Studienseminar Koblenz

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Allgemeines Seminar
Pflichtmodul 22
Gedächtnissysteme
Die Neurobiologie unterscheidet vier Gedächtnisebenen, die in der Evolution nacheinander
entstanden sind, wobei die zwei zuletzt entwickelten Gedächtnisarten, das Wissenssystem und das
episodische Gedächtnis unabdingbar an Sprache geknüpft sind (deklarative Gedächtnisse).
Ich erinnere mich wie
ich meine erste
Unterrichtsstunde hielt,
wie meine Abiturfeier
ablief, ...
An welche Episoden
erinnere ich mich
besonders gut und
warum?
Folgende dieser
Situationen kamen
heute morgen in
meinem Unterricht vor
Erinnerungssituationen
Ich erinnere mich an
Fahrradfahren,
die Binomischen
Schuhebinden,
Formeln, ich formuliere Internetsurfen etc. das
geschliffen, ich
tue ich ohne
verbinde mein Wissen, nachdenken ...
...
An welches Wissen
Wie mühsam habe ich
erinnere ich mich gut,
das gelernt und wie
wann und unter
„gedankenlos“ tue ich
welchen Bedingungen
es heute. Um welche
kann ich gut
Fertigkeiten geht es
formulieren, schnell
dabei?
denken? Wann bin ich
blockiert?
Folgende dieser
Folgende dieser
Situationen kamen
Situationen kamen
heute morgen in
heute morgen in
meinem Unterricht vor
meinem Unterricht vor
Da sehe ich etwas und
plötzlich kommt mir
etwas in den Sinn, und
ich habe nicht
gewusst, dass ich das
überhaupt weiß.
Wie kommt es dazu,
dass ich mich plötzlich
an Dinge erinnere, um
die gar nicht wusste?
Folgende dieser
Situationen kamen
heute morgen in
meinem Unterricht vor
1
...
Wie wichtig sind
Episoden für meinen
Unterricht und wie
gehe ich damit im
Unterricht um? Kann
ich das steuern?
...
Wie kann ich das
Erinnern an Wissen
und den Umgang
damit im Unterricht
fördern?
...
Was soll und muss im
Unterricht routiniert
werden und wie mache
ich das?
...
Ist diese Form des
Erinnern trainierbar
und im Unterricht zu
nutzen?
Gedächtnissysteme
Zwei Formen des deklarativen (expliziten,
intentionalen) Gedächtnisses: bewusste
Wiedererinnerung
episodisches
Gedächtnis
Erinnerung an
Lebensereignisse
(„persönliches
Gedächtnis“).
Die Speicherung
einzelner Ereignisse
erfolgt geordnet nach
Ort und Zeit.
semantisches
Gedächtnis
Wissenssystem für
Weltkenntnisse, Schulund Bildungswissen,
Wissen um generelle
Zusammenhänge,
Faktengedächtnis,
sprachlichgrammatikalische
Kenntnisse.
Zwei Formen des nicht-deklarativen
(impliziten) Gedächtnisses:
unbewusste oder vorbewusste
Wiedererinnerung
prozedurales
Priming
Gedächtnis
Unbewusstes
Fertigkeitswissen,
Wiedererkennen/
erlernte
Wiedererinnern
Bewegungsabläufe,
bestimmter Reize und
Handlungsstrategien,
Gewohnheitsbildungen Sinneseindrücke.
Erleichtertes Erinnern
von ähnlich erlebten
Situationen oder früher
wahrgenommenen
Reizmustern.
Einspeichern
limbisches System
limbisches System
cerebraler Cortex
Basalganglien
Kleinhirn
cerebraler Cortex
cerebraler Cortex:
Assoziationsfelder
Basalganglien
Kleinhirn
cerebraler Cortex:
sensorische Felder
temporo-frontaler
Cortex links
Basalganglien
Kleinhirn
cerebraler Cortex
Abspeichern
cerebraler Cortex:
Assoziationsfelder
Abrufen
temporo-frontaler
Cortex rechts
fffff
ffff
Evolution
fffff
fffff
2
Inhaltsabhängige Gedächtnisformen
Neben der traditionellen Aufteilung des Gedächtnisses in zeitabhängige Komponenten finden sich in
der neueren allgemeinpsychologischen Literatur Beschreibungen inhaltsabhängiger
Gedächtnisformen, die insbesondere die Struktur des LZG betreffen (z.B. Markowitsch, 1992). Es
wird unterstellt, dass das LZG keine einheitliche Größe darstellt, sondern sich aus mehreren
Komponenten zusammensetzt.
episodisch
deklaratives
Gedächtnis
semantisch
Gedächtnis
prozedural
reflexives
Gedächtnis
Priming schon gespeichertes Item
Priming
Priming neues Item
klassisches
Konditionieren
instrumentelles
Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen dem
•
•
bewussten Gedächtnis für Fakten und Ereignisse (deklaratives Gedächtnis) und
verschiedenen Formen unbewusster Gedächtnisprozesse (nicht-deklaratives Gedächtnis).
Deklaratives Gedächtnis
Innerhalb des deklarativen Gedächtnisses wird weiterhin zwischen dem semantischen und dem
episodischen Gedächtnis differenziert.
Das episodische Gedächtnis verarbeitet und speichert Informationen, die sich auf eigene
Erfahrungen beziehen, mit Rücksicht auf die zeitliche Sequenz der erlebten Episoden; es ist von
daher autobiographisch angelegt. Das episodische Gedächtnis speichert Ereignisse, die uns
unmittelbar betroffen haben: der im Sandkasten wiedergefundene Teddybär, die wunderbar bunte
Europakarte im düsteren Klassenraum, der Autounfall im Sommer 1982, die erste Liebesnacht mit x,
die letzte mit y, Todesfälle, der gestrige Geruch nach gebackenem Fisch vor dem Nachbarhaus.
Demgegenüber enthält das semantische Gedächtnis das "Weltwissen" einer Person, also
beispielsweise ihr Wissen über Sprache (Semantik, Grammatik), Regeln und Konzepte. Das Wissensoder Kenntnissystem speichert Fakten und Regeln. Wie heißt die Hauptstadt von China? Wieviel Mark
ergeben einen Euro? Wie lautet die PIN-Nummer meiner Scheckkarte? Wie konstruiere ich einen
Fragesatz? Wir können uns die Inhalte des Systems bewusst machen. Dabei ist uns aber
normalerweise nicht klar, wo und wann wir sie aufgenommen haben.
Die Wissenseinheiten dieses Systems sind nicht zeitlich, sondern konzeptuell verbunden und
organisiert. Beide Subkomponenten sind insofern deklarativ, als ihre Inhalte prinzipiell bewusst
erinnert werden können. In der Regel wird allerdings lediglich die Information im episodischen
Gedächtnis bewusst verarbeitet, wobei oft mentale Anstrengung verspürt wird. Informationen aus dem
semantischen Gedächtnis werden dagegen automatisch und ohne besondere Anstrengung
aktualisiert.
Nicht-deklaratives Gedächtnis
Das nicht-deklarative Gedächtnis besteht zum Teil aus dem prozeduralen Gedächtnis, also aus
einfachen, mechanisch erlernten motorischen Ablaufmustern (skills). Das prozedurale Gedächtnis ist
zuständig für Bewegungsabläufe. Wie hebe ich eine Tasse? Wie laufe, hüpfe, renne ich? Wie fahre
3
ich Rad oder Auto? Es benutzt sehr alte Gehirnbereiche, die Basalganglien und das Kleinhirn, und
reagiert in erster Linie auf Drill - also auf stetiges Üben ohne viel Nachdenken. Seine genauen Inhalte
bleiben uns meist unbewusst.
Diesem System wird auch das sogenannte "Priming" zugeschrieben, das sich (ungenau) mit "Prägen"
übersetzen lässt. "Priming" meint ein "Vorbereiten" oder "Schussfertig machen". Dieses System nimmt
eine große Zahl von Reizen auf, von einzelnen Wörtern bis hin zu eigenen und fremden Ideen und
ganzen Gedankengebäuden. Diese Inhalte bleiben vorbewusst, d.h., wir können sie nicht aktiv
abrufen. Werden wir jedoch mit einem ähnlichen Reiz konfrontiert, kommen sie uns in den Sinn.
Allerdings ist uns dabei oft nicht klar, dass die scheinbar aus dem Nichts auftauchenden Bilder und
Gedanken unsere eigenen Gedächtnisinhalte sind. Wir halten sie für unsere eigenen Ideen.
Durch das Priming kann man einen dargebotenen Reiz besser erkennen oder bei der Darbietung
eines Reizteils besser erschließen, denn man war diesem Reiz ja zu einem früheren Zeitpunkt schon
einmal (zufällig) ausgesetzt. Diese Inhalte bleiben vorbewusst, d.h., wir können sie nicht aktiv
abrufen. Werden wir jedoch mit einem ähnlichen Reiz konfrontiert, kommen sie uns "einfach so" in den
Sinn.
Auch Konditionierungsformen lassen sich dem nicht-deklarativen Gedächtnis zuordnen. Ein typisches
Merkmal des deklarativen Gedächtnisses ist seine hohe Prozessgeschwindigkeit, seine Flexibilität und
der Umstand, dass es nicht immer zuverlässig operiert (so werden Vergessensprozesse und
Abrufschwierigkeiten registriert). Das nicht-deklarative Gedächtnis arbeitet dagegen mit Ausnahme
von "priming" relativ langsam und wenig flexibel, ist dabei aber äußerst zuverlässig. Seine Inhalte
sind im Wesentlichen unbewusst, was einige Autoren dazu führt, von einem "impliziten" Gedächtnis zu
sprechen, das ohne explizite Instruktion zum Memorieren funktioniert.
Implizites Gedächtnis
Da menschliche Informationsverarbeitung nur teilweise bewusst und kontrolliert verläuft, bleiben viele
Wahrnehmungen und Gedächtnisleistungen aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit unbewußt.
Trotzdem können sie das Verhalten beeinflussen, welches daraufhin automatisch und ohne bewusste
Steuerung abläuft. Jacoby et al. (1989) haben dazu ein Experiment durchgeführt. Den
Versuchspersonen wurde eine Namensliste vorgelegt, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wurde,
dass die Namen auf dieser Liste von nicht berühmten Personen stammen. Eine Gruppe von
Versuchspersonen war während des Lesens der Liste durch die Bearbeitung einer weiteren Aufgabe
abgelenkt. Die andere Gruppe konnte sich die Liste ohne Ablenkung durchlesen. Anschließend sollten
die Vpn auf einer weiteren Liste, die einige Namen von der vorherigen Liste und neue Namen enthielt,
die Berühmtheit der genannten Personen einschätzen. Es stellte sich heraus, dass die
Versuchspersonen, die beim Lesen der ersten Liste abgelenkt waren, Personen, die auf beiden Listen
erwähnt wurden, als berühmter eingeschätzt. Sie bemerkten nicht, dass sie den Namen nur aufgrund
des vorherigen Lesens wiedererkannten, sondern führten die Vertrautheit mit dem Namen auf die
angebliche Berühmtheit der Person zurück. Die andere Gruppe hingegen konnte sich noch daran
erinnern, dass die Namen auf der ersten Liste von nicht berühmten Personen stammten und hielten
sie deshalb auch nicht für berühmt. Hier wird deutlich, dass aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit nur
unbewusst verarbeitete Informationen Urteile beeinflussen können.
Die Rolle der Sprache
Das episodische und das semantische Gedächtnis (deklarative Gedächtnisse) unabdingbar an
Sprache geknüpft. Das heißt, dass es auf diesen Ebenen des episodischen Gedächtnisses und des
Wissenssystems kein Gedächtnis ohne Sprache gibt; Wörter fungieren als Grundbausteine unseres
bewussten Denkens und unserer Überlegungen. Dazu passt, dass Kinder erst dann beginnen ein
episodisches Gedächtnis aufzubauen, wenn sie einen größeren und gesicherten Wortschatz
entwickelt haben.
Fördert das Sprechen die Gehirnaktivitäten? Zu dieser Frage gibt es zahlreiche Untersuchungen,
welche den Einfluss des Sprechens auf die Gehirnaktivitäten und die Bedeutung für die
Gedächtnissysteme belegen. So weiß man, dass unser Gehirn am aktivsten und zugleich besonders
kreativ ist, wenn man einen Waldspaziergang macht und seine Gedanken eher beiläufig als
zielgerichtet mit einem Gesprächspartner austauscht. Es lohnt sich, die Merkmale dieser Situation zu
analysieren und auf Unterricht, soweit möglich, zu übertragen:
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Motorische Aktivität ist offensichtlich förderlich für Hirnaktivität. Der Sprechakt verlangt ein
ausgesprochen komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Muskeln und fördert so auch
Denkfunktionen des Gehirns.
- Das Grün wirkt beruhigend, versetzt das Gehirn also in einen Zustand der Entspannung, ist
zugleich aber auch anregend. Gleiches lässt sich für eine ästhetisch gestaltete Umgebung
nachweisen.
- Das Beiläufige fördert die Kreativität, weil so unterschiedliche Regionen der Großhirnrinde aktiviert
und deren Gedächtnisinhalte miteinander verschaltet werden. Der Zufall muss also als notwendige
Größe eingeplant werden, um das Denken zu optimieren. Gespräche begünstigen das zufällige
Aktivieren von Gedächtnisinhalten.
- Selbstgespräche fördern die psychische Gesundheit, besser noch ist der Gedankenaustausch mit
einem Partner. Dass Gespräche jedoch das Gehirn allgemein aktivieren, lässt sich insofern
nachweisen, als dann eine größere Anzahl an Hirnregionen gleichzeitig aktiv ist, als wenn man
liest oder vor sich hin denkt. Die Inhalte aktiver Hirnregionen werden grundsätzlich miteinander
verschaltet, es entsteht etwas Neues. Die aktivierten Inhalte ihrerseits werden durch Gebrauch
aber auch stabilisiert, sind beim nächsten Abruf erleichtert verfügbar.
- Dem dient auch, dass die Information über möglichst viele Sinneskanäle ins Gehirn gelangt. Beim
Sprechen ist immer auch das Gehör beteiligt, das Gesagte wird verstärkt imaginiert und so mit
Gefühlen beladen. Gefühle aber sind der eigentliche „Kitt“ des Gehirns, der Gedächtnisinhalte fest
verankert, zugleich aber auch erst Bewusstsein und damit Reflektieren ermöglichen (s. S. d. Wiss.
9/1996, S. 59).
Hiervon kann man ableiten, dass das Sprechen, das hörbare Formulieren von Gedanken die
Hirnaktivität anregt und die Behaltensleistung verbessert und den Zugriff auf die abgespeicherte
Information begünstigt.
-
Bei den grundlegenden Gedächtnisarten Priming und prozedurales Gedächtnis sind die cerebralen
Strukturen für das Einspeichern und das Abrufen identisch. Dies gilt keineswegs für die
Gedächtnisarten, die beim Lernen beansprucht werden, Wissenssystem und episodisches
Gedächtnis. Das hat Konsequenzen: Will man abgespeicherte Informationen abrufen, setzt dies einen
eigenständigen Lernprozess voraus, der entsprechende Strukturen aktiviert, d.h. der Information einen
Weg bahnt (Neurologen sprechen von Bahnung). Je häufiger diese neuronalen Netze aktiviert
werden, umso schneller ist die abgespeicherte Information verfügbar, umso häufiger wird sie mit
anderen Gedächtnisinhalten vernetzt; sie wird besser verankert. Hier ist aktives Sprechen eindeutig
von Vorteil.
Aus diesen Gründen sollten Lehr- und Lernprozesse so gestaltet werden, dass Schüler häufig und
dies auch außerhalb von Schule über Unterrichtsinhalte sprechen. Übungen im Unterricht, aber auch
Hausaufgaben, die zur Auseinandersetzung mit dem Stoff durch Sprechen anregen, sind daher
unabdingbar, um das Wissen verfügbar zu machen.
Literatur
[1]
Markowitsch, Hans J.: Neuropsychologie des menschlichen Gedächtnisses. Spektrum der
Wissenschaft, Heidelberg, 9/1996, S. 52 – 61.
[2]
Tattersall, Ian: Wie der Mensch das Denken lernte. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg,
4/2002, S. 56 – 63.
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