Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Inhalt Einleitung …..……..…………………………………………………………………………………………………………………………………..4 Grußwort des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit Staatssekretärin Petra Müller-Klepper ……………….……………………………………………………………………………………5 Eingangsstatements Oberlandeskirchenrat Dr. Eberhard Schwarz, Diakonisches Werk in Kurhessen-Waldeck, Kassel ….……………………………………………………………………………..12 Pfarrer Martin Schöppe, stellvertr. Dechant des Dekanats Kassel-Hofgeismar (Bistum Fulda) ………………………………………………………………………………………….15 Hat das Sterben noch eine Zukunft? - Veränderungen des Sterbens in der postmodernen Gesellschaft Professor Dr. Dr. Reimer Gronemeyer, Friesenheim …..…………………………………………………………………………17 ARBEITSGRUPPEN Komplexe Dilemmata bei Entscheidungsprozessen am Lebensende AG 1: Vernetzungssysteme im ambulanten Bereich Friedhelm Menzel, Diakonisches Werk Hessen-Nassau, Frankfurt ………….……………………………………………..30 AG 2: Ethikberatung in der stationären Altenhilfe - Vorstellung des Frankfurter Ethik-Projektes Timo Sauer M.A., Universitätsklinikum Frankfurt a. Main / Bernd Trost, "Franziska Schervier" Altenhilfe gGmbH, Frankfurt ……………………………………………………………40 AG 3: Ethikvisite - ein erster Türöffner für ethische Fragestellungen? - Konzept der Ethikvisite für Aus- und Fortbildung Walter Ulrich, Evangelisches Krankenhaus Elisabethenstift gGmbH, Darmstadt / Dr. Frank Hofmann, Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel……….…………………………………………………….60 AG 4: Ethische Entscheidungen in der Betreuungspraxis Dr. Arnd T. May, Recklinghausen / Brunhilde Ackermann, Betreuungsbehörde der Stadt Kassel ………..………………………………………………………63 2 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethikberatung konkret: Was heißt "Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung an der Grenze zwischen Leben und Tod"? Dr. theol. Kurt W. Schmidt, Zentrum für Ethik in der Medizin am Markus-Krankenhaus, Frankfurt a. Main ……………………….………………………………………………………………………………………………………….80 Ethische Probleme in der Altenhilfe Dr. Gisela Bockenheimer-Lucius, Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Frankfurt a. Main …….……………………………………………………………………….90 Ethikberatung – Nicht nur im Krankenhaus Aufbau von analogen Netzwerkstrukturen in Organisationen der Kirchen und der Wohlfahrtspflege Podiumsdiskussion mit Statements Brunhilde Ackermann ……………..…………………………………………………………………………………………………………..102 Ltd. Pfarrerin Barbara Heller, Evangelische Altenhilfe e.V., Hofgeismar ……………………………………………….107 Gisela Bockenheimer-Lucius …………….………………………………………………………………………………………………….112 Resümee und Perspektiven Helga Steen-Helms, Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, Wiesbaden………………….………………………………………………………………………………..115 Pfarrer Sven Pernak, Diakonisches Werk in Kurhessen-Waldeck, Kassel ………………………………….…………..119 Peter Kraft, Caritasverband für die Diözese Mainz e.V. ….…………………………………………………………………….121 Anhang Tagungsprogramm ……………..….………………………………………………………………………………………………………….125 3 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Einleitung Dem großen Interesse an den Vorträgen und Materialien zur 6. Fachtagung „Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod – Hilfestellung und Entlastung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung“ in der Evangelischen Akademie Hofgeismar soll mit dieser Dokumentation nachgekommen werden. Die Sammlung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist eine Zusammenstellung des von Referenten und Beteiligten hierfür zur Verfügung gestellten Materials, für das die betreffenden Personen auch die redaktionelle Verantwortung tragen. Eveline Valtink Direktorin Ev. Akademie Hofgeismar 4 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Grußwort des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit Staatssekretärin Petra Müller-Klepper 5 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Grußwort zur Fachtagung „Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod“ am 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie in Hofgeismar Der Umgang mit dem Lebensende ist Gradmesser für die Humanität einer Gesellschaft und deren Durchdringung mit christlicher Ethik. Welche Entwicklung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen? „Für den Tod ist in unserer Gesellschaft kein Platz. Sie verlangt Jugend, Mobilität und Dynamik. Dies widerspricht dem, was Trauer bedeutet – Schweigen und Weinen.“ Treffend hat Eugen Brysch, Geschäftsführer der Deutschen Hospiz Stiftung, in einem Gespräch mit diesen Worten die gegenwärtige gesellschaftliche Realität beschrieben. Tradierte Formen und Rituale, die für die Bewältigung von Todesfällen wichtig sind und sich durch die Jahrtausende entwickelt haben, werden abgeschafft. Der Glaube spielt bei vielen nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Sterben und Tod gehören nicht mehr zu den Alltagserfahrungen der Menschen. Die konkrete Situation trifft dann oft unvorbereitet. Unser Umgang mit Sterben, Tod und Trauer ist geprägt durch Verleugnung, Unsicherheit bis hin zu der Unfähigkeit, Menschen in ihren letzten Lebenstagen emotional zu begleiten. Die Gesellschaft muss wieder begreifen lernen, dass die menschliche Existenz den Abschied in sich trägt. Unser Denken und Handeln muss sich ändern, um Sterbenden den Abschied zu erleichtern, aber auch um Schmerz und Trauer über den Verlust zu ertragen können. Es ist hohe Zeit für eine gesellschaftliche Umkehr, eine Enttabuisierung und offene Auseinandersetzung mit diesem existentiellen Themenbereich. Nur dann ist Selbstbestimmung bis zum letzten Atemzug möglich, ein Sterben, das sich an den Bedürfnissen und Wünschen des Betroffenen ausrichtet, ein Sterben in Würde. Die individuelle Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des eigenen irdischen Lebens und das Treffen der Entscheidungen für den ganz persönlichen Fall durch den Betroffenen ist die eine Seite der Medaille des Handlungsbedarfs. Die andere Seite betrifft die Berufsgruppen und Institutionen, die an den Entscheidungsprozessen über Leben und Tod beteiligt sind. Bedingt durch den Fortschritt in der Medizin ist auch hier eine Intensivierung der Auseinandersetzung mit den Fragen des Sterbens in Würde und mit der Sinnhaftigkeit therapeutischen Handelns notwendig. 6 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ich bin dankbar, dass Sie sich dem stellen, dass Sie hierzu aktiv ihren Beitrag leisten. Ihre Teilnahme an dieser Fachtagung dokumentiert dies. Ich begrüße Sie sehr herzlich im Namen der Hessischen Landesregierung. Die heutige Veranstaltung ist bereits die 6. Fachtagung, die in der bewährten Kooperation zwischen dem Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, den Evangelischen Kirchen und Diakonischen Werken in Hessen und Nassau sowie in Kurhessen-Waldeck, der Katholischer Kirche und der HessenCaritas konzipiert wurde. Die Fachtagungen finden im Wechsel jeweils in Nord- und Südhessen statt. Nachdem die letzte Fachtagung im Haus am Maiberg in Heppenheim durchgeführt wurde, freue ich mich, dass wir in diesem Jahr wieder hier in der Evangelischen Akademie in Hofgeismar zu Gast sein dürfen. Für die bewährte Zusammenarbeit und Gastfreundlichkeit möchte ich Ihnen, Frau Valtink, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, herzlich danken. Wie bereits in den letzten Jahren erfolgreich praktiziert, wurden auch für diese Fachtagung von den einzelnen Kooperationspartnern Experten für eine Arbeitsgruppe benannt, die vor dem Hintergrund ihres jeweiligen Fachwissens und ihrer praktischen Erfahrungen das Veranstaltungsprogramm gemeinsam mit meinem Haus erarbeitet haben. Wie mir berichtet wurde, hat diese Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern der unterschiedlichsten Berufsgruppen äußerst effektiv und kooperativ zusammengearbeitet. Für dieses Engagement und den damit verbundenen Zeitaufwand möchte ich den Beteiligten meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. Die Fachtagungen der letzten Jahre beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit dem Bereich der Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt. Mit der heutigen Veranstaltung wird eine völlig andere Fragestellung aufgegriffen. Es geht um die hoch aktuelle und elementare Thematik des Entscheidungsprozesses über Leben und Tod. Der Ausspruch eines mir unbekannten Verfassers bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Die Fortschritte der Medizin sind ungeheuer, man ist sich seines Todes nicht mehr sicher“. Die Erfolge der Medizin können nicht nur das Leben verlängern, sondern auch das Sterben – damit aber auch das Leiden. Allein schon vor diesem Hintergrund sehen Bürgerinnen und Bürger immer mehr die Notwendigkeit, vorausschauend zu denken und Vorsorge zu treffen. Der Eintritt des Todes wird nicht mehr als schicksalhaft erfahren, sondern ist Gegenstand menschlicher Entscheidung. Damit sind neue Fragen und eine neue Dimension der Verantwortung angesprochen. Zu der alten Frage nach dem leichten oder schweren Tod stellen sich sind unter den Bedingungen der modernen Medizin neue Fragen: • Werde ich Schmerzen erleiden müssen? 7 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar • Werde ich einsam sterben oder im Kreis von Angehörigen oder Freunden? • Was wird mit mir in der Zeit vor dem Tod? • Wird mir geholfen werden bis zuletzt? • Werde ich anderen lästig sein, wenn mein Leben zu Ende geht? • Werde ich noch behandelt werden, wenn jede Hoffnung auf Leben längst vergangen ist? • Wird mein Wille respektiert? • Wird jemand anderes über mein Ende entscheiden? • Werde ich Maschinen ausgeliefert sein? • Können mein Arzt und meine Angehörigen meine Würde im Sterben wahren? - Wie kann ich jetzt eine Entscheidung für eine Situation treffen, die ich mir nicht vorstellen kann? Werde ich in dieser Situation nicht anders fühlen und denken als jetzt? Es ist nicht Aufgabe des Staates und der Politik, Antworten auf die letzten Fragen menschlicher Existenz zu geben. Aufgabe des Staates ist es aber, die Bedingungen und Chancen für menschenwürdiges Leben und Sterben zu schaffen - für ein Gesundheitssystem, das die Fortschritte der Medizin bis hin zur Minimierung des Schmerzes allen Mitgliedern der Gesellschaft eröffnet, sowie eine Ordnung, die auch den hilflosesten Mitgliedern der Gesellschaft den Schutz der Rechtsordnung bis zuletzt garantiert. Der Gedanke einer angemessenen Sterbebegleitung muss in allen Institutionen und im ambulanten Bereich integriert und umgesetzt werden. Ambulante Initiativen, Hospize und Palliativstationen begleiten würdevoll und mildern das Leid. Wir sind hier in Hessen auf einem guten Weg, haben ein flächendeckendes Netz an Versorgungsangeboten für unheilbar kranke und sterbende Menschen aufgebaut. Es wird aktuell ausgebaut und ergänzt durch die Möglichkeit der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Hessen ist das erste Bundesland, in dem die Finanzierung der so genannten spezialisierten ambulanten Palliativversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung durch eine entsprechende Vereinbarung mit den Krankenkassen gesichert ist. Eine gute Sterbebegleitung gepaart mit einer umfassenden palliativen Versorgung kann der Angst vor einem langen Sterbeprozess, vor Schmerzen und Hilflosigkeit wirksam begegnen und ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt ermöglichen. Sterbehilfe dagegen wäre kein Akt der Humanität, sondern eine ethische und moralische Kapitulation der Gesellschaft. 8 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ein wesentliches Element des Sterbens in Würde ist die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen bis zuletzt. Nach jahrelangem Ringen um eine gesetzliche Regelung über die Wirksamkeit und Bedeu- tung von Patientenverfügung hat der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes am 1. September 2009 explizit die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen geregelt und zugleich eine Pflicht zur Beachtung der Behandlungswünsche bzw. der mutmaßlichen Wünsche des Betroffenen festgeschrieben. Die praktische Umsetzung dieser neuen Regelungen stellt sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch die an diesen Entscheidungsprozessen beteiligten Berufsgruppen vor großen Herausforderungen. Die nunmehr konkreten Anforderungen an die Konkretheit der Patientenverfügung erfordern sorgfältige Klärungs- und Beratungsprozesse. Speziell die Klärung des Patientenwillens - bzw. seines mutmaßlichen Willens - und die Entscheidung über Behandlungsmaßnahmen stellen in der Regel eine sehr belastende und konfliktreiche Tätigkeit für die beteiligten Berufsgruppen dar. Angesprochen sind insbesondere Ärzte, Pflegepersonen, Seelsorger, Betreuungsrichter, Mitarbeiter von Sozialdiensten und gesetzliche Betreuer, auf deren Menschlichkeit, professionelles Können und Engagement es in diesen schweren Situationen maßgeblich ankommt. Vor diesem Hintergrund wird eine zentrale Fragestellung im Focus dieser zweitägigen Fachtagung stehen: Durch welche Maßnahmen können die an diesen Entscheidungsprozessen beteiligten Berufsgruppen Unterstützung, Hilfestellung und Entlastung erhalten? Sie werden etwas erfahren über bereits entwickelte Methoden und Konzepte der Ethikberatung und anderer hilfreicher Kommunikationsstrukturen. Die Fachtagung bietet Ihnen aber auch den Raum, sich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen anderer Professionen über konkrete Unterstützungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der jeweils unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten und Strukturen auszutauschen. Aus Ihrem beruflichen Alltag wissen Sie sicherlich viel besser als ich, dass das „Aufeinander zugehen“ und einen interdisziplinären Dialog zu führen sich in der konkreten Berufspraxis nicht immer so unproblematisch darstellt, wie es zunächst erscheint. Die Akzeptanz, Wertschätzung und das gegenseitige Verstehen der unterschiedlichen Berufsgruppen und Institutionen kann nicht selbst verständlicherweise vorausgesetzt werden. Erschwerend ist auch der Zeitfaktor – bei Entscheidungen über Leben und Tod bleibt häufig nicht viel Zeit für aufwändige Abstimmungsprozesse. Um unter diesen schwerwiegenden Bedingungen tragfähige Entscheidungen treffen zu können, ist eine wertschätzende und strukturierte Kommunikation aller beteiligten Akteure erforderlich. Wenn dies gelingt, kann die Last gemeinsam getragen werden und der Gefahr von Überforderung und „Ausgebrannt sein“ vorgebeugt werden. 9 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Um mit der elementaren Frage von Leben und Tod im Interesse und zum Wohl der betroffenen Menschen, ihren Angehörigen und der beteiligten Berufsgruppen verantwortungsvoll umgehen zu können, werden neue Formen der Kooperation und Vernetzung zukünftig an Bedeutung gewinnen und sich zu einem Qualitätsmerkmal professioneller Berufstätigkeit entwickeln. Ich wünsche Ihnen für die beiden Veranstaltungstage einen intensiven Diskussionsprozess mit Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Berufsgruppen und hoffe, dass Sie viele neue Impulse für Ihre Berufspraxis erhalten. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren Einsatz, für Ihr segensreiches Wirken und wünsche Ihnen viel Kraft, Gesundheit und Gottes Segen bei der weiteren Arbeit. 10 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Eingangsstatements Oberlandeskirchenrat Dr. Eberhard Schwarz Pfarrer Martin Schöppe 11 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod Hilfestellung und Entlastung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung 6. Fachtagung des HMAFG in Kooperation mit den Evangelischen Kirchen und Diakonischen Werken in Hessen, Katholischer Kirche und Hessen-Caritas, Evangelischer Akademie Hofgeismar vom Montag, 30. November bis Dienstag, 01. Dezember 2009 in Hofgeismar Eingangsstatement von OLKR Dr. Eberhard Schwarz, Landespfarrer für Diakonie der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes in Kurhessen-Waldeck e.V. Frau Staatssekretärin Müller-Klepper, Frau Steen-Helms, meine sehr verehrten Damen und Herrn, als Kurhesse freue ich mich besonders, Sie zur 6. Fachtagung des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit hier in Hofgeismar in den Räumlichkeiten unserer Evangelischen Akademie und ihrem parkähnlichen Umfeld zu begrüßen. Ich tue dies aber nicht nur als Kurhesse, sondern für die vier evangelischen Partner der Vorbereitungsgruppe, also die Evangelische Kirche in Hessen-Nassau und die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck sowie ihre beiden Diakonischen Werke. Wir sind dankbar für diese Zusammenarbeit von Sozialministerium, den katholischen Geschwistern und uns. Die Reihe der bisherigen Fachtagungen kann sich sehen lassen und ich bin zuversichtlich, dass die mittlerweile bewährte Kooperation auch in den nächsten Jahren fortgesetzt wird. An gemeinsamen Themen mangelt es wahrlich nicht! Vom Kirchenjahr her haben wir Volkstrauertag, Buß- und Bettag und Totensonntag begangen, haben gestern den 1. Advent gefeiert: aus der Dunkelheit zum Licht – vom Tod zum Leben! Dies mag dafür stehen, was die Kirchen und ihre Diakonie neben anderem in die zur Debatte stehenden Fragen einbringen können: dass menschliches Leben und Sterben von Gott umfangen sind, dass Menschen, die an der Grenze zwischen Leben und Tod sich befinden, sich in der Hand dessen geborgen wissen können, dem sie ihr Leben verdanken. Und dass diese Gewissheit der mitgehenden Treue Gottes auch einfließen darf und wohl auch sollte in all die Gespräche, Überlegungen, Einstellungen derer, die Menschen auf diesem Wegstück begegnen und begleiten. 12 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Nun hat sich in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten das Sterben, der Weg vom Leben zum Tod sehr verändert. Davon wird vermute ich Herr Professor Gronemeyer nachher berichten, dessen Buch „Sterben in Deutschland. Wie wir dem Tod wieder einen Platz in unserem Leben einräumen können“ (2008) ich im Sommer mit großem Gewinn, auch mit einigem Erschrecken gelesen habe, manche Passagen mittlerweile zum wiederholten Male. Die dort von ihm beschriebene Tendenz eines zunehmenden medikalisierten und professionalisierten/institutionalisierten sowie ökonomisierten Sterbens bis hin zu der Vorstellung, dass künftig Sterbehilfe, aktive bzw. gewerbsmäßige als Dienstleistung angeboten werden könnte, macht u.a. die Brisanz des Themas und die damit gestellte Aufgabe deutlich: welche Antworten wollen wir, welche Antworten soll unsere Gesellschaft geben, wie wollen wir mit Sterben und Tod umgehen, welche Sterbekultur schwebt uns vor? Ganz deutlich ist dabei, dass angesichts der Ausdifferenzierung der Prozesse, angesichts enorm zugenommener medizinischer Möglichkeiten und der damit verbundenen Ambivalenzen, auch angesichts sich wandelnder Einstellungen zu Sterben und Tod in unserer Gesellschaft nicht nur auf den Kranken und Sterbenden neue Fragestellungen zukommen sondern auch auf die, die ihn begleiten, mit ihm zu tun haben in ihren jeweiligen Kontexten. Und dies sind oftmals deutlich mehr Bezugspersonen als in früheren Zeiten. Es bedarf des Zusammenwirkens aller Akteure zum Wohle des Betroffenen, der allein die Koordination nicht leisten kann. Allerdings muss sichergestellt sein, dass er oder sie soweit irgend möglich in die anstehenden Entscheidungsprozesse eingebunden wird und nicht über ihn gehandelt und entschieden wird. Hier kommt die Patientenverfügung ins Spiel, aber auch die Angehörigen bzw. Betreuer. Wie wollen wir mit Sterben und Tod umgehen, welche Sterbekultur schwebt uns vor? Die Herausforderung angesichts in Gang befindlicher Veränderungsprozesse möchte ich so formulieren: Wir müssen an einer gesellschaftlichen Kultur arbeiten, in der Solidarität mit Kranken und Sterbenden selbstverständlich ist und die die Einsamkeit des Sterbens lindert. An einer Kultur, in der Menschen es zulassen können, abhängig und pflegebedürftig zu sein. An einer Kultur, deren Menschenbild sich nicht nur über Vitalität, Erfolg und Gesundheit definiert, sondern Altern, Nachlassen der Kräfte, Leiden, Schmerzen und Sterben integriert. An einer Kultur, die sich ein würdiges Leben und Sterben von alten und kranken Menschen etwas kosten lässt. 13 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Vielleicht kann diese Tagung einen Beitrag dazu leisten indem sie die unterschiedlichen Akteure zusammenführt, den Netzwerkgedanken stark macht, Modelle vorstellt, die anstehenden Probleme benennt und nach Lösungen sucht. Wenn uns dies in den zwei Tagen gelingt, wäre das viel und gut. So wünsche ich Ihnen einen guten Aufenthalt hier in Hofgeismar und vor allem eine anregende Tagung! Ich danke Ihnen. 14 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Eingangsstatement zur Fachtagung „Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod Hilfestellung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung“ am 30. November 2009 in der evangelischen Akademie Hofgeismar von Pfarrer Martin Schöppe, Bistum Fulda Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt Situationen in denen treffen wir gerne Entscheidungen. Vornehmlich ist das in solchen Situationen der Fall, wo wir nichts oder wenig zu verlieren aber viel zu gewinnen haben. Entscheidungen werden dort schwierig wo sie uns aufgrund unseres Berufes oder Amtes aufgetragen sind, oder wo wir gezwungen werden Entscheidungen zu treffen, für die wir vielleicht noch gar nicht bereit sind. Entscheidungen begleiten unser tägliches Leben. Das ist eine ebenso evidente wie herausfordernde Feststellung. Dabei sind Entscheidungen nicht nur von fachlichen oder rationalen Gründen getragen, sondern auch von spontanen, emotionalen oder zufälligen Beweggründen beeinflusst. Ziele, Wertmaßstäbe aber auch religiöse Grundprägungen und Glaubensüberzeugungen spielen dabei eine Rolle. In jedem Fall kann eine Entscheidung aber nur dort so genannt werden, wo sie eine bewusste Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten darstellt. Die heutige Tagung stellt sich aus verschiedenen Perspektiven den Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod und zwar im Hinblick auf eine bestmögliche Hilfestellung für die betroffenen Menschen. Dabei hat sich aber nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung der medizinischen Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten viel getan, auch die Einstellung der Menschen selbst hat sich deutlich gewandelt. Ein kleines Beispiel mag das verdeutlichen. Seit Rainer Maria Rilkes Protest gegen den anonymen Krankenhaustod verstand man unter einem „eigenen Tod“ das persönlich und bewusst angenommene Sterben. Heute soll mit dem Begriff des „eigenen Todes“ häufig das Recht postuliert werden, Art, Zeitpunkt und Umstände des eigenen Sterbens zu bestimmen und sich dazu der Mithilfe der Ärzte oder des medizinischen Pflegepersonals zu vergewissern. Aus christlicher Sicht wird es bei den Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod vor allem darum gehen, dem Sterbenden Raum für seinen eigenen Tod zu geben im Sinne einer menschlich und medizinisch umfassenden Sterbebegleitung. Dabei ist die Sinnhaftigkeit der Annahme des eigenen Todes keine spezifisch christliche Perspektive, sondern nach dem von Wittgenstein gebrauchten Wort der Tod ist sicher, sein Zeitpunkt aber unsicher, eine allgemein menschliche Erkenntnis. Die Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod sind nicht nur Fragen im Blick auf das Ende des Lebens, sondern vor allem Fragen im Hinblick auf die Vollendung des Lebens. In meiner seelsorglichen Praxis erfahre ich wie viele Menschen intuitiv begreifen, dass die Art ihres Sterbens sehr viel darüber aussagt wie sie das Leben begreifen und wie sehr sie sich ein schmerzfreies Sterben wünschen, das Abschied nehmen möglich werden lässt. Ebenso sagt auch der Umgang unserer Gesellschaft mit dem sterbenden Menschen sehr viel über ihre humane Qualität aus. 15 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar In Wort und Tat Jesu Christi waren Leben und Tod aufs Engste verbunden. Dabei förderte der Glaube an ein ewiges Leben keine Weltflucht sondern war und ist bis heute integraler Bestandteil einer zutiefst humanen Lebensweise. Aus meiner Erfahrung wird von den Menschen im Hinblick auf das medizinische Personal eine professionelle Leistung erwartet aber eben keine „Gottheit in Weiß“, die den Tod gar nicht auf der Rechnung hat. Gerade weil unsere Gesellschaft eine so große Distanz zu Sterben und Tod aufgebaut hat ist die Dankbarkeit der Menschen umso größer wo einfühlsam und ineinandergreifend von den Handelnden und Behandelnden dieses thematisiert wird. Überall wo zwischenmenschliche Begegnung und Austausch über die Fragen an der Grenze zwischen Leben und Tod entstehen kann wird das von den Menschen schon selbst als Hilfestellung erlebt und wertgeschätzt. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung ist deshalb technisch geboten, menschlich notwendig und seelsorglich ein Segen für die betroffenen Menschen! Der medizinische Betrieb und der einzelne Mensch in seiner Not scheinen es manchmal schwer miteinander zu haben. Aber es bleibt trotzdem richtig: die medizinischen Möglichkeiten auch am Ende des Lebens sind ein Segen für uns alle. Die Dankbarkeit über menschlich eingesetzte Technik kann man in vielen Gesichtern in unseren Krankenhäusern und Einrichtungen ablesen. Aus christlicher Sicht ist es eine treffende Assoziation, wenn einem der vier Evangelisten, Lukas, zugeschrieben wird, dass er von Beruf Arzt gewesen sei. Er hätte einem Wort von Albert Schweitzer, dessen Namen das Oberstufengymnasium hier in Hofgeismar trägt, sicher zugestimmt: Die Wissenschaft richtig verstanden, heilt den Menschen von seinem Stolz, denn sie zeigt ihm seine Grenzen. Sehr geehrte Damen und Herren, gerne wünsche ich der Tagung seitens der katholischen Kirche einen guten Verlauf und Danke zugleich für Ihre Aufmerksamkeit. 16 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Hat das Sterben noch Zukunft? Professor Dr. Reimer Gronemeyer/Andreas Heller 17 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Andreas Heller/Reimer Gronemeyer Stirbt die Hospizbewegung am eigenen Erfolg? Ein Zwischenruf Die Hospizbewegung ist erfolgreich. Wo sonst trifft man heute so viele Menschen guten Willens wie im Tätigkeitsfeld Hospizarbeit und palliative Versorgung? Allein in Deutschland sind 80 000 Freiwillige in die Hospizarbeit eingebunden. Manchmal sieht es fast so aus, als würden sich die Nachdenklichen und Unangepassten, die der Beschleunigungs- und Konkurrenzgesellschaft überdrüssig sind, in diese hospizliche Gegenwelt retten. Dort haben die lebenswichtigen Fragen nach Würde und Menschlichkeit, nach Mitleidenschaft und Mitverantwortung, nach Liebe und Freundschaft, nach der Spiritualität und dem „Danach“ offenbar noch einen Platz. Im Sterben und mit den Sterbenden – so hofft man - tritt das Leben noch einmal aus dem Schatten eines konsumistischen und oberflächlichen Dahinlebens. Viele scheinen zu ahnen, dass das Sterben der letzte „heilige Ort“ ist, den wir noch haben, weil sich dieser Lebensabschnitt der dummdreisten Oberflächlichkeit, die unser Leben üblicherweise prägt, entzieht, Die Hospizbewegung ist auf den Weg gekommen als der Versuch, neue Räume zu schaffen, in denen ein würdiges Sterben möglich ist – durch ambulante oder stationäre Unterstützung. Der wichtigste Impuls der Hospizbewegung ist ihre Sozialität gewesen: Das Sterben wollte sie herausholen aus einer rein medizinischpflegerischen Versorgung, die zudem schwere Mängel aufwies: Tabuisierung des Themas Tod, Abschieben ins Badezimmer, Ausschluss der Angehörigen etc. Heute sind diese Räume, die durch die Hospizbewegung geschaffen worden sind, als soziale Räume aufs Höchste gefährdet: „Sterben“ selbst ist so gefährdet wie der Urwald am Amazonas. Das Lebensende wird gegenwärtig zum Adressaten eines planungs- und kontrollbesessenen Projekts. Die Menschen wurden in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, „Lebensplanung“ zu betreiben, nun tritt eine Art „Sterbeplanung“ hinzu. Die Patientenverfügung ist das vielleicht anschaulichste Beispiel dafür, dass wir neuerdings unter den Druck geraten, uns planend in eine Situation hineinzuversetzen, in der wir dement oder krebskrank sind. Und dann sollen wir sagen, welche Entscheidungen in dieser Situation getroffen werden sollen. Neben der Patientenverfügung ist die Debatte um „Sterbehilfe“ ein deutliches Zeichen für die beginnende Projektierung des Sterbens: Der moderne Mensch, bis in die Zehenspitzen von seiner Individualität und 18 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Autonomie überzeugt, kann es sich nicht mehr vorstellen, dass der Tod „kommt“, sondern er muss ihn in seine eigene Verfügungsgewalt zu bekommen versuchen. Das „Eigene Sterben“ ist bedroht: Wenn man im Urwald-Bild bleiben will, könnte man sagen: Das Eigene, das früher in einer Fülle von Ritualen erkennbar war, wird abgeholzt. Und so wie im Amazonasbecken öde Agrarsteppen an die Stelle der Vielfalt treten, so tritt an die Stelle des eigenen Sterbens ein in professionelle Dienstleistungen eingeschnürtes Ableben. Angstfrei, schmerzfrei, pharmakologisch und spirituell narkotisiert. Die Hospizbewegung ist in der Gefahr, diesem Prozess selbst auf den Leim zu gehen. Sie scheint sich oft selbst nicht zu trauen: Statt mit Selbstbewusstsein darauf zu bestehen, dass die soziale Einbettung der Sterbenden die wichtigste Voraussetzung für ein würdiges Sterben ist, lässt sie sich auf das Stühlchen der Ehrenamtlichen am Bett setzen, die dem medizinisch-pflegerischen Tun selbstverständlich die Priorität einräumt. Statt davon auszugehen, dass sie das Eigentliche hütet, buhlt sie immer mehr um die Anerkennung durch die Palliativmedizin. Dass die Hospizler auch professionell handeln, dass sie auch ausgebildet sind, wird zum wichtigsten Argument in der Debatte. Die Hospizbewegung macht sich selbst zum clerus minor, zu den Laienbrüdern, neben den wahren medizinischen und pflegerischen Priestern. Damit besteht die Gefahr, dass die Hospizbewegung selbst es ist, die der Medikalisierung, Institutionalisierung und Ökonomisierung des Lebensendes den Weg freimacht. • Medikalisiert, weil Hospize künftig von Ärzten geleitet werden sollen, was den Sieg der Palliativmedizin über die Hospizbewegung endgültig machen würde. • Institutionalisiert, weil jeder – ob ambulant oder stationär - zum potenziellen Kunden palliativer Angebote werden soll. Palliative Care will gerade „flächendeckend“ werden. Wer noch unbetreut stirbt wird zum Sonderling. • Ökonomisiert, weil die Sterbekosten künftig genau kalkuliert werden. Sterben war zu teuer geworden, soll künftig durch palliative Angebote betriebswirtschaftlich besser kalkulierbar werden. Summa summarum: Die Hospizbewegung ist in der Gefahr, ein Teil jenes Prozesses zu werden, der das Sterben zur Planungsaufgabe werden lässt. Sie ist aufgebrochen, um aus dem Ägypten eines kalten und seelenlosen Krankenhaussterbens auszuziehen und kommt nun nicht etwa im gelobten Land einer würdigen Sterbekultur an, sondern findet sich plötzlich als Teil eines Managementprojektes, das „Sterben“ heißt, wieder. 19 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Die Hospizbewegung ist zu erfolgreich. Und sie droht an diesem eigenen Erfolg zu Grunde zu gehen. In spätestens zehn Jahren wird sie gestorben sein, wenn sie die Richtung nicht ändert oder sie wird so in die Palliativmedizin inkorporiert sein, dass sie sich selbst nicht mehr wiedererkennt. Die Totengräber der Hospizbewegung sind schon am Werk und sie kommen vorzüglich aus den eigenen Reihen - und wissen nicht, was sie tun. Die Hospizbewegung ist in der Gefahr, bürokratisch stillgelegt zu werden, ihre Vitalität wird gerade gezähmt durch Regelfinanzierungen. Die Glut des Charismas erstickt in Qualitätskontrollen. Flächendeckend, bettendeckend werden die Standards für Lebensqualität vorgegeben, die Milligrammdosen Schmerzmittel ausgerechnet. Die Pathways für ein künftiges standardisiertes, gleichgeschaltetes Sterben sind schon einprogrammiert. Auf den Bildschirmmasken lassen sich die Versorgungsverläufe mit den Verrechnungsdaten leichthändig bedienen. Die Hospizbewegung hat sich unter dem von ihr empfundenen Professionalisierungsdruck das ganze Vokabular und die Vorgehensweise moderner Sozialtechnologien angeeignet. Auch weil sie immer mehr Distanz zur Bürgerbewegung bekommen hat und immer mehr an Geldtöpfen hängt: Geldgeber wollen wissen, wo ihr Geld bleibt und wie es verwendet wird. Und auch die „Kunden“ haben ein Recht auf Vergleichbarkeit, auf Überprüfung der geleisteten Dienste, auf Transparenz und Preis-Leistungsverhältnisse. Aber wenn man EDV-gestützte Pflegedokumentationen anlegt und anlegen muss, dann ist die Gefahr, • dass der Patient mehr über Daten beobachtet wird als über den unmittelbaren körperlichseelischen Kontakt: Qualitätsstandards werden erst generalisiert und dann auf den Einzelfall appliziert; • dass nur zählt, was auch gezählt werden kann. Menschen sind aber in ihrer Geschichte und in dem ihnen Eigenen nicht in Zahlen fassbar; • dass das Biographische, der soziale Hintergrund des Lebens und sein Verlauf in einer Fußnote verschwindet, in den Masken der Computerprogramme. Man kann ja nicht fassen, ob ein Mensch Hoffnung hat und woraus er sie nährt. Wenn jemand infolge der Chemotherapie des Lebens müde wird, dann wird ihm ein Fatigue-Syndrom diagnostiziert, das dann medikalisiert werden kann. Der Einsatz von Antidepressiva hilft im nächsten Schritt, die Folgen chemischer Eingriffe in den Organismus zu nivellieren. Schon ziehen sich gerade die Engagiertesten zurück, weil sie in den Debatten, die geführt werden, nichts mehr erkennen von jenen Motiven, die sie anfangs beflügelten. Ehemalige Pioniere degenerieren zu Lobbyisten in Sachen Sterben und Tod. Die Gefahr droht, dass Sterbeverwalter, Thanatokraten, die Regie über- 20 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar nehmen. In den Gesundheitsämtern und Behörden beginnen sich die Beamten des Sterbens verwaltungstechnisch anzunehmen (Erwogen wird in Deutschland, dass die Gesundheitsämter die Kontrolle über die Vergabe der Gelder für ambulante palliative Dienste übernehmen: Irgendjemand muss ja definieren, wer ein palliativer Patient ist, für den man eben eine begrenzte Zeit lang Geld ausgibt). Ein Blick zurück ist notwendig: Die Vision des Anfangs war eindeutig. Das Ziel der Hospizbewegung bestand darin, Menschen ein Sterben in Würde und Individualität zu ermöglichen (to die in dignity and character). Das war eine eindeutige Opposition gegen die Hospitalisierung des Sterbens. In den Krankenhäusern wusste man mit Komatösen und Austherapierten nichts anzufangen, sie wurden irgendwo abgestellt. Es war ja nichts mehr zu machen. Sterbende hatten im Krankenhaus, das Heilung versprach, eigentlich nichts zu suchen. Das hat sich geändert. Die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat im Rückblick auf ihr Lebenswerk gesagt, sie sei stolz darauf, den Tod von der Toilette geholt zu haben. Die Hospizbewegung war ja zu Beginn eine gesellschafts- und medizinkritische Kraft. Sie übte berechtigte Kritik an der atemlosen intensivmedizinischen Lebensverlängerungsideologie. Es gab und gibt hier oft immer noch kein Innehalten. Die Frage, was passiert, wenn alles nichts nutzt, durfte nicht gestellt werden. Die systematische Verleugnung des Sterbens ließ den Tod tatsächlich als peinliches Missgeschick, als eine Art Betriebsstörung, als statistischen Ausreißer in den Forschungsreihen der Medizin erscheinen. Ein Zwischenfall eben. Der Hospizbewegung gelang es erfolgreich, Sterben und Tod und Trauer aus dem nebulösen und peinlichen Umschweigen in die gesellschaftliche Öffentlichkeit zu stellen. Das Dethematisierte wird thematisiert, Unaussprechliches ausgesprochen, Gefühle wurden denkbar, Gedanken fühlbar. Der andere Pol, der durch die Hospizbewegung angestoßenen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Sterben, entwickelte sich in der Abgrenzung zu den Gesellschaften in Europa, die auf Euthanasie als eine Möglichkeit gesetzt haben. Bei den Befürwortern der Euthanasie hatten sich Menschen organisiert, die nicht zuletzt auf dem Hintergrund der rasanten Erfolgsgeschichte der Intensiv- und Transplantationsmedizin, der technikintensiven Apparatemedizin, den Verlust von Würde und Menschlichkeit beklagten und die Entmündigung durch den Paternalismus der Medizin. Im Widerspruch dazu forderten sie die Freiheit für ein selbstbestimmtes Sterben, die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Man suchte nach Wegen, ein als menschenunwürdig betrachtetes Leben würdig, d.h. selbst oder mit fremder Hilfe zu beenden. Bis heute führt die Euthanasiebewegung zu politischen Bemühungen in Europa, die aktive Sterbehilfe zu entkriminalisieren. Erst jüngst titelte der Stern in bewusster visueller und textlicher Anlehnung an die 1972 21 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar erschienene Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben“, die bekanntlich zu einer Novellierung des §218 führte: „In Würde sterben. Zwölf schwer kranke Menschen erzählen, weshalb sie dafür ins Ausland fahren müssen. Sie fragen: Warum wird Sterbehilfe in Deutschland nicht erlaubt?“ (Stern Nr. 48 vom23.11.2006). Die Diskussion hat erst begonnen. Es mehren sich die Anzeichen, dass in ein paar Jahren die Euthanasie als ein Dienstleistungsangebot in vielen Ländern Einzug gehalten haben wird. Man kann dann wählen, weil das marktgesellschaftliche Muster ohnehin unser Leben bestimmt. Man kann ja sowieso immer und alles wählen. Das Lebensmuster, die Partner, die Kinder, ihre Zahl und ihr Geschlecht, den Beruf, den Wohnort. Warum sollte man nicht auch die Art und Weise seines Lebensendes wählen? Das Grundelement unserer Existenz ist die Wahl zwischen Angeboten, und diese Wahlmöglichkeit will sich nun auch im Bereich „Lebensende“ durchsetzen. Der „flexible Mensch“ von dem Richard Sennett spricht, steht unablässig unter dem Zwang, sein Leben zu gestalten, nun also auch sein Ende. Der Segen der Freiheit hat sich in den Fluch des Gestaltungszwangs gewandelt. Die monadenhafte und fensterlose Autonomie, die ins unerträgliche gesteigerte Zumutung der Selbstbestimmung, kehrt sich um in die Überforderung, Alles unablässig selbst entscheiden zu müssen, sogar das Lebensende. Die nächste Generation beobachtet die Älteren übrigens genau. Die Finanzbuchhalter im Gesundheitsbereich und Krankenhausökonomen rechnen vor, wie teuer man ist, wie kostspielig die letzten Wochen und Monate für das System sind. Immer lauter kann man einen Singsang hören, der darauf hinausläuft, dass man sich als überflüssig empfinden soll, wenn man nicht mehr leistungsfähig ist und sich bitte selbst als Sparopfer auf den Altar legen möge, und dann eigenhändig den Wunsch nach Selbstabschaffung zu formulieren. Der Europarat hat die Euthanasiediskussion schon drei Mal auf die Tagesordnung gesetzt und drei Mal wurde die Debatte abgesetzt: Man befürchtete, dass die Bereitschaft, Euthanasie europaweit zuzulassen, schnell eine Mehrheit finden werde. Bisher kann man eher eine Zustimmung in den Ländern protestantisch-calvinistischen Ursprungs erkennen, während in den katholisch geprägten Regionen wie in Bayern und Österreich, die Hospizbewegung starken Zuspruch hat und die Ablehnung der Euthanasie konstitutiv ist. Die Erfolgsgeschichte der Hospizidee ist angesiedelt zwischen diesen beiden Polen, zwischen dem Eintreten für sterbende Menschen und ihre Angehörigen und der Kritik an Verhältnissen, die menschwürdiges Sterben unmöglich machen. Der Bau eigener Häuser, der stationären Hospize, war ja letztlich das skeptisch- 22 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar resignative Signal, dass in den herkömmlichen Organisationen ein "gutes Sterben“ wohl nicht möglich sei. Architektur gewordene Kritik am Status Quo. Auf der anderen Seite wurde der aktiven Euthanasie in der Hospizbewegung immer eine klare Absage erteilt. Das war das Credo der Hospizbewegung. Zunächst hat sich die Hospizbewegung die Kritikfähigkeit abkaufen lassen. Der Vorgang erinnert an die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Schuster. Der Schuster sitzt bei seiner Arbeit im Keller und singt den ganzen Tag vor sich hin, heiter und vergnügt. Das stört den Reichen beim Geldzählen. Er bietet dem Schuster an, gegen eine große Summe Geldes auf sein Singen zu verzichten. Der Schuster tut es, wird unglücklich und gibt schließlich dem Reichen das Geld zurück. Die Hospizbewegung hat die Kritikfähigkeit, die Freiheit und Unabhängigkeit, das eindeutige Eintreten für die Schwachen und Lobbylosen weitgehend preisgegeben, fasziniert von der Möglichkeit, im Festsaal der Macht mit am Tisch zu sitzen und im Schweinwerferlicht der Öffentlichkeit Erfolg und Ansehen zu haben. Endlich wird gesetzlich und finanzpolitisch honoriert, was bis dato nicht in den gängigen Währungseinheiten der Gesellschaft verrechenbar war. Der Kapitalismus als Religion der Moderne (Walter Benjamin) hat auch die Hospizbewegung erreicht und droht sie aufzufressen. Natürlich nicht im Sinne der Selbstbereicherung, aber im Sinne des Aufbaus starker Organisationen und einflussreicher Lobbys, kurz der Unterwerfung unter den mainstream Das Ziel der Hospizbewegung hat sich still und heimlich, im Grunde unheimlich, verändert. Heute sind als Ziele der Hospizbewegung ein Sterben mit Lebensqualität und in Schmerzfreiheit ausgewiesen. Damit besteht die Gefahr, dass die Hospizbewegung endgültig in die prestige- und finanzstarke Dynamik der Medizin und Pharmaindustrie gerät. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz, der Dachverband der deutschen Hospizbewegung, setzt sich seit Jahren u.a. für die Förderung der Palliativmedizin ein. Darunter leidet die Aufmerksamkeit für die Palliativpflege und die palliative Seelsorge. Das wird ihr aber von Seiten der Ärzteschaft nicht gedankt. Auf der medizinischen Seite ist die Absicht klar: Es geht um die Integration der Hospizbewegung in die Schuldmedizin (so der langjährige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin). Dieser Inhalationsvorgang, diese tödliche Umarmung, ist im Gange. Das neue Fach im Kanon der medizinischen Fakultäten, die Palliativmedizin, mobilisiert nicht nur Stiftungsgelder und Lehrstühle, Forschungsmittel und Karrierewege, es definiert auch neu, um was es im Sterben geht und kann mit Unterstützung rechnen. Die Mutation der Hospizidee in das gegebene Wissenschaftssystem der Gesellschaft ist schon geglückt. Seit 40 Jahren gibt es nämlich keine Bemühungen, die 23 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Hospizarbeit in eigener Weise akademisch zu verorten. Die Hospizbewegung gerät in die Versuchung, die moderne Ratlosigkeit im Umgang mit Sterben und Tod kurzerhand in technische und sozialtechnische Fragen umzuwandeln, um so der Ratlosigkeit zu entkommen. Begriffe, die neuerdings in diesem Umfeld – der Versorgung am Ende des Lebens - auftauchen, lassen die Gefahr ahnen: Da ist mancherorts heute ebenso vom „Sterbemanagement“ die Rede wie von „qualitätskontrolliertem Sterben“, von Symptom- und Schmerzkontrolle, von „total pain management“ usw. Man muss vermuten, dass, wer so redet, seine eige- nen Ängste in technischen Abläufen zum Schweigen bringen möchte. Sterben die Patienten qualitätskontrolliert, als Teil eines Forschungs- und Betreuungsprojektes, kann man beruhigt konstatieren, dass sie noch einen Nutzen für das Allgemeinwohl gebracht haben, für die Zukunft der Menschheit. Die männlich dominierte Palliativmedizin ist ein Teil der Hochleistungmedizin, sie braucht die Anerkennung der schuldmedizinischen Kollegen, sie betreibt Standespolitik. Eine Hospizbewegung, die diese Dynamik nicht kritisch betrachtet, gibt sich selber auf. Die Themenführerschaft ist ihr verlorengegangen, jetzt ist körperliche Schmerzfreiheit das wichtigste Ziel im Sterben. Jahrhundertelang hatten Menschen am Ende des Lebens andere Themen und Sorgen als total pain management. Schmerzen waren weniger wichtig als die Erschütterung über die begrenzte Lebenszeit, oder angesichts der bewegenden Fragen: Was ist mit den Menschen, die ich zurücklasse? Wie geht es mit mir weiter? Die Ökonomisierung des Sterbens hat verschiedene Facetten. Zunächst geht es darum, die Dienstleistungen im Sinne der Hospizbewegung zu refinanzieren. Dazu wurde in der Vergangenheit ein bemerkenswerter Lobbyismus an den Tag gelegt. Politik funktioniert eben so, dass man in Berlin ist, dass man die Spiele der Macht und die Einflussnahme für die zweifelsfrei gute Sache nutzt. Dass man bei Gesetzesvorlagen die entsprechenden Parteien „informiert“ und antichambriert. Die Hospizbewegung lebt ursprünglich aus einer zutiefst demokratischen Vorstellung. Würdiges Sterben ist keine Geldfrage, darf nichts damit zu tun haben, ob jemand reich oder arm ist. Über Spenden, viel Phantasie und Einsatz, in einem unvorstellbaren großen zivilgesellschaftlichen Engagement gelang es, Gelder zu mobilisieren, um jedem Menschen ein gutes Sterben zu ermöglichen. Diese Revolution wird jetzt gestoppt und konterkariert. Grundlage sind nun die Beitragssätze der Krankenkasse. Die Gefahr ist, dass daraus ein Sterben in verschiedenen Klassen folgt. Die Luxusklasse des Sterbens haben im Augenblick die Kinder gebucht. 24 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Leider sterben auch immer wieder Kinder. Von den etwa 80.000 Menschen, die jährlich in Österreich sterben, sind es etwa 0,1 Prozent. Zahlen bedeuten hier nichts. Schrecklich die Schicksale, die emotionalen und sozialen Beben, die das Sterben eines Kindes auslösen kann. Einige dieser Kinder sterben langsam und vorhersehbar an Krebserkrankungen, andere an unheilbaren Stoffwechselerkrankungen. Das Entsetzliche und gleichzeitig Erschütternde ist, dass diese Kinder sterben, obwohl sie scheinbar nicht gelebt haben. Sie sind die Zukurzgekommenen, jedenfalls aus der Sicht der anderen. Kann ein Kind lebenssatt sterben? Oder teilen uns manche leidenden Kinder mit: Ich kann nicht leben? Und wäre diese Mitteilung zu respektieren? Seit den Anfängen der Hospizbewegung wird immer wieder beobachtet und berichtet, dass Kinder eine Größe und Reife in ihrem frühen Sterben entwickeln können, die tief beeindruckt. Es gibt auch das Gegenteil. Und darüber hinaus zerbrechen Ehen am Sterben der Kinder, Geschwister werden krank, Mütter fühlen sich schuldig, Familien verstummen und ersticken im Leid oder in der Atemlosigkeit des Davonlaufens, meistens der Väter. Dies ist eine Frage an Freunde, Nachbarn und Ehrenamtliche aller Provenienz, die mit dem Satz: Einer trage des anderen Last“ etwas anfangen können. Es geht darum, sich mit der Last der anderen zu belasten und seine eigene Belastbarkeit zu spüren, seine eigene Fähigkeit zum Mitzufühlen und zur Mitleidenschaft, zum Verschenken von Zeit zu erfahren. Manchmal reicht es schon, einfache Unterstützungen, kleine Alltagshilfen anzubieten. Ein führender deutscher Onkologe (Pädiater an einer Universitätsklinik) sagte neulich: „Das Schwere ist oft, dass die Kinder gehen wollen, loslassen können, keine weitere Therapie wünschen und die Eltern und wir Ärzte halten dagegen. Wir Erwachsenen verbünden uns gegen die Kinder, mit dem Argument, ihnen helfen zu wollen, die eigentlich eine andere Hilfe brauchen als Operationen, Chemotherapien, Strahlentherapien, von denen sie müde und mürbe geworden sind.“ Eine bemerkenswerte Einsicht. Was brauchen Kinder? Brauchen sie Hospize? Es gibt sie und es wird sie geben, überausgestattet, mit der Gefahr behaftet, kleine Legoländer, konsumistische Spielzeugparadiese zu werden. Es wiederholt sich das Elend der Kinderzimmer im Hospiz: Kinderzimmer, die ja heute im Allgemeinen wie Plastikmüllhalden aussehen. Und das Elend kehrt im Hospiz wieder und gibt sich als Teilhabe am Leben aus. Spielzeuggeschäfte ausgeleert in Kinder- Sterbeparadiesen, in denen es alles gibt, was Erwachsene glauben, dass es ein sterbendes Kind glücklich machen könnte. Wer wäre nicht bereit zu spenden, für diese armen kranken Kinder? 25 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Aber: Der Spendenmarkt ist begrenzt. Es wird gesamtgesellschaftlich nicht beliebig viel gespendet. Spenden hat eine Logik. Das wissen diejenigen fundraiser, die auf das Herbeischaffen von Geld spezialisiert sind. Für ein zweijähriges sterbenskrankes, kahlköpfiges Kinder lässt sich leichter werben und Geld mobilisieren als für eine alte, kranke, verwirrte, arme und einsame Frau, die in einem Pflegeheim ihrem Ende entgegen dämmert. Die Alten sind nicht nur schon sozial gestorben, sie werden auch noch einmal ökonomisch ausgegrenzt, finanziell verachtet. Braucht es Häuser, die von prominenten Schirmherrinnen, eröffnet werden, für viele Millionen gut ausgestattete Schmuckstücke. die in der Gefahr sind, zu Sterbegefängnisse für die Geschwister zu werden, die lernen müssen, ihre Ferien dort zu verbringen, weil die Schwester oder der Bruder sterben? Werden da die Geschwister in „Sterbehaft“ genommen? Welches Kind, kann sich dem sozialen und emotionalen Sog des Sterbens entziehen? Gegenwärtig rückt die Tatsache immer mehr ins Blickfeld, dass das Sterben in den entwickelten Industriegesellschaften teuer ist. Menschen in ihrer letzten Lebensphase verursachen hohe medizinische Aufwendungen. In einem Interview im „Standard“, Wien, das Bert Ehgartner mit dem Gesundheitsökonomen Christian Köck von der Universität Witten Herdecke geführt hat (22.1.2007), ist noch die Scheu davor zu spüren, die Spardiskussion mit der Frage zu verknüpfen, was denn noch lebenswert ist. (Und dahinter taucht natürlich geradezu zwangsläufig die Frage nach dem „lebensunwerten“ Leben auf.). „Die letzten Tage auf der Intensivstation, wenn der Arzt schon weiß, dass ein Patient nicht überleben wird und die Patienten schon selbst nicht mehr wollen: da ist enormes Sparpotenzial drin. Das ist eine ganz dramatische, schwierige Situation, speziell für ein Land wie Österreich, weil es hier um die Frage eines lebenswerten Lebens geht. Trotzdem muss man die Diskussion führen.“ (Seite 20). Das betriebswirtschaftliche Kalkül verschafft sich gerade Zutritt in die Räume, in denen gestorben wird. Die Sterbenden sind ein Kostenfaktor in der Systembilanz und dieser Kostenfaktor wird immer deutlicher, um nicht zu sagen: schamloser benannt. Und die Hospizbewegung muss diese Frage mit wachen Augen verfolgen. Die Gesundheitsreform, die in Deutschland im April 2007 in Kraft tritt, spricht im Hauptsatz von den medizinischen und pflegerischen Leistungen für Sterbende, die nun in ambulanten palliativen Diensten organisiert und bezahlt werden. Im Nebensatz ist von den ehrenamtlichen Diensten die Rede, die auch weiterhin erbracht werden sollen, kostenfrei oder kostengünstig, aber im Vorhof der medizinisch-pflegerischen Tä- 26 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar tigkeit. Das zeigt die Richtung an. Erstens: Am Sterben wird künftig gespart. Zweitens: Die Ehrenamtlichen dürfen eine unscheinbare Nebenrolle spielen, weil sie kostenmindernd wirken. Hippokrates wusste noch, dass der Arzt sich zurückziehen muss, wenn die Anzeichen des Todes zu erkennen waren, sein Rückzug ermöglicht den Auftritt und Zutritt der Familie und Freunde. Wir haben heute Bilder entwickelt, dass das Sterben nicht sein darf, der Tod hinausgeschoben werden muss, wir tun uns schwer zu sagen und zu entscheiden: Ich habe mein Leben gelebt. Ich habe genug Zeit für mich gehabt und jetzt habe ich Zeit für andere. Wir warten immer darauf, dass noch etwas kommt. Die unersättliche Lebensgier, an der wir alle teilhaben, macht es schwer, dem Ende mündig und würdig entgegenzusehen. Die Hospizbewegung ist eigentümlich defensiv. Sie bemüht sich um die Anerkennung durch die Palliativmedizin, imitiert die Standardsüchtigkeit der Medizin und ist sich zugleich nicht bewusst, wie unabdingbar sie künftig zur Stütze der Gesellschaft werden kann, die nach dem Sozialstaat und nach der staatlichen Daseinsfürsorge kommt. Wenn sie sich damit begnügt, so etwas zu sein wie der clerus minor (der untergeordnete Laienorden) der Palliativmedizin, dann hat sie sich aufgegeben und sie wird in einigen Jahren verschwunden sein oder nur noch dem Namen nach existieren. Sie muss – will sie überleben - viel stärker das zivilgesellschaftliche Element betonen, sollte es wagen, darüber nachzudenken, wie Gemeinschaftlichkeit und Sozialität aussehen in einer Gesellschaft, die immer radikaler neoliberal wird und die Risiken des Lebens in das Private zurückverlagert. Zwar ist es wichtig, gegen diesen Versuch der Reprivatisierung der Risiken zu opponieren, aber zugleich gälte es, über den Tellerrand staatlicher Daseinsfürsorge hinauszusehen. Die ungeheure Chance, die darin liegt, mit der Hospizbewegung von den Rändern der Gesellschaft her – und Sterben ist die exemplarische Randlage – eine neue Kultur des Helfens zu entwickeln und zu verwirklichen: die wäre wahrzunehmen. Unser Morgen, erst recht unser Lebensende lässt sich nicht planen, kalkulieren oder rechtlich definieren und endgültig klären. Das hat Bert Brecht in wunderbare Worte gefasst: „Ja, mach nur einen Plan, sei ein großes Licht. Und mach dann noch ´nen zweiten Plan. Geh´n tun sie beide nicht.“1 Unsere Zukunft ist unvorhersehbar und sie lässt sich nicht durch Willenserklärungen für den Fall, dass wir Möglichkeiten verlieren (durch Demenz, durch ein Wachkoma) planen. Wir brauchen einen Men1 Bertold Brecht: Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens, in: Die Dreigroschenoper, Frankfurt 1968, S. 77. 27 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar schen, der uns kennt, achtet, versteht und in der Lage ist auf neue Situationen, veränderte Rahmenbedingungen, dieses liebend-freundschaftliche Kennen anzuwenden und durchzusetzen. (Ch. Student) Wir müssen uns riskieren, müssen jetzt Nähe, Vertrauen, Liebe und Freundschaft leben, und was vielleicht schwerer ist - auch annehmen: Die Dinge, die wichtig sind, müssen mit den anderen teilbar sein, die ich zuerst lieb habe und mit denen ich dann sprechen will. Dieses Mitteilen braucht einen Rahmen, ist ein convivium, braucht Brot, Wein, eine Suppe, etc. den Austausch und das Teilen, das Mitteilen und ist offen für Dritte. „Auf diese Weise kann man das Wachsen einer offenen Gruppe befördern, die als Einzelne von der Treue zueinander bewegt sind und die es wagen, an der Treue auch dann festzuhalten, wenn der andere zu einer Last wird“ So hat es Ivan Illich formuliert.2 So fing die Hospizbewegung einmal an. Gibt es ein Zurück in die Zukunft? 2 Ivan Illich, In den Flüssen nördlich der Zukunft. Letzte Gespräche über Religion und Gesellschaft, München: Beck 2006 174f. 28 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Komplexe Dilemmata bei Entscheidungsprozessen am Lebensende Hilfe und Unterstützung durch Kooperation und Vernetzung Arbeitsgruppen 29 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Vernetzungssysteme im ambulanten Bereich Friedhelm Menzel 30 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 31 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 32 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 33 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 34 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 35 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 36 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 37 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 38 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 39 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethikberatung in der stationären Altenhilfe Vorstellung des Frankfurter Ethik-Projektes Timo Sauer / Martin Trost 40 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 41 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 42 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 43 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 44 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 45 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 46 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 47 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 48 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 49 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 50 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 51 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 52 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 53 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 54 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 55 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 56 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 57 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 58 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 59 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethikvisite – Ein erster Türöffner für ethische Fragestellungen? Konzept der Ethikvisite für Aus- und Fortbildung Walter Ulrich / Dr. Frank Hofmann 60 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 61 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 62 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethische Entscheidungen in der Betreuungspraxis Dr. Arnd T. May / Brunhilde Ackermann 63 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethische Entscheidungen in der Betreuungstätigkeit Einleitung Die Tätigkeit im Betreuungswesen ist geprägt von Entscheidungen für Menschen, die diese Entscheidungen aktuell selbst nicht mehr treffen können. Der Betreuer muss die Wünsche des Betreuten berücksichtigen, soweit sie seinem Wohl nicht zuwiderlaufen. Betreuer müssen sich mit ihren eigenen Wertvorstellungen auseinandersetzen und Kompetenzen in ethischem Argumentieren besitzen. Grundzüge des Betreuungsrechts Das staatliche Verfahren der Betreuung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches unter Aufsicht des Betreuungsgerichts enthält als zentrale Vorschrift im Betreuungsrecht die Bestimmung des § 1896 I 1 BGB: „Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer.“ Die Grundsätze der Erforderlichkeit und Subsidiarität nach § 1896 II 2 BGB sind prägendes Merkmal des Betreuungsrechts3. Nach dem Subsidiaritätsgrundsatz in § 1896 I, II BGB entfällt die Bestellung eines Betreuers, wenn andere, ebenso gute, Hilfen vorhanden sind oder der Betroffene selbst durch eine Vorsorgevollmacht vorgesorgt hat. Diese „ebenso guten“ Hilfen entfalten stets nur solange Wirkung, wie der Rechtsverkehr „vollmachtloses Handeln der freiwilligen Helfer akzeptiert“4. Die Einrichtung einer Betreuung ist nachrangig. Das Betreuungsgericht stellt die Notwendigkeit einer Betreuung fest Der Betreuer als Interessenvertreter des Betreuten muss die individuelle Sichtweise des Betreuten unter Berücksichtigung der Lebensumstände und dessen grundsätzlichen Wünschen und Werten respektieren. Paragraph 1901 III 3 BGB fordert, dass der Betreuer wichtige Angelegenheiten mit dem Betreuten bespricht, bevor er sie erledigt, sofern dies dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft. Durch dieses ausführliche Gespräch kann das individuelle Wertesystem und das Konzept des Guten ermittelt werden und als Grundlage für zukünftige Behandlungsentscheidungen und andere Entscheidungen dienen. Besprechen 3 Vgl. Langenfeld A: Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patiententestament nach dem neuen Betreuungsrecht 1994 4 Schmidt G, In: Schmidt G, Böcker F, Bayerlein R, Mattern C, Schüler M: Betreuungsrecht in der Praxis 1999, § 1 Das Verfahren in Betreuungssachen, Rdnr. 16 64 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar bedeutet ein Informieren des Betreuten über den Stand der Angelegenheiten, die möglichen Maßnahmen und Absichten des Betreuers, sowie ein Gespräch mit dem Betreuten mit dem Ziel, seine Vorstellungen, Wünsche und Werte zu ermitteln Neben den verfügbaren Fachkenntnissen muss ein Betreuer auch über Weisheit und Klugheit verfügen, die über die Sachebene hinausgeht. Diese Klugheit umfasst Erkenntnis und die Entschlossenheit zur Umsetzung des erkannten Richtigen. Neben der Klugheit muss der Betreuer eine gewisse Treffsicherheit und Intuition entwickeln. Neben der Sachkompetenz muss ein Betreuer über Selbstkompetenz5 verfügen. Autonomie und Fremdbestimmung „Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper gehört zum Kernbereich der durch das Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit des Menschen“6 – so beginnt der Abschlussbericht vom 10. Juni 2004 der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ des Bundesministeriums der Justiz. Das auch am Ende des Lebens geltende Selbstbestimmungsrecht schützt Menschen vor Fremdbestimmung. Spätestens seit der Aufklärung kommt der Selbstbestimmung des Menschen eine zentrale Bedeutung zu. Immanuel Kant hatte Selbstbestimmung in einer langen Traditionslinie erstmals 1784 programmatisch verwendet und zugleich Autonomie zum Grundbegriff philosophischen Denkens erhoben. Das Prinzip der Selbstbestimmung ist der Freiheitsidee der Philosophie der Aufklärung verbunden. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erklärt zu Beginn in Artikel 1 die Würde des Menschen als unantastbar und erweitert dies in Artikel 2, welcher die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt. Autonomie ist die Fundamentalausstattung und Verfasstheit des Menschen. Selbstbestimmung stellt die aktive Manifestation der Autonomie dar. Selbstbestimmung ist die Fähigkeit des Menschen nach eigener Einsicht zu handeln. Ein autonomer Mensch kann selbstbestimmt handeln, muss es aber nicht. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten kommt im Prinzip der Einwilligung nach Aufklärung (informed consent) zum Ausdruck. Für ein gelungenes Arzt-Patient Verhältnis ist die Einwilligungsfähigkeit des Patienten erforderlich. Der einwilligungsfähige Patient ist Gesprächspartner für die Aufklärung vor einer medizi- 5 Vgl. Oberloskamp H, Schmidt-Koddenberg A, Zieris E: Hauptamtliche Betreuer und Sachverständige. Ausbildungs- bzw. Anforderungsprofil im neuen Betreuungsrecht 1992, 123 6 Bundesministerium der Justiz (2004), S. 6 65 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar nischen Versorgung. Dabei steht es dem Patienten zu, dem Therapievorschlag zuzustimmen oder die Einwilligung in die Therapie zu versagen. Die ärztliche Fürsorge hat ihre Grenze an der Ablehnung einer Behandlung durch den einwilligungsfähigen Patienten. Das Prinzip der Einwilligung nach Aufklärung als Ausdruck der Selbstbestimmung des Patienten garantiert auch unkonventionelle Wertentscheidungen des einwilligungsfähigen Menschen. Die individuelle Bewertung einer Entscheidung als vernünftig oder unvernünftig geschieht vor dem Hintergrund der persönlichen Wertvorstellungen. Für die Vornahme eines Eingriffs, Untersuchung oder weiterer medizinischer Behandlungen ist dazu die Einwilligung des entscheidungsfähigen Patienten erforderlich. In der Situation der Äußerungsunfähigkeit fehlt dem behandelnden Arzt ein Ansprechpartner. Wenn rechtsverbindliche Erklärungen oder Entscheidungen gefordert sind, können weder der Ehepartner noch der Lebenspartner und auch nicht die Kinder den einwilligungsunfähigen Patienten vertreten. Der Patient kann für diesen Fall Vorsorge treffen durch die Erteilung einer Vorsorgevollmacht oder die Erstellung einer Betreuungsverfügung. Ethische Begründungsansätze Die Eingriffe in „natürliche“ Prozesse mit bislang unbekannten Gestaltungsmöglichkeiten führen zur Frage, ob alles Mögliche auch erlaubt sein sollte. Der Philosoph Hans Jonas erinnerte 1984 an das „Prinzip Verantwortung“. Die Verwendung des Begriffs der Bioethik zur Kennzeichnung der in diesem Zusammenhang nötigen Bemühungen ist in Deutschland nicht einheitlich, da teilweise damit utilitaristische Positionen verbunden werden. Bioethik versteht sich als Auseinandersetzung mit moralischen Fragestellungen der Biowissenschaften mit dem besonderen Fokus auf Biomedizin, Biotechnologie und Ökologie. Der Fokus auf menschlichen Eingriffen und Eingriffsmöglichkeiten in Lebensprozesse weitet die Perspektive auf Lebenswissenschaften und tierethische Fragen hin aus. Die Abgrenzungen bleiben unscharf. Die Begriffswahl einer biomedizinischen Ethik impliziert einen besonderen Schwerpunkt medizinethischer Fragen. Medizinethik wiederum ist nicht allein Arztethik, wobei ein Blick auf das Selbstverständnis ärztlichen Handelns die Bedeutung des traditionellen Rollenverständnisses für die Gegenwart verdeutlicht. Zur Patientenversorgung gehören nicht allein medizinische Experten, sondern auch pflegerisch Tätige, Seelsorger, Sozialarbeiter und weitere Experten. Ärzten kommt in diesem Kontext die Rolle der Interpretation der Beschwerden und Symptome des Kranken und der Vorschlag für weitere Diagnostik und Therapieverfahren zu. 66 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Die Patientenethik nimmt Abwägungen zwischen Lebensqualität und Gesundheitsrisiko vor. Das Modell der Verantwortungspartnerschaft bildet die Klammer für Compliance und Selbstverantwortung und fordert Informationsrechte und –pflichten, die Beteiligung an Präventionsmaßnahmen und Solidarität. Medizinethik beschreibt keine Sonderethik, sondern eine Ethik vielfältiger besonderer Situationen. Diese „angewandte Ethik“ oder im eigentlichen Sinne „medizinische Ethik“ kann aber nur teilweise als philosophische Disziplin bezeichnet werden. Medizinethik wird als ethische Reflexion auf bestimmte Themen im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem verstanden. Der Gegenstandsbereich der Medizinethik übersteigt die ärztliche Perspektive auf Wertfragen im medizinischen Handeln und umfasst Fragen des Gesundheitswesens. Medizinisches Handeln besitzt Komponenten der Reflexion zu weltanschaulichem, politischem, moralischem und ökonomischem Bewusstsein. Konzepte des Krankheitsbegriffs mit der Ausdifferenzierung in individuelle, am Gemeinwesen oder am medizinisch-professionellen Handeln orientierte Ansätze müssen auf ihre Auswirkungen auf die Selbstbestimmung des Patienten überprüft werden. Eine solche umfassende Sichtweise findet sich in einschlägigen Stellungnahmen bestätigt. Für Klaus Steigleder sind Gegenstände der Medizinethik „die Medizin als Wissenschaft und Praxis sowie insgesamt die gesellschaftlichen Maßnahmen und Vorkehrungen, Gesundheit zu erhalten und wiederherzustellen, Krankheiten vorzubeugen, Verletzte und Kranke zu versorgen sowie Schmerzen zu lindern“7. Als Voraussetzungen für die gegenwärtige „westliche“ Medizinethik führt Bettina Schöne-Seifert an: 1. Verfügbarkeit zunehmend vieler medizinischer Eingriffsmöglichkeiten, 2. wachsende Pluralität der Lebensstile und Moralauffassungen innerhalb der Gesellschaften, 3. Verlust moralischer Autorität und Unanfechtbarkeit von Ärzten und Forschern allein kraft ihrer Profession8. Der Beruf des Arztes ist durch Handeln und Aktion geprägt, nicht durch Zuschauen und Kontemplation. Aktives Handeln ist durchgängiges Muster der Arztethik in allen Kulturen und wird als solches auch von Patienten und medizinischen Laien erwartet und nachgefragt. Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbereitschaft, auch bis hin zur Selbstaufopferung, wird in Tugendkatalogen für Ärzte gefordert und durch historische Beispiele vorbildlicher Ärzte dokumentiert. Ärztliches Handeln aber ist nicht blinder Aktionismus, nicht Handeln um des Handelns willen, sondern gebunden an den Heil- und Hilfsauftrag zum Wohle des 7 Steigleder, Klaus: Moral, Ethik, Medizinethik, in: Schulz, Stefan; Steigleder, Klaus, Fangerau Heiner, Paul, Norbert (Hg.): Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Frankfurt: Suhrkamp 2006, 24 8 Schöne-Seifert, Bettina: Medizinethik, in: Nida-Rümelin, Julian (Hg.): Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung, 2. Auflage 2005, Stuttgart: Kröner, 693 67 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Patienten, dessen, der sich ihm anvertraut hat oder für den er Verantwortung übernommen hat. Das sich durch die Arzttraditionen aller Kulturen hinziehende Grundprinzip des aegroti salus suprema lex, der Orientierung am Wohl des Patienten gibt dem ärztlichen Handeln das primäre Ziel vor; es ist absolutes Gebot und schließt andere Primärziele aus. Ärzte sollen ihre medizinischen Kenntnisse nicht zum Töten oder Foltern ausnutzen. Die professionelle Zufügung von Schmerzen, die Entwicklung von Foltermethoden und deren Überwachung fällt in allen Arztkulturen unter absolutes Verbot. Auch das Töten ungeborenen oder sterbenskranken Lebens ist in den meisten Kulturen unter dieses absolute Unterlassungsgebot gestellt. Innerhalb dieses Rahmens von aktivem Handeln und Grenzen dieses Handelns erst entsteht die Spannung zwischen Behandlungsgebot und Behandlungsverzicht als Konflikt in der ärztlichen Intervention. Die Ziele des Handelns können und müssen unterschiedlich sein, situativ angesichts des Krankheitsgeschehens und angesichts des Wunsch- und Wertbildes des Patienten. Sowohl Handeln als auch Unterlassen müssen verantwortet werden. Die neuere Arztethik orientiert sich in der Beantwortung der Frage nach dem Umfang und den Grenzen des Behandlungsgebots mit Recht am Wert- und Lebensbild des Patienten, nicht am Imperativ des Möglichen; Ausnahmen gelten für die Vitalindikation der Lebensrettung, in der keine Zeit für die Ermittlung des Patientenwunsches gegeben ist, oder bei unklarer Informationslage über Inhalt und Umfang des zu bestimmenden „Wohl“ des Patienten, - in dubio pro vita. Wurde traditionell das Wohl des Patienten paternalistisch vom behandelnden Arzt festgestellt und entsprechend behandelt, so ist es heute zur Qualitätsnorm ärztlicher Ethik geworden, dieses Wohl aus dem Wunsch oder Interesse des Patienten abzuleiten oder zumindest Handeln und Tun nicht gegen das Wunsch- und Wertbild des Patienten zu bestimmen, - salus ex voluntate suprema lex, Bestimmung des Wohls aus dem individuellen Wunsch- und Wertprofil des Patienten als oberstes Gebot. Es wird zwischen Moral und Ethik unterschieden. Unter Moral versteht man die moralischen Normen, Prinzipien oder Werte und moralischen Dispositionen, Haltungen oder Charakterzüge, die wir als richtig und wichtig anerkennen bzw. die in einer Gesellschaft gelten. Ethik ist die theoretische Beschäftigung mit dem Phänomen der Moral. Ethik lässt sich dann verstehen als eine Theorie der Moral. Sie ist eine philosophische oder auch theologische (theologische Ethik) Disziplin. Als wissenschaftliche Disziplin beschäftigt sich unter anderem mit der theoretischen Reflexion der gelebten Moral. 68 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Für Vertreter einer deontologische Ethik sind bestimmte Handlungen um ihrer selbst willen und kategorisch verboten, also intrinsisch falsch. Konsequentionalistische Ethiken erkennen als einzige richtig- oder falsch-machende Eigenschaft von Handlungen deren kausale Folgen für alle direkt oder indirekt von dieser Handlung Betroffenen an. Um Theorien dieses Typs vollständig zu machen, muss das Grundtheorem immer noch durch eine Theorie der relevanten guten und schlechten Folgen (im klassischen Utilitarismus: Freude und Leid) und durch eine Verrechnungsanweisung (im klassischen Utilitarismus: Maximierung der interpersonellen Nutzensumme) ergänzt werden. Im der persönlichen Entscheidungsverhalten kommt meist ein situativ unterschiedliches Abwägen vor, in welches dann unterschiedliche ethische Begründungsansätze einfließen. Für diese Konfliktbewältigungsstrategien sind die vier Prinzipien von Beauchamp/Childress oft von hoher Plausibilität. Individuelle Konzepte gelingenden Lebens und deren medizinrechtliche Ausprägung Der Paradigmenwechsel im Arzt-Patienten-Verhältnis kommt in dem Anerkenntnis des Vetorechts des Patienten gegen einem Therapievorschlag des Arztes am deutlichsten zum Ausdruck. So wohlmeinend und von der Sinnhaftigkeit des Therapievorschlages überzeugt ein Arzt sein mag, so entbindet ihn das nicht von der Notwendigkeit des Einholens der Zustimmung des Patienten, wenn die Therapie nicht als Körperverletzung bewertet werden soll. Ausdruck der Selbstbestimmung des Patienten ist die Notwendigkeit zur Zustimmung, Einwilligung zu einem Therapieangebot nach erfolgter Aufklärung. Die zwangsweise Durchführung von medizinischen Experimenten ohne Aufklärung und/oder Zustimmung des Patienten hat den Blick für die Notwendigkeit der Zustimmung zu einem Therapieangebot geschärft. Medizinethische Prinzipien mittlerer Reichweite zur Positionsbestimmung Ethische Theorien reflektieren Entscheidungen von Akteuren. Im Bereich der Bio- und Medizinethik sind eine Reihe von Ansätzen der Strukturierung und Lösung ethischer Probleme in der Diskussion. Es hat sich keine klassische Theorie der Moralphilosophie durchsetzen können und angesichts des gesellschaftlichen Wertepluralismus wird häufig auf die Notwendigkeit der Vielfalt von Begründungsansätzen hingewiesen. 69 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar In Wahrnehmung der unterschiedlichen Begründungsansätze für Medizinethik stellen die beiden amerikanischen Medizinethiker Tom L. Beauchamp und James F. Childress erstmalig 1979 vier Prinzipien mittlerer Reichweite vor, die als normative Leitgedanken von vielen Menschen geteilt werden, obwohl sich diese auf eine einzige Moraltheorie nicht einigen werden können. Die Prinzipien mittlerer Reichweite 1. Respekt vor Selbstbestimmung (autonomy), 2. Nicht-Schaden (nonmaleficence, primum nil nocere), 3. Gutes tun (beneficence, bonum facere, Hilfsgebot) und 4. Gerechtigkeit (justice)9 nach Beauchamp / Childress sind mit dem Begriff „Georgetown-Mantra“ nach der von Jesuiten 1789 gegründeten katholischen Georgetown University in Washington D.C., USA gekennzeichnet worden, da Beauchamp / Childress zur Zeit der Veröffentlichung in Washington lehrten und die vier Prinzipien die medizinethische Diskussion dominierten. Die vier Prinzipien von Beauchamp / Childress stellen den ersten Versuch einer systematischen Analyse jener Prinzipien dar, die das breite Spektrum der Entscheidungen in der Biomedizin abdecken können sollen10. Respekt vor der Selbstbestimmung, Nichtschadensgebot, Gutes tun und Gerechtigkeit spiegeln die angeblich universalistischen Prinzipien wider. Beauchamp / Childress kombinieren mit ihren vier Prinzipien die „common morality“, eine Moralität, die von allen rational moralisch reflektierenden Menschen geteilt wird, und medizinische Tradition zu einem kohärenten Paket11. „Common morality“ bindet jeden zu jeder Zeit und basiert auf einer universalistischen, kulturübergreifenden Basis12 durch den Rückgriff auf transnationale Menschenrechte13. Die Prinzipien sind auf der einen Seite „prima facie“ generell bindend, aber auch „Gegenstand der Überprüfung“14. Die Prinzipien unterliegen einer individuellen Prüfung, sie stehen je nach Fall auch zur Disposition. Es findet so eine Verschiebung der Moralität von einem imperativen Moralverständnis von prinzipiellen Vorgaben zu intersubjektiven Setzungen statt. Die normative Bindung der medizinethischen Prinzipien an das Wohl des Patienten (salus aegroti suprema lex) und Selbstbestimmungsrecht des Patienten (voluntas aegroti suprema lex) besteht in der Binnenperspektive ärztlichen Handelns. In der konkreten Entscheidungssituation muss eine gegenstandsbezogene Abwägung der vier Prinzipien vorgenommen werden, wofür detaillierte Fragelisten und Strukturinstrumente wie der „Bochumer Arbeitsbogen zur medizinethischen Praxis“ (1988) oder die „Nimwegener Methode für ethische Fallbesprechungen“ vorgestellt wurden. 9 Vgl. Beauchamp TL, Childress JF: Principles of Biomedical Ethics 2001, 12-13 10 Vgl. Beauchamp TL, Childress JF: Principles of Biomedical Ethics 1979, xi 11 Vgl. Beauchamp TL, Childress JF: Principles of Biomedical Ethics 2001, 23 12 Vgl. Beauchamp TL, Childress JF: Principles of Biomedical Ethics 2001, 397 13 Vgl. Beauchamp TL, Childress JF: Principles of Biomedical Ethics 2001, 407 14 Übersetzung des Verfassers: „subject to revision“; vgl. Beauchamp TL, Childress JF: Principles of Biomedical Ethics 1994, 105 70 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Vor dem Hintergrund pluraler Begründungskonzepte ist das Konzept der medizinethischen Prinzipien mittlerer Reichweite konsensorientiert und auf den konkreten Einzelfall bezogen. Die weder nur induktiv noch deduktiv gewonnenen Prinzipien mittlerer Reichweite entfalten für H. Tristram Engelhardt ihre Relevanz vor allem in einer bestimmten Gesellschaftsform und können die Trennlinie verschiedener Visionen oder unterschiedlicher moralischer Ansichten nicht überbrücken15. Ethikberatung Zur Orientierung im Meer der pluralistischen Wertvorstellungen sind neben Fahrrinnen und Leuchttürmen durch Leitlinien und andere normative Vorgaben in manchen Situationen Lotsen sinnvoll, die sich mit zerfließendem Treibsand moralischer Intuitionen, definitorischen Klippen, begriffsinhärenten Untiefen und argumentativen Nebelkerzen auskennen. Zur Ethikberatung in einem diskursiven Verständigungs- und Klärungsprozess kann ein Klinisches EthikKomitee (KEK) fallbezogen eine erhellende Lotsenfunktion haben, die dem Entscheidungsträger die unterschiedlichen Dimensionen darstellen und ihm die Entscheidung und Verantwortung belassen. Eine strukturierende Funktion bei unterschiedlichen Meinungen und Intuitionen nimmt der Bochumer Arbeitsbogen zur medizinethischen Praxis von 1988 wahr. Darin wird ausdrücklich die medizinischwissenschaftliche und die medizinisch-ethische Befunderhebung in zwei ersten Schritten nebeneinander gestellt, weil es (a) für die klinische Befunderhebung bereits eingeübte und gesicherte Modelle und Verfahren gibt, (b) die medizinisch-ethische Befunderhebung sich an dem methodischen Vorbild der klinischen Befunderhebung in Präzision und Sorgfalt orientieren kann, und (c) weil sehr häufig entweder die klinische Diagnostik oder die ethische Diagnostik in kritischen Fällen zu kurz kommen können. Erst in einem dritten Schritt werden die Erhebungen aus dem „Blutbild“, dem „Röntgenbild“ und dem „Wertbild“ zusammengeführt und nach Optionen für eine individualisierte und patientenorientierte Behandlung gefragt. Konkrete Anwendung: Patientenverfügungen Nach § 1901 a Absatz 1 Satz 1 BGB (Patientenverfügungen) ist eine Patientenverfügung ein Schriftstück, in dem ein einwilligungsfähiger Volljähriger festgelegt hat, „ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Fest15 Vgl. Engelhardt HT: The Foundations of Bioethics 1996, 58 71 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar legung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung)“. Die Patientenverfügung muss gem. § 126 BGB schriftlich abgefasst sein und muss eigenhändig unterschrieben werden. Eine Patientenverfügung gilt bezogen auf die mögliche Reichweite nach § 1901a Absatz 3 BGB unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Patienten. In der Entscheidungssituation prüft nach § 1901 a Absatz 1 Satz 1 BGB der gesetzliche Betreuer, ob die Festlegungen der Patientenverfügung auf die „aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen“. Für den Bevollmächtigten gilt diese Regelung entsprechend. In der Anwendungssituation einer Patientenverfügung ist zur Umsetzung ein legitimierter Stellvertreter erforderlich. Diese Person prüft, ob die Patientenverfügung auf „die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation“ (§ 1901 a Absatz 1 BGB) zutrifft. Wenn diese Prüfung keine Willensänderungen ergeben hat und die „Paßgenauigkeit“ festgestellt wurde, ist ein legitimierter Stellvertreter zur Umsetzung der Patientenverfügung verpflichtet und hat „dem Willen Ausdruck und Geltung zu verschaffen“. Der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte prüfen, 1. ob die vorliegende Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, 2. ob sie für diese Situation eine Entscheidung über die anstehende ärztliche Maßnahme enthält und 3. ob sie noch dem Willen des Patienten entspricht.16 Bei der Prüfung der Patientenverfügung ist nach Ansicht der Initiatoren des Gesetzes einerseits die Aktualität des Willens zu überprüfen und auch nach Anhaltspunkten zu forschen, ob „die Patientenverfügung durch äußeren Druck oder aufgrund eines Irrtums zustande gekommen ist“.17 Die Prüfung der Passgenauigkeit soll alle Gesichtspunkte umfassen, die sich aus der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen ergeben. Eine in der rechtspolitischen Debatte besonders intensiv diskutierte Phase ist die Situation einer Demenzerkrankung. Bei der Prüfung der Passgenauigkeit und damit der Anwendbarkeit einer Patientenverfügung soll auch das aktuelle Verhalten des einwilligungsunfähigen Menschen beobachtet und überprüft werden. Dabei sollen konkreten Anhaltspunkte wie z.B. situativ spontanes Verhalten des Patienten gegenüber vorzunehmenden oder zu unterlassenden ärztlichen Maßnahmen anders berücksichtigt werden als unwillkürliche, rein körperliche Reflexe. 16 17 Vgl. Stünker, Joachim; Kauch, Michael; Jochimsen, Lukrezia; Montag, Jerzy: Entwurf eines 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 06.03.2008, Bundestagsdrucksache 16/8442, 14 rechte Spalte. Vgl. Stünker, Joachim; Kauch, Michael; Jochimsen, Lukrezia; Montag, Jerzy: Entwurf eines 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 06.03.2008, Bundestagsdrucksache 16/8442, 8 rechte Spalte. 72 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Konkrete Formulierungen Patientenverfügungen müssen, um als solche anerkannt zu werden, auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Nicht als Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Absatz 1 Satz 1 BGB gelten „allgemeine Richtlinien für eine künftige Behandlung“. Einer Formulierung wie „Wenn ich einmal dement bin, will ich keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ mangelt es an einer hinreichend konkreten Behandlungsentscheidung in einer speziellen Krankheitssituation. Damit haben die Initiatoren des Gesetzes einen „offensichtlich lebensfrohen Demenzkranken“ kommentiert, bei dem das Verhalten in der Krankheitsphase mit der verfassten Patientenverfügung nicht übereinstimmte.18 Derartige allgemeine Äußerungen sollen als Indiz in die Ermittlung des mutmaßlichen Willens eingebracht werden. Eine Patientenverfügung im Sinne des §1901 a Absatz 1 BGB ist als Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in eine bestimmte, „noch nicht unmittelbar bevorstehende“ ärztliche Maßnahme zu unterscheiden von Entscheidungen des einwilligungsfähigen Betroffenen, die sich auf unmittelbar bevorstehende, „also konkret und zeitnah durchzuführende ärztliche Maßnahmen beziehen.“ Verbindlichkeit Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung war bis zur Beschlussfassung des Deutschen Bundestages im Juni 2009 strittig. Das Gesetz hat dazu nun Klarheit geschaffen. Für die Situation, dass keine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Absatz 1 BGB vorliegt, ist der mutmaßliche Wille anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln (§ 1901 a Absatz 2 Satz 2 BGB). Konkretisiert wird dies durch einen jedoch nicht abschließend angeführten Katalog der zu berücksichtigenden Äußerungen oder Wertvorstellungen, denn es sind nach § 1901 a Absatz 2 Satz 3 BGB „insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten“ zu ermitteln und zu betrachten. Ein Verweis auf allgemeine Wertvorstellungen, wie sie noch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 13.09.1994 18 Vgl. Stünker, Joachim; Kauch, Michael; Jochimsen, Lukrezia; Montag, Jerzy: Entwurf eines 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 06.03.2008, Bundestagsdrucksache 16/8442, 15 linke Spalte. 73 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar vorsah, findet sich im Gesetz vom 29.07.200919 nicht. Somit ist der mutmaßliche Wille anhand von individuellen, personenbezogenen Informationen zu ermitteln. In der Abstufung der Willenserklärungen für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit wird nach der Gesetzesänderung zum 01.09.2009 nun unterschieden in: 1. Patientenverfügungen (§ 1901 a Absatz 1 BGB), 2. Behandlungswünsche (§ 1901 Absatz 3 BGB) und 3. mutmaßlicher Wille (§ 1901 a Absatz 1 BGB). Entscheidungsfindung Der Feststellung des Patientenwillens geht die Indikationsstellung des behandelnden Arztes voraus. Das Therapieziel kann sich während der Behandlung durchaus ändern und für die Bundesärztekammer gehört es nach den 2004 überarbeiteten „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ zur „Aufgabe des Arztes …, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen.“ Die Bundesärztekammer stellt weiterhin fest, dass die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung daher nicht unter allen Umständen besteht und es Situationen gibt, „in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sein können“20. Als Therapieziele können gelten die Heilung des Patienten, eine Lebensverlängerung oder die Verbesserung oder Erhaltung von Lebensqualität. Eine Maßnahme ohne Nutzen oder nur mit einem unrealistisch niedrigem Wahrscheinlichkeitspotential für einen Nutzen für den Patienten ist medizinisch nicht indiziert. Ein Angebot einer medizinisch möglichen Option, der es bereits zum Zeitpunkt des Anbietens an einer Erfolgsaussicht mangelt, ist Zeichen einer am Machbarkeitsideal ausgerichteten HighTechMedizin. Deklaratorisch ist im Gesetz der Hinweis auf die Rolle des Arztes im Zusammenhang mit der Feststellung des Patientenwillens gemäß § 1901 b BGB, denn die Feststellung und Prüfung der medizinischen Indikation der ärztlichen Maßnahmen „im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten“ (§ 19 20 3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.07.2009, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009, Teil I Nr. 48, 2286-2287. Bundesärztekammer: Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, In: Bundesärztekammer (Hg.): Sterben in Würde, Grundsätze und Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte 2008, 7-11 = Bundesärztekammer: Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung Deutsches Ärzteblatt 2004, 1298. 74 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 1901 b Absatz 1 Satz 1 BGB) liegt unstrittig im Verantwortungsbereich des behandelnden Arztes und an erster Stelle. Weiterhin klarstellend ist der Hinweis auf das gemeinsam stattfindende Gespräch als „dialogischer Prozess“ zwischen dem behandelnden Arzt mit dem Betreuer bzw. dem Bevollmächtigten unter „Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung“ (§ 1901 b Absatz 1 Satz 2 BGB) als Entscheidungsgrundlage. In besonderen Situationen ist das Betreuungsgericht bei der Umsetzung der Wünsche eines Patienten (Patientenverfügung gem. § 1901 a Absatz 1 BGB, Behandlungswünsche gem. § 1901 Absatz 3 BGB und mutmaßlicher Wille gem. § 1901 a Absatz 2 BGB) einzubeziehen. Eine Einwilligung (§ 1904 Absatz 1 BGB) oder eine Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung (§ 1904 Absatz 2 BGB) in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der einwilligungsunfähige Mensch auf Grund der Maßnahme (§ 1904 Absatz 1 BGB) bzw. auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme (§ 1904 Absatz 2 BGB) stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Das betreuungsgerichtliche Genehmigungsverfahren ist im Fall des § 1904 Absatz 1 BGB entbehrlich, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist (§ 1904 Absatz 1 Satz 2 BGB). Nicht erforderlich ist gemäß § 1904 Absatz 4 BGB die Einschaltung des Betreuungsgerichts, wenn „zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a festgestellten Willen des Betreuten entspricht.“ Beteiligung von Angehörigen und Vertrauenspersonen Bei der Feststellung des Patientenwillens soll „nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist“ (§ 1901 b Absatz 2 BGB). 75 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Der Personenkreis der Vertrauenspersonen leitet sich nicht nach dem Verwandtschaftsgrad ab. Zu „sonstigen Vertrauenspersonen“ können im Einzelfall auch Pflegende zählen21 und die „Einbeziehung beispielsweise von Pflegekindern, Pflegeeltern oder Lebensgefährten, aber auch engen Freunden oder Seelsorgern“22 wird ermöglicht. Die Beteiligung von nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen bei der Feststellung des Patientenwillens gemäß § 1901 a BGB „durch die Gelegenheit zur Äußerung“ erfolgt, wenn damit keine erhebliche Verzögerung verbunden ist. Die Einbeziehung weiterer Personen bei der Klärung des Patientenwillens durch den behandelnden Arzt und den Stellvertreter legt die Konstruktion eines gemeinsamen Gesprächs aller Beteiligten nahe, was in anderen Gesetzesvorschlägen als „beratendes Konzil“ bezeichnet wurde. Die Durchführung einer EthikFallberatung ist methodisch eine konkrete Ausprägung der Möglichkeit zur Äußerung durch weitere Beteiligte im Sinne des § 1901 b Absatz 2 BGB. Sollten die nahen Angehörigen oder sonstigen Vertrauenspersonen den Eindruck gewinnen, dass die Feststellung des Patientenwillens zu beanstanden ist, so steht ihnen der reguläre Beschwerdeweg beim Betreuungsgericht offen. Eine eigene Verfahrensregel für diesen speziellen Fall wurde nicht normiert. Widerruf einer Patientenverfügung Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden (§ 1901 a Absatz 1 Satz 3 BGB). Situativ spontanes Verhalten kann je nach Formulierung in der Patientenverfügung als Widerruf gelten. Dies sieht der Gesetzgeber jedoch nicht bei „unwillkürlichen, rein körperlichen Reflexen“23. Umsetzung einer Patientenverfügung außerhalb des Betreuungsrechts 21 22 23 Deutscher Bundestag, Rechtsausschuss: Beschlussfassung und Bericht des Rechtsausschusses zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Stünker u.a. (Bundestagsdrucksache 16/8442) Bundestagsdrucksache 16/13314 vom 08.06.2009, 20. Stünker, Joachim; Kauch, Michael; Jochimsen, Lukrezia; Montag, Jerzy: Entwurf eines 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 06.03.2008 Bundestagsdrucksache 16/8442, 16 linke Spalte. Vgl. Stünker, Joachim; Kauch, Michael; Jochimsen, Lukrezia; Montag, Jerzy: Entwurf eines 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 06.03.2008, Bundestagsdrucksache 16/8442, 15 linke Spalte. 76 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Patientenverfügungen bedürfen in der Anwendungssituation eines Stellvertreters, welcher dem Willen des Patienten „Ausdruck und Geltung“ zu verschaffen hat. Die Geltung einer Patientenverfügung auch ohne Bestellung eines Betreuers wird aus den Voraussetzungen der Betreuerbestellung abgeleitet, da nach § 1896 Absatz 2 Satz 1 BGB ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden darf, in denen die Betreuung erforderlich ist. Bei einer auf die Anwendungssituation genau passenden Patientenverfügung wird die Notwendigkeit der Betreuerbestellung in der Literatur teilweise verneint24. Für diese Auslegung spricht die Begründung des verabschiedeten Gesetzes, denn der behandelnde Arzt soll mit Verweis auf bestehendes Medizinrecht im Rahmen seiner Verantwortung prüfen, „ob und welchen Behandlungswillen der Patient geäußert hat, ob er eine Entscheidung über die anstehende Behandlung getroffen hat oder ob es dafür der Entscheidung des Betreuers oder Bevollmächtigten bedarf“25. Damit greift die Patientenverfügung auch ohne einen Stellvertreter auf den behandelnden Arzt durch und ist entscheidungsleitend. Im Sinne der arbeitsteiligen Arzt-Patienten Beziehung sollte die Phase der stellvertretenden Entscheidung für den Patienten durch den Arzt nicht länger als nötig dauern und ein gesetzlicher Betreuer wird regelmäßig mehr Zeit und Möglichkeiten zur Überprüfung und Ermittlung des Patientenwillens haben. Somit empfiehlt sich wie bislang die zeitige Information des Betreuungsgerichts zur Überprüfung der Betreuungsnotwendigkeit. Fazit Betreuer sind mit eigenen Wertvorstellungen im beruflichen Alltag konfrontiert. Dazu müssen sich Betreuer ihren ethischen Überzeugungen bewusst sein und sich diese bewusst machen. Es könnte sein, dass die eigenen Wertvorstellungen von denen der Betreuten abweichen. Für den Betreuungsalltag haben sich die Prinzipien mittlerer Reichweite nach Beauchamp/Childress als flexibel und alltagstauglich herausgestellt. 24 Vgl. Borasio, Gian Domenico; Heßler, Hans-Joachim; Wiesing, Urban: Patientenverfügungsgesetz. Umsetzung in der klini- schen Praxis, Deutsches Ärzteblatt 2009, 1954 25 Vgl. Stünker, Joachim; Kauch, Michael; Jochimsen, Lukrezia; Montag, Jerzy: Entwurf eines 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 06.03.2008, Bundestagsdrucksache 16/8442, 15 linke Spalte. 77 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Die Gesetzgebung zu Patientenverfügungen fordert nicht nur von Einrichtungen im Gesundheitswesen die strukturierte Auseinandersetzung mit den Wünschen und Werten des Patienten oder des Bewohners, sondern auch die Beschäftigung des Betreuers mit den Patientenwünschen. Der Betreuer wurde in seiner Entscheidungskompetenz durch das Gesetz bestätigt und muss sich dieser Aufgabe differenziert stellen. Die nun im Gesetz nicht begrenzte Reichweite von Patientenverfügungen ist Ausdruck einer Abwägung, die grundsätzlich von der verantwortungsvollen Ausübung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten ausgeht. Der Aspekt der Fürsorge ist gleichermaßen im Gesetz verankert, da in der Anwendungssituation der Stellvertreter die Paßgenauigkeit der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Entscheidungssituation überprüfen muss. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Patientenwillen führt im Team zu einem transparenten Umgang mit diesen Patientenwünschen und wird moralische Konflikte in Akutsituationen verringern können. Ein planvolles Umgehen mit Patientenverfügungen setzt Kompetenz in rechtlichen Fragen voraus und Sensibilität für ethische Fragen der Selbstbestimmung, wenn es um die konkrete Auslegung von Patientenverfügungen geht. *** Dr. Arnd T. May ist Medizinethiker. Er war Mitglied der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ des Bundesministeriums der Justiz (2003-2004) und hat am beschlossenen Gesetzentwurf mitgewirkt. Dr. May ist Wissenschaftler am Universitätsklinikum Aachen und in Recklinghausen bei EthikZentrum.de - Zentrum für Angewandte Ethik tätig. Brunhilde Ackermann ist Leiterin der Betreuungsbehörde der Stadt Kassel und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Hess. Betreuungsstellen. Im Vormundschaftsgerichtstag e.V. ist sie als stellvertretende Vorsitzende aktiv. 78 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 79 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethikberatung konkret: Was heißt „Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung an der Grenze zwischen Leben und Tod“? Dr. theol. Kurt W. Schmidt 80 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 81 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 82 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 83 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 84 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 85 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 86 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 87 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 88 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 89 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethische Probleme in der Altenhilfe Dr. Gisela Bockenheimer-Lucius 90 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod Evangelische Akademie Hofgeismar 30. November 2009 bis 1. Dezember 2009 Ethische Probleme in der Altenhilfe Gisela Bockenheimer-Lucius, Frankfurt am Main Ethische Probleme in der Altenhilfe stellen sich in vielfältiger Weise und in sehr unterschiedlichen Lebensabschnitten und Lebensbereichen eines alten Menschen. Das Spektrum der dringlichen Fragen zum Bild vom Alter und vom Umgang mit dem alten Menschen bis bin zur Pflege und zu Sterben und Tod des hochbetagten Menschen fordert zudem viele wissenschaftliche Disziplinen heraus. Auch der engere Blick auf Fragen zu Hilfsbedürftigkeit und Gebrechlichkeit, aber auch zu Autonomie und Selbstbestimmtheit in der Altenhilfe kann nur unter Einbeziehung vieler fachlicher Perspektiven, wie z.B. der Altenpflege, der Krankenpflege, der Sozialarbeit, der Seelsorge, der Geriatrie und Gerontologie u.v.a., weiterführende Einsichten bringen. Mein Beitrag soll daher einen Aspekt der Altenhilfe herausgreifen: In welcher Form stellen sich ethische Fragen im Rahmen der Altenhilfe in der stationären Langzeitpflege? In Frankfurt am Main wurden die konkrete Befassung mit ethischen Fragen im Altenpflegeheim und die Initiative zur Etablierung von Ethikberatung durch ein Projekt ausgelöst, das sich der Optimierung der pflegerischen und medizinischen Versorgung von Altenheimbewohnern durch die Formulierung konkreter Handlungsempfehlungen widmete, um der inadäquaten bzw. missbräuchlichen Verwendung von Psychopharmaka entgegen zu wirken.26 Die Diskussion der Konflikte ließ schnell erkennen, dass für derartige Probleme in Altenpflegheimen das passende Forum fehlt. Eine eigene Untersuchung in den Pflegeheimen 26 Das gemeinsame Projekt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, des Senckenbergischen Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin und des Instituts für Europäische Gesundheitspolitik und Sozialrecht in Zusammenarbeit mit dem Franziska Schervier Altenpflegeheim wurde von der BHF-BANK-Stiftung, Frankfurt/M. gefördert. Vgl. dazu Pantel, J.; BockenheimerLucius, G.; Ebsen, I.; Müller, R.; Hustedt, P.; Diehm, A. (2006) Psychopharmaka im Altenpflegeheim – Eine interdisziplinäre Untersuchung unter Berücksichtigung gerontopsychiatrischer, ethischer und juristischer Aspekte. Frankfurter Schriften zur Gesundheitspolitik und zum Gesundheitsrecht (Bd. 3). Peter Lang, Frankfurt am Main. 91 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar der Stadt Frankfurt am Main bestätigte den ersten Eindruck27 und führte 2006 und 2008 zur Etablierung zweier Ethikkomitees für die Altenpflegeheime der Stadt.28 Auf der Basis dieser theoretischen wie praktischen Erfahrungen möchte ich die folgenden Aspekte vorstellen. Handlungsfeld Altenpflegeheim Die Wahrnehmung ethischer Grundsatzfragen oder Konflikte (wie auch das Ziel der Etablierung von Ethikberatung) im Altenpflegeheim sind durch die spezifischen Merkmale der Einrichtung vorgegeben. Das zunehmende Bewusstsein, dass pflegerisches Handeln immer auch mit individuellen Wertvorstellungen verbunden ist, dass es der moralischen und rechtlichen Rechtfertigung bedarf und dementsprechend ein zutiefst ethisches Geschehen darstellt, hat auch das Bewusstsein dafür geschärft, dass das Altenpflegeheim als Institution mit moralischen Verpflichtungen und moralischer Wirkung wahrgenommen wird29 und ein Bedarf an Ethikberatung entstanden ist.30 Im Altenpflegeheim sind es vor allem die Probleme in der Alltagsroutine, die beständige ethische Herausforderungen darstellen. Arthur Caplan hat diese Probleme mit der Bezeichnung „nitty-gritty“ versehen,31 27 Vgl. Bockenheimer-Lucius, G; Sappa, S. (2009) Eine Untersuchung zum Bedarf an Ethikberatung in der stationären Altenhilfe. In: Vollmann, J.; Schildmann, J; Simon, A. (Hrsg.) Klinische Ethik. Aktuelle Entwicklungen in Theorie und Praxis. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York. 28 Unsere Projekte zur Gründung der Ethikkomitees wurden in den Jahren 2007-2008 von der BHF-Bank Stiftung Frankfurt am Main gefördert. Das inzwischen entstandene Netzwerk ist Teil des Frankfurter Programms »Würde im Alter« der Stadt Frankfurt am Main und wird seit Dezember 2008 aus dessen Mitteln gefördert. 29 So heißt es in dem einschlägigen Handbook for Nursing Home Ethics Comittees: „Nursing homes are entities with moral obli- gations.” Siehe: Hoffman, D.E.; Boyle, P; Levenson, S.A. (1995) Handbook for Nursing Home Ethics Comittees. American Association of Homes and Services for the Aging,Washington, p xxi. 30 Beispielsweise hat die Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes im Januar 2008 eine Fachtagung durchgeführt zu Thema Ethikkomitee und ethische Fallbesprechung in Einrichtungen und Diensten der katholischen Altenhilfe. Im März 2009 haben Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München) und Diakoniepräsident Dr. Ludwig Markert (Nürnberg) für die Evangelisch Lutherische Landeskirche in Bayern und das Diakonische Werk Bayern auf die Bedeutung von ethischer Kompetenz in Einrichtungen der Altenhilfe aufmerksam gemacht und für die Zukunft Ethikberatung in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen der Altenpflege als integralen Bestandteil des Gesamtkonzepts gefordert ([email protected], 2009). Im Juni 2009 hat die Malteser Trägergesellschaft eine Broschüre zur Ethikberatung in der stationären Altenhilfe herausgegeben (Malteser Trägergesellschaft (2009) Organisierte Verantwortung für ein Altern in Würde – Ethikberatung in der stationären Altenhilfe, Bonn). 31 Caplan, A.L. (1990) The Morality of the Mundane: Ethical Issues Arising in the Daily Life of Nursing Home Residents. In: Kane, R.A.; Caplan, A.L. (Eds.) Everyday ethics: Resolving Dilemmas in Nursing Home Life. New York, pp. 37- 50. 92 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar d.h. es sind oftmals „Kinkerlitzchen“, eine Mischung aus praktischen Alltagsfragen im Zusammenleben aller Heimbewohner und aus mehr oder weniger bedeutungsvollen pflegerischen Aktivitäten, die den meisten Kummer verursachen und die meisten Konflikte hervorrufen. Sie erwachsen jedoch aus grundsätzlichen Problemen, die für die Betroffenen mit der Übersiedelung in ein Altenpflegeheim entstehen. Zwischen den Pflegenden und allen anderen Personen, die die Einrichtung „Pflegeheim“ repräsentieren, sowie den Heimbewohnern und ihren Angehörigen entwickeln sich hochkomplexe Beziehungen. Probleme der Freiwilligkeit bei Entscheidungen und Handlungsabläufen, der Privatheit in einem Raum mit erheblich eingeschränkter Privatsphäre und der Selbstbestimmtheit angesichts vielfältiger fremdbestimmter Anforderungen in einer Einrichtung mit potentiell erheblichem Zwangscharakter stellen die moralischen Herausforderungen dar, die nach ethischer Reflexion verlangen. Probleme der Freiwilligkeit Für viele Bewohner eines Altenpflegeheims gilt, dass sie mehr oder weniger unfreiwillig in das Heim einziehen und damit die eigene Wohnung und die unabhängige Lebensgestaltung aufgeben mussten. Viele erleben dies als einen Zwang, der tiefe Depression oder Resignation und Perspektivlosigkeit hervorruft.32 Der Umzug in ein Pflegeheim ist zudem nicht selten mit einem Ortswechsel verbunden, der den Wechsel des Hausarztes nach sich ziehen muss. Dies reißt den alten Menschen nicht nur aus der vertrauten Beziehung zu seinem bisherigen Arzt heraus, sondern verlangt von ihm einen erheblichen Vertrauensvorschuss beim Aufbau einer unvermeidbar notwendigen neuen Arzt-Patienten-Beziehung. Aber auch die jahrzehntelang bewährten freundschaftlichen oder nachbarschaftlichen Netze können auf diese Weise zerrissen und Besuche unmöglich gemacht werden. Umso mehr sind Heimbewohner auf Zuwendung und Kommunikation angewiesen. Gelegentlich darf daran erinnert werden, dass TEILNAHME und ALTENHEIM ein Anagramm darstellen! Zu diesem oftmals harten Lebenseinschnitt kommt die unvermeidbare Auseinandersetzung mit dem Altern und dem Lebensende hinzu: Das Loslassen eines vertrauten Lebens, Akzeptanz von Abhängigkeit und Gebrechlichkeit, persönliches Erleben von Würde und Würdeverlust, Angst und Vertrauen, Verzweiflung und 32 Allerdings gibt es auch viele Heimbewohner, die die Betreuung und Sorglosigkeit im alltäglichen Ablauf, die Entlastung von allen organisatorischen Fragen und die regelmäßigen Angebote zur Strukturierung des Alltags und zur Unterhaltung sehr positiv erleben! 93 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Hoffnung, Einsamkeit und gemeinschaftliches Teilen, Aufbegehren und Demut, Schuldgefühle, Unbearbeitetes, Unerreichtes, Unausgesöhntheit, Sterbenmüssen und Sterbenkönnen müssen in einen neuen Lebensentwurf für die voraussichtlich letzte Wohnstätte integriert werden. Diese Gefühle, die den Alltag der alten Menschen prägen, machen deutlich, wie wesentlich bei der ethischen Reflexion das Bewusstmachen und die Berücksichtigung von Emotionalität ist, wie sehr Kontextsensibilität verlangt ist. Ein hoher Anteil der Heimbewohner ist in seinen sensorischen, funktionellen und kognitiven Fähigkeiten erheblich eingeschränkt, und viele Heimbewohner sind vor allem aufgrund von Demenzerkrankungen unterschiedlicher Genese nicht mehr einwilligungsfähig. Dennoch äußern sie durch Gestik und Mimik in recht differenzierter Weise ihre Freude, ihre Vorlieben, ihre Ängste und ihren Unwillen. Damit zeigen sie aber oftmals auch ihre Einwilligung in eine therapeutische oder pflegerische Maßnahmen oder ihre (manchmal heftige) Ablehnung. Diese außerordentlich schwer zu interpretierenden Willensäußerungen sind eine erhebliche Herausforderung für alle, die für den betroffenen Menschen entscheiden und handeln müssen. Es besteht aber Konsens, dass ein derartiger „natürlicher Wille“ – unabhängig von allen damit verbundenen Interpretationsproblemen – nicht einfach ignoriert werden darf. Dies gilt in besonderer Weise für alle Maßnahmen, die Zwangscharakter haben. Eingeschränkte Mobilität, Verringerung der kognitiven Funktionen, große Hilfsbedürftigkeit des älteren Menschen, aber auch organisatorische Abläufe in Altenpflegeeinrichtungen sind oftmals Auslöser für freiheitsbeschränkende Maßnahmen und ein Abgleiten in pflegerische Gewalt.33 Für die Pflegenden wie die behandelnden Ärzte ist der Umgang mit diesen alten Menschen dadurch in besonderer Weise belastet, dass die oft schwerst pflegebedürftigen Heimbewohner chronisch krank sind, zumeist Multimorbidität jeden Heilerfolg relativiert und Gefühle von Versagen und Trauer auftauchen. Einschränkungen der Vertraulichkeit und Privatheit 33 Vgl. u.a. die ausführlichen Abhandlungen bei B. Eicken et al. (Eicken, B. von; Ernst, E.; Zenz, G. (1990) Fürsorglicher Zwang. Freiheitsbeschränkung und Heilbehandlung in Einrichtungen für psychisch kranke, für geistig behinderte und für alte Menschen. Rechtstatsachenforschung Köln) sowie bei G.Walther (Walther, G. (2007) Freiheitsentziehende Maßnahmen in Altenpflegeheimen - rechtliche Grundlagen und Alternativen der Pflege. Ethik in der Medizin 19: 289-300). 94 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Viele Heimbewohner empfinden im Altenpflegeheim eine eklatante Abhängigkeit. Die Tagesabläufe sind wesentlich von Funktionalität und Routine bestimmt, und die Bedürfnisse der Gemeinschaft haben nicht selten Vorrang vor Bedürfnissen nach Individualität und Privatheit. Verhaltenskontrollen durch die Personen des Heims, aber auch durch die Mitbewohner sind zudem mit Machtgefälle verbunden. Der Soziologe Erving Goffman hat auch das Altenpflegeheim in das Modell der von ihm beschriebenen „Totalen Institution“ aufgenommen.34 Dabei sind vor allem zwei Aspekte wichtig: 1. Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle, unter ein und derselben Autorität statt. 2. Totale Institutionen sind soziale Zwitter, einerseits Wohn- und Lebensgemeinschaft, andererseits formale Organisation. Nun verstehen die Pflegenden sich inzwischen längst als Helfer und „Anwälte“ des Heimbewohners und nicht als Bewacher und Überwacher. Zudem besteht heutzutage eine sehr offene Beziehung zwischen der Binnenwelt des Pflegeheims und der Außenwelt der Angehörigen, Freunde und Betreuer, was bei der Alltagsgestaltung ausdrücklich Berücksichtigung findet. Das Altenpflegeheim hat sich also seit Goffmans Zeiten erheblich verändert.35 Aber dennoch wird immer wieder auszubalancieren sein, welche Regeln für das Gemeinschaftsleben unverzichtbar sind, wie weit Kontrolle gehen darf. Die Pflegenden müssen beständig die Balance halten zwischen ihrem Respekt vor der Autonomie des Einzelnen und ihren Fürsorgepflichten für das Wohlergehen aller. Das beinhaltet, dass Beziehungen zu anderen/Freizeit, Haben sie genug Raum, Freundschaften und Kontakte zu pflegen? Haben sie die Möglichkeit, Menschen, die sie nicht so mögen, aus dem Weg zu gehen? eingeschränkt oder ist die Strukturierung des Tagesablaufs eher angenehm? Haben Sie Einfluss darauf, wann und wohin sie außerhalb des Heims gehen? Haben Sie Rückzugsmöglichkeiten, Orte, wo sie mal ganz ungestört bleiben können? Fühlen Sie sich in ihrem Zimmer ungestört? Einen anderen Aspekt der gefährdeten Privatheit stellt die Fülle von dokumentierten medizinischen und persönlichen Daten dar, über die das Heim verfügt, und auch Biographiearbeit ist zugleich Verlust von In- 34 Goffman, E. (1961) Asylums. New York. 35 Vgl. dazu u.a. Foldes, S.S. (1990) Life in an Institution: A Sociological and Anthropological View, In: Kane, R.A.; Caplan, A.L. (Eds.) Everyday ethics: Resolving Dilemmas in Nursing Home Life. New York, pp 21-36. sowie Heinzelmann, M. (2004) Das Altenheim – immer noch eine »Totale Institution«? Eine Untersuchung des Binnenlebens zweier Altenheime, Diss., Göttingen . 95 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar timität. Dementsprechend muss jede Konsultation in einem Ethik-Komitee uneingeschränkte Vertraulichkeit bieten, absolute Schweigepflicht gilt unverzichtbar für alle Mitglieder.36 Autonomie und Selbstbestimmtheit des alten Menschen als oberstes Ziel Heimbewohnerinnen und -bewohner übergeben einen Teil ihrer Selbstbestimmtheit in die Hände der Angehörigen und Pflegenden, die damit treuhänderische Verantwortung übernehmen. Die Frankfurter Neurologin, Uta Meyding-Lamadé, hat darauf aufmerksam gemacht, dass in der Medizin zu den zehn Pflichtbestandteilen der Anamnese bei älteren Menschen neben Fragen nach Ernährung, Mobilität, Kontinenz, Schlaf, Hören und Sehen, Kognition und Medikamenteneinnahme auch Fragen zu den Ziele und Wertvorstellungen des alten Menschen gehören.37 Dies gilt in gleicher Weise für die Pflegenden im Altenpflegeheim, die für vielfältige Entscheidungen immer wieder bedenken müssen: „Was sind die Wünsche, Interessen, Wertvorstellungen dieses individuellen Heimbewohners?“ Oftmals ist es für die Pflegenden schwer, aber von großer praktischer Bedeutung, die Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit der Betroffenen vor allem für einfache Alltagsverrichtungen richtig einschätzen zu können. Wie grundlegend wichtig der Respekt vor der Autonomie und Selbstbestimmtheit des alten Menschen ist, hebt ein Hinweis im schon zitierten Handbook for Nursing Home Ethics hervor, wo es heißt, dass das Ethikkomitee grundsätzlich solange davon ausgehen muss, dass Menschen die Fähigkeit besitzen, Entscheidungen zu treffen, bis das Gegenteil bewiesen ist.38 Zur Unterstützung der Pflegenden haben wir im Ethikkomitee des Franziska Schervier Altenpflegeheims in Frankfurt am Main einen Leitfaden zur Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit für Alltagsverrichtungen entwickelt, der noch in der Erprobung ist. In der Zielsetzung heißt es: „Im Altenpflegeheim gibt es unter den Pflegenden ebenso wie unter den verschiedenen weiteren Berufsgruppen und / oder den Angehörigen immer wieder unterschiedliche Vorstellungen von Selbstbestimmung und Würde eines Heimbewohners oder einer Heimbewohnerin. Angehörige oder an der Betreuung beteiligte Berufsgruppen übergehen nicht 36 In den USA enthält The Omnibus Budget Reconciliation Act (1987) ausdrücklich eine Liste von Regeln, die Privatheit und Vertraulichkeit gewährleisten müssen, u.a. medizinische Behandlung, Briefe und Telefongespräche, Familienbesuche etc. Vgl. Hoffman et al. (Fußnote 4), p. 148. 37 Vortrag im Rahmen des Geriatrie-Forums 2008 „Umgang mit verwirrten älteren Menschen“, 13.Februar 2008. 38 Hoffman et al. (Fußnote 4), p. 208. 96 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar selten aufgrund ihres Fürsorgebedürfnisses oder aus Haftungsgründen den Willen des betroffenen alten Menschen. Im pflegerischen Alltag kommt es deshalb zu Konflikten, bei denen der Grad der Einwilligungsfähigkeit des Bewohners / der Bewohnerin eine wichtige Rolle spielt. Angehörige und gesetzliche Betreuer erwarten beispielsweise eine regelmäßig durchgeführte Körperpflege – nicht selten jedoch trotz der unmissverständlichen Ablehnung durch den Betroffenen. Gleiches gilt für ärztliche Anordnungen wie z.B. Mobilisieren oder Medikamenteneinnahme. Im pflegerischen Alltag tauchen daher mit Blick auf die Einwilligungsfähigkeit Probleme auf, wenn die Pflegenden unsicher sind, weil der Heimbewohner / die Heimbewohnerin sich bei alltäglichen Verrichtungen so verhält, • als könne er/sie bei einfachen Fragen Wahlmöglichkeiten nicht nutzen, • Informationen nicht wirklich verstehen, • verstandene Informationen nicht auf die eigene Situation realitätsbezogen nutzen, • die angebotenen Handlungen nicht in Übereinstimmung mit seiner Persönlichkeit, seinen persönlichen Interessen in seiner Entscheidung in Einklang bringen, • er/sie diese Entscheidungsunsicherheiten bzw. –unfähigkeiten jedoch nicht regelmäßig zeigt, • und je nach Tagesbefinden klare oder fragliche Zeichen von Einwilligungsfähigkeit erkennen lässt. Deshalb ist es das Ziel der Leitlinie, die Einwilligungsfähigkeit eines Heimbewohners / einer Heimbewohnerin bei Alltagsverrichtungen einschätzen zu können, um gleichermaßen dem Recht des alten Menschen auf Autonomie und dem eigenen Anspruch der Pflegenden auf Respektierung dieser Autonomie gerecht zu werden.“ Ein häufig auftretendes Problem sind Entscheidungen für oder gegen medizinische Maßnahmen und für oder gegen eine Krankenhauseinweisung. Für den individuellen Heimbewohner, der nun auch als Patient bezeichnet werden muss, wird es bei der Frage nach Behandlungsmaßnahmen nicht nur um seine Lebenszeit, sondern auch um die ihm verbleibende Lebensqualität gehen. Seine Selbstbestimmtheit als Ausdruck seiner Autonomie muss ernst genommen werden und darf nicht in den Hintergrund geraten. Vor allem der mögliche Verlust von Selbständigkeit und Kommunikationsfähigkeit ist für viele Menschen belastend und bedrohlich. Die zugrunde liegende Erkrankung, aber eben auch das Alter, Vorerkrankungen und der Zeitpunkt bis zur Einleitung einer Reanimation spielen beispielsweise bei einem Kreislaufstillstand eine wesentliche Rolle für das Überleben. Der behandelnde Arzt wird neben der Prognose mit Blick auf die Lebenszeit mit dem alten Menschen oder mit Angehörigen und Pflegenden auch über die Möglichkeiten einer Wiederherstellung bzw. einer Lebenssituation beraten müssen, die der individuellen Belastbarkeit des Erkrank- 97 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar ten gerecht wird. Für alle Beteiligten muss dann oftmals die besondere Unsicherheit einer Prognose ausgehalten werden. Nicht selten kommt es bei derartigen Entscheidungen zu hochemotionalen Auseinandersetzungen über die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit einer Maßnahme. Dabei darf nie außer Acht bleiben, dass professionelle Entscheidungen nur scheinbar wertfrei sind und professionelle Erfahrungen nicht zweifelsfrei auf jeden Menschen zutreffen. Auch innerhalb des Teams der behandelnden Ärzte besteht bezüglich einer medizinischen Indikation oftmals kein Konsens. Die Durchführung einer Tracheotomie, der Einsatz einer Dialyse, das Anlegen einer PEG-Sonde zur künstlichen Ernährung sind immer wieder Streitpunkte zwischen den Fachärzten verschiedener Disziplinen, aber auch innerhalb eines Stationsteams. Gleiches gilt für die Pflegenden, die je nach professionellen Schwerpunkten in der Krankenpflege oder Altenpflege unterschiedliche Notwendigkeiten zur Behandlung oder Behandlungsbegrenzung sehen. Der Braunschweiger Internist Klaus Gahl hat zu recht angemahnt, dass die Notwendigkeit einer Begründung des Handelns die Beachtung des grundlegenden Unterschieds von Müssen, Sollen, Dürfen und Können erfordert: „Warum und woraufhin müssen, sollen, dürfen, können und wollen wir als Ärzte, Sachwalter des Kranken, Mitglieder einer Solidargemeinschaft und einer soziokulturellen Wertewelt jetzt und hier für wen (für den Kranken oder für wen sonst?) was tun?“39 Auch die Angehörigen sind oft auf schmerzhafte Weise mit der Frage konfrontiert, ob sie eine medizinische oder pflegerische Maßnahme tatsächlich für den betroffenen alten Menschen wollen, ob es seinem Willen entspricht oder ob eigene Gefühle des Verlustes, der Angst, der Schuld oder der Hilflosigkeit ihre Entscheidungen bestimmen. Die Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung auf der Basis des Patientenwillens zeigen sich täglich bei der Indikation zur künstlichen Ernährung über eine PEG-Sonde. Hier spitzen sich immer wieder Konnotationen von „Verhungern- und Verdursten lassen“ zu der Frage zu, ob nicht berechtigte Zweifel an einer Indikation zur PEG-Sonde bestehen, was zum Wohl des Heimbewohners beiträgt und was ihm möglicherweise eher schadet, wie die jeweiligen Werturteile der Entscheidenden aussehen und für wen die Sonde eigentlich gelegt wird: für den betroffenen alten Heimbewohner, für die Pflegende, für die Angehörigen, für den Arzt? Und was vor allem hat oder hätte der alte Mensch selbst gewollt? Auch die Stellungnahme des Medi- 39 Gahl, K. (2005) Indikation – zur Begründungsstruktur ärztlichen Handelns. Deutsche Medizinische Wochenschrift 130: 1155- 1158. 98 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar zinischen Dienstes der Spritzenverbände der Krankenkassen (MDS)40 hat bei aller Wertschätzung der Untersuchung zur Ernährungssituation und Flüssigkietsversorgung alter Menschen zu einem kritischen Kommentar geführt, der zu Recht betont, dass die Reduktion von Hunger und Durst im Alter und im Sterben mit Nicht-essen-wollen im Einzelfall ganz in Ordnung sein kann: Wer keinen Hunger (mehr) hat, kann auch nicht an Hunger leiden. Wenn man die Autonomie des Menschen auch im Alter respektieren will, dann muss man beachten, dass Nicht-essen-wollen als Ausdruck eines langsamen Abschieds vom Leben oder von beginnender Todesnähe und die Ablehnung von Nahrung als letzte verbliebene Möglichkeit der Selbstbehauptung in einem Pflegeheim verständlich sein kann.41 Organisationsethische Aspekte im Altenpflegeheim Die oben dargestellte Wahrnehmung des Altenpflegeheims als Institution mit moralischen Verpflichtungen und moralischer Wirkung beinhaltet auch, diese Einrichtungen als lernende Organisationen zu verstehen. Organisationsethische Fragen nach Verantwortung und Entscheidungsprozessen führen zur Frage nach Modellen und Strukturen und nach Planung, Implementierung und Evaluation von Ethikberatung. So können Altenpflegheime sich auch als Orte verstehen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, Fürsorglichkeit und Mitgefühl zu zeigen, aber auch den Respekt vor der Autonomie und Selbstbestimmtheit des anvertrauten Menschen jederzeit zu wahren. Auf der Basis der Sensibilisierung für ethische Fragen, der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Werten und der geübten Argumentation kann im Gespräch mit dem alten Menschen und seinen Angehörigen, aber auch im Team aus Pflegenden, Sozialarbeitern, Ergotherapeuten und Seelsorgern und im Austausch mit den behandelnden Ärzten Sicherheit und Entlastung in der Entscheidungsfindung entstehen. Schlussbemerkung 40 Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V (MDS) (Hrsg.) (2003) Grundsatzstellungnahme. Ernährung und Flüssigkeitsversorgung älterer Menschen. Abschlussbericht Projektgruppe P 39, Essen. 41 Heubel, F. (2007) Lebt der Mensch vom Brot allein? Kritische Anmerkungen der Arbeitsgruppe Pflege und Ethik in der Aka- demie für Ethik in der Medizin zur Grundsatzstellungnahme Ernährung und Flüssigkeitsversorgung älterer Menschen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Ethik in der Medizin 19:55-56. 99 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Bei allen Überlegungen darf allerdings nicht vergessen werden, dass der alte und so oft schwerst pflegebedürftige Mensch zur Gruppe der besonders vulnerablen Menschen gehört. Die Gefahr einer Altersdiskriminierung ist – nicht zuletzt aufgrund ökonomischer Probleme – immer gegeben, denn bei allen lebenserhaltenden Maßnahmen schneidet der alte Mensch im Durchschnitt schlechter ab als der jüngere. Weniger gewonnene Lebensjahre, weniger Gewinn an Lebensjahren in guter Lebensqualität und die Berücksichtigung der indirekten Kosten und des indirekten Nutzens begünstigen jüngere Patienten.42 Dennoch muss vor allen Überlegungen zu medizinischen Maßnahmen des Lebenserhalts ein Fazit stehen, das der Freiburger Arzt und Medizinhistoriker Eduard Seidler einmal mit Blick auf das Bedürfnis nach Gesundheit gezogen hat: „Der Mensch will primär weniger wissen, was er alles machen soll, um gesund zu bleiben, er will vor allem erfahren, wozu er gesund sein soll. Ein solches Gesundheitsverständnis meint nicht die ausschließliche Bereitstellung eines optimierten Gesundheitswesens, sondern verlangt vor allem nach einer menschengerechten sinnstiftenden Lebenswelt, um deretwillen es sich lohnt, gesund zu bleiben.“43 Gleiches gilt für das Altwerden! Die ethischen Herausforderungen im Altenpflegheim entstehen aus dem Bedürfnis des Heimbewohners nach einem würdigen Alter und damit nach einem sinnstiftenden letzten Aufenthalt, damit er erfahren kann, wozu es gut ist, alt zu werden. Es soll nicht verschwiegen werden, dass damit immer Gratwanderungen verbunden sind zwischen Freiheit und Fürsorge, zwischen Schutz und Zwang, zwischen Schulden und Zumuten, zwischen Zuviel und Zuwenig, aber dieser Herausforderung müssen sich alle stellen. 42 Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen bei Marckmann, G. (Hrsg.) (2003) Gesundheitsversorgung im Alter: zwischen ethi- scher Verpflichtung und ökonomischem Zwang. Schattauer, Stuttgart. 43 Seidler, E. (1991) Wozu will der Mensch gesund sein? Festrede anlässlich der 125-Jahrfeier von Goedecke und Parke-Davis am 04. 10. 91. 100 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ethikberatung – nicht nur im Krankenhaus Aufbau von analogen Netzwerkstrukturen in Organisationen der Kirchen und der Wohlfahrtpflege Statements Brunhilde Ackermann Barbara Heller Dr. Gisela Bockenheimer-Lucius 101 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Die Betreuungsbehörde und das Gesetz zur Patientenverfügung Betreuungsbehörden wurden 1992, mit dem Inkrafttreten des Betreuungsrechts, in allen Landkreisen und kreisfreien Städten eingerichtet. Sie ermittelt im Auftrag des Betreuungsgerichts den tatsächlichen rechtlichen Betreuungsbedarf, macht Vorschläge zu örtlich verfügbaren und geeigneten anderen „betreuungsvermeidenden“ Hilfen und schlägt einen geeigneten Betreuer vor. Sie trägt dafür Sorge, dass eine ausreichende Zahl an ehrenamtlichen Betreuern gewonnen wird und geeignete berufliche Betreuer zur Verfügung stehen. Sie schult und unterstützt die Betreuer. Einen besonderen Stellenwert hat die Aufgabe der Information, der Beratung und Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern zu allen Angelegenheiten des Betreuungsrechts. Besonders in den letzten Jahren hat die Nachfrage nach Vorsorgevollmachten und, verbunden damit, nach Patientenverfügungen erheblich zugenommen. Durch das nunmehr in Kraft getretenen Gesetz zur Patientenverfügung ist ein erheblicher Anstieg an Beratungsbedarf zu verzeichnen. Das Gesetz trat als 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts zum 1. September 2009 in Kraft. und normierte damit überwiegend die bisherige Rechtsprechung. Gesetzliche Regelungen: Die §§ 1901a und 1901b BGB sollen gemäß ihres Wortlautes nach dem Willen des Gesetzgebers den Bürgerinnen und Bürgern Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit der Patientenverfügung geben: § 1901 a Patientenverfügung (1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der 102 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. (2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten. (4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden. (5) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend. § 1901 b Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens (1) Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung. (2) Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Absatz 1 oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901a Absatz 2 soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.“ 103 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Falls Arzt und Vertreter unterschiedliche Auffassung darüber haben, welche Entscheidung dem Willen des Betroffenen entspricht, ist eine Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen. Damit soll der Wille des Betroffenen geschützt werden. Mit der gesetzlichen Regelung des Umgangs mit der Patientenverfügung musste somit auch der § 1904 BGB über die gerichtliche Genehmigung von ärztlichen Maßnahmen neu gefasst werden. § 1904 Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen (1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. (2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. (3) Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Einwilligung, die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht. (4) Eine Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a festgestellten Willen des Betreuten entspricht. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für einen Bevollmächtigten. Er kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich 104 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar umfasst und schriftlich erteilt ist.“ Mit dem Gesetz zur Patientenverfügung will der Gesetzgeber allen Beteiligten mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit Patientenverfügungen geben. Mit einer Patientenverfügung kann nunmehr verbindlich zum Ausdruck gebracht werden, ob und welche medizinischen Maßnahmen die Betroffenen bei konkret beschriebenen Krankheitszuständen wünschen oder ablehnen. Die Regelungen sollen sicherstellen, dass bei jeder Behandlungsentscheidung der Patientenwille in jeder Lebensphase zu beachten ist. Dabei ist die Beachtung des Patientenwillens weder an hohe bürokratische Anforderungen noch an Art oder Stadium einer Krankheit geknüpft. Künftig bindet jede schriftliche Patientenverfügung, die der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation entspricht, alle Beteiligten. Kann der Patient sich selbst nicht mehr äußern und liegt eine Patientenverfügung vor, muss der Betreuer oder Bevollmächtigte sorgfältig prüfen, ob er darin für die anstehende Situation bereits eine Behandlungsentscheidung getroffen hat. Ist das der Fall, hat der Vertreter diesem Willen Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Maßstab der Entscheidung ist immer der festgestellte Wille des Patienten. Zu seiner sorgfältigen Ermittlung ist das Gespräch zwischen Arzt und Angehörigen, Bevollmächtigtem oder Betreuer von entscheidender Bedeutung. Wenn es keine Patientenverfügung gibt oder wenn sie nicht genau auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation passt, muss der Betreuer oder Bevollmächtigte unter Einbeziehung von nahen Angehörigen und Vertrauenspersonen den behandlungsbezogenen mutmaßlichen Willen des Betroffenen ermitteln und im Sinne des Kranken entscheiden, ob eine bestimmte Behandlung erfolgen soll oder nicht. Die Entscheidung über die Durchführung einer ärztlichen Maßnahme, sofern es kein Notfall ist, muss im Dialog zwischen Arzt und Vertretern des Patienten vorbereitet werden. Der behandelnde Arzt prüft, was medizinisch indiziert ist und erörtert die Maßnahmen mit dem Betreuer oder Bevollmächtigten. Falls Arzt und gesetzlicher Vertreter unterschiedliche Auffassungen darüber haben, welche Entscheidung dem Willen des Betroffenen entspricht, ist eine Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen. Auch Dritte können beim Betreuungsgericht eine Überprüfung anregen, um dem Schutz des Betroffenen nachzukommen, wenn sie befürchten, dass Vertreter nicht im Sinne des Betroffenen entscheiden. 105 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Der Widerruf einer Patientenverfügung ist grundsätzlich an keine Form gebunden. Ist es im Einzelfall nicht möglich, den Behandlungswillen eines entscheidungsunfähigen Patienten festzustellen, zieht das Gesetz vor, entsprechend dem Wohl des Patienten zu entscheiden und dabei dem Schutz seines Lebens Vorrang einzuräumen. Die aktive Sterbehilfe ist weiterhin verboten und strafbar. Die Betreuungsbehörde der Stadt Kassel informiert regelmäßig in öffentlichen Veranstaltungen zu dem Themenbereich, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügungen im Kontext des Betreuungsrechts. Die Termine im 1. Halbjahr 2010 sind: 27. Januar 2010 um 10.30 Uhr 17. März 2010 um 10.30 Uhr 9. Juni 2010 um 18.30 Uhr. Die Betreuungsbehörde bietet außerdem Einzelberatungen zu dem Thema nach Vereinbarung an und stellt Referenten für Gruppenveranstaltungen. Kontaktadresse: Magistrat Stadt Kassel / Betreuungsbehörde Obere Königsstr. 8, Rathaus, 34 117 Kassel Geschäftszimmer: Tel. (0561) 787 5010 [email protected] 106 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 107 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 108 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 109 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 110 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 111 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 112 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 113 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Resümee und Perspektiven Helga Steen-Helms Pfarrer Sven Pernak Peter Kraft 114 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Helga Steen-Helms Fachtagung „Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod – Hilfestellung und Entlastung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung“ vom 30. November bis zum 1. Dezember 2009 Resümee von Frau Helga Steen-Helms, Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit Um ein Resümee von dieser zweitägigen Fachtagung zu ziehen, möchte ich zunächst einen kurzen Blick zurückwerfen und der Frage nachgehen: „Welche Ziele haben wir mit dieser Veranstaltung verfolgt – sind diese Zielsetzungen erreicht worden?“ Mittlerweile ist es üblich, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende einer Veranstaltung im Rahmen eines Evaluationsbogens hierzu befragt werden. Das wird die Evangelische Akademie auch heute noch tun – vorab möchte ich kurz berichten, was ich im Rahmen der Fachbeiträge, während der Arbeitsgruppenphase und in den Pausen beobachtet und wahrgenommen habe. Meines Erachtens haben Sie alle sehr intensiv die Zeit für einen fachlichen und persönlichen Austausch genutzt. Besonders gefreut hat mich, dass in den Arbeitsgruppen unterschiedlichste Berufsgruppen vertreten waren und ihre jeweiligen fachlichen Probleme und Einschätzungen eingebracht haben. In der Vorbereitungsphase dieser Fachtagung waren sich die Kooperationspartner schnell einig, dass es sich bei der Thematik zur Entscheidungsfindung zwischen Leben und Tod um eine elementare und hochaktuelle Fragestellung handelt, die sowohl für kirchliche als auch nichtkirchliche Institutionen von zentraler Bedeutung ist. Darüber hinaus sollte die Veranstaltung den mit dieser Thematik befassten Berufsgruppen die Möglichkeit zu einem interdisziplinären Dialog bieten und auch Anreize zur Schaffung neuer örtlicher Vernetzungsstrukturen vermitteln. Gerade weil der Alltag in fast allen Berufsbereichen zunehmend geprägt ist von Zeit- und Termindruck bieten Veranstaltungen wie diese eine Chance zum Innehalten, zum Reflektieren, zur Überprüfung und gegebenenfalls auch zur Korrektur von eingefahrenen Verhaltensmustern und Verfahrensweisen. 115 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Bei der Gesamtbetrachtung des Tagungsverlaufs haben sich drei zentrale Kernpunkte herauskristallisiert, die für diese Thematik von besonderer Bedeutung sind • der betroffene Mensch, • die Institution mit ihrem jeweiligen Dienstleistungsangebot und • der Faktor „Zeit“. Bei Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod steht der betroffene Mensch im Zentrum des Geschehens. Seine Würde und sein Wohl muss der Maßstab allen Handelns sein. Das Sterben ist ein elementarer Bestandteil des menschlichen Daseins. Der Mensch als soziales Wesen ist eingebettet in ein wie auch immer gestaltetes soziales Umfeld und geprägt von religiösen und kulturellen Werten und Haltungen. Das Sterben ist ein nicht kalkulierbarer Prozess und in der Regel mit einem Höchstmaß an Emotionen, Ängsten und Unsicherheiten verbunden. In einem Text von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1929 kommt dies treffend zum Ausdruck: „Befürchtung Werde ich sterben können –? Manchmal fürchte ich, ich werde es nicht können. Da denke ich so: wie wirst du dich dabei aufführen? Ah, nicht die Haltung – nicht das an der Mauer, der Ruf »Es lebe ... « nun irgendetwas, während man selber stirbt; nicht die Minute vor dem Gasangriff, die Hosen voller Mut und das heldenhaft verzerrte Angesicht dem Feinde zugewandt ... nicht so. Nein, einfach der sinnlose Vorgang im Bett. Müdigkeit, Schmerzen und nun eben das. Wirst du es können? Zum Beispiel, ich habe jahrelang nicht richtig niesen können. Ich habe geniest wie ein kleiner Hund, der den Schluckauf hat. Und, verzeihen Sie, bis zu meinem achtundzwanzigsten Jahre konnte ich nicht aufstoßen – da lernte ich Karlchen kennen, einen alten Korpsstudenten, und der hat es mir beigebracht. Wer aber wird mir das mit dem Sterben beibringen? Ja, ich habe es gesehen. Ich habe eine Hinrichtung gesehen, und ich habe Kranke sterben sehn – es schien, dass sie sich sehr damit plagten, es zu tun. Wie aber, wenn ich mich nun dabei so dumm anstelle, dass es nichts wird? Es wäre doch immerhin denkbar. »Keine Sorge, guter Mann. Es wird sich auf Sie herabsenken, das Schwere – Sie haben eine falsche Vorstellung vom Tode. Es wird ... « Spricht da jemand aus Erfahrung? Dies ist die wahrste aller Demokratien, die Demokratie des Todes. Daher die ungeheure Überlegenheit der Priester, die so tun, als seien sie alle schon hundertmal gestorben, als hätten sie ihre Nachrichten von drüben – und nun spielen sie unter den Lebenden Botschafter des Todes. 116 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Vielleicht wird es nicht so schwer sein. Ein Arzt wird mir helfen, zu sterben. Und wenn ich nicht gar zu große Schmerzen habe, werde ich verlegen und bescheiden lächeln: »Bitte, entschuldigen Sie ... es ist das erste Mal ... «“ Berufsgruppen, die mit sterbenden Menschen konfrontiert sind, wissen in der Regel um die Ängste und Verunsicherungen der Betroffenen. Sie sind gefordert, im Rahmen ihrer jeweiligen Institutionen menschenwürdige und individuell ausgerichtete Formen der Begleitung und Unterstützung zu ermöglichen. Dass sich diese Ansprüche in der beruflichen Praxis nicht immer im gewünschten Maße umsetzen lassen, wurde im Verlaufe dieser Fachtagung häufig hervorgehoben. Die an Entscheidungsprozessen zwischen Leben und Tod beteiligten Institutionen sind -wie alle anderen Institutionen auch- geprägt von ihren jeweiligen Trägerstrukturen und von ökonomischen Anforderungen, die in der Regel eine hocheffiziente Erbringung von Dienstleistungen beinhaltet. Dabei spielt der Faktor „Zeit“ eine zentrale Rolle. Für die Begleitung sterbender Menschen sind angemessene Zeitressourcen unerlässlich – im institutionellen Rahmen ist „Zeit“ aber knapp und teuer. Um in diesem Spannungsfeld sowohl dem betroffenen Menschen als auch der Mitarbeiterschaft gerecht zu werden, sollten alle kirchlichen und nichtkirchlichen Träger und Verbände unterstützende und entlastende Maßnahmen wie zum Beispiel die hier vorgestellten Modelle von Ethikberatung und interdisziplinärer Vernetzung nutzen. Wir benötigen eine institutionalisierte „Ethik der Achtsamkeit“, die geprägt ist von Anteilnahme, Versorgung, Mitmenschlichkeit und Verantwortung. Dies schließt nicht nur die Sorge für andere, sondern auch die Selbstsorge mit ein. Unverzichtbar für die Zukunft wird aber auch die verstärkte Nutzung von Ressourcen im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements und anderer sozialer Unterstützungsformen sein. Aufgrund des demographischen Wandels wird es zukünftig immer mehr ältere Menschen geben, die keine familiären Bindungen haben und auf soziale Kontakte und Unterstützungen im Gemeinwesen angewiesen sind. Freiwilliges Engagement stärkt den Zusammenhalt in der Gesellschaft und bringt zusätzliche Lebensqualität in den Alltag. Dass Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen hierzu bereit sind, zeigt u. a. die Entwicklung in der Hospizbewegung. Im Rahmen dieser Fachtagung haben wir keine Lösungsstrategien für die vielschichtigen gesellschaftspolitischen Problemlagen entwickeln können. 117 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Ich hoffe aber, dass Sie neue Impulse und Denkanstöße für ihre berufliche Praxis mitnehmen und es Ihnen vor Ort gelingt, Verbesserungen für die Ihnen anvertrauten Menschen und für ihre eigene berufliche Zufriedenheit einzuführen. 118 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Tagung „Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod“ Zusammenfassung der Tagung für das Diakonische Werk Kurhessen-Waldeck durch Pfarrer Sven Pernak, Assistent des Landespfarrers Sehr geehrte Damen und Herren, in den Vorreden wurden bereits die wichtigsten Punkte dankenswerter Weise genannt, so dass ich mich auf einige wenige Anmerkungen beschränken möchte. Ich denke, dies war eine Tagung, die wiederum vor Augen geführt hat, wie wichtig die enge Kooperation und Abstimmung der einzelnen beteiligten Gruppen ist. In diesen eineinhalb Tagen ist deutlich geworden, dass es hier bereits sehr gute Ansätze gibt, allerdings der Bedarf besonders bei einem Wechsel der Zuständigkeiten weiterhin sehr hoch ist. Hier sei zum Beispiel nur die Entlassung aus einem Krankenhaus und die Übernahme durch einen ambulanten Dienst genannt. Gestatten sie mir darüber hinaus vier Punkte anzusprechen, die aus meiner Sicht am Ende dieser Tagung wichtig sind: Neben allen Fachdiskursen geht es um eine Humanisierung der gesellschaftlichen Kultur im Hinblick auf Tod und Sterben. Für die Menschen, die in ihrer Arbeit mit Sterbenden zu tun haben bedeutet dies durch Aus- und Fortbildung die Heranbildung einer Sensibilität und ethischen Hermeneutik, die Schaffung eines Gehöres für den persönlichen Umgang des einzelnen Menschen mit seinem Sterben, seinem Tod. Dazu gehört ein Bewusstsein der sozialen Herkunft und der „historischen“ Erlebnisse. Wir haben es bereits heute und in naher Zukunft verstärkt mit Menschen zu tun, die zu einem Großteil die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges als Kinder erlebt haben. Dass heißt in einer Lebensphase, in der kaum Bewältigungsstrategien zur Verfügung stehen, kam Tod und Sterben sprichwörtlich wie aus heiterem Himmel über diese Menschen. Über diese Erlebnisse wurde danach fast durchgängig geschwiegen. Nun sollen diese Menschen sich mit ihrem eigenen Sterben intensiv auseinandersetzen? Diese letzte Phase ihres Lebens „planen“ bzw. bewusst gestalten? Das sollte im Bewusstsein sein, ebenso die Frage, wie sind die Menschen in ihrer Vergangenheit mit Tod und Sterben umgegangen? Welche Geschichten erzählen sie uns und wie erzählen sie sie? In der Zechensiedlung meiner Eltern kam, als die meisten noch kein Telefon hatten, ein Wagen mit einem Bediensteten der Zeche vorgefahren, wenn einer der Männer doppelt machen, sprich länger arbeiten musste. Der gleiche Wagen kam aber auch vorgefahren, wenn einer der Männer verunglückt war. Für die Frauen war es immer ein banger Moment, wenn der Wagen vor der Tür hielt. Sie haben so ihren ganz eigenen Umgang 119 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar mit Tod und Sterben und was ebenso entscheidend ist, ihre eigene Sprache entwickelt. Diese mag nicht so ausführlich oder auf einem Niveau sein, wie das mancher sich wünscht, ist aber von hoher Bedeutung bei Fragen einer Sterbebegleitung, die den einzelnen Menschen vor Augen hat. Vernetzung oder besser Kooperation ist kein Wert an sich. Im Blick sollte immer der betroffene Mensch sein und dabei auch die Frage, wie viele Menschen dort am Sterbebett von den unterschiedlichen involvierten Diensten stehen. Ein alter Mann, den ich ein wenig kenne, sagte mir mal, er will nicht ins Altenheim und auch nicht ins Hospiz. Nicht weil es der letzte Ort des Lebens sei, sondern weil man dort nie zu Ruhe komme angesichts all der Angebote und Menschen. Kooperation kann hier also auch Beschränkung bedeuten. Wichtig erscheint auch eine genaue Bestimmung der Begriffe und ihrer Abgrenzung. Das erscheint zwar zunächst sehr theoretisch, ist aber von entscheidender Bedeutung für die praktisch Arbeit. Wir müssen wissen wovon wir reden, wenn wir von Ethik oder auch Spiritualität reden, damit am Ende nicht nur moralische Appelle bleiben, sondern die Menschen durch ein bewusstes, reflektiertes Handeln und Entscheiden unterstützt werden. Als vierter und letzter Punkt: Alle Ethikberatung und alle Sterbebegleitung kann den Tod nicht „bewältigen“. Das Ende des Lebens bleibt wie sein Anfang letztlich unverfügbar und damit nicht zu „bewältigen“. Diese Ehrlichkeit sollten wir uns und den Menschen, die wir begleiten, zugestehen und so der Bildung von Mythen keinen Vorschub leisten: Die beste Kooperation, die beste Ethikberatung bewahrt letztlich nicht vor der Unverfügbarkeit des Todes. Vielen Dank. 120 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Caritasverband für die Diözese Mainz e. V. Resümee und Perspektiven zu „ENTSCHEIDUNGEN AN DER GRENZE ZWISCHEN LEBEN UND TOD“ 6. Fachtagung vom Montag, 30.11.2009 und Dienstag, 01.12.2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Für den Caritasverband für die Diözese Mainz möchte ich Ihnen ganz herzlich danken, den Referenten für ihre kompetenten und herausfordernden Impulse, Ihnen als Teilnehmerinnen und Teilnehmern für Ihre engagierten Beiträge. Ich bin dankbar für die vielfältigen Gespräche und Anregungen aus den Arbeitsgruppen. Sie werden uns weiterhelfen, die Dienste vor Ort zu unterstützen. Wie positioniert sich unser Verband angesichts der an den beiden Tagen geschilderten Gemengelage? Was kann Caritas leisten, damit Leben gelingt? Als Spitzenverband haben wir auch die Aufgabe der Beratung der Einrichtungen vor Ort und insbesondere ein umfängliches Fort- und Weiterbildungsangebot zu unterbreiten. Die Schwerpunktthemen der letzten Jahre auf politischer Ebene sind ein Abbild der Bedingungen vor Ort. Sie heißen „Demenz“ und „Sterbebegleitung“. Fokussiert auf das Thema unserer Tagung kann ich für die Diözese Mainz auf Ergebnisse hinweisen, die eine spürbare Entwicklung zu Thema „Sterben und Tod“ deutlich machen. Mit dem Votum aus einer Konferenz unserer Träger erarbeiteten Praktiker und MitarbeiterInnen des Diözesancaritasverbandes eine Arbeitshilfe für unsere stationären Einrichtungen: „Leitgedanken zur Sterbebegleitung“ Ziel: niederschwellig, auch für Hilfskräfte 2 Jahre später entstand ein vergleichbares Produkt auch für den ambulanten Bereich. Der Vorstand unseres Verbandes genehmigte dem zuständigen Referenten Altenhilfe eine zusätzliche halbe Planstelle mit 121 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar dem Ziel der Unterstützung bei der Implementierung. Parallel hierzu boten wir die Weiterbildung „Palliative Care-Fachkraft“ an. Curriculum: Deutsche Hospizgesellschaft mit der (auch zeitlichen) Ergänzung des Themas Demenz Der nächste Kurs ist praktisch bereits ausgebucht. Warum stelle ich Ihnen das dar? Nicht als Leistungsnachweis, sondern als Ausdruck für eine Entwicklung, die vor Ort erkannt worden ist. Mehrfach ist auch im Laufe dieser Tagung das Thema der „erforderlichen Zeit“ aufgekommen. Ich bin überzeugt davon, dass ich die erforderlichen Ressourcen trotz intensiver Schulungen, Ethikkomitees, Ethikvisiten nicht ausreichen werden, den betroffenen Menschen hinreichend gerecht zu werden. Für mich geht es insbesondere auch darum, dass die Ideen, die Haltung aus den Hospizgruppen auch stärker in unseren Einrichtungen Platz finden. An der Haltung der meisten unserer MitarbeiterInnen hat es auch früher nicht gemangelt, das Know how aus der Hospizarbeit und der Palliativmedizin haben die Arbeit qualitätvoller gemacht. Was steht in unserer Diözese auf der Agenda? Die im letzten Jahr begonnene Arbeit an „Pastoralen Richtlinien“ wollen wir unserem Bischof vorlegen. Zum ersten Mal wurde der Seelsorge in der gesamten Diözese ein verbindlicher Rahmen für die Seelsorge in unseren Altenheimen beschrieben. Dies hätte auch Folgen für die Begleitung Sterbender. Unsere Altenheime müssen heraus aus den Nischen und wieder in die Mitte der Gemeinden als Teil des Sozial- und pastoralen Raums. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Position von Bischof Hein mit einem Kirchenanteil von 10 % und Generalvikar Dr. Stanke mit einer spürbaren personellen Verstärkung für Sterbebegleitung auch bei uns umsetzen ließen. Mein Kenntnisstand über die zu erwartende Kirchensteuerentwicklung lassen mich ein wenig skeptisch sein. Dennoch: es waren viele Gedanken und Ideen zu hören, die es aufzugreifen lohnt: Projekt Ffm. Ehtikberatung Ethikvisite Vernetzungssysteme Unser Ziel: Stärkung der Mitarbeiter fachliche Zurüstung Arbeit an der eigenen Ethik 122 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar helfende Strukturen organisieren Kompetenzen zusammenführen Wir haben den Vorteil, alle betroffenen Ebenen vom Träger über Leitungen bis hin zur MA-Ebene zu erreichen. Was kann ein Wohlfahrtsverband noch tun? Die verschiedenen Akteure zusammen zu führen. Zu uns gehören in der Diözese Mainz z. B.: 9 Krankenhäuser mit Geriatrieabteilungen etc. In unserem Bistum gibt es ein Institut für Geistliche Begleitung. Mit einer Reihe von Angeboten (auch vor Ort) wird unser eigenes Fortbildungsangebot komplettiert. Ein erstes gutes Beispiel für eine engere Zusammenarbeit mit der Kirchenführung. Perspektive: Gegen politische Ziele - trotz der Stigmatisierung - wird es mehr Heimplätze geben (müssen). Die Demographie unserer Gesellschaft macht deutlich: Das Thema heißt: „Hochaltrigkeit“ Starke Zunahme der Singlehaushalte ambulantes Netzwerk fördern stationäre Einrichtung zum Teil des Netzwerkes werden lassen Wir wollen, dass die Arbeit und das Leben im Altenheim als menschengerecht und sinnstiftend erlebt werden. 123 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar Anhang Tagungsprogramm 124 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 125 Reader zur 6. Fachtagung Entscheidungen an der Grenze zwischen Leben und Tod 30. November und 1. Dezember 2009 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar 126