Bericht von Kurt Steiner, März 2010 Einleitung • Das Symposium bestand aus Uebersichtsvorträgen, aus Vorträgen zu aktuellen Themen, welche zeitgleich in bis zu 3 parallel geführten Sessionen abgehalten wurden, sowie aus ca. 350 Posters. • Mittels Posters wird auf einem A1 Format über neue Forschungsergebnisse berichtet. • Ein einzelner Teilnehmer kann nur eine Auswahl an Vorträgen und Posters besuchen, respektive besichtigen. • Am ALS/MND Symposium 2009 in Berlin nahmen gegen 1000 Forscher, Mitglieder von ALS/MND-Organisationen und auch einige ALS-Betroffene teil. • Die ALS-Forschung wird breiter, umfassender und auch interdisziplinärer. Es ist beeindruckend mit welcher Intensität und in welchem Umfang weltweit geforscht wird. Stein für Stein werden neue Erkenntnisse zusammengetragen. Die Anzahl der wissenschaftlichen Artikel über ALS steigt exponentiell. • Hier wird im wesentlichen nur von Resultaten aus der Grundlagenforschung berichtet. Forschung: Ueberblick • • • • • • • ALS ist eine komplexe, vielschichtige Erkrankung. Deshalb ist es wichtig alle Faktoren die mit ALS zusammenhängen besser zu verstehen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen neue Möglichkeiten für eine Behandlung der ALS ergeben. Verschiedene Gene welche mit ALS einen Zusammenhang haben sind entdeckt und beschrieben. Es bleibt aber offen, ob noch weitere dazukommen werden. Was die spontane ALS auslöst ist nach wie vor unbekannt. Ein grosses Problem ist die Umsetzung von Forschungsresultaten in Behandlungsmethoden zugunsten von ALS Patienten. Hier zeigen sich Gemeinsamkeiten mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson etc. Eine Zusammenarbeit mit den Wissenschaftern aus diesen Forschungsgebieten wird angestrebt und vertieft. Nach wie vor ist Rilutek (Riluzole) das einzige bisher zugelassene Medikament für den Einsatz bei ALS. Klinische Forschung und multizentrische Studien mit neuen Medikamenten Verbesserung der Pflege und der Lebensqualität in allen Aspekten. Forschung: Schwerpunkte • • • • • • • • Einsatz von Tiermodellen (Maus, Ratte, Huhn, Fruchtfliege, Zebrafisch, Wurm C.elegans) als auch von Zellkulturen zum Studium der molekularbiologischen Vorgänge bei ALS sowie des Krankheitsverlaufes. Suche nach neuen Markern zugunsten einer frühzeitigen Diagnose, sowie dem Studium des Krankheitsverlaufes bei ALS Patienten. Herstellung von Stammzellen aus Zellen die ihre Eigenschaften als Stammzellen verloren haben, wie etwa Hautzellen. Einsatz von Stammzellen zur Herstellung von Zellkulturen aus Motoneuronen u.a. für pharmazeutische Studien für die Entdeckung neuer Heilmittel. Das Motoneuron in Wechselwirkung mit seiner Umgebung wie anderen Nervenzellen, der Muskelzellen etc. Molekularbiologische Vorgänge innerhalb des Motoneurons, was sind die Ursache des Absterbens des Motoneurons, weshalb kann der Prozess nicht angehalten werden. Einfluss des Immunsystems Verbesserung von Diagnose und Prognose Forschung • • • • • • • • • • Welche Prozesse in der Zelle, im Organismus sind bei ALS-Betroffenen oder ALS-Modellorganismen verändert gegenüber nicht-betroffenen Menschen oder Modellorganismen. Welche Prozesse laufen innerhalb der Motoneuronen ab? Welche Wechselwirkungen zwischen den Motoneuronen und den umgebenden Zellen finden statt? Welche Prozesse lösen das Absterben der Motoneuronen aus? Vorgänge innerhalb der Zelle, Signale von aussen? Wie ist der zeitliche Ablauf? Welche Aenderungen im Stoffwechsel werden ausgelöst, was könnte man als Marker für die Krankheit verwenden? Verbesserung der Diagnose, möglichst frühzeitige Diagnose. Sammlung aller ALS-relevanter Daten in für alle Forscher zugänglichen Datenbanken. Suchen nach Strategien um den Verlauf der ALS anzuhalten oder ALS heilen zu können. Welche Stoffe, Medikamente sind in der Lage die Motoneuronen zu schützen. Pasinelli et al. NATURE REVIEWS | NEUROSCIENCE SEPTEMBER 2006 | VOLUME 7, 710 M. Sendtner, NATURE NEUROSCIENCE, VOLUME 9 | NUMBER 1 | JANUARY 2006, 12 Ilieva et al. Journal of Cell Biology 187 (6): 761. (2009) Einleitender Uebersichtsvortrag von W. Robberecht • • • • • • • W. Robberecht, Flanders Institute for Biotechnology, Leuwen, Belgium The winding road to treating ALS (Der kurvenreiche Weg zur Behandlung von ALS). Fortschritte beim Verständnis der Biologie der ALS wurden Dank der grossen Anzahl von Daten welche durch genetische, zelluläre sowie Studien an Mäusen gesammelt wurden, erreicht. Etwa 10% aller ALS-Fälle sind genetisch bedingt, 90 % sind spontan. Bei der spontanen ALS sind die Ursachen nicht bekannt. Die Mutationen des Gens SOD1 (Superoxid Dismutase 1) betreffen 20-25% der genetisch bedingten ALS-Erkrankungen. In den vergangenen Jahren wurden weitere Gene entdeckt wie TDP-43 und FUS (Fused in Sarcoma) bei denen Mutationen familiäre ALS auslösen können. Mögliche Faktoren für die spontane ALS sind Alterungsprozesse, Umgebungseinflüsse sowie allfällige noch unbekannte genetische Einflüsse. Tiermodelle, basierend auf der familiären Form der ALS, sind wichtig um die Veränderungen der Motoneuronen, verursacht durch ALS, zu studieren und so mögliche Ansätze für eine Therapie zu finden. Einleitung W. Robberecht • • • Der Komplexität der Erkrankung, mit all ihren Einflussfaktoren, wird der bisher geringe Erfolg bei der Uebertragung der Resultate aus Tierversuchen auf eine Therapie für den Menschen zugeschrieben. Die Zusammenarbeit von akademischen Laboratorien aus verschiedenen Fachgebieten unter Beizug von privaten Institutionen werden die Erfolgsaussichten verbessern. Es ist wahrscheinlich, dass Kombinationen von Medikamenten, teilweise angepasst an den „Typ“ der ALS-Erkrankung, in Zukunft angewendet werden. Ausgewählte Beispiele: Stammzellen • C.E.Henderson, Laboratory for Stem Cell Research, New York and Columbia University, Center for Motor Neuron Biology and Disease, New York. • Es gelang aus Zellen von ALS-Betroffenen und Kontrollpersonen Stammzellen zu erzeugen (iPS cells: induced pluripotent stem cells). Diese so erzeugten Stammzellen können in Zellkulturen gehalten werden. iPS Stammzellen können zu Motoneuronen umgewandelt werden. Es wird untersucht wie iPS Zellen von ALS-Betroffenen den ALS-Krankheitsprozess auslösen können. Die Autoren zeigten, dass sie folgende Schritte beherrschen: erzeuge verschiedene Subtypen von Motoneuronen erzeuge Zellkulturen von Astrozyten entdecke Faktoren welche für Motoneuronen giftig sind validiere Stoffe welche das Ueberleben der Motoneuronen gewährleisten. In weiteren Schritten soll untersucht werden, wie sich aus iPS-Zellen erzeugte Motoneuronen von ALS-Betroffenen, von aus iPS-Zellen erzeugten Motoneuronen von Kontrollpersonen, unterscheiden. In grossen Versuchsreihen sollen etwa 50‘000 Stoffe auf ihre schützende Wirkung auf Motoneuronen untersucht werden. • • • • • Die Forscher haben zwei Ziele mit Motoneuronen. Zelltherapie? Was lief falsch? • Untersuche die ALSMotoneuronen um die Defekte zu finden. • Suche nach Medikamenten welche die Defekte korrigieren können? • Ziel die geschädigten Motoneuronen zu “reparieren” und zu transplantieren. • Es sind enorme Hindernisse zu überwinden. Umwandlung von Hautzellen in induzierte Pluripotente Stammzellen (iPS) und in einem zweiten Schritt in Motoneuronen Induzierte Pluripotente Stammzellen (iPS) in Zellkulturen Hautzellen einer 82 jährigen ALSPatientin Umwandlung in Stammzellen (iPS) Gene: Oct4, Sox2, Klf4 Umwandlung der Stammzellen (iPS) in Motoneuronen in Zellkulturen Stammzellen • Im Vortrag von M. Wiedau-Pazos, Department of Neurology, UCLA, Los Angeles, USA wurde gezeigt, dass sowohl aus iPS-Zellen wie aus embryonalen menschlichen Stammzellen erzeugte Motoneuronen gleiche Eigenschaften aufweisen. Diese so erzeugten Zellen eignen sich für die „in vitro“ Nachbildung von neuromuskulären Erkrankungen, folgerten die Autoren. • Hingegen hörte man nichts mehr über Therapien in denen embryonale Stammzellen ins Zentralnervensystem von ALS-Patienten eingespritzt wurden. Diese Versuche waren umstritten und es sind keine Resultate bekannt, die eine Verzögerung oder Verbesserung bei ALS-Patienten brachten. Erkrankungen durch falsch gefaltete Proteine • • • • • • • • Proteine, aus Genen die Mutationen erlitten haben, können ja nach schwere der Mutation ihre Funktion nur noch beschränkt oder gar nicht mehr erfüllen. Eine der möglichen Folgen von Mutationen können Missfaltungen der Proteine sein. Damit ein Protein seine Funktion ausführen kann, muss es korrekt gefaltet sein. Bei gewissen Mutationen des SOD1 Proteins welche ALS verursachen, weiss man, dass diese Proteine nicht korrekt gefaltet sind. Es wird vermutet, dass diese Falschfaltung des SOD1 Proteins für die Motoneuronen toxisch ist. Die falsch gefalteten Proteine bilden eine Art von Verklumpungen. Solche Missfaltungen und Verklumpungen wurden auch bei Mutationen bei den kürzlich entdeckten Genen FUS (fused in sarcoma) und TARDBP (Protein TDP-43), gefunden, welche auch mit ALS im Zusammenhang stehen. Missfaltungen und Verklumpungen von Proteinen findet man auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer. Es wird intensiv geforscht, ob und weshalb diese Falschfaltungen toxisch sind und ob man etwas gegen diese Missfaltungen unternehmen kann. Mit Prof. Dr. Manuela Neumann arbeitet am Institut für Neuropathologie der Universität Zürich eine junge Forscherin, welche sich mit TDP-43, FUS und ALS beschäftigt. Laufende klinische Versuche • • • • • • • • • 33 klinische Versuche wurden aufgelistet, es ist ein breites Spektrum an Themen. Hier nur eine Auswahl: Verbesserte, multidisziplinäre Betreuung von ALS-Betroffenen in verschiedenen Ländern. Die Rolle von ALS-Zentren bei der Betreuung. Internet-basierte Unterstützung von ALS-Betroffenen speziell zur Kommunikation mit den Spezialisten aber auch für den Kontakt mit anderen Betroffenen (Programm BaseCube), Beantwortung von Fragebogen wie die ALS-FRS (ALS-Functional Rating Score) Psychologische Betreuung der ALS-Betroffenen Aenderung der kognitiven und verhaltensmässigen Eigenschaften bei ALSBetroffenen, Entwicklung eines Fragebogens (ALSFRB-Q: ALS-FTDBehaviour Questionnaire) zur Erfassung dieser Veränderungen. Aufrechterhaltung der Kommunikation Untersuchung von Hirn und Rückenmark mit bildgebenden Verfahren wie MRI (Magnetic Resonance Imaging) Belastungen aus der Umgebung welche zu einem höheren Risiko für ALS führen könnten. ALS und Schwangerschaft Laufende wissenschaftliche Studien (eine Auswahl) • • • • • Kann eine Kombination von Riluzole in Kombination mit Antioxidantien den durch Homocysteine ausgelösten Zelltod beeinflusssen? Homocysteine ist bei ALS-Patienten erhöht. (R. Hemendinger et al , Neurotoxicity Research 2008; 13:49-61) Welche Proteine haben, verursacht durch ALS, ein verändertes Expressionsmuster. Untersuchungen von Mutationen im TDP-43 (TAR DNA Binding Protein) um Aenderungen in biologischen Prozessen, ausgelöst durch diese Mutationen, besser zu verstehen. Vorläuferzellen der hematopetischen Stammzellen (Blutstammzellen) im Knochenmark sind bei ALS-Mäusen (mSOD1) und bei ALS-Betroffenen reduziert. Durch das Studium der Ursachen des erhöhten Zelltodes dieser Zellen hoffen die Autoren ein verbessertes Verständnis des Einflusses der peripheren Immunzellen auf den Krankheitsverlauf bei ALS zu erlangen. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen. Mitochondrien sind bei ALSMäusen und ALS-Patienten betroffen. Metformin ist ein Medikament, von dem die Autoren hoffen, dass es einen positiven Einfluss auf die betroffenen Mitochondrien und so auch auf den Verlauf der ALS hat. Erste Studien mit ALS-Mäusen (SOD1 G93A) wurden durchgeführt. 20th Symposium on ALS/MND Poster-Session • • • • • • • • • • • • • • • Ca 350 Posters wurden eingereicht gegliedert in 14 Themenbereiche Therapeutische Strategien Experimentelle Modelle „in vivo“ Experimentelle Modell „in vitro“ Zell Biologie und Pathologie des Menschen Genetik Epidemiologie Bildgebung, Elektrophysiologie und Marker des Krankheitsverlaufes Verbesserung von Diagnose, Prognose und Krankheitsverlauf Kognitives und Psychologisches Assessment und Betreuung Management der Atmung und der Ernährung Multidisziplinäre Betreuung und Lebensqualität Clinical Work in Progress (Aktueller Stand der klinischen Betreuung) Scientific Work in Progress (Aktuelles aus der wissenschaftlichen Forschung) Letzte Nachrichten ALSOD: Eine genetische online Datenbank • • http://alsod.iop.kcl.ac.uk/ Der Aufbau einer Sammlung aller genetischen Informationen welche mit ALS einen Zusammenhang haben. • Autoren: Olubunmi Abel 1, John Powell 1, Peter Andersen 2, Ammar Al-Chalabi 1 Department of Neuroscience, Institute of Psychiatry, Kings College, London UK, 2 Institute of Clinical Neuroscience, Umeå University Hospital, Umeå Sweden Neurodegenerative Erkrankungen bei Hunden • • • Eine Mutation im SOD1 Gen kann degenerative Myelopathie bei Hunden verursachen. Die „Degenerative Myelopathie älterer Hunde“ ist relativ häufig und betrifft vor allem große Hunderassen. Ursächlich ist eine Mutation des SOD1Gens verantwortlich (118G>A) entsprechend einer E40K Mutation im SOD1 Protein. Die Krankheit äussert sich durch fortschreitende Lähmung und Muskelschwund, sie gleicht der ALS. Genome-wide association analysis reveals a SOD1 mutation in canine degenerative myelopathy that resembles amyotrophic lateral sclerosis. T. Awano, GS. Johnson, C. Wade et al, Proc Natl Acad Sci , USA 2009; 106:2794-2799 Neue Entwicklungen: P300 Speller - Brain-Computer Interface • • • A P300-based brain–computer interface for people with amyotrophic lateral sclerosis. F. Nijboer, E.W.Sellers, J. Mellinger et al, Clinical Neurophysilogy 119 (2008) 1909-1916. Mittels des P300 basierten Hirn-Computer Interfaces war es möglich, dass ALS-Patienten nur über Hirnsignale mit einem Computer kommunizieren konnten. Vor dem Einsatz muss das System zusammen mit dem Patienten trainiert werden. • ALS erscheint mir wie ein grosses Puzzle. Hat man erfolgreich einige Elemente richtig plaziert und hofft dem Ziel damit etwas näher zu sein, so öffnet sich ein grösseres Puzzle mit vielen neuen unbekannten Feldern. Ausgewählte Referenzen • • • • • • • • Proteinopathies Goedert M, Spillantini MG, Science 2006, Nov 3, 314(5800):777-81 Neumann M, et al. Science 2006. 314:130-3. Neumann M, Tolnay M, Mackenzie IR, Expert Reviews in Molecular Medicine 2009, vol11, e23:1-22 Neumann M, Rademakers R, Roeber S et al. Brain 2009, Aug. 11, 1-10 Zetterström P, Stewart HG, Bergemalm D et al., PNAS 2007, 104(35):14157 Mulligan VK, Kerman A, Ho S et al. J Mol Biol 2008, 383:424-36 Wilcox KC, Zhou l, Jordon JK et al. J Biol Chem, 2009, May 15, vol 284, No. 20:13940-13947 • • Diverse The natural history of ALS is changing: Improved survival, Cudkowicz et al. Amyotrophic Lat eral Sclerosis 2009, 10:324-331. Amyotrophic Lateral Sclerosis: From Current Developments in the Laboratory to Clinical Implications, Cozzolino M, Ferri A, Carri MT, Antioxidants & Redox Signaling, 2008 Vol 10, No. 3, 406-443. Induced pluripotent stem cells generated from patients with ALS can be differentiated into motor neurons. Dimos JT, Rodolfa KT, Niakan KK et al. Science 2008, Aug 29; 321 (5893):1169 Human embryonic stem cell-derived motor neurons expressing SOD1 mutants exhibit typical signs of motor neuron degeneration linked to ALS. Karumbayaram et al. Disease Models & Mechanism2, 189-195 (2009). Evidence of widespread cerebral microglial activation in amyotrophic lateral sclerosis: an [11C](R)-PK11195 positron emission tomography study. Turner MR et al. Neurobiology of Disease, 2004,15:601-609. Non–cell autonomous toxicity in neurodegenerative disorders: ALS and beyond. Iljeva H, Polymenidou M et al, Journal of Cell Biology, Vol 187, No. 6, 761-772, 2009. • • • • •