Leseprobe - Laaber

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1.1 Die Musikalische Akustik – Eine Übersicht
Von Christoph Louven
In der allgemeinsten Definition lässt sich die Akustik als die Wissenschaftsdisziplin beschreiben, die sich mit dem Schall in allen seinen Erscheinungsformen
und Aspekten beschäftigt. Dies reicht von den physikalischen Grundlagen des
Schallphänomens, seiner Entstehung durch verschiedene Arten von Schallerzeugern und seiner Ausbreitung in verschiedenen Medien bis hin zur »Auslöschung« des Schalls infolge der Umwandlung in andere Energieformen. Da es
sich beim Schall letztlich immer um eine mechanische Bewegung eines gasförmigen, flüssigen oder festen Mediums handelt, wird in der Physik die
Akustik in der Regel als spezialisiertes Teilgebiet der physikalischen Mechanik
betrachtet.
Die musikalische Akustik fasst diese allgemeine Definition gleichzeitig enger und weiter:
– enger, weil sie sich ausschließlich mit denjenigen Schallphänomenen beschäftigt, die für das Ohr des Menschen wahrnehmbar und für das Gesamtphänomen »Musik« von Bedeutung sind. Daher spielt z.B. der nicht vom Ohr
wahrnehmbare Ultraschall in der musikalischen Akustik ebenso wenig eine
Rolle wie etwa die Analyse von Motorengeräuschen, die zwar wahrnehmbar,
aber musikalisch irrelevant sind.
– weiter, weil sie auch einige Bereiche umfasst, die zwar unzweifelhaft zur
umfassenden Beschäftigung mit den physikalisch-naturwissenschaftlichen
Grundlagen der Musik gehören, aber anderen physikalischen Teilgebieten wie
z.B. der Elektrizitätslehre zuzurechnen sind oder sogar in andere Wissenschaftsdisziplinen wie z.B. die Psychologie übergreifen. Dazu gehören z.B. die
Prinzipien magnetischer Schallaufzeichnung oder die Funktionsprinzipien des
Gehörs.
Das Gesamtgebiet der musikalischen Akustik gliedert sich in zahlreiche
Teilbereiche, die sich mit speziellen Aspekten des musikalischen Schalls beschäftigen. Neben der Betrachtung der physikalischen Grundlagen, die den
Schall meist ausgehend von seinen Eigenschaften als Schwingung, Welle oder
Energieform beschreibt, umfasst dies Teilgebiete, die sich gut anhand der einzelnen Stationen veranschaulichen lassen, die der Schall in einer Konzertsituation von der Erzeugung bis zur Wahrnehmung durchläuft:
– Der Schall wird durch speziell dafür geeignete Werkzeuge (Musikinstrumente) bzw. durch die menschliche Stimme erzeugt (Akustik der Musikinstrumente und der menschlichen Stimme) [ 2.1,
2.3]. Ein besonderes Gebiet stellen dabei die Musikinstrumente bzw. Klangerzeugungsverfahren dar,
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die mit elektrischen, elektronischen oder informationstechnischen Mitteln arbeiten [ 3.1,
3.2].
– Der Schall breitet sich durch die Luft aus und wird dabei durch die Gegebenheiten des die Schallquelle umgebenden Raums beeinflusst (Raumakustik) [ 2.4].
– Der Schall trifft auf das menschliche Ohr und wird dort zunächst gemäß
den Möglichkeiten und Funktionsprinzipien des Gehörs und der nachgelagerten Hörbahn elementar verarbeitet (Psychoakustik) [ 2.5].
– Im Gehirn werden diese elementaren auditiven Informationen schließlich
als musikalisch sinnvolle Wahrnehmungen interpretiert (Musikpsychologie)
[ 2.6, 2.7].
– Der Schall soll ggf. aufgezeichnet werden und trifft zu diesem Zweck auf
Mikrofone und angeschlossene Aufzeichnungsmedien (Prinzipien der Schallwandlung und -speicherung) [ 3.3].
Die Akustik der Musikinstrumente und der menschlichen Stimme [ 2.1,
2.3] beschäftigt sich mit den Funktionsweisen der Musikinstrumente und
den Prinzipien der Klangfarbenentstehung und –wahrnehmung. Herkömmliche »akustische« Musikinstrumente besitzen stets mindestens einen schwingfähigen Bestandteil (z.B. eine Saite, eine eingeschlossene Luftsäule oder ein
Fell; bei der Stimme die Stimmbänder), der durch eine spezielle Vorrichtung
mit Energie versorgt und zum Schwingen angeregt wird (z.B. den Klavierhammer, den Geigenbogen, das Rohrblatt-Mundstück, den Paukenschlägel),
und dessen Schwingung dann in Verbindung mit den übrigen Bestandteilen
des Instrumentes (z.B. Resonanzboden, Schalltrichter etc.) an die umgebende
Luft abgegeben wird. Durch die genaue Kenntnis dieser Zusammenhänge ist
es möglich, das Zustandekommen der verschiedenen Instrumentenklangfarben zu erklären, daraus Rückschlüsse auf bauliche Optimierungsmöglichkeiten sowie die historische Entwicklung der einzelnen Instrumente und ihre Bedeutung im Gesamtklang des Orchesters zu ziehen.
Einen besonderen Bereich bildet die Beschäftigung mit »Elektrophonen«,
also Instrumenten, deren Klangerzeugung elektrisch, elektronisch oder mit
Hilfe von Computertechnik geschieht [ 3.1,
3.2]. Hierbei geht es, ähnlich
wie bei den »akustischen« Instrumenten, zunächst um die Prinzipien der
Klangerzeugung, die bei den verschiedenen Elektrophonen höchst unterschiedlich ausfallen können. Insbesondere bei älteren Instrumenten kommen
dabei analoge, d.h. die Schallschwingung direkt beeinflussende, Prinzipien
zum Einsatz, bei denen der gewünschte Klang z.B. aus verschiedenen Grundschwingungen neu zusammengesetzt wird (additive Synthese) oder Bestandteile einer komplexen Ausgangsschwingung ausgefiltert werden (subtraktive
Synthese). Neuere Instrumente beruhen seit dem Siegeszug der Computer-
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technik meist auf digitalen Prinzipien, d.h. sie arbeiten mit einer mathematischen Beschreibung der Schallschwingung. Diese Digitalisierung bietet völlig
neue Möglichkeiten der Klangsynthese und –manipulation, aber auch der Koordination und des Zusammenspiels elektronischer Instrumente (MIDI).
Gegenstand der Raumakustik ist die Frage, wie der durch Instrumente
oder die Stimme erzeugte Schall auf seinem Weg zum Ohr des Hörers durch
den umgebenden Raum beeinflusst wird [ 2.4]. Grundsätzlich breitet sich
der Schall kugelförmig um die Schallquelle aus, bewegt sich zunächst durch
die Luft, trifft irgendwann auf eine Begrenzungsfläche (Wände, Decken, Fußböden), wird dort reflektiert und dabei ggf. abgeschwächt (Absorption) und
bewegt sich wieder durch die Luft, bis er auf die nächste Begrenzungsfläche
oder irgendwann auf das Ohr des Hörers trifft. Auf diesem Weg kann der
Schall zudem durch Hindernisse wie Einrichtungsgegenstände (z.B. Möbel,
Säulen) oder auch Personen beeinflusst werden. Die aus verschiedenen Richtungen eintreffenden Reflexionen wirken bei der Erzeugung eines Gesamteindrucks mit dem direkt auf das Ohr des Hörers treffenden Schall zusammen
und können diesen dabei sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Die
geometrische Raumakustik betrachtet die Gesetzmäßigkeiten der Reflexion
und Beugung der Schallwelle an Begrenzungsflächen und Hindernissen. Es
erweist sich für den Gesamteindruck als wünschenswert, dass diese Reflexionen baulich so gesteuert werden, dass sich der Schall möglichst gleichmäßig
im Raum verteilt. Insbesondere gekrümmte Wand- und Deckenflächen (z.B.
Kuppeln) können dabei problematisch sein, da sie eine Konzentration von Reflexionen an bestimmten Stellen im Raum zur Folge haben können. Die statistische Raumakustik betrachtet nicht einzelne Reflexionen, sondern die Gesetzmäßigkeiten der Verteilung der Schallenergie im gesamten Raum und ihrer
Abschwächung durch Absorption in Luft und verschiedenen schallschluckenden Materialien. Zentral für die statistische Raumakustik sind der Begriff des
»Nachhalls« und die Frage, welche Nachhallzeiten für verschiedene Nutzungszwecke eines Raums optimal sind.
Im Teilbereich Schallwandler und -speicher betrachtet die musikalische
Akustik alle Aspekte der Schallaufzeichnung [ 3.3]. Da nahezu alle Methoden der Schallaufzeichnung mit elektrischen Signalen arbeiten, muss der
Schall in aller Regel vor einer Aufzeichnung mit Hilfe verschiedener Arten von
mechanisch-elektrischen Wandlern (Mikrofone) von der mechanischen Luftschwingung in eine elektrische Schwingung umgewandelt werden. Die Akustik beschäftigt sich dabei u.a. mit den Funktionsprinzipien der verschiedenen
Wandlertypen und ihrer Verwendung in verschiedenen Aufnahmesituationen.
Die erzeugte elektrische Schwingung kann dann entweder unmittelbar als
Schwingungsverlauf gespeichert werden (analoge Aufzeichnung), z.B. in Form
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der Ausschläge einer Schallplattennadel, oder sie wird zunächst in eine mathematische Beschreibung umgerechnet und dann als Folge von Binärzahlen
(0/1) auf einem Datenträger abgelegt (digitale Aufzeichnung). Bei der Wiedergabe schließlich muss der elektrische Schwingungsverlauf rekonstruiert und
dann mit Hilfe von elektrisch-mechanischen Wandlern (Lautsprechern) wieder in hörbaren mechanischen Schall übersetzt werden.
Gegenstand der Psychoakustik sind alle Vorgänge der elementaren Schallwahrnehmung, sobald der Schall auf das menschliche Ohr trifft [ 2.5]. Dies
umfasst zunächst den Aufbau und die Funktionsprinzipien des Ohres selbst,
z.B. der Gehörknöchelchen im Mittelohr oder der Haarzellen auf der Basilarmembran im Innenohr. Das Ohr wandelt die mechanischen Luftschwingungen, die das Trommelfell erreichen, mehrfach um und erzeugt schließlich im
Innenohr eine Folge von Nervenimpulsen, die über die Nervenverbindungen
der sog. Hörbahn bis in den bewusstseinsfähigen Teil des Gehirns (Cortex)
weitergeleitet und dabei vielfältig weiter verarbeitet und umgewandelt werden. Durch die Kenntnis der physiologischen Vorgänge in Ohr und Hörbahn
lassen sich bereits wichtige Schlussfolgerungen auf Grundprinzipien der
menschlichen Hörwahrnehmung ziehen. Daneben spielt aber auch die experimentelle Untersuchung des menschlichen Hörens für die Psychoakustik eine
große Rolle. Hierbei werden Versuchspersonen dazu befragt, welchen Höreindruck sie von verschiedenen Schallreizen haben, z.B. ab welcher Stärke sie
Töne verschiedener Frequenz gerade noch wahrnehmen können (dies führt
zur Kurve der sog. »Hörschwelle«). Auch Erkenntnisse über komplexere
Hörphänomene wie z.B. die Verdeckung oder die Kombinationstöne gehören
zu den Ergebnissen der empirisch basierten psychoakustischen Forschung.
Bei der Beschäftigung mit komplexeren Prinzipien des musikalischen Hörens
verbindet sich die musikalische Akustik mit dem Forschungsgebiet der Musikpsychologie [ 2.7]. Dies beginnt schon mit der elementaren Frage, wie die
menschliche Hörwahrnehmung eine Vielzahl von gleichzeitig erklingenden, einzelnen Schallquellen isolieren und identifizieren kann, obwohl das Ohr nur die
Summe dieser Schallsignale erreicht, also ein u.U. recht krudes GesamtGemisch. Ansätze zur Erklärung dieser erstaunlichen Fähigkeit finden sich bereits
Ende des 19. Jahrhunderts in der Gestaltpsychologie und in jüngerer Zeit in der
»Auditory Scene Analysis« [ 2.6]. Aber auch die unterschiedlichsten Einzelaspekte der Musikpsychologie greifen immer wieder auf Erkenntnisse der musikalischen Akustik zurück. So spielen für die Klärung der Frage, warum manche Zusammenklänge konsonant und andere dissonant erscheinen, Ergebnisse der
elementaren Schwingungs- und Intervalltheorie ebenso eine Rolle wie die der
Psychoakustik. Ähnlich gilt dies auch für vielfältige musikpsychologische Aspekte der Wahrnehmung von Melodie, Rhythmus, Harmonie und Tonalität.
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