Diagnostik des diabetischen Fußes (Klare) - Wunde

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Deutsche Gesellschaft für
Wundheilung und Wundbehandlung e.V.
Faszination Präventivmedizin
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DGfW-Akademie
Handout
Diagnostik des diabetischen Fußes
foto: fotolia.com/Michael Wolf
Impressum
Herausgeber
Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V.
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Glaubrechtstraße 7 • 35392 Gießen
[email protected] • www.dgfw.de
Autor
Dr. med. Wolf-Rüdiger Klare
Internist/Diabetologe
Diabeteszentrum HBH-Klinkum Radolfzell
Hausherrenstr. 12
78315 Radolfzell
Gestaltung
Brigitte Nink-Grebe
Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V., Gießen
Dipl.-Inform. Thomas Ruttkowski
Congress Compact 2C GmbH, Berlin
Druck
Julius Kress OHG
Jordanstraße 10 34117 Kassel
Papier
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Ausgabe
Ausgabe 1 erscheint am 12. Juni 2012 zum 15. Jahreskongress der DGfW in Kassel
© DGfW 2012
23.–25. Juni 2011 • Hannover
www.wunde-wissen.de
15. Jahreskongress der
Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V.
Fortbildungshandout
Diabetisches
Fußsyndrom:
Diagnostik des diabetischen Fußes
Frühzeitig erkennen – Amputationen vermeiden
Kursleiter
Kursleiter
Dr.
med. Wolf-Rüdiger Klare
Dr. med. Wolf-Rüdiger
Klare HBH-Klinkum Radolfzell
Internist/Diabetologe,
Diabeteszentrum
Internist/Diabetologe
Diabeteszentrum HBH-Klinkum Radolfzell
Hausherrenstr. 12
78315 Radolfzell
www.dabeteszentrum-hegau-bodensee.de
[email protected]
Inhaltsverzeichnis:
1. Einführung................................................................................................ Seite 4
1.1 Risikofaktoren des DFS ......................................................................... Seite 4
1.2 Identifikation von Risikopersonen .......................................................... Seite 5
1.3 Pathophysiologische Faktoren ............................................................... Seite 5
2. Basisdiagnostik ........................................................................................ Seite 9
2.1 Anamnese .............................................................................................. Seite 9
2.2 Klinische Fußuntersuchung ................................................................. Seite 10
3. Weiterführende Diagnostik ..................................................................... Seite 11
3.1 Semmes-Weinstein-Monofilament ....................................................... Seite 11
3.2 Stimmgabeltest (Rydel-Seiffer) ............................................................ Seite 11
3.3 Dopplerverschlussdruckmessung ........................................................ Seite 12
3.4 Bild gebende Verfahren ....................................................................... Seite 13
3.5 Diagnostik Infektion .............................................................................. Seite 13
© Dr. med. Wolf-Rüdiger Klare, 2011, 14. Jahreskongress der DGfW e.V., 23.-25.6.2011, Hannover
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Diagnostik des Diabetischen Fußsyndroms
Läsionen am Fuß von Patienten mit Diabetes mellitus können zu Komplikationen führen, die bei
verzögerter oder ineffektiver Therapie die Amputation der gesamten Extremität zur Folge
haben.
Schätzungsweise 250.000 Diabetiker in Deutschland haben eine Fußläsion.
Ca. 70 % aller Amputationen werden bei Diabetikern durchgeführt. Das sind nach Zahlen der
AOK aus dem Jahr 2001 mehr als 29.000 Major- und Minoramputationen. Das
Amputationsrisiko von Diabetikern ist gegenüber Nicht-Diabetikern bis zu 50-fach erhöht.
Etwa 1 Mio. Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko, eine Fußverletzung zu erleiden.
Risikofaktoren
Fußläsionen bei Diabetikern sind das Ergebnis eines multifaktoriellen Geschehens.
Hauptrisikofaktoren sind:
-
der Diabetes selbst (lange Diabetesdauer, komplizierter Verlauf, ungenügende
Stoffwechseleinstellung)
-
Vorliegen einer Neuropathie (sensorisch, motorisch, autonom)
-
Vorliegen einer arterielle Verschlusskrankheit
-
fortgeschrittenes Alter
weitere Risikofaktoren (in alphabetischer Reihenfolge):
� Adipositas 2° (BMI ≥ 35);
� Arthropathie (Hüfte/Knie/OSG) oder Gelenkimplantat mit
Funktionsbeeinträchtigung/Kontraktur;
� Barfußlaufen;
� eingeschränkte Gelenkmobilität (limited joint mobility, LJM), z. B. Fußdeformitäten;
� (erhebliche) Visuseinschränkung;
� Hornhautschwielen;
� Immunsuppression einschließlich Glukokortikoide;
� mangelnde/falsche Fußpflege;
� motorische Funktionseinschränkung/Parese eines oder beider Beine;
� psychosoziale Faktoren;
� Seheinschränkungen;
� Suchtkrankheiten (z. B. Rauchen, Alkoholismus);
� ungeeignetes Schuhwerk;
� vorangegangene Amputationen.
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Identifikation von Risikopersonen
Die Identifikation von Risikopersonen ist die Voraussetzung für eine wirksame Prävention von
Fußkomplikationen. Bei jedem Diabetiker muss daher geklärt sein, ob einer oder mehrere der
o.g. Risikofaktoren vorliegen. Bei der Erstuntersuchung ist daher eine Untersuchung der Füße,
der Strümpfe und der Schuhe erforderlich. Je nach Befund können die Patienten einer
Risikoklasse zugeordnet und danach die weiteren Untersuchungsintervalle festgelegt werden
(siehe Tab.1)
Kategorie
0
1
Befunde
keine sensomotorische
Neuropathie
sensomotorische Neuropathie
Risikoeinstufung
Untersuchungen
niedriges Risiko
1 x jährlich
erhöhtes Risiko
1 x alle 6 Monate
hohes Risiko
1 x alle 3 Monate
hohes Risiko
1 x alle 1 - 3 Monate
sensomotorische Neuropathie
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und Zeichen einer pAVK
und/oder Fußdeformitäten
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früheres Ulcus
Tab.1: Risikoklassifizierungssystem der International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF) für das
Auftreten von Fußläsionen
Die diabetische Neuropathie
Die diabetische Neuropathie ist der wichtigste pathophysiologische Faktor bei der Entstehung
von Fußulcera. Bei etwa 20 % aller Diabetiker ist mit dem Vorliegen einer sensomotorischen
und autonomen Neuropathie zu rechnen. Bei Patienten mit einem Ulcus finden sich in 70-100 %
der Fälle Zeichen der peripheren Neuropathie.
Durch prolongierte Hyperglykämie werden sämtliche Funktionen der peripheren Nerven
geschädigt. Weil das Empfinden für Schmerz, Berührung und Temperatur eingeschränkt bzw.
aufgehoben ist, werden mechanische oder thermische Alterationen nicht bemerkt,
Schutzreflexe sind aufgehoben. Hinzu kommt eine Beeinträchtigung der Tiefensensibilität. Ein
gestörtes Gangbild mit abnormen biomechanischen Belastungen des Fußes fördert über
pathologische Druck- und Scherkräfte zusätzlich die Bildung von Schwielenulcera.
Die gestörte Innervation der kleinen Fußmuskeln fördert die Ausbildung von Fehlstellungen wie
z.B. Krallenzehen.
Die klassische neuropathische Läsion ist das Malum perforans, das an besonders
druckbelasteten Regionen der Fußsohle, v.a. im Vorfußbereich, entsteht. Durch Druck- und
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Scherkräfte kommt es zu Schwielenhämatomen, die sich infizieren können und teils schon das
darunter liegende Gelenk erfasst haben, ehe das Ulcus nach außen „durchbricht“. Schwielen
müssen daher konsequent abgetragen werden, um diesen Vorgang frühzeitig zu erkennen,
bzw. zu verhindern.
Die Schädigung der autonomen Nervenfasern führt u.a. zu einer herabgesetzten
Schweißsekretion. Trockene Haut wird rissig und ist mechanisch weniger belastbar. Rhagaden
können Eintrittpforten für Bakterien und damit Ausgangspunkt von schlecht heilenden Wunden
und Infektionen werden.
Insgesamt wird durch die Neuropathie die gesamten Körperregion „Fuß“ aus der Wahrnehmung
des Patienten ausgeblendet. Dieser „Leibesinselschwund“ hat für das Verhalten des
Betroffenen weit reichende Konsequenzen und erfordert geduldige und wiederholte Motivation
und Hilfestellung bei der Umsetzung der unten empfohlenen Präventionsmaßnahmen.
Eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit (limited joint mobility)
Langjähriger Diabetes hat die Glykierung („Verzuckerung“) von Strukturproteinen an Gelenken,
Sehnen, Weichteilen und Haut zur Folge. Das beeinträchtigt die Beweglichkeit der
Zehengelenke. Auch das führt zu abnormen Druckbelastungen (z.B. im Bereich der Großzehe).
Fußdeformierungen
Fußdeformierungen wie beispielsweise ein ausgeprägter Spreizfuß, Hammerzehen oder ein
Hallux valgus können ebenfalls zu Druckläsionen führen.
Ischämie
Die diabetische Angiopathie ist eine spezielle Form der peripheren arteriellen
Verschlusskrankheit (pAVK) und betrifft überproportional häufig die Arteria profunda femoris
und die Unterschenkelarterien. Verengungen oder Verschlüsse von Beinarterien treten bei
Diabetikern bis zu 5-mal häufiger und etwa zehn Jahre früher auf. Frauen sind davon ebenso
betroffen. Die pAVK ist bei Diabetikern der Hauptrisikofaktor für den Extremitätenverlust.
Eine relevante pAVK ist bei 20 bis 30 Prozent der Fußläsionen an deren Entstehung oder
Persistenz beteiligt. Vor allem bei einer aufgetretenen Fußläsion führt eine Minderperfusion zu
einer deutlichen Prognoseverschlechterung.
Die häufig genannte Mediasklerose des Diabetikers führt per se nicht zu einer Minderperfusion
der Extremität. Hierbei handelt es sich um komplexe metabolische Veränderungen, die vor
allem aufgrund einer Neuropathie zur nicht stenosierenden Kalzifizierung der Tunica media der
arteriellen Gefäßwand führen.
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Ähnliches gilt für den Begriff „diabetische Mikroangiopathie“. Hier ist die Endstrombahn
betroffen. Diese Mikrozirkulationsstörungen treten gehäuft bei Diabetikern auf und führen u.a.
durch Gefäßwandveränderungen, arteriovenöse Shunts und Mikroaneurysmen zu Störungen
des interstitiellen Stoffwechsels und der Hämodynamik. Eine arterielle Verschlusskrankheit
resultiert hieraus nicht.
Ein Diabetisches Fußsyndrom ohne Vorliegen einer Polyneuropathie kommt praktisch nicht vor.
Daher ist es häufig, dass die Patienten die typischen Beschwerden einer pAVK
(Ruheschmerz, Schmerzen nach einer gewissen Gehstrecke in den Waden) nicht angeben
können.
Kausalkette Amputation
Die Gefahr eine Majoramputation bei Menschen mit Diabetes mellitus ergibt sich aus zwei
wesentlichen Faktoren:
1) Durch den Wahrnehmungsverlust im Rahmen der diabetischen Polyneuropathie werden
Verletzungen am Fuß nicht bemerkt. So kann es kommen, dass diese Läsionen sich
infizieren und der Infekt unbemerkt soweit fortschreiten kann, dass er die gesamte
Extremität und im Rahmen einer Sepsis das Leben des Betroffenen bedroht. Hier ist
dann eine Majoramputation u.U. die rettende Notfallmaßnahem.
2) Wenn eine PAVK vorliegt und die lokalen Verhältnisse keine
Revaskularisationsmöglichkeit mehr zulassen, ist ebenfalls die Majorampuation die
einzige Möglichkeit, um ein Fortschreiten der Nekrose und evtl. zusätzlich eine Infektion
mit ihren Folgen (s.o.) zu verhindern.
Ein weiter Grund für eine Majoramputation können bei nicht revaskularisierbarem Befund
Schmerzen sein, die anders nicht zu beherrschen sind.
Diabetische Neuroosteoarthropathie (DNOAP), Charcot-Fuß
Die diabetische Neuroosteoarthropathie ist eine schwere Komplikation des diabetischen Fußes.
Im Rahmen der autonomen Neuropathie kommt es zu einer lokalen Mehrdurchblutung des
Knochens und Aktivierung der Osteoklasten mit nachfolgender Osteoporose. Die motorische
Neuropathie führt zu einer muskulären Imbalanz. Die sensible Neuropathie fördert durch das
fehlende Schmerzempfinden Mikrotraumen. Stressfrakturen in der Umgebung von Fußgelenken
sind die Folge. Das instabile Fußgewölbe sinkt zusammen. Im akuten Stadium ist der Fuß
gerötet, geschwollen, überwärmt, evtl. deformiert, evtl. werden trotz sensibler Neuropathie
Schmerzen angegeben. die Ausheilung geht u.U. mit einer massiven Fehlstellung
(„Tintenlöscherfuß“) einher. Im Bereich dieser Deformierungen kann es dann zu Druckulcera
kommen.
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Der klinische Verdacht auf das Vorliegen einer DNOAP rechtfertigt die sofortige
Immobilisierung und Überweisung an eine Einrichtung, die mit der Behandlung der DNOAP
erfahren ist.
Basisdiagnostik
Basisdiagnostik: Anamnese
Folgende Fragen sind zu beantworten und zu überprüfen:
Genese des Ulcus?
-
Schuhwerk?
-
Fußpflege?
-
Anstoßtrauma?
-
Schwiele?
-
Nagelpilz, Unguis incarnatus?
-
……
Hinweise auf Neuropathie ?
Anamnestische Angaben, die auf eine Neuropathie hinweisen:
-
Lange Diabetesdauer / schlechte Stoffwechseleinstellung / vorausgegangene Läsion(en)
/ zusätzlicher Alkoholabusus
-
Symptome der Neuropathie (Neuropathie-Symptom Score, NSS): Brennen,
Taubheitsgefühl, Parästhesien, Schwächegefühl, Krämpfe, Schmerzen? Vor allem
nachts? Besserung beim Gehen?
Hinweise auf pAVK ?
Anamnestische Angaben, die auf eine pAVK hinweisen:
-
Nikotinabusus?
-
Arterielle Hypertonie?
-
Dyslipoproteinämie?
-
Koronare Herzerkrankung?
-
Claudicatio intermittens, Ruheschmerzen?
Ruheschmerzen bei pAVK sind lageabhängig und treten durch den zusätzlichen
hydrostatischen Druck weniger bei Beintieflagerung oder im Sitzen auf. Somit werden
anamnestisch vor allem nächtliche Schmerzen im Bett (Hochlagerung) angegeben, die zum
Aufwachen führen. Eine Schmerzlinderung verschaffen sich die betroffenen Patienten durch
Herabhängen der Beine, Aufsitzen oder kurzes Umhergehen (Aufstehen).
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Schwierig ist diese Schmerzanamnese bei der häufig gleichzeitig bestehenden sensiblen
Neuropathie des Diabetikers, die trotz relevanter AVK somit nur in 25% angegeben wird.
Basisdiagnostik: Klinische Fußuntersuchung
Die Inspektion des Fußes ist die wichtigste Maßnahme, aber auch das Schuhwerk sollte
beurteilt werden. Hierdurch werden Risikofüße erkannt und prophylaktische Maßnahmen
besprochen, der Diabetische Fuß mit seiner Läsion diagnostiziert und die entsprechende
Therapie eingeleitet.
Die klinische Untersuchung des Fußes umfasst die Haut (Temperatur, Feuchtigkeit), die
Behaarung (Zehenglatze bei trophischer Störung), die Zehen und die Nägel (Mykose).
Insbesondere die Zehenzwischenräume sind zu inspizieren (feuchte Kammer,
Interdigitalmykose, Druckläsion). Druckbedingte Hyperkeratosen befinden sich vor allem an den
Zehen, unter den Metatarsale-Köpfchen und an allen weiteren prominenten
Knochenvorsprüngen v.a. auch bei Fuß-/Zehenfehlstellungen (z.B. Hallux valgus).
Eine alleinige Neuropathie führt zu einer warmen, trockenen Haut mit kräftiger Venenfüllung
(Vasodilatation, verminderte Schweißsekretion). An druckexponierten Stellen finden sich
Hyperkeratosen mit Rhagaden, die im Verlauf zum typischen Druckulcus führen, dem Malum
perforans.
Zur Diagnostik einer pAVK ist die Palpation des Pulsstatus entscheidend. Hierzu gehören die
A.femoralis, die A.poplitea und die Fußpulse (A.dorsalis pedis und A.tibialis posterior). Bei einer
relevanten AVK wird die Haut dünn, atrophisch und häufig livide. Bei Hochlagerung des Fußes
blasst sie ab. Die Rekapillarisierung im Zehenbereich (nach kurzem Druck) ist deutlich
verzögert.
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Weiterführende Diagnostik
Fußläsion
Beim Erstkontakt oder einer klinisch apparenten Infektion wird ein Abstrich zur
bakteriologischen Untersuchung und Resistenzbestimmung entnommen. Idealerweise werden
Gewebeanteile (evtl. auch Knochenfragmente) eingesandt.
Auch wird die betroffene Fußregion mit der Frage „Osteolyse“ in 2 Ebenen geröntgt. Allerdings
bedeutet ein negatives Ergebnis (keine sichtbare Osteolyse) nicht den Ausschluss einer
Knochenbeteiligung.
Neuropathie
Zur Diagnostik der Neuropathie gehören neben dem Neuropathie-Symptom Score NSS (siehe
Anamnese) die Überprüfung der Drucksensibilität mit dem Semmes-Weinstein-Monofilament.
Hier wird die Sensibilität mit definiertem Druck (10g-Monofilament) unter der Großzehe und den
Metatarsaleköpfchen 1, 3 und 5 überprüft. Ein Test über tastbaren Hornhautschwielen in
diesem Bereich ist nicht aussagekräftig.
Abb. 1: Überprüfung der Drucksensibilität mit dem Monofilament
Alternativ steht der Stimmgabeltest (Rydel-Seiffer) zur Überprüfung des Vibrationsempfindens
zur Verfügung. Geeignet sind hierfür das Grundglied der Großzehe oder der Innenknöchel.
Auch im Alter ist eine Verminderung auf weniger als 5/8 pathologisch.
Angiopathie (pAVK)
Bei fehlenden Fußpulsen oder klinischem Hinweis auf eine Durchblutungsstörung ist die
Dopplerverschlussdruckmessung im Liegen erforderlich. Nach Anbringen der Blutdruckmanschette am distalen Unterschenkel wird die A. dorsalis pedis mit der Dopplerstiftsonde am
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Fußrücken aufgesucht und der Verschlussdruck gemessen. Dieser Wert entspricht der A.
tibialis anterior. Die Messung der A. tibialis posterior hinter dem Innenknöchel ist identisch.
Wichtig für den Dopplerindex ist die Relation zum systemischen Blutdruck. Mindestens einmalig
sollte der Blutdruck an beiden Armen gemessen werden (cave: Subclaviastenose). Der
Dopplerindex (englisch ankle-brachial-index, ABI) ist der Quotient aus dem höchsten Wert der
Unterschenkelarterien und dem systemischen Blutdruck. Pathologisch ist ein Wert <0.9. Bei
weiterer Erniedrigung zeigt dieser Wert auch die Schwere der AVK an.
Dopplerindex-Werte >1.3 sind ein Hinweis auf eine Mediasklerose, die bei Diabetikern
besonders häufig auftritt. Hierdurch ist diese Untersuchung nicht verwertbar und weitere
Verlaufskontrollen des Dopplerindex nicht möglich / nötig.
Zu verwendendes Messergebnis der ArmBlutdruckmessungen:
Mittelwert aus beiden Arm-Blutdruckmessungen,
wenn Seitendifferenz < 10mmHg,
Maximalwert, wenn Seitendifferenz >� 10
mmHg.
ABI =
Maximum (A. tibialis anterior, posterior)
Armdruck
Abb.2: Schematische Abbildung zur Messung des ABI
Die farbkodierte Duplexsonographie (FKDS) ist ebenfalls eine nicht invasive und einfach
verfügbare Untersuchungsmethode mit hoher Aussagekraft. Vor allem die Beckenetage und die
arterielle Strombahn der A.femoralis und A.poplitea sind gut beurteilbar. Trotzdem wird diese
Methode in der Regel nur zur orientierenden Diagnostik und Weichenstellung zur Angiographie
angewandt.
Zur Angiographie stehen verschiedene Techniken zur Verfügung.
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Andere Bild gebende Verfahre
Wenn eine PAVK als pathophysiologisch bedeutsamer Faktor der Wundheilungsstörung
eingeschätzt wird und damit eine revaskularisierende Maßnahme erwogen werden muss, ist
eine differenzierte Darstellung der Beinarterien erforderlich. Hierzu kommen die
kontrastmittelverstärkte MR-Angiografie (MRA) und die intraarterielle digitale
Subtraktionsangiografie (DSA) in Betracht. Letztere ist insbesondere angezeigt, wenn es um die
Darstellung der Unterschenkel- und Fußarterien geht.
Die transkutane Sauerstoffmessung
Die transkutane Messung des Sauerstoff-Partialdrucks (tcPO2) ist ein nicht invasives
Monitoring des PO2 in der Haut. Der tcPO2 ist ein direkter Hinweis auf die mikrovaskuläre
Funktion. Im Gegensatz zu Druck- und Volumenschätzungen bildet der tcPO2 die tatsächliche
Sauerstoffversorgung der Hautgewebszellen ab. Unterhalb eines Werts von 20 mm Hg ist eine
Wundheilung nicht mehr möglich.
Weiterführende Diagnostik Infektion - Stellenwert Bild gebender Verfahren
Die adäquate Therapie einer Infektion setzt voraus, dass feststeht, ob es sich um
� eine reine Weichteilinfektion;
� eine Infektion des Knochens oder Gelenkes oder
� eine gemischte Infektion
handelt.
Nach Abszedierungen sollte gezielt gesucht werden, da diese eine chirurgische Therapie
erfordern.
Osteitis
Eine Infektion des Knochens kann schwierig zu diagnostizieren sein. Das Tasten eines
freiliegenden Knochens mittels Pinzette (positives „probing to bone“) gilt als eines der
sensitivsten Parameter.
� Die Diagnostik mittels Knochenbiopsie gilt als Goldstandard.
� Eine anhaltend entgleiste Stoffwechselsituation kann ein indirektes Zeichen für eine Osteitis
sein.
� Laborchemische Bestimmungen helfen nur im klinischen Kontext weiter: die Blutsenkung ist
zwar häufig erhöht, jedoch unspezifisch. Sinkende Leukozytenzahlen oder fehlende
Leukozytosen schließen einen fortbestehenden knöchernen Infekt nicht aus.
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� Da insbesondere kleine Knochen im Vorfußbereich betroffen sind, sind weitere Abklärungen
mittels konventionellem Röntgen, NMR oder Knochenszintigrafie zwar möglich, haben aber
aufgrund der häufig vorbestehenden Deformierungen nur eine eingeschränkte Aussagekraft.
Die Diagnose einer Osteitis ist derzeit deshalb weiterhin umstritten und führt häufig zu
unterschiedlichen Therapieansätzen. Diese bestehen einerseits in einer limitierten
Knochenresektion, andererseits in einer langfristigen antibiotischen Therapie.
Evidenzbasierte Daten hierzu gibt es nicht.
Bei V. a. Osteitis im Mittelfuß- oder Fersenbereich hat das NMR einen Stellenwert und kann
gleichzeitig zur Differentialdiagnose des akuten Charcot-Fußes beitragen (s.u.).
Weiterführende Diagnostik DNOAP
Bei Verdacht auf eine diabetische Neuroosteoarthropathie (DNOAP) sollten
Röntgenaufnahmen des betroffenen Fußes in zwei Ebenen angefertigt werden.
Dabei ist zu beachten, dass der Befund im Frühstadium negativ sein kann.
Bei unauffälligem Nativ-Röntgenbefund und/oder V.a. Abszess kann das MRT zur Diagnose
führen. Typisch ist der Nachweis eines Knochenmarksödems.
Eine Punktion sollte nur selektiv bei besonderen Fragestellungen und unter besonderen
Bedingungen stattfinden, da die Gefahr des Übergangs in einen offenen Charcot-Fuß besteht.
Klassifikation des DFS und der DNOAP
Die Fußläsion muss bezüglich Lokalisation, betroffener Strukturen und Infektion beurteilt
werden. Entscheidend auch für die Prognose sind die Tiefe und die betroffenen Strukturen
(Weichteile, Sehnen, Gelenk, Knochen). Hierzu ist die Sondierung der Wunde erforderlich. Der
Knochenkontakt („probing to bone“) zeigt hohe Sensitivität für eine vorliegende Osteitis. Dies
führt zur Klassifikation nach Wagner 0-5.
Zur exakten Dokumentation werden Größe, Tiefe, Wundgrund, Wundrand und umgebende
Haut beurteilt.
Zeichen einer lokalen Infektion sind eine auffällige Rötung, Schwellung, Überwärmung und
vermehrte Sekretion. Der sonst typische Entzündungsschmerz kann aufgrund der sensiblen
Neuropathie fehlen.
Die kombinierte Beurteilung von Fußläsion, Infektion und Durchblutung führt zur klinisch
relevanten und prognostisch bedeutsamen Klassifikation nach Wagner-Armstrong (0-5, A-D;
siehe Tab.2).
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0
1
2
3
oberflächliche
Wunde bis
Wunde bis
Wunde
Sehne,
Knochen,
Cutis,Subcutis
Gelenkkapsel
Gelenk
B
+ Infektion
+ Infektion
C
+ Ischämie
A
Hochrisikofuß
Z.n.Fußläsion
4
5
Nekrose von
Nekrose
Fußteilen
des Fußes
+ Infektion
+ Infektion
+ Infektion
+ Ischämie
+ Ischämie
+ Ischämie
+Ischämie
+ Infektion und
+ Infektion und
+ Infektion und
+ Infektion und
Ischämie
Ischämie
Ischämie
Ischämie
Validation of a Diabetic
D
Wound Classification
System. Armstrong et al,
Diabetes Care
1998;21:855
+ Infektion
und
Ischämie
Tab.2: Wagner-Armstrong-Klassigikation des Diabetischen Fußes
Der klinische Verlauf der der Diabetischen Neuroosteoarthropathie (DNOAP) wird nach Levin in
vier Stadien eingeteilt (Tab.4). Gemäß der Einteilung nach Sander kann das Befallsmuster
beschrieben werden (Tab. 5).
I
Akutes Stadium: Fuß gerötet, geschwollen, überwärmt (Rö ggf noch normal)
II
Knochen- und Gelenkveränderungen, Frakturen
III
Fußdeformität: ggf. Plattfuß, später Wiegefuß durch Frakturen und Gelenkzerstörungen
IV
Zusätzlich plantare Fußläsion
Tab.3: Verlaufsstadien der diabetischen Neuroosteoarthropathie (DNOAP) (nach Levin)
I
Interphalangealgelenke, Metatarso-Phalangealgelenke, Metatarsalia
II
Tarso-Metatarsalgelenke
III
Naviculo-Cuneiforme-Gelenke, Talo-Naviculargelenk, Calcaneo-Cuboid-Gelenk
IV
Sprunggelenke
V
Calcaneus
Tab.5: Befallmuster der diabetischen Neuroosteoarthropathie (DNOAP) (nach Sander)
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Forschung – Wissen – Praxis
Deutsche Gesellschaft für Wundheilung
und Wundbehandlung e.V.
Wir, die Deutsche Gesellschaft für
Wundheilung und Wundbehandlung, vereinen
Praxis und Wissenschaft
Unsere Vision: Jede Wunde ist heilbar,
jede chronische Wunde vermeidbar.
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