Fallstudien mit Replikationslogik in einer Redeskription

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Fallstudien mit Replikationslogik in einer Redeskription Luhmannscher
Methodik (Klaus Dammann [email protected])
Durch Redeskription einiger empirischer Studien von NL, und zwar sowohl solcher zu
Semantik und Beschreibungen als auch solcher zu Sozialstruktur, soll ein bisher nicht
beachtetes Element der NL-Methodik redeskribiert werden, das manchmal bei ihm sogar
ausdruecklich „Fallstudie“ heisst ( z.B. in einem seiner Aufsaetze zu Gewalt, 1981 ). Dieses
Methodenelement wird
herkoemmlich quer zu den Unterscheidungen in der
systemtheoretischen Methodendiskussion
- Theoriebau- Methoden ( Goebel 2000 ) / empirische Methoden (z.B. Nassehi und
Besio/Pronzini 1998/1999/2000)
- Datenerhebungs- / Datenauswertungsmethoden ( z.B. Besio/Pronzini 1999 ),
- naemlich als Unterscheidung des „Designs“ von Forschung
benutzt ,
aehnlich wie funktionaler / anderer Vergleich ( vgl. Doebert 1973 bis Jetzkowitz/Stark
Hg. 2003 ).
Es geht mir um die Unterscheidung Sampling- / Replikationslogik, die durch Robert
K.Yin ( 3rd. 2003 ) propagiert wird- in Bezug auf Ein-/Mehr-Fall-Studien.
Fallstudien-Designs sind weit verbreitet , gerade auch bei Erstlings- und
Promotionsarbeiten und hier wie dort bei Arbeiten mit Ambitionen, an NLs Theorien
anzuknuepfen. Sie werden aber selten begruendet.
Solche Designs passen – so meine Hypothese- zu NLs Hypothetik als Wahrheitsform,
- sowohl zum Verzicht auf „eigen“erhobene Daten (NL-Stichwort: Theoriesubstitution)
wie zur „Selbst“produktion von Daten,
- wie auch zur Theorie der Weltgesellschaft : Mit der theoretischen Negation von
Nationalgesellschaften ( wenn auch vielleicht nicht von Regionen ), d.h. mit der
Reduzierung konventioneller Landkartengrenzen auf Markierungen von ( nicht allen )
Organisationen und auf entsprechende Segmentierungen weniger Funktionssysteme
entfaellt ein Stueck des methodischen Nationalismus ( und Sub-Nationalismus ),
naemlich die Grundgesamtheits-Grundlage einer Sampling-Logik.
Der Umgang mit dem Ungeheuerlichen: Semantiken rechtsextrem motivierter
Ausgrenzung und Gewalt.
Mario Paul, M.A. (Ruhr-Universität Bochum)
Systemtheoretisch fundiert empirisch zu forschen, heißt insbesondere, die Kontingenz in Kommunikation sichtbar zu machen und Strukturen ihrer Bearbeitung zu rekonstruieren.1 Etwa Semantiken zu analysieren, mittels derer z. B. Anomie sozialer Ordnung interpretiert, typisiert, ins
Verkehrsübliche normalisiert wird.2 Vor diesem Hintergrund erscheint der gesellschaftliche, kommunikative Umgang mit rechtsextrem motivierter Ausgrenzung und Gewalt als ein besonders
lohnenswertes Forschungsfeld systemtheoretisch begründeter Untersuchungen.
Systemtheoretisch zu forschen bedeutet ferner, die Relativität unterschiedlicher Beobachterperspektiven zu betonen und Beobachten als Differenzierungsoperationen zu konzipieren. Gemeinhin geschieht dies als „einfache“ Operation des Unterscheidens und Benennens. Mit Jacques
Derrida lässt sich jedoch ergänzen, das ist nur die halbe Wahrheit, denn ohne eine „minimale
Einheit [...], die das Andere als Anderes im Gleichen festhält, könnte keine Differenz ihre Arbeit verrichten und kein Sinn in Erscheinung treten.“3 Ohne eine Bewegung, die die Differenz
hervorbringt kann es keine inhaltliche Bestimmung einer Differenz geben.4 In gleicher Weise argumentiert Sebastian Jünger, der Beobachten auf einen doppelten Differenzierungsprozess umstellt, „der die Differenzierung zwischen A und B nur durch die Differenzierung von A und B
ermöglicht, in einer Beobachtung zweiter Ordnung also als Differenzierung zwischen C und [A
und B].“5 Das Benannte einer Basisdifferenzierung erhält seine Qualität erst durch eine zweite, reflexive Differenzierung, die das Beobachtete und das Ausgeschlossene zu einer Einheit der
Differenz integriert und von anderen integrativen Einheiten unterscheidet.6
Eine der zentralen Fragen, die meinen Vortrag anleiten, lautet: Wie lassen sich diese differenztheoretischen Überlegungen für die empirische Forschung gewinnbringend umsetzen? Zur
Diskussion stellen möchte ich ein interpretatives Vorgehen, das sich an einem Zweischritt von formulierender und reflektierender Interpretation7 orientiert, um aus dem Datenmaterial8 Seman1
Vgl. Armin Nassehi/Irmhild Saake: Kontingenz: Methodisch verhindert oder beobachtet? In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31 (2002), Heft 1, S. 66–86, hier S. 83.
2
Vgl. Niklas Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 1. Frankfurt am Main 1980, S. 18f.
3
Jacques Derrida: Grammatologie. 3. Aufl., Frankfurt am Main 1990, S. 109.
4
Vgl. ebd.
5
Sebastian Jünger: Kognition, Kommunikation, Kultur. Aspekte integrativer Theoriearbeit. Wiesbaden 2002, S. 30,
Hervorhebung im Original.
6
Die Farbe grün zu beobachten, bedeutet eben alle anderen Farben des sichtbaren Spektrums nicht zu beobachten.
Was durch die Beobachtung „grün“ ausgeschlossen ist, wird aber erst ersichtlich, wenn man Beobachtetes und
Nicht-Beobachtetes zu einer Einheit etwa Farbigkeit integriert und von einer anderen integrativen Einheit differenziert (z. B. geometrische Formen).
7
Wie es sich etwa die von Ralf Bohnsack zur Anwendung gebrachte Dokumentarische Methode zu Nutze macht. Vgl.
etwa Ralf Bohnsack: Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 6., durchgesehen und
aktualisierte Auflage, Opladen 2007.
8
In meinem Forschungsprojekt analysiere ich offen geführte Interviews und Gruppendiskussionen sowie Beiträge in
den Medien und aus der Politik.
1
tiken zu rekonstruieren, die sozialen und psychischen Systemen als „Form von Sinnproduktionen
über Wiederholung“9 dienen. Semantiken koppeln Fremd- und Selbstreferenz, fungieren situativ
als Kontexturen, üben Bestätigungsverzicht und stellen Erwartbarkeit und Anschlussfähigkeit in
Kommunikation sicher.10 Semantiken speisen sich aus dem wechselseitigen Durchdringen alltagsweltlicher Erlebnisse und Erfahrungen mit reflexiven Verarbeitungsprozessen, die sich als sozial
imprägnierte Ordnungs- und Deutungsmuster auf unser alltagspraktisches Handeln auswirken.
Das am empirischen Problem zu zeigen, ist Anliegen meines Vortrags.
9
Irmhild Saake/Armin Nassehi: Einleitung: Warum Systeme? Methodische Überlegungen zu einer sachlich, sozial
und zeitlich verfassten Wirklichkeit. In: Soziale Welt, 58. Jg. (2007), S. 233–253, hier: S. 244.
10
Womit ihr Potential als einen höherstufigen generalisierten, relativ situationsunabhängig verfügbaren Sinn zu Tage
tritt. Vgl. Niklas Luhmann, a.a.O., S. 19.
2
Semantik kulturtheoretisch betrachtet. Die Analyse von Ideenevolutionen im
indischen Kontext: Zwei empirische Versuche
Iris Clemens, Frankfurt
Beitrag zur Tagung:
Methodologie des Systems – Wie kommt man zum Fall und wie dahinter?
4. – 6. September 2008, Hohenheim
Ausgangspunkt des Workshops ist eine kulturtheoretische Perspektive auf das
Verhältnis von Semantik und Sozialstruktur als strukturelle Kopplung. Kultur wird
als ‚semantisch-symbolischer Komplex’ von Luhmann aufgefasst und im Konzept
der Semantik näher beschrieben. Als Formen einer spezifischen Gesellschaft
sichert Semantik die temporäre Erhaltung von Sinnformen in diesem Kontext,
liefert einen benötigten Themenvorrat für kommunikative Zwecke und stellt
somit eine notwendige Vorraussetzung für die Aufrechterhaltung von sozialen
Strukturen zur Verfügung. Als höherstufig generalisierter Sinn stehen einer
Gesellschaft mit ihrer korrespondierenden Semantik Sinnverarbeitungsregeln zur
Verfügung, die situationsunabhängig zur Anwendung gebracht werden können
und so ein ‚soziales Gedächtnis’ formen. Ideenevolutionen und soziale Evolution
sind
gegenseitig
aufeinander
angewiesen,
indem
sie
sich
wechselseitig
konstituieren. Jede Gesellschaft ist in ihren Selbstbeschreibungen und damit in
ihrem Fortbestehen auf Semantik angewiesen. Umgekehrt bringt sie zwar durch
Veränderungen einen Bedarf nach semantischen Innovationen hervor, dieser
Bedarf regelt jedoch nicht, wie er jeweils durch die Semantik einer Gesellschaft
gedeckt
wird.
Beschreibungen
Für
spezifische
können
Probleme
höchst
oder
Erfordernisse
unterschiedliche
nach
semantische
neuen
Lösungen
angeboten werden. Damit erhält Semantik ein hohes Maß an Autonomie, und
kulturelle
Differenzen
kontextfreie
werden
Erkenntnis,
erklärbar.
sondern
Es
gibt
Ideenevolution
somit
muss
keine
stets
zeitin
und
den
Zusammenhang ihrer korrespondierenden Sozialstruktur gestellt werden und
früher oder später dort ihre Anschlussfähigkeit beweisen. Mit dem Konzept der
Eigenstrukturen der Weltgesellschaft hat Stichweh darauf aufmerksam gemacht,
dass auch in Zeiten der Globalisierung diese neuen Eigenstrukturen alte,
bestehende Strukturen zwar überlagern, indem sie deren informative Relevanz
zurückdrängen, sie jedoch keinesfalls eliminieren. Kulturelle Differenzen bleiben
somit weiterhin ein Thema. Es ist daher konsequent von unterschiedlichen
Ideenevolutionen in differierenden Sozialstrukturen auszugehen, und zwar in
Bezug auf grundlegende soziale Beschreibungskonzeptionen – Luhmanns eigenes
herausragendes Beispiel ist das der romantischen Liebe – wie auch in Bezug auf
wissenschaftliche Ideen und Theorien. So hat Luhmann auch das Aufkommen
und die Entwicklung der Systemtheorie reflexiv in seine Theoriearchitektur
einbezogen.
Anhand zweier empirischer Beispiele aus dem indischen Kontext sollen beide
Aspekte der Ideenevolution aufgegriffen und analysiert werden, wobei auch hier
der Rekurs auf die strukturelle Kopplung der spezifischen Ideenevolutionen mit
den korrespondierenden Sozialstrukturen unerlässlich für eine Analyse ist.
Mit
Bezug
auf
nicht-wissenschaftliche
Ideenevolutionen
wird
anhand
der
Bildungssemantiken in einem indischen Mittelschichtsample deren Spezifik
herausgearbeitet
und
mögliche
strukturelle
Kopplungen
mit
den
sozialen
Strukturen erörtert. Es kann hier gezeigt werden, dass diese Semantiken sich
einerseits modernisierter Formen bedienen, die Leistungsbezug etwa gegenüber
dem qua Geburt festgelegten Kastenstatus betonen und damit anschlussfähig an
demokratisch geprägte Themen sind. Andererseits ruhen sie jedoch auf älteren
semantischen
Formen
auf
und
übersetzen
beispielsweise
Teile
der
Dichotomieformel rein – unrein in eine neue, moderne Bildungssemantik mit
strukturell ähnlich weitreichenden Diskriminierungsoptionen.
Um die strukturelle Kopplung wissenschaftlicher Ideen mit ihren spezifischen
sozialen Strukturen zu erläutern, wird die Emergenz Indigener Theorien in den
indischen Sozialwissenschaften als Beispiel herangezogen. Hier zeigt sich anhand
teils langjähriger Negativerfahrungen mit aus dem Westen importierten Theorien
und Methoden, dass auch wissenschaftliche Ideen und ihre epistemologischen
Fundamente zeit- und kontextgebunden sind und Ideenevolutionen in einem
anderen sozialen System keinesfalls selbstverständlich den Plausibilitätstest
bestehen müssen. Anhand ausgewählter Theorien und ihrer kritischen Rezeption,
Re-spezifikation oder Ablehnung wird eine kulturtheoretische Perspektive auf
wissenschaftliche Ideenevolution ermöglicht.
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