Koeck_Wohnumfeldschutz_130515

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Verankerung des „Wohnumfeldschutzes“ bei der
Trassenplanung
Workshop „Neues Stromnetz für die Energiewende –
Planung, Konflikte, Lösungsansätze“
im Rahmen der Berliner Energietage 2013
15. Mai 2013
Prof. Dr. Wolfgang Köck
Department Umwelt- und Planungsrecht
Übersicht
I.
Zum Begriff des Wohnumfeldschutzes – Eingrenzung des Themas
II.
Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer Felder
bei der Trassenplanung
1. Zwingende Erfordernisse: Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen, insbes.
Einhaltung der Grenzwerte und sonstigen Gebote der 26. BImSchV
2. Der Wohnumfeldschutz als ein Abwägungsbelang: Die Anforderungen des
§ 50 BImSchG
3. Entschädigungsanspruch in besonderen Fällen
III.
Die Reform der 26. BImSchV: ein Durchbruch des
Wohnumfeldschutzes?
IV.
Ausblick: Reformüberlegungen
I. Begriff des Wohnumfeldschutzes
- Eingrenzung des Themas
• Wohnumfeldschutz - kein Rechtsbegriff
• Wohnumfeldschutz zielt auf den Schutz des Wohnens
vor störenden Einwirkungen
→ für die Zwecke des Vortrags: Schutz vor störenden Einwirkungen,
die von Energieleitungen (Niederfrequenzanlagen) ausgehen
II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer Felder bei
der Trassenplanung
Elektromagnetische Felder (EMF) = elektrische Felder und magnetische Felder
Elektrische Felder –
Entstehung durch Anliegen einer Spannung
Einheit in Volt pro Meter (V/m) (= Grenzwert).
Magnetische Felder -
Entstehung durch Stromfluss in der Leitung,
Magnetische Feldstärke abhängig von Stromstärke,
Einheit in Ampere pro Meter (A/m) bzw. als
magnetische Flussdichte in Tesla (T) (= Grenzwert)
Ständige Änderung der Richtung des Stromflusses bei Wechselstrom führt zu sog.
Wechselfeldern (elektrische und magnetische). Frequenz der Wechselfelder in
Hertz (Hz) angegeben. Im Stromnetz Frequenz von 50 Hz, d. h. die Polarität des
elektrischen Feldes ändert sich 100 Mal pro Sekunde.
Elektrische und magnetische Felder, die sich über die Zeit nicht verändern, nennt
man Gleichfelder oder statische Felder (inbes. relevant bei
Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen, HGÜ).
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II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer Felder bei
der Trassenplanung
Wirkungen von elektrischen Feldern:
•Influenz im Takt des Wechselfeldes (nur bei Wechselfeldern), dadurch
Haarvibrationen und Mikroentladungen sowie Erregungen von Nerven- und
Muskelzellen
Wirkungen von magnetischen Feldern:
•Induktion von Wirbelströmen im Körper, Erregungen von Nerven- und
Muskelzellen und elektrischen Spannungen in bewegten Körperteilen (z. B. Herz
und Blutbahnen)
Leukämierisiko für Kinder (SSK-Bewertung 2011):
•schwache Evidenz für einen Zusammenhang magnetischer Wechselfelder mit
Leukämie im Kindesalter, unvollständige Evidenz allein aus epidemiologischen
Studien
•Übereinstimmung mit der Klassifizierung nach IARC
•keine Evidenz für einen Zusammenhang bei elektrischen Wechselfeldern und
statischen Magnetfeldern, bei elektrostatischen Feldern sogar Evidenz für das
Nicht-Vorhandensein eines Zusammenhanges
•statistische Auffälligkeit bei Kindern, die während der Nacht einem höheren
Magnetfeld ≥0,2µT ausgesetzt waren, etwa 3-fach erhöhtes Leukämierisiko
(Schüz et. al., 2000)
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II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer Felder bei
der Trassenplanung
1. Zwingende Erfordernisse: Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen
• Hochspannungsleitungen sind ortsfeste Einrichtungen und
damit Anlagen im Sinne von § 3 V Nr. 1 BImSchG
• Hochspannungsleitungen sind planfeststellungspflichtig und unterliegen immissionsschutzrechtlich dem Maßstab des § 22 BImSchG:
nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu
betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden,
die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (Nr. 1) und nach dem StdT
unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden
•
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Schädliche Umwelteinwirkungen: Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder
Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche
Belästigungen (…) herbeizuführen.
1. Zwingende Erfordernisse: Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen
Begriff der Gefahr
•
Bewertung eines Risikos als Gefahr im Rechtssinne erfordert eine Risikoprognose, die aus kognitiven Elementen (Risikowissen), und aus
normativen Elementen gespeist wird
normative Elemente sind: Schaden, erforderlicher Gewissheitsgrad über
Schadenseintritt und Zurechnungszusammenhang zwischen
risikobegründender Handlung und dem prognostizierten Schadenseintritt
•
Erforderlicher Gewissheitsgrad ist abhängig von der Schutzwürdigkeit
und der Schutzbedürftigkeit eines Schutzgutes bzw. von der Schwere
möglicher Schäden (sog. “Je/desto-Formel”)
•
Auch Verdachtssituationen schließen die Bewertung eines Zustandes
als Gefahr nicht aus → Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip, um dem
Irrtumsrisiko zu begegnen (str.; a.A. etwa BVerwGE 119, 329 – Nano
pulver)
→ aber: bei Verdacht kein Vorsorgeautomatismus, sondern Bewertung des
vorhandenen Risikowissens
1. Zwingende Erfordernisse: Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen
Begriff des erheblichen Nachteils
•
Nachteile sind alle sonstigen negativen Auswirkungen, nicht nur
wirtschaftlicher Art. Für sie ist kennzeichnend, dass es an einem
Schaden fehlt, weil nur ein Interesse und kein Rechtsgut beeinträchtigt ist
und zudem keine Belästigung vorliegt (Jarass)
→ Immissionsbedingte Wertminderung eines Grundstücks dürfte häufig
bereits als Schaden bzw. erhebliche Rechtsgutbeeinträchtigung zu
qualifizieren sein; ist das nicht der Fall, stellt sie einen Nachteil dar (Jarass)
•
GW der 26. BImSchV dienen dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen,
speisen sich aber ausschließlich aus Erkenntnissen des Gesundheitsschutzes
(Gefahrenabwehr) und nicht eines weitergehenden Nachteilsschutzes
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II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer
Felder bei der Trassenplanung
1. Zwingende Erfordernisse: Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen
Die Grenzwerte der 26. BImSchV als Schutzkonzept
•
Die 26. BImSchV als normative Konkretisierung der Schutzanforderungen
des § 22 BImSchG
•
Zwingende Anforderungen für die Errichtung und den Betrieb
von Stromtrassen (nicht durch Abwägung überwindbar)
•
Einhaltung der GW beinhaltet Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, soweit nicht Besonderheiten des Einzelfalles vorliegen
(§ 3 26. BImSchV)
•
Strengere Anforderungen für besondere Gebiete
(u.a. Wohnungen): → keine GW-Überschreitungsmöglichkeiten; Ausschöpfung des StdT (§ 4 26. BImSchV-neu)
II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer
Felder im Planfeststellungsrecht
Die Grenzwerte der 26. BImSchV als Schutzkonzept
•
SSK-Bewertung und Empfehlungen (2008/2011)
• GW sind nicht durch neuere Erkenntnisse überholt,
keine gesicherten Hinweise auf Anstieg eines Leukämierisikos für Kinder,
aber schwache Evidenz belegt (Bewertung 2011)
• Handlungsbedarf besteht allerdings für besonders empflindliche
Personen (Personen mit elektronischen Implantaten)
• Handlungsbedarf besteht darüber hinaus im Bereich von GleichstromEnergieversorgungsanlagen (derzeit keine Grenzwerte)
→ Reform der 26. BImSchV (vom Bundestag beschlossen, aber noch
nicht in Kraft: Änderungsbeschl. Des BundesR v. 3.5.2013 )
II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer
Felder bei der Trassenplanung
2. Der Wohnumfeldschutz als ein Abwägungsbelang
• Zu berücksichtigende Belange, u.a.
• Auswirkungen des Vorhabens auf gesunde Wohnverhältnisse
• Umweltbezogene Auswirkungen des Vorhabens auf den
Menschen und seine Gesundheit
• Grenze: unwesentliche Betroffenheit
• Alle durch das Vorhaben betroffenen Belange sind gegeneinander
und untereinander abzuwägen
→ auch „Wegwägen“ möglich
• Besonderheit: § 50 BImSchG
„Bei raumbedeutsamen Planungen (…) sind die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen
(…) so weit wie möglich vermieden werden.“
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II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer
Felder bei der Trassenplanung
2. Der Wohnumfeldschutz als ein Abwägungsbelang
Die Anforderungen des § 50 BImSchG
• § 50 als besondere Ausprägung einer planerischen Vorsorge zur
Berücksichtigung in raumbedeutsamen Planungsverfahren
• Abstandsgewährleistung als Optimierungsgebot: muss sich
soweit möglich auch im Abwägungsergebnis niederschlagen
• Wird praktisch bedeutsam beim Neubau von Übertragungsleitungen
• Gerät an seine Grenzen bei der Verstärkung bestehender
Anlagen
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II. Der Schutz vor den Risiken elektromagnetischer
Felder bei der Trassenplanung
3. Entschädigungsanspruch in besonderen Fällen
Entschädigungen für nachteilige Wirkungen auf Rechte Dritter
(§ 74 II S. 2 und 3 VwVfG)
„(Die Planfeststellungsbehörde) hat dem Träger des Vorhabens
Vorkehrungen (…) aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit
oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer
erforderlich sind. Sind solche Vorkehrungen (…) untunlich oder
mit dem Vorhaben unvereinbar, so hat der Betroffene Anspruch
auf angemessene Entschädigung in Geld“.
• Überwindung der Rechte Dritter durch Kompensation
• Gilt für alle PFV
• Surrogat für nicht realisierbare technisch-reale Schutzmaßnahmen
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III. Die Reform der 26. BImSchV
ein Durchbruch des Wohnumfeldschutzes?
Novelle der 26. BImSchV (2013)
•
Zustimmung des Bundestages vom 14. März 2013
•
Ausdifferenzierung in § 1 Abs. 1: elektrische, magnetische und
elektromagnetische Felder statt bisher nur elektromagnetische Felder
•
Neuregelung für Gleichstromanlagen
•
Gleichstromanlagen im Sinne der VO sind: „…ortsfeste Anlagen zur
Fortleitung, Umspannung und Umrichtung, einschließlich der
Schaltfelder, von Gleichstrom mit einer Spannung von 2 000 Volt oder
mehr…“ (§ 1 I E-26.BImSchV)
•
Bisherige Grenzwerte für 50 Hz-Niederfrequenzanlagen bleiben
bestehen 5 kV/m für elektrisches Feld + 100 µT für magnetische
Flussdichte (§ 3 I i.V.m. Anhang 1a E-26. BImSchV)
•
Bei Gleichstromanlagen wird Grenzwert nur für magnetische Flussdichte
geregelt: 200 µT (§ 3a i.V.m. Anhang 1a E-26. BImSchV)
III. Die Reform der 26. BImSchV
ein Durchbruch des Wohnumfeldschutzes?
Novelle der 26. BImSchV (2013) (Fortsetzung)
•
Bestandsschutzregelung: Bestehende Genehmigungen und PFB und
vor dem 31.12.2013 beantragte PFV bleiben unberührt.
(§ 3 II E-26.BImSchV)
•
Vorsorgeregelungen bezogen auf Wohnungen, Krankenhäuser,
Schulen, Kindergärten, Kinderhorte, Spielplätze oder ähnlichen
Einrichtungen: maximale Effektivwerte müssen Grenzwerte einhalten
(§ 4 I E-26. BImSchV)
•
Minderungsgebot nach der Stand der Technik, genaue Regelung bleibt
einer Verwaltungsvorschrift nach § 48 BImSchG vorbehalten
(§ 4 II E-26. BImSchV)
•
Überspannungsverbot bei Gebäuden, die zum dauerhaften Aufenthalt
von Menschen bestimmt sind: gilt nur für neue Trassen und Leitungen
mit 220 kV oder mehr; Ausnahmen: bestehende Genehmigungen +
PFB + vor 31.12.2014 beantragte PFV
(§ 4 III E-26. BImSchV)
III. Die Reform der 26. BImSchV
ein Durchbruch des Wohnumfeldschutzes?
• GW erfassen nach wie vor ausschließlich Gesundheitsaspekte, nicht
sonstige Nachteile (etwa immissionsbedingte Wertminderung eines
Grundstücks)
• GW beruhen weiterhin allein auf gesicherten Erkenntnissen und nicht auf
einer vorsorgenden Berücksichtigung ungesicherter Erkenntnisse
(wissenschaftliche Hinweise)
• Empfehlungen sachverständiger Stellen gehen teilweise weiter und
beziehen Vorsorgeüberlegungen ein; andere Länder in Europa verfolgen
z.T. ein vorsorgebezogenes Grenzwertkonzept: z.B. NL → Richtwert
Richtwert 0,4 µT durchschnittl. jährl. Magnetflussdichte
• EU-Grenzwerte als Ausweg?
EU-Ratsempfehlungen zur Begrenzung der
Exposition gegen EMF (1999) spiegeln noch keine
Vorsorgeorientierung wider.
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III. Die Reform der 26. BImSchV
ein Durchbruch des Wohnumfeldschutzes?
• Bundesratsbeschlüsse v. 3.5.2013 zur Änderung der 26. BImSchV
stärken die Vorsorge deutlich, weil der BR ein Minimierungsgebot
verlangt und dabei in der Begründung ausdrücklich auf die Tradition
des Minimierungsgebotes im Strahlenschutz verweist
(BR-Drs. 209/13)
• Ein solches Minimierungsgebot wird sich signifikant mindernd auf
die Immissionsbelastung auswirken, weil Minimierung deutlich mehr
beinhaltet als eine Minderung nach dem Stand der Technik
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IV. Ausblick: Reformüberlegungen
Alternativen zum Grenzwertkonzept
• Entwicklung eines Abstandskonzeptes
Maßstab: nach Möglichkeit sollten leitungsbedingte EMFBelastungen nicht signifikant über zivilisatorische
Hintergrundbelastung hinausgehen: Minimierungsgebot als
wichtiges Instrument!
• bei Unmöglichkeit der Einhaltung entsprechender Abstände
(insbesondere bei Erneuerung bestehender Anlagen):
• Umschalten auf GW-Konzept (ggf. unter Anwendung des
Vorsorgeprinzips)
• Billigkeitsausgleich bei wesentlichen Nachteilen (Kompensation)
• Erdkabel, soweit Mehrkosten nicht unangemessen ?
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Zusammenfassung
•
Die Reform der 26. BImSchV hat zu Verbesserungen geführt, aber
den grundsätzlichen Streit um eine Vorsorgeorientierung des
Grenzwertkonzeptes nicht bewältigt
Änderungsbeschluss des BR („Minimierungsgebot“)markiert einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung
•
Eine EU-Grenzwertsetzung könnte helfen, Aufregungsschäden zu
vermeiden, die aus sehr unterschiedlichen Konzepten resultieren;
Akzeptanz dürfte aber nur zu erreichen sein, wenn ein solches Konzept
sich im Ausgangspunkt an der zivilisatorischen Hintergrundbelastung
orientiert.
•
Alternativen zum GW-Konzept bleiben diskussionswürdig; Abstandskonzepte können und müssen insbesondere bei Neubauten nach
Maßgabe von § 50 BImSchG realisiert werden
•
Kompensationen für erhebliche Nachteile als weiteres Auffangelement
diskussionswürdig (auch zur Verbesserung der Akzeptanz)
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Danke für Ihre Aufmerksamkeit !
Prof. Dr. Wolfgang Köck
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig
Leiter Department Umwelt- und Planungsrecht
Mitarbeit: Cornelius Tronicke, UFZ
SEITE 20
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