Ethik, Moral, Menschlichkeit in der Behandlung von

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Aus der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universitätsspital Basel
Ethik, Moral, Menschlichkeit in der Behandlung von
Schwerstbehinderten
Eine Fallserie
MASTERTARBEIT
zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Advanced Studies (MAS) in Cranio Facial Kinetic Science
vorgelegt der
Medizinische Fakultät der Universität Basel
von
Katalin Hammerich
Sarnen
01. Februar 2014
unter der Leitung von
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. h.c. H.-F. Zeilhofer
Betreut von
Dr. J. M. Priller
Zusammenfassung
„Die Ethik nimmt einen universalen Standpunkt ein. … Die Ethik verlangt von
uns, dass wir über „Ich“ und „Du“ hinausgehen hin zu dem universalen Urteil,
dem Standpunkt des unparteiischen Betrachters oder idealen Beobachters,
oder wie immer wir es nennen wollen.“ (Singer, P. 1994)
Der Umgang mit Behinderungen und Gesundheit wirft eine Fülle ethischer
Fragen auf. Medizinisches und pädagogisches Handeln hatte schon zu antikengriechischen Zeiten (Hippokrates) eine moralische Dimension. Mit der rasanten
Entwicklung neuer Technologien und Therapiemethoden sind medizinethische,
pädagogisch-ethische Themen zu gesamtgesellschaftlichen Problemstellungen
geworden. Somit ist auch die Ethik in der Logopädie im Wandel.
Diese Masterarbeit geht der Frage nach, ob ein klinisch-ethisches Konsil in der
Behandlung von schwerstbehinderten Kindern mit Störungen im orofazialen
Bereich, die eine medizinisch indizierte logopädische Behandlung erhalten, im
Berufsalltag eine Hilfe wäre.
Nach einer theoretischen Einleitung und Beschreibung der Methodik wird die
Thematik durch drei Fallbeispiele präsentiert.
Diese zeigen die immer komplexer und schwieriger werdenden Behandlungssituationen in der Sonderschule. Solche Fälle können teilweise zu einem
ethischen Dilemma bei den betreuenden Fachpersonen und den Angehörigen
führen. In diesen Fällen bietet METAP, eine Methode der medizinischen
Entscheidungsfindung, eine strukturierte Vorgehensweise mit Vermeidung einer
ungerechtfertigten Über-, Unter- und Ungleichbehandlung und damit eine
Förderung des ethisch angemessenen Therapieentscheids. Dabei spielen die
vier medizinethischen Grundprinzipien: Respekt vor der Autonomie von
Personen
„respect
for
autonomy“,
Nichtschaden
„nonmaleficence“,
Wohltun/Führsorge/Hilfeleistung „beneficence“ und Gerechtigkeit „justice“ von
Tom L. Beauchamp und James F. Childress eine zentrale Rolle.
Die Thesis geht der Frage nach, welche Rolle Paliative Care in der Logopädie
in der Sonderschule spielt.
Inhaltsverzeichnis
Seite
1. Einführung ............................................................................................. 6
2. Hypothese, Fragestellung und Zielsetzung .......................................... 8
2.1 Hypothese ....................................................................................... 8
2.2 Fragestellung................................................................................... 8
2.3 Zielsetzung ...................................................................................... 8
3. Theorie – Begriffserklärungen ............................................................... 9
3.1 Ethik...... ......................................................................................... 9
3.2 Ethikkonsil ..................................................................................... 13
3.2.1 Definition.............................................................................. 13
3.2.2 Kriterien für das klinische Ethikkonsil/für die
Ethikberatung ............................................................................... 14
3.2.3 Qualifikation und Anforderungen an die
Mitarbeitende des Ethikkonsil ............................................. 15
3.2.4 Auslöser und Zielsetzung..................................................... 15
3.2.5 Ethische Entscheidungsfindungsprozesse
- Modelle und Methode .......................................................... 16
3.2.5.1 Ulmer Modell mit der sequenzierten Fallanalyse ....... 18
3.2.5.2 Bochumer Arbeitsbogen ............................................. 18
3.2.5.3 Das 7-Schritte Modell von Dialog Ethik ...................... 18
3.2.5.4 Die «Beratung in Etappen» von Lausanne ................. 19
3.2.5.5 Nimwegener für ethische Fallbesprechung ................ 19
3.2.5.6 Ein integratives Modell, METAP ................................ 20
3.3 Basler Ansatz / METAP .................................................................. 20
3.4 Rechtliche Frage ............................................................................ 22
3.5 Palliative Care ................................................................................ 25
3.6 „Heilpädagogisches Dilemma“ ........................................................ 28
3.6.1 Inklusion .............................................................................. 30
3.6.2 Recht auf Bestimmung ........................................................ 31
3.7 Orofaziale Störungen ...................................................................... 32
3.7.1 Definition.............................................................................. 33
3.7.2 Funktionelle orofaziale Störung ........................................... 34
4. Methodik ............................................................................................... 36
4.1 Studiendesign ................................................................................. 36
4.2 Kasuistik ......................................................................................... 36
4.3 Qualitative Inhaltsanalyse ............................................................... 37
4.4 Vorgehen der ethischen Analyse (nach Reiter-Theil®) ................... 38
5. Resultate .............................................................................................. 39
5.1 Einführung zu den Fallvorstellungen .............................................. 39
5.2 Fall 1 .............................................................................................. 39
5.3 Fall 2 ............................................................................................. 47
5.4 Fall 3 .............................................................................................. 51
6. Diskussion ........................................................................................... 56
6.1 Allgemeine Bemerkung .................................................................. 56
6.2 Analyse der Fallstudie .................................................................... 57
6.2.1 Vergleich zweier Fallbeispiele ............................................. 57
6.2.2 Fall 3 .................................................................................... 58
7. Schlussfolgerung .................................................................................. 59
8. Literaturverzeichnis .............................................................................. 61
9. Lebenslauf ............................................................................................ 67
10. Danksagung ....................................................................................... 69
11. Anonymisierung und Selbständigkeitserklärung ................................. 70
12. Anhang ……………………………………………………………………..71
12.1 Anhang A Theorie: Ethik……………………………………………...71
12.2 Anhang B Theorie: Recht ............................................................ 88
12.3 Anhang C Theorie: Palliative Care ………………………………… 90
12.4 Anhang D Theorie: Orofaziale Störung……………………………..92
12.5 Anhang E Theorie: Logopädie …………………………………….. 96
12.6 Anhang F Methodik: Fragekatalog………………………….…… 100
Abkürzungsverzeichnis
A
Angehörige
A.a.O.
am angegebenen Ort
Abs.
Absatz
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
ASBH
American Society for Bioethics and Humanities
BehiK
Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
vom 13. September 2006
CPAP
Continuous Positive Airway Pressure
D
Deutschland
DLV
Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband
Dr. theol.
Doctor theologiae
EAPC
European Association for Palliative Care
engl.
englisch
et al.
et alii („und andere“)
eth.
ethische/r
HD
Hauptdiagnose
Help/heilp.
Heilpädagoge/in, heilpädagogische
HEC
Health Ethics committee
HFE
heilpädagogische Früherziehung
IC
Informed Consent
IV
Invalidenversicherung
JCAHO
Joint Commission of Accreditation of Health Care Organizations
KK
Krankenkasse
Kt
Kostenträger
KTQ
Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen
M
Mitarbeiter
METAP
Modular, Ethik, Therapie, Allokation und Prozess
MFSt
Myofunktionelle Störung
nZGB
neues Zivilgesetzbuch
OP
Operation
Ö
Österreich
P
Patient
Päda.
Pädaudiologische Förderung
PEG
Perkutane endoskopische Gastrostomie
QS
Qualitätssicherung
SAMW
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
SSW
Schwangerschaftswoche
StG
Staatsgesetz
St. n.
Status nach
SWASH
Standing, Walking And Sitting Hip Orthosis
T
Team
Th
Therapie
UK
United Kingdom of Great Britain
UN
United Nations
UNESCO
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UNO
United Nations Organization
WG
Wohngruppe
WHO
Weltgesundheitsorganisation (engl. World Health Organization)
ZGB
Zivilgesetzbuch
Bemerkung
Um ein besseres Verständnis des Textes zu erhalten sowie die Lesbarkeit zu
erleichtern, wurde bei Personenbezeichnungen die männliche Form verwendet.
Selbstverständlich steht diese Bezeichnung jeweils für die männliche und die
weibliche Form. So auch beim Wort „Patient“, welches dazu gleichbedeutend
mit dem Wort „Klient“ verwendet wird. Mit dem Begriff „Fachperson“ wird, wenn
nicht
anders
ergänzt,
alle
medizinischen
pädagogischen Personen verstanden.
und
paramedizinischen
und
6
1. Einführung
Der schnelle medizinisch-technologische Fortschritt beschert uns allen eine bisher noch nicht gekannte Steigerung der Lebenserwartung in jeder Altersstufe.
Nicht nur bei der beteiligten Familie, sondern auch bei ganzen Gesellschaften
und Staaten löst dies eine massive ethische Veränderung und Verunsicherung
aus. Neue Fragen und Themen, beispielsweise wie und wann das Leben wirklich seinen Anfang nimmt und ab wann es schützenswert ist sowie Diskussionen über den tatsächlichen Zeitpunkt des Lebensendes und darüber, wie das
Leben beendet wird (Franke, 2012), tauchen auf. Dieser Wertewandel vom
Paternalismus hin zur absoluten Achtung der Autonomie des Individuums führt
wiederum zu neuen ungelösten Fragen und einem ethischen Dilemma. Dies ist
nicht nur in der Sonderschule der Fall.
„Wer sich auf eine Behinderung einlässt, sind dies Eltern oder wir als Fachpersonen, tritt in dessen Geschichte ein und begibt sich mit ihm auf einen Weg
beidseitiger Wandlungen“ (Hofer, 2007). In solchen und ähnlichen Situationen in
den Kliniken besteht bereits das Angebot einer ethischen Beratung durch eine
Fachperson („Ethikkonsil“). Dabei sollen jedoch nicht nur die verschiedenen
Perspektiven durchgegangen und beachtet werden (Reiter-Theil, 2005),
sondern auch durch einen strukturierten Ablauf der Entscheidungsprozess
unterstützt sowie mögliche Handlungsoptionen unter den vier ethischen
Prinzipien nach Beauchamp und Childress (2009) beleuchtet und erörtert
werden. Eine solche Hilfe gibt es im klinischen Alltag in der Schweiz mehrfach.
Eine davon ist ein integratives Modell, das sogenannte METAP (AlbisserSchleger et al. 2012).
Die Sonderschule liegt zwischen der medizinischen und der pädagogischen
Massnahme. Diese Grenzstellung macht die Entscheidungsprozesse unklarer
und schwieriger. Häufig wird in der Sonderschule bei den Entscheidungen das
Prinzip des Respekts am stärksten gewichtet. Obwohl sollte gemäss den vier
Prinzipien nicht einer hierarchischen Ordnung gefolgt werden, sondern alle
Beteiligten als gleichwertig zu betrachten sind (Beauchamp & Childress, 2009;
Reiter-Theil, 2005, 2008). Ist ein Patient nicht urteilsfähig, d.h. wenn er seine
7
individuellen Wünsche und Wertvorstellungen nicht verständlich äussern kann
und aufgrund dessen nicht darüber entscheiden kann, welche medizinischen
und pädagogischen Massnahmen angestrebt oder unterlassen werden sollen,
wird durch den gesetzlichen Vertreter entscheiden. Doch was geschieht, wenn
sich die Entscheidungsträger: Angehörige, die Institution und nicht zuletzt das
Individuum selber, nicht einig sind? Eine solche Entscheidungshilfe fehlt bis
heute bei den Schwerstbehinderten.
Diese Verunsicherung verstärkt die UN Konvention durch Art.24 (2008). Diese
lässt eine ethische Frage offen, nämlich diejenige nach der Inklusion.
Mein persönliches Dilemma / Themenwahl
In Ungarn erlangte ich das Diplom als Logopädin sowie dasjenige als klinische
Heilpädagogin – Gehörlosenlehrerin. Ich habe eine Stelle als Logopädin in einer
heilpädagogischen Schule gesucht, um die zwei Interessengebiete zu
verbinden. Oft geriet ich in Dilemma-Situationen, dass meine heilpädagogischen Gedanken in der Therapiearbeit nicht akzeptiert wurden.
Als Logopädin in einer solchen Institution fühle ich mich oft mit meinen Fragen
und Problemen machtlos und allein gelassen. Die Grenzen der Kompetenzen
sind nicht klar definiert und bei einer ethischen Fragestellung und bei einem
ethischen Problem weiss ich nicht, an wen ich mich wenden kann.
Dieses Spannungsfeld brachte mich zur Themenwahl.
8
2. Hypothese, Fragestellung und Zielsetzung
2.1 Hypothese
Die Anwendung der vier Grundprinzipien der Medizinethik nach Beachamp und
Childress (Respekt vor der Autonomie, Vermeidung von Schaden, Hilfeleistung
und Gerechtigkeit) in der logopädischen Betreuung in einer Sonderschule hilft
bei ethischen Fragestellungen wie denjenigen nach Therapieintensität,
Einbezug der Erziehungsberechtigten bei der Therapiewahl oder Fairness bei
der Therapieversorgung.
Insbesondere bei Kindern mit Störungen
im
orofazialen Bereich, die eine medizinisch indizierte logopädische Behandlung
erhalten, kann das Befolgen dieser vier Grundprinzipien sinnvoll sein.
2.2 Fragestellungen
 Können Grenzen des Kompetenzbereichs des logopädischen Personals in
Bezug auf ethische Fragestellungen definiert werden?
 Wie können ethische Probleme, bei welchen ein klinisch-ethisches Konsil
sinnvoll wäre, erkannt werden?
 Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es bei einem ethischen Dilemma?
 Gibt es eine ethisch vertretbare Lösung in der Sonderschule?
 Wie können Unter-, Über- und Ungleichversorgung erkannt werden und wie
können ethische Fragestellungen dazu formuliert werden?
 Gibt es Verhaltensmuster und Unterstützungsmöglichkeiten des logopädischen Personals in schwierigen ethischen Situationen?
2.3 Zielsetzung
Ein Schwerpunkt dieser vorliegenden Arbeit ist das Problembewusstsein, d.h.
die Einschätzung, ob eine Therapiemassnahme für Schwerstbehinderte noch
tragbar und sinnvoll ist, oder ob sie eher zu einer Leidensverlängerung führt.
Weiter fokussiert die Arbeit auf eine Erweiterung des Themenspektrums, wie
z.B. Palliative Care.
9
3. Theorie – Begriffsklärungen
3.1 Ethik, Medizinethik, klinische Ethik
Der Begriff der Ethik ist eng mit demjenigen der Moral verwandt. Im alltäglichen
Leben werden sie oft synonym verwendet, jedoch unterscheiden sich die
beiden Bezeichnungen voneinander. Der Ethikbegriff wurde das erste Mal von
Aristoteles verwendet. (Pieper, 2007; Rolf, 2007; Codoni, 2012; Leichtle, 2013;
Wichermann) Er leitet sich von dem griechischen Wort ethos:
„ἔθος“(Gewohnheit, Sitte, Brauch) und von dem Begriff „äthos“; „ήθος“ (im
Sinne von Charakter) ab. Unter Ethik verstehen die Philosophen „wie sich
moralische Regeln rechtfertigen und begründen lassen.“ 1
Das lateinische Wort „mos“ beinhaltet die beiden Begriffe Sitte und Charakter.
Sobald das deutsche Wort „Moral“
hinzugezogen wird, wird der Ethik eine
normative Geltung zugesprochen. Dann könnte Ethik
als Selbstreflexion
übersetzt werden. D.h. „In der Moral geht es um die Frage, welche Regeln,
Gebote, Normen und Werte ich in meinem Handeln beachten soll.“ 2 „Eine Moral
ist eine endlich-geschichtliche Gestalt der dem Menschen wesentlichen Freiheit
und bedarf als solche der ständigen Begründung und Legimitation durch den
Begriff der Moralität.“3
Heute wird die Ethik als eine philosophische Disziplin verstanden. Sie befasst
sich zu einem grossen Teil mit der Moral und konstruiert die Bedingungen, unter
denen menschliches Handeln stattfindet.
„Sie bedenkt das Verhältnis von Moral und Moralität im Kontext menschlicher
Praxis und steht insofern in enger Verbindung mit anderen praxisbezogenen
Wissenschaften: den Human- und Handlungswissenschaften.“4
Im Zentrum steht demnach die Frage, was in einer bestimmten Situation „ein
gutes Handeln“ (Fischer, 2010) ist. Dies lässt sich durch moralisches
Argumentieren reflektieren.
Damit entstehen die zwei wichtigsten Begründungsansätze der Ethik, die sich
1
2
3
4
Kriesel, et al., 2007, S. 7
Kriesel, et al., 2007, S. 7
Pieper, 2007, S. 44
Pieper, 2007, S. 19
10
einander gegenüberstellen lassen. Während auf der einen Seite die
deontologische
Hintergrundtheorie
besteht,
welche
die
möglichen
Konsequenzen einer Handlung einzig danach beurteilt, ob sie einem
anerkannten moralischen Prinzip folgen. Auf der anderen Seite steht die
utilitaristische Theorie. Diese beurteilt die moralische Güte einer Handlung nach
ihrem intrinsischen Charakter bzw. danach, ob sie geeignet ist, ein bestimmtes
Ziel zu fördern. (Bösch-Willi, 2008)
So kommt es, dass gewisse Handlungen von der jeweiligen Menschengruppe
bzw. der Gesellschaft gut geheissen werden. z.B. Alberto Guiblino und
Francesca Minerva behaupten im Fachblatt „Journal of Medical Ethics“ (2012),
Babys seien noch keine wirkliche Personen, sondern erst „mögliche Personen“.
Der Fötus und das Neugeborene seien als „potenzielle PERSONEN“ zu
bezeichnen. Deshalb ermögliche dies den Eltern, ihre wenige Tage alten
Säuglinge töten zu lassen, die sogenannte „nach der Geburt Abtreibung“.
Leider werden solche Begründungen manchmal für politische Zwecke benutzt.
Die Nazi-Propaganda zeigte nach Hitlers Aufstieg im Jahr 1937 den Film „Opfer
der Vergangenheit“, in dem eine missgestaltete behinderte Person vorgestellt
wird: „Alles Lebensschwache geht in der Natur unfehlbar zugrunde. Wir
Menschen haben gegen dieses Gesetz der natürlichen Auslese in den letzten
Jahrzehnten furchtbar gesündigt. Wir haben unwertes Leben nicht nur erhalten,
wir haben ihm auch Vermehrung gewährt. Die Nachkommen dieser Kranken
sahen so aus… (wie die die gezeigte Person).“5
Diese Beschreibung beschränkt sich auf die verschiedenen Moralvorstellungen
einer Menschengruppe / Gesellschaft. Dies ist die Aufgabe der deskriptiven
Ethik.
Die normative Ethik widmet sich der Erarbeitung von ethischen Normen und
Werten. So wurde „das Recht auf Leben“ in der Unabhängigkeitserklärung der
Vereinigten Staaten als eines der höchsten Rechte eines jeden Menschen
dargestellt. Sie lässt die grundlegenden Überzeugungen eines Menschen von
den Normen, Werten und Regeln des alltäglichen Lebens rechtfertigen,
begründen und im Hinblick auf das gute Handeln hinterfragen. (Fischer, 2010)
5
Schwengeler, 2013, S. 44
11
„Was ihr nicht wollt, das man euch zufügt, fügt es anderen nicht zu“
(Konfuzianismus, 6.Jh.v.Chr.).
„[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst,
dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ 6 ( Kant I., in. Städtler, 2011)
Demzufolge reflektiert die angewandte / „konkrete“ Ethik (Höffe, 2010; Pieper,
2007; Kreisel et al., 2007) das Handeln innerhalb der verschiedenen
Praxisfelder
im
Hinblick
auf
seine
normativen
Voraussetzungen
und
Konsequenzen. So lässt sie sich nicht nur als Autonomie, sondern auch als
„konkrete“ Wissenschaft
betreiben.
Ein solcher Bereich
ist
auch die
Medizinethik, welche Interdisziplinarität verlangt.
Die Medizinethik beschäftigt sich mit dem ärztlichen Ethos im Zusammenhang
mit Problemen wie Gesundheit und Leben, ebenso wie auch mit Krankheit,
Behinderung und Tod. Diese Probleme betreffen insbesondere die Rechte und
die Menschenwürde der Patienten. Deshalb betrifft die Medizinethik alle im
Gesundheitswesen tätigen Personen, Institutionen, Organisationen und nicht
zuletzt die Patienten und deren Angehörige.
Als grundlegende Formulierung der Werte gelten neben dem heute noch
gültigen „Eid des Hippokrates“ (Genfer Erklärung, 1948, neue Formulierung
1983), auch die vier Grundprinzipien nach Beauchamp und Childress (1977,
2008).




Respekt vor der Autonomie des Patienten („Respect for Autonomy“)
Vermeidung von Schaden („Nonmaleficience“)
Fürsorge, Hilfeleistung („Beneficience“)
Gerechtigkeit („Justice“)
Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander, d.h. im Einzelfall müssen die
Prinzipien jeweils konkretisiert und gegeneinander abgewogen werden (ReiterTheil, 2013).
So kann es zwischen der kurativen und der palliativen Behandlung zu einem
ethischen Dissens kommen. Es können unterschiedliche Auffassungen und
6
Kant I., in. Städtler, 2011, S. 23 Zitat 6.8
12
Konflikte entstehen. In diesen schwierigen Situationen trägt die klinische Ethik
zur Entscheidungsfindung bei. (Porz, 2013) Sie ist eine relativ junge Disziplin
mit dem Ziel „einer ethischen Unterstützung …die betroffenen Personen und
Institutionen… soll zur Transparenz der Entscheidungsfindung beitragen, das
Erkennen von Werte– und Interessenkonflikten fördern und Lösungsansätze
aufzeigen. Empfehlungen sind konsultativ: ethische Unterstützung legitimiert
sich allein durch die vorgebrachten Argumente“(SAMW, 2012).
Einige der oftmals diskutierten Themen in der Medizinethik sind:
Schwangerschaftsabbruch, Euthanasie, Apparatemedizin, Informationspflicht,
Paternalismus, Genkartierung, usw.
Es geht bei den angedeuteten Problemen insgesamt darum, in einer
Konfliktsituation die Gründe pro und contra abzuwägen und generell anerkannte
Werte zu gewichten.
Um diese Fragestellungen zu beantworten, wurden ethische Fallbesprechungen
durchgeführt und Ethikkommissionen (ethische Beratung, Engl.: clinical ethics
consultation) gebildet.
Während der ethischen Entscheidungsprozesse können jedoch ethische
Prinzipien in Konflikt geraten:
„Es gibt keine gute Lösung. Egal, ob ich A oder B wähle, ich lade Schuld auf
mich, ich verletze Werte, die mir so wichtig sind, dass die vermeintliche Lösung
des Dilemmas nie gut wird.“7
Es handelt sich hier um eine ethisch-moralische Entscheidungssituation, um ein
ethisches Dilemma, bei der man sich zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten
entscheiden muss, und nicht um ein ethisches Problem.
„Ein ethisches Dilemma entsteht, wenn sich die Handelnden mehreren
gleichermassen verpflichtenden Forderungen sehen, welche sich gegenseitig
ausschliessen, so dass, egal wie man sich entscheidet, Werte, die es eigentlich
zu berücksichtigen gilt, verletzt werden.“ 8
Ethische Dilemmas können auch dort entstehen, wo in einer pluralistischen
Gesellschaft im Zusammenleben unterschiedliche, miteinander unvereinbare
Wertvorstellungen aufeinanderprallen.
7
8
Porz, 2013, S. 1374
Wehr, 2011, S. 130
13
3.2 Ethikkonsil
3.2.1 Definition
Wenn eine Fachperson im Berufsalltag mit einer Verunsicherung in einer
konflikthaften Situation konfrontiert wird, die alleine nicht bewältigt werden kann,
besteht eine Möglichkeit, mit einer spezialisierten Fachperson über die Situation
zu sprechen und zu diskutieren. Dank der Besprechung können die beteiligten
Fachpersonen
von
berufsspezifischen
ihrer
persönlichen
Perspektive
und
Betroffenheit
Wahrnehmung
sowie
wegkommen.
der
Damit
bekommen die ethischen Fallbesprechungen eine zusätzliche und wichtige
Funktion, nämlich die Sensibilisierung für ethische Fragen.
„Die ethische Fallbesprechung ist ein explizit strukturiertes Verfahren für einen
ethisch
reflektierten
Beratungs-
und
Entscheidungsprozess
im
interprofessionellen Team“.9
Wenn bei einer Fallbesprechung neben den Fachpersonen der Patient oder
sein gesetzlicher Vertreter anwesend ist, können weitere Schritte und
Entscheidungen besprochen und ausgearbeitet werden, die nicht selten zu
einer Diskussion, wie es weiter gehen soll, führen. Bei dem Ethikkonsil, bei
dem der Patient und sein gesetzlicher Vertreter nicht anwesend sind, kann nur
ein vorläufiges Ergebnis ausgearbeitet werden.
„Die
Begriffe
Ethikkonsil
oder
Ethikberatung
(in
der
Klinik,
in
der
Patientenversorgung) bezeichnen eine Gruppe von Arbeitsformen, die zum Ziel
haben, eine Beratung für Behandelnde / Pflegende oder auch Betroffene
(Patienten, Angehörige) anzubieten, in der kompetent auf ethische Fragen von
klinischer Relevanz eingegangen wird. Diese Tätigkeit ist in der Regel
interdisziplinär; sie kann unterschiedlichen Modellen bzw. theoretischen
Grundlagen folgen“.10
Viele Fälle zeigen, dass eine ethische Fallbesprechung oder ein Ethikkonsil der
Orientierung oder Verständigung der Fachpersonen untereinander dienen.
9
10
Albisser-Schleger et al., 2012, S. 293
Albisser-Schleger et al., 2012, S. 292
14
3.2.2 Kriterien für das klinische Ethikkonsil / für die Ethikberatung
Im Hinblick auf die unterschiedlichen Arbeitswesen und Strukturen der
Ethikkomitees in verschiedenen Ländern stellt sich die Frage nach der
geeigneten und optimalen Zusammensetzung dieser Gremien. Es besteht die
Möglichkeit der Durchführung einer Ethikberatung durch ein vollständiges
Ethikkomitee. Dieses ist aus ca. 15 - 20 multidisziplinären Mitgliedern
zusammengesetzt (HEC= Health Ethics committee). Je nach Bedarf können
darunter kleinere Gruppen à 4 bis 5 Personen mit unterschiedlichen
Qualifikationen gebildet werden. (Smith et al., 2004)
Es ergibt sich nun eine Fragestellung: Welche Form ist die sinnvollste und
wirtschaftlichste für die individuelle Problematik eines Patienten? In einer
retrospektiven Studie untersuchten deshalb Smith et al., ob es Kriterien gibt,
anhand derer man beurteilen kann, welche Beratungsform - Ethikkonsil durch
die
kirchlichen
Träger
(May
et
al.
2002),
„High-Tech-Medizin“
oder
Ethikkomitees im Krankenhaus in Deutschland (1997) – für den Patienten die
sinnvollste ist.
Die folgenden Kriterien können laut Smith (2004) relevant sein für eine
individuelle Konsultation durch einen einzelnen Ethikberater:
 Die Notwendigkeit einer schnellen Entscheidungsfindung.
 Die Hilfeleistung bei leicht zu lösenden alltäglichen
Kommunikationsproblemen.
 Die Verdeutlichung von ethischen Normen und Standards.
 Das Fehlen eines klar darstellbaren ethischen Problems.
Smith et al. empfehlen bei schwierigeren Fragestellungen und Problemen die
Lösung durch ein Ethikkonsil-Team. Als auslösende Faktoren, die für ein HEC
sprechen, werden zwei Kriterien genannt:
 Ein vollständig besetztes Ethikkomitee wird durch eine Abteilung des
Krankenhauses angefordert.
 Das Team
des
Ethikkonsil
sieht
den
Einsatz
Ethikkomitees als notwendig an und setzt dieses ein.
eines
vollständigen
15
3.2.3 Qualifikationen und Anforderungen an die Mitarbeitenden des Ethikkonsils
In der heutigen Zeit werden die Träger der Sonderschulen, Kliniken und
Krankenhäuser besonders durch die Massnahme der Zertifizierung geprägt. Die
Institutionen und Einrichtungen, die ein Ethikkonsil haben, sollten eine
Zertifizierung z.B. nach Joint Commission of Accreditation of Health Care
Organizations (JCAHO) oder durch die Organisation „Kooperation für
Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen“ (KTQ) ausführen. Aufgrund
der teilweise schwierigen Entscheidungsfindung innerhalb der klinischen Praxis
sollten
jedoch
auch
die
Mitarbeitenden
eines
klinischen
Ethikkonsils
professionelle Qualifikationen in verschiedenen Bereichen des Ethikkonsils
aufweisen. (Reiter-Theil,1999)
International wurden im Jahr 1998 die von der American Society for Bioethics
and Humanities (ASBH) die „Kernkompetenzen für Ethikberatung“ definiert. Sie
beinhalten zwölf Fähigkeiten, die mit den Aufgaben zusammenhängen, das
ethische Problem zu erfassen und zu analysieren, den Beratungsprozess
organisatorisch zu leiten und kommunikativ zu führen. Weiter beschreiben sie
neun Kenntnisse z.B. aus der Medizinethik, aus dem Medizin- und
Gesundheitswesen, aus Religionen und Weltanschauungen sowie
aus
einschlägigen Gesetzen, Richtlinien, usw. Für einen Moderatoren sind nach
ASBH folgende Charakterzüge für die Mitwirkung an der Ethikberatung
entscheidend: „Toleranz, Geduld, Mitgefühl, Ehrlichkeit, Offenheit, Selbstkritik,
Mut, Besonnenheit und Bescheidenheit, sowie Rechtschaffenheit“.11
3.2.4 Auslöser und Zielsetzung
Mögliche Ursachen für klinische Ethikkonsultationen wurden von Reiter-Theil
(2000, 2005) in 4 Kategorien zusammengefasst:
 Unsicherheit in der ethischen Beurteilung einer klinischen Frage.
 Wahrnehmung eines Konfliktes zwischen ethischen Verpflichtungen – z.B.
11
Frewer et al., 2012, S. 69
16
einerseits, die Selbstbestimmung (bzw. die Versuche) eines Patienten zu
respektieren, andererseits, die bestmögliche Behandlung zu realisieren
(welche der Kranke ablehnt).
 Schwierigkeiten mit einem Dissens auf der Station über eine klinisch
relevante ethische Frage im Kreis der Behandelnden und Betreuenden.
 Probleme, die sich aus der Haltung bzw. Kooperation des Kranken oder der
Angehörigen für das klinische Team ergeben.
Es existieren weitere Definitionen, z.B. von May (2004). Er behauptet, dass ein
klinisches Ethikkonsil im Einzelfall eine Optimierung des Bewertungsprozesses
der
medizinisch
beabsichtigten
Alternativen
leisten
und
dem
Entscheidungsträger wegen der Reichweite der Entscheidung bei der
Abschätzung aller Handlungsfolgen helfen und ihn unterstützen kann.
Die genaue Ziele einer Ethikkonsultation nennt Gerdes et al. (1999):

„Die Ermöglichung, die Stärkung und der Schutz einer gemeinsam
getragenen Entscheidung bei der Lösung eines ethischen Problems in



einem konkreten Patientenfall.“
„Die Vermittlung und Steigerung von Wissen bezüglich klinischer Ethik.“
„Die Verhinderung eines schlechten Ergebnisses von konkreten Fällen, die
eine ethische Problematik enthalten“.
„Die Steigerung der Selbst- und Fremdwahrnehmung durch die Teilnahme
beim Lösungsversuch eines ethischen Konfliktes im klinischen Alltag“. 12
Schliesslich sollen ethische Beratungen mithelfen, eine ethisch vertretbare
Patienten-Betreuung aufzubauen und umzusetzen. Der Zweck besteht darin,
eine nachhaltige und präventive Frühsorge zu erzielen. Deshalb wäre solch
eine ethische Beratung in der Heilpädagogik auch sinnvoll. (Bonfranchi, 2011)
3.2.5 Ethische Entscheidungsfindungsprozesse – Modelle und Methoden
Seit dem Ende der 1990er Jahre in Deutschland sowie seit demjenigen der
2000er Jahre in der Schweiz hat sich eine Vielfalt von Formen Klinischer
12
Gerdes et al., 1999
17
Ethikkonsile entwickelt. Die von Neitzke (2008) beschriebenen Modelle stellen
den Ausgangspunkt dar. So wird ein etabliertes „Ethik-Komitee“ derartig
beschrieben, dass dieses entweder selbst in die Beratungen involviert ist oder
es werden ihre eigenen Mitglieder oder andere Personen bzw. Funktionen, wie
z.B. Seelsorger, damit beauftragt.
Expertenmodell
Ethik-Komitee berät separat und „unter sich“.
Delegationsmodell
Ethik-Komitee berät sich mit der anfragenden Person.
Gesamtes Ethik-Komitee berät auf der Station.
Prozessmodelle
Ethik-Komitee entsendet Berater auf die Station.
Ethik-Fallbesprechung durch geschulte Moderatoren.
Ethikkonsil durch Einzelpersonen.
Dezentrale Arbeitsgruppen (z.B. Ethik-Cafe, Ethik-
Offene Modelle
Salon).
Fallbezogene stationsrunden.
Mischformen.
Tabelle: Modelle von Ethikkonsilen (in Anlehnung an Neitzke 2008)
Zurzeit ist es fast nicht möglich vorauszusagen, welches Modell bzw. welche
Modelle sich in der Zukunft durchsetzen werden. Vorstellbar wäre eine
Kombination oder ein Nebeneinanderbestehen aus verschiedenen Methoden.
Oder eine Art „Indikationsliste“, die festhalten würde, in welchem Kontext oder
bei welchen
Fragestellungen eine Methode sich
speziell gut
eignet.
Verunsicherung und Konflikte bezüglich der Frage, welche Entscheidungen am
ehesten ethisch vertretbar sind, lassen das Bedürfnis nach Hilfestellung und
nach Möglichkeit einer allgemeinen Beratung aufkommen. (Agich, 2011; Lehrer,
2006; Reiter-Theil, 2005) Dabei muss die interdisziplinäre Zusammenarbeit
berücksichtigt und die Mitverantworten übernommen werden können. Dazu
braucht es entsprechende Rahmenbedingungen von Zeit und Raum innerhalb
der Institution.
Als eine Auswahl können die folgenden Modelle oder Methoden zählen. Die
Aufzählung ist nicht vollständig, sondern stellt einen Versuch dar, die derzeit am
18
meisten verwendeten Methoden aufzulisten.
3.2.5.1 Ulmer Modell mit der sequenzierten Fallanalyse
„Man müsste es probieren“.13 Die Autoren stellen den Ulmer Ansatz eines
narrativen und diskursiven Unterrichtsmodells in medizinischer Ethik vor,
sowohl aus studentischer Perspektive, (Uhl, Lensing) als auch aus der
unterrichtenden (Sponholz, Allert, Keller, Meier-Allmendinger, Baitsch, 1999).
Die mit Fallstudien arbeitende didaktische Methode ist praxisnah und diskursiv.
3.2.5.2 Bochumer Arbeitsbogen
Der
Leitfaden
ist
in
drei
Abschnitte:
Klärung
und
Diskussion
der
medizinethischen Befunde und Zusammenfassung mit Beschluss gegliedert.
Zu den Abschnitten werden Anregungen und Anleitungen als Fragen formuliert,
welche chronologisch bearbeitet werden. Zusätzlich zu diesem dreistufigen
Vorgehen enthält der Bochumer Arbeitsbogen auch eine Reihe spezieller
Fragen zu besonderen ethischen Konstellationen, so bei „Fällen von
langandauernder Behandlung“, bei „Fällen von erheblicher sozialer Relevanz“
oder auch bei „Fällen therapeutischer oder nicht-therapeutischer Forschung“
(Bochumer Arbeitsbogen,1987).
3.2.5.3 Das 7-Schritte Modell von Dialog Ethik
Dieser Ansatz stützt sich auf eine Strukturierung des Diskussionsrahmens und
des Ablaufs der Beratung. Alle direkt von der Situation betroffenen Personen
nehmen an der Beratung teil. Diese werden in einen inneren Kreis, der die
Teilnehmenden mit Entscheidungsverantwortung umfasst, und einen äusseren
Kreis, zu dem Spezialisten sowie alle anderen an der Situation Interessierten
der Abteilung gehören, aufgeteilt. Die Diskussion, die von einer Person
moderiert wird, die im 7-Schritte-Modell geschult ist, durchläuft sieben Schritte:
1. Problem-Analyse
2. Kontext-Analyse
3. Definition des ethischen Dilemmas
13
Luhmann, 1996, Sponholz, Baitsch in Stutzki et al. 2011, S. 27-43
19
4. Mehr als drei Verhaltensoptionen
5. Rechtliche und ethische Analyse der Verhaltensoptionen
6. Klimaklärung und Entscheid
7. Evaluation des Entscheids
3.2.5.4 Die «Beratung in Etappen» von Lausanne
„Dieser Ansatz basiert auf einer Kombination von Beratungsschritten und
Diskussionsregeln. Die Schritte umfassen: Identifikation der klinischen Fakten,
darin eingeschlossen die therapeutischen Optionen, Identifikation der ethischen
Komponenten inklusive der ethischen Prinzipien und der Prüfung des ethischen
Konflikts und die Ausarbeitung einer angemessenen Lösung mit einer ethischen
Begründung. Die Begründung enthält sowohl die Argumente, die für die Lösung,
als auch diejenigen, die dagegen sprechen, enthält. Diese Methode integriert
die Vorbedingungen der Konfliktlösung: Die Lösung kann nicht nur fachlich oder
wissenschaftlich sein, es gibt nicht nur eine richtige Entscheidung, sondern eine
Option ist überzeugender als eine andere. Der Ansatz integriert auch die
Bedingungen für eine gute Beratung: Unabhängigkeit (kein äusserer Druck),
Objektivierung
(Fähigkeit,
die
wichtigen
Informationen
zu
erkennen),
Diskursregeln (jeder Teilnehmende hat das gleiche Recht mitzudiskutieren,
Respekt vor einer anderen Meinung)“ 14
3.2.5.5 Nimwegener für ethische Fallbesprechung
Diese Methode versteht sich ebenfalls als Hilfe zur Strukturierung der
Gespräche, folgt jedoch einem vierstufigen Verfahren.
1. Benennen des ethischen Problems
2. Zusammentragen der verschiedenen Aspekte
(medizinische/pflegerische/soziale)
3. Diskussion und Bewertung
4. Beschlussfassung
Aber dieses Vorgehen lässt sich nicht auf alle klinischen Situationen anwenden.
14
Anhang zu den Empfehlungen «Strukturen zur ethischen Unterstützung in der
Medizin», Entwurf, S.4.,
www.samw.ch/dms/de/Ethik/RL/.../d_Empf_Ethikstrukturen_Anhang.pdf.
20
Es beginnt mit der gemeinsamen Formulierung des ethischen Problems und
nicht mit der Faktensammlung. Diese erste Problemformulierung verstehen die
Autoren nicht als endgültig – sie lässt sich im Laufe der Beratung verändern
oder präzisieren.
3.2.5.6 Ein integratives Modell, METAP
METAP steht für Modular, Ethik, Therapie, Allokation und Prozess. Es dient der
Unterstützung ethisch angemessener Therapieentscheide, indem es dafür
spezifische Orientierungs- und Entscheidungshilfen liefert. Es wurde 2012 von
Albisser-Schleger., Mertz , Meyer-Zehnder und Reiter-Theil entwickelt .
3.3 Basler Ansatz , METAP
In der Heilpädagogik fehlt grösstenteils ein scharfer Blick, der auf ethische
Probleme hindeuten könnte. Es wäre jedoch von grosser Bedeutung, eine
solche Perspektive einzunehmen.
Als theoretische und methodische Grundlage hierfür können vor allem der VierPrinzipien-Ansatz (Beauchamp, Childress, 2009) und der Systematische
Perspektivenwechsel (Reiter-Theil, 2005, 2012) dienen.
Systematischer Wechsel der Perspektiven nach Reiter-Theil®15 (2005)

Ich-Perspektive
Bedürfnisse der beteiligten Individuen, persönliche Werte, professionelles

Selbstverständnis, Grenzen der Belastbarkeit u. a.; Rechte des Patienten.
Ich-Du-Perspektive
Beziehungsebene zwischen Patient und Arzt/Betreuer bzw. Bezugsperson:

Erwartungen, Versprechen, Vertrauen, Überforderung u.a.
Persönliche Wir-Perspektive
Beziehungskontext des Patienten, vor allem Familie und Angehörige;
Beziehungskontext des Arztes / Betreuers, hier vor allem das Team.
 Institutionelle Perspektive
15
Reiter-Theil, 2005, S. 349
21
Leitbild, Wertorientierung, Hierarchie, Entscheidungs- und Handlungsraum,
Gewissensfreiheit des Einzelnen in der Institution, Einschränkungen, z. B.
durch Rationierung.
 Professionelle Perspektive
Standards des Fachgebietes, rechtliche Rahmenbedingungen,
professionelle Ethik; z. B. Sorgfaltspflichten.
 Kollektive Perspektive
Wertehorizont, z. B. durch Mitgliedschaft in einer religiösen oder politischen
Gemeinschaft; persönliche Verantwortung als Mitglied der Gesellschaft;
Frage: welche Medizin und welche Gesellschaft wollen wir?
In der Ethikberatung sind sowohl mehrere Disziplinen wie auch mehrere
Personen involviert und beteiligt. So kann die grundlegende Fähigkeit, die
Perspektive eines anderen einzunehmen, eingeübt werden und dazu ein
sogenannter systematischer Perspektivenwechsel eröffnet werden. Dank der
Hilfe von METAP kann sowohl die aktuelle Problematik betrachtet werden, wie
auch lösungsorientiert und nicht zuletzt partizipativ vorgegangen werden.
(Reiter- Theil, 2008) Angesichts der starken Emotionen und moralischen
Intuitionen, die im Rahmen des Ethikkonsils häufig aufeinandertreffen, ist die
Aufgabe der Moderation laut Vollmann (2008) oftmals, “buchstäblich“ als
Lenkung und Mässigung zu betreiben:
„Eine kompetente Fragetechnik kann Gesprächsblockaden auflösen, stille
Teilnehmer in den Diskussionsprozess einbeziehen, Missverständnisse klären
und den aktuellen Stand der Diskussion in der Gruppe sichtbar machen.“
16
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die Moderation nicht einem Mitglied der
Gruppe zu überlassen, sondern diese Aufgabe durch eine externe Person zu
besetzen, welche die vorausgesetzten Qualifikationen erfüllt. (Reiter-Theil,
2008)
Bei einer Ethikkonsultation hat der Leitfaden eine grosse Bedeutung. (s.
Anhang: Basler Leitfaden zur Klinischen Ethikkonsultation) Genauso wichtig,
wenn nicht sogar von noch grösserer Relevanz, ist das Protokoll. (s. Anhang:
16
Vollmann, 2008 S. 88
22
Basler
Protokoll
zur
Klinischen
Ethikkonsultation)
Damit
dient
eine
Ethikkonsultation neben einer retrospektiven Argumentation auch einer
nachweisbaren Entscheidungsfindung.
Das Protokoll wird in zwei Schritten erarbeitet:
1. als kurze Mitschrift für das weitere Vorgehen (s. Anhang: To-Do Liste zur
Organisation der ethischen Fallbesprechung, METAP Leporello, S. 8 und
Vorgehen der ethischen Analyse)
2. als ausführliche Version, die von den Vertretern des Ethikkonsils formuliert
und anschliessend der Patientenakte beigefügt wird.
3.4 Recht
„Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper gehört zum
Kernbereich der Würde und Freiheit des Menschen“ 17 und wird in den
westlichen Verfassungen und Zivilgesetzbüchern geschützt.
Das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (1. Januar 2013, SAMW)
respektiert den Wunsch und die zunehmende Forderung des Patienten, mehr
Rechte zu besitzen. Eines davon ist der Patientenwille/ die Patientenverfügung
(„die eigene Vorsorge“, Art. 360-373 nZGB, SAMW, 2005; Naef, et al. 2012)
Dieses Recht verlangt aber auch, dass die Patienten die Verantwortung für ihre
Entscheidung tragen (Handlungsfähigkeit, Art.13/14 nZGB) und die sogenannte
Urteilsfähigkeit (Art.16 nZGB) halten. Dazu gehört aber eine umfassende,
individuell angemessene Information über den Gesundheitszustand sowie über
eventuelle Möglichkeiten oder Einschränkungen der Therapien.
Manchmal kann es jedoch sein, dass ein Patient nicht „aus freien Stücken“
bestimmen kann, sondern durch einen gesetzlichen Vertreter, der durch die
Vormundschafts- bzw. Erwachsenschutzbehörde benannt wird. Gesetzliche
Vertreter sind für das Kind (Art. 304 ZGB) und für unmündige Patienten, welche
sich nicht unter der elterlichen Sorge befinden (Art. 368 ZGB), sowie für
urteilsunfähige Patienten (Art. 369 ZGB) der Vormund oder Beistand. (SAMW;
2005)
17
http://etikrat.org./stellungnahmen/pdf/stellungnahme_Patientenverfuegung.pdf, S. 9
23
Bei dem Gerechtigkeitsprinzip kommt die Frage auf, ob „Medical Futility“
(Überversorgung), Rationierung (Unterversorgung) oder eine ungerechtfertigte
Ungleichversorgung ausgeschlossen werden kann. (s. Anhang: METAP:
Diagnose von Unter- oder Ungleichversorgung, Fragen zur Einschätzung von
Überversorgung, Leporello S. 3)
In diesem Rahmen muss die „Palliative Care“ von der Sterbehilfe unterschieden
werden. Unter der „Palliative Care“ versteht man alle Massnahmen, die das
Leiden eines unheilbar kranken Menschen lindern und ihm so eine
bestmögliche Lebensqualität bis zum Ende verschaffen. Der Schwerpunkt liegt
bei demjenigen Zeitpunkt, bei dem der Patient nicht mehr auf die kurative
Behandlung anspricht. Dem an die Situation angepassten Patienten wird eine
optimale Lebensqualität bis zum Tod gewährleistet und seine Umwelt bzw.
seine Angehörigen werden angemessen unterstützt. (zusammengestellt nach s.
Anhang Definition von WHO).
Wenn eine Therapie unterlassen („withhold“) oder abgebrochen („withdraw“)
wird, kann der Sterbeprozess in Gang gesetzt oder beschleunigt werden. Hier
muss unterschieden werden zwischen direkter aktiver (Vorsätzliche Tötung- Art.
111 StG, Totschlag- Art.113 StG, Tötung auf Verlangen- Art.114 StG) und
indirekter aktiver und passiver Sterbehilfe, welche gesetzlich nicht ausdrücklich
geregelt ist. Die Sterbehilfe ist gemäss SAMW- Richtlinien im Rahmen der
„Komforttherapie“ gerechtfertigt (2005). Die Beihilfe zum Suizid ist in der
Schweiz geduldet, solange sie nicht „aus selbstsüchtigen Beweggründen“ (Art.
115 StG) geleistet wurde.
Im Jahr 1919 forderte Janusz Korczak, polnischer Arzt und Pädagoge, der die
Waisenhauskinder mit ins KZ begleitet hatte in seinem Buch: „Wie man ein
Kind lieben soll“, im Kapitel „Das Kind in der Familie“ die Grundrechte für
Kinder. „Ich fordere die magna Charta Libertatis, als ein Grundgesetz für das
Kind. Vielleicht gibt es noch andere – aber diese drei Grundrechte habe ich
herausgefunden:
 Das Recht des Kindes auf seinen eigenen Tod
 Das Recht des Kindes auf den heutigen Tag
24
 Das Recht des Kindes, so zu sein, wie es ist.“18
Dies hat Korczak später im Jahr 1928 im Buch: „Das Recht des Kindes auf
Achtung“ noch einmal ausgeführt.
Massnahmen zur Förderung der Rechte von Kindern mit Behinderung wurden
am 13. Dezember 2006 formuliert, in Kraft getreten sind diese dann im Mai
2008 mittels Annahmen der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK). Die
wichtigste Ansätze: Menschen mit Behinderung sind nicht mehr nur „Objekte“
der Fürsorge, sondern werden als „Rechtssubjekte“ anerkannt.
„(1.) Die Vertragsstaaten bekräftigen, dass Menschen mit Behinderungen das
Recht haben, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden.“ (Art. 12.)
„Die
Vertragsstaaten
treffen
alle
erforderlichen
Maßnahmen,
um
zu
gewährleisten, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen
Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können“ (Art.7.
Abs. 1)
Weitere Rechte, wie die Wahrung ihrer Identität, Würde und Autonomie sowie
der Chancengleichheit und der Barrierefreiheit (Art.3) wurden festgelegt. Zudem
existiert eine Reihe von Massnahmen zum Recht auf Schutz, (Art. 16, 23.)
Bildung und Förderung (Art. 4 und 24) sowie auf eine Habilitation und
Rehabilitation (Art. 26).
Die Allgemeine Bemerkung des UN-Ausschusses in der Zusammenfassung von
Kälin et al. (2008 S. 108) betont die Gefahr von Missbrauchsopfern in allen
Formen, egal ob seelischer wie: Nichtbeachtung, Kriegsgebiet, physischer wie:
Ausbeutung, Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten und Landminen oder
sexueller Art und in allen Lebensbereichen.
Behik (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen)
empfiehlt im Art. 24 Abs.1 den Vertragsstaaten die Unterbringung der Kinder in
öffentlichen Institutionen.
„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen
18
Korczak, 2005; S. 40
25
auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der
Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein
integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen. …
Diese Schulung schließt die Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen
und die Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel
und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und
Materialien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein.“ (Art.24
Abs.4)
»Disability is a human rights issue! I reperat : disability is a human rights issue.
Those of us who happen to have a disability are fed up being treated by the
society and our fellow citizens as if we did not exist or as if we were aliens from
outer space. We are human beings with equal value, claiming equal
rights.» (Bengt Lindqvist, 2000)
Recht ist eine Richtschnur und lässt genügend Spielraum zum Interpretieren.
Das Recht setzt auch Linien und Grenzen, die verhandelbar sind. So können
die rechtliche und moralische Beurteilung desselben Sachverhaltes in Konflikt
geraten.
3.5 Palliative Care
Der Begriffsteil „palliative“ geht auf das Lateinische „palliare“, „pallium“ (Mantel)
zurück. Das englische „care“ lässt sich mit „Versorgung“, „Betreuung“,
„Aufmerksamkeit“, „Fürsorge“, „Obhut“, „Vorsicht“ übersetzen.
2002 veröffentlichte die WHO eine Definition. Sie sagt:
„Palliative Care ist ein Ansatz, der die Lebensqualität der Patienten und ihrer
Familien sowie die Probleme, die mit der lebensbedrohlichen Krankheit
verbunden sind, durch die Vorbeugung und Linderung von Leiden durch
frühzeitige Identifikation und tadellose Beurteilung und Behandlung von
Schmerzen und anderen Problemen, seien dies physische, psychosoziale und
spirituelle Art verbessert.“19
WHO- Definition von Palliative Care für Kinder:
19
www.who.int/cancer/palliative/definition/ - freie Übersetzung
26
„Palliative Care für Kinder stellt einen besonderen, wenn auch eng mit ihm
verwandten Bereich der Erwachsenenpalliativpflege dar. Die WHO-Definition
der Palliativmedizin für Kinder und ihre Familien bedeutet u.a.: Die Grundsätze
gelten auch für andere Kindern mit chronischer Erkrankungen (WHO, 1998a)“
20
Die SAMW (s. II. Richtlinien 1.Definition S. 6) definiert sie als Handlungs- und
Betreuungskonzept von Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Folglich wurde
nur die Konzentration auf das Wesentliche, das überlegte und begründete
(Weg-) Lassen und auch anderes Tun und Lassen als Palliative Care
bezeichnet. (Franke, 2012)
Deshalb stellt die Palliative Care die Lebensqualität in den Mittelpunkt. So strebt
sie eine ganzheitliche Betreuung an, auch, wenn es immer mit einer
emotionalen Belastung verbunden ist, dazu werden den Angehörigen stets
wichtige Aufgaben abgefordert. (Albisser et al. 2012)
Menschen mit geistigen Behinderungen bilden keine homogene Gruppe. Je
nach Aspekt, wie medizinisch-genetischer-, psychologischer-, soziologischerund pädagogischer Aspekt oder weitere epidemiologische Befunde, wie
Mehrfachbehinderungen, bereitet der Begriff der geistigen Behinderung
besondere Schwierigkeiten. Es zeigen sich nicht nur Unterschiede in der
sensorischen oder motorischen Schädigung, sondern auch im kognitiven
Bereich. (Speck, 2012) Deshalb meint Franke (2012): „Nur die, die über sich
und ihre natürliche und soziale Umwelt reflektieren können, werden in der Lage
sein, sich auch Gedanken um ihr Lebensende zu machen.“ 21
Wenn man mit Kindern, auch mit geistig behinderten, über Krankheit und Tod
spricht, dann sollte „das Todeskonzept“ von Nagy (1938) und Wittkowski (1990)
beachtet werden. Das Todesverständnis nach Maria Nagy basiert auf einer
Studie. Nagy untersuchte Kinder im Alter zwischen drei und 14 Jahren. Hier
betont Nagy, dass die Altersangaben (Säuglinge, Kleinkinder unter fünf Jahren,
Grundschulkinder - Kinder von sechs bis neun Jahren und Kinder zwischen
zehn und vierzehn Jahren) nur als Orientierung gemeint sind. Sie hat dabei die
folgenden drei Entwicklungsphasen beobachtet:
20
21
www.who.int/cancer/palliative/definition/ - freie Übersetzung
Franke, 2012, S. 7
27
1. In die erste Phase gehören Kinder unter fünf Jahren, die den Tod als Schlaf
oder zeitweise einschränkenden Zustand verstehen, der nicht endgültig ist.
2. Hier werden Kinder zwischen fünf und neun Jahren zugeordnet, die von der
Endgültigkeit des Todes weggehen und nach den Ursachen fragen. Dabei
wird der Tod als Ereignis von aussen angesehen. In diesem Alter finden die
ersten Schuldgefühle statt. Die Stereotyp- Sätze, wie „ich bin Schuld.“
„wegen mir ist der Tod hier“, sind ernst gemeint und keine Seltenheit.
3. Erst in der Phase drei ist das Kind, ab neun Jahren, in der Lage, den Tod zu
verstehen. Hier stehen für die Erklärung der Todessursache Krankheit und
Alter zur Verfügung, d..h. der Tod kann innere oder äussere Ursachen haben.
Die Kinder verstehen, dass der Tod als unvermeidliches Ereignis nicht
zufällig geschieht.
Wittkowski (1990) hat das Todeskonzept weiter entwickelt. So definierte er bzw.
vier „Subkonzepte“ innerhalb des Konzeptes:
 Nonfunktionalität: Die Erkenntnis, dass die Körperfunktionen aufhören,
sobald man gestorben ist.
 Irreversibilität: Die Einsicht, dass der Tod ein unumkehrbarer Zustand ist.
 Universalität: Das Bewusstsein, dass alle Lebewesen sterblich sind.
Niemand kann ewig leben.
 Kausalität: Das Verständnis, dass der Tod biologische und physikalische
Ursachen hat.
In der Literatur wird beschrieben, dass in Fällen, in denen die Eltern und
Angehörigen in einer altersangemessenen Art und Weise mit dem Kind über
den Tod sprechen, die Verarbeitung des Todes erleichtert wird. Sie sind sich
einig, dass nicht mehr die Lebensdauer die Hauptrolle spielt, sondern die
Lebensqualität. Das gilt für alte und kranke Menschen genau so wie für
Menschen mit einer Behinderung. Bei ihnen, so haben zwei Forscherinnen,
Monika T. Wicki und Judith Adler von der Hochschule für Heilpädagogik in
Zürich, herausgefunden; ist es besonders wichtig herauszufinden, welche
Fragen die Betreuungspersonen ihnen stellen sollen, um herauszufinden, was
sie sich zum Lebensende wünschen.
28
Im Februar 2013 ist das Buch zum Thema „Physiotherapie in der Palliative
Care" erschienen. Die Herausgeberschaft von Peter Nieland (D), Rainer
Simader (Ö) und Jenny Taylor (UK) betonen die Wichtigkeit und Aktualität des
Themas, weil damit nicht nur Leiden gemindert, sondern gleichzeitig auch
Leben verändert werden kann, egal im welchen Bereich, mit welchen Patienten
und in welchem Lebensalter. Leider ist dieses Thema in der Logopädie noch
nicht bekannt.
3.6 „Heilpädagogisches Dilemma“
«Die Kinder haben sich nicht verändert. Es werden einfach mehr Variationen
der Norm als pathologisch erklärt. Wir haben heute völlig falsche Vorstellungen
davon, was normal und was nicht normal ist.» 22
Für die meisten Menschen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Kinder und
Jugendliche mit einer oder mehreren Beeinträchtigungen soweit wie möglich
gefördert,
unterstützt
und
auch
integriert
werden.
„Wir
sind
eine
heilpädagogische Schule, das ist selbstverständlich, dass die Klienten so viele
Therapien wie möglich erhalten sollen.“ Diesem Satz begegnet man täglich.
Aber ist es wirklich so, oder sollte man das Wort „möglich“ durch das Wort
„nötig“ ersetzen? Und was ist eigentlich eine heilpädagogische Haltung? Dass
solche und ähnliche Fragestellungen im Hinblick darauf, was gerecht, ethisch,
moralisch zulässig, geboten oder verboten ist, nicht gestellt wurden, stellt für
Bonfranchi (2011) ein grosser Mangel dar. Frau Ritzenthaler bedauert den
fehlenden ethischen Berufskodex im Jahr 2011. Dies wurde im Jahr 2013
jedoch geändert und daraufhin berichtet sie über die Einführung eines solchen
Kodexes. Zielsetzung dessen ist eine Bereitstellung von ethischen und
qualitativen Richtlinien für das berufliche Handeln. Dabei geht es um die
Definition der gemeinsamen Werte der Profession. Diese sind:



22
Förderung der Autonomie (Selbstbestimmung)
Förderung der Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben
Diskriminierungsverbot
Baumann, 2011
29





Gestalten einer professionellen Beziehung
Ganzheitliches Menschenbild
Fürsorge
Normalisierung
Politisches Engagement für Menschen mit einer Behinderung
Hierbei ergibt sich eine Schnittstelle zwischen medizinischer Versorgung und
der heil- und sozialpädagogischen Betreuung sowie Förderung. Damit ergeben
sich vermehrt ethische Fragestellungen, wie auch „Wertekonflikte“, die
sogenannten berufsethischen Dilemmas. Mit den folgenden Themen bzw.
Fällen beschäftigen sich heute die Fachleute:



Das persönliche Werteprofil unterscheidet sich in gewissen Teilen mit jenem
des Berufsverbandes.
Das persönliche Werteprofil unterscheidet sich von Werten, die in der
(Regel)Schule gelebt und als bedeutend angesehen werden.
Die Schule hat in sich Wertekonflikte, die sich auf die Arbeit als
Heilpädagoge und/oder Logopäde auswirken. (s. Abb. 1: Inklusion)
Abb. 1: Inklusion
(von Ritzenthaler, Ethik in der Heilpädagogik, 2013, Manuskript)
30
Die entscheidenden Elemente bzw. förderlichen Haltungen im Berufsfeld der
Heilpädagogik sind:
1. „Achtung der menschlichen Würde“- aus der anthropologischen Sicht bildet
das Kernelement. (Fornefeld, 2008, Korczak, 1998, Speck, 2003)
2. „Wertschätzung
und
emotionale
Wärme,
Echtheit
und
Echtsein,
einfühlendes Verstehen verbunden mit Variablen aus psychologischer Sicht.
„dass ich mein gegenüber ohne zu werten akzeptiere, als ganze Person, so
wie sie im Augenblick ist, mit all ihren Schwierigkeiten und Möglichkeiten.“ 23
3. Die pädagogische Sicht einerseits durch Gegenwartbezogenheit und
Zukunftsorientierung, anderseits durch Skepsis geprägt.
In Anlehnung an Häussler (2000) gibt es aus skeptischer Sicht mindestens drei
Haltungen, die postuliert werden können: die Offenheit, die Gelassenheit und
die Hoffnung.
3.6.1 Inklusion
Hiermit verbindet man einen sehr wichtigen Themenkomplex der Heilpädagogik
mit ethischen Implikationen (Bonfranchi, 2011), nämlich die Integration, oder
neu: die Inklusion.
Integration steht Kindern mit einer Behinderung zu und gemäss Artikel 20 BehiK
werden die Kantone zu bestimmten Massnahmen verpflichtet: „Die Kantone
sorgen dafür, dass behinderte Kinder eine Grundschulung erhalten, die ihren
besonderen Bedürfnissen angepasst ist; sie fördern, soweit dies möglich ist und
dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen dient.“
Inklusion bedeutet, wie das Wort selbst aussagt, den Einschluss aller zu
Unterrichtenden in Schulen für alle. Inklusion ist der nächste logisch folgende
Schritt auf die Bemühungen der Integration, denn sie eröffnet allen Menschen
die Möglichkeit, ihr Recht auf adäquate Bildung und auf Erreichung ihres
individuell höchstmöglichen Bildungszieles wahrzunehmen und damit ein
möglichst selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen.
23
Pörtner, 2004, S. 29
31
Letztlich geht es hier um die Anerkennung der Individualität eines jeden
Menschen. (Speck, 2010)
3.6.2 Recht auf Bestimmung
Aussenstellen
Pädagogik und Heilpädagogik funktionieren
im Dreieck (Abbildung 2)
.
Kind
Eltern
Unmittelbar nach der Geburt sind Mutter und Kind noch eine scheinbare
Einheit. Bei genauerer Beobachtung fällt auf, dass das Kind bereits seine
Meinung lauthals kundtun kann. Es kann nicht nur seine Grundbedürfnisse
melden, sondern die Umwelt im schlimmsten Fall terrorisieren oder sich einfach
körperliche Nähe holen.
Bereits jetzt mischen sich Nachbarn, Verwandte und Freunde mit gut gemeinten
Tipps und Tricks ins Geschehen ein. Die jungen Eltern geraten ins erste
pädagogische Dilemma zwischen ihrer Meinung und den Ratschlägen von
aussen.
Genau so ergeht es Fachpersonen, die ins Dilemma geraten zwischen der
eigenen Meinung, begründet auf Fachwissen und Erfahrung, und den
Bestimmungen der Eltern, die zu respektieren sind. Alle behaupten, das Kind
und sein Wohlergehen ins Zentrum zu stellen. Bei kritischer Betrachtung fällt
auf, dass häufig egoistische Gedanken bei allen Beteiligten zu entsprechendem
Rechtsanspruch führen.
Bei pädagogischen Mitarbeitern sind oft Ängste um ihre Anstellung oder
irgendwelche Vorteile der Motivator, um auf ihrer Fachlichkeit zu beharren.
Eltern dagegen sehen vielleicht ihre Stellung in der Verwandtschaft oder im
Umfeld gefährdet, oder geraten in ein Dilemma mit der eigenen Familie, die
einen bestimmten Entscheid nicht mittragen will.
32
Diskussion zu Dilemmas:
Thema
Wechsel von der
Integration zur
Pro
Kleinere Klassen, mehr
Förderung
Separation
Contra
Verlust von
Sozialkontakten in der
Gemeinde
Zusätzliche Therapien
Alles tun fürs Kind
Übertherapiere
Teilnahme an ausser-
Dazu gehören zur
Ausgesondert sein von
schulischen Aktivitäten
„Behinderten“- gruppe
der Gesellschaft
Unterstützte
Ganzheitlichkeit
kommunikation oder
Logo
Hilfsmittel zur
Verständigung
Logopädische Arbeit in
Individuelle Arbeit und
Wünsche der Eltern
der Sonderschule
Patienten miteinbeziehen
werden „erzwungen“
3.7 Orofaziale Störung
Essen, Trinken und das dazu gehörende Schlucken geschieht unbewusst.
Diese Tätigkeiten zeichnen sich durch ihre Schnelligkeit, höchste Koordination,
Variabilität und Automatisierung aus. Deswegen werden sie häufig als ein
dynamischer Prozess im Bereich des orofazialen Komplexes (inkl. knöchernen
und knorpeligen Elementen, sowie muskulären Anteilen) verstanden. Neben
dieser funktionellen Nahrungsaufnahme gehören auch Mimik, Atmung und
Phonation dazu. Nach dem
Brodie-Schema, das von Castillo (1998) und
Codoni (2004) mehrfach modifiziert wurde, lässt sich zeigen, wie Füsse, Beine,
Rumpf, Becken, Arme, Hände, Schultern sowie Nacken an der Aufrichtung,
Koordination und Kontrolle des orofazialen Komplexes mitwirken.
33
3.7.1 Definition
Eine myofunktionelle Störung (MFSt) vor allem im Bereich der mimischen
Muskulatur,
der
Mund-,
Lippen-,
Kau-,
Zungen-,
Mundboden-
und
Gaumensegelmuskulatur ist durch ein Muskelungleichgewicht (Myo=Muskel)
gekennzeichnet. Dieses muskuläre Ungleichgewicht kann unter bestimmten
Bedingungen zu einer myofunktionellen Störung, Schluckfehlfunktion mit oder
ohne offene Mundhaltung führen. Eine offene Mundhaltung bedeutet, dass der
Mund des Patienten zum Atmen meistens geöffnet ist. Die Nasenatmung wird
nicht genutzt. Der Mund kann von Patient zu Patient unterschiedlich weit
geöffnet sein. Solche typische Zeichen sind ein offener Mund, eine interdentale
Zungenruhelage,
ein
offener
Biss
und
ein
nach
vorne
gerichtetes
Schluckmuster "Zungenpressen" ( „tongue thrust“). Oft kommt es auch zu einer
Dyslalie, besonders der Zischlaute. Die folgenden, möglichen ursächlichen
Faktoren werden von Autoren beschrieben:
 Genetische Einflüsse (wenig erforscht)
 Falsch erlerntes Schluckmuster (z.B. Flaschenernährung vs. Stillen, nicht
altersgerechte Nahrung)
 unphysiologische Kopf- und Körperhaltung beim Füttern des Säuglings
 Verkürzte Oberlippe und wulstige Unterlippe
 Hypersalivation (Extremer Speichelfluss und/ oder dadurch bedingt raue
Lippen/ Ekzeme)
 Mundatmung (habituell oder organisch bedingt)
 Verdickte und/ oder rissige Zungenränder
 Zungenpressen
 Makro-, Ankyloglossie
 Tonsillenhyperplasie
 Skelettale Anomalien im Kiefer-/Gaumenbereich
 Orale Habits (z.B. Daumenlutschen)
 Schlaffe Gesichtsmuskulatur und dadurch bedingt langweiliger
Gesichtsausdruck
 Überaktivität des Kinnmuskels
 sensorisch-taktile Einschränkungen
34
 weitere Krankheitsbilder (Syndrome, cerebrale Bewegungsstörungen)
3.7.2 Funktionelle orofaziale Störung
Bei diesen Störungen handelt es sich um funktionelle orofaziale Störungen, die
mit einer Fehlsteuerung der Bewegungsabläufe der Kau- und Schluckmuskeln
aufgrund einer isolierten Fehlfunktion der Wangen-, Lippen- und Zungen-,
Mundboden- und Gaumensegelmuskulatur, sowie einer Irritation des gesamten
Körpers (Bereich des Pharynx, des Haltungsmuskels, insbesondere des Halses
und des Nackens) einhergehen. Betroffen sind auch die Bewegungs- und
Koordinationsabläufe der mimischen Muskulatur. (Biber, 2012; Bondi, 1994;
Brachaus, 2009; Blytthe, 2011; Castillo, 1998; Codoni, 2000, 2004, 2005, 2013;
Hahn, 2001; Furtenbach, 2007; Kittel, 2001; Oetter, Richter, Frick, 2001;
Schuster, 2011; Türk , Söhlemann, Rummel 2012)
Folgende Termini
Myofunktionelle
werden
Störung
häufig
für
orofaziale
(MFS,
Hahn,
2001
Störungen
und
verwendet:
Kittel,
2012)
Mundfunktionsstörung (Schuster, 2011) orofaziale Dysfunktion (Castilo, 1998),
Dyskinesie (Codoni, 2004), „Dystonie des Schluckaktes in der oralen Phase“
(Kittel, 2001), „Tonusdysbalance der orofazialen Muskelfunktion“ (Hörstel,
2013), fazio-oro-pharyngealer Störungen (Limbrock, 2011), engl.: dyskinesia,
myofunctional disorder, orofacial disorder)
Als mögliche Ursache werden Störungen während der Embryonalzeit oder
Komplikationen während der Geburt (Kittel, 2012) gesehen. Als mögliche
Risikofaktoren gelten beispielsweise Störungen wie Syndromerkrankungen (s.
Anhang, Tabelle), die insbesondere die Nahrungsaufnahme und Artikulation
erschweren, die Stoffwechsel bzw. Ernährungsstörung, die sich auf das Gebiss
auswirkt
(Engel,
Sauck,
2001)
und
zerebrale
Bewegungsstörungen.
Schädigungen im oropharyngealen Bereich (z.B. Verletzungen, Entzündungen,
Tumore) können auch mechanische Hindernisse für das Schlucken darstellen.
Alle Autoren (Biber, 2012; Bondi, 1994; Brachaus, 2009; Blytthe, 2011; Castillo,
1998; Codoni, 2000, 2004, 2005; Codoni, Schwenzer-Zimmerer, 2013; Engel,
35
Sauck, 2001; Hahn, 2001; Furtenbach, 2007; Kittel, 2001; Limbrock, 2011;
Oetter, Richter, Frick, 2001; Schuster, 2011; Türk, Söhlemann, Rummel, 2012)
sind sich einig, dass die Ernährung grossen Einfluss auf die Entwicklung des
orofazialen Komplexes hat. Solche Auswirkungen können sich zeigen, falls ein
Kind zu wenig gestillt wurde oder mit Hilfe einer Flasche mit zu grossem
Saugerloch. Ein falsch erlerntes Schluckmuster, eine unphysiologische Körperund Kopfhaltung sowie wiederkehrende und anhaltende HNO-Erkrankungen
können die Infektanfälligkeit erhöhen. Als Folge dessen kann ein fehlender
Mundschluss
resultieren.
Ein
falsches
Schluckmuster
kann
auch
die
Entwicklung des Kiefers, der Zähne und die Funktion der am Sprechen
beteiligten Muskeln negativ beeinflussen. (Blythe, 2011; Brachaus, 2009; s.
Anhang: Codoni, Schwenzer-Zimmerer, 2013; Limbrock, 2011) Dies kann zu
Sprechstörungen sowie zu ungünstigen erworbenen Gewohnheiten (Habits) wie
Schnuller-/Daumenlutschen oder Nägelkauen führen. (Codoni, 2000)
36
4. Methodik
Im Rahmen des gewaltigen und rasenden technischen und intellektuellen
Fortschritts in der Medizin und Pädagogik tritt zunehmend das Bewusstsein
ethischer
Fragen
und
sonderpädagogischen
Herausforderungen
Alltag
in
den
im
Vordergrund
medizinischen
therapeutisch
und
tätiger
Fachpersonen. Die klinische Ethik wächst von Tag zu Tag. Dieser Prozess führt
zu
einer
Erweiterung
in
den
verschiedenen
medizinischen
und
paramedizinischen Fachgebieten. Daraus ergibt sich zum einem ein breites
vernetztes und modulares Denken der Fachleute und zum andern die
Nachfrage nach guten qualitativen Studien, welche diese Thematik aufgreifen.
Studien, welche die Thematik nicht nur als abstrakte Diskussion abhandeln,
sondern problemorientierte, dem therapeutischen Umfeld entsprechende sowie
in der Praxis anwendbare Ergebnisse und Empfehlungen liefern.
4.1 Studiendesign
Für diese Arbeit wurde die retrospektive Fallanalyse gewählt. Eine retrospektive
Studie (lateinisch retrospectare „zurückblicken“) ist ein Begriff aus der klinischen
Forschung. Dabei werden anhand von Fragestellungen aus der Gegenwart
Daten aus der Vergangenheit untersucht und ausgewertet.
4.2 Kasuistik
Die Kasuistik (lateinisch casus „Fall“) widmet sich der Betrachtung von
Einzelfällen. Bei einer kasuistischen Argumentation werden drei Hauptschritte
verlangt.
Zuerst
gilt
es,
die
relevanten
Fragestellungen,
welche
die
Rahmenbedingung darstellen, herauszufinden. Dann folgt die Gewichtung und
Vergleichung von Daten. Hier werden die Prinzipien, Werte und Umstände als
ein grosses Ganzes angesehen, die bewertet werden müssen. Am Schluss wird
eine vorgeschlagene und moralisch vertretbare Lösung erarbeitet. Dabei muss
beachtet werden, dass die Kasuistik jeweils mittels ihrer Schlussfolgerungen
ihre Argumentationen testet. Diese wird erreicht, indem ein Vergleich mit
ähnlichen Fällen hergestellt wird. (Friederich, 2012)
37
4.3 Qualitative Inhaltsanalyse
Anhand
der
Qualitativen
Kommunikationsmaterialien
Inhaltsanalyse
(Bilder,
Texte,
nach
Mayring
Interviews,
müssen
Protokolle
die
etc.)
systematisch bearbeitet werden, mit dem Ziel, die wesentlichen Daten aus der
gesammelten Materialmenge herausfiltern. Der Inhalt sollte dabei so gekürzt
werden, dass die wesentlichen Entscheidungssituationen sich widerspiegeln.
Zusätzlich soll der Text nicht nur reflektiert, sondern auch unter einer
bestimmten Fragestellung in theoriegeleiteten Schritten analysiert werden.
Dieser Vorgang wird durch ein Ablaufmodell befolgt (s. Abb. 2: Ablaufmodell), in
dem die einzelnen zu analysierenden Inhalte Schritt für Schritt festgehalten
werden. Die Einschätzung der Ergebnisse werden nach den Güterkriterien:
Objektivität, Reliabilität und Validität, vorgenommen.
Abb. 3: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodel
(Mayring P. (2003) Qualitative Inhaltsanalyse – Grundlagen und Techniken,
Weiheim und Basel, Beltz Verlag, S. 54)
38
4.4 Vorgehen der ethischen Analyse (nach Reiter-Theil®)
Um eine ethische Analyse machen zu können, benötigt es mehrere Faktoren
und Aspekte. Zuerst wird die Anerkennung des Problems in seiner ethischen
Bedeutung wahrgenommen. Dann kann mit der Analyse der Situation begonnen
werden. Dabei soll auf diverse Fragestellungen geachtet werden, wie
beispielsweise nach dem Ursprung des ethischen Konflikts. Ebenfalls wird
untersucht, ob die Person, welche die ethische Analyse durchführt, alle
relevanten Fakten kennt. Dabei sollte man die Optionen sondieren, die eine
Problemlösung bringen könnten. Beim nächsten Schritt wird der Fall anhand
der
vier
ethischen
Grundprinzipien
und
dem
Systematischen
Perspektivenwechseln kritisch mit pro und contra hinterfragt. Am Schluss sollen
Handlungsoptionen und deren Begründungen klar formuliert werden. Dieses
beschriebene Vorgehen (Reiter-Theil, 2005, 2008) wird von der Studentin
selbständig analysiert.
39
5. Resultate
5.1 Einführungen zu den Fallvorstellungen
Bei dieser Masterarbeit handelt sich um eine kleine Fallserie. Es wurden drei
Patienten einer
Sonderschule ausgesucht und erfasst. Das Alter der
Untersuchungspersonen variiert zwischen 5 und 15 Jahren. Da das
ausgewählte Schema aussagekräftiger ist als eine textliche Beschreibung oder
eine Statistik, sollen die Patienten direkt vorgestellt werden.
Die Dokumentation der Fallbeschreibungen wurde nach dem folgenden
Schema aufgebaut. Dessen Rahmen sollen die Lesbarkeit und die Analyse
erleichtern.
 Allgemeine
Informationen
wie
Geburtsjahr,
Schwangerschaftsverlauf,
sozialer Hintergrund und Verhalten. (kurz gehalten)
 Diagnose (ausführlich beschrieben)
 Krankheitsverlauf (Tabelle)
 Logopädischer Therapieverlauf (Zusammenfassung)
 Ethische Problematik der verschiedenen Perspektiven nach Grundlage der
vier ethischen Prinzipien (Tabelle)
 Ethische Fragestellung
5.2 Fall 1
Allgemeine Informationen:
 geboren im Jahr 1998 ist T. das erste Kind von Schweizer Eltern.
 Schwangerschaftsverlauf: Die Schwangerschaft verlief problemlos. T. wurde
durch sekundäre Sectio auf Grund eines Geburtsstillstandes in der 40 4/7
SSW mit asynklitischer Kopfeinstellung auf die Welt gebracht.
 sozialer Hintergrund: T. lebt mehrheitlich in einem heilpädagogischen
Institut. T. hat eine zwei Jahre jüngere Schwester, die bei der Familie
aufwächst. Beide Eltern arbeiten Vollzeit im Kaderberuf. Die Eltern gehen
mit T. sehr behütend und liebevoll um.
 Verhalten: T. ist eine sehr ausgeglichene, zufriedene, aufmerksame und
40
herzliche junge Persönlichkeit, die ihre Befindlichkeit sehr gut durch Mimik
ausdrücken kann und auch oft lacht. Blickkontakt kann gelegentlich
aufgenommen werden.
Diagnose:
 Bilaterale beinbetonte Tetraspastische Cerebralparese (GMFCS V) mit/bei
-diffuser Leukomalazie unklarer Ätiologie
 Intelligenzminderung
- St. n. kontrakte Windfähnchenstellung der Beine nach links
- St. n. lumbal linkskonvexe Skoliose,Th11 bis L3 Cobb-Winkel 65
- St. n. Skolioseaufrichtung BWK 6 bis SWK 1 08/2012
 Neurogener Klumpfuss rechts und Plattfluss links mit multilokulären
Kontraktionen
-
St. n. Hüftrekonstruktion bds. 2004
-
St. n. Tracheostomie 03/2010
-
St. n. Besiedelung mit Pseudomonas aeroginosa, Proteus mirabilis 07/12
-
St. n. Baclofen Pumpe 10/2012
-
St. n. Inguinalhernie
-
St. n. PEG-Einlage 10/2003
 Hiatushernie
- St.n. Fundoplicatio
 rezidivierende Eisenmangelanämie
 chronische Obstipation
- St. n. Porth –à – Cath Einlage 2010
 symptomatische Epilepsie ohne Medikationsbedarf
- St. n. Anfall als Neugeborene
 schweres Schlafapnoe-Syndrom
 zerebrale
Visusbeeinträchtigung nach
(Amaurose)
 Pendelnystagmus
perinataler
zerebraler Hypoxie
41
Krankheitsverlauf
Operation /
Problematik
Untersuchung
Therapie / Hilfsmittel
(was und wann)
2. Lebenstag-
EEG (1998)
-Luminal (2 Wochen lang)
generalisierte tonische
Schädel MRI (1998)
-Physio. Th. 2x wöchentlich
EEG (1999)
-Luminal (3x4mg)
Krampfereignisse
-2 ½ Monate neu
Epilepsiepotenzial bei
-Physio .Th. 2x
klinisch nicht manifesten
wöchentlich
Krampfereignissen
-Inguinalhernie
-Op. geplant,
-Soor in der Rima ani
-Imazol lokal
-Hüftgelenkssubluxation
2002
links
-SWASH-Orthese
-Botulinumtoxin lokal
-Physio. Th., Stehbrett,
Nancy Hylton Einlagen,
Sitzschale, Buggy
-Mundgeruch (Mutter
-Frühförderung,
berichtet)
Logopädie, Castillo
Morales Therapie, Low
Vision Training
-Mikroklist
-Chronische Obstipation
Hüftgelenkssubluxation
01/2003
links
unklarer absenzartiger
Botulinumtoxininjektion
je 2 x 50 Einheiten
EEG (02/2003)
Zustand
Physio. Th. und alle 2-3
Monate Vojta Therapie
-Vorbereitungsgespräch
-07/2003 –Op.
Weiterhin Physio.Th. mit
über Hüftrekonstruktion
geplant 01/2004 in
den bekannten Hilfsmitteln
zwei Sitzungen
(weiterhin Mikroklist alle
42
(vorher postoperativ
-während des
für 4-5-Wochen
Gesprächs stellt sich die
Beckengips
Ernährungsproblematik
-Vorschlag PEG
heraus
(primär) und geplant
2Tage)
im Herbst 2003
-Frage, ob PEG –Anlage
Röntgen des
möglich ist
Abdomen (08/2003)
-Obstipation
s.o. und zusätzlich
-Transipeg forte (2x1
Sachet pro Tag)
-Mikrozytäre Anämie
-Eisensubstitution mit
Aktiferrin (2x30 Tropfen)
Schwierige
OP. PEG-Anlage
regelmässige Physio.Th.
Flüssigkeitsaufnahme
(10/2003)
Ernährungsberatung mit
gastroenterologischer
Beratung
-Eisenmangel
11/2003
-Obstipation
-Aktiferrin 2x30 Tropfen
-Transipeg forte 2x1
Sachet
Ernährungsberatung
Eingehendes Gespräch
12/2003
s.o.
-02-03/2004 OP. in
-Postoperativ 2 Wo. lang
zwei Sitzung
Beckenbeingips
bezüglich der im
Frühjahr 2004
vereinbarten operativen
Intervention im Bereich
beider Hüften
-Hüftluxation
-Handgelenkskontraktur
-Fussinstabilität
-Handgelenkschienen
-Prophylaxe
-Nancy Hylton Fussbettung
wurde durch
Knöchelorthese ersetzt
43
-Rezidivierender Reflux
-Ernährung NUR mit
Physio.Th., Ergo
Sonde
-Antra 2x20 mg pro Tag
PEG-Sonde, Logopädie
-Zunehmende Wing-
-Röntgen 05/2005
-Physio.Th. 2x2St. pro
Fehlstellung der Hüfte
(Vorschlag
Woche
mit Abkippen der Beine
Weichteiloperation)
Stehbrett, Liegenschale,
SWASH-Orthese (nachts),
nach links
-Handlagerungsschienen
(nachts)
-rechtskonvexe
-Radiologie
-Doppelschalenkorsett
Skoliosehaltung mit
vorgeschobener
Schulter links
-Antra wurde durch
- abendliches Erbrechen
Nexium ersetzt
Oberschenkelmetallent-
08/2005
- 4x wöchentlich
fernung
Empfehlung:
Physio.Th.
Botoxbehandlung,
Hilfsmittel s.o., neu
Motomed,
Unterschenkelorthese
Wassertherapie und
(Wunsch der Mutter)
Hippotherapie
-Nexium
- tägliches Erbrechen
Logopädie
Spastisch verkürzte
01/2006 durchgeführt
Botoxbehandlung
Muskeln
02-03/2006
Rehaklinik – Physio.Th.,
Logopädie
Die bekannte
Kontrolle (02/2007)
Botulinumtoxinininjektion
orthopädische
Physio.Th.2x2 Stunde,
Problematik
Hippoth., Essth. und
-wegen Spastizität
Empfehlung-
Ergotherapie
Baclofenpumpe,
-4x5-7,5mg Lioresal
nochmal
Botulinumtoxin
44
-Epilepsie Kontrolle:
EEG (06/2009)-
Reflexepilepsie
Empfehlung
-Schlafapnoe
Nächtliche Apnoen
-Medikament: Lamotrigin
-Polysomnographie
Digitale 26-Kanal-
CPAP Therapie
Polysomnographie mit
15 Kanälen EEG ,
EKG (08/2009)
Eltern: pflegerische
Tracheostoma OP
Tracheostoma
Problematik
(03/2010)
Kontrakte
Empfehlung (08/2010
Therapien wie Physio-,
Windfähnchenstellung
-
Hippo- und Ergotherapie
mit neurogenem
Umstellungsosteotomi sollen weitergeführt
Klumpfuss
e beider Femore
werden.
-Klumfussoperation
rechts
-Blut-Transfusion
-niedriges Hämoglobin
-ambulante
Empfehlung (04/2012) Rollstuhl, Pflegerollstuhl
Verlaufskontrolle
-Wirbelsäulenopera-
mit Kopfstütze, individuelle
tion
Sitzbettung, Korsett,
-Beckeneinstellung
Unterschenkelorthesen,
-proximale
PEG-Sonde,
Femurresektion oder
Tracheostoma
-eine Besiedlung des
Korrekturosteotomie
Tracheostomas mit
-Abstrich
verschiedenen Keimen
10/2012
Die empfohlenen
Operationen wurden
durchgeführt.
-Baclofen Pumpe
45
Logopädischer Therapieverlauf - Inkl. zusammenfasste Vorgeschichte
 2002: Trinkschwäche; Saugen bereitet Schwierigkeiten, langsam mit
Verweigerung, gelegentliches Verschlucken mit Husten – Vorschlag PEG,
wurde von der Mutter abgelehnt. (Logopädie und Castillo Morales Therapie
je 1x pro Woche)
 2003: während eines Vorbereitungsgesprächs über Hüftrekonstruktion stellt
sich eine Ernährungsproblematik heraus. Insbesondere, dass T. im Liegen
nicht trinken und essen kann. Bis jetzt erfolgte die Ernährung mit pürierter
Kost und 4 Mahlzeiten pro Tag. Kein Erbrechen und lange Fütterungszeit.
 Die logopädische Therapie bezieht sich wesentlich auf die Esstherapie inkl.
Mundhygiene
 10/2003: PEG-Sonden-Einlage
 11/2003: Trotz problemlosen Verlaufes und ausgeglichener Kalorienbilanz
empfiehlt die Ernährungsberatung eine Umstellung der Ernährung; statt
weiterhin püriert und morgens 200 ml Vollmilch mit Jemalt-Zusatz und
tagsüber ca. 350ml Teezugabe als Flüssigkeitszufuhr, ein 250ml Frebini
Original Fiber.
 2004: häufig gastroösophagialer Reflux
 12/2005: Das Hauptproblem der Mutter ist, dass T. täglich blutig und
kaffeesatzartig erbricht, trotz Nexium (über PEG) - bei der Abklärung konnte
keine Ursache gefunden werden.
 02-03/2006: durch Hospitalisation (Rehaklinik) Abklärung der Schluck- und
Essfunktionen. Die Ernährung soll vorwiegend per PEG – Sonde erfolgen,
womit das „sich Verschlucken“ gemildert werden könnte. Eine breiige
Löffelmahlzeit ist zurzeit erlaubt.
 02/2008: T. zeigt vermehrte nächtliche Apnoe mit Zusammenbeissen der
Zähne und nächtliches Erbrechen mit Blut.
 03/2010: ohne die Schule zu informieren, entscheiden sich die Eltern aus
pflegerischen Gründen für eine Tracheostomie-Operation.
 Daraufhin kommt es zu einer Besiedlung des Tracheostomas mit
verschiedenen Keimen.
46
Ethische Problematik der verschieden Perspektiven nach Grundlage der vier
ethischen Prinzipien
Systematischer Wechsel der
Argumente pro-contra
Perspektive nach Reiter-Theil®
Ich (Patient (P) selbst
(P)-Wohlbefinden, Grundbedürfnisse
[(A)Angehörige oder
-Teilnahme an der Gesellschaft, versch.
gesetzlicher
Aktivitäten
Vertreter]
-Wunsch nach Sterben
(A) „nur die Beste, alles, was mehr
Lebensqualität bringt, aber darf nicht sterben“
Ich und Du (Beziehungsebene)
(Th) -Respekt, Akzeptanz und harmonisch,
(Th)Therapeut
vertraulich (Berücksichtigung der Individualität
ist gewährleistet).
Persönliche Wir (A)Angehörige,
(A) eher Autorität
(T)Team= Kooperation der
(M) Kontakt ist nicht erwünscht, fehlender
Berufsgruppen, (M)Ärzte,
Hausarzt
Pflege,
(WG) abnehmender Datenaustausch
(WG)Wohngruppe,
(T) Uneinigkeiten mit schlechter
(heilp.)Heilpädagoge
Kommunikation, es existieren kleine
Gruppierungen innerhalb des Teams
verschiedene Meinungsvertretungen
(heilp.)-guter Austausch
Institutioneller Kontext
Fehlende oder unvollständige Dokumentation
in der QS und im Leitbild.
Institut ist hierarchisch aufgebaut und
bestimmt.
„Eltern haben immer Recht.“
Professionelle
(IV, KK) – übernimmt ohne Probleme die
(Gesundheitswesen, (IV, KK)
Kosten
Kostenträger, Fachgebiet
(Heilp.,Physio, Ergo) – „so viel wie möglich“
spez.)
(WG)-konzentriert auf Pflege
(Logo) – „den individuellen Möglichkeiten
47
entsprechend,… Formulierung und
Überprüfung der Therapieziele sind
einzubeziehen.…“(DLV-Ethik-Richtlinien, S.1)
Kollektive (Gesellschaft,
-engagierte, gesellschaftsorientierte Eltern
Wertehorizont -Religiös,
politisch)
Bemerkung: Der Patient ist nicht autonom (nicht urteilsfähig), darum finden die
Entscheidungen über den gesetzlichen Vertreter, in diesem Fall Eltern, die
Vorsorge statt.
Ethische Fragestellung:
Der Fokus liegt beim Patientenwohl, „Best Interest-Standard“.
Weitere Fragen sind:
1. Die Eltern haben Probleme, sich mit palliativem Vorgehen anzufreunden
und wollen weitere Operationen. (Überforderung?)
2. Fairness - Umgang mit begrenzten Ressourcen (Futility?)
3. Ist eine Vorbereitung bzw. Information über Palliative Care gewährleistet?
5.3 Fall 2
Allgemeine Informationen:



geboren im Jahr 2000 und gestorben 2013. K. ist das dritte und jüngste Kind
von ausländischen Eltern.
Schwangerschaftsverlauf: Nach problemloser Schwangerschaft wurde K.
spontan geboren.
sozialer Hintergrund: K. lebt zuhause. Sie wächst in einem sehr liebevollen
und behüteten Umfeld auf. Die Eltern und Geschwister haben sie vom

ersten Moment an so akzeptiert und aufgenommen, wie sie ist.
Verhalten: K.’s Grundstimmung ist fröhlich, wenn es ihr gut geht. Sonst ist
sie phasenweise unruhig und aggressiv gegenüber sich selbst und auch
anderen. Am liebsten spielt K. mit ihren Händen und sucht gezielt nach
48
angebotenen verschiedenen Materialien. K. ist sehr schreckhaft und scheint
oft abwesend zu sein. Gleichzeitig liebt K. Musik. Durch Lieder, vor allem
solche, die ihrer Muttersprache ähnlich sind, kann man sie rasch beruhigen.
Blickkontakt kann man sehr selten aufnehmen. Allgemein kommuniziert K.
durch Mimik.
Diagnose:
 HD: schwerer symptomatischer Entwicklungsrückstand bei konnataler
Hirnfehlbildung (Holoprosencephalie) mit/bei
-
St.n. rechtsventrikulo-peritoneal-shuntversorgtem-Hydrocephalus
 Schwere kognitive Beeinträchtigung
 Subklinische Epilepsie mit ehemals bioelektrischem Status im EEG - derzeit
keine sicheren Anfälle
 Dyskinetische Cerebralparese mit linkskonkaver Skoliose
 Hyperopia parva
-
St.n. Strabismus Konvergenz mit Kreuzfixation
-
St.n. rezidivierendem Erbrechen
 chronische Ernährungsstörung mit Kleinwuchs und Untergewicht
Krankheitsverlauf
Jahr
Gewicht
kg
2005
12.3
Physio.-, Logopädie, Ess.- und Low Vision Therapie
2006
12.9
Physio.-, Logopädie Therapie
2007
13.7
Physiotherapie (zuhause)
2008
14.2
Physio.-, k-o-s-t®- Therapie
2009
15.6
Physio.-, Ergo- und k-o-s-t®-Th.
2010
17.8
s.o.
2011
19.1
s.o.
2012
20.9
s.o.
2013
21.4
s.o.
Erhaltene Therapien
49
Logopädischer Therapieverlauf
 2005/2006: Das wichtigste Ziel während des Kindergartens ist vor allem die
Schaffung des Vertrauens bei den ersten Kontakten mit K. Mit logopädischer
Hilfe soll eine Esstherapie insbesondere das Schlucken ermöglichen und so
die Hypersensibilität des orofazialen Systems reduziert werden. Ein Grund
dafür ist unter anderem der Hinweis der Mutter, dass die Brei-Fütterung von
K. mit über einer Stunde viel Zeit in Anspruch nehme.
 2006: Die Mutter entscheidet sich, K.s Schulpensum um 50% zu reduzieren,
d.h. von nun an fehlen alle Mittagessen und damit die Möglichkeiten für eine
Esstherapie im Institut. Die Präsenszeit ist täglich von 9-11 Uhr.
 2007: Das grösste Problem ist nach wie vor das Essen; Verweigerung des
Essens und des Trinkens. K. ist von vielen Krankheitsausfällen geprägt. Die
Gründe dafür sind verschieden; der hauptsächliche Grund liegt im
aufgehobenen Tag- und Nacht- Rhythmus. Laut Auskunft des Hausarztes
kann es sich dabei um ein Hungergefühl handeln.
 2009: K. erbricht immer häufiger.
 Wegen phasenweise auftretender Aggressivität und Unruhe wird eine
medikamentöse Behandlung empfohlen.
 2010: Der Gesundheitszustand von K. wird in der Sonderschule durch eine
Schulreihenuntersuchung vom Kinderarzt als kritisch eingestuft. Aus diesem
Grund wird der Hausarzt benachrichtigt. Diese Beobachtung hat jedoch
keinerlei Konsequenzen hinsichtlich des elterlichen Ernährungskonzepts.
 Allgemein: Ernährungsergänzung ist nicht bekannt.
 2013: K. stirbt im Spital.
50
Ethische Problematik der verschieden Perspektiven nach Grundlage der vier
ethischen Prinzipien
Systematischer Wechsel der
Argumente pro-contra
Perspektive nach Reiter-Theil®
Ich (Patient (P) selbst
(P)-Wohlbefinden, Grundbedürfnisse
[(A)Angehörige oder gesetzliche
-Teilnahme an der Gesellschaft, versch.
Vertreter]
Aktivitäten
(A) „Das, womit es dass K. gut geht.“
Ich und Du (Beziehungsebene)
(Th) -Respekt, Akzeptanz und harmonisch,
(Th)Therapeut
vertraulich (Berücksichtigung der Individualität
ist gewährleistet)
(Med.)- Kontakt eher im Heimatort
(HFE Physio)- eng, familiäre
(Physio, Ergo)- „schön“
Persönliche Wir (A)Angehörige,
(A)zurückhaltend, eher nein, nur gegenüber
(T)Team= Kooperation der
bestimmten Personen offen (Migration oder
Berufsgruppen, (M)Ärzte, Pflege
ähnliches)
(M, HFE Physio.) guter Austausch
(Physio, Ergo)- schlechte Kommunikation
Institutioneller Kontext
Fehlende oder unvollständige Dokumentation
in der QS und im Leitbild.
Institut ist hierarchisch aufgebaut und
bestimmt.
„Eltern haben immer Recht.“
Professionelle (Gesundheitswesen,
(Logo) – „ den individuellen Möglichkeiten
Kostenträger, Fachgebiet spez.)
entsprechend,… Formulierung und
Überprüfung der Therapieziele sind
einzubeziehen.…“( DLV-Ethik-Richtlinien, S.1)
(heilp.)- nach der vier ethischen Prinzipien
Kollektive (Gesellschaft,
Wertehorizont - Religiös, politisch)
Religiös, mit der Heimat stark verbunden
51
Bemerkung: Der Patient ist nicht autonom (nicht urteilsfähig), darum finden die
Entscheidungen über den gesetzlichen Vertreter, in diesem Fall über die Eltern,
die Vorsorge statt.
Ethische Fragestellung
Der Fokus liegt beim Patientenwohl, „Best Interest-Standard“.
Weitere Fragen sind:
1. Ob diese Situation eine Grenzsituation ist?
2. Ob dieser Patientenwunsch medizinisch vertretbar ist?
3. Natürlich sollte man innerhalb des Teams Uneinigkeiten bereinigen.
„Wo liegt der Schwerpunkt, in welchem Bereich?“
5.4 Fall 3
Allgemeine Informationen

geboren im Jahr 2008. B. ist das erste und einzige Kind von bilingualen
ausländischen Eltern.

Schwangerschaftsverlauf: B. wurde in der 38. SSW nach problemloser
Schwangerschaft spontan geboren.

soziale Hintergrund: B. wächst in einer Grossfamilie mit mehreren
Generationen und einsprachig auf. B. wird vorwiegend von ihrer Mutter
liebevoll, traditionell und streng erzogen. Am Anfang lebt die Familie getrennt,
die Mutter mit dem Kind im Ausland und der Vater in der Schweiz. 2010 zieht B.
jedoch mit ihrer Mutter und den Grosseltern zusammen zum Vater in die
Schweiz. Sie wird in der Spielgruppe
(2 halbe Tage pro Woche) herzlich
aufgenommen und baut hier bereits soziale Kontakte auf.

Verhalten: B. ist eine sehr aufgestellte, fröhliche, bewegungsfreudige und
starke Persönlichkeit. Sie sucht gerne Kontakte und versucht dabei, mit der
Lautsprache (zwischen Deutsch und Muttersprache) und den unterstützenden
Handzeichen zu kommunizieren. Sie zeigt eine grosse Lernbereitschaft.
52
Diagnose:

HD: unklares Dysmorphiesyndrom mit/bei
-






St. n. Verschluss von ASD Secundum und aortopulmonalem Fenster
08/2008
Hexadaktylie beidseits
Mikrotie beidseits und links Taubheit, rechts Schwerhörigkeit
Hypothyreose
Chronische Niereninsuffizienz
Verdacht auf einen vaskulären Sling der linken Lungenarterie
Anteposition des Anus
- St.n. PEG-Sonde 10/2008
Krankheitsverlauf:
Operation /
Problematik
Untersuchung
Therapien / Hilfsmittel
(wann und wo)
Unmittelbar nach
Intensivstation
nicht bekannt (Unterlagen
Geburt
(05/2008, Ausland)
sind im Ausland)
Herzoperation
div. Verschlüsse
(08/2008 und 2009,
keine kardialen
Ausland)
Medikamente
Progrediente
-05/2008 (Ausland)
-Nasogastrale Sonde
Dysphagie
-10/2008 (Ausland)
-PEG-Sonde
Niereninsuffizienz
2008 / 2009 (Ausland)
Nicht dialysepflichtig
Schwerhörigkeit
2010 (Schweiz)
Hörapparat-Versorgung
Trinkschwäche
ASD Secundum
-Pädaudiologische
Förderung
-Heilpädagogische
Früherziehung
53
div. sprachliche
2012 (Schweiz)
s.o. und Logopädie
Problematiken
inkl. orofaziale
Störung
Logopädischer Therapieverlauf:
 2012: Das Kinderspital hat mich, die Autorin dieser Arbeit, involviert,
einerseits wegen meiner Muttersprache Ungarisch, anderseits wegen
meines Berufs als Gehörlosenlehrerin und Logopädin.
 B. hat mit dem Sprechen in deutscher Sprache begonnen. Die Mutter spricht
gebrochen die Muttersprache des Vaters, dies ist auch die Familiensprache.
Dank der Spielgruppe und den unterstützenden Handzeichen nach A.
Portmann und Boardmacker Bildern versteht und spricht B. einzelne Worte.
 2013: B. kann ihren Speichel zunehmend kontrollieren und schlucken. Die
Beweglichkeit der Zunge ist differenzierter und sie kann diese langsam am
Gaumen positionieren. Zudem kann sie Wasser aus einem Becher trinken
und schlucken. Ihr ist es möglich, wenig Nahrung von einem Löffel zu
nehmen. Sie spürt dabei ihre Grenzen. Überreaktionen führen zu Erbrechen.
 In beiden Sprachen ist B. verständlicher geworden. Sie unterscheidet sogar
in Hinblick auf die Bequemlichkeit. (die einfachere Lautverbindung wird zum
Sprechen gewählt)
 B. hat eine schlechte Angewohnheit, Fingernägel zu Kauen, entwickelt.
54
Ethische Problematik der verschieden Perspektiven nach Grundlage der vier
ethischen Prinzipien
Systematischer Wechsel der
Perspektive nach Reiter-Theil®
Argumente pro-contra
Ich (Patient (P) selbst
(P)- im Wohnort mit gleichaltrigen Kindern
[(A)Angehörige oder gesetzlicher
spielen zu können
Vertreter]
-vermehrte orale Ernährung
-Fahrradfahren in der Strasse
(A) im Wohnort mit Kindern spielen, lernen,
usw.
Ich und Du (Beziehungsebene)
(M, A, Päda., Th.) -Respekt, Akzeptanz und
(M)Ärzte, (Th)Therapeut,
harmonisch, vertraulich (Berücksichtigung
(A)Angehörige, (Päda.)
der Individualität ist gewährleistet)
Pädaudiologin
(HFE)- „Machtkampf“, physische und
psychische Verweigerung, keinerlei
Akzeptanz und Respekt
Persönliche Wir (A)Angehörige,
(A, M, Päda.,Th) guter regelmässiger
(T)Team= Kooperation der
Austausch
Berufsgruppen, (M)Ärzte, Pflege), (HFE)- CONTRA allg., blockierend,
(Päda.) Pädaudiologin
wünscht keinen Austausch und Kontakt
Institutioneller Kontext
Autorität
„die Eltern haben nichts zu sagen, sie
müssen es akzeptieren“
Professionelle
(Kt)- Uneinigkeiten
(Gesundheitswesen,
(Heilp, Behörde)- „Segregations-Modell“
(Kt)Kostenträger, Fachgebiet
(m, Päd., Th)- nach der vier ethischen
spez.)
Prinzipien
Kollektive (Gesellschaft,
mehrere Generationen zusammen,
Wertehorizont– Religiös,
sprachliche Problematik
politisch)
55
Bemerkung: Der Patient ist nicht autonom (nicht urteilsfähig), darum finden die
Entscheidungen über den gesetzlichen Vertreter, in diesem Fall die Eltern, die
Vorsorge statt.
Ethische Fragestellung
Der Fokus liegt beim Patientenwohl, „Best Interest-Standard“.
1. Ist eine Inklusion möglich?
2. Kostenträger? Auch bei dem Kantonsübertritt?
3. Supervision mit der heilpädagogischen Früherziehung über ihre Haltung.
56
6. Diskussion
6.1. Allgemeine Bemerkung
Für die Masterarbeit wurde das Design der retrospektiven Fallanalyse gewählt.
Dieses zeigte zwei hauptsächliche Nachteile.
 Die Hypothese, dass das Befolgen der vier Grundprinzipien sinnvoll
kann, kann
sein
bei Kindern mit Störungen im orofazialen Bereich, die eine
medizinisch indizierte logopädische Behandlung erhalten, nicht bewiesen
werden.
 Da man auf alte Unterlagen des Patienten angewiesen ist, sind die Daten
zum Teil unvollständig oder sind nicht nachprüfbar.
Bei der Datenerhebung konnte nicht mit dem Ansatz des integrativen
Forschungsmodells „Embedded Researcher“ (Reiter-Theil, 2004) vorgegangen
werden, da in der Masterthesis eigene Fälle bearbeitet wurden. Somit kann
nicht
von
einer
objektiven
Ansicht
gesprochen
werden.
Dank
des
„Ablaufschema der ethischen Fallbesprechung - Phase 1: Sammlung und
Verarbeitung von Informationen“ (Albisser-Schleger et al., 2012, Anhang:
METAP, Leporello, S. 9-11) und des systematischen Perspektivenwechsels
nach Frau Prof. Reiter-Theil ® (2005) konnten viele ethische Fragen zu den
Fallen gestellt werden. Diese Fragen können nur mit einem ethischen Konsil
ethisch vertretbar aufgearbeitet werden.
Auch die Suche nach dem Konsens hat ihre ambivalenten Seiten: Nicht alles,
was man sieht, ist ethisch gut begründbar. Es lohnt sich also, genauer zu
betrachten, wie in der „Ethischen Evaluation der Therapieoption“ (s. METAP
Leporello
S.14ff)
umgegangen
wird.
Dies
betrifft
auch
die
ethische
Grundhaltung der behandelnden Ärzte oder Therapeuten und Pflegenden: Sie
sind ständig mit moralischen Werten, ethischen Argumenten und dem
Rechtsempfinden konfrontiert
und auch sie sind gefordert, eine passende
Haltung zu finden, die den Patienten weder zu stark bevormundet noch
überfordert. (Reiter-Theil, 2008).
Mit drei Fällen ist die Fallserie gut abgedeckt, wobei die dabei aufgestellten
57
Fragen auf Grund ihrer Komplexität beinahe den Rahmen dieser Masterthese
gesprengt hätten.
6.2 Analysen der Fallstudie
6.2.1 Vergleich zweier Fallbeispiele
Eine Möglichkeit der Diskussion ergab sich durch die Auseinandersetzung mit
Fall 1 und Fall 2. Sowohl bei Fall 1, als auch Fall 2 liegt eine
Schwerstbehinderung vor. Obwohl damit in beiden Fällen eine ähnliche
Ausgangslage vorhanden ist, gibt es doch einige wichtige Unterschiede.
Während sich bei Fall 1 die Eltern mit allen Mitteln dafür einsetzen, ihrem Kind
zu „helfen“, sein Leben in jedem Fall zu verlängern, bleiben die Eltern im Fall 2
eher zurückhaltend und scheinen zu akzeptieren, was mit ihrem Kind geschieht.
Des Weiteren unterscheiden sich die Verhaltens-Strategien der Eltern. Die
Eltern im Fall 1 ergreifen stärker die Initiative und suchen sich selber aktiv
überall Hilfe und Unterstützung. Sie äussern stets grosse Hoffnung auf
„Heilung“. Im Fall 1 ist für jedes Problem ein Spezialist vorhanden, diese
untereinander kommunizieren jedoch kaum miteinander. Trotzdem haben die
Eltern hohe Erwartungen an die Fachkräfte. Hier besteht jedoch ein grosses
Problem bei dem Informed Consent (IC), (Marckmann, 2011 & AlbisserSchleger,
2012),
so
kam
die
Frage
auf,
inwiefern
die
aktuellen
Therapiemassnahmen überhaupt noch sinnvoll sind. Dies führt zum nächsten
kritischen Ansatz, ob evtl. eine „Futility“, Überversorgung vorliegen könnte (s.
Anhang METAP Leporello, S. 3 & Albisser-Schleger, 2012).
Das Verhalten der Eltern im Fall 2 kann als eher passiv beschrieben werden.
Sie beteiligen sich kaum an Gesprächen, wobei vor allem die Mutter den
Gesprächspartner darstellt. Sie scheint die Situation zu akzeptieren und
trotzdem wurde kein Vertrauen gegenüber Fachkräften aufgebaut. Ebenfalls
hält sie Informationen zurück. Die Frage könnte so formuliert werden, ob ein IC
vorliegt und damit eine „Rationierung“, Unterversorgung (s. Anhang METAP
Leporello, S. 3 & Albisser-Schleger, 2012) oder ob es sich um ein „Best
58
Interesst-Standard“ handelt.
Ob man nun Fall 1 oder Fall 2 betrachtet, man kommt stets auf denselben
Punkt, nämlich die „Akzeptanz des Todes“ und die eventuell vorhandene
Möglichkeit des Palliative Care.
„Es geht hier darum, den Abschied von einem Kind wieder ins Leben
zurückzuführen, aus der falsch verstandenen „Privatsphäre“ herauszuholen,
damit echte Betroffenheit bei vielen entstehen kann. Somit kommen wir wieder
zur früher angeschnittenen Thematik der Tugend zurück… Einübung in das
Leben ist zugleich auch eine Einübung ins Sterben lernen.“24
Palliative Care zieht eine Verunsicherung und Diskussion innerhalb der
Sonderschule nach sich. Die Institution ist nicht vorbereitet für Palliative Care,
dies ist aus der fehlenden Dokumentation (Leitbild, QS) ersichtlich.
6.2.2 Fall 3
Der Fokus liegt bei diesem Fall genauso wie bei den anderen Fällen auf dem
„Best Interest-Standard“. Während der Analyse kommt jedoch die Frage auf, ob
es sich hier wirklich um ein ethisches Dilemma oder ein ethisches Problem
handelt. (Porz, 2013)
Dieser Fall beinhaltet genauso politische wie auch rechtliche Aspekte, dazu die
Missachtung der vier ethischen Grundprinzipien. Ebenfalls wird die Haltung des
Heilpädagogen immer fraglicher. Auf Grund dieser Komplexität des Falles wäre
in dieser Situation ein ethisches Konsil empfehlenswert und sinnvoll.
24
Bondolfi, 1996, S. 266
59
7. Schlussfolgerung
Mit der Anwendung der vier Grundprinzipien der Medizinethik in den drei
dargestellten Fällen konnten ethische Fragestellung herausgearbeitet werden.
In allen drei Fällen lag dabei der Fokus beim Patientenwohl, „Best InterestStandard“.
Im Fall 1 entstanden die Fragen:
1. Die Eltern haben Probleme, sich mit palliativem Vorgehen anzufreunden und
wollen weitere Operationen. (Überforderung?)
2. Fairness - Umgang mit begrenzten Ressourcen (Futility?)
3. Ist eine Vorbereitung bzw. Information über Palliative Care gewährleistet?
Im Fall 2 kamen die Fragen auf:
1. Ob diese Situation eine Grenzsituation ist?
2. Ob dieser Patientenwunsch medizinisch vertretbar ist?
3. Natürlich sollte man innerhalb des Teams Uneinigkeiten bereinigen.
„Wo liegt der Schwerpunkt, in welchem Bereich?“
Im Fall 3 kristallisierten sich die Fragen:
1. Ist eine Inklusion möglich?
2. Kostenträger? Auch bei dem Kantonsübertritt?
3. Supervision mit der heilpädagogischen Früherziehung über ihre Haltung.
Damit kann die Hypothese bestätigt werden. Auch konnten Antworten zu den
Fragestellungen gefunden werden:
Der Kompetenzbereich des logopädischen Personals konnte mit dieser Arbeit
nicht definiert werden.
Ethische
Probleme
können
durch
Sensibilisierung
auf
die
ethischen
Grundprinzipien der Medizinethik erkannt werden. Dies wurde durch die
Darstellung der Fälle aufgezeigt. Daraus kann geordert werden, dass
Fachpersonen in diesem Bereich in der Grundausbildung geschult werden.
Da nicht jedes ethische Problem ein ethisches Dilemma hervorbringt, muss
60
zuerst geklärt werden, ob ein ethisches Dilemma besteht. Mit dem
Perspektivenwechsel nach Reiter-Theil kann erkannt werden ob es sich um ein
ethisches Dilemma handelt. Besteht ein ethisches Dilemma steht automatisch
die Forderung nach einem ethischen Konzil im Raum.
In einer Sonderschule müssten demnach die Fachpersonen entsprechend
geschult werden und der Zugang zu einer externen, neutralen EthikFachperson gewährleistet sein.
Die
Erkenntnisse
der
Palliative
Care
sollten
in
Sonderschulen
mit
schwerstbehinderten Kindern sowie bei Menschen mit lebensbedrohlichen
Erkrankungen angewandt werden. Die Palliative Care kann auch Konflikte im
Behandlungsteam hervorrufen. Um dem vorzubeugen wäre ein offenes
Gespräch unter ethisch-ausgebildeten Fachpersonen sinnvoll.
61
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-Eine ethisch optimal verantwortete Behandlung und Versorgung von Patienten ist
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Fallbesprechung. (Rheinisches Ärzteblatt 5/2000 S.22-23)
Städtler M. (2011), Moral, Recht, Geschichte. Grundlegende Probleme der praktischen
Philosophie Immanuel Kants, Vorlesung, Sommersemester 2011
Stutzki R., Ohnsorge K., Reiter-Theil S.(Hg.), (2011) Ethikkonsultation heute – vom Modell
zur Praxis. LIT Verlag GmbH & Co. KG Wien, Zweigniederlassung Zürich
Türk C., Söhlemann S., Rummel H. (Hrsg), (2012) Das Castillo Morales – Konzept, Verlag
Thieme Stuttgart, New York
UN-Konversation über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Bundesgesetzblatt
Jahrgang 2008 Teil II Nr. 35, ausgegeben zu Bonn am 31. Dezember 2008 S.14191457. http://de.wikipedia.org/wiki/UN-Konvention_
%C3%BCber_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen – Abgerufen am:
03.12.2013
Übereinkommen über die Rechte des Kindes (1989) www.amin.ch - Abgerufen am:
03.12.2013
Vollmann J (2008) Ethische Falldiskussionen. In: Dörries et al. S.87-101
Wichermann K. Projektarbeit „Von der Praxis für die Praxis“ Rahmenkonzept,
http://www.pflegeportel.ch Abgerufen am: 23.10.2013
Wiedermann H.-R., Kunze J. unter Mitarbeit von Grosse F.-R. (1995) Atlas der klinischen
Syndrome, für Klinik und Praxis, Verlag: Schattauer, Stuttgart, New York
Wie darüber sprechen?- Die wünsche zur letzten Lebensphase von Menschen mit
geistiger Behinderung, Zeitschrift Curaviva 12/2013 S. 32-34
Wittkowski J. (1990) Psychologie des Todes, Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt
Wehr, J. (2011) Ethische Dilemmata in der Betreuung von Menschen mit geistiger
Behinderung und Epilepsie. Epileptologie:28, 129-133
67
9. Lebenslauf
Persönliche Angaben
Name/Vorname:
Hammerich Katalin
Geburtsdatum:
9. September 1971
Heimatort:
Zalaegerszeg, Ungarn
Wohnort:
Sarnen, Schweiz
Zivilstand:
verheiratet
Kinder :
Jasper, 1998, Schüler
Schulische Laufbahn
2011 - 2013
Master of Advanced Studies: Cranio Facial Kinetic
Science (MCFKSc) an der Universität Basel
(Medizinische Fakultät)
2000
Dipl. Logopädin (mit der Qualifikation „Ausgezeichnet“)
1993 – 1997
Studium der Logopädie, Universität: ELTE Budapest,
Ungarn
1991 - 1995
Studium als Heilpädagogin und Gehörlosenlehrerin,
Hochschule: BGGyPTF Budapest, Ungarn
Dipl. Heilpädagogin und Gehörlosenlehrerin
1990 - 1991
Studium als Sozialarbeiterin, Budapest, Ungarn
1986 - 1990
Städt. Gymnasium, Lenti, Ungarn (Abitur: Juni 1990)
1978 - 1986
Städt. Grundschule, Lenti, Ungarn Studium
Berufliche Tätigkeiten
1999 – heute
Logopädin in der Sonderschule Stiftung Rütimattli,
Sachseln
1997
Praktikantin Stiftung Brändi, Horw
1997
Praktikantin Schule für CI Kinder, Meggen
1996 - 1997
Logopädische Assistentin in Heim Pàl Kinderspital,
Budapest, Ungarn
1995 – 1996
Heilpädagogin, Schule für Trisomie 21 Kinder, Budapest
1993 - 1995
Wissenschaftliche Praktikantin in der Ungarischen
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Wissenschaftlichen Akademie, Budapest
Weiterbildungen in der Schweiz
2013
Taktkin® für Erwachsene
2013
Neurofunktionelle Reorganisation nach Padovan, Modul 5
2011
5-Phasen Modell der myofunktionellen Therapie nach
Hörstel
2010
Zertifikat zum Castillo Morales Konzept
2008
Der Mund als Tastorgan
2007
Zertifikat PECS
2006
Zertifikat k-o-s-t-® Therapeutin
2006
Zertifikat Myofunktionelle Therapeutin (inkl. Ballovent,
Face-Form)
2005
Ganzheitliche Kieferorthopädie und Logopädie
2005
Myofunktionelle Therapie nach Bolten
2005
Kurs: Ein offener Mund – sehr ungesund, die Mundatmung
und ihre Auswirkung
2005 – 2010
Verschiedene Kurse über Unterstützende Kommunikation,
wie JAZZ, Boardmacker, Handzeichnen nach Portmann
2002 – 2003
Grundlagen für die Erfassung und Therapie (sprach-)
entwicklungsauffälliger Kinder im Vorschulalter
2000 – 2003
NRF nach Padovan Modul 1-4
2001 – 2002
Körperaufrichtende Übung und MFT
2001
News aus der MFT
Symposium
2006, 2008
LKG Symposium, Basel
2006
Orofaziales Symposium, St. Gallen
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10. Danksagung
Ich bedanken mich ganz herzlich bei all jenen, die daran geglaubt haben, dass
ich diesen Nachdiplomstudiengang beenden kann sowie bei jenen, die mir bei
der Verwirklichung dieser Arbeit mitgeholfen und mich dabei unterstützt haben.
Einen besonderen Dank spreche ich Frau Dr. Julia Maria Priller, meiner Mentorin, für die Betreuung dieser Arbeit aus.
Gleichermassen bedanke ich mich bei Prof. Reiter-Theil, Prof. Zeilhofer und Dr.
h.c. Codoni für die guten Hinweise und Ergänzungen für diese Arbeit.
Einen grossen Dank richte ich an meiner „Töchterli“ Anja, die mit ihrer
Engelsgeduld meine Texte durchgelesen und auf die deutsche Rechtschreibung
hin korrigiert hat. Derselbe Dank geht an meinem Chef und Arbeitskolleg Jürg
auch.
Das Weiteren bedanke ich mich bei meinem Sohn Jasper, seiner anderen
Schwester Christina, meine Freundin Karin, ihr Mann Tommy und ein ganz
lieber Freund Marius für die moralische Unterstützung.
70
11. Anonymisierung und Selbstständigkeitserklärung
Hiermit bestätige ich, dass die Anonymisierung der persönlichen und
medizinischen Daten in der Masterthesis mit dem Titel
„Ethik, Moral, Menschlichkeit in der Behandlung von Schwerstbehinderten“ - eine
Fallserie
den üblichen Standards entspricht und damit ausreichend sicher ist.
Des Weiteren versichere ich, dass die vorliegende Masterthesis selbstständig und
nach den Grundsätzen wissenschaftlicher Ehrlichkeit und Standards verfasst
wurde. Insbesondere erkläre ich, dass ich bei allen wörtlichen und sinngemässen
Übernahmen aus anderen Werken die angegebenen Quellen und Hilfsmittel
gekennzeichnet habe. Alle Zitate wurden kenntlich gemacht.
Es ist mir bekannt, dass bei unlauterem Vorgehen meinerseits die Medizinische
Fakultät Basel das Recht hat, mir den auf Grund dieser Arbeit verliehenen Titel zu
entziehen.
___________________________________
Sarnen, 1. Februar 2014
Katalin Hammerich
Anhang A Theorie: Ethik
Basler Leitfaden zur Klinischen Ethikkonsultation (©Reiter-Theil, 2005)
1.
–
–
–
Vorbereitung
Klärung des Rahmens und des Vorgehens (soweit nötig);
problemzentrierter Bericht aus dem klinischen Team;
Gelegenheit für Rückfragen und Ergänzungen.
2. Spontane Falldiskussion der direkt Beteiligten (nach Bedarf)
– Gemeinsame Formulierung eines Ethikfokus für die weitere Bearbeitung.
3.
–
–
–
–
Methodische Ethikanalyse
Ethische Prinzipien, Werte, Normen;
systematischer Perspektivenwechsel;
Pro und Kontra der Optionen;
ggf. Identifikation und Schliessen von Lücken oder Korrektur von
Fehleinschätzungen.
4.
–
–
–
Fokussierte Ergebnisse – explizite Formulierung
Entscheidung(en) und ethische Begründung;
weiteres Vorgehen;
Dokumentation.
5. Feedback, Evaluation, Begleitforschung (wenn möglich)
Basler Protokoll zur Klinischen Ethikkonsultation (©Reiter-Theil 2005)
1. Allgemeine Information
Auf Einladung durch
Teilnehmer/innen
Datum
Abteilung, Station
2. Patient/in (ggf. Stellvertreter/in, Eltern d. Pat.)
Diagnose/n
Prognose/n
3. Aktuelles Problem
Beratungsfokus aus Sicht der Anfragenden, Ethikfokus
4. Fachliche Perspektiven und Aspekte
– medizinische
– pflegerische
– ethische (inkl. Ethikrichtlinien)
– rechtliche
– psychologische
– weitere
5. Methodische Ethikanalyse (analog Leitfaden)
6. Beratungsverlauf / Schwerpunkt(e)
7. Fokussierte Ergebnisse – explizite Formulierung (analog Leitfaden)
8. Ansprechpartner/innen auf Station
Ansprechpartner/in Medizinethik
Für das Protokoll (Medizinethik)
Datum, Unterschrift
Anhang B Theorie: Recht
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
(SPD Bundestagsfraktion S.1-6)
„Alle Menschen haben Menschen-Rechte.
Menschen mit Behinderungen haben die gleichen Rechte
wie alle anderen Menschen.
Überall auf dieser Welt. (…)
Was steht in dem Vertrag?
Behinderte Menschen haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen auch.
Sie dürfen nicht schlechter behandelt werden.
Sie sollen selbst über ihr Leben bestimmen.
Sie sollen die Unterstützung und Hilfen bekommen, die sie brauchen. (…)
Was ist wichtig für behinderte Menschen?
Barriere-Freiheit:
Behinderte Menschen sollen überall mitmachen können.
Aber es gibt viele Hindernisse. (…)
Gleiche Rechte
Menschen mit Behinderungen haben die gleichen Rechte
wie alle Menschen.
Sie können wie alle zu einem Gericht gehen.
Die Richter und Richterinnen müssen behinderte Menschen
ernst nehmen.
Behinderte Menschen müssen Unterstützung für ihre Rechte bekommen,
wenn sie welche brauchen. (…)
Wohnen
Behinderte Menschen sollen selbst entscheiden:
Wo möchte ich wohnen.
Mit wem möchte ich wohnen. (…)
Und sie bekommen die nötige Hilfe da wo sie wohnen.
Niemand muss in ein Heim ziehen,
nur weil er oder sie Unterstützung braucht.
Die Unterstützung soll zu der Person kommen.
Alle Menschen haben ein Recht auf Privat-Sphäre. (…)
Arbeit
Behinderte Menschen sollen da arbeiten können, wo alle Menschen arbeiten. (…)
Sie können Unterstützung am Arbeits-Platz bekommen.
Behinderte Menschen sollen gute Ausbildungen bekommen.
Sie sollen ihren Beruf aussuchen können, wie alle Menschen.
Die Betriebe und Firmen sollen mehr behinderte Menschen einstellen.
Schule:
Alle Kinder sollen in die gleichen Schulen gehen.
Behinderte Kinder und nicht behinderte Kinder
sollen gemeinsam lernen.
Es soll keine Sonder-Schulen geben.
Die Lehrer und Lehrerinnen müssen für alle Kinder da sein.
Sie müssen für jedes Kind die richtige Hilfe kennen.
Dafür brauchen auch die Lehrer und Lehrerinnen eine gute Ausbildung.
Manche Kinder brauchen viel Unterstützung.
Das geht auch in der Schule für alle.
Die Unterstützungs-Person kommt dann mit in die Klasse.
Auch nach der Schule geht das weiter.
Auch in der Ausbildung lernen alle zusammen.
Und an der Universität. (…)
Partnerschaft
Behinderte Menschen können sich ihre Partner und Partnerinnen
genauso aussuchen wie alle Menschen.
Sie können wie alle Menschen heiraten.
Sie können wie alle Menschen Kinder bekommen, wenn sie Kinder wollen.
Niemand darf ihnen die Kinder einfach wegnehmen.
Wenn sie Unterstützung brauchen, kommt die Unterstützung in die
Familie. (…)
Gesundheit:
Auch für behinderte Menschen muss es gute Ärzte und Ärztinnen geben.
Die Ärzte und Krankenhäuser müssen auch
für behinderte Menschen gut sein. (…)
Informationen
Behinderte Menschen sollen mitreden.
Dafür brauchen sie gute Informationen.
Sie müssen wissen um was es geht.
Zum Beispiel in der Politik.
Alle Menschen müssen die Informationen so bekommen, dass sie sie gut verstehen.
(…)
In der UN-Konvention stehen noch sehr viele andere wichtige Dinge.
Zum Beispiel:
Alle Menschen haben ein Recht auf Leben. Auch behinderte Menschen.
Alle Menschen sollen sicher vor Gewalt sein. Auch behinderte Menschen. (…)“
Anhang C Theorie: Palliative Care
WHO Definition 2002
Definition (Vom Senat der SAMW genehmigt am 23. Mai 2006. Die deutsche
Fassung ist die Stammversion. Per 1. Januar 2013 erfolgte eine Anpassung an das
Erwachsenenschutzrecht.S.6.)
„Unter Palliative Care wird eine umfassende Behandlung und Betreuung von
Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen oder chronisch fortschreitenden
Krankheiten verstanden. Ihr Ziel ist es, den Patienten eine möglichst gute
Lebensqualität zu ermöglichen. Dies schliesst die Begleitung der Angehörigen mit
ein. Leiden soll optimal gelindert werden und entsprechend den Wünschen des
Patienten sind auch soziale, seelisch-geistige und religiös-spirituelle Aspekte zu
berücksichtigen. Qualitativ hoch stehende Palliative Care ist auf professionelle
Kenntnisse und Arbeitsweisen angewiesen und erfolgt soweit möglich an dem Ort,
den der Patient sich wünscht. Ihr Schwerpunkt liegt in der Zeit, in der Sterben und
Tod absehbar werden, doch ist es oft sinnvoll, Palliative Care vorausschauend und
frühzeitig, eventuell bereits parallel zu kurativen Massnahmen einzusetzen. Im
Einzelnen heisst dies, Palliative Care:
– respektiert das Leben und seine Endlichkeit;
– achtet die Würde und Autonomie des Patienten und stellt seine Prioritäten in den
Mittelpunkt;
– wird unabhängig vom Lebensalter jedem Patienten angeboten, der an einer
unheilbar fortschreitenden Krankheit leidet;
– strebt die optimale Linderung von belastenden Symptomen wie Schmerzen,
Atemnot, Übelkeit, Angst oder Verwirrung an;
– ermöglicht auch rehabilitative, diagnostische und therapeutische Massnahmen, die
zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen;
– unterstützt Angehörige bei der Krankheitsbewältigung und der eigenen Trauer.“
Anhang D Theorie: orofaziale Störung
(nach Wiedermann H.-R., Kunze J. unter Mitarbeit von Grosse F.-R. (1995) Atlas der
klinischen Syndrome, für Klinik und Praxis , Verlag: Schattauer, Stuttgart, New York)
Störungsbilder / Syndrome mit orofaziale Störungen
Otopalatodigitales-Syndrom Typ I
Kabuki-Syndrom
Dysostosis acrofacialis Nager
Goldenhar- Gorlin-Syndrom
Van-der-Woude-Syndrom
Orofaziodigitales-Syndrom (OFD) I
Pierre-Robin- Sequenz
Catel- Manzke-Syndrom
(Zerebro-) kostomandibuläres-Syndrom
Fraser-Syndrom
Trisomie 13
Trisomie 18
Down-Syndrom
Wolf-Syndrom
Pallister-Killian-Mosaik-Syndrom
Angelmann-Syndrom
Rett-Sndrom
Fragiles X-Syndrom
Mykopolysaccharidose II
Mykopolysaccharidose I-H (Hurler-Syndrom)
Fucosidose
Mannosidose
Wiedermann-Beckewith-Syndrom (WBS)
Blepharophimosis-Ptosis-Epicanthus-inversus-Syndrom
Brachmann / Cornelia-de-Lange-Syndrom
Peters-plus-Syndrom
Kampomele Dysplasie
Neonatales Marfan-Syndrom
Distrophische Dysplasie
Pseudodiastrophische Dysplasie Typ Burgio
Chondroektodermale Dysplasie (Ellis-van-Creveld-Synd.)
Dysplasia spondyloepiphysaria congenita/SED congenita
Osteodysplasie vom Typ Kniest (Kniest-Syndrom
Moebius Sequenz
Prader-Willi-Syndrom
Cohen-Syndrom
Klippel-Feil-Syndrom
Wildervanck-Syndrom
mit Spalten
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ohne Spalten
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Zahnfleischfibromatose-Hypertrichosis-Syndrom
(Bloch-)Miescher-Syndrom ((Rabson-)MendenhallSyndrom)
Gorlin- Glotz-Syndrom (Fokale dermale Hypoplasie)
Lenz-Mikrophthalmie-Syndrom
Incontinentia pigmenti (bloch-Sulzberger-Syndrom)
Hypomelanosis Ito (Ito-Syndrom)
Waardenburg-Syndrom Typ I und II
Kasabach-Merritt-Syndrom
Roberts-Syndrom
Baller-Gerold-Syndrom
Lakrimo- aurikulo-dento-digitales-Syndrom (LADD)
Oroakraler Fehlbildungskomplex
Hypertelorismus –Hypospadie-Syndrom (BBB)
Femoral Hypoplasia-Unusual Facies Syndrome
« EEC »-Syndrom
Amniogene Schnürfurchen (ABS)
Freeman-Sheldon-Syndrom
Dysostosis mandibulofacialis (Typ des FranceschettiZwahlen, Treacher-Collins-Syndrom
Myotone Dystrophie (Curschmann-Steinert)
Zerebralparese (CP)
Williams-Beuren-Syndrom
Hydantoin-Barbiturat-Carbamazepin-Embryofetopathie
Distale Arthrogrypose Typ II A (Gordrn-Syndrom)
Larsen Syndrome
Orofaziodigitales Syndrom II (OFD) (Mohr-Syndrom)
Akrofaziale Dysostose vom überwiegend postaxialen Typ
Akrorenaler Syndrom
Kohlschütter-Syndrom
Sjögren-Larsson-Syndrom
Alkoholembryopathie (AE)
Velokardiofaziales (Shprintzen-) Syndrom
Möbius-Sequenz
Lesch-Nyhan-Syndrom
Hallermann-Streiff-François-Syndrom
Townes-Brocks-Syndrom
Walker-Warburg-Syndrom
Fyrns-Sndrom
Hydroletalus-Sndrom
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Gesamtkörperliche Auswirkungen myofunktioneller Störungen
(nach Susanne Codoni, Katja Schwenzer-Zimmerer, 2013)
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Fehlhaltungen und Fehlspannungen im Schulter-Nackenbereich durch die
basale Zungenlage: die Verbindung zur HWS besteht über das Hyoid.
Fehlhaltungen und Fehlspannungen im Schulter-Nackenbereich wirken
sich auf die gesamte Rückenmuskulatur aus: die Patienten zeigen oft eine
gesamtkörperlich eher hypotone Spannung, welche bei motorischen
Leistungsanforderungen durch eine hypertone Spannung kompensiert
wird.
Zahnfehlstellungen, insbesondere Kreuzbisse, gehen oft mit
Beckenschiefstellungen in entgegengesetzter Richtung zum Kreuzbiss
einher.
Beckenschiefstellungen begünstigen Beinlängendifferenzen.
Gesamtkörperliche Fehlhaltungen/Fehlspannungen gehen oft mit
Fehlbelastungen / Fehlstellungen der Füße einher.
Überblick über aktuelle Therapiekonzepte
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Heidelberger Gruppenkonzept für myofunktionelle Störungen - GRUMS®
MFT nach dem Hannoveraner Konzept (HaKo)
MFT nach Thiele (KÜnF, PmBK, ZK)
Logopdisch orientierte Orofaziale Therapie nach Hammerle (LOOFT)
Myofunctional Therapy nach Bolton (MFTB)
Myofunktionelle Therapie nach Hahn (MFTH)
Myofunktionelle Therapie nach Codoni (MFTC)
Myofunktionelle Therpaie nach Kittel (MFTK)
Schweizerisches MFT-Übungsprogramm nach Schwitzer (MFTS)
Muskelfunktionsübungen im orofacialen Bereich nach Curschellas
(MFÜoB)
Neurofunktionelle Reorganisation nach Padovan (NFR)
Orofaziale und craniocervikale Myotherapie nach Bondi (OCMT)
Muskelfunktionsübungen / Orofaziale Muskelfunktionstherapie nach
Clausnitzer (OMT)
Myofunktionstherapie nach Fischer-Voosholz & Spenthof (OMS)
Die orofaziale Regulationstherapie nach Castillo Morales
Wiener Konzept zur Therapie orofazialer Dysfunkitonen
Körperorientierte Sprachtherapie und orofaziales System nach Codoni
(k-o-s-t®)
5 Phasenmodell der Myofunktionellen Therapie nach Hörstel
Anhang E Theorie: Logopädie
DLV Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband
DLV- Ethik-Richtlinien (basierend auf den CPLOL-Rahmenrichtlinien
für eine ethische Berufsausübung in der Logopädie) S.1-3
„Ethische Grundsätze und Verpflichtungen
Der bioethische Ansatz der Gesundheitsethik kann als eine Reihe von Prinzipien
beschrieben
werden, die als Grundlage für Entscheidungsprozesse dienen und zu detaillierten
Codes entwickelt
werden können, um den besonderen Anforderungen an die logopädische
Berufsausübung
gerecht zu werden.
Diese Prinzipien sind
- die Selbstbestimmung und Würde des Menschen zu respektieren.
- zum Wohle des Menschen und zur Verbesserung seiner Lebensqualität zu handeln.
- alles zu vermeiden, was dem Menschen schaden könnte.
- gegenüber Menschen und Gesellschaft gerecht und begründet zu handeln.
Diese Prinzipien bilden die Grundlage für die allgemeinen ethischen
Verpflichtungen der Klientin gegenüber und beziehen sich auf Folgendes:
- zum Wohle der Klientin zu handeln.
- die Klientin (bzw. deren gesetzliche Vertreter) zu informieren und eine deklarierte
Einwilligung
(„informed consent“) einzuholen.
- Die Klientinnen ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend (und/oder ihre
gesetzliche
Vertretung) als emanzipierte Partner in die Formulierung und Überprüfung der
Therapieziele
einzubeziehen.
- die Schweigepflicht zu wahren.
- wirksam zu kommunizieren.
- gut begründete und ehrliche fachliche Meinungen und Empfehlungen zu äussern.
- innerhalb der Grenzen der eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu handeln.
- soziale, kulturelle und moralische Normen der lokalen Gemeinschaft zu
respektieren.
- fachlich fundierte Dokumentationen zu führen, die gründlich, objektiv und
verständlich sind.
- auf der Grundlage von wissenschaftlicher Evidenz und beruflichem Konsens zu
handeln.
- die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten während der gesamten beruflichen
Laufbahn
aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln.
- Behandlungsaufgaben, die anderen übertragen wurden, wirksam zu supervidieren.
- mit Angehörigen anderer Berufsgruppen im interdisziplinären Rahmen
zusammenzuarbeiten. (…)“
DLV Berufsbild Logopädie (S. 3)
Kapitel 2 „Tätigkeitsfelder und Kompetenzen“ (S.4-5)
Anhang F Methodik: Fragenkatalog
Elterninterview
1. Wie war Ihre Schwangerschaft und die Geburt?
2. Wann haben Sie erfahren, dass ihr Kind eine Fehlbildung hat?
3. Von wem wurden Sie informiert?
4. War Ihr Partner dabei?
5. Haben Sie weitere Information diesbezüglich erhalten? Und von wem?
6. Wie haben Sie darauf reagiert? Wie haben Sie es aufgenommen?
7. Was war Ihr erster Gedanken, Emotionen?
8. Wie hat das Umfeld reagiert? Wie haben Sie es wahrgenommen?
9. Wer hat Ihnen dabei geholfen?
10. Wurden Sie weiterhin betreut? Wurden Sie von weiteren Schritten informiert
und wurde Ihnen weitere Hilfe angeboten? Wenn ja, von wem?
11. Bekommen Sie heute noch Unterstützung? Wenn ja, wer unterstützt Sie?
12. Hat Sie Ihre Einstellung geändert? Wenn ja, wozu?
13. Fühlen Sie sich Ernst genommen?
14. Können Sie Ihre Meinung vertreten?
15. Wer entscheidet bei der Therapieauswahl, bei verschiedenen
Untersuchungen, bei Operationen oder sogar bei Komplikationen?
16. Was bedeutet für Sie Tod, Sterben?
17. Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht? Wenn ja, können Sie es
erzählen?
18. Wie stellen Sie sich das Sterben vor?
19. Was wünschen Sie sich, was stellen Sie sich vor und was ist Ihre Erwartung
allgemein von der logopädischen Behandlung?
20. Und speziell?
21. Möchten Sie evtl. noch etwas ergänzen, was wichtig sein könnte?
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