunigung ist so, als ob der Satellit vom Punkt P20 nach P2 im Gravitationsfeld fällt. Nach Pythagoras gilt (R + h)2 !s R h P2 Da P2' vt P1 R RE Für kleine Zeiten t ist h ⌧ R und wir können h . gegenüber 2R vernachlässigen. 2 2 Somit erhalten wir 2Rh ⇡ v t . Aus der Fallbewegung (5.16) kennen wir die Beziehung h = 12 a t2 . Daraus folgt für die Beschleunigung, die den Körper auf der gleichmäßigen Kreisbewegung hält , a = v 2 /R . Mit (5.36) ergibt sich a = R! 2 . Die Umlaufszeit ist T = 2 R ⇡/v. (5.37) 44 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Beispiele zur Satellitenbewegung: 1) Ein Satellit umkreist die Erde in einer Höhe von h = 200 km. Aus (3.13) sehen wir, dass der lokale Wert der Beschleunigung invers quadratisch mit dem Abstand vom Erdzentrum skaliert a(h) = g 2 RE . (RE + h)2 (5.38) wobei g der Wert auf der Erdoberfläche ist. Damit ist in 200 km Höhe die Gravitationsbeschleunigung 6 % schwächer als auf der Erdoberfläche, (6400/6600)2 = 0.940, also a = 9.81·0.94 = 9.22 m/s2 . Damit der Satellit auf einer stabilen Kreisbahn (Bahnradius R = 6400 + 200 km) umlaufen kann muss gelten: v2 = R a = v = T = 6600 · 103 · 9.22 7800 m/s = 21700 km/h 2⇡ · 6600 · 103 /7800 = 5316 s = 88.6 Minuten . 2) Wie skaliert die Geschwindigkeit (Umlaufzeit) eines Satelliten mit der Höhe h über der Erde? Aus (5.37) erhalten wir mit (5.38) p p g RE v(h) = (RE + h) a(h) = p , RE + h = 2⇡(RE + h) 2⇡(RE + h)3/2 = . p v g RE 25 8 20 7 v H kmês L T H Stunden L T (h) 15 10 5 0 0 10 000 20 000 30 000 40 000 Höhe über der Erde H km L 6 5 4 3 0 10 000 20 000 30 000 40 000 Höhe über der Erde H km L 3) In etwa welcher Höhe über dem Äquator ist ein Satellit geostationär ? 4) Mit etwa welcher Geschwindigkeit bewegt sich ein Punkt auf dem Äquator um die Polachse ? ! vequ = 2RE ⇡/(24 · 3600) ⇡ 465 m/s. 5) Ein Spionagesatellit in 200 km Höhe fliegt auf einer Kreisbahn. Die Erdachse liegt in der Kreisebene, der Satellit fliegt also periodisch über Nord- und Südol. Nach wie vielen Umläufen besucht er (etwa) wieder denselben Punkt am Äquator? ! Aus 1) wissen wir, dass der Satellit alle 44.3 Minuten den Äquator besucht. Projiziert auf die (nichtrotierende) Erdoberfläche sind diese Positionen um ⇡RE = ⇡ 6400 km voneinander getrennt. Unter Berücksichtigung der Erdrotation5 ist der Abstand entlang dem Äquator nur etwa ⇡RE (1 44.3/720) ⇡ ⇡ 6000 km. In n halben Umläufen des Satelliten vergeht die Zeit t = 44.3 n Minuten. In dieser Zeit hat sich der Punkt am Äquator um n⇡ 6000 km bewegt. Wir wollen, dass dieser Wert einem m⇡RE gleich ist wobei n ganzzahlig und m geradzahlig sein sollen. Für m = 16 ergibt sich der niedrigste Wert, n ⇡ 15. Also nach 15 halben Umläufen des Satelliten beobachtet dieser (fast) wieder dasselbe Gebiet der Erde unter sich. 5 Ein Punkt am Äquator durchfährt den Erdumfang 2RE ⇡ in 24 Stunden= 1440 Minuten. 5.3. NEWTON’SCHE AXIOME 5.3.7 45 Energie und Kraft Eine Masse legt im Kraftfeld F~ (~r) den Weg W = F~ · ~r zurück. Das Skalarprodukt (5.39) ~r ist die mechanische Arbeit, die dabei geleistet wird. W ist gleich der Energie, die aufgebracht werden muss um den Weg zurückzulegen. In kartesischen Koordinaten, W = Fx · x + Fy · y + Fz · (5.40) z. Die Maßeinheit der Arbeit ist gleich der Energieeinheit,6 (5.41) [W ] = Newton · Meter = N · m = Joule = J . Das Linienintegral W = Z P2 Z P2 P1 F~ · d~r (5.42) gibt die bei der Bewegung von P1 nach P2 geleistete Arbeit. In einem sogenannten konservativen Kraftfeld ist der Ausdruck (5.42) unabhängig vom Weg, der zwischen den Punkten P1 und P2 gewählt wird. H2L H1L Y P1 X Daraus folgt auch, dass das Integral (5.42) über einen geschlossenen Weg gleich Null ist, wenn es sich um ein konservatives Kraftfeld handelt. I F~ · d~r = 0 . (5.43) Dies ist zum Beispiel der Fall wenn keine Reibungskräfte vorliegen. Für konservative Kraftfelder kann man immer ein Potential definieren. Wir betrachten die infinitesimale Bewegung in einem Potentialfeld V in einer Dimension:7 V = V x x= @V @x x. (5.44) Die bei der Bewegung (5.44) in einem konservativen Kraftfeld geleistete Arbeit ist gleich der negativen Änderung der potentiellen Energie. Dies ist eine Folge der Energieerhaltung, W = Fx x= V. (5.45) Aus dem Vergleich der beiden Ausdrücke in (5.44) und (5.45) ergibt sich Fx = @V . @x (5.46) Allgemein ergibt sich für den Zusammenhang zwischen einem konservativen Kraftfeld und dem dazu gehörigen Potentialfeld der Gradientenvektor ⇢ @V @V @V ~ V = rV ~ = F~ = grad , , . (5.47) @x @y @z ~ wird Nabla Operator genannt. Der Ausdruck r 6 Mit Leistung bezeichnet man die pro Zeiteinheit geleistete Arbeit P = dW /dt, [P ] = J/s = Watt = W. Die partielle Ableitung @/@x bedeutet, dass alle nicht abgeleiteten Variablen konstant gehalten werden. 7 46 5.4 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Kraftfelder Der Begriff Feld findet vielfach Verwendung um die räumliche und zeitliche Verteilung einer physikalischen Größe in ein mathematisches Konzept einzubinden. In diesem Sinn stellt das Feld eine meßbare physikalische Größe dar. Felder können statisch oder dynamisch (zeitabhängig) sein. Die durch das Feld beschriebene physikalische Größe kann ein Skalar oder ein Vektor sein. Skalare Felder: Größe lässt sich an jedem Punkt durch einen einfache Zahl festlegen (räumliche Temperaturverteilung, digitales Schwarz-Weiss Photo). Vektorfelder: man braucht auch noch eine Richtungsangabe an jedem Ort (Strömungsfeld). Mit Kraftfeld beschreibt man die auf Grund eines Wechselwirkungspotentials V (~r) beste~ (~r). Bei Kenntnis des Potentials kann hende räumliche Verteilung einer Kraft, F (~r) = rV man jedem Raumpunkt eindeutig eine Kraft zuordnen. Die absolute Größe der Kraft skaliert mit Eigenschaften des Objektes, das man in das Kraftfeld bringt, z.B. seiner Masse, seiner Ladung. Zeichnerisch stellt man das Kraftfeld durch Kraftlinien dar. Diese zeigen die Richtung der Kraft an jedem Ort an. Die an einem Ort wirkende Kraft ist dann die Tangente an die Kraftlinie. Beispiel: Gravitationsfeld der Erde Als Näherung nehmen wir eine homogene Kugel der Masse M , und dem Radius R . Eine Masse m erfährt für r > R die Anziehung F~ (~r) = G mM ˆ ~r . r2 r` (5.48) R Dieses Feld ist ein Zentralkraftfeld, die Kraft hat nur eine Radialkomponente (kugelsymmetrisch), sie hängt nur vom Abstand von Zentrum ab. Äquipotentiallinien sind blau gezeichnet, sie stehen senkrecht zu den Feldlinien. Beispiel: Gravitationsfeld der Erde und des Mondes. Dazu addieren wir die Gravitationsfelder, F~ (~r) = mG ✓ ME ˆ MM rE + 2 ~rˆM 2 ~ rE rM ◆ . (5.49) Dabei bedeuten ME und MM die Masse von Erde und Mond. Die Abstände vom Beobachtungspunkt ~r zu den Schwerpunkten von Erde und Mond sind rE und rM , und die Einheitsvektoren ~rˆE und ~rˆM zeigen von den jeweiligen Schwerpunkten zum Beobachtungspunkt. Die an einem Ort resultierende Kraft entsteht durch Vektoraddition der Beiträge von Mond- und Erdanziehung. Die folgenden zwei Zeichnungen zeigen die Feldlinien für das Masseverhältnis ME /MM = 81 und ein fiktives Masseverhältnis ME /MM = 6. Entlang der Verbindungslinie Erde-Mond 2 gibt es einen schwerefreien Punkt. Für die Position dieses neutralen Punktes gilt: ME /rE = 2 . Dieser Punkt (vertikaler Strich auf der Verbindungslinie Erde-Mond) wandert bei MM /rM kleinerem Masseverhältnis näher zur Erde. Zur Raumskalierung wurde in den beiden Bildern der Abstand Erde-Mond gleich Eins gesetzt. 5.4. KRAFTFELDER 47 1 0.75 1.0 ME """"""""""""" # 81 MM ME =6 MM 0.5 0.5 0.25 0 0.0 !0.25 !0.5 -0.5 !0.75 -1.0 -0.5 !0.25 0 0.25 0.5 0.75 1 1.25 1.5 0.0 0.5 1.0 1.5 Oft wählt man die Darstellung der Feldlinien derart, dass die Dichte der Feldlinien auch ein Maß für die Feldstärke angibt. Dies trifft in diesen beiden Bildern nur in unmittelbarer Umgebung von Mond bzw. Erde zu. Beispiel: Bewegung in einem konservativen Kraftfeld. Im nächsten Bild sind verschiedene geschlossene Wege (in schwarz) in verschiedenen Kraftfeldern (rote Pfeile) graphisch gezeigt. In diesem Sinne lässt sich auch der Ausdruck (5.43) verstehen. y y x y x y x x labil Gleichgewichtslagen in der klassischen Mechanik stabil indifferent Distanz 5.4.1 pot. Energie pot. Energie Beispiel: Stabilitätsanalyse Die Analyse von (5.47) liefert auch Auskunft über verschiedene Gleichgewichtslagen, die in einem Potentialfeld auftreten können. Für die Punkte auf der blau gezeichneten Potentialform bestehen folgende klassische Gleichgewichtslagen. in der Quantenmechanik ist Tunneln erlaubt Distanz Vektoraddition und Vektorzerlegung von Kräften Da Impulsänderungen Vektoren sind, werden Kräfte ebenfalls durch Vektoren beschrieben. Wenn alle Kräfte am gleichen Punkt angreifen, genügt eine einfache Vektoraddition. Oft ist die Zerlegung eines Vektors in Komponenten von Vorteil: man legt die Koordinaten so, dass eine Kraftkomponente entlang einer für die Bewegung wichtigen Achse fällt. 48 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Beispiel: Reibungsfreie schiefe Ebene Zerlegung der Schwerkraft F~ = {0, 0, mg}. Nur die Komponente parallel zur Bewegungsrichtung, F|| = mg sin ↵, trägt zur Beschleunigung bei. Die Normalkomponente der Gewichtskraft Fs = mg cos ↵ wird durch die Zwangskraft N kompensiert, welche die schiefe Unterlage auf den Körper ausübt. Der Körper bleibt in Ruhe wenn man mit der Kraft F|| parallel zur schiefen Ebene nach oben zieht. N F# Α Α "! F " # mg Fs Kräftezerlegung am Beispiel des Flaschenzuges Kräftezerlegung am Beispiel des Fangpendels Kräfteparallelogramm bei einem Raumschiff in Mondnähe Mit den Massen von Erde ME , Mond MM und Raumschiff m haben wir m F~E = F~M = m ME |~rm E |2 m MM r̂M G |~rm M |2 r̂E G wobei r̂E und r̂M die Einheitsvektoren in Richtung des Raumschiffes sind. Die resultierende Kraft ergibt sich aus der Vektoraddition F~ = F~E + F~M . 5.4.2 r` E F ME r` M MM Klassifizierung von Kräften Kräfte sind Ausdruck einer Wechselwirkung. Zu Wechselwirkungen zählen die fundamentalen langreichweitigen Wechselwirkungen, die Gravitation und die elektromagnetische Wechselwirkung. Diese beiden sind Ursache für alle Arten der Kontaktwechselwirkungen, die wir täglich beobachten und die wir in verschiedener Art klassifizieren können.8 Beispiele für Kontaktwechselwirkungen sind Federkräfte. Sie widersetzen sich gegen Zug, Druck und Verformung von Materie. Ebenso Reibungskräfte zwischen zwei festen Körpern oder zwischen fester und flüssiger Materie. Diese Reibungskräfte zeigen unterschiedliche statische und dynamische Abhängigkeiten. Kontaktkräfte zwischen einem festen Körper und einer Flüssigkeit (oder Gas) zeigen Widerstand gegen Bewegung (Staukräfte) und Auftrieb, beide Ausdruck von Druckkräften, die bewegliche Materie einem festen bewegten Objekt entgegensetzt. Auch der Rückstoß (durch Raketentreibgase oder explosive Trennung zweier festen Objekte) ist ursächlich einer Kontaktwechselwirkung zuzuordnen. 8 Bei allen Kontaktwechselwirkungen sind auch quantenmechanischen Effekte, welche die Stabilität von Materie erklären wesentlich beteiligt. 5.5. KRAFTWIRKUNG BEI DREHUNGEN 5.5 49 Kraftwirkung bei Drehungen Für die Kraftwirkung an einem starren Körper ist es wichtig wo die Kraft angreift. Greift eine Kraft im Schwerpunkt an, resultiert eine Translation des gesamten Körpers, so als ob die Gesamtmasse im Schwerpunkt als Massepunkt vereinigt ist. • Eine im Schwerpunkt angreifende Kraft bewirkt nur eine Beschleunigung des Schwerpunktes und damit des gesamten starren Körpers. • Greift eine Kraft außerhalb des Schwerpunktes an so bewirkt sie ein Drehmoment und eine Beschleunigung des Schwerpunktes. 5.5.1 ”r S 1S ”r 2S Drehmoment und Gleichgewichtsbedingung Wird ein Besen an seinem Stiel im Schwerpunkt unterstützt, wirkt kein resultierendes Drehmoment. Als Bild für den Besen nehmen wir zwei Massen m1 und m2 im Abstand von `1 = |~r1S | und `2 = |~r2S | vom gemeinsamen Schwerpunkt. Die Schwerkraft greift an den beiden Massen an. Im Gleichgewicht ist ~1+M ~2=0 M wobei ~ 1 = ~r1S ⇥ F~1 M und m1 m2 F2 F1 ~ 2 = ~r2S ⇥ F~2 M (5.50) ~ 1 | = m1 g `1 und |M ~ 2 | = m2 g `2 . Mit den Schwerpunktalso Kraftarm mal Kraft. Es gilt also |M koordinaten ein (`2 = ` `1 ) finden wir, dass sich die beiden Hebel das Gleichgewicht halten: ~ 1| = |M m2 ` ~ 2 | = ` (1 m1 g = |M m1 + m2 m2 ) m2 g . m1 + m2 Um die Bewegung eines starren Körpers zu studieren, an dem eine Kraft außerhalb des Schwerpunktes (im Bild im Punkt P1 ) angreift, konstruieren wir ein Kräftepaar. Dazu addieren wir zwei gleich große und entgegengesetzt gerichtete Kräfte im Schwerpunkt F~1 = F~2 = F~3 . F~2 bewirkt eine Translation des Schwerpunktes. F~1 und F~3 bilden ein Kräftepaar, das ein Drehmoment in Bezug auf den Schwerpunkt bewirkt, F2 S ”r 1S F1 P1 F3 ~ S = ~riS ⇥ F~1 . M (5.51) Eine nicht im Schwerpunkt angreifende Kraft bewirkt ein Drehmoment bezogen auf den Schwerpunkt und eine Beschleunigung des Schwerpunktes. Für einen starren Körper gelten zwei Gleichgewichtsbedingungen: P 1. Die Summe aller äußeren Kräfte muss verschwinden, i F~i = 0. 2. P Die Summe aller Drehmomente bezüglich jeden beliebigen Punktes muß verschwinden, ~ i Mi = 0. torque 50 5.5.2 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Kinetische Energie der Drehbewegung Die kinetische Energie eines rotierenden Objektes hatten wir bereits in Kapitel 3.4 besprochen. Angenommen der Schwerpunkt des Körpers liegt fest im Raum. Dann steckt die gesamte kinetische Energie in einer Drehbewegung um die raumfeste Achse des Drehimpulses. Die Rotationsenergie ist die Summe der kinetischen Energien der einzelnen an der Rotation beteiligten Teilchen K rot = X1 i 2 2 mi viS , (5.52) wobei viS die Relativgeschwindigkeit des i-ten Teilchens relativ zum Schwerpunkt angibt. Mit der Beziehung viS = ! ri (ri ist der Normalabstand zur Drehachse) haben wir K rot = X1 i 2 mi ri2 ! 2 = 1 I !2 . 2 (5.53) Bewegt sich auch noch der Schwerpunkt des rotierenden Systems, müssen wir zur Ermittlung der Gesamtenergie diesen Ausdruck zur Rotationsenergie dazu zählen, E= 1 1 M vS2 + I ! 2 . 2 2 (5.54) Wenn sich das i-te Teilchen um den kleinen Winkel d' dreht, dann bewegt es sich um den Weg d~si = ri 'ˆ d', wobei 'ˆ der Einheitsvektor in die Drehrichtung des Winkels ' ist. Wenn eine Kraft, mit Richtung senkrecht auf ri , auf das i-te Teilchen wirkt, verrichtet sie die Arbeit dWi = F~i · d~si = Fi ri d' = Mi d' . (5.55) Ein Drehmoment, das einen Körper um den Winkel d' dreht, verrichtet es die Arbeit (5.56) dW = M d' . Im Fall linearer Bewegungen hatten wir die Beziehung dW = F ds. 5.5.3 Trägheitsachsen Einem beliebig geformten Körper, der sich um eine Achse durch den Schwerpunkt dreht, kann man ein bestimmtes Trägheitsmoment zuordnen. Spielt man alle möglichen Achsenpositionen durch findet man zwei ausgezeichnete Achsen: Eine mit dem maximalen und eine mit minimalem Trägheitsmoment. Diese beiden Achsen stehen senkrecht zueinander. Diese beiden Achsen und die dritte dazu senkrechte nennt man Haupträgheitsachsen. Ic Ib Ia I a! I b! I c Sind die drei Trägheitsmomente um die drei Haupträgheitsachsen unterschiedlich, nennt man den Körper einen asymmetrischen Kreisel. Sind zwei der Trägheitsmomente gleich heißt er symmetrischer Kreisel, wobei man prolate und oblate Kreisel unterscheidet. Man kann zeigen, dass die Rotation um die Achsen mit minimalem und maximalen Trägheitsmoment stabil ist, während die Rotation um alle anderen Achsen instabil ist. 5.5. KRAFTWIRKUNG BEI DREHUNGEN 51 Vergleich von Translations- und Rotationsbewegung TRANSLATION Ort: Geschwindigkeit: Masse: Impuls: Kraft: kinetische Energie: Arbeit: Winkel: r Winkelgeschwindigkeit: v = ṙ Trägheitsmoment: m p = mv . Drehimpuls: Drehmoment: F = ṗ 1 2 R mv kinetische Energie: 2 Arbeit: F dr ' ! = '˙ I L=I! M = L̇ 1 2 R I !2 M d' m r̈ = F I '¨ = M bei konstanter Kraft: bei konstantem Drehmoment: ṙ = r= 5.5.4 ROTATION F m t + C1 F 2 2m t + C1 t '˙ = + C2 '= M I t + C1 M 2 2I t + C1 t + C2 Rollende Körper Wir betrachten einen Zylinder, der auf einer schiefen Ebene abrollt, nicht gleitet. Am Berührungspunkt zwischen einem Zylinder der Masse m und der schiefen Ebene greift durch die Schwerkraft ein Drehmoment an. Der Hebelarm ist R sin , das Drehmoment ist R F!! Β R sinΒ FN F " # mg Β a= (5.57) M = mg R sin . Die Drehung der Kugel erfolgt um die Berührungslinie zwischen Zylinder und schiefer Ebene. Das Trägheitsmoment des Zylinders um diese Achse ist nach Steiner I = IS + m R2 . Die Beschleunigung des Zylinders parallel zur schiefen Ebene a = d2 s/dt2 ist gleich der Beschleunigung eines Punktes am Umfang des Zylinders R '. ¨ Mit (5.57) ist d2 s M mg R sin g sin = R '¨ = R =R = . dt2 I IS + m R 2 1 + IS /(m R2 ) (5.58) 2 Im Vergleich hätte ein reibungsfrei rutschender Körper die Beschleunigung a = ddt2s = g sin . Da ein Teil der Energie in Rotationsenergie verwandelt wird, verringert sich die Beschleunigung beim Rollen um den Betrag 1 + IS /(m R2 ). Vergleich: Vollzylinder und Hohlzylinder auf schiefer Ebene Die beiden Zylinder haben denselben Durchmesser 2R und gleiche Masse m. Der Vollzylinder hat ein kleineres Trägheitsmoment, deshalb ist seine Beschleunigung größer. Er hat am Ende der schiefen Ebene größere Geschwindigkeit. 52 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON F!! F!! Β FN Β FN Β F " # mg F " # mg Analog dazu: Rohes und gekochtes Ei auf der schiefen Ebene: Rohes Ei kommt zuerst an, weil nur die Schale in Rotation versetzt werden muss. Das Trägheitsmoment für das gekochte Ei ist größer und damit die Winkelbeschleunigung kleiner. In ähnlicher Art zeigt das Maxwellsche Rad die Reduktion der Fallbewegung durch die gleichzeitig notwendige Beschleunigung eines Schwungrades. Ein Stab mit dem Radius r und vernachlässigbarer Masse, trägt ein Schwungrad mit dem Radius R der Masse m. Lässt man das Rad fallen, beginnt es sich auch zu drehen. Die Fallbeschleunigung m g teilt sich auf in eine Beschleunigung der Translation des Schwungrades mz̈ und über den Hebelarm r in eine Zugkraft auf die Seilaufhängung. Das Seil übt auf das Schwungrad mit dem Trägheitsmoment I ein Drehmoment M = mg r aus. Die vertikale Beschleunigung des Maxwellschen Rades z̈ ist gleich der Beschleunigung eines Punktes am Umfang des Stabes r '. ¨ a = z̈ = r '¨ = r M mg r g =r = 2 I IS + m r 1 + IS /(m r2 ) (5.59) Das frei fallende Rad hätte die Beschleunigung z̈ = g. Da ein Teil der Energie in Rotationsenergie verwandelt wird, verringert sich die Beschleunigung der Translation beim Abrollen um den Faktor 1 + IS /(m r2 ). R j r z mg Am Ende einer Fallstrecke h teilt sich die gewonnene potentielle Energie m g h in Translationsund Rotationsenergie auf. Auf Grund der reduzierten Fallbeschleunigung ist die vertikale Geschwindigkeit vT nach einer Zeit t gleich (aus v = a t) vT = g t = at 1 + IS /(m r2 ) wobei wir die Fallzeit aus der Beziehung zur Fallstrecke h (aus z = h= 1 g 1 t2 = a t2 2 1 + IS /(m r2 ) 2 (5.60) 1 2 a t2 ) (5.61) ermitteln. Für die kinetische Energie der Translation erhalten wir K= 1 1 1 mgh m vT2 = m a2 t2 = ma a t2 = . 2 2 2 1 + IS /(m r2 ) (5.62) Bei steigendem Trägheitsmoment fällt das Rad langsamer. Die potentielle Energie bei der Fallhöhe m g h hat sich nur zum Teil in kinetische Energie der Translation umgesetzt. Der Rest steckt in Rotationsenergie. Für die Rotationsenergie haben wir (r ! = vT ) K rot = 1 1 v2 IS I ! 2 = I T2 = mgh. 2 2 r IS + m r 2 sowie K + K rot = mgh. (5.63) 5.5. KRAFTWIRKUNG BEI DREHUNGEN 5.5.5 53 Kreiselbewegungen Ein Kreisel ist ein Körper, der sich um eine freie Achse dreht. Oft wird die freie Achse an einem Punkt unterstützt. Ist dieser Punkt der Schwerpunkt, dann nennt man den Kreisel kräftefrei. Er kann in diesem Fall mit raumfester Drehimpulsachse rotieren. Ein Kreisel zeigt neben der Rotation zwei wichtige weitere Bewegungen: Präzession und Nutation. Präzession tritt auf im Schwerefeld, wenn der Kreisel nicht im Schwerpunkt unterstützt wird. "! L "! L top, spinning top Für die Änderung des Drehimpulses gilt ~ ~ = dL M dt (5.64) beziehungsweise ~ =M ~ dt dL (5.65) Interpretation dieser Gleichungen: Wirkt ein äußeres Drehmoment auf einen Kreisel, versucht ~ und ! der Kreisel seine Drehachse (entlang dieser liegt L ~ ) parallel dazu einzustellen. Diese Bewegung nennt man Präzession. Experimente mit Kreisel und Drehimpulserhaltung. Beispiele: 1) rotierendes Rad unter dem dem Einfluss der Gravitation. Der Abstand vom Schwerpunkt zum Aufhängepunkt sei b. Damit ist das Drehmonent durch die Schwerkraft ~ = m ~b ⇥ ~g M "! L (5.66) und damit ~ = m (b ⇥ ~g ) dt . dL (5.67) Der Winkel um den sich die Achse dreht ist (↵ ist der Winkel zwischen ~b und ~g ) d' = dL mgb sin ↵ = dt L L "! L (5.68) und die Winkelgeschwindigkeit der Präzession d' mgb sin ↵ !P = = . (5.69) dt L Sie ist also umso kleiner je größer der Drehimpuls der Rotationsbewegung ist. Dreht sich das Rad sehr schnell, ist die Präzessionsgeschwindigkeit klein. Die Nutation ist eine kleine zusätzliche Bewegung, die der Präzession überlagert ist und die entsteht, wenn die Drehimpulsachse nicht in der Figurenachse des Kreisels liegt. 2) Molekül als Kreisel : Mit den Beziehungen für die Rotationsenergie und den Drehimpuls K rot = 12 I ! 2 und L = I ! erhalten wir K rot = 12 L2 /I. Nach den Regeln der Quantenmechanik sind die er- precession 54 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON laubten Werte des Drehimpulses L2 = N ( N + 1 ) h̄2 , wobei N (die Rotationsquantenzahl) eine natürliche Zahl ist, N = 0, 1, 2, . . ..9 Das Trägheitsmoment ist spezifisch für jedes Molekül. Ändert sich der Rotationszustand eines Moleküls, erfolgt dies in diskreten Schritten der Zahl N wobei eine diskrete Energie aufgenommen oder abgegeben wird. Dieser Energieaustausch kann über inelastische Stöße oder über Absorption bzw. Emission elektromagnetischer Strahlung erfolgen. Energetisch liegt diese Strahlung im Mikrowellenbereich. So kann aus dem Rotationsspektrum des Moleküls die Bindungslänge ermittelt werden. 5.6 Kontaktkräfte und Reibung Molekularer Kontakt zwischen Körpern: Tisch wehrt sich mit der Auflagekraft gegen Kompression durch ein Buch, das auf dem Tisch liegt. Diese Kraft steht senkrecht zur Oberfläche (Normalkraft). Bei genauer Beobachtung kann die Verbiegung sichtbar gemacht werden. Ein weiteres Beispiel für den molekularen Kontakt ist die Reibung, die wir bisher immer vernachlässigten. Allgemeine Aussagen zur Reibung sind schwierig, sie hängen von der Art der Oberfläche ab und von der relativen Geschwindigkeit der sich berührenden Körper. 5.6.1 Haft-, Gleit-, und Rollreibung Das Buch auf dem Tisch lässt sich mit einer kleinen horizontalen Kraft nicht bewegen. Ursache dafür ist die Haftreibungskraft F~H . Erst wenn diese überwunden wird, beginnt das Buch zu gleiten. Die Reibung ist proportional zur Normalkraft pro Flächeneinheit, aber auch proportional zur Fläche über die sich die Körper berühren. Aus diesem Grund ist die Haftreibungskraft proportional zu |F~H | / (|F~N |/A) · A = |F~N |. Den Proportionalitätskoeffizienten nennen wir µH (Haftreibungszahl) FH ~ ~ | FH | = µ H · | F N | . (5.70) F»» Experimente auf der schiefen Ebene: Vergleich Samt - Meb talloberfläche. Bei einem kritischen Winkel der schiefen Ebene beginnt der Körper zu rutschen. In diesem Moment FN b ist mg sin = FH = µH FN und mg cos = FN und damit F =-m g G µH = tan . Bewegt sich der Körper, dann ist die Reibung nicht Null, sondern gleich einer Gleitreibungskraft F~G . Der Koeffizient µG ist für kleine Geschwindigkeiten konstant, |F~G | = µG · |F~N | . (5.71) Rollt ein Körper, dann gilt für die Rollreibungskraft F~R |F~R | = µR · |F~N | . (5.72) Beispiele zur Reibung: 1) Die Reibungszahl für einen Autoreifen auf Asphalt beträgt etwa µH = 0.7. Wie steil darf eine Straße sein, damit ein geparktes Auto nicht abrutscht? tan 9 Die = 0.7 ! = 35o Größe h bezeichnet das Plancksche Wirkungsquantum, h̄ = h/(2⇡) = 1.0545 ⇥ 10 34 Js. 5.7. KREISBEWEGUNG 55 2) Damit ein Autoreifen das Fahrzeug in der Kurve auf der Bahn hält muss die Reibung mindestens 2 die Kraft für die Kreisbeschleunigung aufbringen: FH = m vr = µG mg. Für µG = 0.7 erhalten wir p für einen Kurvenradius von r = 10 m als maximale Geschwindigkeit v = µG rg = 30 km/h. Die Reibungskoeffizienten hängen in erster Linie davon ab, ob die Moleküle an den berührenden Oberflächen Interesse aneinander haben oder nicht (Teflon, Stahl, Samt auf Stahl). Wo geht die Energie hin, die zur Überwindung der Reibung aufgebracht wird? In Wärme und in chemische Energie, die zum Abbrechen von Oberflächenteilchen aufgebracht wird (Radiergummi, Autoreifen). Experimente zu den Reibungskoeffizienten. 5.6.2 Strömungswiderstand Der Strömungswiderstand beschreibt die Reibung eines Körpers bei seiner Bewegung in einer Flüssigkeit oder einem Gas. Er hängt von der Form des Körpers ab, den Eigenschaften der Flüssigkeit (des Gases) ab. Bei kleinen Geschwindigkeiten ist die Reibung proportional zu v, bei großen zu v 2 . Für eine Kugel (Radius r), die in einer viskosen Flüssigkeit sinkt, gilt das Stokesche Gesetz (⌘ gibt die Viskosität der Flüssigkeit an) F~R = drag 6⇡⌘ r ~v . Für ein schnelles Objekt der Querschnittsfläche A gilt in Luft für die Kraft durch den Strömungswiderstand ⇢ FS = c w v 2 A . 2 (5.73) wobei ⇢ die Dichte der Luft ist und cw der Widerstandsbeiwert. Ein Tragflügel hat z. B. cw ⇡ 0.05, eine ebene, zur Strömung senkrechte Scheibe cw ⇡ 1.2. Bei einem freien Fall in Luft wirkt der Schwerkraft die Kraft durch den Strömungswiderstand entgegen. Damit ist die resultierende Kraft Fres = mg + FS = ⇢ mg + cw v 2 A . 2 Da der Strömungswiderstand mit der Geschwindigkeit größer wird stellt sich (bei genügend hoher Absprungposition) ein Gleichgewicht zwischen der Schwerkraft und der Kraft durch den Strömungswiderstand ein. Fres = 0 = ⇢ 2 mg + cw vE A. 2 Die stationäre Endgeschwindigkeit vE ergibt sich als vE = 5.7 ✓ 2mg cw ⇢ A ◆1/2 . ⇢ m cw A vE mit Fallschirm 1 kg/m3 100 kg 1.2 100 m2 15 km/h ohne Fallschirm 1 kg/m3 100 kg 1.2 0.3 m2 266 km/h Kreisbewegung Im Studium der Kreisbewegung ergeben sich wichtige Konzepte für die allgemeine Kinematik. Diese untersuchen wir in diesem Kapitel in einem vertieften mathematischen Rahmen. drag coefficient 56 5.7.1 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Gleichförmige Kreisbewegung Wir hatten in 5.3.6 anschaulich hergeleitet, dass bei einer gleichförmigen Kreisbewegung die Beschleunigung zum Kreiszentrum gleich v 2 /R ist. Dabei ist R der Bahnradius und v der Geschwindigkeitsbetrag des Teilchens auf der Kreisbahn. Wenn die Kreisbahn in der x y Ebene liegt schreiben wir für die Ortskoordinate, x(t) R cos ✓ cos ✓ ~r(t) = = = R r̂ , wobei r̂ = (5.74) y(t) R sin ✓ sin ✓ der Einheitsvektor ist, der zu jedem Zeitpunkt vom Ursprung auf den bewegten Körper zeigt. Um die Geschwindigkeit zu ermitteln leiten wir (5.74) nach der Kettenregel ab dr̂ d✓ d~r sin ✓ =R =R . (5.75) ~v (t) = + cos ✓ dt dt dt v? ⌘ R d✓ , dt (5.76) v sin q v¶ R ”r ` q v cos q Die Wegstrecke |R d✓| wird vom Teilchen in der Zeit dt zurückgelegt, also ist |R d✓| / dt = v, gleich dem Geschwindigkeitsbetrag auf der Kreisbahn. Diese Geschwindigkeit steht immer senkrecht auf den Bahnvektor ~r, sie definieren wir als die senkrechte Geschwindigkeitskomponente, r` qHtL mit der Vereinbarung, das v? = +v 0 eine Kreisbewegung entgegengesetzt dem Uhrzeigersinn bedeutet und v? = v 0 eine Kreisbewegung im Uhrzeigersinn. Damit schreiben wir für (5.75) vx (t) sin ✓ ~v (t) = = v? = v? ✓ˆ , (5.77) vy (t) + cos ✓ wobei wir mit ✓ˆ den Einheitsvektor in Richtung der Bewegung bei Änderung von ✓ bezeichnen. Wie auch der Einheitsvektor r̂ verändert auch ✓ˆ seine Richtung mit der Zeit. Da bei einer gleichförmigen Kreisbewegung die Beschleunigung zeitlich konstant ist gilt d~v d✓ˆ d sin ✓ cos ✓ d✓ ~a(t) = = v? = v? = v? . (5.78) sin ✓ dt dt dt dt + cos ✓ Aus dem rechten Teil dieser Gleichung sehen wir Folgendes: Da der Vektor { cos ✓, sin ✓} gleich r̂ ist, ist die Beschleunigung zum Kreiszentrum gerichtet. Da d✓/dt = v? /R ist gilt ~a(t) = 2 v? r̂ . R (5.79) Aus (5.75) und (5.78) lernen wir auch die Beziehungen dr̂ d✓ = +✓ˆ dt dt 5.7.2 und d✓ˆ = dt r̂ d✓ . dt (5.80) Ungleichförmige Kreisbewegung Mit diesem Formelapparat können wir auch kompliziertere Bewegungen untersuchen, z. B. den Fall einer zeitabhängigen Geschwindigkeit v? auf der Kreisbahn. In diesem Fall ist ~a(t) = ⇣ dv ⌘ ⇣ d✓ˆ ⌘ d~v d ? = v? ✓ˆ = ✓ˆ + v? . dt dt dt dt (5.81) uniform 5.7. KREISBEWEGUNG 57 Mit (5.80) erhalten wir Jetzt ist der Betrag der Beschleunigung q 2 2 /R)2 . |~a| = (dv? /dt) + (v? êR (5.82) r̂ . r` 2 R ` q v¶ dv? ˆ ~a(t) = ✓ dt 2 v? (5.83) » dv¶ dt » a Damit lässt sich z. B. das Abbremsen einer Kreisbewegung analysieren. 5.7.3 Fliehkräfte ? 1) Zurück zur gleichförmigen Kreisbewegung, Seite 44 und 55. Ein Satellit umkreist die Erde in einer Höhe von h = 200 km auf einer Kreisbahn und trägt die Federwaage (Seite 42). r` v¶ m 0 g Erde Der lokale Wert der Gravitationsbeschleunigung auf der Kreisbahn ist g = 9.22 m/s2 , v? = 7800 m/s. Die Federwaage zeigt keine Beschleunigung an! Einem Astronauten im Satelliten geht es ähnlich, er findet sich schwerelos und schließt: Meiner Gravitationskraft wird durch eine entgegengesetzt große Zentrifugalkraft die Waage gehalten. Diese Fliehkraft existiert aber nicht wirklich. ! Fahrstuhl, Astronaut und Federwaage erfahren dieselbe Kreisbeschleunigung (wenn die Länge der Federwaage klein ist gegenüber dem Radius der Kreisbahn). 2) Wir sitzen am Dach eines Autos das plötzlich eine Kurve nach links einschlägt. Die Haftkräfte der Autoreifen erzwingen die Kreisbeschleunigung zur Linkskurve. Der Lenker ist sich bewusst was kommt, er sitzt angegurtet, zum Teil fest verbunden mit dem Auto und zwingt seinen Oberkörper mit den Haftkräften seiner Hände am Steuer diese Kreisbeschleunigung mitzumachen. Wir Ahnungslose die praktisch reibungsfrei am Dach mitfahren, bewegen uns geradlinig weiter und sehen das Auto plötzlich links von uns. R R Innerhalb des Autos erleben wir die Kreisbeschleunigung ganz anders: Die Seitenwand des Autos kommt beschleunigt auf uns zu und zwingt uns auf die Kreisbahn. Zur Beschreibung unserer Bewegung im geschlossenen Auto führen wir eine Scheinkraft (Fliehkraft) ein. Der Betrag dieser zentrifugalen Beschleunigung ist v 2 /R = R! 2 . Ihre Größe ist gerade entgegengesetzt gleich der zentripetalen Beschleunigung des Autos, das uns auf die Kreisbahn zwingt. Grund ist unsere träge Masse. Sie widersetzt sich der Änderung geradlinig gleichförmiger Bewegung. Fliehkräfte sind Scheinkräfte, die auf Grund der trägen Masse eines mitbewegten Beobachters von diesem empfunden werden, wenn er sich auf das beschleunigte Bezugssystem bezieht. Experimente zum schwerelosen Fall und rotiertende Kette. zentrifugal v zentripetal R 58 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON 5.7.4 banking Überhöhte Kurven . . . Beispiel 1) Bei geradliniger Bewegung eines Flugzeugs mit der Geschwindigkeit v hält die Auftriebskraft FA gerade der Gewichtskraft die Waage. Will der Pilot eine Kurve fliegen, muss er das Flugzeug zuerst in eine Schräglage bringen, z.B. um den Winkel ✓ um nach links zu fliegen. Dann stellt die Komponente FA sin ✓/m = v 2 /R gerade die Beschleunigung dar, die notwendig ist um das Flugzeug der Masse m auf eine Kreisbahn mit dem Radius R zu zwingen. FA -m g FA sinq FA q -m g Jetzt stellt sich noch die Frage, warum der Pilot vor einem solchen Manöver typischerweise den Schub der Triebwerke erhöht. Was passiert, wenn er das nicht macht? 10 Beispiel 2) Im zweiten Beispiel betrachten wir ein Auto, das in der x z Ebene über eine Hügel fährt. Der Motor überträgt über die Räder auf die Straßenoberfläche die Kraft FM . Diese hält dem Strömungs- und Rollwiderstandskräften FR des Autos die Waage. Das Auto ist mit konstanter Geschwindigkeit v = 30 m/s unterwegs, Das entspricht 30 ⇥ 3600/1000 = 108 km/h. Den Hügel approximieren wir durch einen Kreis in der x z Ebene mit Radius R = 150 m. Wir suchen nach der Normalkraft, die der Boden am Scheitel des Hügels auf das Auto ausübt. Wie verhält sich dieser Wert zur Gewichtskraft? z Damit der Wagen auf der Bahn bleibt muss eine Bev schleunigung zum Kreiszentrum a = v 2 /R vorliegen. Wir wenden Newtons zweites Gesetz an und betrachR ten das Auto am Scheitel des Hügels. Damit haben wir x 2 m4 m ~a 3 0 5 0 2 v /R = = F~gesamt 2 3 FM F R 4 5 0 mg + FN z FN FR Wir erhalten FN = mg mv /R = m(9.81 6) N. Bei welcher Geschwindigkeit wird FN = 0 ? Was passiert bei noch höherer Geschwindigkeit? zero g FM v 2 FG x Beispiel 3) Im dritten Beispiel betrachten wir Parabelflüge, in denen für etwa 20 Sekunden Schwerelosigkeit erreicht wird. Die A300 beginnt aus einem horizontalen Flug in etwa 6 km Höhe bei v = 810 km/h mit einem Steilflug und klettert in 20 Sekunden auf 7.5 km Höhe bis zu einem Anstiegswinkel von 47 Grad. Hier ist die Geschwindigkeit etwa v = 650 km/h. In dieser Phase erreicht die Kreisbeschleunigung fast 2 g. Zu diesem Zeitpunkt wird der Schub drastisch reduziert, gerade genug um die Reibungskräfte zu überwinden und die Piloten versuchen das 10 Die jetzt verringerte Auftriebskraft, FA cos ✓ führt zu einem gleichzeitigen Sinkflug. 5.7. KREISBEWEGUNG 59 Flugzeug auf einer ballistischen Parabel entsprechend einem Freifall zu halten. Am Scheitel bei ⇡ 8.4 km Höhe ist v = 390 km/h. Die Parabelphase dauert etwa 20 Sekunden. In dieser Phase können die Piloten die Beschleunigung bis auf 2-5% von g reduzieren. Anschließend beschleunigt das Flugzeug wieder und kommt aus dem Parabelflug wieder in die Horizontale. Bilder: ESA Zero-g Beispiel 4) F F F FN Jetzt untersuchen wir ein Motorrad in der Kurve. In geradliniger Fahrt heben sich die Gewichtskraft FG und die Normalkraft FN auf. Schwenkt der CM CM Fahrer nach links, dann widersetzt sich die Haftreibungskraft FH , sodass die (blaue) resultierende Kraft F~ = F~N + F~H entsteht. Wenn sich der Fahrer nicht in die Kurve legt, dann bewirkt F~ ein DrehF FH moment um den Schwerpunkt, das den Fahrer nach F FG rechts aus der Bahn kippt. Als Kind lernt man, dass man beim Fahrradfahren das resultierende Drehmoment auf Null bringen muss - dann kippt man nicht um. Für das Motorrad in der Kurve entspricht dies dem Fall dass man den Winkel so wählt, dass F~ in Richtung des Schwerpunktes zeigt. N H G 5.7.5 Charakteristika der Bewegung und Form der Erde Die Rotation bewirkt eine Deformation der Erde zu einem abgeplattetem Rotationsellipsoid. Massenverteilung nicht kugelsymmetrisch. Dies ist einer der Gründe für lokale Änderungen von g. Weitere Gründe sind Inhomogenitäten in der Dichteverteilung. 21 km Fr r Dm r w2 Dm g w . Bild: satgeo.zum.de Bestimmung von G mit der Gravitationswaage von Eötvösch G = 6.67 · 10 11 m3 /kg s2 . Bei Kenntnis von G kann die Erdmasse aus der Umlaufszeit T = 2⇡/! eines Satelliten der Masse m (z. B. des Mondes) aus der Gleichung m ! 2 r = Gm ME 2 RE (5.84) bestimmt werden. Daraus ergibt sich die Erdmasse von ME = 6⇥1024 kg. Mit der so bekann2 ten Erdmasse kann bei Kenntnis von g der Erdradius ermittelt werden, mg = GmME /RE . 3 Damit kann auch die mittlere Dichte der Erde abgeschätzt werden, ⇢ = 3ME /(4⇡RE ). 60 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Experiment zur Erdabplattung. Erde als Kreisel: Die Erde ist in erster Näherung ein abgeplattetes Rotationsellispoid. Der Radius am Äquator ist etwa 21 km größer als an den Polen. In dieser Näherung ist die Erde ein symmetrischer Kreisel mit Iz > Iy = Ix (im Bild stark übertrieben). Denkt man sich die Erde zusammengesetzt als eine Kugel plus dem Wulst am Äquator gelten folgende Überlegungen: Für die im Schwerpunkt der Erde vereinigte Gesamtmasse ME gilt Ωp Erdachse 23o Ekliptik Sonne G ME MS v2 = M . E r2 r Für die der Sonne zugewandten Hälfte des Wulstes ist die Anziehungskraft der Sonne größer als für die der Sonne abgewandten Hälfte des Wulstes. Auf Grund der Neigung der Rotationsachse der Erde relativ zur Bahnebene der Erde um sie Sonne (Ekliptik) um den Winkel 90 23 wirkt ein Drehmoment auf den Erdkreisel, sodass eine Präzession der Erdachse um die Normale zur Ekliptik resultiert. Die Präzessionsdauer beträgt 26 000 Jahre (ein platonischen Jahr). 1950 zeigte die Erdachse etwa zum Polarstern, in 26 000 Jahren wird es wieder so sein. Der Erdkreisel beschreibt auch eine Nutation, da die Drehimpulsachse nicht perfekt mit der Figurenachse der Erde zusammenfällt. Die Nutationsperiode beträgt 18.6 Jahre. 5.7.6 Geoid der Erde Eine Bezugsfläche zur Beschreibung der Form der Erde wurde von Gauß vor etwa 200 Jahren erstmals definiert11 und seither weiterentwickelt um die Vermessung der Erde und letztlich auch GPS Systeme zu ermöglichen. Die jüngste Realisierung verlässlicher Bezugsflächen ist der Referenzellipsoid WGS84, (World Geodetic System 1984), kombiniert mit jüngsten Daten zur Gravitation EGM96 (Earth Gravitational Model 1996). Die genaue Vermessung der unregelmäßigen Topographie der Landmasse und des Meeresbodens mit Genauigkeiten im Zentimeter Bereich ist eine große Herausforderung, die jetzt mit GPS und diesem Geoid gemeistert werden kann. Die WGS84 Referenz definiert • Ein geozentrisches Ellipsoid mit den Halbachsen a = 6378137.0 m und b = 6356752.3141 m, das Produkt aus Gravitationskonstante und Erdmasse12 GM = (3986004.418±0.008)⇥ 108 m3 /s2 , die Winkelgeschwindigkeit der Erde, ! = 7.292115 ⇥ 10 5 s 1 . • Ein Geoid (Äquipotentialfläche) das von geometrischen Modell des Erdellipsoids abweicht und das als eine Fläche gleichen Gravitationspotentials definiert wird. Das Geoid verwendet als Halbachsen die Erdbeschleunigung am Äquator ge = 9.7803253359 m/s2 und an den Polen gp = 9.8321849378 m/s2 und eine Reihenentwicklung für die Anomalie in des Gravitationspotentials (Längengrad , Breitengrad und große Halbachse a) V ( , , r) = nX n max ⇣ ⇤i GM h a ⌘n ⇥ X 1+ (Cnm cos m + Snm sin m )Pnm (sin ) r r n=2 m=0 Dabei ist r der Abstand vom Schwerpunkt der Erde und die Pnm sind die assoziierten Legendre Polynome. Das Gravitationspotential ist W = V + 21 ! 2 (x2 + y 2 ) wobei x, y die kartesischen Koordinaten in der Äquatorebene sind (x Achse am Längengrad Null). 11 Der mittlere Meeresspiegel der Weltmeere repräsentiert eine solche Fläche. Diese steht senkrecht auf die Lotrichtung und kann über eine weltumspannende Pegelvermessung (Normalnull) beobachtet werden. 12 In der Masse M ist auch die Masse der Atmosphäre enthalten! Ihre Masse ist nahe bei 10 6 M . E 5.8. PLANETENBAHNEN, KEPLERSCHE GESETZE 5.8 61 Planetenbahnen, Keplersche Gesetze Tycho Brahe (1546-1601): genaue Vermessung der Planetenbewegungen. Johannes Kepler (1571-1630): bestätigte mit diesen Daten das heliozentrische Modell von Nikolaus Kopernikus (1473-1543). ! Die Summe aus potentieller und kinetischer Energie und der Bahndrehimpuls sind zeitlich ~ konstant. Die Bewegung verläuft in einer Ebene senkrecht zu L. 1) Die Planeten bewegen sich auf Ellipsenbahnen mit der Sonne in einem Brennpunkt. Wenn die Koordinatenachsen mit den Achsen der Ellipse zusammenfallen ist die Gleichung für die Ellipse 2 2 x y + 2 =1 2 a b b a a e◊a a r (5.85) a und b sind die Längen der Halbachsen. In einer Ellipse ist der Abstand von einem Brennpunkt der Ellipse zu einem Punkt auf der Ellipse und von dort zum anderen Brennpunkt immer gleich 2a. Die numerische Exzentrizität ✏ gibt die Abweichung von der Kreisgestalt b2 = a2 (1 ✏2 ) Die minimale (maximale) Länge des Radius Vektors ist rmin/max = a(1 ± ✏). 2) Der Ortsvektor von der Sonne überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Es gilt A/ t = const. Dies ist eine Folge der Drehimpulserhaltung, da A= 1 |~r| · |~v 2 t| · sin ↵ Dt A2 A1 Dt und damit (5.86) j v Dt sina +D rHt DA t T2 4⇡ 2 = = const. a3 G(M + m) vD 3) Die Quadrate der Umlaufszeiten verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Halbachse. tL dA 1 1 ~ = |~r ⇥ p~| = |L| = const. dt 2m 2m a rHtL Plausibilitätserklärung für die Bahnform : Wir betrachten nur einen einzelnen Planeten (Masse m) und die Sonne als Punktmassen, die Sonne halten wir im Ursprung fest. Das Gravitationspotential im Feld der Sonne ist V (r) = G Mrm . Damit können wir aus Energie- und Drehimpulserhaltung eine Bewegungsgleichung herleiten. Die Bewegung erfolgt in einer Ebene, nur der Abstandsvektor ~r von der Sonne zum Planeten ändert ~ = I! sich gemeinsam mit dem Winkel ' der Bahnbewegung. Auf Grund des festen Drehimpulses L (I und ! sind aber zeitabhängig) haben wir für die kinetische Energie der Rotation um die Sonne 2 L2 1 K rot = 12 I! 2 = 2mr 2 und für die kinetische Energie der Bahnbewegung K = 2 mṙ . Die Energien rot K und K sind zeitabhängig! Damit ist die zeitlich konstante Gesamtenergie E L2 1 + mṙ2 = const , 2mr2 2 Ausgangspunkt für die Gleichung E = V (r) + ṙ = ⇥2 dr = E dt m V (r) L2 ⇤1/2 . 2mr2 (5.87) (5.88) 62 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Mit der Beziehung L = mr2 '˙ = mr2 d'/dt erhalten wir d' L = . dt mr2 (5.89) Jetzt dividieren wir (5.89) durch (5.87) und erhalten Z d' dr = d' = 1/2 L 2 L2 E V (r) mr2 m 2mr2 Z L 2 L2 dr E V (r) 2 mr m 2mr2 (5.90) bzw. 1/2 (5.91) . Lösung von (5.91) sind die Gleichungen für Kegelschnitte 1 1 + ✏ cos ' = . r a(1 ✏2 ) (5.92) Veff = VHrL + L2 ê 2 m r 2 Die Kegelschnitte veranschaulichen die möglichen Keplerbahnen. Diese unterscheiden sich in der numerischen Exzentrizität ✏, eine Bahneigenschaft. Die Erdbahn hat ✏ = 0.017, der Planet Merkur hat ✏ = 0.206. Für 0 ✏ < 1 sind die Bahnen elliptisch mit den Grenzfällen kreisförmig (✏ = 0) und parabolisch (✏ = 1). Für ✏ > 1 ist die Bahn hyperbolisch. Für die Gesamtenergie gilt E < 0 für ✏ < 1 (gebundene Bahn) bzw. E > 0 für ✏ > 1. Das effektive L Potential Ve↵ = V (r) + mr 2 begrenzt den räumlich erlaubten Wertebereich bei gegebener L Gesamtenerie E. Die Energie mr 2 wird auch Zentrifugalpotential genannt. ✏>1 5.9 ✏=1 ✏<1 ✏=0 0.0 hyperbolic elliptical -0.2 E -0.4 -0.6 -0.8 circular VHrL 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 r Harbitrary unitsL Nicht-Inertialsysteme Wir haben alle bisherigen Überlegungen zur Kinematik von Objekten als Beobachter in einem ruhenden System gemacht oder in einem sich gleichförmig mit konstanter Geschwindigkeit bewegendem System. Solche Systeme nennt man Inertialsysteme. Die Newtonschen Gesetze gelten nur in Inertialsystemen. Inertialsysteme sind Systeme, die entweder ruhen oder sich gleichförmig mit konstanter Geschwindigkeit in eine feste kartesische Richtung bewegen. Wenn unser Bezugssystem relativ zu einem Inertialsystem beschleunigt wird und wenn wir unsere Bewegung nur relativ zu unserem Bezugssystem bestimmen, dann finden wir, dass wir zur Erklärung zusätzlich Scheinkräfte einführen müssen. Diese Kräfte existieren nicht wirklich und werden von einem ruhenden Beobachter außerhalb des beschleunigten Bezugssystems nicht registriert. Im beschleunigten Bezugssystem hingegen werden sie als Kräfte wahrgenommen und werden z.B. als Zentrifugalbeschleunigung interpretiert. 5.9. NICHT-INERTIALSYSTEME 5.9.1 63 Galilei Transformation Um die Bedeutung eines Inertialsystems zu verstehen brauchen wir einen mathematischen Rahmen um Beobachtungen in zwei Bezugssystemen zueinander in Beziehung zu setzen. Wir nehmen an, dass das System S fest auf der Erde sitzt und relativ dazu ein System S 0 sich mit dem Geschwindigkeitsvektor ~ bewegt. Die Verbindung zwischen den z z' ”rHtL S Ortskoordinaten in beiden Systemen ist ”r'HtL Objekt ~ ~r(t) = ~r 0 (t) + R(t) Differenzieren dieses Ausdrucks nach der Zeit ergibt y RHtL x y' S' (5.93) x' ~v (t) = ~v 0 (t) + ~ (t) , (5.94) wobei ~v 0 (t) die Geschwindigkeit im gestrichenen System S 0 ist. Also gilt ~v 0 (t) = ~v (t) ~ (t). b Beispiele 1) Wir sind in einem Zug der mit 25 m/s relativ zur Erde in die x-Richtung fährt und werfen einen Ball in Fahrrichtung mit der Geschwindigkeit 12 m/s. Wie groß ist die Geschwindigkeit des Balles relativ zur Erde? Vergleiche auch die kinetische Energie des Balles im Zug und auf der Erde. ! vx = vx0 + x = 12 m/s +25 m/s = 37 m/s. 2) Wir sind in einem Zug der mit 35 m/s relativ zur Erde in die x-Richtung fährt und beobachten ein Auto, das mit 30 m/s relativ zur Erde in die gleiche Richtung fährt. Wie groß ist die Geschwindigkeit des Autos im Bezugssystem des Zuges ? ! vx0 = vx 35 m/s = 5 m/s. x = 30 m/s 3) Ein Flugzeug fliegt mit 75 m/s relativ zur Luft nach Norden. Der Wind bläst mit 12 m/s in die westliche Richtung. Wie groß ist die Geschwindigkeit der Flugzeugs relativ zur Erde? In welche Himmelrichtung fliegt das Flugzeug? Wir setzen die Nord-Süd Richtung entlang x und die Ost-West Richtung entlang y. 2 3 2 0 3 2 3 2 3 2 3 2 3 vx vx 0 12 12 x 0 4 vy 5 = 4 vy 5 + 4 y 5 = 4 +75 5 + 4 0 5 = 4 75 5 m/s vz vz0 0 0 0 z p ! v = vx2 + vy2 + vz2 = 76 m/s. ! ✓ = ArcTan[75, 12] = ArcTan[ 12 ] 75 = 9o . Das Flugzeug fliegt mit 76 m/s um 9 Grad von Norden nach Westen geneigt. ———————————————————————— Jetzt differenzieren wir (5.94) nach der Zeit und erhalten ~a 0 (t) = ~a(t) ~ , A(t) (5.95) ~ dabei ist A(t) = d (t)/dt die Beschleunigung des Systems S 0 relativ zu S. Wenn sich aber 0 das System S mit konstanter Geschwindigkeit relativ zu S bewegt ( (t) =const), dann ist ~ = 0 und deshalb gilt: A(t) ~a 0 (t) = ~a(t) . (5.96) 64 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON Die Beschleunigung des Objektes ist in beiden Systemen die gleiche wenn sich das System S 0 mit konstanter Geschwindigkeit relativ zu S bewegt. In diesem Fall spricht man von zwei Inertialsystemen. Wenn also für zwei Inertialsysteme zur Zeit t = 0 die Ursprünge der beiden Koordinatensysteme übereinstimmen, R(t = 0) = {0, 0, 0}, dann gelten für Geschwindigkeiten | | ⌧ c die Ausdrücke (5.93), (5.94) und (5.96), die Regeln der sogenannten Galilei Transformation. In Komponenten schreiben wir für (5.93) 2 3 2 x0 (t) x(t) 6 y 0 (t) 7 6 y(t) 6 0 7 6 4 z (t) 5 = 4 z(t) t0 3 t 7 yt 7 5. zt t x (5.97) Dabei deutet t0 = t an, dass Beobachter in beiden Systemen gleichgehende Uhren verwenden. In den beiden Inertialsystemen messen Beobachter gleiche Kräfte, F~ 0 = F~ , und schließen auf gleiche physikalische Gesetze. Beispiel: Ein Zug fährt mit konstanter Geschwindigkeit entlang der x-Richtung. Mit dem Zug bewegt sich das gestrichene Koordinatensystem S 0 . Ein Körper fällt im Zug von der Höhe h. Der Beobachter im Zug findet für die Koordinate des Körpers z 0 (t) = h gt2 /2 und x0 (t) = 0. Ein im System S ruhender Beobachter findet ebenfalls z(t) = h gt2 /2 = z 0 (t) aber x(t) = t. z z' z=h z'=h x' bt x Schluss: Ein Beobachter im Zug der nicht aus dem Fenster schaut, kann nicht feststellen ob sich der Zug in Ruhe befindet oder ob er sich relativ zu einem anderen Bezugssystem mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Dies gilt nur für Translationsbewegungen mit konstanter Geschwindigkeit. Dies gilt aber nicht für Drehungen mit gleichförmiger (konstanter) Winkelgeschwindigkeit da diese Bewegung eine beschleunigte Bewegung ist, siehe Seite 56. 5.9.2 Detektor für Inertialsysteme Ein Detektor für das erste Newtonsche Gesetz kann ein Inertialsystem von einem NichtInertialsystem unterscheiden. Wir denken uns einen elektrisch ungeladenen und unmagnetischen Ball (blau) der von 3 Fingern (schwarz) in einem Ring (grau) im Zentrum des Ringes gehalten wird. Wenn wir die Finger plötzlich zurückfahren und der Ball bleibt in seiner ursprünglichen Position, dann befinden wir uns in einem Inertialsystem. Im Schwerefeld der Erde verwenden wir anstelle Sensor für Sensor für des Ringes einen vertikalen Zylinder in dem ein InertialInertialsystem system Ball frei fallen kann ohne die Wände zu berühren, oder anstelle eines Balles einen Zylinder, der auf einem Luftpolster schwebt. 5.9.3 Linear beschleunigte Systeme Beispiele für das Auftreten von Scheinkräften Wir befinden uns in einem Eisenbahnwaggon, der sich horizontal geradlinig mit konstanter Beschleunigung ~a = {ax , 0, 0} bewegt. Das Koordinatensystem im Zug ist x0 und z 0 , das auf der Erde sei x und z. Für die Beschleunigung wählen wir ax = g/4 und 5.9. NICHT-INERTIALSYSTEME 65 a) lassen aus der Höhe h einen Ball fallen, zu einem Zeitpunkt an dem die Geschwindigkeit gerade Null ist. Von außen betrachtet fällt der Ball senkrecht nach unten. Er landet direkt unter dem Punkt, an dem er losgelassen wurde. Ein Beobachter im Zug findet zusätzlich zur Schwerebeschleunigung eine horizontale Beschleunigung ~a. b) Eine Lampe hängt im Zug von der Decke. Die Lampe hängt in beiden Koordinatensystemen unter dem Winkel ↵ = arctan gax = arctan ( 14 ) = 14 o . Von außen betrachtet liegt es an der Beschleunigung des Zuges. Ein Beobachter im Zug stellt fest, dass auf alle Gegenstände im Waggon eine zusätzliche Kraft m~a wirkt. (Siehe dazu auch das Gedankenexperiment auf Seite 24). z z' z' aL z bL z=h € a'x = -gê4 a x' x € z'=h a'x = - gê4 a ax = +gê4 x' x ) Die Scheinkraft zeigt entgegen der Richtung der Beschleunigung des Systems. Experiment mit 3-rädrigem Schlitten und träger Masse auf biegsamem Stab. 5.9.4 Zirkular beschleunigte Systeme Foucaultsches Pendel: Wir sitzen irgendwo außerhalb der Erde und beobachten die Rotation der Erde um sich selbst. Können wir diese Rotation auch beobachten wenn wir auf der Erde sitzen? Sonnenaufgang - Sonnenuntergang wären ein Indiz, aber diese könnten aber auch als Rotation der Sonne um die Erde interpretiert werden. Ein Möglichkeit die Erdrotation zu beobachten ist das Pendel von Foucault. Dazu bringen wir ein Fadenpendel am Nordpol an. Die Schwingungsebene ist durch den Bogen der Bewegung definiert. In dieser Ebene liegt auch der reibungsfreie Aufhängepunkt. Da sich die Erde immer unterhalb des Aufhängepunktes befindet und wir die Erde als homogen annehmen, N sollte die Schwingungsebene des Pendels für den Beobachter außerhalb der Erde fest bleiben. Im Bezugssystem auf der Erde am Nordpol finden wir aber, dass sich die Schwingungsebene mit der Zeit dreht und zwar um den Wert 2⇡ mit einer Periode von einem Tag. Für ein Pendel am Äquator sollte keine Drehung beobachtbar sein. Bei einem Breitengrad ↵ ist die Periodea . T = Ω 2⇡ ! sin ↵ a In Freiburg ist T ⇡ 30 Stunden (Breitengrad ↵ = 48o ). Im Hörsaal dreht sich der Winkel der Schwingungsebene in 30 Minuten um 6o . Experiment mit Foucault Pendel. Coriolis- und Zentrifugalbeschleunigung: Wir betrachten zwei Koordinatensysteme, die im Ursprung zusammenfallen. Das System S 0 rotiert mit ! ~ = {!x , !y , !z } gegen S. Ein Punkt hat zur Zeit t im System S die Koordinaten 66 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON (5.98) ~r(t) = x(t) x̂ + y(t) ŷ + z(t) ẑ , wobei {x̂, ŷ, ẑ} die Einheitsvektoren im System S sind. Der Punkt hat die Geschwindigkeit ~v (t) = dx dy dz x̂ + ŷ + ẑ . dt dt dt S' w S (5.99) Derselbe Punkt hat zur Zeit t0 = t im System S 0 ~r 0 (t) = x0 (t) x̂0 + y 0 (t) ŷ 0 + z 0 (t) ẑ 0 = ~r(t) . (5.100) Der Beobachter in S 0 weiss Nichts von seiner Rotation und definiert ~v 0 (t) = dx0 0 dy 0 0 dz 0 0 x̂ + ŷ + ẑ . dt dt dt (5.101) Der Beobachter in S hingegen sieht die Rotation und will die vom ihm beobachtete Geschwindigkeit v in den Koordinaten des rotierenden Systems ausdrücken, ✓ 0 ◆ ✓ ◆ 0 0 0 d~r 0 dx 0 dy 0 0 dz 0 0 0 dx̂ 0 dŷ 0 dẑ ~v (t) = = x̂ + ŷ + ẑ + x +y +z . (5.102) dt dt dt dt dt dt dt Der rechte Term in (5.102) berücksichtigt, dass die Einheitsvektoren von S 0 , {x̂0 , ŷ 0 , ẑ 0 }, eine Kreisbewegung mit konstanter Geschwindigkeit machen, dx̂0 =! ~ ⇥ x̂0 , dt dŷ 0 =! ~ ⇥ ŷ 0 , dt dẑ 0 =! ~ ⇥ ẑ 0 . dt (5.103) Damit wird der rechte Term in (5.102) (~ ! ⇥ x̂0 )x0 + (~ ! ⇥ ŷ 0 )y 0 + (~ ! ⇥ ẑ 0 )z 0 = ! ~ ⇥ (x̂0 x0 + ŷ 0 y 0 + ẑ 0 z 0 ) = ! ~ ⇥ ~r 0 , (5.104) und (5.102) wird ~v (t) = ~v 0 (t) + ! ~ ⇥ ~r 0 . (5.105) Die Beschleunigung erhalten wir durch Differentiation von (5.105), ~a = d~v d~v 0 d~r 0 = + ! ~⇥ . dt dt dt (5.106) Bei der Berechnung von d~v 0 /dt in (5.106) ist wiederum zu berücksichtigen, dass die Einheitsvektoren eine Kreisbewegung mit konstanter Geschwindigkeit machen, ✓ 0 ◆ ✓ ◆ 0 0 0 d~v 0 dvx 0 dvy0 0 dvz0 0 0 dx̂ 0 dŷ 0 dẑ = x̂ + ŷ + ẑ + vx + vy + vz dt dt dt dt dt dt dt = ~a 0 + (~ ! ⇥ ~v 0 ) . (5.107) Die Kombination von (5.106) und (5.107) ergibt ~a 0 = ~a + 2(~v 0 ⇥ ! ~) + ! ~ ⇥ (~r 0 ⇥ ! ~ ) = ~a + ~acoriolis + ~azentrifugal . (5.108) Will der Beobachter in S 0 seine Beschleunigung ~a 0 bestimmen, muss er zusätzlich zu ~a die Coriolis Beschleunigung ~acoriolis = 2(~v 0 ⇥ ! ~ ) und die Zentrifugalbeschleunigung 5.9. NICHT-INERTIALSYSTEME 67 ~azentrifugal = ! ~ ⇥ (~r 0 ⇥ ! ~ ) berücksichtigen. In gleicher Weise empfindet er, dass die Scheinkräfte, F~coriolis = m ~acoriolis und F~zentrifugal = m ~azentrifugal am Werk sind. Die scheinbare Rotation der Schwingungsebene beim Foucault Pendel ist das Resultat einer Coriolis Beschleunigung. Für den Fall, dass die Rotationsachse mit der z-Achse zusammenfällt erhalten wir für die Komponenten von (5.108) 2 0 3 2 3 2 3 2 0 2 3 ax vy0 ! ax x ! 4 a0y 5 = 4 ay 5 + 2 4 +vx0 ! 5 + 4 y 0 ! 2 5 (5.109) az 0 a0z 0 Simulation mit Sandpendel Ein Sandpendel mit Eigenfrequenz ⌦ befindet sich über einer rotierenden Scheibe. Wenn die Scheibe nicht rotiert hinterläßt das Sandpendel die strichlierte rote Spur. Rotiert die Scheibe mit der Kreisfrequenz ! hinterläßt das Sandpendel die rosetW tenförmige Spur. Im Bild ist ⌦ = 2⇡ und ! = 0.2 ⇥ 2⇡. Die Bewegung ist gezeichnet von t = 0 bis t = 2.2. Nach t = 2.5 würde sich die Figur w schließen. Ein Beobachter der sich auf der rotierenden Scheibe befindet und nichts von der Drehbewegung weiss, interpretiert die Spur der Pendelspitze als Folge der beiden Scheinkräfte in Gleichung (5.112). Der Beobachter im erdfesten System begründet die periodische Bewegung des Pendels als Folge der harmonischen rücktreibenden Kraft m⌦2 x(t) (siehe Kapitel 6) und findet x(t) = x0 cos ⌦t und v(t) = (5.110) x0 ⌦ sin ⌦t . 0 Die blaue Spur im Bild oben entsteht durch die Koordinatentransformation x (t) = x(t) cos !t und y 0 (t) = x(t) sin !t. Damit erhält der Erdbeobachter für die Spur im rotierenden System 0 x (t) cos !t = x0 cos ⌦t , (5.111) 0 y (t) sin !t Der Beobachter im rotierenden System beobachtet die Koordinaten (5.111) und die zugehörigen Geschwindigkeiten und löst seine Bewegungsgleichung mit den Beschleunigungen aus Gleichung (5.112) 0 0 0 ax x vy0 x = ⌦2 + 2! + !2 (5.112) 0 0 0 ay y +vx y0 Er erhält damit dieselbe blaue Spur und glaubt an die Existenz von Coriolis und Zentrifugalkräften. Experimente mit Sandpendel bei unterschiedlichen Anfangsbedigungen. Ein weiteres Beispiel sind zwei Personen auf einer rotierenden Scheibe, die sich einen Ball zuwerfen. Der Werfer in der Mitte der Scheibe zielt genau auf sein Gegenüber am Scheibenrand. Trotzdem verpasst er ihn, weil sich der Fänger während des Flugs des Balles weiterdreht. Im rotierenden Bezugssystem S 0 beschreibt der Ball eine gekrümmte Bahn. Für einen ruhenden Beobachter außerhalb 68 KAPITEL 5. MODELL VON NEWTON der Scheibe fliegt der Ball geradlinig von der Achse weg. Jetzt ist unser Bezugssystem S 0 mit einer rotierenden Scheibe verbunden. An einem Seil verbunden mit einem Beobachter, der auf der Achse sitzt befindet sich eine Masse m. Jeder Punkt auf der Scheibe wird mit ~a = ! 2 r = v 2 /r zum Zentrum beschleunigt. Dieser Beobachter befindet, dass der Körper in Ruhe ist und dass er am Seil eine Zugkraft m! 2 r aufbringen muss, die nach innen wirkt. Da der Körper aber scheinbar in Ruhe ist schließt er darauf, dass am Körper eine radial nach aussen wirkende Kraft m! 2 r angreift, die sogenannte Zentrifugalkraft. Diese fiktive Kraft erscheint nur für den Beobachter im rotierenden Bezugssystem. Ein Beobachter auf der Erde nimmt nur die Beschleunigung ~a = ! 2 r = v 2 /r zum Zentrum wahr. 2r 60 0 60 a 20 L mw2R mg a s a HgradL 120 180 240 300 360 wê2p = 0 wê2p = 1 wê2p = 2 wê2p = 3 40 rhs right hand side Ein Karussell dreht sich mit der Kreisgeschwindigkeit !. Die Massen m sind über ein Seil der Länge L an einer kreisförmigen Platte mit dem Durchmesser 2r befestigt. Wenn sich das Karussell dreht wandern die Massen zu größeren Abständen von der Drehachse. Der Winkel ↵ wird durch das Gleichgewicht der Seilspannung kontrolliert. Aus den Beziehungen für die Schwerkraft mg = cos ↵ und der Scheinkraft m! 2 R = sin ↵, wobei R = r + L sin ↵ ist, leiten wir die Bedingung 0 = cos ↵ ! 2 (r +L sin ↵) g sin ↵ ab. Wir lösen diese trigonometrische Gleichung graphisch indem wir die rechte Seite (rhs) der Gleichung als Funktion von ↵ für vier Werte von ! auftragen (im Beispiel ist L = 0.1 m, r = 0.2 m, g = 9.81 kg m/s2 ). Physikalisch richtige Lösungen sind die Nullstellen im Bereich 0 < ↵ < 90 , siehe schwarze Pfeile im Bild rechts. Mathematisch richtig sind auch die Lösungen, die durch die grauen Pfeile (↵ > ⇡/2) angezeigt werden. 0 -20 -40 -60 0 1 2 3 4 a HradL 5 6 Aus der Sicht eines Beobachters auf der Erde wirkt die Kreisbeschleunigung m! 2 R in Richtung der Drehachse und die Schwerkraft mg im Lot auf den Körper. Ihre Addition liefert die Kraft mit dem das Seil den Körper unter dem Winkel ↵ hält. Zentrifuge: Hier befinden sich feste Partikel unterschiedlicher Dichte in einer Flüssigkeit. Ist deren Dichte größer als die der Flüssigkeit, dann kann die Flüssigkeit nicht genügend Kraft (Zähigkeit) aufbringen um die Partikel auf der Kreisbahn zu halten. In Folge wandern die Partikel nach außen. Umgekehrt werden Partikel mit einer Dichte kleiner als die der Flüssigkeit von der nach außen strebenden Flüssigkeit zum Achsenzentrum (nach innen) verdrängt. Technische Ultrazentrifugen erreichen Werte von ! 2 R bis über dem 100-fachen der Erdbeschleunigung. Ultrazentrifugen finden auch Verwendung in der Isotopentrennung für die Anreicherung von spaltbarem 235 U. Dieses Isotop ist nur zu etwa 0.7 % im natürlichen Uran vertreten. Für Kernreaktoren braucht man eine Anreicherung von 3-5 %, für Kernwaffen idealerweise 90 %. Dazu wird gasförmiges UF6 (Uranhexafluorid) entweder in Diffusion durch poröse Membranen oder in vielstufigen Ultrazentrifugen bei niedrigem Druck angereichert.