21. /22. november 2009 Hessischer Rundfunk Satellit Maderna Konzerte_Installationen_Lectures www.klangbiennale.de www.hr-sinfonieorchester.de hr – Gebühren für gutes Programm BRUNO MADERNA 2 SAMSTAG_21.11.2009 KLANGBIENNALE_2 SATELLIT MADERNA Der Venezianer Bruno Maderna, 1920 geboren und 1973 in Darmstadt gestorben, war ein emphatischer Botschafter der Neuen Musik. Als Komponist, als engagierter Dirigent und Lehrer, als Visionär und Pionier der Elektronischen Musik gab er wegweisende Impulse, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Gerade jetzt – in Zeiten weltweiter Krisen – sind Aspekte seines Œuvres wieder höchst aktuell: das Verhältnis von Individuum und Kollektiv, die Würde des Einzelnen in der Masse, das Spannungsfeld von Freiheit und Ordnung. Die Klangbiennale_2 des hr-Sinfonieorchesters greift das Thema »Satellit Maderna« vielfältig auf. Sie setzt markante Zeichen und Hörsignale, präsentiert polyphone ästhetische Positionen, die allesamt in engem Bezug zu Madernas Wirken und Schaffen stehen. Neben einem in dieser Form erstmaligen Querschnitt aus dem Gesamtwerk Madernas mit insgesamt 14 Orchester-, Ensemble- und Kammermusikwerken sowie Elektronischer Musik sind so auch Uraufführungen von Michael Reudenbach, Johannes S. Sistermanns und Wolfgang Liebhart zu erleben. Installative Arbeiten von hans w. koch und Beate Olbrisch begegnen improvisatorischen Entwürfen von Vinko Globokar. Kompositionen von Luigi Nono, Luciano Berio und Pierre Boulez präzisieren die historische Sicht auf die Musik der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Und Auftragswerke von Hans-Joachim Hespos, Bernhard Lang und Django Bates für die hr-Bigband überführen Bekanntes und an sich Bewährtes in neue Dimensionen. 14 Uhr | hr-Sendesaal ORCHESTERKONZERT 1 Maderna, Frescobaldi, Larcher 16 Uhr | hr-Sendesaal KAMMERKONZERT 1 Liebhart, Maderna, Reudenbach, Sorg 14 17 Uhr | Foyer des hr-Sendesaals GESPRÄCH 1 Gottstein, Helms, Krebber, Tamayo, Fricke 17 18 Uhr | hr-Sendesaal ENSEMBLEKONZERT 1 Maderna, Berio, Boulez 18 20 Uhr | Foyer des hr-Sendesaals GESPRÄCH 2 Hespos, Lang, Stötzler, Rebhahn 22 21 Uhr | hr-Sendesaal ENSEMBLEKONZERT 2 Maderna, Hespos, Lang, Bates 23 23 Uhr | hr-Sendesaal NACHTKONZERT Maderna 26 KAMMERKONZERT 2 Maderna, Berio, Gómez Schneekloth, Weill 28 SONNTAG_22.11.2009 11 Uhr | hr-Sendesaal 13 Uhr | hr-Goldhalle SOLOKONZERT Sistermanns 31 14 Uhr | Foyer des hr-Sendesaals GESPRÄCH 3 Koch, Liebhart, Olbrisch, Reudenbach, Sistermanns, Wagner, Fricke 33 ORCHESTERKONZERT 2 Gabrieli, Nono, Francesconi, Maderna 34 15.30 Uhr | hr-Sendesaal Die Klangbiennale_2 in hr2-kultur Dienstag, 12. Januar 2010, 20.05 Uhr Dienstag, 19. Januar 2010, 20.05 Uhr Dienstag, 26. Januar 2010, 20.05 Uhr Dienstag, 2. Februar 2010, 20.05 Uhr Dienstag, 16. Februar 2010, 20.05 Uhr Frequenzen: UKW (Rhein-Main) 96,7 MHz | Kabel (Südhessen/Rhein-Main) 99,45 MHz sowie als Livestream im Internet unter: www.hr2-kultur.de 4 Samstag + Sonntag hr-Goldhalle / hr-Medienraum INSTALLATIONEN Koch, Olbrisch 38 DIE INTERPRETEN 40 CD-Projekt 44 IMPRESSUM 48 BRUNO MADERNA – KOMPONIST, DIRIGENT UND LEHRER eine Madrigalkomödie des Renaissancekomponisten Orazio Vecchi. Dies war symptomatisch für Madernas Traditionsverständnis, demgemäß er immer wieder Altes mit Neuem verband, um so das Kontinuum der Musikgeschichte in der konkreten Parallelisierung aufzuzeigen. Initiator der postwebernschen Schule in Italien, Pionier der Elektronischen Musik in den 1950er Jahren und als Dirigent nachhaltig für die Verbreitung der Neuen Musik in der Welt engagiert – das sind herausragende Aspekte der ungewöhnlichen und starken Persönlichkeit des 1920 in Venedig geborenen Bruno Maderna. Anders als Luigi Nono, der Darmstadt letztlich den Rücken kehrte, begriff Maderna die »Integration«, die dialektische Vermittlung zwischen musikalischer Vergangenheit und Gegenwart als seine erste Aufgabe und suchte durch die Gründung und langjährige Leitung des Kranichsteiner Kammerensembles dieser Herausforderung nachzukommen. In dieser Tätigkeit konnte er seine Aufgeschlossenheit gegenüber der Musik früherer Zeiten und das Engagement für die Avantgarde zusammenfließen lassen. Auch in seiner eigenen kompositorischen Arbeit blieb Maderna Nonkonformist und ließ sich – entgegen den Konventionen der Zeit – nicht von starrem Strukturdenken einengen, vielmehr folgte er stets seiner Intuition, die Individualität über jegliche Dogmatismen stellte. Andreas Maul Als Italiener, der sich bereits früh der Methode des seriellen Komponierens anschloss, hat Maderna dabei von Anfang an eine Sonderstellung eingenommen unter den gewichtigsten Exponenten dieser Bewegung. Von den Hauptrepräsentanten der Darmstädter Schule unterschied er sich durch seine persönliche und breite Aufgeschlossenheit für alle Möglichkeiten der Klangerzeugung, wie auch durch die bereitwillige Anknüpfung an die Vergangenheit und seine Neigung zu klaren und deutlich geprägten Formen, die entdeckt und wiederentdeckt werden nicht aufgrund einer ästhetisierenden Einstellung, sondern aus dem tiefen und unveräußerlichen Bedürfnis des modernen Kulturmenschen. 1970 betonte Maderna in einem Gespräch seine Vorstellung der unauflöslichen Verbindung von Tradition und Fortschritt: »Für mich ist es ebenso wichtig, die Musik des Mittelalters zu kennen, wie mit den Werken Earle Browns vertraut zu sein. Es bedarf eines weiten musikalischen Horizonts, um sich der Musik der Gegenwart zu nähern. Heutzutage fliegen wir zum Mond, setzen uns aber zugleich noch immer mit Platon auseinander: Warum also sollten wir die alte Musik ignorieren?« BRUNO MADERNA Der Komponist und Lehrer bei den 15. Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt, 1960 Kam die Rede auf seine Lehrer, so nannte Maderna stets Gian Francesco Malipiero und Hermann Scherchen: Malipiero, der neben seiner Tätigkeit als Komponist Leiter der Gesamtausgaben der Werke Monteverdis und Vivaldis war, ließ ihn den Blick zurückrichten auf die Tradition des 16. bis 18. Jahrhunderts, Scherchen wies ihm den Weg in die Zukunft, indem er ihn zur Beschäftigung mit Reihentechniken anregte und auch als Dirigent wichtige Impulse gab. BRUNO MADERNA – EIN LEBENSWEG Brunetto Grossato heißt das Wunderkind aus Venedig, das in der Taverne seines Vaters aufwächst und das die Herrschaften mit seinen großen braunen Augen und der Geige unterm Kinn verzaubert. Im April 1933, Brunetto ist 13 Jahre alt, darf er bereits Sinfoniekonzerte leiten. In Verona lauschen 12.000 Zuhörer, während er Rossini, Mendelssohn, Spontini und Mozart dirigiert. Links und rechts neben der Bühne hängen die Fahnen und Wappen der italienischen Faschisten; auch sie haben das musikalische Wunderkind für sich entdeckt. Da die Taverne der sozialen und musikalischen Entwicklung des jungen Musikers offenbar nicht gut tut, schalten sich die Behörden ein. Ein Machtkampf zwischen der Kirche und dem Staat entfacht; die Kirche setzt sich durch. Bruno Grossato wird von Irma Manfredi adoptiert, einer reichen Modehändlerin aus Verona, alleinstehend, Mitte 30, fromm und von antifaschistischer Gesinnung. Gleichzeitig nimmt Bruno den Geburtsnamen seiner Mutter an. Aus Brunetto Grossato, dem Wunderkind, wird Bruno Maderna, der Musikstudent. Ende der 1940er Jahre scharte Maderna in Venedig einige Schüler-Freunde um sich, darunter Luigi Nono, mit denen er gemeinsam die Anregungen Malipieros und Scherchens in die Tat umsetzte und den Versuch unternahm, Neues und Altes, aber auch inhaltliches und formales Engagement miteinander zu verbinden. Gleichzeitig interessierte sich Maderna für die neuen Klangerzeugungsmöglichkeiten der Elektronik. Gemeinsam mit Luciano Berio gründet er 1955 in Mailand das »Studio di Fonologia Musicale« und trägt damit Wesentliches zur Entfaltung der Elektronischen Musik in Italien bei. Bei den Darmstädter Ferienkursen, an denen Maderna von 1950 bis zu seinem Tod 1973 teilnahm, trat er als ein Mittler zwischen Gegenwart und Vergangenheit in Erscheinung: Auf dem Programm des ersten Konzerts, das er in Darmstadt dirigierte, stand neben Werken Dallapiccolas und Petrassis auch 2 In Mailand, Rom und Siena vertieft Maderna sein musikalisches Wissen, er liest die Musiktheorie des Mittelalters, studiert die Partituren der Renaissance und komponiert mal im romantischen, mal im neoklassischen Idiom. Nach 1943 vermittelt ihm Gian Francesco Malipiero in Venedig dann die Grundlagen der Zwölftontechnik. 1948 wird für Maderna ein Schlüsseljahr. Er komponiert sein erstes Zwölftonstück und besucht einen Kurs bei dem Dirigenten Hermann Scherchen, der nicht nur seine Kenntnisse der Zwölftontechnik vertieft, sondern ihn auch nach Darmstadt zu den Internationalen Ferienkursen einlädt, an denen er 1950 erstmals – gemeinsam mit seinem Freund Luigi Nono – teilnimmt. Der ehemalige Partisan Maderna prägt das Gesicht der Ferienkurse in den folgenden Jahren. Ab 1956 ist er dort regelmäßig als Dozent und Dirigent tätig und gründet dort auch das Internationale Kammerorchester der Ferienkurse. Schließlich lässt er sich 1963 in Darmstadt auch häuslich nieder. Maderna entsteht Musik erst, wenn man sie spielt. Die Proben werden bei ihm zu einem festen Bestandteil des schöpferischen Aktes, indem er die Werke bis zur Aufführung modifiziert. Maderna, der seine eigene Musik einmal als »Kapellmeistermusik« bezeichnet hat, schöpft dabei vor allem aus seinem Erfahrungsschatz als Dirigent. Als Dirigent vereint er eine Reihe herausragender Eigenschaften: die Selbstverständlichkeit der musikalischen Selbstdarstellung, die ihm als Kind beigebracht worden ist, sein enormes Charisma, das sich mit Herzensgüte und Führungsgeschick paart, und seine schiere physische Präsenz, die Musikern und Publikum gleichermaßen imponiert. In den 1960er Jahren übertrifft sein Ruhm als Dirigent den des Komponisten. Er wird nach Argentinien, Japan und wiederholt in die USA eingeladen. Auf seinen Programmen stehen neben modernen Werken auch das klassisch-romantische Repertoire und Alte Musik. Seine Erfahrung und seine Bildung befähigen ihn auch zum Lehrer. Er unterrichtet nicht nur in Darmstadt, sondern auch an der Dartington Summer School, in Rotterdam, am Salzburger Mozarteum und in Tanglewood. Sein besonderes Interesse gilt der Musik der Renaissance, die er auch dirigiert und transkribiert. Gleichzeitig distanziert er sich von den in Darmstadt vertretenen Dogmen. Weder glaubt Maderna an jene geschichtsträchtig beschworene »Stunde Null«, die der Musik nach 1945 den Nimbus des Nie-Dagewesenen verleihen soll, noch ist er bereit, sich jener unnachgiebigen Konsequenz des Serialismus hinzugeben. Zwar arbeitet auch er mit der Reihentechnik, aber er komponiert eben vor einem ästhetisch weiteren Horizont als die meisten seiner Zeitgenossen. Mit seiner Vorliebe für das Melos, für die »sehr großen Linien« (Lothar Faber), steht Maderna in den 1950er und 1960er Jahren allein. Gleiches gilt für das Solokonzert, das viele Komponisten in jener Zeit als historisch überkommene Form ablehnen. Maderna hingegen lebt sich in seinen sechs Solokonzerten aus, indem er sie als Künstlerdramen inszeniert: Der Solist ringt als ein Exponent der Freiheit mit der trägen Masse. In die 1960er Jahre fällt auch die Beschäftigung mit der Figur des Hyperion, auf die Maderna seine Sehnsucht nach freiem Künstlertum projiziert – eine Sehnsucht die in zahlreichen Hyperion-Werken ihren Ausdruck findet und schließlich in seiner gleichnamigen Oper kulminiert. Bruno Maderna Der international tätige Dirigent, Anfang der 1970er Jahre In seinen reifen Werken ab 1960 kombiniert Maderna verschiedene Techniken und Praktiken in meist offenen, Mobile-artigen Werken. Zitate und Parodien, elektronische Tonbandeinschübe, vertrackte Instrumentalpartien und gelenkte Improvisationen ergänzen sich bei ihm zu einem Tableau unterschiedlichster Techniken und Stile. Entscheidend ist dabei immer der dramaturgische Hintergrund des Werks, der erzählerische Faden, die künstlerische Aussage, die allgemeinen Phänomenen wie der Wahrnehmung von Klang an sich gelten können. Bruno Maderna Der junge Dirigent bei den 7. Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, 1952 Madernas ungeheure Produktivität und Begabung paart sich mit einem ausschweifenden Lebenswandel. Sein zunehmender Alkoholismus und sein exzessiver Zigarettenkonsum kosten ihn schließlich das Leben. Am 13. November 1973 stirbt Maderna im Alter von 53 Jahren in Darmstadt an Lungenkrebs. Björn Gottstein In seinen letzten Lebensjahren experimentiert Maderna mit offenen Formen und aleatorischen Verfahren. Er notiert nur noch Materialblöcke, die sich frei miteinander kombinieren lassen. Eine solch offene Form ist bei ihm Ausdruck eines bestimmten Ideals – das musikalische Abbild einer Gesellschaft freier, mündiger Individuen. Sie hat aber auch viel mit seinem praxisbezogenem Musikbegriff zu tun, denn für 3 SAMSTAG_21.11.2009 14 Uhr_hr-Sendesaal BRUNO MADERNA (1920–1973) ORCHESTERKONZERT 1 Die Serenata per un satellite ist eine der berühmtesten aleatorischen Partituren Madernas. In ihr radikalisiert Maderna das dialektische Verhältnis von Ordnung und Freiheit, indem er den Interpreten kompositorische Funktionen überträgt. Das Werk entstand 1969 anlässlich des Starts des WeltraumSatelliten ESRO I B »Boreas«. Es ist Umberto Montalenti gewidmet, dem damaligen Direktor des European Space Operation Centre in Darmstadt, der für die Platzierung des Satelliten im Orbit am 1. Oktober 1969 verantwortlich war. Und an diesem Tag fand dort im Rahmen der Feierlichkeiten unter Leitung von Maderna auch die Uraufführung statt. Serenata per un satellite (1969) hr-SINFONIEORCHESTER MATTHIAS GOERNE | BARITON CAROLE SIDNEY LOUIS | SOPRAN THADDEUS WATSON | FLÖTE MICHAEL SIEG | OBOE ARTURO TAMAYO | DIRIGENT Die Partitur der Serenata per un satellite besteht aus einer einzelnen Seite, auf der quer über das Blatt verteilte musikalische Module notiert sind. Dauer und Besetzung der Komposition sind dabei weitestgehend frei. Nur zwei konkretisierende Bemerkungen gibt Maderna in der Partitur, zum einen: »Können gespielt werden mit: Violine, Flöte (auch Piccolo), Oboe (auch Oboe d‘amore oder Musette), Klarinette (den Part natürlich transponierend), Marimba, Harfe, Gitarre und Mandoline (spielend was immer sie können), alle zusammen oder getrennt oder in Gruppen – improvisierend alles in allem, aber! – mit den geschriebenen Noten.« Der andere Hinweis lautet: »Dauer: von einem Minimum von 4‘ bis zu 12‘«. BRUNO MADERNA Serenata per un satellite (1969) für Ensemble Realisation durch Kammerorchester GIROLAMO FRESCOBALDI / BRUNO MADERNA Tre pezzi per orchestra da camera, tratti da »Recercari et canzoni franzesi« (1615) e »Fiori Musicali« (1635) für kleines Orchester _ Recercar super la–fa–sol–la–re _Christe – Kyrie _»Bergamasca« Madernas spezifische Form der Aleatorik gründet im Permutationskonzept. Mit der Freiheit, die er den Interpreten einräumt, will er keinen informalistischen Prozess in Gang setzen. Die Disposition von vorstrukturiertem Material versteht sich vielmehr als Auftrag, die Formbildung fortzusetzen und dafür verschiedene Lösungen zu finden. Die Wahlfreiheit sorgte im Falle der Serenata per un satellite dafür, dass im Lauf der Zeit verschiedene Umsetzungen entstanden: auch für ein oder zwei Instrumente. Die Ausführenden der Uraufführung waren seinerzeit Angelica Sweekhorst (Flöte, Piccolo), Lothar Faber (Oboe, Oboe d‘amore, Musette), Dagmar Busse (Harfe), Hans Rossmann (Marimba) und Sascha Gawriloff (Violine). Dabei lag der gedruckte Text der Partitur, der heute genutzt wird, damals nicht vor, sondern ein früherer, in Teilen abweichender mit dem Titel »Serenata per un missile«. Bei dieser ersten Aufführung wurde zudem der Improvisationscharakter des Werkes noch durch das Einfügen von Soli aus anderen Maderna-Werken modifiziert: Gawriloff, Faber und Sweekhorst präsentierten ein Fragment aus Widmung (1967), dem 2. Oboenkonzert (1967) und aus der zweiten Fassung der Musica su due Dimensioni von 1958. THOMAS LARCHER Die Nacht der Verlorenen (2008) für Bariton und Ensemble Text von Ingeborg Bachmann Deutsche Erstaufführung Kurze Pause – Wir bitten das Publikum, im Saal zu bleiben. BRUNO MADERNA Ausstrahlung (1971) für Frauenstimme, Flöte, Oboe, großes Orchester und Tonband über Texte anonymer persischer Autoren 4 Im Rahmen der Klangbiennale_2 ist die Serenata per un satellite gleich in drei verschiedenen Versionen zu hören: einer Realisation durch Kammerorchester, einer durch Trio und einer durch Bigband. Das hr-Sinfonieochester nutz dabei eine von Nicola Bernardini herausgegebene Umsetzung, das bärmann trio eine von Paul Roberts edierte und die hr-Bigband realisiert das Werk aus Madernas originaler Partitur. Andreas Maul Brüssel diente er von 1608 bis kurz vor seinem Tode als Organist an St. Peter in Rom, war aber auch in Mantua und Florenz tätig. Zu seinem Antrittskonzert im Petersdom sollen sich 30.000 Zuhörer versammelt haben, da seine Orgel- und Improvisationskunst schon früh als überragend galt. Die Bedeutung Frescobaldis für die Entwicklung der italienischen Instrumentalmusik – und insbesondere für Tasteninstrumente – ist dabei der Position Monteverdis in der Operngeschichte vergleichbar: Er definierte die Formen der Toccata, des Ricercar und der Canzona für die nachfolgenden Komponistengenerationen und hatte nicht nur durch seine Schüler, sondern vor allem durch die zahlreichen Druckausgaben seiner Werke auch auf das außeritalienische Musikleben großen Einfluss. Bruno Maderna bei einer Orchesterprobe während der 20. Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, 1965 GIROLAMO FRESCOBALDI (1583–1643) / BRUNO MADERNA Tre pezzi per orchestra da camera, tratti da »Recercari et canzoni franzesi« (1615) e »Fiori Musicali« (1635) THOMAS LARCHER (*1963) Für Maderna gehörten musikalische Tradition und kompositorischer Fortschritt zusammen. Immer wieder machte er dies in seiner musikalischen Arbeit deutlich. Wie intensiv er sich dabei mit den Kompositionstechniken der Vergangenheit auseinandersetzte, beweisen auch seine zahlreichen Transkriptionen und Bearbeitungen, die er von Werken alter Meister anfertigte: neben Musiken des 15. Jahrhunderts von Josquin und Ockeghem vor allem Musik des 16. und 17. Jahrhunderts von Frescobaldi, Gabrieli, Monteverdi, Pergolesi und Vivaldi, aber auch von Kompositionen Schuberts und Kurt Weills. Die Nacht der Verlorenen (2008) Das dichterische Werk Ingeborg Bachmanns begleitet mich seit langer Zeit. Über die Kurzgeschichten fand ich zur Lyrik und hier wiederum speziell zu späten, nachgelassenen Fragmenten, die wohl nicht für eine Veröffentlichung bestimmt waren. Im Jahr 2000 wurden diese im Band »Ich weiß keine bessere Welt. Unveröffentlichte Gedichte« im Piper Verlag publiziert. Nirgendwo zeigt sich der »kunstlose Weg«, von dem die Dichterin selber gesprochen hat, deutlicher als in diesen Fragmenten, Fetzen, Ausbrüchen. Allerdings zeigte die mediale Debatte, welche der Veröffentlichung folgte, dass die Publikation dieser zu einem guten Teil sehr persönlichen und intimen Texte einen Grenzfall darstellte. Die Trennung von »dichterischem Ich« und der eigenen Person ist hier kaum mehr gegeben, die sonst vor allem in der Lyrik Bachmanns stets präsente Transzendierung zu einem formal und sprachlich ausgefeilten Resultat hin wurde hier selten vorgenommen, z.T. nicht einmal angestrebt. Im Jahr 1615 veröffentlichte der große italienische Orgel- und Improvisationsmeister Girolamo Frescobaldi seine Sammlung von Recercari et canzoni francesi. Sie waren ihres Kontrastreichtums und ihrer Variationstechnik wegen ausgesprochen innovativ und gehörten zu den meistverbreiteten Orgelwerken Frescobaldis. La Bergamasca, ein Orgelstück aus Frescobaldis Sammlung Fiori musicali von 1635, ist noch bekannter geworden. Eher ein Capriccio denn eine Kanzone wird La Bergamasca durch die Heiterkeit seines populären Variationsthemas bestimmt, das im 17. und 18. Jahrhundert auch außerhalb Italiens ausgesprochen beliebt war. Grundlage der Komposition bildet die polyphone Kunst des 16. Jahrhunderts. Doch schafft Frescobaldi durch Modifikationen des Themas, rhythmische Verschiebungen, chromatische Stimmführungen und die Einbeziehung kleiner Spielfiguren hier ein ungewöhnlich hohes Maß an Abwechslungsreichtum. Andreas Maul Gerade diese Brüchigkeit aber, diese Rohheit, haben die Texte für eine Vertonung interessant gemacht. Die Arbeit der Transzendierung mit den Mitteln der Komposition zu leisten, war die Herausforderung, das Fragmentarische war die Möglichkeit, musikalisch anzudocken. Hier traf ich eben auf keine polierten Oberflächen, sondern auf raue Steine, an denen ich mich festhalten und -krallen konnte. GIROLAMO FRESCOBALDI, geboren 1583 in Ferrara und gestorben 1643 in Rom, war in seiner Heimatstadt Schüler von Luzzascho Luzzaschi, bevor er 1604 als Organist und Sänger der Congregazione und Accademia di Santa Cecilia nach Rom übersiedelte. Nach einem Aufenthalt in Es war meine Intention, die Gesangsstimme als expressive, aber vor allem erzählende Stimme zu verwenden, gewissermaßen als Kontinuum, das sich als eine immer wieder erkennbare Ebene durch das ganze Stück zieht. Auch die Textverständlichkeit spielte eine große Rolle im Entwurf dieses Parts. Dazu tritt ein sehr aktives Ensemble, das die textlichen Ereignisse, die von der Stimme aufgeworfen werden, noch einmal vergrößert, gewissermaßen heran-zoomt, körperlich verstärkt und spürbar werden lässt. Das vor allem am Anfang sehr dominante Ensemble gibt im Lauf der Zeit der Solostim5 me mehr und mehr Raum. Das Werk endet in großer Zurückgezogenheit. Thomas Larcher Die Nacht der Verlorenen Wie bei all meinen Stücken liegt ein tonaler Spannungsbogen unter dem Werk. Doch auch die Ausformung an den kleinen Strukturen der Oberfläche ist geprägt durch tonale Bezüge und auch durch »Dreiklangsfeldversuche«. Die Dreiklänge erscheinen in reiner Form, in Sequenzen, in Schichtungen etc., sie geben Anhaltspunkte und stellen in Kompilationssituationen schillernde Oberflächen dar. Thomas Larcher 1. ALLES VERLOREN Alles verloren, die Gedichte zuerst dann den Schlaf, dann den Tag dazu dann das alles dazu, was am Tag war und was in der Nacht. Dann als nichts mehr, noch verloren, weiterverloren bis weniger als nichts und ich nicht mehr und schon gar nichts war. Thomas Larchers Die Nacht der Verlorenen wurde 2008 in der Londoner Queen Elizabeth Hall von der London Sinfonietta und Matthias Goerne erstaufgeführt, dessen Wunsch es schon lange gewesen war, ein für ihn geschriebenes Werk Larchers zur Uraufführung zu bringen. Für den Erstummten die Wüstenei mit dem verständlichen Gespinnst das sanft seinen Wahnsinn einpuppt bis er liebevoll die Sterne und das gläserne Hotel malt. THOMAS LARCHER, geboren 1963 in Innsbruck, ist schon während seiner Studienzeit als Pianist im Bereich der klassischen, vorrangig zeitgenössischen Musik bekannt geworden. Als solcher spielte er mit bedeutenden Orchestern und Dirigenten wie Claudio Abbado, Pierre Boulez, Dennis Russell Davies und Franz Welser-Möst und arbeitete eng mit Komponisten wie Heinz Holliger, Olga Neuwirth und Isabel Mundry zusammen. Seine Liebe zu neuer Musik führte ihn auch zur Gründung und Leitung des Festivals »Klangspuren« (1994–2003) und des Festivals »Musik im Riesen« (seit 2004). Seit einigen Jahren tritt der Komponist Larcher gegenüber dem Pianisten immer stärker in den Vordergrund. So entstanden u.a. Werke für die London Sinfonietta, das Artemis Quartett, Heinrich Schiff, Matthias Goerne und Till Fellner, unter diesen Auftragswerke für das Lucerne Festival, das South Bank Centre London, die Zaterdagsmatineen Amsterdam. Larchers Werke erscheinen bei Schott Music, er nimmt exklusiv für ECM Records auf. Seine CD-Produktionen wurden mit zahlreichen Preisen (Choc de la musique, Deutscher Schallplattenpreis u.a.) ausgezeichnet. 2. FÜR INGMAR BERGMAN, DER VON DER WAND WEISS Ich hab die Wahrheit gesehen, von einer Riesenklapper schlange umhalst und verschlungen von einer Riesenschlange die in ihrem Bauch sie aufbläht und langsam vergehen verenden lässt, sie verzehrt. Ich habe die Wand gesehn und geschrien in meinem weißen weißen Bett, an das keiner kam, ich habe in einem weißen weißen Bett gelegen und geschrien weil alle Orkustiere es abgesehen hatten auf mich die Kröten, die Würmer, die (--) die Saurier, und das schlug um sich mit Flügel und Flosse. Ich hab keine Worte mehr nur Kröten, die springen heraus und schrecken, nur Habichte, die stürzen hinaus, nur reißende Hunde wilde, wie‘s keine mehr gibt, Bluthunde, 6 die fallen euch an die johlen und meine Mundgeburten in lieblicher Bläue und bei Frost der abgemähten Liebesfelder Liebe, die große Merde alors, das düngt einen Wahnsinn, in dem meinetwegen, alles, meinetwegen alles, zugrund gehen soll. ich rufe zum Himmel dass diese Hände sich lösen die meine Schreie ersticken. 5. DIE NACHT DER VERLORENEN DAS ENDE DER LIEBE Ein Mond, ein Himmel und das dunkle Meer. Nur, dunkel alles. Nur weil es Nacht ist und nichts Menschliches dies feingewirkte auch durchwebt. Was wirfst du mir noch vor und solche Bitterkeit, Tu‘s nicht. Ich hab nichts Besseres gewusst als dich zu lieben, ich hab nicht gedacht, dass durch den Schweiß der Haut die (--) Welt und dass der Groschen fiel. 3. IM LOT Eine andere Nacht. Was ins Lot kommt, vom vielen Schlaf und im Schlaf kommt, nimm das an: wird eines nachts dich heilen. Du sollst ja nicht weinen. Was vom vielen Tag und bei Tag kommt, aber du sollst ja nicht weinen, wenn es alle Tage auch kommt, versuch es zu kennen, es will heilen. 6. SO STÜRBEN WIR UM UNGETRENNT ZU SEIN So stürben wir um ungetrennt zu sein Dein Haus muss noch mein Haus bleiben. Ich muss dort aus und eingehn muss dort bleiben, zum Rechten sehen, weil sonst niemand sieht was Deine welken Augen abends finden, nur mich ich weiß es, darum muss das Haus mein Haus für immer sein, wo ich auch bin, ich muss den Abend richten, und die Gedanken, aufhelfen in den Schlaf. 4. MEMORIAL Die Dinge der Korb für das Brot das Einmaleins des Morgens und die zwei Schalen weißt du das Einmaleins des Morgens noch wer gibt dir die Hand über den Tisch wo ist es aufgehoben. In meinen schlaflosen Nächten räuchere ich die Wohnung aus mit Ministranten noch immer gebe ich die Trinkgelder und halte die Stürme ab es gewittert nur noch in meiner Erinnerung die Straßenreinigung kommt die wäscht eine Gasse die aufwärts führt aber aber deine Hände um meinen Hals und die Erde an meinem Gesicht von den Blumen, jemand ruft nach der Polizei 7 Ingeborg Bachmann BRUNO MADERNA der »Bhagavadgita«, welche angesichts drohenden Bruderkriegs die Gewissenszweifel eines Heerführers und dessen Ermahnung zum Kampf durch überirdische Instanz zum Gegenstand hat … Ausstrahlung (1971) Der Titel dieses Spätwerkes von Bruno Maderna erklärt sich nicht ohne weiteres … Der äußere Anlass: ein Kompositionsauftrag für das Festival von Persepolis 1971, mit der zusätzlichen Maßgabe, dass dieses Festival dem Gedenken an Cyrus den Großen gewidmet war, der die Meder besiegte, Lydien und Babylonien unterwarf und damit zum Gründer des persischen Weltreichs wurde. Von daher liegt es nahe, für die verbale Schicht eines instrumental-vokalen Werkes sich der HochZeiten der persischen Kultur zu erinnern, ihrer mythologischen und philosophisch-religiösen Aspekte, ihrer Literatur; den Blick noch weiter zurück zu lenken auf Wurzeln und Quellen, auf Ur-Zeugnisse des menschlichen Geistes, niedergelegt in den heiligen Schriften der Inder, der »Rigveda« und der »Bhagavadgita«, zurück mithin in kultisch-magische Sphären, zurück sogar bis zum Ursprung der Dinge, zur Kunde von der Weltenschöpfung, zum »Fiat Lux«. Die musikalische Form des Ganzen ist eine Art Mobile. Es setzt sich, was das Orchester betrifft, aus sieben unterschiedlichen Abschnitten zusammen, die Maderna Ausstrahlungen nennt. Ausstrahlung 1 ist geschrieben für einen großen Streichkörper, Ausstrahlung 2 für die gesamte Orchesterbesetzung nebst Sing- bzw. Sprechstimme, Ausstrahlung 3 für Blechbläser, Ausstrahlung 4 für Holzbläser, Blechbläser, Schlagzeug und Harfen, Ausstrahlung 5 für Flöte/Bassflöte, Singstimme, Oboe/ Englischhorn und zwei Harfen, Ausstrahlung 6 wiederum für Streicher und Ausstrahlung 7 für Schlagzeug. Nun ist das Wesen eines Mobile bekanntlich die Austauschbarkeit, es gibt demnach keine verbindliche Vorschrift Madernas für die Abfolge der »Ausstrahlungen«; die Anordnung, die er selbst für die Uraufführung in Persepolis getroffen hat, ist ein – gewiss reiflich erwogener – Vorschlag seinerseits, andere Lösungen wären denkbar und möglich, wobei man freilich auch auf sinnvolle Kombination der Texte zu achten hätte, vielleicht wäre Maderna selbst bei einer späteren Aufführung andere Wege der Zusammenstellung gegangen. Solch ausgreifende Gedankenbahn allein schon ließe sich als »Ausstrahlung« sehen. Betrachtet man nun die von Maderna ausgewählten Textstellen, Gedichtzeilen und Strophen näher, so wird man gewahr, dass sie unterschiedliche Emanationen zum Gegenstand haben: mythische, kultisch-magische, naturbezogene, menschenbezogene. Indessen regiert Austauschbarkeit nicht allein im Nacheinander der »Ausstrahlungen«, sondern auch im Mit- und Ineinander. Mit anderen Worten: die einzelnen »Ausstrahlungen« – mit Ausnahme von Ausstrahlung 2 – sind auf gegenseitige Kombinationsfähigkeit hin entworfen, sofern nicht besetzungsmäßige Gründe dem im Wege stehen. Auch lassen sich einzelne Schichten oder Formpartikel separieren und mit anderen in Beziehung setzen. Zwei Beispiele aus der Uraufführungs-Version: zu der »Bhagavadgita«-Erzählung von Arjuna, dem Heerführer, ließ Bruno Maderna in Persepolis die Schlagzeug-Ausstrahlung 7, die Blechbläser-Ausstrahlung 3 und eine Kontrabass-Schicht von Ausstrahlung 6 in zeitweiser Überlagerung spielen, und Ausstrahlung 5 – die Herbst-Elegie – durch-schoss er mit Holzbläser-Partikeln der Ausstrahlung 4. Die »Ausstrahlungen« wären demnach als Materialvorräte zu bezeichnen, die in unterschiedlichen Graden der kompositorischen Aus- und Durcharbeitung gehalten sind. Den ganzen Fächer zwischen vollständiger Fixierung und improvisatorischer Offenheit, zwischen exakter und teilgraphischer Notierung faltet Ausstrahlung 2 auf; sie ist als einzige eine weitgehend geschlossene Form, die keine Kombination mit anderen Elementen zulässt. Differenzierte Stadien der Strukturierung weisen die Ausstrahlungen 1 und 4 auf, doch sind sie offener gehalten, 5 und 6 zeigen weitere Lockerung im Gefüge, 3 ist eine lose Folge von Einwürfen, 7 schließlich bildet in rein grafischer Notation einen Anstoß zu brutaler und dramatischer, dem kriegerischen Textumfeld entsprechender Aktion und Improvisation. Vom Uranfang, von der Lichtwerdung spricht ein kurzer anonymer Text; dabei muss allerdings offen bleiben, ob die so bedeutungsvolle Gleichsetzung des Lichtes mit dem Wort in der englischen, von der Solistin vorgetragenen Version eine Hinzufügung Madernas oder des Übersetzers ist; das persische Original, das gleichzeitig in mehrfacher Stimmschichtung vom Tonband erklingt, enthält sie nicht. Die Ausstrahlung göttlicher Energie auf das Menschenwesen (»Kraft bist du, gib mir Kraft! «) wird in einer Anzahl magischer Anrufungen beschworen, die der »Rigveda« entnommen sind, wobei das Gebet nicht nur der Einwirkung auf den einzelnen gilt, sondern auch dem wohltätigen Einfluss auf ein sinnvolles zwischenmenschliches Miteinander (»Lass uns gemeinsamen Sinnes sein«). Eine dritte Schicht gilt der Ausstrahlung der Natur auf das Erleben des fühlenden und des liebenden Menschen, sei es, dass das Frühlingsgrün den Wunsch nach hundertjährigem Leben weckt oder der herbstlich leere Garten zur Melancholie stimmt, sei es, dass Mangoblüte und Kuckucksruf das Verlangen nach Liebe wachrufen, sei es endlich, dass im Erleben der All-Einheit von Mensch und Natur die Seele in Omar Khayyâms schönem Bild zum Tau wird, der bei beginnendem Sonnenaufgang verdunstet. Auf vierter Ebene strömt die Ausstrahlung von Mensch zu Mensch im Liebesbotenblick junger Mädchen, in der verführerischen Kraft von Honig- oder Bienenaugen. Und alles zusammen: Gott und Mensch, Erdennatur und Firmament, Tag und Nacht, Sonne und Mond verschmelzen im pantheistischen Allgefühl des Geistes, »der die Augen hat«, wie es in »Avesta« heißt, jenem heiligen Buch, das dem iranischen Religionsstifter Zarathustra selbst zugeschrieben wird. Am schwierigsten zu deuten ist eine umfangreiche Passage aus Englischhorn und Oboe d‘amore. Zwei Instrumente, besser: Instrumentalfamilien, für die Bruno Maderna eine besondere Vorliebe hatte, vermutlich weil beide aufgrund ihres atemgezeugten Wesens seinem Ideal einer »redenden« Kunst besonders nahe kommen, und weil sie beide der melodischen Führung und Beseelung gleichermaßen fähig sind wie der virtuosen Beweglichkeit. In der Uraufführungs-Version sind die zwei Instrumentalsolisten an drei »Ausstrahlungen gemeinsam beteiligt, an einer vierten nur die Oboe, genauer gesagt: deren Sopraninoform, die Musette. Was nun die Musette betrifft, und später, gegen Ende des Ganzen, auch die Oboe d‘amore, so enthält deren Part vier der insgesamt sechs Formteile, aus denen sich Bruno Madernas Komposition Solo für Musette, Oboe, Oboe d‘amore und Englischhorn (ein Spieler) zusammensetzt. Auch dieses – übrigens nicht sehr umfangreiche – Werk stammt aus dem Jahr 1971, ist jedoch vor Ausstrahlung entstanden, Maderna hat also die zur Rede stehenden Passagen »transplantiert«. Anders könnte es sich im Fall des Duos verhalten, das in der zweiten Hälfte des ersten Großabschnitts Orchester und Tonband überwölbt; der Zwiegesang wurde möglicherweise aus dem Zusammenhang von Ausstrahlung gelöst und als Dialodia für zwei Flöten oder Oboen oder andere Instrumente separat publiziert; eine zweifelsfreie Klärung der Chronologie war indessen bislang nicht möglich. Eine spezifische Binnen-»Ausstrahlung« soll nicht unerwähnt bleiben: das Flötensolo, das ganz zu Anfang der Persepolis-Version mit Ausstrahlung 6 verbunden ist, erscheint in der letzten ausgedehnten Formfläche erneut, nun im Kontext von Ausstrahlung 1. Es mag der Perspektive des Betrachters überlassen bleiben, die architektonische Funktion dieses Bezugs zu interpretieren; sie lässt sich als Vorwegnahme ebenso wohl deuten wie als Nachhall oder als Formklammer über einen halbstündigen Bogen hinweg. Josef Häusler Bruno Maderna bei der Orchesterarbeit Anfang der 1970er Jahre Nach der textlichen und der orchestralen Ebene ist noch einer dritten Komponente zu gedenken: der beiden Soloinstrumente Flöte, auch Alt- und Bassflöte, und Oboe, auch Musette, 8 9 Bruno Maderna Ausstrahlung Alle diese drei Welten wären eine dichte Finsternis gewesen, hätte das Licht, genannt Wort, nicht geschienen vom Anbeginn der Welt. Anonymus All these three worlds would have been a dense darkness, if the light, called word, had not shone from the beginning of the world. Sur le champ les hommes se sont assemblés, brûlant de combattre. Debout sur leur grand char de guerre, attelé à des coursiers blancs, les puissants archers sont des héros, prêts à donner leur vie, tous maîtres dans l‘art du combat. Auf dem Feld haben sich die Männer versammelt, brennend vor Kampfbegier. Auf ihren großen Kriegswagen, weiße Rosse vorgespannt, sind die starken Bogenschützen Helden, bereit, ihr Leben hinzugeben, Meister in der Kunst des Kampfes. Aussitôt résonnèrent les conques et les tambours, les cors et les trompettes et ce fut un tumulte immense, qui retentit comme le rugissement du lion. Alsbald erklangen die Muscheln und Trommeln, Hörner und Trompeten und es entstand ein gewaltiger Lärm, der widerhallte wie das Gebrüll des Löwen. Profondément ému par la pitié et plein de douleur, Arjuna dit: Im Tiefsten von Mitleid bewegt und voller Trauer, sagte Arjuna: »En voyant dans les rangs mes parents brûlant de combattre, mes jambes fléchissent, et ma bouche se dessèche; je n‘ai pas la force de me ténir debout, et ma raison se trouble. »Wenn ich sehe, wie meine Verwandten in den Schlachtreihen brennen vor Kampfbegier, werden mir die Knie weich, mein Mund trocknet aus; ich habe nicht die Kraft, mich aufrecht zu halten, und mein Sinn ist verwirrt. Je ne voudrais pas le tuer, même si cela devait me rendre souverain des trois mondes. Ich will sie nicht töten, selbst wenn ich dadurch Herr der drei Welten würde. Les précepteurs, les pères, les fils et les grand-pères, les oncles, les beaux-pères, les gendres et tous les parents si, les armes à la main, ils allaient me tuer dans la bataille, moi, je ne veux pas résister.« Die Lehrer, die Väter, die Söhne und die Großväter, die Onkel, Schwiegerväter, die Schwiegersöhne und alle Verwandten, wenn sie, die Waffen in der Hand, mich in der Schlacht töten wollten, ich würde keinen Widerstand leisten.« Ayant ainsi parlé sur le champ de bataille, Arjuna, le cœur percé de douleur, retomba sur le siège de son char et jeta loin de lui l‘arc et la flèche. So sprach Arjuna auf dem Schlachtfeld, das Herz voll Trauer, stieg vom Sitz des Kampfwagens und warf Pfeil und Bogen weit von sich. Alors le Seigneur dit: Da sprach der Herr: »D‘ou te vient, Arjuna, en cette heure de danger ce honteux découragement indigne d‘un Aryen? »Woher kommt in dieser Stunde der Gefahr, Arjuna, deine schmähliche Mutlosigkeit, eines Edlen unwürdig? 10 Celui qui croit qu‘il peut tuer et celui qui croit qu‘il peut être tué, tout deux sont ignorants. Il ne peut ni tuer, ni être tué. Il ne naît, ni ne meurt. Wer glaubt töten zu können und wer glaubt getötet werden zu können, ist unwissend. Er kann weder töten noch getötet werden. Er entsteht nicht und vergeht nicht. Ayant été, il ne peut plus cesser d‘être. Non-né, permanent, éternel, ancien, il n‘est pas détruit quand le corps est tué. Seiend, kann er nicht aufhören zu sein. Ungeboren, gegenwärtig, ewig, vergangen, ist er nicht zerstört, wenn sein Leib getötet ist. Les armes ne peuvent le percer, ni le feu le brûler, ni les eaux le mouiller, ni le vent le sécher! Die Waffen können ihn nicht durchbohren, das Feuer kann ihn nicht verbrennen, das Wasser ihn nicht ertränken, der Wind ihn nicht austrocknen! Celui qui habite le corps est toujours invulnérable. Wer den Körper bewohnt, ist ewig unverwundbar. Tu ne dois donc t‘affliger pour aucune des créatures, tu ne dois pas trembler, Arjuna. En vérité, pour un Aryen il n‘y a rien de plus désirable qu‘un juste combat.« Du sollst dich nicht grämen um eines dieser Geschöpfe, du sollst dich nicht fürchten, Arjuna. Für einen Edlen gibt es wahrlich nichts Besseres als einen guten Kampf.« Aus der »Bhagavadgita« Power art thou, give me power! Might art thou, give me might! Strength art thou, give me strength! Life art thou, give me life! Eyes art thou, give me eyes! Ears art thou, give me hearing! Shield art thou, shield me well! Kraft bist du, gib mir Kraft! Macht bist du, gib mir Macht! Stärke bist du, gib mir Stärke! Leben bist du, gib mir Leben! Auge bist du, gib mir Augen! Ohr bist du, gib mir Gehör! Schild bist du, schütze mich! May I have voice in my mouth, breath in my nostrils. Sight in my eyes, hearing in my ears, hair always shining young, and much strength in my arms! Dass ich Stimme in meinem Munde habe, Atem in meiner Nase. Sehkraft in meinen Augen, Gehör in meinen Ohren, das Haar stets jung glänzend, und gewaltige Stärke in meinen Armen! Aus der »Rigveda« O cuore, fingi d‘avere tutte le cose del mondo, fingi che tutto ti sia giardino delizioso di verde. E tu, anima mia, su quell‘erba verde fingi d‘esser rugiada gocciata là nella notte e al sorgere dell‘alba svanita. O Herz, täusche vor, alle Dinge auf der Welt zu besitzen, täusche vor, dass alles ein köstlicher grüner Garten sei. Und du, meine Seele, über diesem grünen Rasen, täusche vor, der Tau zu sein, der dort während der Nacht gefallen und beim beginnenden Sonnenaufgang verdunstet ist. Omar Khayyâm May I have power in my thighs, swiftness in my legs, may all my limbs be uninjured and my soul unimpaired! Dass ich Kraft habe in meinen Schenkeln, Schnelligkeit in meinen Beinen, dass alle meine Glieder unverletzt und meine Seele unbeschädigt bleibe! Let‘s walk together, speak together, may the purpose be common, Lass uns zusammen gehen, zusammen sprechen, lass gemeinsam die Absicht, 11 common the assembly, common the mind. gemeinsam die Versammlung, lass uns gemeinsamen Sinnes sein. So be our thoughts united may our decision be unanimous. So sollen unsere Gedanken eins sein und unser Beschluss einmütig. Dass wir hundert Jahre leben! Aus der »Rigveda« May we see a hundred years! Sulla mia tomba ad ogni primavera il vento del nord fara piovere fiori. Über meinem Grab wird der Nordwind in jedem Frühling Blumen regnen lassen. Omar Khayyâm May we live a hundred years! Dass wir hundert Jahre erleben! Aus der »Rigveda« Son tutti verdi i rami. Alle Zweige sind grün. I peri e gli albicocchi avevan ricoperto la tomba di fiori. Die Birnbäume und die Aprikosenbäume haben das Blumengrab überdeckt. Nezâmi Aruzî May we progress a hundred years! May we assert our existence a hundred years! Dass wir hundert Jahre voranschreiten! Dass wir hundert Jahre unsere Existenz behaupten! Aus der »Rigveda« È fiorito il giardino. Der Garten ist erblüht. Abu Abdellah Saadi Yea, even more than a hundred years. Ja, mehr noch als hundert Jahre. Aus der »Rigveda« Glances to the side, lovely by nature announce intense love, when thrown by loving maidens, as messengers to attract lovers. Blicke zur Seite, lieblich von Natur aus, künden von inniger Liebe, wenn verliebte Mädchen sie werfen als Boten, um Liebhaber anzulocken. The mango-tree‘s bud fills my heart with strong desire for my lover, as does the cry of the cuckoos drunken with love. Des Mangobaums Blüte füllt mein Herz mit starkem Verlangen nach dem Geliebten, wie es der Ruf des Kuckucks tut, trunken vor Liebe. Anonymus 12 Der Berg, ein anderer Berg aus Silber, aus Gold ist der Anger. Das Wasser ist nun glänzend und dunkel, es hat sich in Luft aufgelöst. Tace la colomba, vuoto è il verziere, muto è l‘usignolo, spoglio è il giardino. Un vento freddo come sospiro d‘amanti all‘alba. Die Taube schweigt, leer ist der Garten, stumm ist die Nachtigall, nackt ist der Garten. Ein kalter Wind wie der Seufzer der Liebenden beim Sonnenaufgang. Abu Abdollah Rudaghi They say that the spring must not cause the lovely movement of your eyes and the illusion that they might be two bees… Man sagt, der Frühling ist nicht der Grund für die liebliche Bewegung deiner Augen, und für die Illusion, sie seien zwei Bienen… Anonymus Abu Abdellah Saadi Dass wir hundert Jahre erfahren! Aus der »Rigveda« May we know a hundred years! II monte, un altro monte d‘argento, d‘oro è il prato. L‘acqua ora è lucente e tenebrosa, s‘è fatta l‘aria. Wie geschieht uns so wunderbar… so wunderbar… Ich frage Dich mein Gott, gib Du mir Antwort und Verstehen. Wie kommt es, dass aller Wahrheit eigen diese zeugende Kraft, dass die Sonne dort steht und die Sterne der Nacht, entsprungenes Licht, doch gehalten, und wandeln in stiller Bahn? Und der Mond in der Kammer der Schlummernden ruhe? Eine Hand legt sich um uns. Nun weicht sie zurück und sein Licht quillt uns zu. Wie geschieht uns so wunderbar. Ich frage Dich mein Gott, wie ruht uns die Erde so staunend sicher? Und darüber die Wolken gehoben, gehalten, unsichtbar getragen und schwebend worin? Und es perlen und blinken die Wasser, und Blumen erblühen. Die Rosse des Windes durchbrausen die Bahn, und der Wagen der Wolken rollt in den Lüften, und wir dürfen das sehen: Unser Geist hat die Augen. Wie geschieht uns so wunderbar… Aus »Avesta« 13 SAMSTAG_21.11.2009 16 Uhr | hr-SENDESAAL Kammerkonzert 1 BÄRMANN TRIO Sven van der Kuip | Klarinetten/Bassetthorn Ulrich Büsing | Klarinette/Bassklarinette John Noel Attard | Klavier WOLFGANG LIEBHART response (2009) für Bassetthorn, Bassklarinette und Klavier Auftragswerk des hr Uraufführung BRUNO MADERNA Dialodia (1971) für 2 Klarinetten WOLFGANG LIEBHART (*1958) BRUNO MADERNA (*1920–1973) response (2009) Dialodia (1971) Eine der Inspirationsquellen in diesem zweisätzigen Werk response für Bassetthorn, Bassklarinette und Klavier sind zwei kurze Zitate aus dem Requiem des spanischen Komponisten Tomás Luis de Victoria (~1548–1611). Besagte Zitate stammen aber nicht direkt aus der Feder Victorias, sondern sind Einschübe Gregorianischer Gesänge in die vierstimmigen Responsorien seines Requiems. Mich interessierte in diesem Zusammenhang aber weniger die Melodik als vielmehr die Intervallik in Victorias Originalkomposition. Oktave, Quinte und Prime waren in der Musik der Spätrenaissance die bestimmenden Intervalle. Vor allem das Quintintervall wird in response zur »idée fixe«, zum kompositorischen Hauptelement in beiden Sätzen. Im zweiten, dem bewegteren Teil, gewinnen auch die Intervalle Prime und Oktave an Bedeutung. Angereichert wird das Tonmaterial durch eine spektrale Tonserie, deren Teiltöne nur als Flageoletts und Multiphonics erscheinen. Charakteristisch für response ist auch der größtenteils ruhig fließende Gestus, den man gegebenenfalls mit der klaren polyphonen Stimmführung in Victorias Musik assoziieren könnte. Allein im zweiten Satz setze ich dem als Kontrast irritierende und insistierende Tonrepetitionen entgegen. Wolfgang Liebhart Maderna hatte eine Vorliebe für Blasinstrumente, vor allem für die Oboe und die Flöte. Die Präferenz personifizierte sich in zahlreichen Werken für beide Instrumente und in der Zusammenarbeit mit zwei großen Interpreten: dem deutschen Oboisten Lothar Faber und dem italienischen Flötisten Severino Gazzelloni. Dialodia für zwei Flöten, Oboen oder andere Instrumente entstand 1971 dabei im Auftrag des Schahs von Persien zum 2500. Geburtstag von Cyrus dem Großen, dem alten Perser-König und Gründer des persischen Reiches. Gemeinsam mit Madernas Orchesterwerk Ausstrahlung wurde Dialodia auch 1971 in Persepolis uraufgeführt. Darüber hinaus erscheint es zugleich auch innerhalb der Partitur von Austrahlung, wo es in der zweiten Hälfte des ersten Großabschnitts als Zwiegesang von Solo-Flöte und Solo-Oboe zu hören ist. Die 1974 postum erschienene Druckausgabe von Dialodia schreibt letztlich aber keine Instrumente mehr vor: ein aleatorisches Element, das den hohen Grad an Abstraktion verdeutlicht, den der späte Maderna anstrebte. Andreas Maul MICHAEL REUDENBACH, 1956 in Aachen geboren, ist tätig als Komponist, Performer (Fluxus-Musik), Interpret (vornehmlich mit Musik des 17. Jahrhunderts und der zeitgenössischen Musik) und Dozent (Hochschule für Musik Karlsruhe, Darmstädter Ferienkurse, Akademie Schloss Solitude). 1989 erhielt Michael Reudenbach den Kulturförderpreis der Stadt Aachen, 1990 war er Stipendiat der Akademie Schloss Solitude, 1992 der Cité Internationale des Arts Paris und 1999 der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR. Kompositionsaufträge erhielt Michael Reudenbach u.a. vom WDR (Wittener Tage für Neue Kammermusik), dem SWR (Éclat-Festival) und hr (Forum Neue Musik: Abdruck für 5 Sprecher, 41 Instrumentalisten und Zuspiel-CD, uraufgeführt vom hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Sian Edwards 2001) sowie der Kunststiftung NRW und der Münchener Biennale. ANDREAS SORG (1959) BRUNO MADERNA Serenata per un satellite (1969) für Ensemble WOLFGANG LIEBHART, geboren 1958 im österreichischen Klagenfurt, unterrichtet am Konservatorium Wien Komposition, Instrumentation und Elektronische Musik. Ersten Kompositionsunterricht erhielt er in seiner Geburtsstadt. Bis 1989 studierte er Komposition an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien bei Francis Burt. 1991–1992 absolvierte er ein postgraduales Kompositionsstudium bei Jonathan Harvey, das er mit einem MA-Degree in Musik abschloss. Nach Österreich zurückgekehrt, erhielt Liebhart zahlreiche Kompositionsaufträge, u.a. für das Radio-Symphonieorchester und den Chor des ORF. 1994/95 ermöglichte ihm ein Auslandsstipendium einen sechsmonatigen Aufenthalt in Rom, wo er privat bei dem italienischen Komponisten Luca Lombardi studierte. Zahlreiche Aufführungen im In- und Ausland waren die Folge. 2000–2004 war Liebhart Präsident der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM/ISCM). An der Universität Capetown, der Universität York, dem Konservatorium Shanghai und dem Konservatorium Neiva hielt er Gastvorlesungen. Realisation durch Trio mit Es-Klarinette, B-Klarinetten, Bassklarinette und Klavier MICHAEL REUDENBACH Trio 3 (2009) für Bassetthorn, Bassklarinette und Klavier Auftragswerk des hr Uraufführung ANDREAS SORG Höllental (2000) für 2 Bassklarinetten und Klavier 14 Höllental (2000) Serenata per un satellite (1969) Höllental von Andreas Sorg klingt, als ob die Musik von einem badischen Ossian gesungen würde. Archaisch raunen zwei Bassklarinetten über einem ostinat repetierten Klavierbass vom düsteren Höllental, das sich zwischen Freiburg und Donaueschingen tief in den Hochschwarzwald einschneidet. Die Sage weiß von einem Hirsch, der auf der Flucht vor seinem Verfolger mit einem enormen Satz die engste Stelle der Schlucht übersprang. Wenn man will, kann man auch diesen Vorgang der musikalischen Agogik und Gestik entnehmen. Die Wuselfiguren führen, sich lichtend, hinauf; das anfänglich im Kontrabereich klopfende H des Klaviers wechselt in die eingestrichene Oktave: lontano macht sich der Hirsch davon. Die dunkle Landschaft des Schwarzwaldes und die angstbesetzten Assoziationen, die der höllische Name des Tales auslöst, sind recht passende Bezugspunkte für ein solches Charakterstück. Aber sie sind durchaus entbehrlich für jemanden, der hört, wie geschickt hier die Stimmen der Bassklarinetten gegeneinander geführt sind, wie sorgfältig Andreas Sorg im tiefen Register Klangfarben mischt und wie die figurativen und rhythmischen Strukturen zu Faktoren dieser Farben werden. Bernd Leukert Siehe: Seite 4 Bruno Maderna mit Earle Brown bei den 14. Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, 1959 MICHAEL REUDENBACH (*1956) Trio 3 (2009) Trio 3 für Bassethorn, Bassklarinette und Klavier sehe ich als labyrinthische Fortsetzung meiner kompositorischen Arbeiten im Spannungsfeld von Traditionsbezug und Traditionsverwerfung: und aber. Musik für Streichquartett von 2004 und Trio. Studie für Klavier, Violine und Violoncello von 2007. Gedanklicher Ausgangspunkt des Stücks ist Bruno Madernas Vorstellung einer Unauflöslichkeit der Verflechtung von musikalischer Vergangenheit und Gegenwart. Michael Reudenbach ANDREAS SORG, 1959 in Mannheim geboren, studierte Klavier und Komposition an der Musikhochschule Heidelberg-Mannheim, wo er seit 1985 als Dozent für Instrumentales Zusammenspiel tätig ist. Meisterkurse führten ihn u.a. mit Liane Issakadse, Rainer Kussmaul, Saschko Gawriloff, Yfrah Neaman, Alberto Lysy und Aurèle Nicolet zusammen. Zu seinen Duopartnern als Pianist zählen Wanda Wilkomirska, Reiner Schmidt, Roman Nodel sowie die Flötistin Avital Cohen. 15 Samstag_21.11.2009 17 Uhr_Foyer des hr-Sendesaals Andreas Sorg erhielt 1995 den »Preis für Neue Musik Delmenhorst«, gewann 1996 den Internationalen Kompositionswettbewerb für Kammermusik Winterthur und wurde auch mit dem Internationalen Kompositionspreis der Stadt Klagenfurt ausgezeichnet. 1997 nahm er am 7. Internationalen Kompositionswettbewerb für Geistliche Musik in Fribourg (Schweiz) teil und belegte den zweiten Platz. Er arbeitete mit dem Ensemble Varianti Stuttgart und komponierte im Auftrag des Schwetzinger Kammerorchesters, des Uni-Orchesters Bamberg, des Ensembles Phorminx Darmstadt, des Jugend-Gitarrenorchesters Baden-Württemberg und der Siemens Kulturstiftung. Die CD »Vom Eise befreit« (EMI) mit seiner Komposition Marmor Asche erhielt den Deutschen Schallplattenpreis. Im Juni 2010 wird sein Konzert für Kontrabass und Orchester an der Texas State University uraufgeführt. GESPRÄCH 1 BJÖRN GOTTSTEIN HANS G HELMS JÜRGEN KREBBER ARTURO TAMAYO STEFAN FRICKE | MODERATION »Was mir in den letzten Jahren immer mehr imponiert, ist der Künstler, der Poet, der Mensch, der alleine ist und der versucht, die anderen von seiner Idee oder seinen Idealen zu überzeugen. Und weil diese Ideale so hoch oder so gut sind und eben die Menschen noch nicht in der Lage sind, ihn zu verstehen, muss der Prophet sich zerreißen.« Bruno Maderna »Der Humanismus ist die einzige Chance, in der heutigen Welt zu überleben. Ich will nicht pessimistisch sein, aber denken Sie daran, dass Elektronengehirne, obwohl sie noch so primitiv sind, schon so weit sind, dass sie Menschen ersetzen können. Um nicht der Technokratie zu verfallen, ist die einzige Möglichkeit die, das Individuum, den Menschen zu pflegen. Nicht nur den Menschen als Quantität, als Masse, sondern auch den Menschen, der der Masse vorausgeht. Auch er muss auch toleriert werden, in einem idealen Land, wo auch die Poeten leben können, auch wenn sie Anarchisten sind.« Bruno Maderna »SATELLIT MADERNA« 16 17 VINKO GLOBOKAR (*1934) Samstag_21.11.2009 18 Uhr_hr-Sendesaal unterrichtete er an der Scuola di Musica von Fiesole (Florenz) und dirigierte das zeitgenössische Repertoire beim Orchestra Giovanile Italiana. Globokar lebt heute in Paris. Individuum <–> Collectivum (1979...) ENSEMBLEKONZERT 1 hr-ENSEMBLE FÜR NEUE MUSIK VINKO GLOBOKAR Klaus Schwamm | Violine Kerstin Hüllemann | Bratsche Valentin Scharff | Violoncello Ulrich Franck | Kontrabass Thaddeus Watson | Flöte/Piccolo José García Vegara | Oboe Michael Sieg | Englischhorn Ulrich Mehlhart | Klarinette Ulrich Büsing | Bassklarinette Margaret Dudley | Fagott John Stobart | Horn Jürgen Ellensohn | Trompete Francis Baur | Posaune Fritz Walther | Tasteninstrumente Anne-Sophie Bertrand | Harfe Daniel Biro | Gitarre Agnieszka Koprowska-Born | Vibrafon Philipp Strüber | Xylofon Matthias Lang | Schlagzeug Individuum <–> Collectivum (1979…) BRUNO MADERNA Serenata Nr. 2 (1956) für 11 Instrumentalisten LUCIANO BERIO Serenata (1957) für Flöte und 14 Instrumente PIERRE BOULEZ Le marteau sans maître (1952–55) für Altstimme und 6 Instrumente nach Texten von René Char _1. Avant »l‘artisanat furieux« _2. Commentaire I de »bourreaux de solitude« _3.» L‘artisanat furieux« _4. Commentaire II de »bourreaux de solitude« _5. »Bel édifice et les presentiments«, version première _6. »Bourreaux de solitude« _7. Après »l‘artisanat furieux« _8. Commentaire III de »bourreaux de solitude« _9. »Bel édifice et les presentiments«, double AD-HOC-ENSEMBLE Hans von Ziegesar | Violine Christine von Ziegesar | Violine Henning von Ziegesar | Violoncello Julia Watson | Flöte ANNETTE STRICKER | MEZZOSOPRAN David Robert Coleman | DIRIGENT Seit 1979 arbeitet der Komponist und Posaunist Vinko Globokar an Individuum <–> Collectivum, einer Sammlung von musikalischen »Modellen«, von offenen und nicht abgeschlossenen Stücken, die jeweils einen formalen Umfang von einer DIN-A4Seite haben. Die »Modelle« müssen nicht unbedingt musikalisch realisiert werden, sie sind auch als Lektüre oder als pädagogische Hilfs-Texte gedacht. Zudem können die »Modelle« für wie auch immer sich dann äußernde Anregungen benutzt werden. Somit können die »Modelle« auch Modelle ohne Modelle sein, um Eigenes zu entwickeln, zu erfinden. Die Themen der »Modelle« – bei denen die Anzahl der Spieler ebenso frei ist wie die Wahl der Instrumente – sind: Abhängigkeiten zwischen den Spielern; Abhängigkeit zwischen Musik und Außermusikalischem; jeder Gegenstand kann ein Musikinstrument sein. Jedes »Modell« verlangt vom Spieler die Lösung von zwei Aufgaben: a) die eine kann vom einzelnen für sich allein gelöst werden, b) die andere kann nur innerhalb der Gruppe bewältigt werden. Jedes »Modell« liegt in drei Versionen vor: a) für Spieler, die keine Noten lesen können (diese Version ist z.B. grafisch oder verbal geschrieben), b) für professionelle Musiker (sämtliche musikalischen Parameter sind vorgegeben), c) eine konzeptionelle Version (sie ist dem Außermusikalischen entnommen). BRUNO MADERNA (1920–1973) Serenata Nr. 2 (1956) Dieses Werk für elf Instrumente darf nicht mit einer früher entstandenen, heute verschollenen Serenata verwechselt werden, die 1946 in Venedig uraufgeführt wurde. Obwohl beide Kompositionen für die gleiche Anzahl von Mitwirkenden geschrieben wurden, geht aus dem Einführungstext Madernas eindeutig hervor, dass sie sich in Bezug auf Form und Stil radikal unterschieden. Zur Verwirrung um dieses Stück trägt zudem die Tatsache bei, dass auch Serenata Nr. 2 selbst in zwei Fassungen erschien: zunächst 1954 mit einer Widmung an den großen Neue-Musik-Pionier Hermann Scherchen in dessen »Ars Viva«-Verlag als Serenata – Komposition Nr. 3, drei Jahre später dann ohne Widmung bei Suvini Zerboni in Mailand. Die erste Version wurde überhaupt nur zwei Mal gespielt (1954 bei einem Konzert der »Domaine Musical« in Paris unter Scherchen sowie am Landestheater Darmstadt 1956 unter Hans Zanotelli) — ganz im Gegensatz zur häufig aufgeführten, deutlich kürzeren Zweitfassung. Wie fast alle Werke Madernas besteht auch die Serenata Nr. 2 aus einem einzigen Satz, der sich jedoch klar in einzelne Abschnitte gliedert. Die erste Hälfte der Komposition wird von einer Elftonreihe geprägt, die zu Beginn von der Piccoloflöte präsentiert wird und in der aufsteigende Ganztonschritte dominieren. Die Reihe wird zunächst fast ausschließlich in ihrer Originalform eingesetzt, Maderna verzichtet selbst auf Transpositionen; dadurch erhält die in immer wieder neue Klanggewänder gehüllte Reihe den Charakter eines Cantus firmus. Der zweite Teil der Komposition besteht aus vier Abschnitten, wobei jeweils eine andere Reihe aus neun Tönen das musikalische Material bildet. Die Abfolge der Permutationen innerhalb der jeweiligen Reihen konstruierte Maderna mit Hilfe eines sogenannten »Lateinischen Quadrats«, die entsprechenden rhythmischen Werte leitete er hingegen aus einem »Magischen Quadrat« ab. Vinko Globokar verzichtet bei seiner Sammlung Individuum <–> Collectivum übrigens auf das Copyright. Und Musikverlage, die die stetig wachsende Anthologie der »Modelle« publizieren wollen, dürfen daran nichts verdienen; sie dürfen bloß die reinen Herstellungskosten den geneigten Käufern in Rechnung stellen. Stefan Fricke VINKO GLOBOKAR, Komponist und Posaunist, wurde 1934 im französischen Anderny geboren. Von seinem 13. bis 21. Lebensjahr lebte er in Ljubljana (Slowenien), wo er als Jazzmusiker debütierte. Später studierte er Posaune bei Andre Lafosse am Conservatoire National Supérieur in Paris und gewann dort den Preis für Posaune und Kammermusik. Komposition und Orchesterleitung studierte Vinko Globokar bei René Leibowitz, Kontrapunkt bei Andre Hodeir und setzte seine Studien bei Luciano Berio fort. Viele Kompositionen für Posaune u.a. von Berio, Mauricio Kagel, Karlheinz Stockhausen, René Leibowitz, Louis Andriessen, Jürg Wyttenbach und Toru Takemitsu hat er uraufgeführt. Zu seinen eigenen rund 100 Werken gehören Solostücke, Kammermusik, Orchestermusik, Chöre, Musik und Theater. 1969–1976 war Globokar Professor für Posaune an der Musikhochschule Köln, und 1973–1979 Verantwortlicher des Departements für Instrumenten- und Stimmforschung der IRCAM (Paris), 1981–2000 18 Die Serenata Nr. 2 ist zugleich durch die Integration neo-klassizistischer Gesten gekennzeichnet. In jenen Jahren beschäftigten sich viele Komponisten in Italien mit dem althergebrachten Gattungsmodell der Serenade, neben Maderna und Berio auch Petrassi (1958), Donatoni (1959) und Ferrara (1960); ihr Ziel war es dabei, das für die italienische Musik charakteristische lyrische Element auch in seriell strukturierten Werken zur Geltung zu bringen. Adam Gellen 19 LUCIANO BERIO (1925–2003) unterhalt mit der Begleitung von Gesangsklassen. Dabei lernte er die amerikanische Sopranistin Cathy Berberian kennen, die er kurz nach seinem Universitätsabschluss 1950 heiratet (die Ehe wird 1964 geschieden). 1951 geht Berio in die USA, um in Tanglewood bei Luigi Dallapiccola zu studieren, der sein Interesse an serieller Musik weckt. Bruno Maderna bringt ihn schließlich zu den Darmstädter Ferienkursen, die Berio 1954– 1959 besucht. Dort lernte er Boulez, Stockhausen, Ligeti und Kagel kennen. Er beginnt sich für Elektronische Musik zu interessieren und gründet gemeinsam mit Maderna 1955 in Mailand das »Studio di Fonologia Musicale« Zur Arbeit in dem Studio für Elektronische Musik lädt er bedeutende Komponisten ein, darunter Henri Pousseur und John Cage. Darüber hinaus gibt er eine Zeitschrift für Elektronische Musik heraus, die »Incontri Musicali«. Serenata (1957) Die Serenata von 1957 gilt als eines der Dokumente für Berios Rezeption des Serialismus. Tatsächlich scheint Berio, der seit 1956 das Mekka der seriellen Musik, die Darmstädter Ferienkurse, besuchte, in diesem Werk auch die punktuellen Kompositionsprinzipien angewandt zu haben. So sind schon auf den ersten Blick jeder erklingenden Note einzeln Werte für die Tonhöhe, die Tondauer, die Tonstärke und die Artikulation nach einem Reihenprinzip zugeordnet. Auf den zweiten Blick wird hingegen deutlich, dass Berio keineswegs die seriellen Regeln starr befolgt hat. Dies zeigt schon die Tonhöhendisposition, denn offensichtlich werden einzelne Töne der Reihe bevorzugt lange ausgehalten und bilden so einen einheitlichen harmonischen Hintergrund. Und auch die Tonstärkendisposition negiert das Prinzip der statistischen Gleichverteilung der Werte der Tonstärkenreihe: über ganze Passagen ist eine gleichbleibende Lautstärke beizubehalten. PIERRE BOULEZ (*1925) Le marteau sans maître (1952–55) Vor allem aber verstößt das Werk durch seinen konzertanten Charakter gegen die Prinzipien der seriellen Schule. Dies gilt für die »Ritornelle«, die dem Kammerensemble — meist in einem Prozess der rhythmischen Verdichtung — vorbehalten sind ebenso wie für die ausgedehnten Abschnitte, in denen der Solist mit ausgewählten Begleitinstrumenten »konzertiert«. Und schließlich holt die Flöte zu einer regelrechten »Solokadenz« aus, bevor ein »Schlusstutti« das Stück beschließt. Die Form der Serenata distanziert sich so erheblich vom Serialismus, nicht nur durch ihre klare, mittels Tempowechsel noch hervorgehobene Gliederung, sondern mehr noch durch ihre völlige Inkonsistenz zu den dem Werk zugrundeliegenden Reihenstrukturen. Dementsprechend wird man ein ähnlich konzertantes Stück im Œuvre Stockhausens, Nonos oder Boulez‘ in den 50er Jahren vergeblich suchen. Letzterem ist die Serenata immerhin gewidmet, und Pierre Boulez war es auch, der sie 1957 in Paris zur Uraufführung brachte und noch im selben Jahr in Darmstadt einführte. Solist war bei beiden Anlässen Severino Gazzelloni, der 1958 ebenfalls in Darmstadt die Sequenza für Flöte solo uraufführte. Detlev Lehmbruck Pierre Boulez komponierte sein Durchbruchswerk, die Kantate Le marteau sans maître für Alt und Ensemble auf Texte des surrealistischen Dichters René Char (1907–1988) in den Jahren 1953 bis 1955, als der damals 28-Jährige sich nach eigenem Bekunden vor allem mit historischen Werken auseinandersetzte. Die konkrete Referenz in Le marteau sans maître (etwa: »Der Verrückte ohne Herr/Meister«) ist Schönbergs Melodramen-Zyklus Pierrot lunaire op. 21 (1912) auf Poeme des belgischen Dichters Albert Giraud (1860–1929). In einem Gespräch über den Pierrot lunaire, das Boulez und Theodor W. Adorno am 26. November 1965 im Norddeutschen Rundfunk geführt haben, sprachen die beiden auch über Marteau sans maître: ADORNO: »Aber ich glaube, nun wäre es an der Zeit, dass wir von dem weitaus wichtigsten Werk doch etwas hören, das mit dem Pierrot in einem tiefen Zusammenhang steht, und das ist Ihr eigenes Werk, eben der Marteau sans maître, wobei übrigens zu sagen ist, dass auch zwischen dem Surrealismus von René Char und den doch zum Teil sehr exponierten Jugendstil-Gedichten von Giraud unterirdisch ein gewisser Zusammenhang besteht. Also gewisse Oberflächenzusammenhänge, wie dass es beide Male ein Stück für Stimme und Flöte solo gibt und dass die Flöte dabei äußerst aufgelöst behandelt ist, das liegt ja auf der Hand. Auf der Hand liegt auch die Tendenz, allmählich von lyrischen zu sinfonischen, größeren Einheiten überzugehen; aber das alles trifft nicht das Tiefste dieses Zusammenhangs, und ich glaube, niemand wäre nun wirklich berufener, darüber etwas zu sagen, als Sie.« LUCIANO BERIO, 1925 im italienischen Oneglia geboren und 2003 in Rom gestorben, war einer der Pioniere der Elektronischen Musik und als Komponist für seine experimentellen Arbeiten bekannt. Berio studierte nach dem Zweiten Weltkrieg am Mailänder Konservatorium bei Giulio Cesare Paribeni und Giorgio Federico Ghedini. Durch seine im Krieg verletzte Hand an einer Pianistenkarriere gehindert, konzentrierte sich Berio dabei auf die Komposition. 1947 fand die erste öffentliche Aufführung eines eigenes Werke statt, einer Suite für Klavier. Zu dieser Zeit verdiente Berio seinen Lebens- BOULEZ: »Es gibt natürlich eine oberflächliche Ähnlichkeit, das kann man sofort spüren: das ist ein Werk für Stimme und eine kleine musikalische Besetzung.« So lapidar kann eine einfach und freundlich gemeinte Frage beantwortet werden; doch lüftet Boulez im weiteren 20 Gesprächsverlauf schließlich doch noch einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den beiden Stücken. Ohne diese hier detaillierter zu dokumentieren, seien einige formale Differenzen und Affinitäten angezeigt. Während im Pierrot die sprechend-singende Stimme in allen einundzwanzig Teilen aktiv ist, so ist das im Marteau in vier der insgesamt neun Sätze der Fall: im 3., 5., 6. und 9. Satz, die Kerne von drei ineinander greifenden und übereinander gelagerten Binnenzyklen. Doch sind auch die rein instrumentalen Sätze von der Syntax und Semantik der Gedichte grundiert, sodass sich hier serielle Verfahren und klangsinnlicher Ausdruck miteinander verbinden. Wie im Pierrot wechselt im Marteau die Besetzung von Satz zu Satz. Das daraus resultierende kontinuierliche Changieren der Klangfarben – außer dem Alt sind die instrumentalen Akteure Altflöte, Xylofon, Vibrafon, Gitarre, Bratsche und Schlagzeug – und der zwischen ihnen auskomponierte Beziehungsreichtum präsentieren sich als ein raffiniert gestaltetes Klangspielfeld, in dem das Verhältnis von Sprache und Musik, von Wort und Ton viele verschiedene Intensitätsstufen und Grade des gegenseitigen Kommentierens besitzt – so wie es Pierre Boulez hernach in seinem ganzem Œuvre getan hat – eigen, langsam und beharrlich. Stefan Fricke PIERRE BOULEZ, 1925 im französischen Montbrison/ Loire geboren, gehört zu den zentralen KomponistenPersönlichkeiten der letzten 60 Jahre. Er hat als Komponist, Musiktheoretiker, Dirigent, Organisator, Publizist und Pädagoge Generationen von Musikschaffenden geprägt. Als Pionier auf den Gebieten der seriellen Musik und der auf Zufallsentscheidungen zurückgreifenden Aleatorik trieb er dabei maßgebliche Entwicklungen voran. Boulez studierte in Lyon Mathematik, bevor er 1943 in Paris u.a. bei Olivier Messiaen und René Leibowitz Harmonielehre- und Kontrapunkt-Unterricht nahm. Von 1952 bis Mitte der 1960er Jahre war er zunächst als Student und dann vor allem als einflussreicher Dozent regelmäßiger Teilnehmer der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik. Der internationale Durchbruch als Komponist gelang Boulez in den 1950er Jahren mit Aufführungen seiner Werke bei Festivals für Zeitgenössische Musik in Deutschland. In den 1970er Jahren baute er in Paris die innovative Forschungseinrichtung IRCAM (Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique) auf, die er bis 1992 leitete. Pierre Boulez Le marteau sans maître Pierre Boulez Der Hammer ohne Meister L’Artisanat furieux La roulotte rouge au bord du clou Et cadavre dans le panier Et chevaux de labours dans le fer à cheval Je rêve la tête sur la pointe de mon couteau le Pérou. Das rasende Handwerk Der rote Karren am Rand des Nagels Und Aas im Brotkorb Und Ackerpferde am Hufeisen Ich sinne den Kopf auf der Spitze meines Messers Peru. Bel édifice et les pressentiments J’écoute marcher dans mes jambes La mer morte vagues par-dessus tête Schönes Gebäude und die Vorahnungen Ich höre wandern in meinen Beinen Das tote Meer Wellen hoch überm Haupt. Enfant la jetée-promenade sauvage homme l’illusion imitée Kind der wilde Molenweg Mann der nachgeahmte Wahn Des yeux purs dans les bois Cherchent en pleurant la tête habitable. Reine Augen in den Wäldern Suchen weinend das bewohnbare Haupt. Bourreaux de solitude Le pas s’est éloigné le marcheur s’est tu Henker der Einsamkeit Der Schritt hat sich entfernt der Wanderer ist verstummt. Sur le cadran de l’imitation Le Balancier lance sa charge de granit réflexe. Auf das Zifferblatt der Nachahmung Wirft das Pendel seine Last willenlosen Granits. René Char 21 Übersetzung: Wolfgang Fink SAMSTAG_21.11.2009 20 Uhr | FOYER DES hr-SENDESAALS SAMSTAG_21.11.2009 21 Uhr _hr-Sendesaal GESPRÄCH 2 ENSEMBLEKONZERT 2 HANS-JOACHIM HESPOS BERNHARD LANG OLAF STÖTZLER »Ich werde mir immer mehr bewusst, dass man überhaupt nicht konsequent sein soll, besonders nicht als Komponist oder als Künstler. Ich glaube, man soll die Konsequenz hassen. Man soll versuchen, so lebendig und so natürlich zu sein, dass die verschiedenen Aspekte unseres Organismus, unseres psychosomatischen Daseins ihren Ausdruck finden … Ich glaube, dass die berühmte serielle Konsequenz eine der schlimmsten Krankheiten der Menschheit gewesen ist.« Bruno Maderna MICHAEL REBHAHN | MODERATION »NEUE MUSIK FÜR BIGBAND« BRUNO MADERNA (1920–1973) Serenata per un satellite (1969) Siehe: Seite 4 Bruno Maderna mit dem Leiter der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik Ernst Thomas, 1968 hr-BIGBAND ÖRJAN FAHLSTRÖM | DIRIGENT BRUNO MADERNA Serenata per un satellite (1969) für Ensemble Realisation durch Bigband HANS-JOACHIM HESPOS (*1938) HANS-JOACHIM HESPOS i p s – Anstöße für Bigband (2009) i p s – Anstöße für Bigband (2009) Auftragswerk des hr Uraufführung Hans-Joachim Hespos‘ Maxime lautet, dass Kunst, dass Musik Widerstände bieten müsse, widerborstig zu sein habe. Sie durchzieht sein gesamtes Schaffen und machte ihn zu einem Künstler, der stets vor allem gegen den allzu festgefügten Traditionsbetrieb, und sei es auch der Moderne, anschreibt. Nicht um das Bestehende geht es ihm, sondern um Neues, Unerwartetes, Störendes, Verstörendes, Zerstörendes… Schon 1968, in der Blütezeit des frei improvisierten Jazz, schrieb Hespos Dschen für Saxofon und Streichorchester, ein Werk für und vor allem mit dem Free-Jazz-Saxofonisten Peter Brötzmann. »Sinfoniker sind doch meist nur Instrumentalisten«, sagt Hespos, »die Jazzer sind die echten und schöpferisch tätigen Musiker. Sie stehen auf einer höheren Stufe, darüber kommen nur noch die Vögel, aber das werden wir nie erreichen.« BERNHARD LANG Monadologie VIII (2009) »Robotika II« 1. Movement Auftragswerk des hr Uraufführung DJANGO BATES Gaza (2009) Midnight Roundabout (2009) Loose Tubes (2009) Für die hr-Bigband schrieb Hans-Joachim Hespos i p s. Nach eigenen Worten handelt es sich dabei um kein »Werk«, sondern um »Anstöße«. Der knappe Kommentar des Komponisten: »aus vielzüngigen reibungen erwachsen kühnheiten neuer gesänge, die selbst im abgesauf brodelnder schwarzdichten auferinnernd nachklingen.« Nur ein Teil des Stückes ist festgelegt und notiert, der Rest soll von den Musikerinnen und Musikern überführt werden »ins Improvisatorische, ins Abwegige, ja, vielleicht auch ins Abartige.« Auftragswerk des hr Uraufführung Hierzu benutzt Hespos in seiner Partitur eine Vielzahl von additiven Zeichen und Spielanweisungen wie »stillstehend klebrig«, »in sich vielfältig zerstolpert«, »brutal schwarz« oder »grobhart zertaumelt«. Für die Bigband-Musiker ist das erst einmal neu und gewöhnungsbedürftig, doch während der Proben, im ständigen Dialog mit dem Komponisten, formte sich in kurzer Zeit ein erregendes Klangbild. Dieses wird gegen Ende des Stücks, ganz der Hespos‘schen Intention folgend, auch nervig und unangenehm. »Man muss die Leute nerven, ärgern und 22 23 schubsen, damit sie merken, dass sie noch leben. Meine Musik ist im Grunde eine Ermunterung zum Weiterleben.« Claus Gnichwitz Bigband-Unisono am Rande der Spielbarkeit, das durch frequenzmodulierte Klänge harmonisiert wird. »Robotika II« setzt das jazzverwandte Idiom der Monadologie IV für 3 Schlagzeuger fort. Bernhard Lang HANS-JOACHIM HESPOS, geboren 1938, erhält als 8-Jähriger Geigenunterricht und gibt zwei Jahre später ein erstes öffentliches Konzert, kurz darauf folgen frühe Kompositionsversuche. Nach Abitur und Pädagogikstudium arbeitet Hespos bis 1984 im Schuldienst. Seither ist er als freischaffender Komponist tätig und lebt in Ganderkesee bei Bremen. Als Komponist ist Hespos Autodidakt und publiziert seit 1978 ausschließlich im eigenen Verlag. Sein Œuvre (über 200 Werke für Solo, Kammermusik, Ensemble, Orchester, Chor u.a.) lässt sich in keine Schubladen einordnen. Kennzeichnend für Hespos‘ Stil ist allerdings die Beschäftigung mit musikalischen und akustischen Extremen sowie fantasievolle und lautmalerische Wortschöpfungen. Diese betreffen sowohl die Werktitel als auch die Spielanweisungen innerhalb der Partituren. Hespos erhielt zahlreiche Auszeichnungen und betreibt seit 40 Jahren die von ihm gegründete Konzertreihe »neue musik in delmenhorst 11.11.«. BERNHARD LANG, geboren 1957 in Linz, Schulbesuch und Musikstudium am Brucknerkonservatorium Linz. Ab 1975 Studium in Graz: Philosophie und Germanistik, Jazztheorie, Klavier, Harmonielehre und Komposition. 1977–1981 Arbeit mit diversen Jazzgruppen als Komponist, Arrangeur und Pianist. Auseinandersetzung mit Elektronischer Musik und Computertechnologie am IEM Graz, Entwicklung der Software CADMUS in C++ (Entwicklungsumgebung für Computergestützte Komposition). Ab 2003 Professor für Komposition an der Kunstuniversität Graz. 2004–2005 Stipendiat des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. 2007 Arbeitsaufenthalt im Künstleratelier, Thomas Bernhard Archiv, Gmunden; 2007/08 Composer in Residence am Theater Basel. Musikpreis der Stadt Wien 2008. 2008/09 Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Teilnahme am Steirischen Herbst 1984, 1988, 1991, 1995, 1999, 2003 und 2008, am Moskau Alternativa Festival, an Moskau Modern, den »resistance fluctuations« Los Angeles 1998, an den Tagen Absoluter Musik Allentsteig I und II, dem Klangarten, dem Herbstfestival 98 Lissabon, an Wien Modern, den Münchner Opernfestspielen, Darmstädter Ferienkursen, Donaueschinger Musiktagen, Salzburger Festspielen, an Disturbances (Musiktheaterworkshop Kopenhagen 2003), den Wittener Tagen für Neue Kammermusik u.v.a. BERNHARD LANG (*1957) Monadologie VIII (2009) »Robotika II« Die Monadologien lassen sich vielleicht durch folgende Punkte kürzest charakterisieren: 1. Sie arbeiten mit kleinsten Ausgangszellen als Generatoren des gesamten musikalischen Materials. 2. Diese Ausgangszellen sind größtenteils Samples aus vorhandenen Materialien/Stücken. 3. Die Partituren entstehen durch Einsatz zellulärer Automaten, sind also maschinell entwickelt und stellen selbst abstrakte Maschinen im Deleuzischen Sinn dar. 4. Die Zellen durchschreiten diskrete Zustände als komplexe Differentiale, zeigen also fortwährende Mutationen. 24 spielte aber auch im Orchester von George Russell, mit Courtney Pine und in Ken Stubbs »First House«. Bekannt wurde Bates in den 1980er Jahren mit der britischen Jazzbigband »Loose Tubes«, für die er ebenso wie Iain Ballamy schrieb. 2004 wurde Django Bates erster künstlerischer Leiter des »Fuse Festivals« in Leeds, einem alle zwei Jahre stattfindenden Event, das sich der Vielschichtigkeit der aktuellen Musikszene widmet. Zu diesem Anlass beauftragte er Jonny Greenwood von »Radiohead« mit einer Komposition für Ondes Martenot und die London Sinfonietta. Zu Ehren des 60. Geburtstags von Saxofonist Evan Parker bat Bates 60 Komponisten, darunter Gavin Bryars, Sir Patrick Moore und John Zorn, jeweils einen Takt zu schreiben, welche er dann zu dem Stück Premature Celebration zusammenfügte. 2005 wurde Django Bates am renommierten Rhythmic Music Conservatory in Kopenhagen zum »Professor of Rhythmic Music« ernannt. Gaza endet mit einer musikalischen Illustration bedeutungslosen Triumphierens; ich könnte das eine »Pyrrhus-Kadenz« nennen. Wie wir alle wissen, kann ein Krieg nicht gewonnen werden. Midnight Roundabout (2009) Lediglich die ersten fünf Noten aus Thelonious Monks Klassiker Round Midnight fortschreibend, komponierte ich die Musik zu Filmaufnahmen von Kreisverkehren aus der ganzen Welt, die jeweils gegen Mitternacht gemacht worden waren. Die heutige Aufführung findet ohne den Film statt, beinhaltet aber Aufnahmen von Kreisverkehren in London, Gaza und Hanoi/ Vietnam. Die Musik dreht sich im Kreis und erinnert an die Art von »Bigband-Brei«, den früher das 2. Radioprogramm der BBC spät in der Nacht für die Schlaflosen spielte. Ich muss zugeben, dass ich dem Sound jenes musikalischen Sirups durchaus etwas abgewinnen kann. Loose Tubes (2009) Gaza (2009) Dies ist ein Werk zu Ehren der englischen Bigband »Loose Tubes«, die von 1984 bis 1990 erfolgreich unterwegs waren. Ich war einer von 21 Mitgliedern, unter denen es einen Tubisten, einen Bassposaunisten, einen Bassklarinettisten, einen Baritonsaxofonisten, einen Kontrabassisten, ja sogar einen Bassflötisten gab; der Band mangelte es nie an tiefen Frequenzen, daher schrieb ich ein Stück, das von seiner »bass line« dominiert wird. Ebenso wie die »bass lines« und die großartigen Spieler, darunter Julian Argüelles, der heute Abend ein Solo zu diesem Stück beisteuert, waren »Loose Tubes« für ihre »joie de vivre« bekannt; auch das wird in meiner Hommage reflektiert. Django Bates (Übersetzung: Adam Gellen) Ja, ich weiß; ich bin ein Komponist und kein Politiker. Ich weiß, dass ein Stück Musik die Politik auf keiner der beiden Seiten verändern kann. Aber wenn ich nach »Gaza Bilder« google, wird mir auch klar, dass es faul wäre, musikalisch nicht darauf zu reagieren, was ich dort sehe und lese. In den 80ern schrieb ich Sad Africa (»Loose Tubes« spielten es vor dem »South Africa House« [in London] im Rahmen der Anti-ApartheidAktionen), in den 90ern schrieb ich Candles Still Flicker In ’Romania’s Dark, inzwischen unpassenderweise auch als Klingelton erhältlich! 1987 richteten »Loose Tubes« ihr Augenmerk auf die in Bedrängnis geratene unabhängige tschechoslowakische Kulturorganisation »Jazz Section«, die wegen der fortgesetzten illegalen Förderung von Jazzmusik verurteilt wurde… Heutzutage ist es nicht »in«, dass sich Künstler mit aktuellen Problemen beschäftigen, aber ich kann mich nicht DJANGO BATES ist ein britischer Musiker, Komponist und Bandleader des Modern Creative Jazz. Experimentierlust, Kollektivgeist, Humor und offene Ohren für Einflüsse aller Art zeichnen ihn als Komponist wie Musiker aus. Als Autodidakt spielte Bates zunächst Klavier, studierte dann Klavier, Trompete und Violine (u.a. am Royal College of Music in London). Anfang der 1980er trat er regelmäßig mit Dudu Pukwanas Zila auf, aber auch bei Harry Beckett. Außerdem gehörte er zu Bill Brufords Gruppe »Earthworks«. Mit Julian Argüelles gründete er das Quartett »Human Chain«, DJANGO BATES (1960) Monadologie VIII ist als zweisätziges Werk konzipiert: Der erste Satz ist eine Jazzballade mit E-Gitarre und Marimbafon als Soli, der zweite basiert auf einem superschnellen BigbandRiff, das zunehmend granuliert wird und zum dynamischen Höhepunkt des Stückes führt, bevor dieses durch weitere zelluläre Verwandlungen in geräuschhafte Klangmonaden zurückfällt. Der erste Satz basiert ausschließlich auf dem Monadischen Prinzip, er entspringt einem einzigen Kontinuum zellulärer Automation, der zweite zeigt im Gegensatz dazu eine kinematografische Schnittlogik, die verschiedene Automaten collagiert. Im Zentrum des zweiten Satzes steht ein rasendes ernsthaft als Künstler bezeichnen, wenn ich diese Welt ignoriere, in der wir leben, diese Welt, die wir miteinander teilen müssen. 25 BRUNO MADERNA (1920–1973) SAMSTAG_21.11.2009 23 Uhr _hr-Sendesaal Bruno Maderna mit Luciano Berio im Mailänder »Studio di Fonologia Musicale«, 1955 Notturno (1956) nachtKONZERT »Meine Begegnung mit dem elektronischen Medium führte zu einer wahren Revolution in meiner Beziehung zum Material der Musik. Ich musste meinen intellektuellen Stoffwechsel als Komponist völlig neu organisieren. Während der instrumentalen Komposition in den meisten Fällen eine lineare gedankliche Entwicklung vorausgeht – gerade weil es sich um einen gedanklichen Prozess handelt, der in keinem direkten Kontakt mit dem Material steht – konfrontiert die Tatsache, dass man im Studio bei der Ausarbeitung von Klangstrukturen verschiedene Möglichkeiten ausprobieren kann, dass man die auf diese Weise fast endlos produzierten Klangbilder durch ständige Manipulation erneuern und verändern kann und schließlich die Tatsache, dass es möglich ist, eine gewaltige Menge teilweise ausgearbeiteten Materials auf die Seite zu legen, den Komponisten mit einer völlig neuen Situation.« TONBAND ULRICH EDELMANN | VIOLINE THADDEUS WATSON | FLÖTE BRUNO MADERNA Notturno (1956) Tonbandstück Musica su due dimensioni (1952) für Flöte, Becken und Tonband Mit diesen Worten machte Bruno Maderna bei den Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt 1957 in einem Vortrag anlässlich eines Konzerts mit elektronischen Kompositionen die für ihn so einschneidende Erfahrung der Elektronischen Musik deutlich. Wie eine Reihe anderer junger Komponisten der Avantgarde hatte er Anfang der 1950er Jahre mit entsprechenden Experimenten begonnen. Doch erst mit dem von ihm und seinem Komponisten-Freund Luciano Berio 1955 gegründeten »Studio di Fonologia Musicale« in Mailand konnte er sich der Arbeit mit dem neuen Medium intensiver widmen. Continuo (1958) Tonbandstück Widmung (1967) für Violine solo Die Periode, während der Maderna rein elektronische Werke schrieb – also Kompositionen ohne jeden unmittelbaren außermusikalischen Bezug und ohne Beteiligung akustischer Instrumente oder menschlicher Stimmen bei der Aufführung – beschränkte sich dabei auf die Jahre 1954 bis 1958. Eines der ersten Ergebnisse der Arbeit im neu eröffneten Mailänder Studio stellt die nur dreieinhalb Minuten lange Tonbandkomposition Notturno dar, deren Titel sich nicht etwa auf den Ausdrucksgehalt des Stückes bezieht, sondern auf die Tatsache, dass das Werk im Frühjahr 1956 hauptsächlich in nächtlicher Arbeit entstand. Nicht zuletzt an diesem Werk wird deutlich, dass Maderna stets bestrebt war, auch seinen elektroakustischen Werken etwas »Menschliches« zu geben: In diesem Fall gelang es ihm, aus Rauschklängen durch Überlagerungen, Montage und Filtervorgänge irisierende Klangfarben zu gewinnen, die Assoziationen an den Gesang von Vögeln oder das Spiel einer Flöte evozieren. Maderna verstand diese Art, die Mittel der Elektronik zu behandeln, als Möglichkeit, eine »Verbindung, fast einen nahtlosen Übergang zwischen natürlicher und elektrischer Klangerzeugung« herzustellen. Dimensioni II / Invenzione su una voce (1959/60) Tonbandstück Musica su due dimensioni (1952) Im Umgang mit der Elektronik beschreitet Maderna gleich zu Beginn neue Wege. Die Musica su due dimensioni für Flöte, Becken und Tonband von 1952 ist in diesem Zusammenhang 26 läuft der Anfangsklang insgesamt 22 Variationsstufen »in continuo«, also ununterbrochen, bis er am Schluss in einer komplexen Klangfigur kulminiert. »Im Verlauf des Stückes begegnen wir nicht der Dialektik Klang/Stille, sondern der von größerer bzw. geringerer Dichte des Materials«, beschrieb Maderna dabei seinen Grundgedanken. Widmung (1967) Maderna, dem in seiner Jugend als Geiger der Ruf des »Wunderkindes« vorauseilte, hat jenseits seines Violinkonzerts (1969) keine exponierten Werke für Violine geschrieben. Nur einige Gelegenheitskompositionen entstanden, darunter Widmung für Violine solo. Zur Eröffnung des Privatmuseums »Sammlung Domnick« in Nürtingen komponiert, wurde das Stück am 27. Oktober 1967 dort auch in privatem Rahmen von dem Geiger Theo Olof erstaufgeführt. Auftraggeber waren wahrscheinlich Ottomar und Greta Domnick, die Gründer der internationalen Sammlung abstrakter Malerei und Plastik der Nachkriegszeit. Ihnen ist die Partitur jedenfalls gewidmet. Im Zusammenhang seiner Arbeiten am Violinkonzert hat Maderna die 10-minütige Komposition dann später im Ganzen in die zweite Kadenz des Konzerts übernommen, so wie u.a. auch das Material der Kadenz für Violine, Klarinette und Bassklarinette aus dem Orchesterstück Stele per Diotima (1965) Eingang in das Violinkonzert fand. von historischer Bedeutung, weil hier erstmals der Versuch unternommen wird, in einem Werk akustische Instrumente mit elektronischen Klängen zu verbinden. Maderna hat die musikalische Interpretation stets als eigene, der Komposition ebenbürtige Dimension betrachtet. In einer Konzerteinführung von 1959 deutete er das Konzept seiner Musica su due dimensioni denn auch als Gegenüberstellung nicht nur zweier Formen »musikalischer Mitteilung« (elektronisch und herkömmlich produziert), sondern auch und vor allem als Aufgabenverteilung zwischen Interpretation und Komposition. Bei elektronischer Musik ist es der Komponist, bei aleatorischer Musik der Interpret, der das Werk vollenden muss. Der gemeinsame Nenner liegt im permutativen Verfahren. »Könnte nicht«, so fragt Maderna in den Skizzen zu dem Werk, »auch mit elektronischen Mitteln eine Reihe in eine andere transformiert werden?« Für die Herstellung der elektronischen Ebene der Musica su due dimensioni bediente sich Maderna dabei einer Technologie im Frühstadium: Die Klänge und Klangfarben wurden auf einem Melochord produziert, das zu den Vorläufern von elektronischer Orgel und Synthesizer zählte und im Kölner Studio für elektronische Musik u.a. zur Nachahmung von Klangfarben herangezogen wurde. Dimensioni II / Invenzione su una voce voce (1959/60) In seinen Dimensioni II / Invenzione su una voce kombiniert Maderna die Ausdrucksqualitäten der menschlichen Stimme mit den unerschöpflich scheinenden Möglichkeiten, die ihm die Studiotechnik jener Zeit zu bieten vermochte. Als Grundmaterial für die Komposition erarbeitete er gemeinsam mit dem Literaten Hans G Helms zunächst eine Art Alphabet von Phonemen, Sprachlauten jenseits jeden semantischen Wortsinns, aus dem wiederum ein »Text« gestaltet wurde. Anschließend produzierte Maderna mit der Sängerin Cathy Berberian (der Ehefrau Luciano Berios) etwa eine Stunde an Tonbandaufnahmen anhand dieser 35 Konsonanten, eines Halbvokals und 15 Vokale, wobei der Sängerin weitgehende Freiheiten bei der Gestaltung dieses Proto-Materials eingeräumt worden waren. Die Aufnahmen hat Maderna zuletzt im Studio moduliert und montiert, im wahrsten Sinne des Wortes »komponiert«, so dass das Werk vom Spannungsverhältnis zwischen dem gänzlich abstrakten Text und der Expressivität der Stimme getragen wird. Wie viele andere Kompositionen der Zeit um und nach 1960 integrierte Maderna Dimensioni II später dabei auch in sein großes »work in progress«: das Hölderlin-Projekt Hyperion. 1958 hat Maderna von der Musica su due dimensioni noch eine zweite Version für Flöte und Stereo-Tonband entwickelt. Mit der ursprünglichen Fassung hat diese allerdings kaum mehr etwas gemein. Während das Stück von 1952 darauf abzielte, die Heterogenität der beiden Klangquellen als Gegensatz hervorzuheben, intendiert das wesentlich komplexer und differenzierter konzipierte Werk von 1958 eine Integration der Klänge von Blasinstrument und Tonband in eine neue, unbekannte »Raum-Klang-Dimension«. Continuo (1958) »Als ich begann, Elektronische Musik zu komponieren, befürchtete ich die mir zur Verfügung stehenden Werkzeuge nicht adäquat einsetzen zu können. Ich überwand diese Angst, indem ich meiner musikalischen Intuition und nicht rationalen Überlegungen vertraute.« Von solchen anfänglichen Zweifeln im Umgang mit dem neuen Medium ist im 1958 entstandenen Continuo, einem Tonbandstück von rund acht Minuten Länge, nichts mehr zu spüren. Mit sicherer Hand behandelt Maderna sein einfaches Material, das während des Stücks durch wiederholte Modulationsgänge zunehmend verändert wird. So durch- Adam Gellen / Björn Gottstein / Andreas Maul 27 BRUNO MADERNA (1920–1973) SonnTAG_22.11.2009 11 Uhr _hr-Sendesaal Streichquartett (ca. 1945) KAMMERKONZERT 2 Ganz im Gegensatz zum zehn Jahre später entstandenen Streichquartett in zwei Sätzen gehört das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene frühe Streichquartett immer noch zu den unbekanntesten Werken Madernas. Dies liegt vor allem in der Tatsache begründet, dass es erst lange nach seinem Tode, im Jahre 1996 im Druck erschienen ist. Maderna verschwieg die Existenz des Quartetts auch in seinen späteren Werkverzeichnissen gänzlich, ohne allerdings das Manuskript zu vernichten. So hat die Nachwelt doch noch die Gelegenheit bekommen, sich mit dieser interessanten, knapp gehaltenen Komposition des jungen Maderna auseinanderzusetzen. HÁBA QUARTETT Sha Katsouris | Violine Hovhannes Mokatsian | Violine Peter Zelienka | Viola Arnold Ilg | Violoncello BRUNO MADERNA Das Streichquartett besteht aus einem Satz, erscheint aber deutlich in drei Abschnitte mit der an die Tradition angelehnten Tempofolge schnell – langsam – schnell gegliedert. Die schnellen Rahmenteile sind in wiegender Achtel-Metrik gehalten (mit dem ständigen Wechsel zwischen 5-, 6-, 9-, 12- und 15/8-Takt), das zentrale Lento a fantasia verwendet dagegen hauptsächlich eine wiederum häufig wechselnde Anzahl von Vierteln als Grundschlag. Harmonisch ist das Werk noch einer stark erweiterten Tonalität verpflichtet; ebenso ist die kompositorische Grundkonzeption auf der Basis motivischer Grundgestalten erkennbar, wobei sich auch hier deutliche Auflösungstendenzen zeigen. Adam Gellen Streichquartett (ca. 1945) _Allegro – Lento a fantasia – Allegro LUCIANO BERIO Streichquartett (1956) ANTONIO GÓMEZ SCHNEEKLOTH Evocación (2009) »Bruno Maderna in memoriam« Auftragswerk des hr Uraufführung Bruno Maderna mit Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen bei den 11. Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, 1956 Kurze Pause – Wir bitten das Publikum, im Saal zu bleiben. KURT WEILL Streichquartett op. 8 (1923) _Introduktion. Sostenuto, con molta espressione _Scherzo. Vivace _Choralphantasie. Andante non troppo BRUNO MADERNA LUCIANO BERIO (1925–2003) Streichquartett in zwei Sätzen (1955) _I [ohne Bezeichnung] _II [ohne Bezeichnung] Streichquartett (1956) Nur wenige Kompositionen von Luciano Berio erscheinen so eindeutig einem stilistischen Vorbild verhaftet wie dessen erstes Streichquartett. Das einsätzige Werk ist dem Freund Bruno Maderna gewidmet und entstand als eine Art Gegengabe, nachdem dieser sein im Jahr zuvor konzipiertes Streichquartett in zwei Sätzen Berio zugeeignet hatte. Beide Kompositionen entstanden während der gemeinsamen Zeit im »Studio di Fonologia Musicale« der RAI in Mailand. Auf Madernas Einfluss ist letztlich wohl auch das an der Tonsprache Anton Weberns orientierte Klangbild von Berios Streichquartett zurückzuführen. Dabei kann man angesichts der auffallenden Übereinstimmungen davon ausgehen, dass Berio zuvor den 28 und mich mehr oder weniger dem »Original« genähert, hin und wieder sogar »wörtlich«. Der Hörer kann dies u.a. an den Anfangstönen beider Werke erkennen: Sie sind identisch. 1955 veröffentlichten Aufsatz über Weberns »Organische Chromatik« von Henri Pousseur studiert haben muss. Die grundlegende kompositorische Idee des Streichquartetts von Berio ist die einer kontinuierlichen Metamorphose der eingangs exponierten Intervallkonstruktion in zehn Abschnitten, wobei das Werk insgesamt auf Wiederholungen verzichtet. Das Tonmaterial wird auf die vier Streichinstrumente in komplementärer Rhythmik aufgeteilt, was den »pointilistischen«, zerfasernden Klangeindruck bedingt. Der Reichtum an Klangfarben, die Berio trotz der sich selbst auferlegten Beschränkungen an expressiver Entfaltung dem Material abgewinnt, weist gleichzeitig bereits auf dessen baldige Abwendung von den dogmatischen Prinzipien der in der Webern-Nachfolge stehenden Konstruktivisten voraus. Adam Gellen Doch während Madernas Klanguniversum stark um den für seine Zeit charakteristischen Serialismus kreist, entwickeln sich in meiner Komposition längere rhythmische und/oder klangfarbliche Abschnitte. Diese sorgen für einen eher linearen Ablauf, in dem bewusst auf schroffe Parameterwechsel und extreme Kontraste in geringsten Zeitabständen verzichtet wurde. Antonio Gómez Schneekloth ANTONIO GÓMEZ SCHNEEKLOTH, geboren 1959 in Hamburg, studierte Komposition bei Llácer Plá in Valencia und in Freiburg bei Emmanuel Nunes und Mesias Maiguashca (elektroakustische Musik). Zwischen 1992 und 1996 nahm er an verschiedenen internationalen Ferienkursen teil, bei denen er u.a. Komponisten wie Cristobal Halffter, Helmut Lachenmann, Henry Posseur und Brian Ferneyhough kennenlernte. Während seines Aufenthaltes in Freiburg war er als freier Mitarbeiter der Heinrich Strobel Stiftung des SWF tätig. Antonio Gómez erhielt Stipendien vom Kultusministerium in Spanien und von der Heinrich Strobel Stiftung in Deutschland. Als Komponist hat er sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen bewegt. Seine Werkliste umfasst Hörspiele, Filmmusiken, Klanginstallationen und elektroakustische Kompositionen, jedoch hauptsächlich solche, die für den Konzertsaal gedacht sind. Derzeit lebt Antonio Gómez Schneekloth als freischaffender Komponist und Musikkritiker in Valencia. LUCIANO BERIO, 1925 im italienischen Oneglia geboren und 2003 in Rom gestorben, war einer der Pioniere der Elektronischen Musik und als Komponist für seine experimentellen Arbeiten bekannt. Berio studierte nach dem Zweiten Weltkrieg am Mailänder Konservatorium bei Giulio Cesare Paribeni und Giorgio Federico Ghedini. Durch seine im Krieg verletzte Hand an einer Pianistenkarriere gehindert, konzentrierte sich Berio dabei auf die Komposition. 1947 fand die erste öffentliche Aufführung eines eigenes Werke statt, einer Suite für Klavier. Zu dieser Zeit verdiente Berio seinen Lebensunter.halt mit der Begleitung von Gesangsklassen. Dabei lernte er die amerikanische Sopranistin Cathy Berberian kennen, die er kurz nach seinem Universitätsabschluss 1950 heiratet (die Ehe wird 1964 geschieden). 1951 geht Berio in die USA, um in Tanglewood bei Luigi Dallapiccola zu studieren, der sein Interesse an serieller Musik weckt. Bruno Maderna bringt ihn schließlich zu den Darmstädter Ferienkursen, die Berio 1954– 1959 besucht. Dort lernte er Boulez, Stockhausen, Ligeti und Kagel kennen. Er beginnt sich für Elektronische Musik zu interessieren und gründet gemeinsam mit Maderna 1955 in Mailand das »Studio di Fonologia Musicale«. Zur Arbeit in dem Studio für Elektronische Musik lädt er bedeutende Komponisten ein, darunter Henri Pousseur und John Cage. Darüber hinaus gibt er eine Zeitschrift für Elektronische Musik heraus, die »Incontri Musicali«. KURT WEILL (1900–1950) Streichquartett op. 8 (1923) Im letzten Studienjahr bei Ferruccio Busoni komponierte Kurt Weill zwei Kammermusiken, die seinen Ruf als junger Vertreter der Avantgarde in Deutschland verbreiten sollten: das Streichquartett op. 8 und den Liedzyklus Frauentanz op. 10 für Sopran und fünf Instrumente. In Struktur und Aufbau seiner 1. Sinfonie verwandt, zeigt das 1923 entstandene Quartett eine für Weill seinerzeit neue Tendenz zu purer Melodieführung und einer Reduktion der kontrapunktischen Komplexität. In der Tonalität frei und im Ausdruck expressionistisch beeinflusst, offenbart es dabei eine Verwandtschaft mit den frühen Quartetten von Hindemith. ANTONIO GÓMEZ SCHNEEKLOTH (*1959) Evocación (2009) Evocación (Anrufung) wurde in Anlehnung an das zweite Streichquartett von Bruno Maderna geschrieben, das auch auf dem Programm steht. Für mein ebenfalls zweites Streichquartett habe ich Madernas Partitur als Vorlage genommen Das Streichquartett enthält jedoch auch schon Passagen von unverwechselbar Weill‘scher Prägung, deren Melodie sich bereits dem bittersüßen Stil nähert, der wenig später sein 29 kompositorisches Markenzeichen werden sollte. Die abschließende Choralphantasie zeugt allerdings nochmals von den Studien der Barockmusik unter seinem Lehrer Busoni. Uraufgeführt wurde das Streichquartett op. 8 noch im gleichen Jahr durch das Amar-Hindemith-Quartett in Frankfurt am Main, und zwar im Rahmen einer »Kammermusikwoche«, deren Höhepunkt damals die Deutsche Erstaufführung von Strawinskys L‘histoire du soldat unter der Leitung Hermann Scherchens bildete. Andreas Maul Maderna unterwarf seine für dieses Werk als Ausgangsmaterial gewählte Zwölftonreihe einem nach mathematischen Prinzipien funktionierenden Abfolge von ständigen Veränderungen. (Dass Maderna den Zahlen eine gewisse mystische Qualität beimaß, sollte er viele Jahre später in einer Bemerkung zu seinem Orchesterwerk Quadrivium (1969) deutlich machen). Der Komponist wählte jedoch einen Modus anhand einer zahlenquadratisch organisierten Ordnung, der den zyklischen Wiederkehr der Reihen-Permutationen vorsieht und so dem mit Zwölftonmusik vertrauten Hörer einen gewissen Halt innerhalb der hochkomplexen Architektur der Komposition bieten kann. KURT WEILL, geboren 1900 in Dessau und 1950 in New York gestorben, studierte 1918/19 an der Berliner Hochschule zunächst bei Engelbert Humperdinck u.a. Nach kurzen Kapellmeisterepisoden in Lüdenscheid und Leipzig folgte 1920 dann der zweite Anlauf zum Studium in Berlin: Weill wird Schüler der Meisterklasse von Ferruccio Busoni. Er lebt vom Klavierspielen in Cafés und von Privatunterricht. Maurice Abravanel, Claudio Arrau und Nikos Skalkottas werden seine Schüler. Ab 1921 gehört er der »Novembergruppe« an, jenem Kreis von Künstlern und Architekten, die ihren ästhetischen Avantgardismus im Gleichklang mit den Utopien einer neuen Gesellschaft sahen. Weill beginnt als ernster Komponist, trägt die Spannung von hochfahrendem Avantgardismus, Busoni‘schem Klassizitätsideal und der Melancholie des künstlerischen Subjekts in seinem Frühwerk aus. Doch schon kurz nach dem Examen kommt die Wendung zum Musiktheater, 1924–1927 in der Zusammenarbeit mit Georg Kaiser und Ivan Goll, 1927–1931 in der Zusammenarbeit mit Bertold Brecht. Die Emigration 1933 nach Paris und 1935 in die USA verändert schließlich Weills Denken und Werk. Erfolgreiche »Musical Plays« entstehen fortan an vor allem, aber auch »Nebenwerke« mit Bekenntnissen, wie sie die Zeit ihm abverlangten: Bekenntnissen zum Judentum (und später zu Israel), zum Pazifismus und gegen den Faschismus, zum Freiheitsideal und zu Amerika. Die bewusst konstruierende Vorgehensweise Madernas bei der Entstehung seines Streichquartetts in zwei Sätzen offenbart auch die Tatsache, dass sich der zweite Satz bei genauen Analysen als eine relativ frei variierte Krebsform des ersten herausstellt – die Musik läuft somit ab der Mitte der Komposition gleichsam wieder rückwärts zum Ausgangspunkt. Die beiden Sätze des Streichquartetts tragen dabei die identische Tempoangabe »Achtel = ca. 112«, sind in ihrem Ausdrucksgehalt indessen deutlich verschieden. Das Werk erschien mit einer Widmung an Madernas fünf Jahre jüngeren Freund und Kollegen Luciano Berio, mit dem er gerade im Jahr der Entstehung des Quartetts das Mailänder »Studio di Fonologia Musicale« gründete und dort in der Folge die neuen Möglichkeiten der Elektronischen Musik erkunden und für sich künstlerisch erschließen sollte. Adam Gellen JOHANNES S. SISTERMANNS (*1955) SonnTAG_22.11.2009 13 Uhr | hr-GOLDHALLE Blinman (2009) SOLOKONZERT Der Komponist im Gespräch mit Susanne Laurentius: Dein neues Werk, das im Rahmen der Klangbiennale_2 uraufgeführt wird, heißt Blinman. Was verbirgt sich hinter diesem Titel? FRIEDRICH GAUWERKY | VIOLONCELLO YVONNE MOHR | 3-KANAL-VIDEO JOHANNES S. SISTERMANNS | Blinman ist das höchst gelegene Dörfchen in Südaustralien. Benannt ist es nach Robert Blinman, der dort im 19. Jahrhundert Kupfer fand. Heute ist das ein sehr verlassenes Dörfchen. Ich habe aus ganz privaten Gründen eine Reise nach Australien gemacht und bin zufällig nach Blinman gekommen. Blinman hat einen Berg, der sich am Abend wunderschön rot färbt. In der Dämmerung bekommt dieser Berg eine Magie. LIVE-KLANGREGIE JOHANNES S. SISTERMANNS Blinman (2009) für 8 Lautsprecher Transducer Violoncello 3 Videos [digitale Partituren] Live-Klangregie Du sagst, dass du immer dem Allernächsten, dem Dringlichsten, dem Unvermeidlichen folgst. Inwiefern waren die Weite und die Magie Australiens denn jetzt künstlerisch unvermeidlich für dich? Ich habe vorher nicht einmal geahnt, was der Ort Blinman auslösen würde, bin dann aber überrascht worden. Blinman kann eines: zum Hören provozieren. Komponieren beginnt für mich mit dem Hören. Blinman ist eine große Einladung, in die Poesie der Geräusche und des Raumes einzudringen. Am Tag hört man die Geräusche des Dorfes und ein paar Flugzeuge. Aber wenn sich das beruhigt, öffnet sich das Ohr für die Weite und die Höhe. Das Geringste wird ganz groß. Das sind Raumereignisse. Dafür steht Blinman: Hineinzuhören, in einen offenen Raum hineinzuhören. Das ist die Dringlichkeit, mich davon fangen zu lassen. Auftragswerk des hr Uraufführung In Kooperation mit Bruno Maderna mit Pierre Boulez, Luigi Nono und Ginji Yamané bei den 10. Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, 1955 Nachdem dich Blinman gefangen hatte, wie bist du weiter vorgegangen? Ich habe angefangen, Aufnahmen zu machen, mich still auf den Berg gesetzt und einfach nur zugehört. Mit meinem 360Grad-Mikrofon konnte ich die dortigen Klänge in aller Räumlichkeit aufnehmen. Dann ging das Hören in das Wenige los, was man da wahrnimmt. Das sind Klänge, die sehr marginal, sehr dünn, nie opulent sind. Klänge, die ganz fern liegen und durch nichts in der Nähe gestört werden. Dann wurde mein Interesse geweckt für das Randhören, für Klänge, die weit weg liegen. Das ist vielleicht der Hörrand. Blinman ist eine Arbeit über meinen Hörrand. So kam ich dann auch auf Klangrand. Ein Klang hat ein Zentrum, einen Impuls, einen Auslöser. Wenn ein Klang ausklingt, ein Ton nicht mehr hörbar ist und übergeht in das Andere, das klingt oder still ist. Das bezeichne ich als Klangrand. BRUNO MADERNA (1920–1973) Streichquartett in zwei Sätzen (1955) In keinem anderen seiner Werke näherte sich Bruno Maderna einer strikten Anwendung serieller Prinzipien so sehr an wie in seinem 1955 entstandenen zweiten Streichquartett, das im Auftrag der Stadt Darmstadt anlässlich der 10. Ferienkurse für Neue Musik entstand. Schon bald nach ihrer Uraufführung wurde die Komposition als ein zentrales Werk innerhalb von Madernas Œuvre erkannt. Sie verdient unter musikgeschichtlichen Aspekten nicht zuletzt deshalb Beachtung, weil es eines der ersten seriell konzipierten Streichquartette überhaupt darstellt. Du erforschst Räume nicht nur nach Klängen, sondern auch nach ihren geografischen, spirituellen, soziologischen Besonderheiten. Für Blinman ist so u.a. eine ganz ungewöhnliche Form der Partitur entstanden. Es gibt keine Notation im herkömmlichen Sinne, sondern drei Videos. Die Aufnahmen habe ich selbst gemacht. Ich habe mich 30 31 bringen. Dazu kommen elf solistische Stellen. Hier habe ich genau festgelegt, wo und wie der Cellist zu spielen hat: mit zwei Bögen, auf den leeren Saiten, der Spitze, den Transducers auf den Saiten... Der Effekt ist der, dass kleinste Bewegungen, die unser Ohr sonst kaum wahrnehmen würde, so unglaublich vergrößert werden. mit einem Sportflugzeug über Blinman und die Umgebung fliegen lassen und habe die Wüsten ähnlichen wasserlosen Erdoberflächen gefilmt, Steinformationen, Erdformationen, Baumwuchs. Außerdem habe ich Nachtaufnahmen mit Infrarot-Licht gemacht. Das ist das Material der Videos. Wir hören das Live-Spiel des Cellisten, Live-Aufnahmen aus Blinman und Umgebung, bearbeitete und live-elektronisch verarbeitete Klänge. Blinman trägt den Untertitel: »Alles kann alles sein«. Geht es in Blinman noch mehr als in deinen bisherigen Werken um Übergang, ständige Transformation? Du übernimmst selbst die Live-Elektronik und steuerst über eine Bildpartitur die Verräumlichung des Klanges. Wie funktioniert das genau? Meine Partitur ist eine exemplarische Fotografie, die ich auf dem Berg von Blinman gemacht habe. Sie zeigt eine hüglige Landschaft, deren Konturen ich auf einem Touchscreen nachzeichne und ganz langsam auf die runde Aufstellungssituation der Lautsprecher lege. So entsteht eine sanfte, unmerkliche Verräumlichung. Die Komposition beginnt auf der Ebene der Lautsprecher. Dann werden Teile dieser Lautsprecherkomposition auf den Korpus des Cellos übertragen. Auf dem Cello ist ein Kontaktmikrofon angebracht und im Inneren ein Kondensatormikrofon. Dieses nimmt die übertragenen Klänge – zudem das Live-Spiel des Cellisten – wieder ab und trägt sie zurück auf die acht Lautsprecher. Dieses Hin und Her ist das Atmen des Raumes, sein Ein- und Ausatmen. Und auch hier zeigt sich: Alles kann alles sein. Alles kann alles sein. Auch musikalisch kann alles alles sein, sich immer wieder wandeln und am Ende gar nicht mehr erkannt werden, wovon es seinen Ausgang genommen hat. Ein Beispiel: Der Cellist hat weit im Vorfeld der eigentlichen Uraufführung im Hörspielstudio des Hessischen Rundfunks Material eingespielt. Er reagierte da auf eine Auswahl an Klängen, die ich aus Originaltönen, aufgenommen in Blinman, präpariert habe. Die Aufnahmen dieser Cello-Klänge sind in die elektronische Schicht der Komposition, die ich wesentlich auch im ZKM mit den dortigen Möglichkeiten als Gastkünstler 2008/09 erarbeitet habe, eingegangen und werden über Lautsprecher eingespielt. Oder ich habe bildhaft dargestellte Kurvenverläufe von Klang gefilmt, kopiert und sie dann in das Videobild projiziert, sprich auf einen horizontalen, mit Sonne bestrahlten Hintergrund oder auf eine Wolkenformation gelegt. So sieht sich der Cellist plötzlich einer ganz nervös flirrenden Linie gegenüber und ich bitte ihn, diese schnellen Bewegungen nach links, rechts, oben oder unten mit dem Cello so umzusetzen, dass er mit den Fingern auf eine Saite geht und sie nach links oder rechts dehnt, genauso wie das Bild es darstellt, und parallel dazu den Bogen laufen lässt. Es gibt eben nicht nur O-Töne aus dem Lautsprecher und das Live-Cello des Solisten, sondern all diese Ebenen vermischen sich. Alles kann alles werden. SonnTAG_22.11.2009 14 Uhr | FOYER des hr-SENDESAALs GESPRÄCH 3 HANS W. KOCH WOLFGANG LIEBHART FRANZ MARTIN OLBRISCH MICHAEL REUDENBACH JOHANNES S. SISTERMANNS ANDREAS WAGNER »Jede Theorie, die sich nicht weiterentwickelt, ist tot. Man muss eine jede Theorie ständig modifizieren, um sie seinen eigenen Bedürfnissen anzupassen.« Bruno Maderna STEFAN FRICKE | MODERATION »WOHER KOMMT DAS NEUE?« JOHANNES S. SISTERMANNS, geboren 1955 in Köln, realisiert seine Kompositionen in den Genres Elektroakustik, Neues Musiktheater, KlangPlastik, Akustische Kunst, Performance sowie BildKlang/ StadtRaum. Er wurde in »The Tao of Voice«-Methode ausgebildet und nahm Unterricht in klassischem nordindischen Gesang. 1976–1984 studierte er an der Musikhochschule Köln u.a. Neues Musiktheater bei Mauricio Kagel. 1989 wurde er in Musikwissenschaft promoviert. Vorlesungen, längere Stipendienaufenthalte und Aufführungen in China, Japan, Australien, USA und Europa. Ausstellungen (KlangPlastik/KlangNotationen) und Aufführungen bei internationalen Festivals (u.a. Knitting Factory New York 1995, EXPO 2000, Donaueschinger Musiktage 1996, 1999, 2005) sowie Radiostationen (u.a. hr, WDR, SWR, Deutschlandradio Kultur, ABC Radio Sydney »The Listening Room«). Stipendien (u.a. Konrad-Adenauer-Stiftung Berlin, Heinrich-StrobelStiftung Freiburg, The Japan Foundation Tokyo, ZKM Karlsruhe) sowie Preise, u.a. Karl-Sczucka-Förderpreis 1997, Deutscher Klangkunst-Preis 2008. 2004 und 2006 war er Dozent bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt. Im Rahmen der Konzertreihe Forum Neue Musik des hr-Sinfonieorchesters konzipierte er Ende 2008 im Hessischen Rundfunk bereits die Klangkunst-Arbeit Augenklang. Der Cellist ist also umgeben von drei Bildschirmen, die diese Videopartituren wiedergeben werden. Aber wie liest er diese Partituren? Wie sind Dynamik, Klangfarbe, Geschwindigkeit, Phrasierung organisiert? Hauptsächlich geschieht das über das Bild selbst. Der Cellist sieht Wolkenformationen, geologische Erdoberflächen von Blinman und Umgebung. Über einen Decodierungscode, den wir zusammen erarbeitet haben, kommt er vom Bild zu seinem Klang. Ein Bildschirm hat vier Ränder. Ich habe bei der Aufnahme sehr darauf geachtet, dass Landschaften und Flächen aus unterschiedlichen Richtungen immer wieder in das Bild hineinkommen oder herausgehen. Es gibt Bildsequenzen in normaler Geschwindigkeit und andere, die mit 50-prozentiger Zeitlupe ablaufen. Wenn nun am rechten Bildrand etwa ein Baum mit einer bestimmten Geschwindigkeit und Struktur ins Bild kommt, dann kann er diese verfolgen und umsetzen; ein Bildhöhenverlauf definiert also einen Tonhöhenverlauf. Von den Farben der Erdoberfläche übernimmt er Klangfarben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die eine innere Spannung ins Spiel 32 33 GIOVANNI GABRIELI (1557–1612) / BRUNO MADERNA (1920–1973) SONNTAG_22.11.2009 15.30 Uhr | hr-SENDESAAL LUIGI NONO (1924–1990) Variazioni canoniche für Orchester (1949/50), die Nonos Durchbruch als Komponist markierte. In den 50er Jahren war Luigi Nono regelmäßig bei den Darmstädter Ferienkursen zu Gast und galt zusammen mit Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen als Repräsentant des neuen seriellen Komponierens. Mit seinem Vortrag »Geschichte und Gegenwart in der Musik von heute« machte er 1959 jedoch die Inkohärenz der »Darmstädter Schule« deutlich und grenzte sich strikt sowohl von deterministischen, an naturwissenschaftlichen Modellen orientierten ästhetischen Ansätzen als auch von John Cages Konzept der Zufallskomposition ab. Beide interpretierte er als Flucht vor der Geschichte und Verzicht auf künstlerische Stellungnahme zur Gegenwart. Dagegen setzte Nono eine ästhetische Auffassung, die zeitgenössisches Komponieren prinzipiell als Stellungnahme zur politisch-gesellschaftlichen Realität ihrer Entstehungszeit versteht. Due espressioni per orchestra (1953) Canzone a tre cori aus »Sacrae Symphoniae« (1597) ORCHESTERKONZERT 2 Madernas Ästhetik wurde durch seine Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition entscheidend geprägt. Vor allem die Musik des 16. und 17. Jahrhundert faszinierte ihn dabei: eine Zeit, in der das ausgereizte System der Kirchentonarten allmählich von der moderneren, noch unverbrauchten DurMoll-Harmonik abgelöst und der Generalbass das Fundament des musikalischen Satzes wurde. Die Komponisten entdeckten dadurch neue Formen des Zusammenspiels und stießen in bislang ungeahnte Klangdimensionen vor. Zentrum dieser Entwicklung war dabei Madernas Geburtsstadt Venedig. Die besonderen architektonischen Gegebenheiten des Doms von San Marco inspirierten dazu, mehrere Chöre an verschiedenen Plätzen des Kirchenraums aufzustellen und sie dann abwechselnd oder gemeinsam musizieren zu lassen. Damit erzielte man räumliche Effekte, die für die damalige Zeit ein überwältigendes Klangereignis bedeuteten und dem Repräsentationsbedürfnis der stolzen Lagunenstadt sehr entgegenkamen. Giovanni Gabrieli war dabei einer der größten Meister der Mehrchörigkeit, er übertrug sie auf bis zu vier getrennt im Dom postierte Chöre und wandte sie zugleich erstmals auf die Instrumentalkomposition an. Zu seiner bedeutendsten Sammlung mehrchöriger Werke gehören die Sacrae Symphoniae von 1597, aus der Bruno Maderna 1972 die 12–stimmige Canzone a tre cori für Orchester setzte. Andreas Maul hr-SINFONIEORCHESTER Andreas Boettger | Schlagzeug Konrad Graf | Schlagzeug Sven Pollkötter | Schlagzeug Burkhard Roggenbuck | Schlagzeug HÅKAN HARDENBERGER | TROMPETE ARTURO TAMAYO | DIRIGENT GIOVANNI GABRIELI / BRUNO MADERNA Canzone a tre cori aus »Sacrae Symphoniae« (1597) für Orchester LUIGI NONO Due espressioni per orchestra (1953) LUCA FRANCESCONI Hard Pace (2007) Konzert für Trompete und Orchester _I [ohne Bezeichnung] _II Adagio GIOVANNI GABRIELI, in Venedig geboren und aufgewachsen, repräsentiert mit seinem Onkel Andrea Gabrieli gemeinsam das Bindeglied zwischen der »alten« Kunst des 15. und 16. und der »Neuen Musik« des 17. Jahrhunderts. Dem polyphonen Stil noch deutlich verhaftet, sind in ihren Werken die Zeichen der neuen Zeit jedoch schon unverkennbar: Die baldige Geburt der Oper und einer eigenständigen Instrumentalmusik, das neue Gefühl für konzertantes Musizieren ist in ihrer Musik bereits gegenwärtig. Nach der musikalischen Ausbildung bei seinem Onkel war Giovanni Gabrieli 1575–1579 Mitglied der Münchner Hofkapelle, die zu jener Zeit von Orlando di Lasso geleitet wurde. Ab 1584 arbeitete er als Organist an San Marco in Venedig, zunächst vertretungsweise, ab 1585 als zweiter Organist und von 1586 an schließlich als erster Organist. Gabrielis Œuvre umfasst sowohl Vokal- als auch Instrumentalwerke, und auf beiden Gebieten wandte er das Prinzip der Mehrchörigkeit (»cori spezzati«) an. Deutsche Erstaufführung Kurze Pause – Wir bitten das Publikum, im Saal zu bleiben. BRUNO MADERNA Quadrivium (1969) für 4 Schlagzeuger und 4 Orchestergruppen 34 In dem Orchesterwerk Due espressioni von Madernas Freund Luigi Nono wird der Klang in seiner Konkretheit aufgefasst und so behandelt, dass er ausgedehnt und in all seinen Erscheinungsmöglichkeiten dargestellt wird und sich so gewissermaßen durch sich selbst ausdrückt. Der Klang greift in die ihn bestimmende Organisation ein, um seine eigene Stofflichkeit in das Netz eines ständigen Zusammenfügens und Auseinandergehens, Hervortretens und sich Vereines von rhythmisch, dynamisch, klangfarblich wie intervallbezogen unterschiedlichsten Klangkräften zu zwingen. Dabei geht es Nono nicht um die Isoliertheit des von der Reihenanalyse des Materials entnommenen Klangs. Diese Analyse soll dem Klang vielmehr neue Verantwortung in Sprache und Kommunikation geben. In einer Einführung zu den 1953 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführten Due espressioni schreibt Luigi Nono: Bruno Maderna mit Nuria Schönberg und Luigi Nono bei den 14. Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, 1959 »Das erste Stück verarbeitet eine melodische Linie nach bestimmten klanglichen Gesichtspunkten. Die Möglichkeiten der ›Klangfarbenmelodie‹ sind hier bewusst auf Instrumente der gleichen Gruppe (Streicher) beschränkt: Die verschiedenen klanglichen Abstufungen dieser Gruppe dienen den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten einer einheitlich konzipierten melodischen Linie. Der melodischen Linie, die von den Streichinstrumenten mit dem Bogen gespielt wird, stehen kontrapunktische Entwicklungen anderer Linienzüge gegenüber, die von den Streichinstrumenten beinahe nach Art eines Schlaginstrumentes dargestellt werden (col legno). Sie werden ergänzt durch rhythmisch-kanonische Gestalten in Becken und Triangel, sowie durch Vorentwicklungen in Flöten und Klarinetten. Das zweite Stück stützt sich auf den Rhythmus der Furlana, eines italienischen Volkstanzes. Die Verwendung und Entwicklung dieses Rhythmus, vereinigt mit einer spezifischen klanglichen und dynamischen Entwicklung, dient nur dazu, den Charakter dieses Tanzes auszudrücken.« Andreas Maul LUIGI NONO, 1924 in Venedig geboren und 1990 dort auch gestorben, entstammte einer alteingesessenen venezianischen Familie, die ihn bereits früh mit den zeitgenössischen Künsten in Berührung brachte. 1941 lernte er Gian Francesco Malipiero kennen und wurde dessen externer Schüler an der »Accademia Musicale Benedetto Marcello« in Venedig. 1946 setzte er auf Anraten Malipieros seine Studien bei Bruno Maderna fort, der ihn dazu anregte, kompositorischtechnisches und inhaltliches Engagement miteinander zu verknüpfen. Ende der 40er Jahre begegnete Nono Hermann Scherchen, von dem er Analyse-, Kompositions- und Dirigierunterricht erhielt. Scherchen setzte sich als Interpret und Verleger für Nono ein und leitete u a. die Uraufführung der 35 LUCA FRANCESCONI (*1956) der warmen Farbe des Horns beschienen. Ein virtuoser Rhythmus des Solisten führt zu einem unvermittelten, traumähnlichen Hommage namens »Miles«. Das anschließende Finale ist eine dynamische und aggressive Coda, ein wahrhaft kriegerischer Epilog, wie ein Aufeinanderprall von Solist und Orchester: »Es ist, als ob am Ende der Trompeter eine andere Identität gefunden hätte, in der Lage, das Orchester herauszufordern. Als ob er sagen würde: ›Wir sind bis hierher den Pfad miteinander gewandelt, aber ab jetzt sage ich, wo es langgeht. Mal sehen, ob ihr mithalten könnt.‹ Das Stück endet mit einem Fragezeichen.« Gianluigi Mattietti Hard Pace (2007) Das 2007 entstandene Trompetenkonzert Hard Pace ist die Frucht eines langen Projekts, eine Idee, die Luca Francesconi jahrelang mit sich herumtrug. »Trotz meiner Liebe zu Miles Davis – eine musikalische Erfahrung, die mein Leben prägen sollte – hat sich nie das Fenster für mich geöffnet, um dieses Stück zu schreiben.« Die Möglichkeit hierzu ergab sich erst 2003 durch die Bekanntschaft mit dem schwedischen Trompeter Håkan Hardenberger, dessen herausragenden interpretatorischen Fähigkeiten Francesconi unvermittelt im Zusammenhang mit einer Gedenksendung für Luciano Berio im Niederländischen Fernsehen entdeckte, bei dem sie beide mitwirkten. Erst jetzt machte sich Francesconi bewusst, dass er an der gleichen Musikakademie in Malmö unterrichtete wie Hardenberger! So kam es bald zu einem Treffen, aus dem sich eine Freundschaft, eine enge künstlerische Verbindung und schließlich dieses Trompetenkonzert entwickelten. LUCA FRANCESCONI ist einer der erfolgreichsten italienischen Komponisten der letzten Jahre. Er studierte Klavier am Mailänder Konservatorium, Komposition bei Azio Corghi, Karlheinz Stockhausen und Luciano Berio in Rom und Tanglewood/USA sowie Jazz in Boston. 1981– 1984 arbeitete er auch als Assistent Luciano Berios. Im Jahre 1990 gründete Luca Francesconi »Agon Acustica Informatica Musica«, ein Zentrum für Produktion und musikalische Forschung in Mailand, das er bis 2006 leitete. Zu den zahlreichen Preisen, die Francesconi erhielt, zählen der »Kranichsteiner Musikpreis« (1990), der Förderpreis der Ernst-vonSiemens-Musikstiftung (1994) und der »Prix Italia« für die Radio-Oper Ballata del rovescio del mondo (1994). Francesconi hat bislang mehr als 70 Werke komponiert, darunter sechs Opern, fünf Radio-Opern (für die RAI), zahlreiche Werke für Instrumente bzw. Stimmen und Elektronik, Kammermusik, Stücke für Blasorchester, großbesetzte Orchesterwerke sowie mehrere Instrumentalkonzerte und Chorwerke. Luca Francesconi arbeitet auch erfolgreich als Dirigent. Derzeit ist er Professor und Dekan des Fachbereichs Komposition an der Musikhochschule in Malmö. Gleichzeitig wirkt er als Künstlerischer Leiter der Sektion Musik bei der Biennale Venedig. Für Francesconi markiert Hard Pace einen Aufbruch, den Ausgangspunkt eines völlig neuen Pfades, weit abseits aller vorangegangen Kompositionen, in dem der Zauber von Miles Davis‘ Musik wiederhallt und die Vorstellung von »el duende« – dem Geist, der in der spanischen und lateinamerikanischen Vorstellungswelt die künstlerische Inspiration verkörpert, kreative Energie in ihrer reinster Form, die magische Kraft, die Musik, Tanz und Dichtkunst innewohnt. So ist Hard Pace der »raue Pfad«, die »Geschichte einer Reise«, die zur Wiederentdeckung der instinktiven Dimension von Kunst und menschlicher Ausdruckskraft führt, einer Dimension, die im Gegensatz zur Geschwindigkeit und zur technologischen Effizienz steht, welche Körper und Geist der Werte beraubten. »Es ist ein ziemlich herbes Stück, mit einigen ›Erinnerungswolken‹, die nicht komplett nostalgisch sind, sondern eher wie Edelsteine aus der Vergangenheit anmuten. Dieses Konzert bedeutet für mich sozusagen die Möglichkeit, eine bestimmte Periode meines Lebens zu analysieren. Eine Chance zu verstehen, wie die dionysische Dimension des musikalischen Materials die Mythologie der Rock-Generation bei weitem sprengte.« Francesconi war hierbei bestrebt, das Besondere von Miles Davis‘ Sound beizubehalten, indem er sich von allen Klischees befreite, die man mit Klassischer Musik assoziiert. Davis hatte der Trompete eine Art »vox humana« verliehen, die Francesconi durch die Verwendung dreier unterschiedlicher TrompetenInstrumente zu vergegenwärtigen sucht. Er platzierte den Solisten dabei vor den Hintergrund einer straffen und avantgardistischen Orchester-Kulisse, um »aus dem Käfig der romantischen Tradition auszubrechen, die das Orchester wie mit einem Lasso einfängt und es in eine Reihe altbekannter Arrangements zwingt.« halb der antiken und mittelalterlichen »septem artes liberales«, der sieben freien Künste, wobei er im gleichen Atemzug auch auf die allgemein mystische Konnotation der Zahl Vier verwies. Es ist jedoch zu vermuten, dass auch die Wortbedeutung »Wegkreuzung« bei der Wahl des Titels eine Rolle gespielt hat. Denn der Dirigent steht bei jeder Aufführung von Quadrivium tatsächlich jeweils mehrere Male an einem Scheideweg: An bestimmten Stellen im Verlaufe des Stücks wird ihm vom Komponisten die komplexe Freiheit gewährt, den musikalischen Verlauf durch seine Zeichengebung entscheidend zu beeinflussen. In zwei von Maderna als Happening bezeichneten Abschnitten muss der Dirigent die ausführenden Musiker anweisen, eine von mehreren Realisationsmöglichkeiten der jeweiligen Stelle in die Tat umzusetzen. Maderna schreibt dazu im Vorwort der Partitur: »Diese Aufgliederung kann bei verschiedenen Aufführungen jedes Mal anders sein, je nach den von Fall zu Fall unterschiedlichen akustischen Bedingungen oder nach der Qualität der zur Verfügung stehenden Instrumentalisten, aber auch gemäß der eigenen Stimmung und Fantasie und auch mit Rücksicht auf den Typus des Publikums, das zuhört. Denn der Autor möchte unterhalten und interessieren, und nicht ›épater les bourgeois‹«. Neben der wechselnden Abfolge – und stellenweise Übereinanderschichtung – von kompositorisch fixierten bzw. von Entscheidungen des Dirigenten (teils auch der Spieler selbst) beeinflussten Stellen kann die zweite zentrale kompositorische Idee von Quadrivium an der besonderen Orchesteraufteilung festgemacht werden: Ein großes, konventionell besetztes Sinfonieorchester wird in vier gleich große, jeweils mit fast identischen Instrumenten bestückte und räumlich deutlich voneinander abgegrenzte Gruppen geteilt. Jeder dieser Gruppen ist ein solistisch agierender Schlagzeuger zugeordnet (und umgekehrt), die ein äußerst breitgefächertes Arsenal an Schlaginstrumenten zu spielen haben und das Werk gleich mit einer ausgedehnten Solo-Kadenz eröffnen. Madernas venezianische Herkunft und seine profunde Kenntnis der Alten Musik deuten darauf hin, dass die räumliche Konzeption von Quadrivium dabei von der Tradition der Mehrchörigkeit inspiriert wurde, die sich im 16. Jahrhundert in seiner Geburtsstadt – nicht zuletzt durch Giovanni Gabrieli – etabliert hatte. Adam Gellen BRUNO MADERNA Quadrivium (1969) Zusammen mit Ausstrahlung (1971), Aura und Biogramma (beide 1972) sowie mehreren konzertanten Werken gehört Quadrivium für 4 Schlagzeuger und 4 Orchestergruppen zu den bedeutenden Kompositionen des späten Maderna für großes Sinfonieorchester. Quadrivium entstand im Auftrag des Festivals für zeitgenössische Kunst im französischen Royan und wurde dort im April 1969 unter Leitung des Komponisten auch uraufgeführt. Der Titel des Werkes bezieht sich nach Madernas eigenen Angaben auf die Untergruppe der vier Künste Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik inner- Hard Pace besteht aus zwei Sätzen. Im ersten wird das musikalische Rohmaterial in einer spannungsgeladenen Atmosphäre ausgebreitet. Der zweite Satz (Adagio) ist wie eine große Passacaglia organisiert, das Material nimmt Formen an, von 36 Bruno Maderna Der Komponist, Dirigent und Lehrer, Anfang der 1970er Jahre 37 SAMSTAG + SONNTAG hr-GOLDHALLE / hr-Medienraum INSTALLATIONEN HANS W. KOCH BEATE OLBRISCH circle_of_fifths (2009) silent music (2009) für 2 Monitore circle_of_fifths ist ein dispositiv zur analytischen spatialisierung temperierter musik. die aufnahme eines musikstückes wird mittels elektronischer verfahren in 12 spuren zerlegt, so dass auf jeder spur ist nur eine tonhöhe eines zu hören, z.b. alle c´s oder alle g´s usw. zur wiedergabe dienen zwölf lautsprecher, angeordnet nach dem quintenzirkel. durch die übertragung des gedachten tonraums in den realen raum werden subkutane beziehungen in bruno madernas zwölftonmusik räumlich erfahrbar. hans w. koch KLANGKUNST IN DER GOLDHALLE HANS W. KOCH circle_of_fifths (2009) für 12 lautsprecher HANS W. KOCH, geboren 1962, lebt als Komponist und Performer in Köln. Sein besonderes Interesse gilt der Unvorhersagbarkeit auf allen Ebenen eines musikalischen Werkes. Daraus resultieren Kompositionen von offenen Formen für verschiedenste Besetzungen, oft unter Einschluss von Live-Elektronik und interdisziplinärer Aspekte, sowie die Entwicklung von Mixed-Media-Installationen. Oft führt die Suche nach verborgenen Aspekten von Alltagsgegenständen zu Klängen und musikalischen Strukturen. Dies erstreckt sich auch auf den Gebrauch von Computern als Musikinstrumenten in einer sehr wörtlichen Bedeutung. Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld ist die Arbeit mit Laien und Lehrern, mit denen im Rahmen von Projekten und Workshops (u.a. im Auftrag der Kölner Philharmonie, des Atlantik-Festivals Rheinland-Pfalz, der Donaueschinger Musiktage, der Jeunesses musicales und als Lehrauftrag an der Musikhochschule Köln) praktische Erkundungen im Gebiet der Experimentellen Musik unternommen werden. Gemeinsam mit dem Kollegen Bernhard König und der Kulturpädagogin Anke Eberwein Gründung des »Büro für Konzertpädagogik«. Seine künstlerische Arbeit führte hans w. koch in zahlreiche Länder Europas, nach Japan sowie in die USA. Auftragswerk des hr Uraufführung BEATE OLBRISCH silent music (2009) für 2 Monitore Auftragswerk des hr Uraufführung 38 Wie kann man Musik darstellen, wenn sie nicht klingen soll? Was verbindet eigentlich die Videokunst mit der Musik? Bei silent music ist es die Darstellung interner Rhythmen und das Strukturieren des fließenden Zeitkontinuums, was beide miteinander verbindet. Obwohl dem Video eine konkrete musikalische Partitur zugrunde liegt, ging es mir nicht um die Bebilderung von abwesender Musik. Mich interessierten die inneren Gesetzmäßigkeiten von musikalischen Zeitstrukturen übertragen auf das Medium Video. Gleichzeitig interessierte mich, inwieweit das musikalische Phänomen der harmonischen Schichtung – das ineinander Verschmelzen unterschiedlicher Klangmaterialien zu einem harmonischen Ganzen – mit der Bildsprache des Videos darstellbar ist. Wer bei dem Titel silent music ein ruhig dahin fließendes, sanftes Video erwartet, wird enttäuscht sein. Die Bilder sind im Gegenteil bewegt und expressiv. Sie sind Musik weil sie nach musikalischen Kriterien strukturiert sind – sie sind still, weil sie nicht klingen. Beate Olbrisch BEATE OLBRISCH, geboren 1951 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet in Berlin. Seit 1972 künstlerische Auseinandersetzung und Arbeit mit unterschiedlichen Materialien. 1980 Beginn der Ausbildung in der Technik der Bleiverglasung; zuletzt in der Klasse von Nicole Sauerbrey (Hochschule der Künste Berlin). Seit 1982 verschiedene Auftragsarbeiten für Buntglasfenster. 1990 erste Lichtbildarbeiten. Seit 1997 Experimente mit digitaler Bildbearbeitung und seit 2003 Arbeiten mit Videokunst. Studienaufenthalte in Olevano (Italien), Basel, Los Angeles und Paris. Videopräsentationen und -installationen bei Festivals in Basel, Brüssel, Darmstadt, Donaueschingen, Lille, London, Stuttgart und Wuppertal. 39 DIE INTERPRETEN schon einmal erfolgreich im Rahmen eines Forum Neue Musiks zusammengearbeitet. BÄRMANN TRIO ULRICH EDELMANN Das bärmann trio besteht aus den langjährigen hr-Sinfonieorchester-Klarinettisten Sven van der Kuip und Ulrich Büsing sowie dem freischaffenden Pianisten John Noel Attard. 1993 gegründet, gastiert das profilierte Klarinettentrio erfolgreich bei zahlreichen Festivals im In- und Ausland, darunter die Europäischen Wochen Passau, das Budapester Frühlingsfestival und das Heidelberger Kammermusikfestival. Bei der Gestaltung seiner Programme geht das bärmann trio immer wieder neue Wege: Neben Werken bekannter Komponisten präsentieren die drei Musiker regelmäßig auch selten gespielte Kompositionen und Bearbeitungen. Außerdem hat das Trio bereits eine Vielzahl neuer Werke in Auftrag gegeben und uraufgeführt, darunter Kompositionen von Patrik Bishay, Otfried Büsing, Udo Diegelmann, Hartmut Jentzsch, Volker David Kirchner, Johannes Kreidler, Gerhard Müller-Hornbach, Elliott Sharp, Andreas Sorg, Alfred Stenger, Erkki-Sven Tüür, Richard Wenzel und Margret Wolf. Zwei erfolgreiche CD-Einspielungen, u.a. mit einer Auswahl der für das bärmann trio entstandenen Werke, dokumentieren bereits das hohe künstlerische Niveau des Ensembles. Eine weitere Einspielung mit Werken von Robert Schumann erscheint im Frühjahr 2010. ist seit 1992 Konzertmeister im hr-Sinfonieorchesters und leitet eine Violin-Klasse an der Musikhochschule Frankfurt am Main. 1963 in Bad Mergentheim geboren, studierte er bei Ricardo Odnoposoff in Stuttgart, beim Oistrach-Nachfolger Valery Klimov am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau sowie bei Miriam Fried an der Indiana University/USA. Edelmann ist Preisträger zahlreicher nationaler und internationaler Wettbewerbe und gewann 1991 beim Saint-Saëns-Violinwettbewerb in Indiana den 1. Preis. Reisen als Solist und Kammermusiker sowie Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen führten ihn durch Europa, Japan, Südamerika und die USA. 1986 gründete Edelmann das »Süddeutsche Streichoktett« (heute »Ensemble OktOpus«), das er seither als Primarius leitet. 1988 lernte er in Moskau den armenischen Pianisten Vardan Mamikonian kennen, der kurze Zeit später sein DuoPartner bei Sonatenabenden wurde. Auch mit dem hr-Sinfonieorchester tritt Edelmann regelmäßig als Solist auf. Seit 1998 leitet er zudem die Kammerorchesterformation des hr-Sinfonieorchesters und ist Dozent beim Europäischen JugendSinfonie-Orchester. DAVID ROBERT COLEMAN ÖRJAN FAHLSTRÖM ist seit 2006 Dirigent und Assistent von Kent Nagano an der Bayerischen Staatsoper München und hat die Leitung des ersten Ensemblekonzerts kurzfristig für Beat Furrer übernommen. Coleman stammt aus einer englisch-deutschen Familie, studierte Klavier, Musikwissenschaft und Dirigieren am King‘s College in Cambridge und an der Londoner Royal Academy of Music, ferner Komposition bei George Benjamin und Wolfgang Rihm. Coleman begann als Assistent so bedeutender Dirigenten wie Pierre Boulez (Aix-en-Provence), Simon Rattle (Wagners Ring), Christoph Eschenbach und Hans Zender (SWR Sinfonieorchester Baden-Baden). Daneben arbeitete er als Dirigent mit dem Ensemble Modern und dem Konzerthausorchester Berlin. Am Theater Mainz dirigierte er 1999 die dreiaktige Fassung von Bergs Lulu. Internationale Tourneen absolvierte er seit 2004 mit dem Youth Orchestra of the Americas, mit dem er auch seine eigene Albeniz Phantasy für Viola und Orchester uraufführte. Als Komponist erhielt David Robert Coleman bisher Aufträge u.a. vom Ensemble Intercontemporain, Ensemble Modern, von der Biennale in Sevilla 2004 und dem Luxemburg Spectral Music Festival. Mit seiner Kammeroper Herzkammeroper wurde er 2001 beim Wettbewerb junger Komponisten an der Frankfurter Oper preisgekrönt. 2002 leitete er bei den Berliner Philharmonikern eine Aufführung seines Starry Night für Piccolo, Klavier und kleines Orchester. In jüngster Zeit debütierte Coleman gleich mit zwei Projekten beim Montreal Symphony Orchestra, wo er 2008 u.a. die Uraufführung seines Klarinettenkonzerts dirigierte. Mit dem hr-Sinfonieorchester hat David Robert Coleman bereit 1998 Der Chefdirigent der hr-Bigband ist ein gefragter Mann im europäischen Bigband-Jazz. Der gebürtige Schwede feiert als Dirigent und Arrangeur für die unterschiedlichsten Genres Erfolge, und ein breites Schaffen zeichnet ihn auch als Komponisten aus. Geboren 1953 in Umea, gründete Fahlström 1977 nach umfassender Ausbildung auch als Vibrafonist und Perkussionist die Fahlström International Bigband, zu der so renommierte Solisten wie Bennie Bailey, Bobo Stenson oder Tim Hagans gehörten. 1989 bis 1996 war er künstlerischer Leiter der Norrbotten Bigband und leitete als Gast regelmäßig die NDR Bigband und die Estonian Dream Bigband. Heute ist Fahlström als Komponist und Musiker Mitglied der Swedish Radio Jazz Group und seit 2005 Professor für Komposition an der Königlichen Musikhochschule Stockholm, wo er auch die Kompositions- und Dirigierabteilung leitet. Belege seiner Arrangierkunst lieferte er in hochgelobten Bearbeitungen der Musik von Billy Joel, Jimi Hendrix oder zuletzt von Herbie Hancocks »Headhunters« für die hr-Bigband. FRIEDRICH GAUWERKY Der in Hamburg geboren Cellist gab sein Debüt bereits im Alter von zwölf Jahren; mit 17 erhielt er den Preis des Philharmonischen Orchesters Hamburg. Er besuchte die Cello-Klasse von Siegfried Palm, dessen Assistent er später wurde, und unterrichtete ab 1978 an der Musikhochschule Köln, daneben 40 HÁBA QUARTETT regelmäßig auch bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Gauwerky war erster Cellist des Frankfurter Ensemble Modern und des australischen Elision Ensemble. Weltweite Konzerttätigkeit als Solist und Kammermusiker sowie als Solist mit Sinfonieorchestern. Rundfunk- und Fernsehproduktionen in Europa, den USA, in Asien und Australien. LP- und CD-Produktionen für die Deutsche Grammophon Gesellschaft, Ricordi, Etcetera, Edition M.F. Bauer, ABC Classics und andere. Lehrtätigkeit an verschiedenen Musikhochschulen, u.a. an der Musikhochschule Köln, der Royal Academy of Music London, der University of California und der University of Adelaide. Friedrich Gauwerky ist keiner Schule oder Bewegung zuzurechnen. Als freier Geist kennt er keine nationalen Vorlieben und fühlt sich ebenso heimisch in England, China, Amerika oder Australien wie in Köln, wo er lebt. Er möchte keinesfalls nur in die Schublade »New Complexity« gesteckt werden, obgleich er ein meisterhafter Interpret von Werken dieser Richtung ist. Sein umfangreiches Repertoire umfasst Werke der neuen und der neuesten Musik, aber auch des Barock, der klassischen und der romantischen Epoche: darunter Bach, Beethoven, Mendelssohn, Brahms und Reger. Für die Musiker des Hába Quartetts ist die Auseinandersetzung mit der Musik unserer Zeit immer wieder Aufgabe und Herausforderung zugleich. Die Geschichte des Ensembles erstreckt sich bereits über mehr als ein halbes Jahrhundert: 1946 wurde das Hába Quartett von dem Geiger Dušan Pandula in Prag gegründet. Mit dem Namensgeber Alois Hába, einem der wichtigen Komponisten der mikrotonalen Musik, bestand eine herzliche Freundschaft. 1968, nach der Übersiedlung Pandulas nach Deutschland, löste sich das Quartett auf, um 1984 von ihm und seinem Schüler Peter Zelienka in Frankfurt wieder gegründet zu werden. Das Hába Quartett versteht sich als direkter Nachfolger und Träger der langjährigen Hába-Quartett-Tradition. Dies ermöglicht den heutigen Mitgliedern, die alle im hr-Sinfonieorchester tätig sind, Hábas Werke mit größter Authentizität zu interpretieren. Das Repertoire des Quartetts umfasst aber auch alle anderen Stilepochen. Die vielfältige Arbeit dokumentiert sich dabei in einer intensiven Konzerttätigkeit und Auftritten bei bedeutenden Festivals, u.a. in Salzburg, Graz, München, Hannover, Berlin, Den Haag und Prag. Eine der letzten großen Konzertreisen führte das Quartett 2003 nach China, wo es auch einer intensiven Lehrtätigkeit nachging. Seit 2002 veranstaltet das Hába Quartett eine eigene Konzertreihe in der Stadt Kronberg im Taunus. Mitglieder des Quartetts sind die Geigerin Sha Katsouris, der Geiger Hovhannes Mokatsian, der Bratschist Peter Zelienka sowie der Cellist Arnold Ilg. Artist in Residence MATTHIAS GOERNE Er ist einer der großen Sänger unserer Zeit, der mit seinem geschmeidigen Timbre und seinen tiefgründigen Interpretationen die Hörer weltweit in den Bann zu ziehen versteht. Ob in London oder Salzburg, New York oder Tokio – überall wird der aus Weimar gebürtige Bariton Matthias Goerne für seine außerordentliche Gestaltungskunst bewundert. Als ein »Meister des Leisen, Hintergründigen« erlebt man ihn, der mit feinen Stimmnuancierungen seine Geschichten erzählt und zu deren Kern vordringt, besser als es dies jedes Pathos könnte. »Goerne schildert, analysiert Emotionen, ohne sich von ihnen vereinnahmen zu lassen, wie ein genauer, mitfühlender Beobachter«, so die Wiener »Presse«. Genaue Artikulation, beredte Phrasierung, Beweglichkeit bis ins leiseste Pianissimo hinein sind weitere Merkmale seiner enormen Kunst, die Goernes Auftritte stets zu einem Erlebnis machen. Nach Christine Schäfer und Christian Tetzlaff in den vergangenen Spielzeiten ist der weltweit gefeierte Bariton in dieser Saison »Artist in Residence« des hr-Sinfonieorchesters. Als »residierender Künstler« arbeitet er in der Spielzeit 2009/10 dabei intensiv mit dem Orchester zusammen und ist in vier sehr unterschiedlichen Programmen in Frankfurt zu erleben: neben der Deutschen Erstaufführung von Thomas Larchers Die Nacht der Verlorenen bei der Klangbiennale_2 so auch als Konzertsänger mit Schostakowitschs Michelangelo-Suite und Orchesterliedern von Schubert und Strauss in den hr-Sinfoniekonzerten in der Alten Oper sowie mit einer Schubert-Lied-Matinee im hr-Sendesaal. HÅKAN HARDENBERGER 41 »Håkan Hardenberger ist sowohl ein phänomenaler Trompeter als auch ein fantastischer Musiker, der durch seinen Einsatz für zeitgenössische Musik nahezu alleine ein ganz neues Repertoire für sein Instrument kreiert hat«, schrieb voll Lob das »BBC Music Magazine«. Dem 1961 in Malmö geborenen Schweden ist innerhalb weniger Jahre der Durchbruch zu einer internationalen Karriere gelungen, die ihn heute in die bedeutendsten Musikzentren der Welt führt. Bereits mit acht Jahren begann Håkan Hardenberger bei Bo Nilsson sein Trompetenstudium. Später wechselte er zu Pierre Thibaud ans Pariser Conservatoire und nach Los Angeles zu Thomas Stevens. Heute führen Håkan Hardenbergers Engagements zu allen großen Orchestern in Europa, den USA und Japan. Dabei arbeitet er mit so renommierten Dirigenten wie Paavo Berglund, Neeme Järvi, Kurt Masur, Ingo Metzmacher, Esa-Pekka Salonen, Daniel Harding, Jukka-Pekka Saraste und Michael Tilson Thomas zusammen. Regelmäßig ist er zudem zu Gast bei den europäischen Festivals in Salzburg, Edinburgh, Luzern, Schleswig-Holstein und den BBC Proms. Mit eigenen Recitals war er u.a. im Wiener Konzerthaus, im Barbican Center, in der Tonhalle Zürich und in der Hamburger Musikhalle zu Gast. Beeindruckend ist auch die Liste der zeitgenössischen Komponisten, die Hardenberger durch sein Spiel zu neuen Kompositionen angeregt hat. Sie reicht von Harrison Birtwistle über Hans Werner Henze, György Ligeti und Marc-Anthony Turnage bis hin zu HK Gruber. hr-BIGBAND hr-SINFONIEORCHESTER Die hr-Bigband ist heute eines der innovativsten Jazzensembles in Deutschland. Mit fantasievoller Programmgestaltung, hochkarätigen Musikern und Aufsehen erregenden Projekten hat sich die Bigband des Hessischen Rundfunks in die Champions League des großorchestralen Jazz emporgearbeitet und setzt neue Qualitätsmaßstäbe. Vom Mainstream bis zur Avantgarde deckt sie das gesamte Spektrum des Jazz ab und sprengt die Grenzen zu Klassik, Neuer Musik, Pop und Weltmusik. Projekte mit jungen Talenten und mit internationalen Stars, Präsenz in Konzerten, Radiosendungen und auf CDs: All das macht die hr-Bigband heute aus. Gern gesehener Gast auf vielen Jazzfestivals, lud und lädt die hr-Bigband Jazzgrößen wie Dave Douglas, Billy Cobham, John Scofield, Django Bates oder Rabih Abou-Khalil ein, und treibt die Entwicklung der Bigband-Musik mit Kompositions- und Arrangieraufträgen voran. In Projekten mit Popstars wie Patrice, Annett Louisan oder Clueso erschließt die hr-Bigband ein Publikum jenseits der Jazzszene. Mit Schulkonzerten, Workshops und anderen Kinder- und Jugendaktivitäten weckt sie auch beim Nachwuchs Begeisterung für Bigband-Musik. 80 Jahre nach seiner Gründung als drittes deutsches Rundfunkorchester zeigt sich das hr-Sinfonieorchester heute in exzellenter Verfassung und gehört in die Reihe der großen europäischen Orchester. Als bewegliches, aufgeschlossenes und hochqualifiziertes Ensemble überzeugt es in seiner künstlerischen Arbeit in allen musikalischen Stilen und Epochen: vom Barock bis zur zeitgenössischen Avantgarde. Mit Chefdirigent Paavo Järvi feiert das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks dabei eindrucksvolle Erfolge auch auf renommierten internationalen Bühnen, etwa bei den »Proms« in London oder im Concertgebouw Amsterdam, in Wien, Salzburg, Paris, Budapest oder Prag. Nach großen Dirigentenpersönlichkeiten wie Hans Rosbaud, Dean Dixon, Eliahu Inbal und Hugh Wolff ist der Este Paavo Järvi seit 2006 Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und bereichert es mit seiner Arbeit um neue spannende Facetten. Experimente und Entdeckungen im Bereich Neuer und Alter Musik wie die Zusammenarbeit mit hochkarätigen Gastdirigenten und Solisten gehören dabei ebenso selbstverständlich zum künstlerischen Profil des Orchesters wie das grenzüberschreitende Music Discovery Project, das Engagement beim Internationalen Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti sowie zahlreiche Kinder- und Jugendprojekte. hr-ENSEMBLE FÜR NEUE MUSIK Das hr-Ensemble für Neue Musik entstand 1989 aus dem Wunsch einiger Mitglieder des hr-Sinfonieorchesters heraus, eigenständig im Bereich der Neuen Musik zu arbeiten und gemeinsam mit der Redaktion Neue Musik des hr auf selbstständige Weise Konzertprojekte zu realisieren. Die Besetzung des Ensembles ist flexibel und umfasst je nach Bedarf bis zu 20 Musiker. Intensiv und erfolgreich hat das hr-Ensemble für Neue Musik dabei bereits mehrfach mit dem amerikanischen Komponisten und Geiger Malcolm Goldstein zusammengearbeitet. Gemeinsame Projekte waren 1991 zwei Konzerte in der Frankfurter Musikhochschule mit Musik zwischen Komposition und Improvisation, 1992 eine Realisation von Cages Ryoanji im Rahmen des Festivals »John Cage: Anarchic Harmony« in Frankfurt und 1995 ein Forum Neue Musik mit The Seasons: Vermont/Winter von Malcolm Goldstein und Theater Piece von John Cage. Projekte im Rahmen der »hr Theaterhaus Konzerte« folgten 1997 mit Cages Four5 und den Uraufführungen von Philip Corners just another 12-tone piece und Goldsteins Zum Turm von Babel, sowie 1999 mit Jo Kondos Standing, Ornette Coleman/Malcolm Goldsteins Trinity, extended … meets the Passumpsic, Christian Wolffs Exercises und Elliott Sharps SyndaKit. Bei der Klangbiennale_1 des hr-Sinfonieorchesters präsentierte das Ensemble 2007 Matthias Kauls rooms sounding in rooms, Luigi Nonos A Pierre. Dell‘azzurro silenzio inquietum, Dániel Péter Birós Simanim (Signes/ Traces), James Tenneys Critical Band und Blue Through City Night Lights von Larry Kucharz. CAROLE SIDNEY LOUIS tritt neben ihrer Tätigkeit als Opernsängerin, die sowohl das klassische Repertoire als auch das zeitgenössische Musiktheater umfasst, häufig bei wichtigen Neue-Musik-Festivals wie der »Musica Viva« München, dem »Warschauer Herbst« und dem »Festival Musica« Straßburg auf. Die aus Frankreich stammende Sopranistin begann ihre Laufbahn am Theâtre National de Strasbourg mit der Uraufführung von Gualtiero Dazzis Lumière Brisée sowie u.a. in der Trippelrolle Großfürstin/Frau/Sie in Das Wachsfigurenkabinett von Karl Amadeus Hartmann. Zu ihren bisherigen wichtigsten Projekten gehörten: l’Icône paradoxale von Gérard Grisey beim 50. Festival »Warschauer Herbst«, Offrandes von Edgard Varèse anlässlich des Festivals »Rainy Days« mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg sowie mit dem Orchestra National de la RAI in Turin und die Uraufführung von Hera Kims Ex abrupto im Münchner Herkulessaal mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Gemeinsam mit dem hr-Sinfonieorchester unter Arturo Tamayo wirkte sie bereits auch erfolgreich bei der CD-Aufnahme von Bruno Madernas Ausstrahlung mit, die im Rahmen der Gesamteinspielung aller Orchesterwerke Bruno Madernas 2010 auf dem Label NEOS erscheint. MICHAEL SIEG ist seit 1987 Oboist im hr-Sinfonieorchester. Er studierte an der Freiburger Musikhochschule bei Hans Elhorst und Heinz Holliger und erhielt mehrere Preise bei internationalen 42 Champs-Elysées und der Opéra Comique in Paris, am Royal Opera House Covent Garden in London sowie an der Wiener Staatsoper. 1979–1997 war er außerdem Professor für Interpretation der Musik des 20. Jahrhunderts an der Freiburger Hochschule und bis 1998 dort zugleich Assistent von Klaus Huber am Institut für Neue Musik. Tamayo hat bereits eine große Zahl von Uraufführungen dirigiert, darunter Werke von John Cage, Niccolò Castiglioni, Franco Donatoni, Brian Ferneyhough, Klaus Huber, Mauricio Kagel, Wolfgang Rihm und Iannis Xenakis. Auch mit dem hr-Sinfonieorchester hat er bereits oft erfolgreich gearbeitet, in den letzten Jahren besonders intensiv im Rahmen der Gesamteinspielung aller Orchesterwerke Bruno Madernas, die 2010 auf dem Label NEOS erscheint. Kammermusik-Wettbewerben. Vielfältige Erfahrungen auf dem Gebiet der Neuen Musik sammelte er durch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern, mit dem er u.a. Heinz Holligers Scardanelli-Zyklus für ECM Records aufnahm, sowie im Ensemble Modern Orchestra, wo er unter Pierre Boulez spielte. Michael Sieg musizierte bereits häufig gemeinsam mit bedeutenden Künstlern wie Albrecht Mayer, Thomas Quasthoff oder Reinhold Friedrich. Außerdem gehört er zu den Gründungsmitgliedern des Antares-Ensembles, dem Holzbläserensemble des hr-Sinfonieorchesters, mit dem er regelmäßig Konzerte gibt. ANNETTE STRICKER Nach ihrem Operndebüt in Rom in der Titelpartie von Rossinis La Cenerentola war Annette Stricker 2000–2002 am Luzerner Theater engagiert und 2002–2007 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt. Sie verkörperte zahlreiche Fachpartien des lyrischen Mezzosopran-Fachs und wurde dabei von der Zeitschrift »Opernwelt« mehrfach zur »Nachwuchskünstlerin des Jahres« nominiert. Einen weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit bilden Konzerte und thematisch gestaltete Liederabende. Dabei hat Anette Stricker eine besondere Bindung zur Zeitgenössischen Musik und wirkte bereits bei zahlreichen Uraufführungen mit: u.a. Macbeth von Salvatore Sciarrino, Massacre von Wolfgang Mitterer, Die schöne Wunde von Georg Friedrich Haas, bei internationalen Festivals wie den Bregenzer Festspielen, dem Festival d´Automne Paris, dem Lincoln Center Festival New York, den Wiener Festwochen und dem Steirischen Herbst. Mit Achim Freyer, Trisha Brown, Joachim Schlömer, Reinhild Hoffmann u.a. verbindet sie eine intensive szenische Zusammenarbeit. Außerdem musizierte sie u.a. mit dem Ensemble Modern, dem Klangforum Wien, dem Ensemble Recherche und mit Dirigenten wie Silvain Cambreling, Beat Furrer, Peter Rundel, Hans Zender und Kasushi Ono. THADDEUS WATSON stammt aus Los Angeles, studierte in Chicago und Freiburg und ist seit 1985 Piccoloflötist des hr-Sinfonieorchesters. Watsons vielfältige kammermusikalische und solistische Aktivitäten führten ihn u.a. durch Nord- und Südamerika und zahlreiche Länder Europas. Schwerpunkt seiner musikalischen Arbeit bildet der Bereich der Neuen und der improvisierenden Musik. Watson ist Mitglied des Mutare Ensembles Frankfurt und Mitbegründer und Leiter des hr-Ensembles für Neue Musik sowie des Turfan Ensemble. Ferner spielt er regelmäßig im Ensemble Modern und im Chamber Orchestra of Europe. ARTURO TAMAYO gehört als Dirigent zu den international führenden Interpreten zeitgenössischer Musik und hat sich mit dem Werk Bruno Madernas in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt. In Madrid geboren, studierte er dort zunächst Klavier, Schlagzeug, Musiktheorie und Komposition. Nach einem Dirigierkurs bei Pierre Boulez folgten weitere Studien an der Musikhochschule Freiburg, Komposition bei Wolfgang Fortner und Klaus Huber, Dirigieren bei Francis Travis. Seitdem ist Arturo Tamayo als europaweit geschätzter Dirigent tätig. Mit zahlreichen bedeutenden europäischen Orchestern arbeitet er zusammen und ist bei vielen internationalen Musikfestivals zu erleben, wie den Donaueschinger Musiktagen, den Berliner Festwochen, der Biennale Venedig, den Salzburger Festspielen, dem Steirischen Herbst, den Luzerner Musikwochen und Wien Modern. Tamayo ist zudem auch als Opern- und Ballettdirigent erfolgreich tätig, u.a. an der Deutschen Oper Berlin, dem Théâtre des 43 CD-Projekt Amanda (1966) für Ensemble BRUNO MADERNA ∙ DIE ORCHESTERWERKE Aria (1964) für Sopran, Flöte und Orchester Ein exemplarisches Produktionsprojekt des hr-Sinfonieorchesters ging den Planungen der Klangbiennale_2 – Satellit Maderna voraus: die erste Gesamteinspielung aller Orchesterwerke Bruno Madernas. Unter Leitung von Arturo Tamayo, der in den vergangenen Jahren das Werk Madernas intensiv studiert hat, präsentiert das hr-Sinfonieorchester auf insgesamt 5 CDs erstmals alle Orchesterwerke des bedeutenden italienischen Avantgarde-Komponisten des 20. Jahrhunderts. Aura (1972) für Orchester Vol. 1 Composizione N. 1 Composizione N. 2 Studi per »Il Processo« di Franz Kafka Improvvisazione N. 1 Improvvisazione N. 2 IN VORBEREITUNG: Erscheinungsdatum: 20. Januar 2010 Erscheinungsdatum: Frühjahr 2010 Vol. 3 Ausstrahlung Biogramma Grande Aulodia Ausstrahlung (1971) für Frauenstimme, Flöte, Oboe, großes Orchester und Tonband Vol. 4 Quadrivium Aura Giardino religioso Amanda Biogramma (1972) für großes Orchester Die Aufnahmephase des ambitionierten Projekts erstreckte sich über mehrere Jahre und umfasst insgesamt 19 Werke Madernas. Composizione in tre tempi (1954) für Orchester Die Maderna-Gesamtaufnahme des hr-Sinfonieorchesters erscheint auf dem Label NEOS. Offizieller Veröffentlichungstermin der ersten beiden CDs ist der 20. Januar 2010. Im Rahmen der Klangbiennale_2 – Satellit Maderna sind beide CDs jedoch bereits im Hessischen Rundfunk erhältlich. Erscheinungsdatum: Frühjahr 2010 Composizione N. 1 (1948/49) für Orchester Vol. 5 Violinkonzert Klavierkonzert Composizione N. 2 (1950) für Orchester Erscheinungsdatum: Frühjahr 2010 Dimensioni III (1962/63) für Flöte und Orchester hr-SINFONIEORCHESTER ARTURO TAMAYO | Dirigent Flötenkonzert (1954) CLAUDIA BARAINSKY | Sopran CAROLE SIDNEY LOUIS | Sopran MICHAEL QUAST | Sprecher Giardino religioso (1972) für kleines Orchester Grande Aulodia (1970) für Flöte, Oboe und Orchester THOMAS ZEHETMAIR | Violine ALEJANDRO RUTKAUSKAS | Violine Vol. 2 Composizione in tre tempi Flötenkonzert Aria Dimensioni III Stele per Diotima Erscheinungsdatum: 20. Januar 2010 Improvvisazione N. 1 (1952) für Orchester CLARA ANDRADA DE LA CALLE | Flöte/Piccolo THADDEUS WATSON | Flöte SEBASTIAN WITTIBER | Flöte Improvvisazione N. 2 (1953) für Orchester MICHAEL SIEG | Oboe JOCHEN TSCHABRUN | Klarinette ULRICH BÜSING | Bassklarinette JOHN MACDONALD | Horn Klavierkonzert (1959) Quadrivium (1969) für 4 Schlagzeuger und 4 Orchestergruppen ANDREAS BOETTGER | Schlagzeug KONRAD GRAF | Schlagzeug ANDREAS HEPP | Schlagzeug BURKHARD ROGGENBUCK | Schlagzeug Stele per Diotima (1966) für Orchester Studi per »Il Processo« di Franz Kafka (1950) für Sprecher, Sopran und Orchester MARKUS BELLHEIM | Klavier Violinkonzert (1969) 44 45 FORUM NEUE MUSIK DIE NÄCHSTEN KONZERTE FREITAG_12.02.2010 | hr-SENDESAAL FREITAG_23.04.2010 | hr-SENDESAAL hr-SINFONIEORCHESTER VOKALSOLISTEN LUCAS VIS | DIRIGENT hr-SINFONIEORCHESTER DIETRICH HENSCHEL | BARITON MATTHIAS PINTSCHER | DIRIGENT GEORGE CRUMB | Variazioni (1959) MARCUS ANTONIUS WESSELMANN | Neues Werk (Auftragswerk des hr – Uraufführung) LOUIS ANDRIESSEN | De Staat (1972–76) BERND ALOIS ZIMMERMANN | Photoptosis (1968) JAY SCHWARTZ | Music for Eight Double Basses (Auftragswerk des hr – Uraufführung) MATTHIAS PINTSCHER | songs von Salomon‘s garden für Bariton und Orchester (Auftragswerk des New York Philharmonic Orchestra und des hr – Europäische Erstaufführung) HARRISON BIRTWISTLE | Earth Dances (1986) 18.30 Uhr Vernissage KlangKunst in der Goldhalle FRAUKE ECKHARDT | KREISLAUF (Auftragswerk des hr) Installation bis 19.02.2010 18.30 Uhr Vernissage KlangKunst in der Goldhalle Jens Brand | rHUM, Empfänger & Sender (Auftragswerk des hr) Installation bis 30.04.2010 »Vor Neuerungen in der Musik muss man sich in Acht nehmen, denn dadurch kommt alles in Gefahr.« So warnte Plato einst die Obrigkeit. Die prophezeite Gefährdung gelang jedoch weder durch Atonalität noch Cluster. Leider oder gottlob – eine Frage der Perspektive. Der Niederländer Louis Andriessen bezieht sich in seinem vitalen De Staat für Frauenstimmen, viele Bläser, E-Gitarre und E-Bass auf Platos »Politeia«, reflektiert mit Studien zur Zeit, Schnelligkeit und Materie dessen Mahnung. Weitere Lektionen erteilen in diesem Forum Neue Musik die selten aufgeführten Variazioni des Amerikaners George Crumb, komplex-sinnliche Zwölftonmodelle, und ein aktuelles Stück von Marcus Antonius Wesselmann aus Köln, eine prismatische Analyse der Orchesterklangvolumina. Licht und Schatten – ein flüchtiges optisches Spiel mit spannenden akustischen Folgen. So in Photoptosis von Bernd Alois Zimmermann, das eine Vielfalt orchestraler Watt- und Luxwerte samt Schemen aktiviert. Geologische Schichten und Lagen inspirierten Harrison Birtwistle zu seinen kraftvoll organischen Earth Dances. Die körperlich sonore Welt von Jay Schwartz resultiert oft aus Experimenten. Und Matthias Pintscher konsultiert für seine filigranen Musiktexte gerne Literarisches und Kunstwerke. Vier verschiedene Sprachen mit Gemeinsamkeiten: der Liebe zu den Klängen und zu den Menschen. Tickets unter: (069) 155-2000 47 Impressum KLANGBIENNALE_2 SATELLIT MADERNA KONZEPT UND PROGRAMM Stefan Fricke, Andreas Maul, Andrea Zietzschmann PRODUKTION Kristine Laun, Armin Wunsch HERAUSGEBER Hessischer Rundfunk Bertramstraße 8 60320 Frankfurt am Main REDAKTION Andreas Maul MITARBEIT Stefan Fricke, Adam Gellen QUELLEN UND TEXTNACHWEISE Django Bates, Stefan Fricke, Adam Gellen, Antonio Gómez Schneekloth, Björn Gottstein, Claus Gnichwitz, hans w. koch, Bernhard Lang, Wolfgan Liebhart, Andreas Maul, Beate Olbrisch, Michael Reudenbach, Johnnes S. Sistermans/ Susanne Laurentius – Originalbeiträge; Josef Häusler – in: CD-Booklet »Donaueschinger Musiktage 1990C, Col Legno 20503; Thomas Larcher – Material: Musikverlag Schott; Detlev Lehmbruck – in: CD-Booklet »Luciano Berio. Chamber Music«, MDG 613 0754-2; Bernd Leukert – in: CD-Booklet »Between the lines«, Coviello Classics 60703; Gianluigi Mattietti – Material: Håkan Hardenberger. Außerdem: Raymond Fearn, Bruno Maderna, Chur 1990; Bruno Maderna, Dokumenti, Hrsg. Mario Baroni und Rossana Dalmonte, Mailand 1985; Christoph Neidhöfer, Bruno Maderna’s Serial Arrays, in: Music Theory Online, 13/1 (March 2007); Klaus Hinrich Stahmer, Berio: Quartetto per archi – in: Reclams Kammermusikführer, Hrsg. Arnold Werner-Jensen, Stuttgart 1990. FOTOS Kurt Bethke (35), ediciones partituras (29b), Rosa M Hessling (32), Gerlinde Hipfl (24b), Konczak (24a), Jörg Letz (38), Lotte Meitner-Graf (21), Ricordi, Milano (Titel), Nick White (25), Giorgio Zucchiatti (36) und Internationales Musikinstitut Darmstadt (IMD): Gisela Bauknecht (3b), Pit Ludwig (2, 3a, 5a), Manfred Melzer (23), Hella Steinecke (15a, 30, 35) und Otto Tomek (28). GESTALTUNG Birgit Nitsche DRUCK BGR Druck-Service, Frankfurt 21. /22. november 2009 Hessischer Rundfunk Satellit Maderna Konzerte_Installationen_Lectures www.klangbiennale.de www.hr-sinfonieorchester.de hr – Gebühren für gutes Programm