Fremdheit – das Erleben von Männern, deren

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Originalarbeit
Fremdheit – das Erleben von Männern, deren
Partnerinnen nach der Geburt eines Babys psychisch
erkranken
Facing Strangeness: Perceptions of Men Whose Partners Became Mentally Ill
After Delivering a Baby
Autoren
Sabine Roebers1, Oliver Razum2, Katja Makowsky1
Institute
1
Schlüsselwörter
" Partner
●
" Väter
●
" postpartal
●
" psychisch erkrankte Mütter
●
Keywords
" partner
●
" father
●
" postpartal
●
" mentally ill mothers
●
InBVG – Institut für Bildungs- und Versorgungsforschung im Gesundheitsbereich, Fachhochschule Bielefeld
Fakultät für Gesundheitswissenschaften, AG Epidemiologie & International Public Health, Universität Bielefeld
Zusammenfassung
!
Anliegen: Wie erleben Partner postpartal psychisch erkrankter Frauen die Erkrankung und
psychiatrische Versorgung?
Methode: Narrativ-biografische Interviews mit
13 Partnern. Analyse mittels Grounded-TheoryMethodologie.
Einleitung
!
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0042-110417
Online-Publikation: 2016
Psychiat Prax
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0303-4259
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Katja Makowsky
Fachhochschule Bielefeld,
InBVG – Institut für Bildungsund Versorgungsforschung
im Gesundheitsbereich
Interaktion 1
33619 Bielefeld
katja.makowsky@fh-bielefeld.
de
Eltern werden gehört für viele Menschen zu den
zentralen Lebensereignissen und ist mit Hoffnungen und Erwartungen, aber auch mit psychosozialen Veränderungen verbunden [1]. Für Frauen,
die nach der Geburt des Kindes an einer psychischen Störung erkranken, geht der Übergang
zur Mutterschaft mit besonderen Herausforderungen einher [2]. Bei 10 – 15 % der Mütter tritt
innerhalb des ersten Jahres nach der Geburt eines
Kindes (Postpartalzeit) eine depressive Störung
auf [3], eine klinisch relevante Angststörung findet sich bei 11 % [4] und 0,1 – 0,2 % der Frauen leiden an einer schweren postpartalen Psychose [5].
Postpartale psychische Störungen der Mutter sind
komplexe Erkrankungen mit teilweise sehr
schweren und langwierigen Verläufen [6], die für
die gesamte Familie mit erheblichen Belastungen
einhergehen.
Die mütterliche Erkrankung beeinflusst die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung und steht in engem Zusammenhang mit kognitiven und sozialemotionalen Entwicklungsrisiken des Kindes
[7, 8]. In den letzten Jahren wurde auch die Perspektive der Mütter verstärkt in den Blick genommen, die ihre Elternschaft unter den spezifischen
Bedingungen einer psychischen Erkrankung erleben [2]. Im Vergleich dazu wurden die Konsequenzen der mütterlichen Erkrankung für die
Partner der Frauen nur selten thematisiert, ob-
Ergebnisse: Fremdheit dominiert das Erleben der
Partner in den Bereichen Beziehung zur Partnerin, Wahrnehmung der psychischen Störung sowie der psychiatrischen Versorgung.
Schlussfolgerung: Empfehlenswert sind die stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse der Partner sowie ihr Einbezug in die Behandlung der
Partnerin zur Unterstützung des Familiensystems.
wohl den Männern eine erhebliche Bedeutung
für den Behandlungserfolg ihrer erkrankten Partnerinnen zugeschrieben wird [9]. Ebenso kann
sich die psychische Störung der Frau negativ auf
die Gesundheit ihres Partners auswirken, dessen
Risiko für psychische Erkrankungen in der Postpartalzeit ebenfalls erhöht ist [10]. Die psychische
Gesundheit der Väter hat Auswirkungen auf die
Vater-Kind-Beziehung und beeinflusst die frühe
Verhaltens- und Emotionsentwicklung der Kinder [11].
International finden sich nur wenige Studien, die
den Fokus auf die Perspektive der Männer legen,
die in der Postpartalzeit mit der psychischen Störung der Partnerin konfrontiert werden [12 – 18].
Nationale Untersuchungen liegen dazu u. W. bislang noch nicht vor.
Im vorliegenden Beitrag werden folgende Fragen
untersucht: Wie erleben die Partner der Frauen
das erstmalige Auftreten der psychischen Störung
in der Postpartalzeit? Welche Erfahrungen machen die Männer mit der professionellen Versorgung der Partnerin? Welche Unterstützungsbedürfnisse lassen sich ableiten?
Basierend auf den Ergebnissen werden Hinweise
für eine nutzerorientierte Optimierung von Unterstützungsangeboten für Partner psychisch erkrankter Frauen in der Postpartalzeit abgeleitet.
Roebers S et al. Fremdheit – das … Psychiat Prax
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
2
Originalarbeit
Methode
!
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Studiendesign und Stichprobenauswahl
Das Erleben und die Erfahrungen der Partner wurden mittels
eines qualitativen Designs beschrieben. Das Vorgehen orientierte
sich am Ansatz der Grounded-Theory-Methodologie [19], die
hier jedoch nicht im Sinne der Theoriebildung, sondern mit dem
Ziel einer detaillierten Beschreibung und Konzeptualisierung der
Phänomene angewendet wurde.
Der Zugang zu den Studienteilnehmern erfolgte über psychiatrische Akutkliniken in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen
sowie über 2 spezialisierte Mutter-Kind-Behandlungszentren in
Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Aufrufe zur Studienteilnahme wurden in verschiedenen Medien platziert sowie Angehörigengruppen angefragt.
Das zentrale Einschlusskriterium für die Studienteilnahme war
das Erleben einer psychischen Störung der Partnerin innerhalb
des ersten Jahres nach der Geburt des Kindes. Zudem mussten
die Interviewpartner deutsch sprechen. Die Anzahl der Studienteilnehmer wurde anhand theoretischer Aspekte im Verlauf der
Datenerhebung und -analyse am Ziel der theoretischen Sättigung
orientiert [19].
vorgangs wird zudem bei der Ergebnisdarstellung exemplarisch
auf ausgewählte Interviewzitate verwiesen (empirische Verankerung).
Ethische Überlegungen
Vor Beginn der Datenerhebung lag das positive Ethikvotum der
Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft e. V. vor.
Ergebnisse
!
Die 13 Studienteilnehmer waren zwischen 27 und 56 Jahre alt;
alle waren die Väter des gemeinsamen Kindes bzw. der gemeinsamen Kinder mit der erkrankten Frau. Bei 10 Teilnehmern trat
die Erkrankung der Partnerin nach der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes auf, 3 Männer erlebten die Erkrankung nach
der Geburt des zweiten Kindes.
Der Erkrankungsbeginn der Partnerin lag zum Interviewzeitpunkt zwischen 5 Monaten und 33 Jahren zurück. Die Partner beteiligten sich während der stationären Behandlung der Partnerin,
am Tag der Entlassung, direkt im Anschluss an den Klinikaufenthalt oder auch retrospektiv nach mehreren Jahren an der Studie.
Hauptthemen
Datenerhebung
!
Die Datenerhebung erstreckte sich über den Zeitraum April 2014
bis September 2015. Es wurden 22 biografisch-narrative Interviews geführt [20], die zumeist im Wohnumfeld der Teilnehmer
stattfanden. Gemäß der Strategie des theoretischen Samplings
wurden 13 Einzelinterviews iterativ in die Analyse einbezogen.
Die Interviewsituation wurde mittels einer erzählgenerierenden
" Tab. 1).
Eingangsfrage eröffnet (●
Tab. 1
Narrative Erzählaufforderung.
„Ich möchte Sie bitten, mir Ihre Beziehungsgeschichte mit Ihrer Partnerin zu erzählen, also nicht nur von der Zeit nach der Geburt des Kindes.
Vielleicht beginnen Sie einmal zu erzählen, wie Sie zusammengekommen sind und wie sich Ihre Beziehung bis zum heutigen Tag entwickelt
hat!“
Entsprechend den Empfehlungen von Witzel kam zu Beginn der
Interviews ein Kurzfragebogen zum Einsatz, zum Abschluss wurde ein Postskriptum angefertigt [21]. Alle Interviewpartner
stimmten der digitalen Aufnahme und anschließenden wörtlichen Transkription der Interviews schriftlich zu. Die Interviews
dauerten zwischen 35 und 91 Minuten.
Datenanalyse
Die Auswertung des Interviewmaterials erfolgte unter Verwendung der Software MAXQDA [22] anhand der Methodologie der
Grounded Theory nach Strauss u. Corbin (1996). Sie wurde beendet, als auch durch Einbeziehung weiterer Daten keine neuen
Aspekte deutlich wurden. Die Qualität des Forschungsprozesses
wurde an übergreifenden Gütekriterien für qualitative Studien
gemessen [23]: Die Datenanalyse wurde durch eine interdisziplinäre Forschergruppe unterstützt, um diese auch für Außenstehende nachvollziehbar werden zu lassen (intersubjektive Nachvollziehbarkeit). Ausgewählte Ergebnisse wurden mit einzelnen
Interviewpartnern reflektiert (kommunikative Interpretationsabsicherung). Zur transparenten Darstellung des InterpretationsRoebers S et al. Fremdheit – das … Psychiat Prax
Das Erleben der befragten Männer, die sich in der Postpartalzeit
mit der psychischen Störung der Partnerin konfrontiert sahen,
wurde dominierend von „Fremdheit erleben“ (Hauptkategorie)
bestimmt. Die Fremdheit trat in unterschiedlichen Ausprägungen und Intensitäten auf und manifestierte sich in 3 verschiedenen Bereichen (Subkategorien): Beziehung zur Partnerin, Wahrnehmung der psychischen Störung sowie Erleben der professionellen psychiatrischen Versorgung.
Im Folgenden wird die Hauptkategorie mit ihren Subkategorien
auf Basis der empirischen Daten näher erläutert.
Die Partnerin als Fremde
In den Erzählungen der Teilnehmer nahm die Beziehung zur
Partnerin vor der Geburt des Kindes viel Raum ein. Die Männer
schilderten ihre vorgeburtliche Auseinandersetzung mit der anstehenden Vaterrolle und ihre gedankliche, emotionale und verhaltensbezogene Beteiligung an der Schwangerschaft der Partnerin. Es bildeten sich in diesem Kontext bereits Erwartungen an
die Zeit nach der Geburt des Kindes heraus.
Alle Teilnehmer beschrieben das Erleben des Auftretens der
Symptome der Störung in der Postpartalzeit als vollkommen unerwartet. In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden psychischen Störung unterschieden sich die Symptome der Partnerin in der Intensität und Entwicklungsgeschwindigkeit. Dies beeinflusste die Zeit, die zwischen dem Auftreten der Auffälligkeiten und der Diagnosestellung verging. Die Männer nahmen Auffälligkeiten im Verhalten der Partnerin wahr, die nicht vertraut
waren und zu Irritationen führten. Um Unsicherheiten zu reduzieren, versuchten sie diese Verhaltensweisen der Partnerin zunächst zu normalisieren, indem sie sie in den Kontext der Geburt
und hormonellen Anpassungen stellten. Bestärkt wurden die
Männer hierbei in der Regel von professionellen Akteuren aus
dem Bereich der Geburtsmedizin sowie vom eigenen sozialen
Umfeld:
„(…) das Problem ist natürlich, (…) direkt nach der Geburt, (…)
kommt diese Hormonänderung. Da sagt Ihnen ja jeder, der sich
damit auskennt oder nicht, ja, das ist ja alles völlig normal (…).“
[Am1: 18]
Die Männer beschrieben verschiedene Strategien, um die Normalisierung der Verhaltensweisen der Partnerin zu unterstützen.
Hierzu zählte, die Partnerin zu entlasten, damit sie sich Ruhe
gönnen konnte, aber auch der Versuch, mit Geschenken eine Verbesserung der Stimmungslage der Frau zu erzielen. Ebenso konnte auch Wut über das unverständliche Verhalten der Partnerin
auftreten. Der Partner versuchte, die Frau durch Vorwürfe zum
Einlenken zu bewegen:
„(…) dann hab ich nur gesacht, so jetzt reichts mal langsam, reiß
dich mal zusammen (…).“ [Am9: 7]
Da die Symptome anhielten, erlebten die Männer den Verlust des
Zugangs zur Partnerin. Das Verhalten der Frau konnte nicht mehr
logisch erklärt werden und eine partnerschaftliche Beziehung erschien unmöglich:
„(…) dann nach Hause (…) und ab dem Moment hat sie eigentlich ne absolute Diktatur installiert sozusagen, da war nichts
mehr zu machen, also überhaupt mit einfach mal freundlich rational reden, was heißt rational, einfach nur, partnerschaftlich
eine (Entscheidung) treffen, also ich hab einfach im Minutentakt
Befehle empfangen und die musste ich einfach ausführen (…).“
[Am21: 18]
Insbesondere der Zeitraum vor der Diagnosestellung wurde als
einschneidend und existenziell bedrohlich erlebt, da das eigene
Verhalten keine Besserung der Situation erbrachte und die Partnerin als vertraute Bezugsperson nicht mehr verfügbar war. In
der Konsequenz beschrieben die Männer ihre große Hilflosigkeit,
die zu Handlungsohnmacht führte. In der Regel schilderten sie in
dieser Situation ein auslösendes Ereignis, das dazu führte, professionelle Hilfe einzuschalten. Dieses Ereignis konnte mit einer
wahrgenommenen Bedrohung der Gesundheit des Kindes oder
der Partnerin einhergehen oder das Erleben der eigenen physischen und psychischen Grenzen markieren:
„(…) dann hab ich irgendwann gesacht so, ich zieh jetzt hier die
Reißleine, ich kann nicht mehr, (…) ich war glaub ich selten so, so
am Ende körperlich und im Geist auch, von der Psyche war das
echt, das war so kraftraubend was wir da durchgemacht haben,
dass ich gesacht hab, so heute packst Du Deine Sachen und ich
fahr Dich, ((seufzend)) (…) in die Klinik, ja in die Psychiatrie (…).“
[Am8: 5]
In einigen Fällen äußerte die Partnerin von sich aus den Wunsch
nach professioneller Behandlung. Lediglich 2 Männer beschrieben, dass professionelle Akteure die Initiative ergriffen und auf
die Notwendigkeit einer Behandlung aufmerksam machten.
Die Fremdheit psychischer Störungen
Vor Krankheitsbeginn der Partnerin hatten die Teilnehmer nur
sehr wenige Vorerfahrungen mit psychischen Störungen, sodass
sie nicht auf bestehende Erklärungskonzepte zurückgreifen
konnten, um die Erkrankung einzuordnen. Aufgrund dieser
Fremdheit psychischer Störungen fehlte es ihnen an konkreten
Vorstellungen über Verlauf, Dauer und Prognose der Störung. Zudem konnten sie nicht auf ein bestehendes Verhaltensrepertoire
zur Bewältigung der Krankheitskrise zurückgreifen. Die befragten Männer nutzten daher ihre Erfahrungen mit körperlichen
Akuterkrankungen als Bezugsrahmen. Das Erleben der psychischen Symptome führte die Männer jedoch an Grenzen. Die
aus ihrer Sicht geringe Anteilnahme durch das soziale Umfeld
führten sie auf die „Unsichtbarkeit“ psychischer Erkrankungen
zurück:
„(…) meine Überlegung war dann häufig auch (…), hätte meine
Frau sich eine Lungenentzündung geholt oder dergleichen oder
einen Bandscheibenvorfall oder dergleichen, dass dann wahr-
scheinlich das Mitgefühl insgesamt größer gewesen wäre (…)
als bei psychischen Erkrankungen, die vielleicht einfach nicht
sichtbar sind (…).“ [Am22: 28]
Aufgrund ihrer Unerfahrenheit mit psychischen Störungen fiel es
den Partnern oftmals schwer, in der Krankheitskrise geeignete
Ansprechpersonen im Versorgungssystem zu finden, um die Verantwortung für die Versorgung der betroffenen Frau an die Gesundheitsprofessionen abzugeben:
„(…) sie war dann bei ’ner Frauenärztin, beim normalen Arzt und
beim Psychologen. Die wurd’ dann immer so ein bisschen hin
und hergeschickt. Der eine hat dann das mit der Schilddrüse, der
Psychologe hat ’ne Depression festgestellt, die Frauenärztin hat
sofort gesagt: postnatale Depression (…).“ [Am6: 44]
Als hilfreich empfanden es die Männer, wenn Angehörige der geburtsmedizinischen Versorgung die Initiative ergriffen und die
Versorgungskoordination übernahmen, da hier in der vorgeburtlichen Phase zumeist bereits ein Vertrauensverhältnis entstanden war und die Kontinuität der Ansprechperson erhalten blieb.
Mit der Diagnosestellung war zunächst Erleichterung verbunden,
da dem unverständlichen Verhalten der Partnerin Sinn verliehen
werden konnte und die Behandlung einsetzte:
„(…) in gewisser Weise war diese Erkenntnis [Anm.: die Diagnose] auch vorteilhaft, es war dann einfacher darauf hinzuarbeiten,
also ne Psychiaterin aufzusuchen, das mit der Hausärztin zu besprechen (…) das war in gewisser Weise dann auch befreiend
also diese Erkenntnis (…).“ [Am22: 14]
Zu Beginn der Krankheitskrise wurde dem Behandlungsregime
der professionellen Helfer viel Vertrauen entgegengebracht und
es bestand eine hohe Bereitschaft, die Behandlung der Partnerin
zu unterstützen.
Erleben der psychiatrischen Versorgung
Die Männer schilderten ihren Eindruck vom psychiatrischen Versorgungssystem als „andere Welt“ [Am20: 42]. Aufgrund der spezifischen Lebensphase und der Gegenwart des Säuglings sahen
sich die Teilnehmer verglichen mit anderen Patienten und Patientinnen in der Psychiatrie in einer Sonderrolle. Nicht nur die
Versorgung der erkrankten Frau mussten sie hierbei berücksichtigen, sondern auch die Aufrechterhaltung der Mutter-Kind-Beziehung. Die Vermeidung der Trennung von Mutter-Kind hatte
für alle Männer höchste Priorität:
„(…) das war mir halt auch irgendwie von vornherein klar, es ist
ja auch total wichtig, dass das Kind so schnell wie möglich zu ihr
kommt, weil wer weiß, was wir da sonst verbrechen, (…), wenn
ich mir vorstelle, wenn die jetzt 3, 4 Monate vom Kind getrennt
ist (…).“ [Am1: 86]
Aufgrund der Schwere der mütterlichen Erkrankung erfolgte die
Unterbringung in einigen Fällen getrennt vom Kind auf einer
akut-stationären psychiatrischen Einrichtung. In diesem Setting
wurde die wahrgenommene Sonderrolle der jungen Familie nur
unzureichend berücksichtigt. Der Fokus der Behandlung lag ausschließlich auf der Patientin.
Während der stationären Behandlung der Partnerin wurden die
Kinder von den Vätern im häuslichen Umfeld versorgt. Die Väter
schilderten, dass die Übernahme der alleinigen Verantwortung
für das Kind eine große Herausforderung für sie darstellte, die
so nicht geplant war. Durch die Abwesenheit der Partnerinnen
mussten die Männer vielfältige Aufgaben im Haushalt übernehmen. Daher wurden oftmals Angehörige der erweiterten Familie,
insbesondere die Großeltern des Kindes, einbezogen, um die Betreuung des Säuglings bzw. die Versorgung von Geschwisterkindern gewährleisten zu können. Positiv erlebten die Männer, dass
Roebers S et al. Fremdheit – das … Psychiat Prax
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sie eine enge Beziehung zu ihrem Kind entwickelten und sich
recht bald sicher im Umgang mit ihm fühlten.
Aufgrund der oftmals großen Informationsdefizite bestand besonders zu Behandlungsbeginn der Partnerin eine erhebliche Unsicherheit. Die Männer erwarteten von den Gesundheitsprofessionen, insbesondere den Ärztinnen und Ärzten, über die Therapieplanung informiert und in die Behandlung einbezogen zu
werden. Sie erhofften alltagspraktische Verhaltenshinweise für
einen krankheitsangemessenen Umgang mit ihren Partnerinnen,
um die Behandlung aktiv unterstützen zu können. Die Männer
beklagten, dass sie von den Gesundheitsprofessionen vielfach
nicht wahrgenommen und in ihrer Unsicherheit alleingelassen
wurden. Der fehlende Überblick über das Behandlungsregime
konnte zu Frustration führen, wenn die erwarteten Fortschritte,
die am Verhalten der Frau festgemacht wurden, ausblieben oder
sich erst nach langer Behandlungsdauer einstellten. Dies konnte
das Vertrauen in die Versorgung und die professionellen Akteure
erschüttern und die Bereitschaft gefährden, die Behandlung zu
unterstützen.
Die Männer suchten in dieser Situation selbst nach Informationen, um Gewissheit über den Krankheitsverlauf zu erhalten. Oftmals fehlte es den Männern aufgrund der Unerfahrenheit mit
psychischen Störungen jedoch an hilfreichen Suchstrategien, sodass die gefundenen Informationen als widersprüchlich oder sogar angsterzeugend erlebt wurden. Andere Teilnehmer verfügten
über große Medienkompetenz und suchten schließlich eigeninitiativ nach alternativen Behandlungsformen, um die gemeinsame Behandlung von Mutter und Kind zu ermöglichen.
Das Vorhandensein von spezialisierten Mutter-Kind-Behandlungseinheiten bestärkte die Männer darin, ihre Familie in einer
„Sonderrolle“ im psychiatrischen Versorgungssystem zu sehen.
Die Möglichkeit der gemeinsamen Unterbringung von Mutter
und Kind wurde positiv erlebt. Aufgrund der begrenzten Zahl an
Behandlungsplätzen war jedoch für viele der befragten Männer
keine wohnortnahe Unterbringung ihrer Partnerin möglich, sodass die Aufnahme auf der Mutter-Kind-Station in vielen Fällen
auch eine erhebliche räumliche Trennung und nur geringe Kontaktmöglichkeiten mit der eigenen Familie im stationären Alltag
bedeutete. Die Männer konnten den stationären Tagesablauf
nicht miterleben und nahmen sich zumeist als „außen vor“ wahr:
„(…) aber ansonsten bin ich unter der Woche da so komplett
außen vor und am Wochenende muss ich halt versuchen diesen
Tagesrhythmus, den sie unter der Woche in dieser Klinik hat, von
dem ich keine Ahnung hab (zynisch lachend), muss ich versuchen
irgendwie einzuhalten (…).“ [Am6: 54]
Aufgrund der großen Bedeutung, die der Vermeidung einer Trennung von Mutter und Kind aus Sicht der Väter zukam, stellten die
Männer das eigene Bedürfnis, der Familie nah zu sein, zurück. Bei
der Bewältigung der Erkrankung der Partnerin waren sie hierbei
auf sich allein gestellt:
„(…) das ist alles irgendwie nicht so ganz einfach und ich stehe
relativ alleine da, so fühl ICH mich (…).“ [Am6: 84]
Die Strategien der Männer bestanden vielfach darin, sich in den
eigenen Alltag zurückzuziehen, die alltäglichen Verpflichtungen
wieder aufzunehmen und sich erst nach der Entlassung der Partnerin aus dem stationären Setting mit der Erkrankung auseinanderzusetzen:
„(…) und dann konnte alles abfallen, wo ich wusste die sind gut
aufgehoben, um die wird sich gekümmert, da konnt ich alles fallen lassen, ich hab alleine zwei Wochen gebraucht, um die Wohnung einigermaßen aufzuräumen (…).“ [Am13: 10]
Roebers S et al. Fremdheit – das … Psychiat Prax
Nur wenige Teilnehmer beschrieben, dass sie sich aktiv um professionelle Unterstützung für die eigene Person gekümmert hätten, um die Krise getrennt von der Partnerin aufarbeiten zu können.
Diskussion
!
Männer, deren Partnerin in der Postpartalzeit an einer psychischen Störung erkrankte, erleben Fremdheit in verschiedenen
Bereichen als zentrales Phänomen. Dieses Erleben hat Auswirkungen auf ihre Unterstützungsbedürfnisse.
Den Kern des Erlebens von Fremdheit bildet die wahrgenommene plötzliche und unerwartete Persönlichkeitsveränderung der
Partnerin durch das Auftreten der psychischen Störung nach der
Geburt des Kindes. Damit werden die Befunde der wenigen internationalen Studien zu diesem Thema gestützt [12 – 18]. Übereinstimmend konnte gezeigt werden, dass insbesondere der wahrgenommene Verlust der vertrauten Partnerin als große Belastung für die Männer erlebt wird. Die Partnerin scheint „vollkommen in ihrer Welt“ verloren [13] und emotional, psychisch und
physisch für die Männer abwesend zu sein [16]. Hiermit einher
geht die Erfahrung einer erheblichen Unsicherheit, die erst nach
dem Erhalt der Diagnose reduziert werden kann. Diese Ergebnisse bestätigen das von Karp u. Tanarugsachock (2000) [24] entwickelte Modell zum Erleben der Erkrankung über die Zeit aus
der Perspektive der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Demnach erleben die Angehörigen vor der Diagnosestellung zunächst eine Phase der emotionalen Anomie, in der Verwirrtheit über das unvertraute Verhalten des erkrankten Familienmitglieds auftritt. Erst der Erhalt der Diagnose schafft einen
medizinischen Bezugsrahmen, innerhalb dessen die Angehörigen
Hoffnung auf Genesung durch Behandlung schöpfen.
Es gibt Hinweise darauf, dass Partner von Frauen, die postpartal
psychisch erkranken, eine größere subjektive Belastung erleben
als Partner von Menschen, die in einer anderen Lebensphase an
einer schweren und anhaltenden psychischen Störung erkrankt
sind [25]. Die Väter sind in der Postpartalzeit besonders vulnerabel für die Entwicklung eigener psychischer Störungen, wenn die
Partnerin erkrankt ist [10]. Es ist davon auszugehen, dass sich die
Väter in der Postpartalzeit stärker für die Stabilisierung der Partnerin und der Familie verantwortlich fühlen als beim Auftreten
einer psychischen Störung in einer anderen Lebensphase [9, 15].
Selten wurde bislang die Bedeutung der Partnerschaftsqualität
für das Erleben des Übergangs zur Vaterschaft aus Sicht der Partner der betroffenen Frauen näher untersucht [26]. Professionelle
Akteure in der psychiatrischen Versorgungslandschaft sollten zukünftig dem Erleben von Fremdheit in der Beziehung zur erkrankten Partnerin besondere Aufmerksamkeit widmen. So können sie Belastungen der Männer rechtzeitig erkennen und die familiale Unterstützungsressource im Behandlungsprozess weitgehend aufrechterhalten sowie die Väter beim Erwerb positiver Bewältigungsstrategien unterstützen.
Das Wissen der Teilnehmer bezüglich der Möglichkeit des Auftretens psychischer Störungen in der Peripartalzeit war zu Erkrankungsbeginn der Partnerin defizitär. So bemerkten sie die
Symptome der Partnerin zwar frühzeitig nach der Geburt des
Kindes, konnten sie jedoch keiner Erkrankung zuordnen. Daher
nahmen die Männer zunächst keine professionelle Hilfe in Anspruch. Auch andere Studien fanden in der Bevölkerung häufig
ein unzureichendes Wissen über psychische Erkrankungen (engl.
„Mental Health Literacy“) [27, 28]. Die Konsequenzen dieses In-
Originalarbeit
mer wurde jedoch ein erheblicher Aufwand betrieben, um eine
größtmögliche Heterogenität im Datenmaterial sicherzustellen
und somit viele charakteristische Aspekte des Erlebens der Partner darstellen zu können. Dies implizierte auch, dass Männer in
unterschiedlichen Phasen im Krankheitsverlauf der Partnerin befragt wurden. Einige Partner erinnerten sich retrospektiv nach
vielen Jahren an den Erkrankungsbeginn der Frau in der Postpartalzeit. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Erinnerungen dieser Männer über die Zeit beeinflusst wurden. Die Erzählungen zum Erleben der Erkrankung der Partnerin unterschieden
sich jedoch nicht wesentlich von denen der Männer, deren Partnerinnen sich zum Interviewzeitpunkt noch in akuter stationärer
Behandlung befanden. Die Aussagen dieser Studienteilnehmer
zum Erleben der psychiatrischen Versorgung der Partnerin wurden jedoch aufgrund der Unterschiede im Versorgungssystem
von der Analyse ausgeschlossen, um die Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten. Im Rahmen dieser Studie wurden Partner
befragt, die mit der betroffenen Frau in einer Partnerschaft lebten. Es können daher keine Aussagen über das Erleben von Männern gemacht werden, die sich nach dem Erkrankungsbeginn
von ihren Partnerinnen getrennt hatten.
Schlussfolgerung
!
Partner von in der Postpartalzeit psychisch erkrankten Frauen
sind in besonderer Weise durch die Störung betroffen. Die Auswirkungen auf die Männer sollten im psychiatrischen Versorgungssetting stärker berücksichtigt werden. Dazu gehört auch,
Unterstützungsangebote für die Partner zu implementieren und
an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Insbesondere der Einbezug der Männer in Planung und Umsetzung der Behandlung ihrer
Partnerinnen kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Unsicherheiten abzubauen und den Männern den Übergang zur Vaterschaft trotz psychischer Störung der Partnerin zu erleichtern.
Konsequenzen für Klinik und Praxis
▶ Partner von postpartal psychisch erkrankten Frauen fühlen
sich im psychiatrischen Versorgungssystem fremd und orientierungslos.
▶ Empfehlenswert ist der stärkere Einbezug der Männer in
Therapieplanung und -umsetzung bei aufgetretenen psychischen Erkrankungen in der Peripartalzeit, um die familiale Unterstützung aufrechtzuerhalten sowie Belastungen
der Familie zu reduzieren.
▶ Im allgemeinpsychiatrischen Setting sollte die spezifische
Lebenssituation betroffener Familien systematischer beachtet und familienunterstützende Angebote ausgebaut
werden.
Förderung
Das Projekt wird gefördert im Rahmen des Programmes: NRW
Forschungskooperation U und FH des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Interessenkonflikt
!
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Roebers S et al. Fremdheit – das … Psychiat Prax
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formationsdefizits manifestieren sich unter anderem in einer geringen oder späten Inanspruchnahme angemessener Behandlungsmaßnahmen, Behandlungsabbruch und oftmals der Anwendung geringwirksamer Selbsthilfestrategien anstatt professioneller Therapie [27]. Trotz der regelmäßigen Kontakte zum
medizinischen Versorgungssystem in der Peripartalzeit werden
psychische Erkrankungen bei Müttern von den relevanten Berufsgruppen, wie beispielsweise Gynäkologen und Gynäkologinnen sowie Hebammen, nicht immer erkannt [29]. Die Sensibilisierung dieser Gesundheitsprofessionen für die Möglichkeit des
Auftretens psychischer Erkrankungen in der Familienbildungsphase sowie über Versorgungsmöglichkeiten betroffener Frauen
stellt eine wesentliche Voraussetzung dar, um die Erkrankungen
frühzeitig zu diagnostizieren und die Familien angemessen unterstützen zu können. Hier kann die Vernetzung der Geburtsmedizin und der Psychiatrie einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der Versorgungskontinuität leisten. Mütter, die nach der Geburt eines Kindes unter einer psychischen Störung leiden, werden oftmals durch Hilfsangebote nur schwer erreicht [30]. Hier
könnte eine aufsuchende Beratung durch ausgebildete Personen,
wie z. B. Pflegefachkräfte, Eltern in der frühen Familienphase präventiv unterstützen und gefährdete Mütter durch geeignete
Screeningverfahren frühzeitig erkennen [31]. Besondere Bedeutung kommt auch der Information und Aufklärung der Väter
über Unterstützungs- und Versorgungsangebote zu, da sie in vielen Fällen die ersten sind, die Symptome einer Erkrankung bei
der Partnerin bemerken. Die Einbindung von Themen zur psychischen Gesundheit und Unterstützungsangeboten in der Postpartalzeit in geburtsvorbereitenden Kursen könnte eine geeignete Möglichkeit darstellen, Informationen an werdende Eltern zu
vermitteln.
Auch im Rahmen der psychiatrischen Versorgung der erkrankten
Frauen bemängelten die Teilnehmer ein defizitäres Informationsmanagement der Gesundheitsprofessionen und eine nur geringe Berücksichtigung der spezifischen Lebenssituation der betroffenen Familien. Dieser Befund stützt die Ergebnisse anderer
nationaler Studien, dass sich Angehörige psychisch erkrankter
Menschen mehr Informationen über die Erkrankung sowie das
Behandlungsregime von den professionellen Akteuren wünschen
[32, 33].
Bemerkenswert war, dass alle Väter der Mutter-Kind-Beziehung
höchste Priorität einräumten und eine Trennung von Mutter und
Kind unbedingt vermieden werden sollte, um negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes zu vermeiden. Die Männer akzeptierten hierfür die Trennung von der eigenen Familie
und eine reduzierte Kontaktmöglichkeit mit dem eigenen Kind.
Im Unterschied dazu berichteten Männer, deren Partnerin auf
einer allgemeinpsychiatrischen Einrichtung behandelt wurde,
von Sicherheit im Umgang und einer engen Beziehung mit ihren
Kindern. Auch Marrs u. Kollegen (2014) [17] konnten aufzeigen,
dass die Väter im Kontext der Behandlung der erkrankten Mütter
auf einer Mutter-Kind-Einheit, die eigene Person zurückstellten,
um die Beziehung der Mutter zu ihrem Kind zu stärken. Da auch
die Vater-Kind-Beziehung Auswirkungen auf die Gesundheit und
Entwicklung der Kinder hat [11], erscheint der stärkere Einbezug
der Väter in Planung und Durchführung der Behandlung der erkrankten Mutter auf der Mutter-Kind-Station empfehlenswert,
um den Vätern die Möglichkeit zu geben, trotz der psychischen
Erkrankung der Partnerin in ihre Vaterrolle hineinzuwachsen.
Bei der Betrachtung der Ergebnisse müssen einige Limitationen
berücksichtigt werden. Bei einer qualitativen Studie wird keine
Repräsentativität angestrebt. Bei der Rekrutierung der Teilneh-
Originalarbeit
Abstract
Facing Strangeness: Perceptions of Men Whose Partners Became Mentally Ill After Delivering a Baby
!
Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung
Objective: This study explores men’s perceptions of their partners’ postpartum psychiatric disorders and their experiences of
acute mental health care.
Methods: Interviews were conducted with 13 men who had experienced postpartum psychiatric disorders of their partners.
Data were analysed using grounded theory methodology.
Results: Fathers were affected by their partners’ postpartum psychiatric disorder and inpatient treatment. The core category
found is the experience of strangeness. The men were faced with
a changed partner, an unknown disorder and a confusing mental
health care system.
Conclusion: Fathers wanted to support their partners but felt
rarely noticed by mental health care providers. Increased awareness of fathers’ needs, such as being informed and involved in
their partner’s care planning, is recommended to promote the
whole family system.
Literatur
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