Titelthema Das Screening von Mitarbeitern bei MRSA Notwendiges Übel oder sinnvolle Maßnahme? von Franz Sitzmann Mitarbeiter werden bei Pflegebedürftigen, Patienten und Bewohnern mit MRSA-Infektionen konfrontiert. Nicht selten steht dann die Frage im Raum, ob nicht auch die Mitarbeiter Keimträger und damit potenzieller Überträger sind. Dies führt dazu, dass immer häufiger Mitarbeiterscreenings gefordert werden. Doch halten diese Screenings das, was sie versprechen, und bringen sie wirklich die notwendigen Erkenntnisse? Wann ist ein Mitarbeiterscreening sinnvoll und welche Reaktionen sollten auf ein Screening folgen? Diesen Fragen gehen wir in diesem Beitrag nach, damit Sie zukünftig wissen, wie Sie am besten in Ihrer Einrichtung mit diesem heiklen Thema umgehen können. Das Auftreten multiresistenter Mikroorganismen schränkt die Aussichten von Therapien erheblich ein und führt häufig schon dazu, dass überhaupt kein im Labortest wirksames Antibiotikum mehr therapeutisch genutzt werden kann. Ziel der Bestrebungen in Klinik und Praxis muss also einerseits sein, sinnvoll und professionell Antibiotika einzusetzen, um weiteren Resistenzentwicklungen entgegenzuwirken. Wichtiges und noch weitgehend vernachlässigtes Instrument, um die Übertragung multiresistenter Erreger (MRE), wie z. B. den MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus), zu verhindern, ist 10 andererseits die Anwendung der Standardhygiene. Eine Prävention der Keimübertragung darf nicht erst mit dem Nachweis von MRSA bei einem Patienten beginnen, sondern muss von Anfang der Behandlung eines jeden Patienten an im Zentrum der Aktivitäten stehen. Lediglich bei Patienten mit MRE „strengste Isolierungsmaßnahmen“ oder ein „rigides Hygieneregime“ praktizieren zu wollen, reicht nicht aus. Mindestens genauso wichtig ist ein sorgfältiger Umgang mit allen Patienten im normalen Klinikalltag durch alle Berufsgruppen (Sitzmann, 2012). Beispiel für den Mitarbeiterschutz vor MRSA-Infektionen/-Kolonisationen und vor Stigmatisierung ist das Hygieneprinzip des „Beherrschens der Hände“ bei der Händehygiene. Durch das weitgehende Vermeiden unkontrollierter Hand-Gesichts-Haar-Kontakte wird auch die Gefahr der Nasenschleimhautkolonisation mit MRSA reduziert. Wenn es gelingen würde, StandardHygienemaßnahmen entschieden zum Standard bei der Pflege und Behandlung aller Patienten in Klinik oder Pflegeeinrichtungen zu machen, würden Übertragungen weitaus seltener vorkommen. März 2013 QM-Praxis in der Pflege Titelthema Beachte Haare oder Gesicht sollen nicht unkontrolliert aus Gewohnheit befingert werden. Insbesondere bei hygienerelevanten Tätigkeiten, wie dem Vorbereiten von Injektionen, Essen-Eingeben, Verbandwechsel oder sterilem Absaugen, sind wir versucht, einem Jucken nachzugeben oder eine Haarsträhne zurückzustreifen. Hier hilft professionelle Disziplin. Pflege- und Behandlungsteam: Quelle, Vektor oder Opfer von MRSA? Nicht selten fragen Mitarbeiter in Kliniken, ob nicht Abstriche (ScreeningUntersuchungen) der Mitarbeiter zu den unbedingten Sofortmaßnahmen beim Auftreten von MRSA gehören. Oder sie wollen im Falle eines MRSANachweises bei „ihrem Patienten“ selbst getestet werden. Einerseits spricht dies für ein ausgeprägtes Hygienebewusstsein (Simon, 2009). Andererseits würden bei einer derartigen Praxis wichtige Aspekte außer Acht gelassen werden. • Werden Mitarbeiter mit Besiedlungen festgestellt und während einer Dekontaminationsbehandlung nicht zur Arbeit zugelassen, entstehen weitere größere Hygieneprobleme durch die Mitarbeiterengpässe. • Untersuchungen werden im NasenRachen-Raum durchgeführt, während MRSA über die transiente Händekontamination und evtl. das individuelle Stethoskop verbreitet werden. • Der hohe Extraaufwand kann negative Auswirkungen haben, wenn Standard-Hygienemaßnahmen durch falschen Aktionismus vernachlässigt werden. • Ein fehlender MRSA–Nachweis ist kein Beweis, dass kein MRSA vorhanden ist; er wurde nur nicht gefunden und wiegt in falsche Sicherheit. PRO CONTRA Argumente gegen ein Mitarbeiterscreening Mitarbeiterscreening — wann empfohlen und sinnvoll? Einige Argumente gegen das Mitarbeiterscreening sind: Gemäß den Empfehlungen des RKI (Anonym, 1999) ist eine routinemäßige Untersuchung von Mitarbeitern auf MRSA nicht erforderlich. Im Vergleich dazu werden in den Niederlanden von allen Mitarbeitern, die Kontakt zu einem MRSA-Patienten hatten, Proben entnommen (Korczak, Schöffmann, 2010). • Der Nachweis einer Besiedlung eines Mitarbeiters kann nicht als Nachweis für die Quelle der Patientenkontaminationen oder –infektionen angesehen werden. Vielmehr kann er Opfer des Ausbruchs sein. Da bei der Prävention von MRSA meist ein ganzes Paket von Maßnahmen umgesetzt wird, ist der Beitrag einzelner Komponenten nicht belegt. So gilt auch die Rolle von (kurzfristigen) MRSA-Trägern als Vektor (= Krankheitsüberträger) bei der Verbreitung als ungeklärt. • Screenings sind Momentaufnahmen, die bereits nach wenigen Tagen verändert sein können. QM-Praxis in der Pflege März 2013 Durchführung eines Mitarbeiterscreenings Ein Screening der patientenbezogenen Mitarbeiter sollte erfolgen (Korczak, Schöffmann, 2010), wenn mehrere MRSA-Fälle auftreten, die in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen und bei denen eine klonale Identität nachgewiesen ist (Ausbruch). Einberufung eines Entscheidungsgremiums Dazu muss vom Hygieneteam, einem Vertreter der Klinikleitung, dem Betriebsarzt vor Ort sowie der Mitarbeitervertretung über das Prozedere beim Mitarbeiterscreening auf MRSA entschieden und die Mitarbeiter informiert werden. Verfahren Es ist sinnvoll, dieses Prozedere in einem Papier, an dessen Erarbeitung alle relevanten Berufsgruppen inklusive der Mitarbeitervertretung zu beteiligen sind, festzulegen: • Indikation des Screenings, z. B. Ausbruchsituation. • Vorgehen beim Screening: Nimmt der Betriebsarzt das Screening vor? Wer erhält den Befund? Wer benachrichtigt den Mitarbeiter? Wer berät den Mitarbeiter und begleitet die Sanierung und die Follow-upUntersuchungen? • Umgang mit besiedelten Mitarbeitern, evtl. erforderliche Dekolonisationsbehandlung. • Auflagen zu einer Weiterarbeit MRSA-besiedelter Mitarbeiter. Insbesondere die Absicht, MRSA-besiedelte Mitarbeiter während einer Fallbeispiel Ärzte Zeitung, vom 30.11.2012: Im Bremer Klinikum Mitte sind auf der Intensivstation bei 45 Mitarbeitern, Patienten und Angehörigen Besiedelungen mit MRSA-Keimen festgestellt worden ... Betroffen sind 25 Patienten, 19 Mitarbeiter und ein Angehöriger, bestätigt G. der „Ärzte Zeitung“. Die Besiedelungen waren bei Routinetests aufgefallen. „Wir testen jeden Intensivpatienten, bevor wir ihn aufnehmen“, sagt G. Die besiedelten Mitarbeiter sind derzeit freigestellt und werden zu Hause saniert. 11 Titelthema Dekolonisationsbehandlung vorübergehend von patientennahen Tätigkeiten zu entbinden, muss vor der Screening-Aktion vor Ort schriftlich fixiert werden. • Kostenübernahme für evtl. Dienstbefreiung. Zu beachten Evtl. Fehlzeiten von Mitarbeitern im Rahmen einer Dekolonisation dürfen nicht als „Krankheit“ angezeigt werden. Sämtliche Kosten für die Dekolonisationsbehandlung von Mitarbeitern müssen vom Krankenhaus getragen werden. Weiterbeschäftigung Eine ausschließliche Besiedelung mit MRSA – also ein asymptomatischer Zustand – stellt nicht automatisch eine Arbeitsunfähigkeit im arbeitsrechtlichen Sinne dar. Eine andere Möglichkeit besteht darin, MRSA-besiedelte Mitarbeiter – nach erneuter intensiver Einweisung in die erforderlichen Standardhygiene- und Barrieremaßnahmen – ausschließlich mit patientenfernen Tätigkeiten zu betrauen, bis sie selbst erfolgreich dekolonisiert sind. Ist dies nicht möglich, sollten MRSAbesiedelte Mitarbeiter – nach erneuter intensiver Einweisung in die erforderlichen Standardhygiene- sowie weitergehende Barrieremaßnahmen – ausschließlich MRSA-besiedelte Patienten versorgen, bis sie selbst erfolgreich dekolonisiert sind. Der Umgang mit besiedelten Mitarbeitern und die Absicht, MRSA-besiedelte Mitarbeiter während einer erforderlichen Dekolonisationsbehandlung vorübergehend von patientennahen Tätigkeiten zu entbinden, müssen vor der Screening-Aktion vor Ort schriftlich fixiert werden. Diese Verabredung muss enthalten: Durchführung von Sanierungsmaßnahmen • Die Kostenübernahme für evtl. Dienstbefreiung als Fehlzeit darf in diesem Zusammenhang nicht als „Krankheit“ angezeigt werden. Den Mitarbeitern müssen vor Beginn der Mitarbeiteruntersuchung wichtige Informationen als zielführende Maßnahmen schriftlich und im persönlichen Gespräch gegeben werden: • Welche Auflagen zu einer Weiterarbeit MRSA-besiedelter Mitarbeiter sind angebracht? Die Behandlung der Kolonisation mittels antiseptischer und begleitender desinfizierender Maßnahmen (Sanierung) ist insbesondere in Ländern mit niedriger MRSA-Prävalenz ein bewährter Baustein der Präventionsstrategien. • Informationen über Ergebnisse ausschließlich über den Betriebsarzt als vertrauensbildende Handlungsweise. • Die Mitarbeiter erhalten alle zur Sanierung notwendigen Mittel über den Betriebsarzt. • Meist stehen Ausbrüche von Infektionen im Zusammenhang einer Unterbesetzung bei den ausgebildeten und eingearbeiteten Pflegenden als unabhängiger Risikofaktor für die MRSA-Übertragung. Daher muss versucht werden, evtl. freigestellte Mitarbeiter durch zusätzliche (Aushilfs-)Mitarbeiter vorübergehend zu ersetzen. 12 • Informationsblatt über die Art und Weise der Anwendung der für die Sanierung einzusetzenden Materialien. • Nach Abschluss eines Sanierungszyklus müssen Kontrollabstriche an drei aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt werden. Auch diese Untersuchungen fallen aus Vertrauensgründen in den Zuständigkeitsbereich des Betriebsarztes. • Alle relevanten mikrobiologischen Befunde werden vom Betriebsarzt archiviert. Hinweis an die Mitarbeiter, dass bei offenen Fragen neben dem Betriebsarzt auch die Mitarbeiter der Krankenhaushygiene anzusprechen sind. Die Sanierung eines Mitarbeiters beinhaltet die folgenden Maßnahmen: • Zur Sanierung einer nasalen MRSA-Besiedlung ist die Applikation von Mupirocin-Nasensalbe (3x täglich über 5 Tage in beide Nasenvorhöfe) zu empfehlen. Eine nasale Sanierung reduziert in der Regel auch die Kolonisation an anderen Körperstellen. • Alternativ, insbesondere bei einer Mupirocinresistenz, können Präparate mit antiseptischen Wirkstoffen (Polihexanid- oder Octenidin-Nasensalbe) oder andere lokal applizierbare Antibiotika mit nachgewiesener Wirksamkeit (z. B. Bacitracin) eingesetzt werden. • Zusätzlich sind zur Sanierung antiseptisch wirkende Lösungen mit nachgewiesener Wirksamkeit zur Ganzkörperwaschung unter Einschluss der Haare zu empfehlen. Beachte Mitarbeiter-Screening auf MRSA ist eine kostenintensive Maßnahme mit fraglicher Effektivität. Sie ist nur sinnvoll bei bewiesenen Ausbrüchen, z. B. postoperativ, oder wiederholten Häufungen. Kein Mitarbeiterscreening anlässlich einer Einstellungsuntersuchung durchführen. März 2013 QM-Praxis in der Pflege Titelthema • Zur Erfolgskontrolle der Sanierung sind frühestens 3 Tage nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen je nach MRSA-Nachweis-Lokalisation entsprechende Kontrollabstriche vorzunehmen. Weitere Kontrollen sind nach einem Monat, drei Monaten und sechs Monaten nach Sanierungsende zu veranlassen. Langfristige MRSABesiedlung bzw. -Infektion bei Mitarbeitern Fallbeispiel Bei einer Krankenschwester mit dem Hobby Cellospiel wird in einer Nagelbettentzündung MRSA gefunden (Sitzmann, 2012). Ursprünglich bestand eine empfindliche Haut der Fingerspitzen („Winterhand des älteren Streichers“). Nach lokaler Wundbehandlung (u. a. SERASEPT 2) und Dekontamination des Körpers (Behandlung der Nasenschleimhaut mit Turixin, Abwaschungen mit LAVANID 2, täglichem Wechsel der Leib- und Bettwäsche) wird sie lokal im abgeheilten Wundbereich und mit dreimaligem Nasenabstrich MRSA-frei. Die verabredeten und korrekt ausgeführten Kontrollabstriche der Nase nach ein und drei Monaten ergaben keine MRSA-Kontamination. Nach sechs Monaten ergab eine weitere verabredete Kontrolle eine MRSAKontamination der Nase. Erneuter Mitarbeiter-Dekontaminationsversuch – Empfehlungen Es ist bekannt, dass Eradikationsversuche nicht immer zum Erfolg führen, daher ist es angebracht, weitere Anwendungen zur Erhöhung der Eradikationschancen zu nutzen: • Der Mitarbeiter bleibt arbeitsfähig, evtl. drei Tage dienstfrei. • Fortsetzen der Arbeit mit MundNasen-Schutz. QM-Praxis in der Pflege März 2013 • Sorgfältige Händehygiene mit Vermeiden von Hand-Gesichts-Haar-Kontakten, alkoholischer Händedesinfektion, Tragen von Schutzhandschuhen bei Kontaminationsmöglichkeit, Händedesinfektion beim Ablegen des Mundnasenschutzes. • Fortsetzen der Arbeit jedoch nicht bei stark immunsupprimierten Patienten. • Wiederholung eines weiteren Dekontaminationsversuches (unter www.qm-praxis-pflege.de finden Sie dazu eine praktische Übersicht). Weiterführende Fragen zum Mitarbeiter-Check-up Bei Mitarbeiter, die nach ursprünglich erfolgreicher Dekontamination MRSArekolonisiert getestet wurden, müssen evtl. zugrunde liegende Erkrankungen begleitend behandelt werden, z. B. • durch den HNO-Arzt: Fokussuche chronische Sinusitis, Otitis externa, zerklüftete Tonsillen? • Vorliegen einer Resistenz des MRSA gegen Mupirocin? Bei MupirocinResistenz ist für die nasale Sanierung PVP-Jod-Creme, OctenidinNasensalbe oder Bacitracin-Salbe zu empfehlen. Fazit Gesunde Mitarbeiter müssen nur dann auf MRSA untersucht werden, wenn sie MRSA-Überträger sind. Nicht der kurzzeitige MRSA-Träger, der sich hygienisch korrekt verhält und z. B. HandGesichts-Kontakte bewusst selten praktiziert, ist eine Gefahr. Der bei einer Ausbruchsituation oder bei persönlichen Infektionen ermittelte MRSA-Überträger ist von Bedeutung und sollte saniert werden. Bei routinemäßigem Screening von Mitarbeitern besteht die Gefahr, dass zufällige Kurzzeitträger identifiziert werden, die nach wenigen Tagen bereits keine Träger mehr sind und damit MRSA auch nicht „streuen“ können (Sitzmann, 2012). Franz Sitzmann Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene, Lehrer für Pflegeberufe; Autor zahlreicher Fachpublikationen. 14089 Berlin www.klinik-hygiene.de • Erfolgte zwischenzeitlich eine antibiotische Behandlung eines Infektes, welche MRSA selektionierte? • Besteht eine Kolonisation weiterer Körperstellen mit MRSA, z. B. Ekzeme auf bedeckten Körperstellen, chronisches Handekzem, Wunden, Vagina (Abstrich und evtl. Behandlung z. B. mit PVP-Jod-Ovula)? • Liegt eine Zahnprothese mit entzündeter Druckstelle vor? • Besteht körpernaher Haustierkontakt als evtl. MRSA-Träger bei Hund, Katze, Nagern? • Das häusliche Umfeld einschließlich Haustiere sollte evtl. in die entsprechende Interventionsstrategie mit einbezogen werden. Sind Umgebungsuntersuchungen erforderlich bei Lebenspartnern mit Risiken, des Teppichbodens, Lieblingssessels, von Plüschtieren? 13