Pflanzenpower Die Traubensilberkerze soll Erkrankungen der Gebärmutter lindern – sagen zumindest die Indianer Nordamerikas. Westliche Phytotherapeuten halten jedoch nur die Behebung von Wechseljahr-Beschwerden für erwiesen. Text: Marion Kaden Foto: Bildagentur Waldhäusl D ie Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) gehört zum Heilpflanzen-Schatz der nordamerikanischen Indianer. Sie verwendeten nur die in Scheiben geschnittene und ohne Sonneneinwirkung getrocknete Wurzel. Der Erntezeitpunkt der Wurzel war in der indianischen Heilkunde von Bedeutung: Sie musste vor Sonnenaufgang geerntet werden. Dann half sie gegen Menstruationsbeschwerden oder diente zur Linderung von Geburtsschmerzen. Wurde sie als Arznei gegen Rheuma, Arthritis, Asthma, Schlangen- oder Insektenbisse gebraucht, musste zum Erntezeitpunkt die Sonne ihren Höchststand erreicht haben. Entsprechend verfügten die Heilkundigen über verschiedene Behälter mit den zu unterschiedlichen Zeiten geernteten Wurzeln. Chrüteregge GESUNDHEIT gegen Wallungen Hilfe bei Alkoholvergiftungen Doch nicht nur getrocknet setzten die Indianer die Wurzel ein. Die frische Wurzel verarbeiteten sie zu Press-Saft. Diesen mischten sie entweder mit Ahornsirup oder Honig und setzten diese Mischung gegen Husten, Keuchhusten, Leber- oder Nierenerkrankungen ein. Über indianische Heiler gelangten die Traubensilberkerzen-Anwendungen zu den weissen Siedlerinnen. Sie setzten die Heilpflanze vor allem gegen Menstruationsbeschwerden und als Stärkungsmittel nach schweren Geburten ein. Amerikanische Ärzte hielten diese Indikationen erstmals 1801 schriftlich fest. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wandten sich Ärzte auch den entzündungshemmenden Wirkstoffen bei Arthritis und Rheuma zu. Ein trauriges Kapitel schlugen die Weissen auf, als sie begannen, billigen Alkohol als Zahlungsmittel für Pelze oder Waffen einzusetzen: Da Indianer Alkohol nur schlecht verstoffwechseln können, erlitten sie beim Alkoholkonsum schwere Vergiftungen. Hier sollen indianische Heilkundige ihre Landsleute mit Auszügen von Wurzelpulver versorgt haben, das in heissem Wasser aufgelöst, beruhigend und krampflösend wirkte. Die Wechseljahre Für Frauen in den Wechseljahren (Klimakterium) endet die EierstockFunktion und die Bildung von weiblichen Geschlechtshormonen nimmt ab. Neues Wissen für den alten Kontinent Dieser natürliche Vorgang beginnt am häufigsten zwischen dem 48. und Im 19. Jahrhundert begannen amerikanische Homöopathen sich mit der Heilpflanze zu beschäftigen. Der wohl berühmteste US-Homöopath, James Taylor Kent (1849 bis 1916), dokumentierte praktische Erfahrungen am Kranken, nahm jedoch noch keine Prüfung am Gesunden vor, wie sie für eine abschliessende Beurteilung eines homöopathischen Arzneimittels erforderlich ist. Seine Erkenntnisse gelangten Anfang des 20. Jahrhunderts zu den europäischen Kollegen, die die Indianerpflanze in Europa bekannt machten. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts interessierten sich auch Phytotherapeuten für die Traubensilberkerze. Das «Lehrbuch der biologischen Heilmittel», von Gerhard Madaus 1936 52. Lebensjahr. Die Wechseljahre kündigen sich oft durch unregelmässige, manchmal auch verstärkte Blutungen an. Auch Beschwerden wie Hitzewallungen, Erschöpfung, Schlafstörungen kommen vor. Solche Störungen des vegetativen Nervensystems verunsichern zwar manche Frauen, sind jedoch nicht gefährlich oder Ausdruck einer Krankheit. 25 bis 30 Prozent der Frauen im Wechsel klagen über starke, 30 Prozent über leichte Beschwerden. Die Hormonumstellung führt allmählich zu einigen Veränderungen. Beispiel: Die Haut wird dünner, heilt aber besser. Schleimhäute können leicht austrocknen, was zum Beispiel Schmerzen beim Sex verursachen kann (siehe auch «Natürlich» Die spitzen und tief gesägten Blätter der Traubensilberkerze 8-05). Das relative Überwiegen von Testosteron – im Vergleich zu den weiblichen Geschlechtshormonen aus Fettgewebe und Nebennierenrinde – macht Sex jedoch intensiver. Der Wechsel wird von Frauen unterschiedlich empfunden. Bei der Verarbeitung dieses Lebensabschnitts spielen viele Faktoren eine Rolle: Gesundheitszustand, soziale Stellung, Bildung, Glaube, kulturelle Foto: Beat Ernst, Basel Unterschiede. Bei starken Beschwerden, bei denen vormals Östrogenpräparate Effekte hatten, können pflanzliche Hilfsmittel wie Cimicifuga Beschwerden lindern. Natürlich | 7-2006 53 GESUNDHEIT Chrüteregge herausgegeben, spiegelt als umfassendes Kompendium das damalige wissenschaftlich orientierte Heilpflanzen-Wissen wider. Madaus widmete der Heilpflanze erst fünf Seiten, weil bis zu dem Zeitpunkt nur wenig Ärzte Erfahrungen mit der Pflanze gesammelt und dokumentiert hatten. Madaus trug Berichte von Verordnungen bei Bronchialkatarrhen, Rheumatismus, Neuralgien und Uterus- und Ovarienbeschwerden zusammen. Ärzte stellten auch Erfahrungen von Anwendungen bei Delirium tremens (Alkohol-Delirium), funktioneller Impotenz Gegen Husten Die Indianerpflanze Black Cohosh hat viele andere Namen: Rattle Root, Squaw Root, Bugbane, Bugwort, Rattleweed, Rattlesnake's Root, Rieh Weed. Black Cohosh war von 1820 bis 1936 Bestandteil oder Ohrensausen vor. Seither hat sich in der Erforschung der Pflanze viel getan – sie gehört nun zu einer der am besten untersuchten Pflanzen überhaupt. Pflanzenwirkstoffe statt künstlicher Hormone Seit Ende der 50er-Jahre wurden die Wirkstoffe der Pflanze systematisch erforscht. Wirksamkeit und Verträglichkeit der Traubensilberkerze sind in zahlreichen Untersuchungen geprüft worden. Mittlerweile liegen Studiendaten von mehr als 8000 Frauen vor. Ende der 80er-Jahre wurde die Traubensilberkerze vom ehemaligen Bundesgesundheitsamt der Bundesrepublik Deutschland bei «prämenstruellen und dysmenorrhoischen sowie klimakterisch bedingten neurovegetativen Beschwerden» positiv, also als wirksam bei Menstruations- wie Wechseljahrbeschwerden bewertet. Wie häufig bei pflanzlichen Präparaten kam seitens der Schulmedizin die Kritik, dass die Studien nicht die Kriterien der modernen Medizin erfüllten. Doch seitdem wissenschaftliche Doppelblindstudien mit einigen Wirkstoffen der Traubensilberkerze vorliegen, sind die kritischen Stimmen leiser geworden. Es lässt sich sogar eine gegenteilige Tendenz ermitteln: Denn pflanzliche Traubensilberkerzen-Präparate könnten eine Lücke füllen, die durch die Skandale um die Hormonersatztherapie (HRT) während der letzten Jahre entstanden ist. der US-amerikanischen Pharmakopoe, das ist die Liste der für Medikamente zugelassenen Inhaltsstoffe. Der Pflanze wurden beruhigende, harntreibende, auswurffördernde und krampflösende Eigenschaften zugeordnet. Als Inhaltsstoffe sind bekannt: Triterpenglykoside und Cimicifugosid, Harzfraktion Cimicifugin, Alkaloide, Cytisin, Methylcytisin sowie Flavonoide. Medizinisch verwendet wird der getrocknete, nach der Fruchtreife gesammelte Wurzelstock. Die Traubensilberkerze war auch als Frauenwurzel bekannt. Trapper fanden einen anderen Einsatz. Eine überlieferte Rezeptur bei festsitzendem Husten lautet: Zwei Teelöffel des Wurzelpulvers mit einem halben Liter kochendem Wasser überbrühen. Von diesem Sud dreimal täglich sechs Teelöffel voll kalt trinken. 54 Natürlich | 7-2006 Wissenschaftliche Erkenntnisse Zur Erinnerung: Im Rahmen der HRT verordneten Ärzte Frauen weibliche Geschlechtshormone, um Wechseljahrsbeschwerden zu lindern und vor allem Krankheiten vorzubeugen, zum Beispiel Osteoporose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen (siehe auch «Natürlich» 8-04). Eine gross angelegte amerikanische Studie zeigte jedoch, dass die Medikalisierung gesunder Frauen in den Wechseljahren eine tödliche Angelegenheit sein kann: Etliche Studienteilnehmerinnen bezahlten mit ihrem Leben oder wurden schwer krank, weil die künstlichen Hormone zum Beispiel zu Krebs, Schlaganfällen und anderen Herz-KreislaufErkrankungen geführt hatten. Bis auf ewig gestrige Gynäkologen, die HRT weiterhin gegen den Wechsel, zum Erhalt angeblich schwindender Weiblichkeit oder als vorbeugendes Wundermittel empfehlen, verordnen immer mehr Mediziner bei Wechseljahrbeschwerden pflanzliche Präparate mit so genannter phytoöstrogener Wirkung: Präparate aus Rotklee («Natürlich» 703), Mönchspfeffer oder eben Traubensilberkerze. In welcher Weise Phytoöstrogene wirken, ist immer noch ungewiss. Während früher von einem direkten Effekt am Östrogenrezeptor ausgegangen wurde, bevorzugen Wissenschaftler heute die These, dass Pflanzenwirkstoffe die Funktion der Östrogenrezeptoren teilweise verändern können, zum Beispiel verstärken oder abschwächen. Mehrere kontrollierte Studien allein aus dem letzten Jahr bestätigen entsprechende Aussagen älterer Arbeiten: So zeigten Ärzte der Hildesheimer Frauenklinik, dass der alkoholische Traubensilberkerzen-Auszug Wechseljahrsbeschwerden wie Hitzewallungen wirksam lindert – besonders zu Beginn der Wechseljahre. Keine Krebsförderung festgestellt Die Resultate der Wissenschaftler des pharmazeutischen Instituts der Universität Basel sind ähnlich: Patientinnen hatten nach Einnahme von CimicifugaExtrakten deutlich weniger Beschwerden als Frauen, die Placebo bekamen. Am deutlichsten war der Effekt bei mindestens mittelstarken Beschwerden. Wissenschaftler vom Department of Medicine im amerikanischen Evanston beschäftigten sich mit der Frage, ob Cimicifuga-Extrakte unter Langzeitanwendung giftig wirken oder gar krebsfördernde Effekte haben. Grund: Wenn die Pflanze Östrogen-Rezeptoren stimuliert, wie früher angenommen, müsste es unter der Einnahme zum Beispiel häufiger zu Brustkrebs kommen – ähnlich wie bei der Hormonersatz-Therapie. Zum Einsatz kamen Standard-Labortests, die die Toxizität und die Kanzerogenität des Extraktes bei Zell-Linien prüften, die Östrogenrezeptoren tragen. Die sehr aufwändige Arbeit kommt zu dem Schluss, dass Cimicifuga-Extrakte keine Östrogen-Aktivität entfalten. Die Heilpflanze Fotos: Beat Ernst, Basel Chrüteregge GESUNDHEIT Prächtig: Von Mai bis August blüht die Pflanze üppig bis über zwei Meter Höhe fördert also nicht die Entstehung oder Vermehrung von östrogenempfindlichen Krebszellen. Trotzdem sollten Frauen, die Brustkrebs hatten und Wechseljahrbeschwerden bekommen, unbedingt mit ihrem behandelnden Arzt oder Onkologen besprechen, ob Traubensilberkerzen-Extrakt wirklich ratsam ist. Dies gilt auch und vor allem für Frauen, die entsprechende Extrakte rezeptfrei in der Drogerie, Apotheke oder übers Internet erwerben. Homöopathische Anwendung Die Traubensilberkerze hat aus homöopathischer Sicht ausgeprägte Wirkungen auf die weiblichen Geschlechtsorgane, vor allem auf Gebärmutter und die Eierstöcke. Homöopathische Anwendungen eignen sich zur Selbstmedikation; Cimicifuga D12, drei Kügelchen, einmal wöchentlich, maximal drei Monate. Sie werden bei körperlichen wie seelischen Beschwerden verabreicht, die im Zusammenhang mit der Regel, den Wechseljahren oder einer Entbindung stehen. Homöopathische Leitsymptome sind depressive Stimmung und Beschwerden vor der Regel, die mit grosser Empfindlichkeit einhergehen sowie Schmerzen, die sich quer durch das Becken ziehen. Typisch auch: Je stärker die Blutung, desto stärker die Beschwerden. Verschlechterung der Beschwerden morgens oder durch Kälte. Verbesserung durch Wärme und Essen. Traubensilberkerze gegen Insekten Die Traubensilberkerze gehört zur Familie der Hahnenfussgewächse (Ranunculaceen). Der Gattungsname Cimicifuga stammt aus dem Lateinischen und ist aus den Wortbestandteilen cimex (Wanze) und fuga (Flucht) zusammengesetzt. Die weissen Siedler nutzten die Pflanze – vielleicht wegen ihres aufdringlichen Geruchs oder ihres Namens – als Insektenmittel: Sie hängten die Blüten rechts und links neben den Haustüreingang, um so Schädlinge zu vertreiben. Der lateinische Wortbestandteil racemosus bedeutet Traube und weist eindeutig auf den traubigen Blütenstand hin. Eine Zierde im Garten Die Traubensilberkerze ist eine üppig wachsende Pflanze: Sie wird zwischen 90 Zentimeter und unter guten Bedin- gungen sogar 2,70 Meter hoch. Die Pflanze ist mit ihren aufrechten Stängeln, doppelt gefiederten, spitzen und tief gesägten Blättern unverkennbar. In ihrer Blütezeit von Mai bis August entwickelt sie kleine, weissliche Blüten, die in sehr langen und schmalen Trauben stehen. Daraus entstehen später so genannte Balgfrüchte. Der Wurzelstock ist gross, knollig und hat lange, dünne Wurzelableger von schwärzlicher Farbe. Die wilde Pflanze wurde 1705 erstmals von Botanikern beschrieben und gelangte 1732 als attraktive, beständige und winterharte Pflanze in englische Gärten. Damals wie heute schätzen Gartenfreunde die Silberkerze. Die Staude ist zum Beispiel als Cimicifuga simplex oder -spectabilis im Handel erhältlich und gedeiht im Halbschatten oder Schatten. Die Silberkerze benötigt nährstoffreichen Humusboden und genügend Feuchtigkeit und entfaltet unter diesen Bedingungen ihre ganze weissblühende Pracht. ■ Infobox Literatur • Stammel: «Die Apotheke Manitous – Das Heilwissen der Indianer», Rowohlt Verlag 2000, ISBN: 3-499-60925-8, Fr. 18.10 • Flück / Jaspersen-Schib: «Unsere Heilpflanzen», Ott Verlag 2003, ISBN: 3-7225-6763-7, Fr. 29.80 • Schilcher: «Kleines Heilkräuter-Lexikon», Walter Haedecke Verlag 1999, ISBN: 3-7750-0316-9, Fr. 21.30 • Wyk / Wink: «Handbuch der Arzneipflanzen», Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2004, ISBN: 3-8047-2069-2, Fr. 62.40 • Wichtl: «Teedrogen und Phytopharmaka», Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2002, ISBN: 3-8047-1854-X, Fr. 188.80 • Bührer-Lucke: «Wechseljahre ohne Hormone – Alternativen bei Hitzewallungen und Co.», Orlanda Frauenverlag 2004, ISBN: 3-936937-11-7, Fr. 22.– • Goldberg / Schreiber: «Pflanzliche Hormone für eine schöne Haut», Südwest Verlag 2005, ISBN: 3-517-06835-7, Fr. 19.80 Internet • www.smgp.ch/medien/medizf/2003/0829.html • www.netdoktor.de/medikamente/100009686. htm (Liste mit Präparaten) • www.medizinfo.de/annasusanna/ wechseljahre/start.shtml • www.phytohormone.ch/ Natürlich | 7-2006 55