Climate Engineering und das Anthropozän Technische Eingriffe ins Klimasystem zwischen Hoffnung und Hybris? Thomas Bruhn European Research Centre 1 Impressum Titel: Climate Engineering und das Anthropozän - Technische Eingriffe ins Klimasystem zwischen Hoffnung und Hybris? Autor: Thomas Bruhn Herausgeber: Club of Rome - European Research Centre e.V. (http://www.clubofrome.net ) Erscheinungsjahr: 2016 Copyright: Weiterverbreitung nur mit Genehmigung des Autors Disclaimer Die Publikation gibt die Ansichten des Autors wieder, die nicht mit den Positionen des Club of Rome-European Research Centre e.V. übereinstimmen müssen. 2 INHALT 1. Das Anthropozän und die neue Rolle des Menschen im Erdsystem 4 2. Implikationen des Anthropozän-Begriffs für den Umgang des Menschen mit der Erde 5 3. Führt uns das Anthropozän in ein Zeitalter des Geoengineering? 6 4. Auf welche Weise kann Geoengineering zum Klimaschutz beitragen? 9 5. Ausblick – Unterwegs in ein bewusstes Anthropozän? 12 Erläuterungen 14 Literatur 15 3 1. Das Anthropozän und die neue Rolle des Menschen im Erdsystem Der Begriff des Anthropozän stammt aus der Erdsystemwissenschaft und wurde ursprünglich von Wissenschaftlern des International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP) rund um Will Steffen, Eugene F. Stoermer und Paul Crutzen geprägt[1, 2]. Der Begriff gründet sich in der Beobachtung gravierender Veränderung in den Indikatoren, mit denen das Erdsystem in seiner Gesamtheit beschrieben wird [3, 4]. Alle diese Veränderungen, so die Schlussfolgerung des IGBP, ließen sich dabei auf das direkte oder indirekte Wirken menschlicher Eingriffe ins Erdsystem zurückführen. Auf dieser Basis gründete die Erkenntnis, dass sich die Erde nunmehr in einer neuen geologischen Epoche befindet, nämlich einem Zeitalter, in dem die Menschheit in ihrer kollektiven Gesamtheit die bestimmende Kraft im Erdsystem darstellt. Die Erde befindet sich also nicht länger im Holozän, sie befindet sich im Zeitalter des Menschen – dem Anthropozän (von griechisch: Anthropos = der Mensch). Seit seiner ersten Nennung wurde der Begriff des Anthropozän im vergangenen Jahrzehnt in Kreisen weit über die Erdsystemwissenschaft hinaus diskutiert und vor Kurzem offiziell von der International Commission on Stratigraphy als neues Erdzeitalter bestätigt [5, 6]. Im Konzept des Anthropozän drückt sich jedoch kommt mehr aus als lediglich die Beobachtung, dass die Menschheit eine dominierende Rolle im Erdsystem erlangt hat. Vielmehr führt uns der Anthropozän-Begriff erstmalig in unserer Zivilisationsgeschichte vor Augen, dass die Menschheit als globales Kollektiv die Funktionsweise des Erdsystems in ihrer Gesamtheit beeinflusst, was letztlich die Lebensgrundlagen aller Menschen und Lebewesen mit einschließt. Diese Erkenntnis stellt einen gravierenden Wandel dar sowohl im menschlichen Selbstverständnis als auch im Verhältnis des Menschen gegenüber der Natur. Über Jahrtausende hinweg war das Wirken der Menschheit für den Zustand des Gesamtsystems Erde nur wenig bedeutsam. Wir entwickelten uns und veränderten zwar unsere Umgebung nach 4 unseren Vorstellungen, beispielsweise für Siedlungen oder Ackerbau, doch unser Einfluss auf die Erde blieb lange Zeit insgesamt gering. Selbst als die Folgen menschlichen Eingreifens lokal sichtbar wurden, wurde die Stabilität des globalen Gesamtsystems von unseren Eingriffen zunächst nicht beeinträchtigt. Während der letzten knapp 10.000 Jahre, dem Holozän, durchlief das Erdsystem eine Phase vergleichsweise stabiler klimatischer Rahmenbedingungen. Die Natur war für uns auf diese Weise gewissermaßen ein verlässlicher Rahmen, in dem wir Menschen uns bewegen konnten und dessen Stabilität außerhalb unseres Einflusses lag. Mit dem Anthropozän und der sogenannten „großen Beschleunigung“1 hat sich diese Situation geändert. Der Mensch ist zur dominierenden Kraft im Erdsystem geworden. Das bedeutet, dass wir mit unseren kollektiven Handlungen die Basis, auf der wir uns bewegen, grundlegend beeinflussen [2, 4]. Wir können die Stabilität des Gesamtsystems nicht mehr als selbstverständlich gegeben sehen, sondern der Zustand der Schöpfung wird von uns selbst und unserem Einfluss als Menschheit bestimmt. 2. Implikationen des Anthropozän-Begriffs für den Umgang des Menschen mit der Erde Die vielleicht wichtigste Konsequenz dieser Entwicklungen ist, dass der Menschheit im Anthropozän eine neue Dimension der Verantwortung zukommt. Unser Einfluss und unsere Eingriffe in das Gesamtsystem Erde bringen die Verantwortung mit sich, dafür Sorge zu tragen, dass die Auswirkungen unseres Handelns verträglich sind mit der Stabilität der Ökosysteme. Gleichzeitig verdeutlicht der Begriff des Anthropozän, dass die Menschheit in ihrer globalen Gesamtheit von unterschiedlich wirksamen Individuen eine kollektive Wirkung auf die Erde entfaltet.2 Das Narrativ des Anthropozäns etabliert einen globalen Bezugsrahmens, in dem die Menschheit in Ihrer Gesamtheit ebenso wie jeder Einzelne und alle Akteure innerhalb 5 des menschlichen Systems dazu herausgefordert werden, sich innerhalb dieses Rahmens bewusst zu verorten. Welche Strukturen und Dynamiken prägen das Verhalten des kollektiven Gebildes Menschheit und seine Wechselwirkungen mit dem Erdsystem? Wie wirken diese Dynamiken auf den Einzelnen und wie wirken die Handlungen des Einzelnen auf das große Ganze? Der Anthropozän-Begriff macht deutlich, dass all diese verschiedenen Handlungsebenen zusammenhängen und es tatsächlich „ein großes Boot“ gibt, in dem wir als globale Menschheit gemeinsam sitzen. In dieser Hinsicht lässt sich das Anthropozän vielleicht auch als ein neues Zeitalter der Verbundenheit begreifen. Es führt uns vor Augen, dass die Handlungen von uns Einzelnen und allen Akteuren über alle Unterschiedlichkeiten und Zielkonflikte hinweg auf vielfache und komplexe Weise miteinander verbunden sind und sich zu einem kollektiven Wirken verbinden, das es bewusst zu gestalten gilt. Dieser doppelte Wandel, in Hinblick auf die veränderte Verantwortung gegenüber der Natur insgesamt und in Hinblick auf die Bedeutung des Wirksam-Seins als globale Menschheit, könnte die wesentliche Voraussetzung sein, um den Herausforderungen der globalen Erwärmung zu begegnen. Denn je stärker das Bewusstsein ist für einen gemeinsamen globalen Bezugsrahmen (wie z.B. die Planetaren Grenzen [7] oder den sogenannten Nachhaltigkeits-„Doughnut“)[8] und daraus resultierende konkrete gemeinsame globale Anliegen (wie z.B. aktuell die Sustainable Development Goals (SDGs)), desto größer könnte auch der Antrieb sein, unser Handeln zum Wohle dieser übergreifenden Anliegen zu gestalten. 3. Führt uns das Anthropozän in ein Zeitalter des Geoengineering? Angesichts der Herausforderungen durch die globale Erwärmung wird derzeit verstärkt darüber diskutiert, was es konkret für die Menschheit bedeuten könnte, ihre 6 Verantwortung gegenüber der Stabilität des Erdsystems wahrzunehmen. Eines der Konzepte, das oft mit dem Anthropozän in Verbindung gebracht wird, ist das sogenannte Geoengineering oder Climate Engineering, vermutlich auch deshalb, weil beide Konzepte aus der Perspektive der Erdsystemforschung stammen und insbesondere vom Nobelpreisträger Paul Crutzen zur Diskussion gestellt und in Zusammenhang gebracht wurden.[1, 9] Unter dem Begriff des Climate Engineering wird eine Vielzahl von Vorschlägen zusammengefasst, mit Hilfe großskaliger Technologien gezielt ins Erdsystem einzugreifen, um der globalen Erwärmung entgegen zu wirken. Die konkreten Ideen dazu unterscheiden sich teilweise sehr stark und lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen. Die erste dieser Kategorien umfasst Ideen zur technischen Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre (genannt Carbon Dioxode Removal (CDR)) beispielsweise durch eine Düngung der Meere mit Eisenoxid oder durch chemische Abscheidung von CO2 aus der Luft und anschließende unterirdische Speicherung. Die andere Kategorien umfasst Maßnahmen, die Reflektivität der Erde zu erhöhen, um mehr Sonnenlicht zu reflektieren und dadurch die Erde zu kühlen (genannt Albedo Modification oder auch Solar Radiation Management).[10] Solch ein Strahlungsmanagement könnte beispielsweise durch eine Aufhellung von Wolken geschehen oder durch die Freisetzung von reflektierenden Aerosolpartikeln in der oberen Atmosphäre. Diese beiden Kategorien unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht sehr grundlegend voneinander. So adressieren Maßnahmen zum Strahlungsmanagement grundsätzlich eher das Symptom der globalen Erwärmung und könnten relativ schnell eine Wirkung auf das Klima entfalten. CDR Maßnahmen dagegen würden die physikalische Ursache des Klimawandels3 angehen und wären mit deutlich höheren Ressourceneinsatz verbunden und würden deutlich langsamer Wirkung entfalten. Die einzelnen Vorschläge zur technologischen Umsetzung von Geoengineering sind bisher insgesamt noch unzureichend verstanden und teilweise sehr umstritten, nicht zuletzt deshalb, 7 weil sie neben möglichen ökologischen und gesellschaftlichen Nebenwirkungen auch eine Reihe fundamentaler philosophischer und ethischer Fragen aufwerfen, die bisher ungeklärt sind.[11] Bei vielen Vorschlägen ist noch äußerst unklar, ob es angesichts der Komplexität des Erdsystems überhaupt möglich wäre, hinreichend kontrolliert einzugreifen, um die gewünschten Effekte zu erzielen, und was unerwünschte Nebenwirkungen wären. So könnten Eingriffe in den Strahlungshaushalt der Erde z.B. dazu führen, dass sich Niederschlagsmuster wie der Monsun signifikant verschieben, was wiederum die Trinkwasserversorgung ganzer Regionen beeinflussen könnte. Die Freisetzung von Aerosolpartikeln wiederum könnte beispielsweise dazu führen, dass die Konzentration von Ozon in der Ozonschicht reduziert wird. Ganz grundsätzlich bleibt unklar, inwieweit mögliche Geoengineering Eingriffe reversibel wären. Aufgrund der schieren Größe und Komplexität des Erdsystems hätten Wissenschaftler gewissermaßen kein Labor zur Verfügung, in dem z.B. Maßnahmen zum Strahlungsmanagement getestet werden könnten. Vielmehr wäre es wohl teilweise erst nach dem Einsatz einer global wirksamen Technologie möglich zu identifizieren, welche genauen Wirkungen und eben auch Risiken sie im Erdsystem entfalten würde. Zudem wäre es möglich, dass manche Nebenwirkungen von Eingriffen ins Erdsystem auch nach einem Ansatz der Technologien gar nicht messbar sein könnten, da es bisher keine dafür erforderlichen Messmethoden gibt. Im Einzelfall könnte es außerdem schwer bis unmöglich sein zu identifizieren, welche Entwicklungen im Erdsystem tatsächlich eindeutige Folgen eines technologischen Eingriffs wären und nicht durch andere Einflüsse zu erklären sind. Die genauen Folgen eines solchen Eingreifens könnten in einem solchen Fall also selbst im Nachhinein nicht konkret bewerten werden, was die Möglichkeiten für gezieltes Eingreifen entscheidend einschränken würde. Bei Vorschlägen zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zeichnet sich ab, dass die dafür notwendigen Technologien einen erheblichen Einsatz von Ressourcen und 8 große Mengen Energie benötigen würden. So wird geschätzt, dass für die Entfernung signifikanter Anteile der anthropogenen CO2-Emissionen Infrastrukturen geschaffen werden müssten4, die etwa vergleichbare Ausmaßen annehmen würden wie die bereits bestehende Energie-Infrastruktur, was wiederum mit weiteren Eingriffen in Ökosysteme und erheblichen finanziellen Investitionen verbunden wäre. Jenseits von technischen und ökologischen Aspekten werfen viele Vorschläge zum Geoengineering aber zum Teil auch schwierige Fragen dahingehend auf, wie sie politisch reguliert werden könnten. Es ist unklar, wer über einen möglichen Einsatz solcher Technologien entscheiden würde und wessen Interessen dabei berücksichtigt würden. Eine weit verbreitete Sorge ist beispielsweise, dass einzelne Länder oder Länderkoalitionen Maßnahmen zum Strahlungsmanagement durchführen könnten,5 wenn sie sich davon nationale oder regionale Vorteile versprechen. Denn während einzelne Ideen zum Geoengineering bereits unter internationalem Recht reguliert sind6, gibt es bisher keinen internationalen Vertrag, der Climate Engineering Maßnahmen übergreifend regulieren könnte. Es ist daher ein wesentliches Anliegen der aktuellen Aktivitäten im Bereich Climate Engineering, zunächst einen solchen regulativen Rahmen für die Erforschung und Entwicklung von Climate Engineering zu schaffen.7 4. Auf welche Weise kann Geoengineering zum Klimaschutz beitragen? Gegenwärtig, das muss ganz deutlich festgehalten werden, stellt Climate Engineering keine Alternative dar zur Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen. Viele Vorschläge, besonders zum Strahlungsmanagement, sind bisher kaum über das Ideenstadium hinaus entwickelt und werden auf absehbare Zeit hinaus nicht zum Umgang mit dem Klimawandel beitragen können. Hoffnungen auf die Wirksamkeit solcher Technologien sind daher sehr spekulativ und dürfen nicht dazu führen, dass andere Bemühungen zum Klimaschutz weniger ernst genommen werden. 8 Tatsächlich war die Sorge, dass Diskussionen um Climate Engineering zu falschen Hoffnungen führen 9 und damit den Klimaschutz behindern könnten, ein wesentlicher Grund dafür, warum es Wissenschaftler lange Zeit vermieden haben, überhaupt über das Thema zu sprechen.[13] Beim Thema der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre stellt sich die Situation etwas anders dar. Viele der in diesem Kontext diskutierten Vorschläge, insbesondere in Verbindung mit der unterirdischen Speicherung von CO 2, sind technisch grundsätzlich demonstriert und werden intensiv gefördert. Auch die Klimaschutzszenarien des IPCC9, die beispielsweise auch dem Pariser Abkommen zugrunde liegen, gehen davon aus, dass Technologien für sogenannte negative Emissionen im Laufe dieses Jahrhunderts in großem Umfang zur Verfügung stehen. Bisher stehen diese Technologien noch nicht in dem erforderlichen Maße zur Verfügung und können teilweise zudem mit problematischen Nebenwirkungen verbunden sein. Noch erscheint daher äußerst unklar, wie es möglich sein kann, auf nachhaltige Weise große Mengen negativer Emissionen zu erzeugen, um die vereinbarten Klimaschutzziele einzuhalten. Beispielsweise ist die am intensivsten diskutierte und entwickelte Technologie für negative Emissionen die sogenannte BECCS10 Technologie. Bei der BECCS Technologie soll Biomasse in großem Umfang dafür genutzt werden, Kraftwerke zu befeuern, um anschließend das bei der Verbrennung entstandene CO2 aus den Abgasströmen abzuscheiden und unterirdisch zu speichern. Unter anderem ist jedoch bisher nicht klar, wie die dafür erforderlichen großen Mengen Biomasse nachhaltig bereitgestellt werden können. So würden beispielsweise Landflächen, die für die Erzeugung von Biomasse für CO2-Entfernung genutzt werden, nicht mehr zur Verfügung stehen, um dort Nahrungsmittel anzubauen. Auf diese Weise könnten also Zielkonflikte zwischen der Vermeidung der globalen Erwärmung und der Bekämpfung von Hunger in der Welt entstehen. Auch eine Erzeugung von Biomasse für BECCS in den Ozeanen, wie sie unter dem Begriff „Ozean-Aufforstung“ vorgeschlagen wurde,[15] wäre mit erheblichen Eingriffen in die dortigen marinen Ökosysteme verbunden und könnte daher aus anderen Gründen problematisch sein. 10 Anhand solcher Beispiele wird erkennbar, dass der Einsatz von Geoengineering Technologien (ähnlich wie bei anderen Technologien oder menschlichen Eingriffen) mit neuen Wirkungen und Nebenwirkungen verbunden sein kann, die wiederum mit anderen Nachhaltigkeitszielen im Konflikt stehen können. Es gilt daher Strategien zu entwickeln, die möglichst viele Nachhaltigkeitsziele (nicht nur Klimaziele) auf ganzheitliche Weise miteinander verbinden, wobei zudem eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen der beteiligten Akteure miteinander in Einklang zu bringen sind. Angesichts dieser Herausforderungen erscheint es daher umso dringender, die bereits technologisch möglichen Maßnahmen zum Klimaschutz (wie z.B. den Umstieg auf erneuerbare Energien) zu intensivieren und die Dekarbonisierung der Wirtschaft insgesamt voran zu treiben.11 5. Ausblick – Unterwegs in ein bewusstes Anthropozän? Während der Anthropozän-Begriff zunächst einmal nur konstatiert, wie sich der Einfluss der Menschheit auf das Gesamtsystem Erde verändert hat, sagt die Idee des Anthropozäns nichts darüber aus, auf welche Weise die Menschheit mit dieser Rolle umgehen soll. Die Tatsache, dass die Menschheit zur dominierenden Kraft im Erdsystem geworden ist, sagt also nicht zwangsläufig etwas darüber aus, ob die Menschheit versuchen sollte, auch zur kontrollierenden Kraft im Erdsystem zu werden oder ob sie das überhaupt jemals sein könnte. Der Begriff des Anthropozäns fordert uns jedoch heraus, diesen veränderten Status Quo bewusst zu reflektieren und unsere veränderte Verantwortung anzunehmen. Nachdem wir Menschen im Laufe der letzten Jahrtausende unseren Einfluss über die Ökosysteme kontinuierlich ausgedehnt haben, konfrontiert uns das Anthropozän mit der Erkenntnis, dass wir mit dieser Entwicklung nun an die Belastungsgrenzen der Stabilität des Erdsystems stoßen. Da diese Stabilität des Erdsystems die Basis der vergangenen 10.000 Jahre Zivilisationsgeschichte darstellen, bedroht diese Entwicklung die Grundlage unserer 11 globalen Zivilisation und die Lebensgrundlagen vieler Menschen. Wir sind daher als globale Menschheit aufgefordert, unsere Rolle im Erdsystem bewusst zu gestalten und der mit ihr verbundenen globalen Verantwortung gerecht zu werden. Die globale Erwärmung einzudämmen ist nur eine der zentralen Herausforderungen, an denen wir zeigen können, wie gut wir diese Aufgabe annehmen können. Wie werden wir lernen, unser Handeln so zu koordinieren, dass die kollektiven Folgen unseres Tuns die Stabilität des globalen Rahmens wahren? Wie viel globale Einigkeit und völkerrechtlicher Rahmen wird dafür nötig sein und wie werden sich Handlungsspielräume für einzelne Akteure und Regionen darin manifestieren? Und welche Rolle kann Technologieentwicklung dabei spielen, diese Rolle möglichst verantwortungsvoll auszufüllen? Das Anthropozän-Konzept drängt uns keine unmittelbaren Antworten auf diese Fragen auf. Es suggeriert auch nicht die zwangsläufige Zukunft eines Zeitalters technologischer Dominanz des Menschen über die Erde, wie es von manchen interpretiert wird. Es führt uns vielmehr vor Augen, dass sich unsere vielen heterogenen Aktivitäten innerhalb der Menschheit zu einem großen Ganzen zusammenfügen, das die Geschicke des gesamten Erdsystems prägt. Dieses Bewusstsein einer globalen Verbundenheit könnte entscheidend dabei helfen, neue Ansätze und eine Art globaler Empathie 12 zu entwickeln, um global tragfähige Lösungen für die Zukunft zu finden und langfristig nachhaltiges Handeln innerhalb unseres globalen Rahmens zu ermöglichen13. Diesen Bewusstwerdungsprozess zu fördern und zugleich einen konkreten globalen Bezugsrahmen zu schaffen, in dem wir lernen können, uns und unsere zukünftige Entwicklung zu verorten, ist das große Potential des Anthropozän-Konzeptes. Die Auseinandersetzung mit ganz konkreten Vorschlägen zum Climate Engineering kann uns dabei helfen, uns auf diesen Erkenntnispfad einzulassen, und die neue Rolle der Menschheit und ihre Implikationen greifbar werden lassen. 12 Wie nicht nur die Beobachtungen des IGBP und der Planetarischen Grenzen zeigen, ist die Beziehung zwischen der Menschheit und der Erde aus den Fugen geraten. Es gilt, uns als globale Menschheit ebenso wie als Individuen mit der Erde zu versöhnen, auch um unsere eigenen Lebensgrundlagen zu erhalten. Ob und auf welche Weise Technologien uns in diesem Versöhnungsprozess unterstützen können, bleibt zu klären. Vielleicht besteht jedoch – viel mehr als wir manchmal glauben – ein großes Potential darin, zunächst bei uns selbst mit der Veränderung anzufangen, anstatt mithilfe immer größerer technologischer Eingriffe die Erde für unsere Zwecke zu verändern… 13 Erläuterungen 1 Der Begriff der „Great Acceleration“ bezieht sich auf die beschleunigten Veränderungen einer Vielzahl von Indikatoren des Erdsystems, die vom International Geosphere-Biosphere Program (IGBP) zusammengestellt und beschrieben wurden. (siehe hierzu insbesondere Steffen et al. (2015)) 2 Steffen et al. fassen diese Gleichzeitigkeit zusammen in der Formulierung, dass die Menschheit gemeinschaftlich aber in ungleicher Weise (collectively but unequally) im Erdsystem wirksam ist. 3 nämlich die Emissionen von CO2 (und möglicherweise auch anderen Treibhausgasen wie Methan) 4 etwa für die Abscheidung, den Transport und die unterirdische Speicherung von CO2 5 Bisherige Schätzungen der erforderlichen Kosten und Infrastrukturen legen nahe, dass einzelne Länder theoretisch sowohl technisch als auch finanziell in der Lage sein könnten, beispielsweise Strahlungsmanagement mithilfe von Aerosolpartikeln im Alleingang durchzuführen. 6 Beispielsweise ist Ozeandüngung unter der Londoner Konvention im Londoner Protokoll (LC/LP) verboten und lediglich zugelassen für einzelne, vorher zu prüfende und zu genehmigende Ausnahmen zu Forschungszwecken. 7 Eine mögliche Umsetzung hiervon wäre beispielsweise eine Zusammenführung des Londoner Protokolls (LC/LP), der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen (CBD) und der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Eine aktuelle und ausführliche Betrachtung und Bewertung möglicher Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken der wichtigsten Climate Engineering Technologien sowie Empfehlungen für einen angemessenen gesellschaftlichen und politischen Umgang mit diesen Technologien ist in einem aktuellen Bericht (EuTRACE) an die Europäische Kommission zu finden.12. Schäfer, S., et al., The European Transdisciplinary Assessment of Climate Engineering (EuTRACE): Removing Greenhouse Gases from the Atmosphere and Reflecting Sunlight away from Earth. 2015. 8 Dieses Argument, dass Diskussionen über Climate Engineering konventionellen Klimaschutz behindern könnten, wird auch als „moral hazard“ bezeichnet. 9 siehe hierzu beispielsweise Abb. 7.10. im Beitrag der Arbeitsgruppe III zum fünften Sachstands bericht des IPCC.14. Edenhofer, O., et al., eds. Climate change 2014: Mitigation of climate change. Working group III contribution to the fifth assessment report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. , ed. IPCC. 2014, Cambridge University Press: New York. 10 Biomasse mit Carbon Capture and Storage 11 Politische Signale zur Dekarbonisierung der Wirtschaft innerhalb dieses Jahrhunderts gingen beispielsweise auch vom G7 Gipfel 2015 in Elmau aus. 12 siehe hierzu beispielsweise die entsprechenden Ausführungen von Rifkin, Radermacher et al. oder Kapitel X bei Manemann. 16. Rifkin, J., Die empathische Zivilisation: Wege zu einem globalen Bewusstsein. 2010: Campus Verlag. 13 Für detaillierte Ausführungen zum Verständnis von Nachhaltigkeit im Anthropozän siehe beispielsweise 19. Töpfer, K., Nachhaltigkeit im Anthropozän. Nova Acta Leopoldina NF, 2013. 117(398): p. 31-40. 14 Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. Crutzen, P.J., Geology of mankind. Nature, 2002. 415(6867): p. 23-23. Steffen, W., P.J. Crutzen, and J.R. 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