J ahr es t agung2013 Vom Konf l i ktzurLös ung: Et hi s cheEnt s chei dungs wege i nderBi omedi zi n 10. 12.Okt ober2013 München Pr ogr amm undAbs t r act s i nZus ammenar bei tmi tdem I ns t i t utf ürEt hi k,Ges chi cht eundTheor i ederMedi zi n unddem MünchnerKompet enzzent r um Et hi k( MKE)der Ludwi gMaxi mi l i ans Uni ver s i t ätMünchen Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Namen von Julian Nida-Rümelin, Sprecher des Münchner Kompetenzzentrums Ethik (MKE), und dem Team meines Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin möchte ich Sie bzw. Euch sehr herzlich zur diesjährigen Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) in München begrüßen. Unter dem Titel „Vom Konflikt zur Lösung: Ethische Entscheidungswege in der Biomedizin“ wird sich die Tagung mit der Frage beschäftigen, wie medizinethische Entscheidungen in der Medizin und im Gesundheitswesen in einer transparenten und vor allem gut begründeten Art und Weise getroffen werden können. Wir möchten dabei eine Brücke schlagen zwischen ethischer Theoriebildung und konkreten Entscheidungen in der Praxis. Neben den Grundlagen ethischer Konfliktlösungen widmen sich die Plenarsitzungen deshalb ethischen Abwägungen auf verschiedenen Ebenen, vom Einzelfall über ethische Komitees bis hin zum politischen Raum. Freie Vorträge in sechs parallelen Sektionen zu unterschiedlichen Fragen medizinethischer Entscheidungsfindung vervollständigen das Programm. Insgesamt hoffen wir, mit dieser Tagung einen Beitrag zur Methodenreflexion in der biomedizinischen Ethik leisten zu können. Die Präkonferenz-Praxisworkshops bieten Angehörigen der Gesundheitsberufe und Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in verschiedenen Methoden der Medizinethik zu vertiefen. Wir danken allen Mitwirkenden, die durch ihre wissenschaftlichen, organisatorischen oder finanziellen Beiträge zum Gelingen der Tagung beitragen, und wünschen Ihnen bzw. Euch einen interessanten und vor allem fruchtbaren Aufenthalt hier bei uns in München! Georg Marckmann (Tagungspräsident & Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin) 1 Veranstalter: Akademie für Ethik in der Medizin e.V. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin und Münchner Kompetenzzentrum Ethik (MKE) der Ludwig-Maximilians-Universität München Tagungsleitung: Georg Marckmann, Ralf Jox & Oliver Rauprich, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der LMU Tagungsort: Hauptgebäude der LMU München, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München (Eingang: Amalienstraße 1) Kontaktadresse: Akademie für Ethik in der Medizin e. V. Humboldtallee 36, D-37073 Göttingen Tel.: +49 (0) 551 / 39 -9680, Fax: +49 (0) 551 / 39 -33996 E-Mail: [email protected], Internet: www.aem-online.de 2 Inhaltsverzeichnis Tagungsprogramm............................................................................................................................................. 5 Abstracts Plenarsitzungen ................................................................................................................................. 9 Abstracts Freie Vorträge in parallelen Sektionen ............................................................................................ 10 Abstracts Posterpräsentationen ...................................................................................................................... 22 Eingeladene Referenten .................................................................................................................................. 31 Personenregister ............................................................................................................................................. 32 3 Tagungsprogramm 11.30 – 13.00 Uhr Plenarsitzung 2: Methoden ethischer Abwägung im Praxistest Hörsaal M218 Fallpräsentation: Eva Winkler (Heidelberg) Micha H. Werner (Greifswald): Deontologie Bernward Gesang (Mannheim): Konsequentialismus Oliver Rauprich (München): Kohärentismus („principlism“) Hartmut Remmers (Osnabrück): Care-Ethik Moderation: Georg Marckmann (München) Donnerstag, 10. Oktober 2013 13.00 – 15.00 Uhr Präkonferenz-Praxisworkshops K. Kühlmeyer, J. Schildmann: Qualitative Forschungsmethoden in der Medizinethik Hörsaal M105 R. J. Jox, E. C. Winkler: Entwicklung und Evaluation medizinethischer Leitlinien Hörsaal M114 O. Rauprich, N. Paulo: Prinzipienethik in der Praxis Hörsaal M110 Parmenides-Foundation: Neue Ansätze zur Unterstützung kognitiver und ethischer Exzellenz in der medizinischen Praxis Hörsaal M109 13.00 – 14.00 Uhr Mittagspause StuCafé Adalberstraße 15.30 – 17.30 Uhr Mitgliederversammlung der AEM Hörsaal M210 14.00 – 14.30 Uhr Posterbegehung Hörsaal M209 18.00 – 19.30 Uhr Eröffnungsveranstaltung Hörsaal M218 Julian Nida-Rümelin (München): Ethische Deliberation in pluralistischen Gesellschaften Anschließend Stehempfang im Lichthof 14.30 – 16.30 Uhr Freie Vorträge in parallelen Sektionen Sektion 1: Entscheidungen in der Ethikberatung Hörsaal M114 M. Coors, A. Dörries: Moderieren oder beraten? Evaluative und normative Aspekte ethischen Urteilens in Fallbesprechungen A. May, M. Schochow, F. Steger: Die Moderation von Ethik-Fallberatungen. Ergebnisse eines Videoworkshops S. Salloch, P. Ritter, J. Vollmann, S. Wäscher, J. Schildmann: Was ist ein ethisches Problem und wie finde ich es? Methodologische Fragen der Identifikation ethischer Probleme am Beispiel einer qualitativ-empirischen Studie zur Entscheidungspraxis in der Onkologie I.V. Szlezák: Zum Status des moralischen Subjekts in der ethischen Entscheidungsfindung. Philosophische Überlegungen am Beispiel der Klinischen Ethikberatung Moderation: Annette Riedel (Esslingen) Freitag, 11. Oktober 2013 09.00 – 09.30 Uhr Eröffnung der Tagung und Grußworte Hörsaal M218 09.30 – 11.00 Uhr Plenarsitzung 1: Grundlagen ethischer Konfliktlösungen Hörsaal M218 Thomas Schmidt (Berlin): Moralische Konflikte und die Reichweite ethischer Theorien Jeremy Sugarman (Baltimore): Bioethical conflicts and the roles of empirical evidence Moderation: Bettina Schöne-Seifert (Münster) 11.00 – 11.30 Uhr Kaffeepause Räume M 210/M 209 5 Sektion 2: Entscheiden über das Lebensende Hörsaal M105 M.-L. Raters: Das Säuglings-Dilemma: Eine NagelProbe G. Neitzke: Entwicklung und Anwendung eines „Dokumentationsbogens Therapiebegrenzung“ zur prozeduralen Absicherung von Entscheidungen am Lebensende M. Haas, H. Kohlen: Wer entscheidet am Lebensende? Entscheidungsfindungsprozesse zur PEGErnährung bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz. Die Rollen der Pflegenden A. Walker: Ethische Entscheidungen in Hospizen aus der Sicht von Pflegekräften. Ergebnisse einer qualitativen Studie in drei Hospizen in NordrheinWestfalen Moderation: Fred Salomon (Lemgo) Samstag, 12. Oktober 2013 09.00 – 10.30 Uhr Freie Vorträge in parallelen Sektionen Sektion 4: Ethische Abwägungen Hörsaal M114 M. Langanke: Abwägung mit Maß? Empirischethische Untersuchungen zur Abwägungspraxis im Tierversuchswesen N. Paulo: Spezifizierung und Abwägung in ethischen Entscheidungen R. Kipke: Das Richtige und das Gute in der Abwägung Moderation: Ralf Stoecker (Bielefeld) Sektion 5: Grundlagen ethischer Entscheidungen Hörsaal M105 E. Romfeld: Kann es Klinische Ethik ohne Metaethik geben? J. Schildmann, S. Salloch, S. Wäscher, J. Vollmann: Der Beitrag qualitativer Sozialforschung zur Lösung medizinethischer Konflikte F. Kliesch: Informelle Infrastrukturen von Entscheidungskontexten: Kompetenzen und Techniken der Klinikseelsorge in ethischen Entscheidungsprozessen Moderation: Alfred Simon (Göttingen) Sektion 3: Workshop der AG Sprache und Ethik Hörsaal M110 Macht Sprache Ethik? Der Einfluss sprachlicher Darstellungs- und Kommunikationsformen auf ethische Entscheidungen Moderation: Silke Schicktanz (Göttingen) 16.30 – 17.00 Uhr Kaffeepause Räume M 210/M 209 17.00 – 18.30 Uhr Plenarsitzung 3: Institutionalisierte Abwägungsprozesse in der klinischen Praxis Die Rolle des Ethikberaters: Moderation – Mediation – Beratung? Hörsaal M218 Stella Reiter-Theil (Basel) Kurt W. Schmidt (Frankfurt) Klaus Kobert (Bielefeld) Alfred Simon (Göttingen) Moderation: Gerald Neitzke (Hannover) Sektion 6: Ethik und Politik Hörsaal M110 D. Strech: Neue Konflikte nach der Lösung. Herausforderungen im Rahmen normativer Versorgungsforschung und biopolitischer Einflussnahme C. Jung: Ethikkommissionen in der Politik – Weichenstellung vor Beratungsbeginn? C. Fourie, V. Wild: „Public accountability“ und die Ethik der Entscheidungen in der Schweizerischen Gesundheitsreform Moderation: Jochen Taupitz (Mannheim) 19.30 Uhr Konferenzdinner „Der Pschorr“, Viktualienmarkt 15, 80331 München mit Rainer Erlinger (Berlin) 10.30 – 11.00 Uhr Kaffeepause Räume M 210/M 209 6 11.00 – 12.30 Uhr Plenarsitzung 4: Ethische Abwägungen im politischen Raum Podiumsdiskussion mit kurzen Eingangsstatements Hörsaal M218 Wolf-Michael Catenhusen (Berlin): Politik Kristiane Weber-Hassemer (Frankfurt a.M.): Recht Claudia Wiesemann (Göttingen): Ethik Silke Schicktanz (Göttingen): Bürgerbeteiligung Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München): Kirche Moderation: Jochen Taupitz (Mannheim) 12.30 – 13.00 Uhr Abschluss der Tagung, Verabschiedung 7 Abstracts Plenarsitzungen P1 1b Bioethical conflicts and the roles of empirical evidence J. Sugarman, H. M. Meyerhoff Berman Institute for Bioethics, Baltimore Grundlagen ethischer Konfliktlösungen 1a Moralischer Konflikte und die Reichweite ethischer Theorien T. Schmidt Institut für Philosophie, HU Berlin Distinguished from normative ethics, empirical research in bioethics can be defined as the application of research methods in the social sciences (e.g., anthropology, epidemiology, psychology, and sociology) to the direct examination of issues in bioethics. As such, the methods employed may be qualitative (e.g., interviews, observations, and content analyses) and/or quantitative (e.g., metaanalyses, surveys, psychological instruments, and controlled studies). The data generated from these studies can inform work in bioethics, including scholarship, policies, and practices, in a variety of ways. First, purely descriptive studies can provide information about moral beliefs or practices. Second, established or new norms can be tested. Third, facts relevant to normative arguments can be described. Fourth, likely consequences of practices can be assessed. Fifth, normative theories can be tested. Sixth, demonstration projects can be performed. After discussing these roles in relation to conceptual work in bioethics, I will describe briefly two examples where empirical evidence has played a role in illuminating discourse in bioethics. In particular, I will describe some empirical work related to the terminology used to describe research prompted considerable efforts regarding the quality of informed consent and a meta-analysis that illustrated problematic aspects of ‘conclusions’ regarding the appropriateness of using placebo controls in research. While empirical data can play important roles in informing bioethical debates and discussions, it is crucial that generating these data use rigorous methods and those using these data are alert to their limitations. Von ethischen Theorien wird häufig nicht nur theoretische Klärung, sondern auch praktische Orientierung erwartet. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Situationen, in denen widerstreitende moralische Gesichtspunkte gegeneinanderstehen. Konflikte dieser Art stehen regelmäßig auch im Zentrum medizin- und bioethischer Diskussionen. In meinem Vortrag gehe ich der Frage nach, wie ethische Theorien den genannten Erwartungen Rechnung tragen können. Hierfür untersuche ich theoretische Entwürfe unterschiedlicher Reichweite, um sie mit Blick auf ihre Leistungsfähigkeit und ihre strukturelle Attraktivität hin zu vergleichen. Im Ergebnis breche ich eine Lanze für diejenige Form ethischer Theoriebildung, die einen Schwerpunkt auf die möglichst präzise Benennung und Charakterisierung moralisch relevanter Gesichtspunkte legt und die Bildung eines abschließenden Urteils darüber, wie diese Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen sind, mehr oder weniger weitgehend der individuellen moralischen Urteilskraft anheimstellt. Konzeptionen dieser Art sind, wie ich argumentiere, weitaus attraktiver, als häufig gemeint wird. Dies ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil die einzig vertretbare Alternative, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, in solchen Theorien besteht, die dem Einzelnen das moralische Nachdenken nahezu vollständig aus der Hand nehmen. Solche Entwürfe kann man mit Recht als starr und unhandlich empfinden. 9 Abstracts Freie Vorträge in parallelen Sektionen S1 Schlussfolgerungen: (1) Leitfäden für ethische Fallbesprechungen übersetzen normative Prinzipien in Regeln für einen Gesprächsprozess. (2) Die Leitfäden geben damit einen Rahmen vor, innerhalb dessen die Beteiligten evaluative ethische Urteile bilden und miteinander kommunizieren können. (3) Aufgabe des Moderators ist es, darauf zu achten, dass die normativen Prinzipien, die den Gesprächsprozess strukturieren, eingehalten werden. Er muss für sich klären und kommunizieren, ob und inwieweit seine eigenen evaluativen ethischen Urteile in das Gespräch einfließen sollen (Berater- vs. Moderatorenmodell). Entscheidungen in der Ethikberatung 1a Moderieren oder beraten? Evaluative und normative Aspekte ethischen Urteilens in Fallbesprechungen M. Coors (), A. Dörries Zentrum für Gesundheitsethik, Hannover Problemstellung: Fallbesprechungen als moderierte Prozesse der Entscheidungsfindung in ethischen Konfliktsituationen etablieren sich zunehmend im klinischen Bereich und allmählich auch in der stationären Altenpflege. Bezüglich der Frage, auf welche Art und Weise in Fallbesprechungen unterschiedliche Geltungsansprüche miteinander vermittelt werden und welche Rolle der Moderator bzw. die Moderatorin der Fallbesprechung hierbei spielt, bestehen allerdings Unklarheiten: Inwieweit soll er in den Prozess der Urteilsbildung der Gruppe eingreifen? Ist er neutraler Moderator oder bringt er sich als Berater mit seiner Werthaltung in den Prozess der Urteilsbildung ein? Methodik: Im ersten Teil wird eine theoretische Grundlegung geboten, die von der Diskursethik (Habermas) ausgehend die Unterscheidung zwischen evaluativen und normativen ethischen Urteilen einführt. Während evaluative ethische Urteile vor dem Hintergrund inhaltlich gefüllter Überzeugungen über das gute Leben gefällt werden, kann normative Verbindlichkeit nur für Kriterien erreicht werden, die den Prozess der Urteilsbildung strukturieren. Die gängigen medizinethischen Prinzipien (Selbstbestimmung, NichtSchaden, Wohltun, Gerechtigkeit) werden in diesem Sinne als Normen interpretiert. Vor diesem Hintergrund werden unterschiedliche Leitfäden für die ethische Fallbesprechung (u.a. Nijmegener Leitfaden) daraufhin analysiert, auf welche Weise sie der Unterscheidung zwischen evaluativem und normativem ethischen Urteil Rechnung tragen und wie die Rolle des Moderators im Blick auf diese Unterscheidung bestimmt wird. 1b Die Moderation von Ethik-Fallbesprechungen. Ergebnisse eines Videoworkshops A. May (), M. Schochow, F. Steger Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Nach den Standards zur Ethikberatung des Vorstands der AEM verbindet sich bei der Moderation einer Ethik-Fallberatung „Moderationskompetenz mit ethischer Expertise“. Die Eigenheiten der Moderation sind bislang kaum beschrieben. Ein erstes Dokument zur Strukturierung einer EthikFallberatung stellt der Bochumer Arbeitsbogen von 1986 mit Hinweisen zur Gestaltung des Gesprächsprozesses dar. In Folge gab es Variationen des Ablaufbogens und der Strukturinstrumente für spezielle Kontexte. Inwieweit sich Elemente und Abläufe der Strukturinstrumente in der Praxis identifizieren lassen, war Gegenstand eines von uns Ende 2012 durchgeführten videogestützten Simulationsworkshops. Dabei wurde mit Mitgliedern unterschiedlicher Professionen eines Klinischen Ethikkomitees eines Universitätsklinikums eine vorher unbekannte identische Konfliktsituation von mehreren langjährig erfahrenen Ethikberatern moderiert. Die Auswertung der Ethik-Fallberatungen hat Unterschiede (1) bei den Vorgesprächen zu Länge und Detailliertheit deutlich gemacht. Neben der unterschiedlichen Strukturierung des Beratungsprozesses wurden beim Videoworkshop (2) die differenzierten Vorgehensweisen zur Kon10 fliktbearbeitung sichtbar. Dabei wurde neben den formalen Kriterien das (3) strukturierte inhaltliche Vorgehen deutlich. Der Beitrag stellt Überschneidungen und Unterschiede der individuellen Moderationsansätze dar. Quantitativ werden die Gesprächszeiten der Teilnehmer erfasst. Die qualitative Auswertung der Moderationspraxis zeigt, welchen Einfluss die langjährige Praxis der Durchführung von EthikFallberatungen auf die Wahl der inhaltlichen Schwerpunkte der Moderation hat. Dies erklärt, dass die Beratungsergebnisse der vorgegebenen identischen Konfliktsituation voneinander abweichen. Im Beitrag werden Folgerungen für die Ausbildung von Ethikberatern und die Durchführung von Ethik-Fallberatungen diskutiert. ist die Entwicklung einer dem spezifischen Kontext angepassten empirisch-ethischen Intervention zur Unterstützung der Entscheidungsfindung bei Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung. Im Rahmen der ersten Phase dieser Studie werden zu diesem Zweck mit Hilfe einer qualitativen Forschungsmethodik (nicht-teilnehmende Beobachtung und semistrukturierte Interviews) Zusammenhänge identifiziert und charakterisiert, die als ethische Probleme aufgefasst werden können. In diesem Kontext müssen Lösungsansätze für unterschiedliche theoretische Herausforderungen entwickelt werden. Exemplarisch wird im Beitrag der Umgang mit folgenden Fragen vorgestellt: a) Sollte die Identifikation ethischer Probleme ausschließlich durch die an der Handlungspraxis beteiligten Personen („stakeholder“) erfolgen? b) Inwiefern ist zur Identifikation ethischer Probleme ethisch-theoretische Expertise erforderlich? c) Welche Bedeutung hat die Auswahl eines spezifischen ethisch-theoretischen Hintergrundes für die Identifikation und spätere Analyse ethischer Probleme in einem empirischethischen Forschungsprojekt? Ausgehend von diesen Fragen macht der Beitrag deutlich, welche theoretischen Vorentscheidungen der Kennzeichnung bestimmter sozialer Zusammenhänge als „ethisches Problem“ zugrunde liegen. Weiterhin wird aufgezeigt, wie mit diesen Anforderungen im Rahmen eines empirischethischen Forschungsprojektes forschungspraktisch umgegangen wird. Ziel ist hierbei die Entwicklung eines ethisch-theoretisch rückgebundenen und sozialwissenschaftlich reflektierten Modells der Identifikation ethischer Probleme innerhalb einer sozialen Praxis. 1c Was ist ein ethisches Problem und wie finde ich es? Methodologische Fragen der Identifikation ethischer Probleme am Beispiel einer qualitativ-empirischen Studie zur Entscheidungspraxis in der Onkologie S. Salloch (), P. Ritter, J. Vollmann, S. Wäscher, J. Schildmann NRW-Nachwuchsforschergruppe „Medizinethik am Lebensende: Norm und Empirie“, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum Die Identifikation ethischer Probleme in der medizinischen Praxis im Rahmen empirischqualitativer Untersuchungen ist mit einer Reihe von theoretischen Herausforderungen verbunden. Medizinethische Probleme sind nicht „objektiv vorhanden“, sondern werden durch betroffene Personen und Forscher als solche aufgefasst und benannt. Theoretische Vorentscheidungen, die in diesem Kontext getroffen werden müssen, betreffen etwa die Abgrenzung ethischer Probleme von anderen, praktisch relevanten, Problemstellungen oder die Frage, welchen Personen die „Definitionsmacht“ zur Auszeichnung ethischer Probleme zukommt. Die Frage nach den theoretischen Voraussetzungen einer Kennzeichnung bestimmter Sachverhalte als „ethisches Problem“ wird in der Medizinethik jedoch selten explizit thematisiert. Der Beitrag wird die Frage nach Wegen zur Identifizierung ethischer Probleme anhand des Beispiels einer empirisch-ethischen Studie in einer onkologischen Klinik analysieren. Ziel der Studie 11 S2 1d Zum Status des moralischen Subjekts in der ethischen Entscheidungsfindung. Philosophische Überlegungen am Beispiel der Klinischen Ethikberatung I.V. Szlezák Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Universität Tübingen Entscheiden am Lebensende 2a Das Säuglings-Dilemma: Eine Nagelprobe M.L. Raters Institut für Philosophie/Institut für LER, Universität Potsdam Der Vortrag basiert auf der Prämisse von Thomas Nagel, dass es unauflösbare moralische Dilemmata gibt. Unter dem Etikett ‚die Nagel-Probe’ wird eine Methode des professionellen Umgangs mit solchen Konflikten zur Diskussion gestellt. Sie kann dem Anspruch nach in allen Problemfeldern der professionellen Angewandten Ethik zur Anwendung kommen. Im Vortrag sollen ihre Pointen jedoch am Beispiel des Säuglingsdilemmas erläutert werden. Dabei geht es um die Frage, wie mit Säuglingen verfahren werden soll, die mit so schweren Behinderungen geboren werden, dass ihr Leben von Qualen geprägt sein wird? Sollte man sie mit allen Mitteln der modernen Intensivmedizin am Leben erhalten, oder darf man sie sterben lassen oder aktiv töten? Die Methode betrachtet den professionellen Angewandten Ethiker als einen Berater, der auf der Grundlage eines moralphilosophischen Expertenwissens die verantwortlichen moralischen Akteuren (Eltern und Ärzten) in ihrem Entscheidungsfindungsprozess unterstützt. Sie vollzieht sich in zehn Schritten. Ein erstes Charakteristikum ist ihre zyklische Struktur: Der professionelle Angewandte Ethiker hält an festgelegten Gelenkstellen des Abwägungsprozesses dazu an, vorherige deskriptive und normative Weichenstellungen neu zu überdenken. Ein zweites Charakteristikum ist die explizite Möglichkeit der Diagnose ‚unauflösbares moralisches Dilemma‘, und ein drittes Charakteristikum ist die Möglichkeit des Übergangs in eine ästhetische Phase von Ritualen des Respekts, der Trauer und der bewussten Anerkennung von subjektiven Schuldgefühlen. Zu diskutieren wäre erstens, ob solche Rituale nicht eher den Entscheidungsträgern als den Opfern der Entscheidung dienen? Fraglich ist zweitens, ob subjektive Schuldgefühle nach einer Dilemma-Entscheidung ein fundamentum in re haben. Strittig ist drittens, wie konkret die Handlungsempfehlungen eines professionellen Ethikers noch sein können, nachdem er die Diagnose ‚unlösbares moralisches Dilemma‘ gestellt hat. Bei ethischen Entscheidungsfindungen in der Biomedizin steht in der Regel die Selbstbestimmung des Patienten im Mittelpunkt der Überlegungen. So wird etwa in der klinischen Ethikberatung meist an erster Stelle nach dem Patientenwillen gefragt. Diese Praxis findet in der Theoriebildung eine Entsprechung im Autonomieprinzip biomedizinischer Ethik nach Beauchamp/Childress. Diesem Fokus auf das Prinzip der Autonomie als zentraler moralisch-normativer Kategorie liegt auf einer metaethischen Ebene ein Verständnis des moralischen Subjekts als vernünftigem und autonomen Individuum zugrunde, wie es in der kantischen Ethik und in an diese anknüpfenden Traditionen maßgeblich ist. Diese Konzeption des moralischen Subjekts läuft jedoch Gefahr, zwei Bedingungen zu übersehen: erstens, dass wir als moralische Subjekte faktisch in komplexen Kontexten mit sozialen Beziehungen zu anderen stehen und zweitens, dass wir moralische Entscheidungen nicht nur rational fällen, sondern dass daran sehr häufig nicht-rationale „Urteile“, wie etwa emotionale Urteile, Präferenzen oder individuelle Werturteile und beteiligt sind. Der vorliegende Beitrag möchte diesem Umstand Rechnung tragen, indem er im Anschluss an Careethische Ansätze für eine alternative Konzeption des moralischen Subjektes als eines in Beziehungen und komplexe Situationen eingebundenen moralischen Akteurs argumentiert. Vor diesem subjekttheoretischen Hintergrund ergibt sich für den Anwendungskontext der klinischen Ethikberatung auf der Ebene der ethischen Theorie die Konsequenz, der systematischen Bedeutung der Komplexität der Dilemmata und ihrer Kontexte gerecht zu werden, was - so die These des Beitrags - durch einen ethischen Kontextualismus und eine hermeneutisch-narrative Herangehensweise an die ethischen Dilemmata erreicht werden könnte. 12 Damit ist viertens auch zu fragen, ob es ‚unauflösbare moralische Dilemma’ überhaupt gibt, weil man ja offensichtlich jeden moralischen Konflikt irgendwie entscheiden kann. Vor allem aber wäre die Praxistauglichkeit der Methode zu diskutieren. zicht durch den Patientenwillen legitimiert? Der dritte Teil legt fest, wer die Entscheidung autorisiert und wer über die Begrenzung informiert wurde. Diese Vorgaben erhöhen die Transparenz der Entscheidung zur Therapiebegrenzung und damit die Wirksamkeit im Anwendungsfall. Die Stationsteams wurden über die Strukturvorgaben des DT informiert und in einem offenen Prozess wurden die Bedürfnisse der jeweiligen Station für den DT erfasst und der Bogen entsprechend angepasst. Unterschiede betrafen vor allem Art und Umfang lebensrettender Maßnahmen und die zur Autorisierung erforderlichen Personen. Derzeit werden auf Intensiv- und Normalstationen, in der Frauenklinik und Psychiatrie unterschiedliche DT eingesetzt. Das bedarfsorientierte, mitarbeiterzentrierte Vorgehen erhöht Akzeptanz und Verbindlichkeit des DT auf den Stationen. 2b Entwicklung und Anwendung eines „Dokumentationsbogens Therapiebegrenzung“ zur prozeduralen Absicherung von Entscheidungen am Lebensende G. Neitzke Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover Fragestellung: Seit einigen Jahren werden in Deutschland Instrumenten zur strukturierten Entscheidungsfindung am Lebensende entwickelt. Dazu zählen „do-not-resuscitate-Anordnungen“ (DNR-orders), Bögen zum „Verzicht auf Wiederbelebung“ (VaW), „allow-natural-deathVerfügungen“ (AND) und „Notfallbögen“. Das Klinische Ethik-Komitee an einem Universitätsklinikum beabsichtigte in diesem Kontext die Einführung eines umfassenden „Dokumentationsbogens Therapiebegrenzung“ (DT) als Strukturierungshilfe für verbindliche Entscheidungen über lebenserhaltende Maßnahmen. Methodik: Die Entwicklung und Implementierung des DT umfasst zwei Entscheidungswege, die ethisch und prozedural abzusichern waren: Zum einen soll die Entwicklung in einer transparenten, mitarbeiterzentrierten und bedürfnisorientierten Weise erfolgen. Zum anderen ist für den Anwendungsfall eine medizinische Eindeutigkeit, ethische Klarheit und juristische Verbindlichkeit des DT erforderlich, um die angestrebte Entscheidungssicherheit herstellen zu können. Das schrittweise Vorgehen bei der Erarbeitung und Einführung des DT wird dargestellt. Ergebnisse: Vorgaben des Ethikkomitees zur Struktur des DT waren: Im ersten Teil werden die zu begrenzenden Behandlungsmaßnahmen aufgelistet, die lebenserhaltenden/-verlängernden Charakter haben, über deren Einsatz schnell entschieden werden muss, und über die im Vorfeld Entscheidungen getroffen werden können. Ein zweiter Teil dokumentiert die Begründung für die Therapiebegrenzung: Erfolgt sie aufgrund fehlender Erfolgsaussicht/Indikation, oder wird der Ver- 2c Wer entscheidet am Lebensende? Entscheidungsfindungsprozesse zur PEG-Ernährung bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz. Die Rollen der Pflegenden M. Haas (), H. Kohlen Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar Hintergrund: Pflegende haben oft eine enge und vertrauensvolle Beziehung zu Patienten mit fortgeschrittener Demenz und deren Angehörigen während der Versorgung am Lebensende. Dadurch werden sie auch in komplexe ethische Entscheidungsfindungsprozesse über eine PEGErnährung involviert. Es ist wenig bekannt über die pflegerischen Rollen und darüber, wie ihr Handeln den Entscheidungsfindungsprozess beeinflusst. Ziel der Studie: (1) Bestimmung der pflegerischen Rollen in Entscheidungsfindungsprozessen über eine PEG-Ernährung bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz und Klärung ihrer aktiven und passiven Beteiligung. (2) Identifikation der Einflüsse verschiedener Settings auf den Entscheidungsfindungsprozess. Methode: Qualitative Studie: 24 Interviews mit Pflegenden in Krankenhäuser, Altenheimen und im häuslichen Bereich. Datenanalyse: Grounded Theory Methodologie. Ergebnisse: Pflegende nehmen verschiedene Rollen während Entscheidungsfindungsfindungspro13 zessen über eine PEG-Ernährung bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz ein. Sie agieren als Experten, Vermittler, Begleiter und Advokaten. Häufig initiieren häufig den Entscheidungsfindungsprozess. Sie sehen sich verantwortlich für die vulnerablen Patienten und deren Angehörige und versorgen diese unabhängig von der PEGEntscheidung während des gesamten Zeitraumes und oft auch noch nach der Entscheidung. Ihre pflegerische Beteiligung unterscheidet sich in den Settings. Pflegende in den Altenheimen ergreifen eine aktive und machtvolle Rolle im Entscheidungsfindungsprozess, während die Rolle der Pflegenden in den Krankenhäusern stark von den hierarchischen Strukturen geprägt ist. Im häuslichen Bereich bahnen die Pflegenden ihren Patienten den Weg für ein würdevolles Sterben. Conclusio: Pflegenden können einen wertvollen Beitrag zum Entscheidungsfindungsprozess leisten und wollen als Teammitglieder an der Entscheidungsfindung beteiligt sein. Ihre ethischen Rollen müssen reflektiert werden. Pflegende in Krankenhäusern benutzen keine ethische Sprache, um ihre Beteiligung zu beschreiben, während Pflegende im häuslichen Bereich von Würde sprechen. Dennoch impliziert das in den Interviews geschilderte pflegerische Handeln nicht eine moralische Reflektion. stitution. Ob und wie die Kodizes und das Leitbild interpretiert werden, hat mit dem physischen und psychischen Zustand der Patienten zu tun und ist bedingt von der Stellung der Pflegekraft innerhalb der Institution. Die Pflegenden haben häufig eigene Verantwortungsbereiche: Manche sind zuständig für bestimmte Therapieformen wie Aroma- oder Musiktherapie, andere sind für die ordnungsgemäße Verwahrung der Medizinprodukte zuständig. Zudem haben Hospize in der Regel ein Bezugspflegesystem, wobei eine Pflegekraft hauptverantwortlich für einen Bewohner zuständig ist. Aufgrund dieser unterschiedlichen Funktionen und Verantwortungsbereiche gibt es unterschiedliche Möglichkeiten für die Pflegekräfte, die Pflege zu gestalten. Als ethische Haupthandlungsfelder wurden von den befragten Pflegekräften die Medikation in der präfinalen Phase, der Umgang mit terminaler Sedierung und mit der Flüssigkeitszufuhr und Ernährung am Lebensende genannt. Entscheidungen innerhalb dieser Felder werden in der Regel kollektiv getroffen. Die individuellen Entscheidungsspielräume der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen hauptsächlich den Pflegestil und das auf den Gast bezogene Zeitmanagement. Die Gestaltung dieser Entscheidungsspielräume hängt dabei weniger von einem Rahmenkonzept ab, wie es Leitbilder oder Ethikkodizes nahe legen könnten, als vielmehr von einer Anspruchsanpassung der Pflegenden in der Praxis. Damit übernehmen die Pflegekräfte in einem Hospiz eine sich selbst beratende wie korrigierende Funktion in ethischen Fragen, die angesichts des individuellen Sterbens eines Gastes immer wieder von Neuem ausgehandelt werden. 2d Ethische Entscheidungen in Hospizen aus der Sicht von Pflegekräften. Ergebnisse einer qualitativen Studie in drei Hospizen in Nordrhein-Westfalen A. Walker Lehrstuhl für Moraltheologie, KatholischTheologische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum Fragestellungen: (1) Wer fällt wann welche Entscheidungen in Hospizen? (2) Welche Entscheidungen sind ethisch relevant? Methoden: Teilnehmende Beobachtung bei Übergaben, Teamsitzungen und Fallbesprechungen über einen Zeitraum von einem Jahr. Interviewstudie mit hauptamtlichen Hospizmitarbeitern und -mitarbeiterinnen. Abstract: Das Handeln des Pflegepersonals in Hospizen ist umrahmt von rechtlichen und ethischen Regeln. Es agiert idealerweise im Sinne von eigens für diese Berufsgruppe entworfenen Ethikkodizes und entspricht dem Leitbild der In14 S3 3 sentiert. Die ethische Problematik erscheint je nach Form der Darstellung in unterschiedlicher Weise. Im medizinischen Bericht ist sie eher verborgen und muss herausgearbeitet werden. In alltagssprachlicher Darstellung springt sie mehr ins Auge, ist aber unter Umständen von subjektiven moralischen Urteilen geprägt. Hier bedarf das ethische Problem in hohem Maße der Klärung, kritischen Reflexion und gegebenenfalls der Umformulierung. In literarisch verdichteter Form bleibt das moralische Urteil vielfach bewusst offen, die Darstellung ist unter Umständen provokativ, und die Komplexität der ethischen Problematik wird hier in prägnanter Weise mit individuellen Situationen und Geschichten verwoben. Im Rahmen dieses Workshops wird anhand von drei ausgewählten Fallbeispielen zu Maßnahmen am Lebensende bei Demenz – einem fachsprachlichen, einem alltagssprachlichen und einem literarischen – herausgearbeitet, auf welche Weise die sprachliche Gestaltung Einfluss auf den ethischen Entscheidungs- und Reflexionsprozess nimmt. Worin bestehen die Stärken und Schwächen, vielleicht auch Gefahren der jeweiligen Sprachform? Wie prägt und beeinflusst sie jeweils das Wahrnehmen, Urteilen und Handeln in konkreten Situationen? Welche Standpunkte und Perspektiven – etwa von Experten und Laien, Handelnden und Betroffenen, Medizinern und Angehörigen oder von verschiedenen Gesundheitsberufen – äußern sich dabei in sprachlicher Form? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf die Bedeutung der Sprache für ethische Kommunikations- und Entscheidungsprozesse in der Praxis der Gesundheitsberufe überhaupt ziehen? Welche Bedeutung kann und sollte die Reflexion der sprachlichen Form für die Praxis ethischer Fallbesprechungen in verschiedenen Kontexten (auf Station, in Ethikberatung und Ethikkomitees, in der Aus- und Weiterbildung usw.) haben? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Reflexion auf den Einfluss der Sprache schließlich für das Verständnis ethischer Prinzipien, Methoden und Urteilsformen in der Ethiktheorie? Veranstalter des Workshops ist die Arbeitsgruppe „Sprache und Ethik“ der AEM, deren Thematik und interdisziplinäre Arbeitsweise sich in diesem Workshop spiegeln und deren bisherige Ergebnisse und Thesen in diesem Rahmen zur Diskussion gestellt werden. An eine Einführung in die Thematik (Theda Rehbock) und kurze, kommentierte Workshop der AG Sprache und Ethik Macht Sprache Ethik? Der Einfluss sprachlicher Darstellungs- und Kommunikationsformen auf ethische Entscheidungen M. Herberhold, T. Rehbock, C. Fiebach, J. Huber, F. Kliesch AG Sprache und Ethik in der Akademie für Ethik in der Medizin Wer in der medizinischen Praxis Entscheidungen zu treffen, Konflikte zu lösen oder Probleme zu bewältigen hat, orientiert sich hierbei bewusst oder unbewusst an Normen und Prinzipien, um deren Klärung und Begründung die Ethik als Theorie der Moral sich bemüht. Die bloße Kenntnis der Normen und Prinzipien reicht aber nicht, um in der Praxis zu richtigen bzw. guten Entscheidungen und Konfliktlösungen zu kommen. Es bedarf vielmehr der Fähigkeit, konkrete Situationen in Orientierung an ethischen Gesichtspunkten mittels der Urteilskraft angemessen wahrzunehmen und zu beurteilen. Für die Anwendung allgemeiner Regeln gibt es, wie schon Aristoteles und Kant wussten, keine allgemeinen Regeln. Die Fähigkeit des Urteilens ist allein durch Übung und Praxis zu erwerben. In der Medizin- und Pflegeethik hat sich in dieser Hinsicht die Praxis ethischer Fallbesprechungen etabliert und bewährt, die ihrerseits durch verschiedene ethiktheoretische Ansätze – beispielsweise der Kasuistik, der Situationsethik oder der narrativen (Bio-)Ethik – in ihrer methodischen Bedeutung für ethische Entscheidungsprozesse reflektiert werden. Ein aus unserer Sicht ethisch sehr bedeutsamer Aspekt aber wird dabei bisher unzureichend beachtet: der Einfluss der Sprache. „Fälle“ bedürfen, um besprochen, reflektiert und vielleicht „gelöst“ zu werden, der sprachlichen Artikulation. Je nachdem, wer welche Art von Fall oder Geschichte in welchem Kontext und zu welchem Zweck schildert, erfolgt diese Schilderung in einer anderen sprachlichen Form. Im Rahmen von ethischen Fallbesprechungen lassen sich im Wesentlichen drei Formen sprachlicher Darstellung unterscheiden: Manche Fälle lesen sich wie ein medizinisches Dokument, andere haben eher die Form einer persönlichen Erzählung in Alltagssprache, oder sie werden literarisch verdichtet prä15 Präsentationen der drei Fallbeispiele (Johannes Huber, Fabian Kliesch, Constanze Fiebach) von insgesamt 30 bis 40 Minuten schließt sich eine Fishbowl-Diskussion an (Moderation Mechthild Herberhold). Diese offene Diskussionsform (Innen-Außenkreis-Methode) zeichnet sich dadurch aus, dass alle am Workshop Teilnehmenden aktiv werden können. Es wird also keine längeren Vorträge geben, sondern Statements, Thesen und Impulse durch Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Belebung der Kommunikation und Diskussion. S4 teilung bestimmter Schadens-Nutzen-Konstellationen heraus und verdeutlicht, dass die Etablierung einer solchen Metrik auf der Basis der vorgegebenen Einteilungen zu zulässigen Forschungszwecken und der etablierten Kategorien zur Einstufung des Schadens und Leidens von Versuchstieren möglich ist. Im dritten Schritt konfrontiert er die Resultate aus Schritt 2 mit der antragsseitigen Abwägungspraxis. Dazu greift er auf Ergebnisse einer Dokumentenanalyse von ca. 200 Anträgen aus den Jahren 2010-2012 zurück. Diese Ergebnisse berechtigen zu der These, dass die faktische Abwägungspraxis durch die Antragsteller methodologisch insuffizient ist, da diese nie die ihren Abwägungen zugrundeliegende Metrik explizieren. Im abschließenden vierten Schritt schließlich interpretiert der Referent diesen Befund vor dem Hintergrund der Genehmigungspraxis in Deutschland. Er stellt die These auf, dass der Genehmigungspraxis im Tierversuchswesen eine implizite Metrik zugrundeliegt, der zufolge der Nutzen von Tierversuchen, solange diese nur die Kriterien des 3R-Prinzips (Reduction, Replacement, Refinement) erfüllen, gegenüber beliebig hohem Leid von Versuchstieren im Zweifelsfall immer überwiegt. Trifft diese Einschätzung zu, so wäre allerdings eine Preisgabe von Abwägungsansprüchen unter Rückkehr zur reinen 3R-Prüfung möglich und methodisch transparenter. Ethische Abwägungen 4a Abwägung mit Maß? – Empirisch-ethische Untersuchungen zur Abwägungspraxis im Tierversuchswesen M. Langanke Theologische Fakultät, Erst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald Das Tierversuchswesen ist in hohem Maße geeignet, die Praxis der Güterabwägung in einem Feld von hohem forschungsethischem Konfliktpotential zu analysieren. Denn seit Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz ist der Nutzen geplanter Tierversuchsvorhaben prinzipiell abwägungsbedürftig gegenüber Belangen des Tierschutzes geworden. Vor diesem Hintergrund fordert der Gesetzgeber von Antragstellern eine Stellungnahme zur ethischen Vertretbarkeit ihrer Versuchsvorhabens im Abwägungsmodus, die von der genehmigenden Behörde und der sie beratenden Kommission überprüft wird. In seinem Vortrag skizziert der Referent im ersten Schritt zunächst die gesetzlichen und verwaltungstechnischen Rahmenbedingungen, denen die Prüfung von Tierversuchsvorhaben in Deutschland unterliegt. In einem zweiten Schritt umreißt er sodann metaethisch formulierbare Anforderungen, denen Güterabwägungen unterliegen müssen, wenn sie intersubjektiv vermittelbare und methodisch kontrollierbare Entscheidungen liefern sollen. Als fundamentale Anforderung stellt er die Etablierung einer zumindest relativen Metrik zur Beur- 4b Spezifizierung und Abwägung in ethischen Entscheidungen N. Paulo Universität Hamburg und Kennedy Institute of Ethics, Georgetown University Entscheidungen transparent zu treffen und zu rechtfertigen ist zentral für den Umgang mit schwierigen medizinethischen Fragen, über die kein gesellschaftlicher Konsens besteht. Transparenz ermöglicht Kritik und kann so Vertrauen stiften. Wie kann man ethische Fragen aber transparent entscheiden? Transparenz erfordert jedenfalls eine Verbindung zwischen einer gut begründeten normativen Theorie und der konkreten Entscheidung. Die in der Medizinethik verbreitet genutzten Methoden, die diese Verbindung herstellen sollen, sind Spezifizierung und Abwägung. In meinem Vortrag werde ich das einflussreiche Verständnis dieser Methoden bei Tom Beauch16 amp, Jim Childress und Henry Richardson herausarbeiten und vor dem Hintergrund juristischer Methoden wichtige Konkretisierungen vorschlagen. Bei allen Unterschieden zwischen Recht und Ethik bestehen doch – und dies gilt besonders für die angewandte Ethik – methodisch beachtliche Parallelen: In beiden Bereichen müssen vor dem Hintergrund eines bestimmten normativen Systems in begrenzter Zeit konkrete Einzelfälle beantwortet werden, selbst wenn nicht alle empirischen Fragen geklärt sind. In der Rechtstheorie wurde über Jahrhunderte diskutiert, wie man mit Normen umgehen kann, in welchen Beziehungen verschiedene Methoden zueinander stehen und welche Möglichkeiten und Begrenzungen die jeweiligen Methoden haben. Diese Debatten nehmen in vielerlei Hinsicht die Methodendiskussion in der angewandten Ethik vorweg. Ich werde vor allem die Arbeiten des Rechtstheoretikers Robert Alexy nutzen, um die ethischen Methoden zu analysieren und zu informieren. Dies wird zeigen, dass die Spezifizierung als Methode in der Ethik weniger zu leisten im Stande ist, als viele vermuten. Neben dieser Begrenzung des Anwendungsbereichs werde ich aber auch Vorschläge machen, wie die Spezifizierung adäquat durch andere Methoden ergänzt werden kann. Abschließend werde ich in einem Ausblick darlegen, wie Alexys einflussreiches Abwägungsmodell auf Abwägungsprozesse auch in der Ethik übertragen werden kann, um diese gegen die häufig geäußerte Kritik der Willkürlichkeit zu verteidigen. Die so verfeinerten Methoden der Spezifizierung und der Abwägung leisten einen wichtigen Beitrag zur transparenten Entscheidungsfindung in der Ethik. Zunächst werden unterschiedliche Typen von Abwägungen unterschieden und der theoretisch problematische Typ ausfindig gemacht. Theoretisch eher unproblematisch sind Abwägungen zwischen gegenläufigen Prinzipien wie Eingriffsintensität und Prognosesicherheit: Je größer das eine ist, desto weniger zählt das andere. Ebenfalls unproblematisch sind Abwägungen zwischen Prinzipien, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Letztlich handelt es sich hier nicht um Abwägungen, weil das höhere Gewicht von vornherein feststeht. Problematisch sind Abwägungen, wenn gleichrangige moralische Prinzipien Berücksichtigung verlangen. Denn hier ist nicht erkennbar, worin ein ausschlaggebendes höheres moralisches „Gewicht“ bestehen könnte. Argumentationsstrategien, die das Abwägungsproblem als weniger dramatisch darzustellen versuchen, können im Kern nicht überzeugen (z.B. die abzuwägenden Prinzipien stehen nicht nur im Kontrast zueinander, sondern greifen auch ineinander; Abwägungen sollten in diskursive Prozesse eingebettet sein). Dann werden die (möglichen) Gründe für eine Abwägungsentscheidung analysiert. Wenn es sich um die Abwägung konkurrierender Prinzipien handelt, bleiben drei Möglichkeiten für die Gewichtung: erstens ein blinder Dezisionismus, zweitens bloß subjektive Präferenzen. Beide haben keine rechtfertigende Kraft. Drittens Überzeugungen davon, was für die Betroffenen (oder die Gesellschaft) gut oder eben besser ist. D.h., Abwägungsentscheidungen werden nicht nur faktisch oft anhand von Überzeugungen vom Guten gefällt, diese sind auch das einzige rechtfertigungsfähige Kriterium. Das ist nicht nur eine moraltheoretisch bedeutsame Einsicht, insofern sie verbreiteten deontologischen Überzeugungen zuwiderläuft. Sondern auch eine praktische Herausforderung, insofern wir in der medizinethischen Reflexion künftig stärker als bisher unsere Überzeugungen vom Guten explizit machen und zu begründen versuchen sollten. 4c Das Richtige und das Gute in der Abwägung R. Kipke Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Universität Tübingen Um das moralisch Richtige zu bestimmen, werden in Medizinethik und Biopolitik oft Abwägungen für nötig gehalten: Abwägungen z.B. von Prinzipien, Interessen, Chancen oder Risiken. Nach welchen Kriterien eine Abwägung zu erfolgen hat, ist jedoch weitgehend unklar. Damit liegt ein zentrales Element medizinethischer Urteilsbildung im Dunkeln. Der Vortrag klärt das Problem der Abwägung und fragt nach den Kriterien gerechtfertigter Abwägung. 17 S5 Ethik massiv von der metaethischen Rechtfertigungsfrage abhängig ist, warum also konkrete Abwägungen, Entscheidungen und Handlungsempfehlungen untrennbar mit ethischen Theorien verbunden sind. Als Konsequenz aus diesen Überlegungen möchte ich mit entsprechenden Empfehlungen für die Praxis schließen. So gälte es ggfs., das Desiderat zu beheben, indem man entweder metaethisch „nachbesserte“ oder, schon aus Gründen der (wissenschaftlichen sowie moralischen!) Redlichkeit, die betroffenen Institutionen anders „belabelte“. Grundlagen ethischer Entscheidungen 5a Kann es Klinische Ethik ohne Metaethik geben? E. Romfeld Fachgebiet Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg In der Tat haben „ethische Kommissionen und Komitees in der Biomedizin […] Konjunktur“; so haben sich beispielsweise allein die Einrichtungen der Klinischen Ethikberatung in den Krankenhäusern und Universitätskliniken Deutschlands in der letzten Dekade etwa verzehnfacht. Konjunktur hat seither auch die Literatur über die Ursachen, Ziele und Ausgestaltungen dieser Entwicklung, und meistens betont sie, wie wichtig und wünschenswert der verstärkte Eingang ethischer Reflexion insbesondere in die Entscheidungsprozesse im Gesundheitswesen ist. Gleichwohl – besser: gerade weil – ich diese Idee als Ethikerin grundsätzlich unterstütze, sehe ich die Frage nach der Rolle und dem Anspruch der Ethik in solchen Gremien nicht befriedigend beantwortet: Abgesehen (allerdings gewiss nicht unabhängig) davon, dass in vielen dieser medizinethischen Beratungsinstitutionen keine ausgebildeten Ethiker sitzen, wird das Fundament, auf dem man dort „Ethik“ betreibt, nur selten expliziert. Nach intensiver theoretischer wie praktischer Auseinandersetzung mit Ethikberatung habe ich zunehmend Zweifel, ob ein derartiges Fundament in der Regel überhaupt existiert. Das aber ist mehr als bloß bedauerlich, denn meine These lautet, dass Angewandter Ethik ohne eine angemessene Fundierung in der Metaethik der Boden ethischer Argumentation entzogen wäre und damit derjenige, welcher Ethikberatung ohne soliden (meta-) ethischen Unterbau anböte, genau genommen „Etikettenschwindel“ betriebe. Ob eine fehlende respektive unreflektierte metaethische Basis wirklich ein elementares Problem für die Legitimation bzw. Möglichkeit von Ethikberatung darstellte, sollte daher wenigstens offen thematisiert und diskutiert werden. In diesem Beitrag möchte ich, ausgehend von einem kritischen Blick auf die derzeit gängige Beratungspraxis, darlegen, wo und inwiefern Klinische 5b Der Beitrag qualitativer Sozialforschung zur Lösung medizinethischer Konflikte J. Schildmann (), S. Salloch, S. Wäscher J. Vollmann NRW-Nachwuchsforschergruppe „Medizinethik am Lebensende: Norm und Empirie“, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum Der Beitrag qualitativer Methoden zur Erhebung und Auswertung von empirischen Informationen, die für die Entscheidungsfindung bei medizinethischen Konflikten erforderlich sind, wird in der Literatur besonders hervorgehoben. Detaillierte Ausführungen zu den Gründen für die besondere Eignung qualitativer Forschungsmethoden zur Bearbeitung medizinethischer Herausforderungen stehen nach Kenntnis der Autoren jedoch aus. In diesem Beitrag werden Potentiale und Limitationen ausgewählter qualitativer Forschungsansätze bei der Bearbeitung ethischer Konflikte in der Medizin unter Berücksichtigung der Wechselbeziehungen von ethisch-normativen Theorien einerseits und qualitativen Forschungsansätzen andererseits untersucht. In einem ersten einführenden Teil werden qualitative Methoden von quantitativen Methoden abgegrenzt und der Beitrag beider Ansätze zur Erhebung und Auswertung empirischer Daten für die Entscheidungsfindung bei medizinethischen Konflikten exemplarisch dargelegt. Als ein für die Bearbeitung medizinethischer Konflikte wesentliches Charakteristikum qualitativer Forschung wird ihr einerseits Theorie geleitetes und andererseits Hypothesen generierendes Vorgehen herausgestellt. Im zweiten Teil werden ausgewählte Wechselbeziehungen von ethisch-normativer Theorie und qualitativen Forschungsansätzen im Rahmen in18 terdisziplinärer medizinethischer Analysen dargestellt. Hier wird zum einen untersucht, inwiefern empirische Informationen im Rahmen interdisziplinärer medizinethischer Analysen einerseits durch ethisch normative Vorannahmen und andererseits durch die dem gewählten qualitativen Forschungsansatz zugrundeliegenden sozialtheoretischen Prämissen geprägt werden. Zum anderen wird exploriert, unter welchen Voraussetzungen die im Rahmen der interdisziplinären Analyse verwendeten ethisch-normativen Konzepte durch die mittels qualitativer Methodik generierten empirische Informationen modifiziert werden können. Die vorstehende Analyse erfolgt am Beispiel von in der Medizinethik häufig angewendeten ethischen Theorien (u.a. Prinzipienethik, Tugendethik) und ausgewählten qualitativen Methoden der Datenerhebung und Auswertung (u.a. nichtteilnehmende Beobachtung, grounded theory). Aufbauend auf die Analyse sollen abschließend Kriterien benannt werden, die im Rahmen interdisziplinärer medizinethischer Analyse berücksichtigt werden sollten, damit die Verwendung qualitativer Forschungsmethoden einen Beitrag zur Lösung ethischer Konflikte in der medizinischen Praxis leisten kann. teilte Klinikseelsorgerinnen und Klinikseelsorger eingebunden. Das mit Methoden der Europäischen Ethnologie erhobene Material besteht aus Transkripten semistrukturierter Interviews und Feldforschungsmaterial aus teilnehmenden Beobachtungen. Ausgewertet wurde mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring sowie unter Zuhilfenahme ethnologischer Analysekategorien. Entstanden ist eine materialreiche und dichte Beschreibung verschiedener informeller Kontexte formaler Entscheidungsprozesse aus der Perspektive der Klinikseelsorge: Seelsorgegespräche vor und nach Ethikberatungen, Wahl und Gestaltung von Räumen, Rituale in der Klinik. Seelsorgerinnen und Seelsorger haben eigene Kompetenzen und Techniken, die sie im Kontext ethischer Entscheidungsprozesse zur Anwendung bringen. Das sind nicht spezifische Kompetenzen und Techniken, die ausschließlich in der Seelsorge zu finden und bei keiner anderen Berufsgruppe vorhanden wären. Hier liegt die Chance des Übertrags auf andere Berufsgruppen, die in ethischen Entscheidungsprozessen eingebunden sind. Nachzufragen und zu übersetzen, wenn ein Sachverhalt vermeintlich klar ist, Zeit zu gewinnen, wenn eine Entscheidung scheinbar drängt, Gesprächsräume an unwirtlichen Orten zu schaffen, dem Konflikt eine andere Sprache durch Rituale zu geben: das sind Beispiele für Techniken in einem informellen Kontext formaler Entscheidungsprozesse, mit denen Seelsorgende agieren. Der Vortrag wird eine Skizze dieser informellen Infrastrukturen zeichnen und aufzeigen, wie die formalen Entscheidungsprozesse dadurch beeinflusst werden. Mit Blick auf die beobachteten Techniken und Kompetenzen der Seelsorgerinnen soll außerdem dargelegt werden, wie andere Berufsgruppen in der Klinik davon profitieren und wie solche Kompetenzen und Techniken geschult werden können. 5c Informelle Infrastrukturen von Entscheidungskontexten: Kompetenzen und Techniken der Klinikseelsorge in ethischen Entscheidungsprozessen F. Kliesch Institut für interdisziplinäre Forschung, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., Heidelberg Transparente Entscheidungsprozesse sind immer in intransparente Kontexte eingebunden. Wenig erforscht blieb bislang, wie die informelle Infrastruktur bei formalen ethischen Entscheidungen aussieht und welchen Einfluss sie auf den Ausgang der Entscheidungen hat. Welche Settings, Techniken und Kompetenzen gehören zu diesem informellen Kontext und wie wird eine ethische Entscheidung durch diesen Kontext beeinflusst? Dieser Frage widmete sich die qualitativempirische Studie „Seelsorge und Ethik“ (20112013) der FESt Heidelberg und präzisierte sie mit Blick auf die Berufsgruppe der Klinikseelsorge. Es wurden 32 über das gesamte Bundesgebiet ver19 S6 normativen Abwägung). Am Beispiel der Studienregistrierung lässt sich relativ gut demonstrieren, dass von einem relativ breiten ethischen Konsens zur Notwendigkeit einer verpflichtenden Studienregistrierung (ohne Einschränkung der Forschungsfreiheit) ausgegangen werden kann. Entscheidende Gründe für die Verzögerung einer biopolitischen Umsetzung bestehender ethischer Empfehlungen scheinen eher auf fehlendes Wissen, Missverständnisse und z.T. Interessenkonflikte zurückzuführen zu sein. Der Autor argumentiert, dass in einem solchen Szenario die biopolitische Einflussnahme durch die wissenschaftliche Ethik relativ gut begründet werden kann. Dahingegen ist die Einflussnahme auf die Richtung eines noch ausstehenden Werturteils im Rahmen z.B. schwer vereinbarer oder zumindest kontrovers diskutierter normativer Abwägungen (z.B. Präimplantationsdiagnostik) mit mehr Herausforderungen verbunden. Ethik und Politik 6a Neue Konflikte nach der Lösung. Herausforderungen im Rahmen normativer Versorgungsforschung und biopolitischer Einflussnahme D. Strech Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Centre for Ethics and Law in the Life Sciences, Medizinische Hochschule Hannover Nicht selten endet die wissenschaftliche Ethik mit der Publikation und Präsentation anwendungsbezogener Lösungsansätze oder Handlungsempfehlungen. Nach Vermittlung einer ethischen Empfehlung an die relevanten Akteure stellen sich prinzipiell zwei weitere Aufgabengebiete für die wissenschaftliche Ethik: 1) Die normative Versorgungsforschung, welche in einem weiten Verständnis von „proof of concept“ das Verständnis und die „Verwendung“ sowie die erwünschten und unerwünschten Praxiseffekte ethischer Empfehlungen untersucht und kritisch analysiert. Der hierbei notwendige empirische Forschungsanteil ist zu unterscheiden von der ebenfalls empirischen „attitudes research“, welche die Einstellungen verschiedener Akteure zu bestimmten ethischen Fragen untersucht. 2) Die Einflussnahme auf biopolitische Entscheidungen zur Umsetzung ethischer Empfehlungen. An dem forschungsethischen Beispiel Studienregistrierung wird exemplarisch dargestellt A) welche Fragen bzw. Aufgaben sich im Bereich einer normativen Versorgungsforschung und biopolitischen Einflussnahme konkret stellen (können), B) welche Überschneidungen sich ergeben und C) wie zentrale Argumente für und gegen ein Engagement der wissenschaftlichen Ethik in diesen Bereichen (u.a. Neutralität, Legitimation, Kompetenzbereich, Verantwortung durch Einsicht, unsichere Konsequenzen) spezifiziert werden können. Unter Berücksichtigung der Klärungen zu A) bis C) wird ein Kriterium vorgestellt, welches die Differenzierung zwischen mehr oder weniger legitimer biopolitischer Einflussnahme durch die wissenschaftliche Ethik anleiten kann: Das Ausmaß der ethisch-wissenschaftlichen Akzeptanz einer ethischen Empfehlung (bzw. einer bereits erfolgten 6b Ethikkommissionen in der Politik – Weichenstellung vor Beratungsbeginn? C. Jung Institut für Bio- und Medizinethik, Universität Basel Darstellung der Fragestellung: Will man die Frage beantworten, wie Entscheidungen in Ethikkommissionen getroffen werden, gilt es zunächst die Voraussetzungen für das Zustandekommen der jeweiligen Kommission zu analysieren. Dies wird in der Praxis bisher jedoch kaum untersucht, obwohl damit sowohl auf inhaltlicher als auch organisationaler Ebene entscheidende Weichenstellungen stattfinden können. Beobachtbar war dies besonders bei der Erarbeitung der Empfehlungen zur rechtlichen Regelung von Patientenverfügungen in Deutschland in den Jahren 2003/2004. Damals tagten fast zeitgleich zwei Ethikkommissionen auf höchster politischer Ebene: Die Enquetekommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" des Bundestages und die Arbeitsgruppe "Patientenautonomie am Lebensende" des Bundesjustizministeriums. Trotz scheinbar ähnlicher Ausgangsbedingungen illustrierten ihre Vorschläge die enorme Spannweite möglicher Empfehlungen zwischen "Lebensschutz" und "Patientenautonomie". Die Enquetekommission betonte den „Lebensschutz“ und wollte - mit einer knappen Mehrheit - die Einstel20 lung lebenserhaltender Maßnahmen nur für den Fall in naher Zukunft zum Tode führender Krankheiten erlauben. Die Kommission des Justizministeriums dagegen stimmte fast einstimmig für die „Autonomie“ des Patienten und sprach sich für eine Beendigung lebenserhaltender Therapien auch bei nicht in absehbarer Zeit tödlich verlaufenden Krankheiten aus. Diese divergierenden ethischen Empfehlungen im gleichen gesellschaftlichen Kontext ermöglichen einen spannenden Vergleich unterschiedlicher Kommissionsformen und -besetzungen. Methodik: 32 Experteninterviews mit Mitgliedern bzw. Personen aus dem Umfeld beider Kommissionen, teilnehmende Beobachtungen in der Enquetekommission, Dokumentenanalyse (Sitzungsprotokolle, Zwischenberichte, etc.) Ergebnisse: Die Analyse fördert die zahlreichen (politik-)internen und externen Einflüsse und Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen zutage, lange bevor die ethischen Beratungen tatsächlich beginnen. Neben den von unterschiedlichen Interessen geleiteten Besetzungsverfahren beider Kommissionen zeigen sich sowohl Einflüsse der professionellen Hintergründe der einzelnen Kommissionsmitglieder, Eigeninteressen von Sachverständigen und in den Strukturen der Kommissionen begründete Auswirkungen auf die späteren Beratungsergebnisse. aus ethischer Perspektive untersucht wurde, sind die der Reform zugrundeliegenden Entscheidungsprozesse. In der Ethik von Gesundheitsreformen ist es allerdings wichtig zu beachten, wie z.B. die Öffentlichkeit konsultiert wird und in die Entscheidungsprozesse und Bewertung der Reformen eingebunden ist. Unser Beitrag bemüht sich darum, diese Forschungslücke zu füllen und mithilfe der von Daniels et al. (1996) eingeführten „benchmark of public accountability“ die Entscheidungsprozesse der Schweizer Gesundheitsreform ethisch zu analysieren. Konkret berücksichtigen wir in unserer Analyse zwei Kriterien des benchmark-Konzepts: 1. Die Verfügbarkeit expliziter, öffentlicher und detaillierter Prozeduren zur Evaluierung von Reformplänen; 2. Explizite und demokratische Prozeduren in Entscheidungen zur Ressourcenallokation („accountability for reasonableness“). Methodik: Unsere Methode ist dreischrittig: (1) Eine Analyse der Primärliteratur zum Konzept der benchmark of public accountability; (2) eine Analyse von öffentlichen Dokumenten, die über die Einführung, Evaluierung und Monitorisierung der Reform in der Schweiz Aufschluss geben; (3) eine ethische Analyse der benchmark und ihrer Anwendung im Zuge der Gesundheitsreform. Ergebnisse: Auf Grundlage der vorgenommenen Evaluation sollen Empfehlungen für die Durchführung von Reformvorhaben erarbeitet werden, die dem Standard der Fairness entsprechen. Zugleich werden wir Ideen für die Weiterentwicklung der benchmarks diskutieren. Wir werden die Hypothesen aufstellen, dass (1) “accountability for reasonableness” nicht allein auf Rationierungsfragen angewendet werden sollte, dass (2) die benchmark mithilfe weiterer Kriterien gestützt werden sollte und dass (3) die normativen Annahmen, die der benchmark zugrunde liegen, vereinbart werden müssen. Um die benchmark of public accountability zu erfüllen, ist es in der Schweiz von essentieller Bedeutung, die Beziehung zwischen direkter Demokratie und den normativen Annahmen der benchmark zu klären. 6c „Public accountability“ und die Ethik der Entscheidungen in der Schweizerischen Gesundheitsreform C. Fourie (), V. Wild Institut für Biomedizinische Ethik, Universität Zürich Fragestellung: Derzeit findet in der Schweiz eine Reform der Spitalfinanzierung statt, die u.a. die Leistungsvergütung auf Grundlage von Diagnosis Related Groups (DRGs) einführt. Ethische Begleitforschung der Einführung der DRGs untersucht Bereiche wie Zugang zu Gesundheitsversorgung. Ein Aspekt, der jedoch bisher nur unzureichend 21 Abstracts Posterpräsentationen 1 Evaluation einer ethischen Leitlinie für Entscheidungen zur Therapiebegrenzung: Studiendesign und Baseline-Erhebung der aktuellen Entscheidungspraxis in der Hämatologie-Onkologie C. Becker, K. Laryionava (), C. Christ, K. Eichorn, W. Hiddemann, P. Heußner, E.C. Winkler () Nationales Centrum für Tumorerkrankungen, Schwerpunkt „Ethik und Patientenorientierung in der Onkologie“, Heidelberg Mehrheit der verstorbenen Patienten (n=49, 82%) wurde vor dem Tod eine TB festgelegt. Ein Großteil der Entscheidungen (n=48, 98%) war schriftlich dokumentiert. Bei Patienten auf Normalstation erfolgte dies im Median 6 Tage vor dem Tod, bei Patienten auf Palliativstation im Median 10,5 Tage. Diskussion: Insgesamt war der Anteil der dokumentierten TB-Entscheidungen höher als in der Literatur berichtet. Die Entscheidungen fielen im Median eine Woche vor dem Tod und damit eher spät im Erkrankungsverlauf. Über die Einbeziehung der Patienten in diese Entscheidungen gibt diese Studie keine Auskunft. Diese wird Gegenstand der fallbezogene Befragung von Ärzten, Pflegenden und Patienten sein. Mit der Darstellung des Designs der Studie und den ersten Ergebnissen soll zur Methodendiskussion mit Blick auf die Evaluation ethischer Leitlinien beigetragen werden. Hintergrund: Entscheidungen zur Therapiebegrenzung (TB) am Lebensende werden oft als ethisch konflikthaft wahrgenommen. Eine mögliche Antwort auf ethisch schwierige Entscheidungen ist die Entwicklung einer klinisch-ethischen Leitlinie. Wir wissen jedoch wenig darüber, inwiefern ethische Leitlinien die klinische Entscheidungspraxis verändern. Ziel: Die Effekte einer ethischen Leitlinie zur Therapiebegrenzung in der Hämatologie-Onkologie wird daher am Klinikum der LMU München in einer vierjährige Interventionsstudie evaluiert. In einer Vorher-Nachher-Erhebung wird der Entscheidungsprozess abgebildet mittels einer 1. Baseline-Erhebung zum Status Quo der Entscheidungspraxis, 2. einer fallbezogenen Befragung aller Beteiligten und 3. einer qualitativen Interviewstudie mit Ärzten. Nach der Implementierung der Leitlinie werden diese Erhebungen wiederholt, um die Wirkung der Leitlinie auf die klinische Praxis zu erfassen. Hier werden die Ergebnisse aus der ersten Baseline-Erhebung vorgestellt und im Kontext des gesamten Studiendesign analysiert. Methode: Für die Baseline-Erhebung wurden in einem dafür entwickelten Dokumentationsbogen Therapiebegrenzungsentscheidungen anhand verschiedener Informationsquellen erfasst. Insgesamt wurden im Zeitraum von April-September 2012 bei 625 Patienten Therapiebegrenzungsentscheidungen dokumentiert. Die Messperiode wurde abgeschlossen, als n= 60 Patienten als verstorben erfasst waren. Ergebnisse: Bei 174 Patienten (24%) wurde eine Therapiebegrenzung dokumentiert. Bei der *Dieses Projekt wird gefördert durch die Deutsche Krebshilfe Projekt Nr. 109658 2 Was ist schwierig an Entscheidungen zur Therapiebegrenzung in der Onkologie? – Vergleichende Analyse verschiedener Entscheidungsformen aus soziologischer und medizinethischer Sicht K. Laryionava (), P. Heußner, W. Hiddemann, E.C. Winkler Nationales Centrum für Tumorerkrankungen, Schwerpunkt „Ethik und Patientenorientierung in der Onkologie“, Heidelberg Hintergrund: Ärzte müssen gerade in der modernen Hochleistungsmedizin entscheiden, ab wann nicht mehr die krankheits- sondern die symptomspezifische Therapie im Vordergrund stehen soll. Die krankheitsspezifischen Maßnahmen, auf die dann verzichtet wird, werden oft unter dem Oberbegriff Therapiebegrenzung diskutiert. Dieser umfasst verschiedene Entscheidungen wie z.B. die gegen Reanimation, gegen Verlegung auf eine Intensivstation oder gegen weitere tumorspezifische Therapien. In der medizinethischen 22 Diskussion wird das Thema Therapiebegrenzung vor dem Hintergrund des Konzeptes der „medical futility“ (medizinische Sinn- oder Nutzlosigkeit) begründet und gefragt, wann eine medizinische Maßnahme als sinnlos oder nicht zielführend bezeichnet werden kann. Ziel: Gegenstand dieser explorativen Interviewstudie ist die Analyse der Wahrnehmung von Ärzten und Pflegenden der Entscheidungen zur Therapiebegrenzung am Lebensende in der Hämatologie-Onkologie. Der Fokus lag vor allem auf der vergleichenden Analyse der Entscheidungen zur Begrenzung der Intensivtherapie (Verlegung auf Intensivstation, Reanimation) und zur Begrenzung tumorspezifischer Therapien (z.B. Chemo- oder Strahlentherapie) und deren Begründungsstrategien. Methode: Im Rahmen dieser qualitativen Studie wurden halbstrukturierte-leitfadenorientierte Interviews mit Ärzten und Pflegenden (n=29) in der Hämatologie und Internistischen Onkologie am Klinikum der Universität München im Juli 2012 durchgeführt. Die Stichprobe umfasste Ärzte und Pflegende aus drei unterschiedlichen Institutionen: Intensivstation, Palliativstation und Normalstation. Die auf Tonband aufgenommenen und transkribierten Interviews werden entsprechend dem grounded theory Ansatz mit MAXQDA ausgewertet. Ergebnisse: Erste Ergebnisse zeigen, dass Ärzte und Pflegende die verschiedenen Entscheidungen zur Therapiebegrenzung hinsichtlich Schwierigkeit und Bewertung sehr unterschiedlich wahrnehmen. Während Entscheidungen gegen Reanimation oder Verlegung auf Intensivstation nicht so schwer vielen, wurden Entscheidungen zur Begrenzung tumorspezifischer Therapien als die schwierigeren aus medizinischer und ethischer Sicht eingestuft. Im Rekurs auf das Konzept „medical futility“ wurden eher die Entscheidungen, den Patienten nicht zu reanimieren begründet, während dieses Konzept bei Entscheidungen gegen Chemotherapie keine so große Rolle spielte. Schlussfolgerung: Entscheidungen zur Therapiebegrenzung werden im klinischen Alltag differenziert erlebt und ethisch unterschiedlich begründet. 3 Zur Bedeutung einer historisch fundierten Argumentation in der Debatte um Sterbehilfe G. Hohendorf Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München In der Debatte um die Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe oder des ärztlich assistierten Suizids spielt im deutschsprachigen Raum weiterhin eine mehr weniger offen formulierte Rücksichtnahme auf die jüngere deutsche Geschichte, insbesondere auf die nationalsozialistischen EuthanasieMaßnahmen eine Rolle. Diese historische Rücksichtnahme wird jedoch zumeist in Form eines moralischen Appells oder einer moralischen Intuition formuliert und selten explizit begründet. Befürworter der aktiven Sterbehilfe sprechen daher gerne von einem unaufgeklärten Tabu, das eine unvoreingenommene Debatte um die Euthanasie in Deutschland erschwere. Dieser Beitrag geht der Frage nach, welcher argumentative Stellenwert der historischen Erfahrung der nationalsozialistischen Euthanasie-Maßnahmen in der gegenwärtigen Debatte zukommen kann und soll. Dabei spielt die Rekonstruktion der Debatte um die Sterbehilfe im deutschsprachigen Raum seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ebenso eine Rolle wie die Untersuchung von Brüchen und Kontinuitäten in gesellschaftlichen Umgang mit dem Problem der Euthanasie nach 1945. Die sorgfältige Rekonstruktion der historischen Voraussetzungen der nationalsozialistischen EuthanasieMaßnahmen und der epochenübergreifenden Strukturmomente in der Debatte um die Sterbehilfe bietet die Möglichkeit, methodisch fundiert nach der Berechtigung zu fragen, in der gegenwärtigen Debatte um die Sterbehilfe auf die historische Erfahrung der ärztlichen Tötung von als „lebensunwert“ klassifizierten Menschen als eine mögliche Gefährdung für moderne Gesellschaften zu verweisen. Dabei spielt die Untersuchung der Argumentationsfigur der schiefen Ebene eine zentrale Rolle. Lässt sich also aus der historischen Tatsache einer sich immer stärker radikalisierenden Debatte über den „Lebensunwert“ von schweren Leidenszuständen und von Menschen mit schweren Behinderungen ein Argument ableiten, das bei der Zulassung von aktiver Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid vor ähnlichen Ausweitungen einer ursprünglich streng auf die Autonomie des Einzelnen begrenzten Regelung *Dieses Projekt wird gefördert durch die Deutsche Krebshilfe Projekt Nr. 109658 23 warnt? Oder können wir die Geschichte nach 70 Jahren getrost ruhen lassen, um unsere ethischen Entscheidungen unvoreingenommen abwägen zu können? – Der Beitrag versucht auf diese Fragen eine methodisch fundierte Antwort zu geben. 4 stellungen der beteiligten Personen notwendig. Gelingende Entscheidungen gehen über das einfache Mitteilen von Information (Arzt) oder Wünschen (Patient) hinaus und akzeptieren die Konflikthaftigkeit der Situation. Durch das gemeinsame Thematisieren ua von Fragen des guten Lebens oder persönlicher Verantwortung, die je nach kulturellem Kontext unterschiedlich sind, kann der Komplexität und Interdependenz von Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen besser entsprochen und können Konflikte gemeinsam bearbeitet werden. Geteilte Verantwortung: Verantwortungszuschreibung von Seiten medizinischer Laien im interkulturellen Vergleich J. Inthorn Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen Fragestellung: Gemeinsame Entscheidungsfindung von Arzt und Patient bei medizinischen Entscheidungen kann dazu beitragen, Konflikte bereits im Vorfeld zu entschärfen. Solche gemeinsamen Entscheidungen basieren nicht nur auf Voraussetzungen wie Aufklärung und Einwilligung, sondern benötigen auch geteilte Strukturen und geteilte Verantwortung für diesen Entscheidungsprozess zwischen Arzt und Patient. Der Beitrag untersucht an Hand eines interkulturellen Vergleichs zwischen Deutschland und Israel wie solche Strukturen geteilter Verantwortung aus Sicht medizinischer Laien in ethischen Konfliktsituationen aussehen soll. Methodik: In einer kulturvergleichenden Studie zwischen Israel und Deutschland wurde die Perspektive medizinischer Laien auf Entscheidungen am Lebensende und die Integration von Gentests in die eigene Lebensplanung mit Hilfe von Fokusgruppen untersucht. Hierbei stand die Darstellung von geteilter Verantwortung in Entscheidungsprozessen an Hand von Konfliktszenarien im Zentrum des Forschungsinteresses. Ergebnisse: Medizinische Laien betonen in ihren Aussagen die gemeinsame Verantwortung von Arzt und Patient für medizinische Entscheidungen. Ausgangspunkt ihrer Argumentation ist auf der einen Seite die Autonomie des Patienten und dessen konkrete Wertvorstellungen und auf der anderen Seite das ärztliche Ethos als Rahmen ärztlicher Handlungen. Im Abgleich der Verantwortung wird betont, dass weder Arzt noch Patient wechselseitig Ansprüche aneinander stellen dürfen, die für die andere Person unzumutbar oder mit deren Wertvorstellungen unvereinbar sind. Um einen sensiblen Umgang zwischen Arzt und Patient zu ermöglichen, sind daher inhaltlich gefüllte Vorannahmen hinsichtlich der Wertvor- 5 Zur Wirkmächtigkeit ethischer Argumente in der Bewertung von Sterbehilfe bei Medizinstudierenden M. Brossmann, F. Asbrock und C. Seifart () Ethikkommission, Fachbereich Humanmedizin Philipps-Universität Marburg Hintergrund: Die Entwicklung einer zunehmenden technisierten, leistungskräftigeren Medizin führt dazu, dass immer häufiger Entscheidungen am Lebensende getroffen werden. Neben der Diskussion um Therapiebegrenzungen und Therapien am Lebensende unter Inkaufnahme einer Lebensverkürzung wurden auch Tötung auf Verlangen und ärztliche Beihilfe zum Suizid im öffentlichen Diskurs wieder zunehmend thematisiert. Insbesondere die moralische Zulässigkeit der letztgenannten Sterbehilfeformen wurde dabei kontrovers diskutiert. Die Frage, inwieweit eine themennahe Ausbildung und damit verbundene Erfahrungen, die moralische Reflexion zum Thema Sterbehilfe beeinflussen könnte und welche ethischen Argumente dabei eine Rolle spielen, lag der vorliegenden empirischen Untersuchung zugrunde. Methode: Marburger Medizinstudierende (n=571) wurden zu Beginn des Medizinstudiums (1.Semester), vor (5. Semester) und nach dem Ethikunterricht (8. Semester), hinsichtlich ihrer Einstellungen zu verschiedenen Sterbehilfeformen befragt. Für diese Kohortenanalyse wurde ein adaptierter Fallvignetten-basierter Fragebogen einer repräsentativen Umfrage zur Sterbehilfe in der Schweiz (aus dem kriminologischen Institut der Universität Zürich, Prof. Schwarzenegger) verwendet. Zusätzlich wurden die einschlägigen ethischen Argumente, die die Sterbehilfedebatte prägen, in den Fragebogen inkludiert. 24 Ergebnisse: Therapie am Lebensende (indirekte) und sterben lassen (passive Sterbehilfe) wurden überwiegend als moralisch zulässig angesehen. Tötung auf Verlangen wurde moralisch überwiegend abgelehnt. Die ärztliche Beihilfe zum Suizid erhielt die moralische Zustimmung der Studierenden nur unter der Bedingung, dass der Patient aufgrund einer tödlichen Krankheit und unerträglicher Schmerzen sein Leben beenden will. Für die unterschiedliche Bewertung spielten verschiedene ethische Argumente eine Rolle. Hinsichtlich Tötung auf Verlangen waren Ärztebelastung und Tötungsverbot die tragenden Argumente. Patientenautonomie, Dammbruchargumente und Religiosität waren von deutlich geringerer Wichtigkeit. Im Gegensatz dazu waren bei der Bewertung der Zulässigkeit der ärztlichen Beihilfe zum Suizid Patientenautonomie und Ärztebelastung tragend, gefolgt von dem Tötungsverbot und Dammbruchargumenten. Der Ethikunterricht im 7. bzw. 8. Semester führte zu einem signifikant verbesserten grundsätzlichen Wissenstand der Studierenden hinsichtlich ethischer und rechtlicher Aspekte der Sterbehilfeformen. Patientenautonomie wurde als weniger wichtiges Argument in höheren Semestern für die Zulässigkeit der ärztliche Beihilfe zum Suizid bewertet, hinsichtlich Tötung auf Verlangen zeigte sich kein Unterschied zwischen den Kohorten. Diskussion: Die unterschiedliche Wertung der Patientenautonomie hinsichtlich der Tötung auf Verlangen und der ärztlichen Beihilfe zum Suizid weist zwar auf eine Differenzierung der Sterbehilfeformen hin. Allerdings bleibt offen, ob Patientenautonomie möglicherweise in einem rein instrumentellen Sinne verstanden wurde, ob die ethische Begründung der Zulässigkeit der Sterbehilfeformen möglicherweise nicht verstanden wurde, oder tatsächlich Patientenautonomie von den Medizinstudierenden als nur gering tragendes Argument bei Tötung auf Verlangen angesehen wurde. Bemerkenswert ist zudem die große Rolle der Ärztebelastung als Argument und der geringe Einfluss andere Argumente (beispielsweise von Dammbruchargumenten), was in einem gewissen Kontrast zur theoretisch geführten Debatte steht. 6 Patientenverfügung im Praxistest. Geringe Vorsorge bei Hirntumorpatienten G.M. Hoppe (), K. Laryionava, F. Winkler, W. Wick, E.C. Winkler Interdisziplinäres Wissenschaftszentrum Medizin-Ethik-Recht, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Seit der Gesetzesnovelle von §1901a BGB ist die Wahrung der Patientenautonomie am Lebensende juristisch gewährleistet, falls eine Patientenverfügung vorliegt. Kern ihrer Wirksamkeit sind konkrete Entscheidungen des einwilligungsfähigen Volljährigen über Behandlungswünsche bzw. deren Ablehnung für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit. Da Tumoren des Gehirns regelmäßig zur Einwilligungsunfähigkeit führen, sind Hirntumorpatienten als Indikator für die Praxistauglichkeit von Patientenverfügungen besonders geeignet. Untersucht wurde, inwiefern diese Patientengruppe die Möglichkeit nutzt, ihren Willen am Lebensende zu dokumentieren. Methode: Quantitative und qualitative Analyse der schriftlichen Willenserklärungen aller Patienten auf der Neuroonkologischen Station der Kopfklinik des Universitätsklinikums Heidelberg vom 01.09.2009 (Inkrafttreten der Novellierung) bis zum 01.09.2012 und inhaltsanalytische Auswertung qualitativer Interviews mit den Stationsärzten (n=4). Ergebnisse: Von über 500 in diesem Zeitraum behandelten Patienten nutzten 20 Vorausverfügungen: 5 Personen hatten eine Patientenverfügung verfasst, 7 Personen eine Vorsorge- bzw. Generalvollmacht erteilt und 8 weitere Personen legten beides vor (Patientenverfügung und Vollmachtserteilung). Wegen Einwilligungsunfähigkeit wurde im selben Erhebungszeitraum für 44 Patienten die gesetzliche Betreuung angeordnet. Aus Sicht der Ärzte konfligieren Hoffnung auf Therapieerfolg und Gedanken an das Sterben bei Patienten derart, dass sie die Beschäftigung mit der eigenen Patientenverfügung als Bedrohung des Lebenswillens werten. Mit Rücksicht auf das sensible Thema und dessen Verdrängung informieren Ärzte nur dann über die Möglichkeit der Vorausverfügung, wenn der Aufklärungswunsch vom Patienten ausgeht. Schlussfolgerung: Nur wenige Hirntumorpatienten begegnen der drohenden Einwilligungsunfähigkeit mit vorsorglicher Willensdokumentation. Dadurch wird die Möglichkeit ausgelassen, wich25 tige Entscheidungen über das eigene Lebensende selbst zu treffen und stattdessen anderen die Entscheidung aufgetragen. Um dem entgegenzuwirken und das Aufkommen von Patientenverfügungen zu steigern, schlagen wir vor, die Informationspraxis zur Organspende als Vorbild zu nehmen und im klinischen Verlauf standardisiert über Patientenverfügungen zu informieren. Der Konflikt zwischen Fürsorgeüberlegung der Ärzte und Anspruch, die Patienten über Vorausverfügungen aufzuklären, könnte auf diese Weise entschärft werden. 7 Ergebnisse: Die Auswertungsmatrix besteht aus 41 Items, zusammengefasst unter „General information“ (e.g. „Research and purpose“), „Conditions of participiation“ (e.g. “Right to withdraw“), „Consequences of participiation“ (e.g. „Risk“, „Findings and incidental findings“), „Dealing with data“ (e.g. „Privacy and identifiability of data“) und sonstigen Items (“Options (partially consent)”). Die Items waren in den untersuchten deutschen Einwilligungsbögen sehr heterogen vertreten, die Spanne lag zwischen 6 und 28 Items. Im Vortrag werden einige Items und deren Berücksichtigung in der EinwilligungsbögenStichprobe vorgestellt; außerdem wird der Erstellungsprozess der Auswertungsmatrix illustriert. Diskussion: Die Untersuchungsergebnisse sprechen für eine Verbesserung und sehr wahrscheinlich Vereinheitlichung in der Aufklärung über Biobankforschung in Einwilligungserklärungen. Die hier vorgestellten Ergebnisse sollen zu einer systematischen Erarbeitung eines „best practice“ Modells eines Consents für Biobankforschung beitragen. Zur Überarbeitung eines solchen Modells für Biobanken werden Folgeschritte wie die Diskussion mit Stakeholdern (z.B. Ethiker, Juristen, Forscher, Probandenvertreter) und eine Nutzertestung skizziert. Biobankforschung und Consent: eine Untersuchung von nationalen Einwilligungserklärungen I. Hirschberg (), H. Knüppel, D. Strech CELLS – Centre für Ethics and Law in the Life Sciences, Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover Hintergrund: In der biomedizinischen Forschung wächst die Bedeutung von sog. Bio(material)banken. Wie für diagnostische und therapeutische Maßnahmen ist die Einwilligung eine Grundvoraussetzung zur Gewinnung und Sammlung der Proben und klinischen Daten der Probanden. Dabei stellen sich u.a. Fragen zu Reichweite und Inhalt der Einwilligung, gerade bzgl. zukünftiger Forschungsprojekte (Stichwort: Broad Consent). Bisher gibt es kein systematisch entwickeltes „best practice“ Konzept eines Consent Modells für Biobanken. Des Weiteren sind für die Biobankforschung keine ähnlich etablierten Guidances wie für die klinische Forschung am Menschen verfügbar (z.B. CIOMS 2002, Deklaration von Helsinki 2008). Methoden: Zur Erhebung des Status quo in Deutschland wurden die aktuell verwendeten Einwilligungsbögen der im Nationalen Biobankregister verzeichneten Biobanken (Stand Juli 2012) untersucht. Die Auswertungsmatrix wurde auf der Basis von Dokumenten zur A) biomedizinischen Forschung am Menschen und B) zur Biobankforschung entwickelt; die Dokumente wurden auf mögliche Inhalte eines Consents und die Relevanz für die Biobankforschung untersucht. Anschließend wurde die Auswertungsmatrix auf die Einwilligungsbögen deutscher Biobanken angewendet. 8 Entscheidungsfindung bei der Versorgung von Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen – Methodentriangulation qualitativer Sozialforschung im Rahmen einer empirisch-ethischen Analyse S. Wäscher (), S. Salloch, P. Ritter, J. Vollmann, J. Schildmann NRW-Nachwuchsforschergruppe „Medizinethik am Lebensende: Norm und Empirie“, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum Ethische Aspekte medizinischer Entscheidungen sind Gegenstand zahlreicher medizinethischer Untersuchungen. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive stellen sich medizinische Entscheidungsfindungsprozesse, insbesondere in der Onkologie, als vielschichtig und komplex dar. Insbesondere das Wechselspiel zwischen Individuum und Struktur fordert das Repertoire qualitativer empirischer Sozialforschung heraus. Auf individueller Ebene treffen die unterschiedlichen Perspektiven der an der Behandlung beteiligten Per26 sonen (z.B. Patienten, Ärzte, Pflegepersonal, Angehörige) aufeinander und müssen in Entscheidungen überführt werden. Hierfür stellen strukturelle Gegebenheiten jedoch überhaupt erst den Rahmen zur Verfügung und müssen demgemäß stets mit in Betracht gezogen werden. Der Beitrag stellt besonders methodische Aspekte einer umfassenden ethisch-empirischen Studie vor. Zielsetzung der Gesamtstudie ist die Entwicklung und Umsetzung einer Intervention basierend auf der sozialen Praxis in der Onkologie. Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, auf welche Weise sich komplexe Sachverhalte, wie Entscheidungsfindungsprozesse bei der Versorgung von Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen mithilfe qualitativer Sozialforschung adäquat abbilden und dadurch als Ausgangspunkt für eine ethisch-normative Analyse nutzbar machen lassen. Im ersten Teil des Beitrags wird gezeigt, wie durch die Triangulation dreier komplementärer empirischer Forschungsmethoden Daten zur Rekonstruktion komplexer Entscheidungsfindungsprozesse erhoben werden. Nicht-teilnehmende Beobachtungen bei drei unterschiedlichen Settings (Interdisziplinäre Tumorkonferenz, Oberarztvisite, onkologische Ambulanz) dienen in einem ersten Schritt der allgemeinen und gleichzeitig möglichst nicht-invasiven Erschließung des Forschungsfeldes. Geleitet durch die Ergebnisse der Beobachtungen werden in einem zweiten Schritt qualitative Interviews mit den relevanten Stakeholdergruppen (medizinisches Personal, Patienten und Angehörige) geführt. In einem dritten Schritt werden die zuvor erhobenen Daten zur Konstruktion von Fokusgruppen zusammengeführt, um auf diese Weise empirische Daten zu generieren, die über die jeweiligen Einzelperspektiven hinausgehen. Auf den sozialempirischen Rekonstruktionen von Entscheidungsfindungen bei der Versorgung von Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen aufbauend, werden im abschließenden Teil ausgewählte medizinethische Problemstellungen diskutiert. Dafür werden Ergebnisse der Datenanalyse vorgestellt, die als ethische Herausforderungen bei Entscheidungsfindungsprozessen in Erscheinung getreten sind, und vor dem Hintergrund normativer Konzepte (z.B. „informed consent“) erörtert. 9 Abwägungsprozesse im Vorfeld der (neuen) nicht-invasiven Pränataldiagnostik V. Simonovic Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen Bei den Abwägungsprozessen im Vorfeld der pränatalen Diagnostik sind drei ethisch relevante Parteien vorhanden: der Arzt, die schwangere Frau (bzw. das Paar) und der Fötus. Die ArztSchwangeren-Interaktion im Vorfeld der nichtinvasiven pränatalen Diagnostik hat sich dahin entwickelt, dass diese diagnostischen Verfahren in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern allen Schwangeren offen stehen, ohne dass eine vorherige ärztliche Indikation notwendig ist. Die Rolle bzw. die Pflichten der involvierten Ärzte beschränken sich auf den Bereich der ‚Information’, um die reproduktive Autonomie der Frau (bzw. des Paares) zu stärken, die ggf. mit den möglichen Rechten oder Schutzansprüchen der Feten kollidiert. Das die traditionelle Arztrolle in der klinischen Medizin prägende Paradigma der ‚Indikation’ wurde hier, weitestgehend durch das Paradigma der ‚Information’ ersetzt. Zudem steht die nicht-invasive pränatale Diagnostik unmittelbar vor einer Revolution. Die Forschergruppe um Dennis Lo zeigte 1997, dass sich zusätzlich zu den fetalen Zellen auch freie fetale DNA im maternalen Blut befindet. Mittlerweile können anhand der im maternalen Plasma befindlichen fetalen DNA nicht nur numerische Chromosomenaberrationen nachgewiesen werden, 2012 gelang auch die Sequenzierung des kompletten fetalen Genoms. Mit der – wahrscheinlichen – Einführung dieses neuen Verfahrens (NIPD) gäbe es auf der einen Seite eine Informationsüberladung in der Beratung im Vorfeld von Pränataldiagnostik, der die schwangeren Frauen eher frustriere, als dem Ziel der autonomen Entscheidungsfindung zu dienen, auf der anderen Seite gäbe es keine nennenswerten gesundheitlichen Risiken für die schwangere Frau und den Fötus, zudem würde das Verfahren zu einem früherem Zeitpunkt Befunde liefern, so dass ein Schwangerschaftsabbruch weniger physisch und emotional belastend für die Frau wäre. Eine hohe Akzeptanz und eine gesteigerte Inanspruchnahme dieses Verfahrens unter den schwangeren Frauen wären zu erwarten. Vor diesem Hintergrund sind der klinische Nutzen der nicht-invasiven pränatalen Diagnostik und die damit verbundenen evaluierenden Aspekte, die 27 sich auf Ideen zu Krankheit und Gesundheit beziehen ebenso wie auf die Vorstellungen eines guten Lebens und guten Sterbens, kritisch zu prüfen, um Abwägungen im Vorfeld der nichtinvasiven pränatalen Diagnostik möglich zu machen. Hierfür soll ein Konzept der internen Moralität (internal morality) klinischen Handelns zugrunde gelegt werden, das intrinsisch auf der am Patientenwohl (Frau und Fötus) ausgerichteten Teleologie ärztlicher Handlungen basiert, aber sich auch auf sozial konstruierte Ziele erstreckt. der Wille des Patienten hat Vorrang vor seinem Wohlergehen) oder (2) man wägt die konfligierenden Prinzipien auf der Grundlage fallbezogener Argumente gegeneinander ab. Dabei ist zu prüfen, welche Gründe die Wohlergehens- und Autonomieverpflichtungen jeweils stärken und schwächen, um dann zu einer Abwägung zu gelangen. Diese zweite Option bietet den Vorteil, dass sie auf die spezifische Situation des Falles zugeschnittene Konfliktlösungen ermöglicht. Dies wird anhand der drei Fallbespiele erläutert. Die Stärken und Schwächen dieser fallbezogenen, begründeten Abwägung werden diskutiert. 10 Begründete Abwägungen in der prinzipienorientierten Medizinethik G. Marckmann Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München 11 Neue ‚God Committees’? Die Rolle der Klinischen Ethikberatung bei Entscheidungen zur Wartelistenführung im Vorfeld von Lebertransplantation D. Schmitz Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen Fragestellung: Vor allem im klinisch-ethischen Bereich ist der kohärentistisch begründete Ansatz einer prinzipienorientierten Medizinethik weit verbreitet. Die ethische Aufarbeitung eines Falles erfordert dabei die systematische Abklärung der ethischen Verpflichtungen gegenüber dem Patienten und gegenüber Dritten, die sich aus den vier klassischen medizinethischen Prinzipien Wohltun, Nichtschaden, Respekt der Autonomie und Gerechtigkeit ergeben. In einer Synthese ist dann zu prüfen, ob die resultierenden ethischen Prinzipien konfligieren oder konvergieren. Wie die konfligierenden Prinzipien im Konfliktfall gegeneinander abgewogen werden können, ist durch den Ansatz einer prinzipienorientierten Medizinethik selbst nicht mehr vorgegeben. Der vorliegende Vortrag geht deshalb der Frage nach: Wie kann in diesen Fällen eine ethisch gut begründete Entscheidung getroffen werden? Methodik: Zunächst werden die Grundzüge einer kohärentistisch begründeten, prinzipienorientierten Medizinethik skizziert. Ausgehend von drei konkreten Fallbeispielen aus der Klinik, bei denen sich ein Konflikt zwischen den Wohltuns- und Autonomieverpflichtungen ergeben hat, wird dann untersucht, wie eine ethisch gut begründete Entscheidung getroffen werden kann. Ergebnisse: Es bestehen zwei unterschiedliche Möglichkeiten, die Konflikte zwischen Wohlergehen und Willen des Patienten zu lösen: (1) Man nimmt apriori eine vom konkreten Fall unabhängige relative Gewichtung der Prinzipien an (z.B. Fragestellung: Gemäß Transplantationsgesetz und entsprechend der in der Folge formulierten Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) ist über die Aufnahme eines individuellen Patienten in die Warteliste zur Organtransplantation nicht nur nach (medizinischer) Notwendigkeit, sondern auch nach Erfolgsaussicht zu entscheiden. Im Einzelfall kann es zu der Situation kommen, in der ein aufgrund seines aktuellen klinischen Zustandes dringend auf ein Spenderorgan angewiesener Patient nicht in die entsprechende Warteliste aufgenommen wird. Im speziellen Fall der Lebertransplantation müssen Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose gemäß der Richtlinien der BÄK eine mindestens sechsmonatige Alkoholabstinenz eingehalten haben, bevor sie in die Wartelisten aufgenommen werden. Diese auch international so übliche, wie kontrovers diskutierte Regel kann in der individuellen Behandlungssituation zu schweren ethischen Konflikten für die jeweils für die Listung zuständige Transplantationskonferenz führen. In dem Beitrag soll überprüft werden, ob die Klinische Ethikberatung ein geeignetes Instrument zur Unterstützung in der beschriebenen Konfliktsituation darstellen könnte. Methodik: Hierzu wird der einer Entscheidung über die Aufnahme eines Patienten in die Warteliste zur Lebertransplantation zugrunde liegende 28 ethische Konflikt zunächst analysiert und zu typischen Fallsituationen in der Klinischen Ethikberatung in Bezug gesetzt. Dann werden verschiedene philosophische Modelle und daraus abgeleitete institutionalisierte Formen der Klinischen Ethikberatung im Hinblick auf ihre Eignung in der beschriebenen Konfliktsituation untersucht und bewertet. Ergebnisse: Die Konfliktsituationen, die sich im Bereich der Wartelistenführung beispielsweise vor Lebertransplantation ergeben und aktuell durch die große mediale Öffentlichkeit für die Thematik noch verschärft werden, unterscheiden sich in verschiedenen Aspekten grundsätzlich von typischen, ganz überwiegend auf der individualethischen Ebene ablaufenden Beratungssituationen in der Klinischen Ethikberatung. Einer etwaigen klinischen Ethikberatung muss daher ein Prozess der Reflexion und Positionierung innerhalb der beratenden Institution (z.B. des Klinischen Ethik Komitees) zu den neuen Fragen und Herausforderungen einer solchen Beratung unter Bezugnahme auf das jeweils gewählte philosophische Beratungsmodell vorausgehen, aus der sich unter Umständen auch eine vollständige Absage an eine Beratung in derartigen Konfliktsituationen ergeben kann. sendere Betrachtungsweise des Alter(n)s einzubetten. Methode: In einer deskriptiven Perspektive werden zunächst drei prominente medizinethische Ansätze zur Begründung der Altersrationierung skizziert und im Hinblick auf vorausgesetzte Annahmen bezüglich des Alter(n)s betrachtet. Ausgehend von der sozialwissenschaftlichen LifeCourse Forschung werden sodann Begrifflichkeiten formuliert, mit deren Hilfe sich diese Annahmen im Sinne normativ gehaltvoller Vorstellungen bezüglich der zeitlichen Erstreckung und Verlaufsstruktur des menschlichen Lebens explizieren und analysieren lassen. Abschließend werden auf der Grundlage strebensethischer Reflexionen zum guten Leben sowie kommunitaristischer Ansätze zur Mittelverteilung inhaltliche und prozedurale Gesichtspunkte angesprochen, die bei einer allokationsethisch erforderlichen Verständigung über derartige normative Lebensverlaufskonzeptionen zu berücksichtigen sind. Ergebnisse: Angesichts der steigenden Lebenserwartung und der einhergehenden Transformation der Lebensperspektiven kann die Medizinethik traditionelle Lebensverlaufsmuster nicht mehr als objektive Gegebenheiten hinnehmen, sondern muss in eine ausdrückliche und systematische Auseinandersetzung über ihre Berechtigung eintreten. Sie hat stillschweigend vorausgesetzte biographische Normen in kritischer Perspektive aufzudecken und so einer argumentativen Erörterung zugänglich zu machen. Überdies ist in konstruktiver Absicht einen begrifflichkonzeptioneller Rahmen zu entwickeln, der der Bedeutung normativer Lebensverlaufskonzeptionen für die Erörterung medizinethischer und gesundheitspolitischer Fragen angemessen ist. Eine Entscheidung über die Altersrationierung verlangt mithin eine grundlegende Verständigung darüber, was es bedeutet, alt zu werden und zu sein. 12 Vom Konflikt zwischen den Generationen zur Verständigung über den Lebensverlauf: Eine ethische Reflexion biographischer Normen in der Debatte um die Altersrationierung medizinischer Versorgung M. Schweda Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen Hintergrund und Fragestellung: Angesichts der Mittelknappheit im öffentlichen Gesundheitswesen wird in Medizinethik und Sozialpolitik verstärkt über eine Begrenzung medizinischer Leistungen in Abhängigkeit vom Lebensalter diskutiert. Allerdings wird eine solche Altersrationierung vornehmlich im Sinne einer Verteilung begrenzter Ressourcen zwischen unterschiedlichen Altersgruppen erörtert, wobei ohne weitere Reflexion ungesicherte, oftmals fragwürdige Annahmen bezüglich des Altern(s) in die Debatte einfließen. Der Beitrag plädiert daher für eine Erweiterung des theoretischen Blickwinkels: Die konfliktorientierte Perspektive ist in eine umfas29 Eingeladene Referenten Landesbischof H. Bedford-Strohm Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, München PD Dr. med. J. Schildmann , MA Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum W.-M. Catenhusen Deutscher Ethikrat, Berlin Pfarrer Dr. theol. K. W. Schmidt Zentrum für Ethik in der Medizin, Agaplesion Markus Krankenhaus, Frankfurt am Main K. Weber-Hassemer ehemals Nationaler Ethikrat, Berlin und Oberlandesgericht Frankfurt Prof. Dr. phil. T. Schmidt Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin PD Dr. med. Dr. phil. R. J. Jox Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München PD Dr. phil. A. Simon Akademie für Ethik in der Medizin, Göttingen Prof. Dr. J. Sugarman Berman Institute for Bioethics, Baltimore, USA Dr. med. K. Kobert Klinische Ethik, Evangelisches Krankenhaus Bielefeld Prof. Dr. phil. M. H. Werner Philosophische Fakultät, Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald Prof. Dr. phil. H. Remmers Fachgebiet Pflegewissenschaft, Universität Osnabrück Prof. Dr. phil. B. Gesang Philosophische Fakultät, Universität Mannheim Dr. rer. biol. hum. K. Kühlmeyer, Dipl. psych. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München PD Dr.med. Dr. phil. E.-C. Winkler Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg Prof. Dr. phil. J. Nida-Rümelin, Staatsminister a. D. Lehrstuhl für Philosophie IV, Ludwig-MaximiliansUniversität München Prof. Dr. med. C. Wiesemann Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen N. Paulo Philosophisches Seminar, Universität Hamburg Dr. phil. O. Rauprich, Dipl. Biol. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. rer. soc. S. Reiter-Theil, Dipl. Psych. Institut für Bio- und Medizinethik, Universität Basel Prof. Dr. rer. nat. S. Schicktanz Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen 31 Personenregister Asbrock, F. 24 Becker, C. 22 Bedford-Strohm, H. 7, 31 Brossmann, M. 24 Catenhusen, W.-M. 7, 31 Christ, C. 22 Coors, M. 5, 10 Dörries, A. 5 Eichorn, K. 22 Erlinger, R. 6 Fiebach, C. 15 Fourie, C. 6, 21 Gesang, B. 5, 31 Haas, M. 6, 13 Herberhold, M. 15 Heußner, P. 22 Hiddemann, W. 22 Hirschberg, I. 26 Hohendorf, G. 23 Hoppe, G.M. 25 Huber, J. 15 Inthorn, J. 24 Jox, R.J. 5, 31 Jung, C. 6, 20 Kipke, R. 6, 17 Kliesch, F. 6, 15, 19 Knüppel, H. 26 Kobert, K. 6, 31 Kohlen, H. 6, 13 Kühlmeyer, K. 5 Langanke, M. 6, 16 Laryionava, K. 22, 25 Marckmann, G. 1, 5, 28 May, A. 5, 10 Meyerhoff, H.M. 9 Neitzke, G. 6, 13 Nida-Rümelin, J. 1, 5, 31 Paulo, N. 5, 6, 16, 31 Raters, M.L. 12 Raters, M.-L. 6 Rauprich, O. 5, 31 Rehbock, T. 15 Reiter-Theil, S. 6, 31 Remmers, H. 5, 31 Riedel, A. 5 Ritter, P. 5, 11, 26 Romfeld, E. 6, 18 Salloch, S. 5, 6, 11, 18, 26 Salomon, F. 6 Schicktanz, S. 6, 7, 31 Schildmann, J. 5, 6, 11, 18, 26, 31 Schmidt, K.W. 6, 31 Schmidt, T. 5, 9, 31 Schmitz, D. 28 Schochow, M. 5, 10 Schöne-Seifert, B. 5 Schweda, M. 29 Seifart, C. 24 Simon, A. 6, 31 Simonovic, V. 27 Steger, F. 5, 10 Stöcker, R. 6 Strech, D. 6, 20, 26 Sugarman, J. 5, 9, 31 Szlezák, I.V. 5, 12 Taupitz, J. 6, 7 Vollmann, J. 5, 6, 11, 18, 26 Walker, A. 6, 14 Wäscher, S. 5, 6, 11, 18, 26 Weber-Hassemer, K. 7, 31 Werner, M.H. 5, 31 Wick, W. 25 Wiesemann, C. 7, 31 Wild, V. 6, 21 Winkler, E.C. 5, 22, 25, 31 Winkler, F. 25 32 J ahr es t agung2013 Vom Konf l i ktzurLös ung: Et hi s cheEnt s chei dungs wegei nderBi omedi zi n mi tf r eundl i cherUnt er s t üt zungvon: Er i chDor pFonds i m St i f t er ver bandf ürdi e Deut s cheWi s s ens chaf te. 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