Außergerichtliche Konflikteinigung im Islam – CoEffort

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1 Einleitung............................................................................................................................................. 3
2 Bedeutung des ṣulḥ-Verfahrens in der islamischen Tradition .......................................................... 4
2.1 Das Konzept des Friedensschlusses ................................................................................................ 4
2.2 Der Wert der Versöhnung ............................................................................................................... 5
2.3 Die Anwendung von ṣulḥ bei den Beduinen der arabischen Halbinsel......................................... 7
2.5 Andere ṣulḥ-Verfahren .................................................................................................................. 13
2.6 Anforderungen an ṣulḥ und Ausschlusskriterien ......................................................................... 15
2.7 Die Anforderungen an einen Schlichter........................................................................................ 18
3 Das Verständnis von taḥkīm ............................................................................................................. 19
3.1 Taḥkīm als Schiedsgericht.............................................................................................................. 19
3.2 Anwendung und Merkmale des Verfahrens ................................................................................. 22
3.3 Der Schiedsrichter und das Urteil ................................................................................................. 24
4 Beispiele anderer Arten der Streitschlichtung und Vermittlung .................................................... 26
4.2 Die Vermittlung wasāṭa ................................................................................................................. 27
4.3 Die Rechtsgutachten fatāwā ......................................................................................................... 27
5 Beispiele und Probleme der Konflikteinigung in der Moderne ...................................................... 28
5.1 Außergerichtliche Einigung in Saudi-Arabien ............................................................................... 28
5.2 Die wasāṭa im jordanischen Recht ............................................................................................... 31
5.3 Konflikteinigung unter Muslimen in der Diaspora ....................................................................... 33
6 Fazit.................................................................................................................................................... 37
7 Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 38
2
1 Einleitung
In vielen Ländern wird in den letzten Jahrzehnten häufiger bei privatrechtlichen
Streitigkeiten – beispielsweise Scheidung, Erbschaft oder einem arbeits- beziehungsweise
handelsrechtlichen Konflikt – nicht mehr ein klassisches Gerichtsverfahren angestrebt.
Vielmehr wird versucht, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen, sei dies durch
Vergleich, Schiedsgerichtsverfahren oder Mediation. Die möglichen Vorteile solcher
Methoden der Alternative Dispute Resolution (ADR) sind dabei (im Vergleich zu einem
Prozess vor Gericht) höhere Diskretion, raschere und günstigere Bearbeitung, Mitwirkung
der Konfliktparteien am Lösungsprozess aber auch die Bewahrung von Beziehungen.
Die islamische beziehungsweise arabische Welt kennt dabei schon seit der Zeit vor der
Offenbarung des Quran diverse Verfahren, die ohne ein richterliches Urteil auskommen.
Der Quran selbst sowie die Erzählungen des Propheten Muhammad (aḥādīṯ) die
Überlieferungen seiner Person und der, der ersten Muslime (arabisch: sunan) zeigen
dabei an einigen Stellen die klare Bevorzugung von gütlicher Einigung auf
unterschiedlichem Wege gegenüber der Berufung eines urteilenden Richters.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, welche Formen der
alternativen Konflikteinigung es gab und gibt, in welchen Fällen sie Anwendung fanden
und finden. Es werden ebenso deren spezifischen Merkmale näher erläutert. Zudem wird
anhand aktueller Entwicklungen aufgezeigt, welche Methoden sich in jüngerer Zeit finden
lassen und wie diese geregelt beziehungsweise von der Tradition beeinflusst sind. Ein
Exkurs zur außergerichtlichen Konflikteinigung in Deutschland soll einen Vergleich der
Methoden ermöglichen.
Zu diesem Zwecke wird zunächst anhand der Quellen der islamischen Jurisprudenz (fiqh),
dem Quran, der sunna und den aḥādīṯ der Wert solcher Konflikteinigungsmethoden für
die Muslime aufzeigt.
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Im Anschluss werden die Konzepte näher vorgestellt, das heißt, die besonderen
Merkmale, die Struktur der Verfahren und Anwendungsmöglichkeiten sollen erläutert
und die Sichtweise der verschiedenen (sunnitischen) Rechtsschulen zu jenen betrachtet
werden. Anhand dessen soll daraufhin ein Vergleich zu Mechanismen der ADR in anderen
Rechtskulturen gezogen werden.
Zuletzt werden exemplarisch die Regularien einzelner arabischer Länder zu solchen
Mechanismen herangezogen, um eine eventuelle Bedeutung der islamischen Tradition
auf die heutige Konfliktbewältigung zu ergründen.
Innerhalb der vorliegenden Arbeit werden häufiger Wörter aus der englischen und
arabischen Sprache gebraucht. Dies wird an entsprechender Stelle deutlich gemacht. Für
Wörter aus dem Arabischen, für die sich keine allgemein übliche Schreibweise (Beispiel:
Kalif) etabliert hat, wird die Umschrift der Deutsch-Morgenländischen Gesellschaft (DMG)
verwendet. Bei Zitaten kann aufgrund der Quelle eine abweichende Transkriptionsform
verwendet werden.
2 Bedeutung des ṣulḥ-Verfahrens in der islamischen Tradition
2.1 Das Konzept des Friedensschlusses
Eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Versöhnung oder des Vergleichs im Islam
(im rechtlichen Sinne) führt zum arabischen Terminus ṣulḥ.1 Dieser findet sich im Quran
aber nur an einer Stelle, nämlich in Sure 4: 128. Dort heißt es:
1 Anmerkung: Das Wort ṣulḥ hat auch in der deutschen Sprache die Bedeutung von „Frieden“ oder
„Friedensschluss“, wird aber auch als „Vergleich“ übersetzt. Die Wurzel ṣ-l-ḥ (welche im Quran deutlich
häufiger zu finden ist, als ṣulḥ) wird zum Beispiel im dritten und vierten Verbalstamm unter anderem auch
als „sich versöhnen“, „Frieden stiften“ verstanden.
4
„wa-ini amrātu ḫāfatu min baʿlihā nušūzan aw iʿrāḍan fa-lā ǧunāḥa ʿalaihumā an yuṣliḥā
bainahumā ṣulḥan wa-ṣ-ṣulḥu ḫairu wa-uḥḍirati al-anfusu aš-šuḥḥa wa-in tuḥsinū watattaqu fa-inna Allāha kāna bi-mā taʿmalūna ḫabīran.“2
Obschon nur innerhalb eines Verses erwähnt, wird dem Konzept dahinter eine größere
Bedeutung beigemessen. Zugleich ist diese Stelle vielfach interpretiert und in Einklang mit
weiteren Versen und der Prophetentradition zu bringen versucht worden.
Zunächst steht die Bedeutung des Wortes ṣulḥ im Vordergrund. Während hudna, das
arabische Wort für Waffenruhe oder Waffenstillstand, sowie salām, der Begriff für
(dauerhaften) Frieden, wohl stärker Zustände beschreiben, ist ṣulḥ eher als Prozess zu
verstehen. Daher ist der letzte Begriff von den beiden anderen zu unterscheiden. 3
Gleichwohl variierte die Bedeutung, im klassischen Sprachgebrauch war ṣulḥ das
Gegenteil zu ḥarb (Krieg). Noch heute wird ein Friedensvertrag zwischen Nationen auch
als ṣulḥ bezeichnet.4
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird das Konzept verstanden als Prozess der
Schlichtung verschiedener Arten von Konflikten beziehungsweise der Versöhnung von
Konfliktparteien. Die Bedeutung, Interpretation und Gestaltung dieser Art der
Versöhnung soll im Folgenden im Vordergrund stehen.
2 Quran Sure 4: 128. Übersetzung nach Max Henning: „Und so eine Frau von ihrem Ehemann rohe
Behandlung [Verletzung der ehelichen Pflichten] oder Abneigung befürchtet, so begehen sie keine Sünde,
wenn sie sich versöhnen, denn Versöhnung ist das beste. Die Seelen sind dem Geiz [der Gier] zugänglich;
doch so ihr Gutes tut und gottesfürchtig seid, siehe, so kennt Allah euer Tun.“ Henning 1968, S. 112.
3 Vgl. Lewis 1991, S. 133 – 135. Anmerkung: In früheren Zeiten hatte ṣulḥ gemäß Lewis auch die Bedeutung
von Waffenruhe. Zudem kann hudna ein wesentlicher Teil von ṣulḥ sein, wobei das gewünschte Ergebnis
des Friedensschluss der dauerhafte Friedenszustand, sprich salām sei. Vgl. Lewis S. 134 – 135.
4 Vgl. Lewis 2002, S. 134 – 135. Anmerkung: Beispielhaft wird an dieser Stelle der Friedensvertrag von
Versailles genannt, im Arabischen: ṣulḥ Versailles.
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2.2 Der Wert der Versöhnung
Der Wert, der einer einvernehmlichen Lösung gegenüber einer richterlichen
Entscheidung beigemessen wird, kann zusammengefasst werden in dem Grundsatz:
„as-ṣulḥ sayyid al-aḥkām”5 – übersetzt: Die Versöhnung ist das beste Urteil.
Die Maxime gilt für einen Großteil islamischer Rechtsgelehrter aller Rechtsschulen, den
ʿulamāʾ. Die beigemessene Bedeutung ergibt sich aus der Interpretation des Quran sowie
den aḥādīṯ des Propheten. Es finden sich dabei diverse Verse beziehungsweise Aussagen,
welche die Bevorzugung einer Schlichtung gegenüber der Berufung eines qāḍī, als eines
Richters mit anschließender Urteilsverkündung, nahelegen.
Folgende Quranstellen werden hierzu häufiger genannt:
1. „lā ḫayra fī kaṯīrin min naǧwāhum illā man amara bi-ṣadaqatin aw maʿrūfin aw
iṣlāḥin baina an-nāsi wa-man yafʿal ḏālika abtiġāˈa marḍāti allāhi fa-sawfa nuˈtīhi
aǧran ʿaẓīman.“6
2. „wa-in ṭāˈifatāni min al-muˈminīna aqtatalū fa-aṣliḥū bainahumā fa-in baġat
iḥdāhumā ʿalā al-uḫrā fa-qātilū llatī tabġī ḥattā tafīˈa ilā amri allāhi fa-in fāˈat faˈaṣliḥū bainahumā bi-l-ʿadli wa-aqsiṭū inna allāha yuḥibbu l-muqsiṭīna.“7
3. „innamā al-muˈminūna iḫwatun fa-aṣliḥū baina aḫawaikum wa-t-taqū allāha
laʿallakum turḥamūna“8
5 Hallaq 2009, S. 162.
6 Quran, Sure 4: 114: Übersetzung: „Nichts Gutes ist in einem großen Teil ihrer geheimen Reden, es sei denn,
wenn einer Almosen oder was Rechtens ist oder Frieden unter den Menschen gebietet. Und wer solches tut
im Trachten nach Allahs Huld, wahrlich, dem werden wir gewaltigen Lohn geben.“ Henning 1968, S. 110 –
111.
7 Quran, Sure 49: 9. Übersetzung: „Und wenn zwei Parteien der Gläubigen miteinander streiten, so stiftet
Frieden unter Ihnen; und wenn sich die eine gegen die andre vergeht, so kämpfet gegen die, welche sich
verging, bis sie zu Allahs Befehl [Ordnung] zurückkehrt. Und wenn sie zurückkehrt, so stiftet Frieden unter
ihnen in Billigkeit und übt Gerechtigkeit. Siehe, Allah liebt die Gerechtigkeit Übenden.“ Henning 1968, S. 467.
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Die Gelehrten setzen die zitierten Stellen in Zusammenhang mit mehreren Aussagen,
welche nach ṣaḥīḥ al-buḫārī dem Propheten selbst zugeschrieben werden, und nach Md.
Zahidul Islam folgendermaßen verstanden werden können:
1. Der Prophet Muhammad war der Ansicht, dass jemand, der zum Zwecke der
Friedensstiftung zwischen den Menschen positive Dinge stiftet beziehungsweise
Gutes spricht, kein Lügner sei.9
2. Jedem Menschen obliegt dem Propheten zufolge die Pflicht einer ṣadaqa
(freiwillige Gabe, gute Tat) für jedes Gelenk seines Körpers und an jedem Tag, an
dem die Sonne aufgeht und das Schlichten zwischen den Menschen ist eine
geleistete ṣadaqa.10
Es gibt noch weitere aḥādīṯ in den Werken al-Buḫāris, welche sich ähnlich zur Schlichtung
von Konflikten unterschiedlicher Natur äußern.11
Diverse Quellen bestätigen, dass Muhammad und die frühe islamische Gemeinschaft,
aber auch andere religiöse Gruppen, bei internen oder interreligiösen Konflikten, gleich
welcher Art, häufig ṣulḥ nutzten, um zu einer Einigung zu gelangen.12 Nicht selten trat der
Prophet selbst als Schlichter auf.13 Andere Quellen gehen davon aus, dass Muhammad
nicht nur selbst schlichtend wirkte, sondern sich auch Anderen bei Konflikten anvertraute.
Daher wird behauptet, es sei die bevorzugteste Beilegungsmethode des Propheten
8 Quran, Sure 49: 10. Übersetzung: „Die Gläubigen sind Brüder, so stiftet Frieden unter euern Brüdern und
fürchtet Allah; vielleicht findet ihr Barmherzigkeit.“ Henning 1968, S. 467.
9 Vgl. Islam 2012, S. 32; nach: al-Bukhāri 1997, S. 503. Anmerkung: Der Autor bezieht sich auf eine
Übersetzung, in der es heißt „He who makes peace between the people by inventing good information or
saying good things, is not a liar." Hierbei wurde fa-yanmī mit „inventing“, sprich erfinden übersetzt.
Richtiger wäre jedoch „entwickeln“, „fördern“, oder „wachsen lassen“.
10 Vgl. Islam 2012, S. 32; nach: al-Bukhāri 1997, S. 512.
11 Vgl. Islam 2012, S. 32 sowie Bouheraoua 2008, S. 3.
12 Vgl. Fīrbar 2011, S. 2.
13 Vgl. Jalali-Karveh 2006, S. 430.
7
gewesen.14 Das Konzept des Friedensschlusses hat seine Wurzeln aber schon in der
vorislamischen Zeit (ǧāhilīya – „Zeit der Unwissenheit“), wobei es das primäre Mittel der
arabischen Stammesgesellschaft war, interne und intertribale Konflikte, sogar bewaffnete
Auseinandersetzungen, beizulegen.15 Es ist anzunehmen, dass die Wirksamkeit des
Verfahrens auch der Grund für die Wertschätzung unter den frühen Muslimen war.
Entsprechend der Konfliktparameter, sprich Parteien, Anzahl der Beteiligten, Region,
Konfliktgegenstand, Art und Anzahl der berufenen Schlichter (so denn welche involviert
sind) et cetera, können sich ṣulḥ-Verfahren hinsichtlich ihrer Gestaltung und Umsetzung
stark unterscheiden. Zur Darstellung dieser Verfahren sollen im folgenden Kapitel einige
Anwendungsbeispiele folgen.
2.3 Die Anwendung von ṣulḥ bei den Beduinen der arabischen Halbinsel
Wie erwähnt ist das Konzept von ṣulḥ den Gemeinschaften im Mittleren Osten schon seit
mehreren Jahrhunderten wohlbekannt und vielfach angewendet worden, wobei auch
heute noch Gebrauch davon gemacht wird.16 Das Verfahren findet sich im
Gewohnheitsrecht der Beduinen bei vielen unterschiedlichen Problemen in der
Anwendung wieder.17 Begründung dafür liefert Mohammed Abu-Hassan, nach
gewohnheitsrechtlicher Auffassung werden Strafsachen und privatrechtliche Fälle (so sie
14 Vgl. Jalali-Karveh 2006, S. 430 – 431 sowie Sayen 2003, S. 947. Anmerkung: Karveh benennt einen Streit
unter den Stämmen in Mekka, wer den Schwarzen Stein in der Kaaba platzieren dürfe. Dieser Streit wurde
durch eine geschickte Einigung gelöst. Vgl. Jalali-Karveh 2006, S. 430
15 Maisel 2006, S. 251.
16 Vgl. Rohne 2006, S. 188. Anmerkung: Der Autor spricht im weiteren Verlauf seiner Arbeit vom besagten
Verfahren als sulha. Er erläutert, dass der arabische Terminus ṣulḥa durchaus austauschbar mit ṣulḥ und
muṣalaḥa verwendet werden kann. Jedoch beschreibt ṣulḥa den gesamten Prozess, während er die beiden
anderen Begriffe für einzelne Phasen des Verfahrens anwendet. Jedoch spricht die Mehrheit aller Autoren
zu dem Thema stets von ṣulḥ, daher wird zur besseren Übersicht beim Zitieren ṣulḥa durch ṣulḥ ersetzt.
17 Vgl. Abu-Hassan 2006, S. 561. Anmerkung: Da Betrug und Einbruch beziehungsweise Diebstahl einen
Ehrverlust ohne Möglichkeit der Wiedererlangung nach sich ziehen, können solche Vergehen nicht durch
ṣulḥ verhandelt werden. Das Verfahren soll dazu dienen, dass sowohl Opfer als auch Täter ihre
„beschmutzte“ Ehre „reinwaschen“ können.
8
denn einen Verstoß gegen das Gewohnheitsrecht darstellen) gleich, nämlich als
Verbrechen beziehungsweise Straftat behandelt.18
Die verwendeten Quellen stellen jeweils ein oder mehrere ṣulḥ-Verfahren in der Tradition
der Beduinen in Palästina, Saudi-Arabien und Jordanien vor. Die Situation ist jeweils ein
Konflikt zwischen zwei Clans, beziehungsweise innerhalb eines Stammes aufgrund eines
Tötungsdeliktes. Für den Ablauf wird die traditionelle Umsetzung vorgestellt, wobei die
Autoren behaupten, dass sich grundsätzlich an der Gestaltung bis heute nichts geändert
habe.19
In allen Fällen wendet sich der Stamm des Täters zunächst an eine dritte, unbeteiligte
Gruppe, deren Reputation und Stellung innerhalb der Gesellschaft als hoch genug
erachtet wird.20 Aufgrund ihrer Stellung wird diese Gruppierung al-ǧāha (von ǧāh – Ruhm,
Ruf, Prestige) genannt, und nimmt als Gesamtheit die Rolle des muṣliḥ (Versöhner) ein.
Die Rolle der ǧāha ist von außerordentlich großer Bedeutung, daher müssen sie
(zumindest zusammen) eine Anzahl an Fähigkeiten mitbringen: es sollen geachtete,
neutrale
und
diplomatisch
veranlagte
Männer
sein;
mit
Kenntnissen
der
Stammesgewohnheiten und Traditionen, sind sicher in der Durchführung der Rituale,
sowie geduldig, wortgewannt und in der Lage, sachlich und überzeugend zu
argumentieren.21 Auch Humor und Scharfsinn werden als förderlich betrachtet.22
Die Vermittler dienen auch als symbolischer Schutz vor Racheakten der Familie des
Opfers, da eine räumliche Nähe zu wenigstens einigen Mitgliedern der Täterfamilie und
den ǧāha bestehen muss und ein Angriff diese in einen Konflikt involvieren könnte.23
18 Vgl. Abu-Hassan 2006, S. 559.
19 Vgl. Maisel 2006, S. 252 sowie Rohne 2006, S. 189.
20 Vgl. Maisel 2006, S. 253 sowie Rohne 2006, S. 189.
21 Vgl. Abu-Hassan 2006, S. 557.
22 Vgl. Abu-Hassan 2006, S. 557 – 558.
23 Vgl. Maisel 2006, S. 253.
9
Die Gruppe der Versöhner versucht, die Familie des Opfers von einer friedlichen Einigung
zu überzeugen, ohne den Weg der Blutfehde zu gehen. Der Appell wird nicht oft
ausgeschlagen, aufgrund des Rufes, der der Gruppe der Versöhner vorauseilt. In
Zusammenhang mit dem Prestigeverlust bei Ablehnen der ǧāha besteht ein sozialer
Druck auf der Opferseite, dem Versöhnungsverfahren zuzustimmen.24 Jedoch ist eine
Zustimmung notwendig, ein Verfahren kann nicht direkt erzwungen werden.25
Sobald das Verfahren beginnen kann, wird die eigentliche Phase des ṣulḥ eingeleitet.
Während dieser Zeit herrscht hudna (Waffenruhe), welche de facto schon mit der
Berufung der Versöhner durch die Täterseite beginnt.26 Als Garantie dafür fungiert neben
den ǧāha auch ein sogenannter kafīl dafāʾa, ein Bürge der Opferseite, der jeden Angriff
seines Stammes beziehungsweise seiner Familie gegen die Täterseite, auch nach
formellem Friedensschluss, unterbinden soll. Mit dem Amt geht hoher Respekt einher.27
Zunächst wird in Vorgesprächen versucht, den Tathergang zu rekonstruieren sowie
Forderungen und Verhandlungspositionen zu eruieren. Die Gespräche laufen informell
ab.28 Sie wirken zudem deeskalierend, da mit der Berufung der ǧāha quasi ein
Schuldeingeständnis des Täterstammes erfolgt, der Versuch der Wiedergutmachung
unternommen wird und die Opferseite nicht in direkten Kontakt mit den Tätern kommt.29
24 Vgl. Rohne 2006, S. 191.
25 Vgl. Maisel 2006, S. 253.
26 Vgl. Rohne 2006, S. 191.
27 Vgl. Maisel 2006, S. 252.
28 Vgl. Maisel 2006, S. 254.
29 Vgl. Rohne 2006, S. 190.
10
Sobald die Frist (ʿaṭwa – in etwa: Schonfrist) abgelaufen ist, während der sich die
Gemüter beruhigen und die Vorgespräche abgeschlossen werden sollen, treffen alle
Parteien inklusive der Schlichter zusammen.30
Da sowohl die Schuldfrage als auch der Tathergang im Allgemeinen nicht mehr zur
Debatte stehen, beginnt nach einleitenden Worten, die die Opferseite für ihre
Bereitschaft loben und die friedliche Einigung als besonders ehrenwert hervorheben
sollen, die Verhandlung um das Blutgeld (diyya). Dabei nehmen die Schlichter die Seite
des Täters ein, indem sie die Opfer in der Höhe dieser herunterverhandeln
beziehungsweise die Höhe festlegen. Der Prozess kann sehr zeitaufwendig sein, wenn
hierbei keine Einigung erzielt wird.31 An der Stelle besteht ein Unterschied zwischen den
Verfahren der Beduinen in Saudi-Arabien und Palästinas einerseits und Jordanien
andererseits. Während erstere zunächst eine unrealistisch hohe Summe fordern, welche
nach und nach verringert wird,32 geben die ǧāha in Jordanien die Summe vor, welche
jedoch von der Opferseite bewilligt werden muss.33
Es können auch weitere Forderungen gemacht werden, welche nichts mit der diyya zu
tun haben. Somit kann zum Beispiel eine unvollständige Versöhnung erreicht werden,
wenn Bedingungen an einen Friedensschluss gekoppelt sind, wie etwa (schlimmstenfalls)
die Verstoßung des Täters durch seinen Stamm (womit dieser praktisch für vogelfrei
erklärt wird), oder aber, der Täter hat bestimmte Auflagen zu erfüllen, welchen er
nachkommen muss, soll ein vollständiger Frieden erlangt werden.34
30 Vgl. Maisel 2006, S. 251 sowie Abu-Hassan 2006, S. 566. Anmerkung: Zumeist trifft man sich auf Boden
der Familie des Opfers, wobei (gerade in Zeiten der Sesshaftwerdung) auch andere geeignete Orte möglich
sind.
31 Vgl. Rohne 2006, S. 193.
32 Vgl. Maisel 2006, S. 252 sowie Rohne 2006, S. 193.
33 Vgl. Rohne 2006, S. 193.
34 Vgl. Maisel 2006, S. 255 – 256.
11
Sobald sich alle Beteiligten über die Bedingungen des Friedensschlusses einig geworden
sind, wird eine Zeremonie abgehalten, welche die Ehre des Opfers wiederherstellen, die
Schande des Täters vergessen machen und die sozialen Frieden nach außen darstellen
soll.35 Nach Holger C. Rohne ist die sogenannte muṣalaḥa-Phase besonders wichtig, um
die Versöhnung zu besiegeln.36 Der Autor hat die Zeremonie besonders detailliert
beschrieben, daher wird sich im Folgenden auf ihn bezogen.37
Zunächst einigen sich die Mitglieder der Familie des Opfers auf Zeitpunkt und Ort des
Geschehens, wo sie auf die ǧāha treffen, dabei können auch Außenstehende (nicht in den
Konflikt involvierte Personen) als Zeugen anwesend sein.38 Ein hohes Mitglied der Familie
übergibt daraufhin eine weiße Flagge (rāya), in die er zuvor, als Zeichen der Einigkeit
seiner Familie bezüglich der Beendigung des Konflikts, einen Knoten gemacht hat.39 Dann
werden die Angehörigen der Täterseite geholt und unter Begleitung der ǧāha im Schutze
der rāya vor der Gegenpartei positioniert, wobei sie noch einmal Demut zeigen sollen.
Dabei soll dieses letzte Zeichen der Scham alle weitere Schande tilgen:
„It is a shaming in order to put an end to the shame. After the Sulha there is no more
shame – everything is restored.”40
Zunächst bitten die Angehörigen des Täters noch einmal um Vergebung, wobei die
Opferseite die Bitte akzeptiert.41 Daraufhin wird, sofern möglich, die diyya überreicht.42
Diese darf später auch zurückgegeben werden, als Zeichen des Großmutes, welches als
35 Vgl. Rohne 2006, S. 194.
36 Vgl. Rohne 2006, S. 193 – 194.
37 Anmerkung: Weitere Details finden sich noch an andere Stelle, etwa bei Abu-Hassan 2006, S. 566 – 569.
38 Vgl. Rohne 2006, S. 194.
39 Vgl. ebenda.
40 Vgl. ebenda. Anmerkung: Der Autor bezieht sich auf ein unveröffentlichtes Interview mit Elias Jabbour,
dessen Worte Rohne hier wiedergibt.
41 Vgl. Rohne 2006, S. 195.
42 Anmerkung: Als Bürge für die Übergabe der diyya wird von der Seite des Täters ein kafīl wafā, ein
Pendant zum kafīl dafāʾa eingesetzt. Er gilt als Garant für die Entrichtung des Blutgeldes.
12
besonders ehrenvoll gilt. Im Moment der Übergabe darf sie jedoch keinesfalls abgelehnt
werden.43
Anschließend trägt der Täter (oder sein Repräsentant in dessen Abwesenheit) die weiße
Flagge zur Seite der Opfer, gefolgt von seinen Angehörigen. Alle Anwesenden reichen sich
nacheinander die Hände, als Zeichen der gegenseitigen Anerkennung.44
Zum Schluss erklären die Schlichter den Frieden für besiegelt und halten Reden, welche
den Wert der Versöhnung untermauern und die Partei des Opfers ehren sollen. Die Worte
müssen dabei sorgfältig gewählt werden, so kann ein unbedachter Satz zu einer
Entgleisung der emotional aufgeladenen Situation führen.45 Am Ende der Vorträge wird
ein weiterer Knoten in die Flagge gemacht, als Zeichen des endgültigen
Friedensschlusses.46 Alle Parteien treffen sich daraufhin auf ein gemeinsames Kaffeeritual
und ein Festmahl im Heim der Täterfamilie.47
2.4 Das Konfliktverständnis im Stammesrecht
Das im letzten Kapitel dargestellte Verfahren mag, insbesondere in der letzten Phase, für
Außenstehende beinahe zeremoniell anmuten. Insbesondere die große Anzahl an
Beteiligten mag verwundern.
43 Vgl. ebenda. Anmerkung: Eine Ablehnung kann als Beleidigung oder als Nichtakzeptanz der Bitte um
Vergebung gewertet werden, womit der Konflikt neu entfacht wird oder gar eskaliert. Das liegt daran, dass
der diyya neben einem materiellen Wert ein symbolischer zugesprochen wird. Sie ist einerseits als Strafe für
die Tat des Angreifers und andererseits als Zeichen der Anerkennung des Verlustes der Gegenseite
anzusehen. Zwar ist Schadensersatz auch ein Zweck, jedoch kann der Symbolcharakter als wichtiger
angesehen werden. Vgl. Rohne 2006, S. 193.
44 Vgl. Rohne 2006, S. 195. Anmerkung: Dieser Moment wird als emotional herausfordernd beschrieben,
da sich Täter und Opfer beziehungsweise die Angehörigen des Opfers erst jetzt physisch nahe kommen.
45 Vgl. Abu-Hassan 2006, S. 568. Anmerkung: Der Autor erwähnt das Beispiel eines ṣulḥ zwischen zwei
verfeindeten Stämmen in Jordanien 1992. Dabei eskalierte der Konflikt in dieser abschließenden Phase
derart, dass eine Person getötet und einige weitere verletzt wurden. Dabei war der Gegenstand des
Verfahrens zuvor (nur) eine Körperverletzung.
46 Vgl. Rohne 2006, S. 196.
47 Vgl. ebenda.
13
Eine mögliche Erklärung dafür liefert Holger C. Rohne. Seiner Ansicht nach werden schon
die Konflikte, die eine Einigung nötig machen, unterschiedlich betrachtet. Während im
westlichen Kontext Konflikte als normalen und alltäglichen Teil sozialer Interaktion
wahrgenommen und auch positive Aspekte darin erkannt werden können, gilt dies
umgekehrt für die Sichtweise auf den Gegenstand im Mittleren Osten. So werden
Konfliktsituationen eher stark negativ, destruktiv und als störend für die soziale Ordnung
wahrgenommen. Zudem betreffen nach arabischer beziehungsweise islamischer
Sichtweise solche Situationen nicht nur Individuen, sondern auch die soziale Entität, in
der sich die Individuen befinden.
Nach Rohne werden Konflikte als Gefahr für soziale Beziehungen gesehen, welche sowohl
enge als auch entferntere Teile der Familie (saudi-arabisch: ḥamūla) betreffen können.
Der Autor sieht im Konfliktverständnis der Gesellschaft den Schlüssel zur Erklärung der
jeweiligen Einigungsmethode. Rohne erklärt damit, warum ṣulḥ wie oben dargestellt so
umfangreich und langwierig erscheint. Nach seiner These muss jede potentiell von dem
Konflikt betroffene oder darin involvierte Person am Verfahren beteiligt oder zumindest
anwesend sein, um eine vollständige Lösung zu erzielen.
Auch für die ritualisierte Form findet Rohne eine Erklärung. Diese habe sich nach den
jeweiligen sozialen Normen und Bedürfnissen entwickelt. Da es bei ṣulḥ nicht nur um
Einigung in einem Streit geht, sondern auch um die Wiederherstellung von Ehre und
gesellschaftlichem Frieden, müssen Zeichen und Gesten der Demut und Vergebung
erfolgen.
Insbesondere das Konfliktverständnis spielt noch im letzten Teil dieser Arbeit eine
wichtige Rolle und wird daher noch einmal aufgegriffen.
14
2.5 Andere ṣulḥ-Verfahren
Neben dem stark ritualisierten und detailliert beschriebenen Versöhnungsprozess
zwischen den Beduinen, etwa bei Tötungsdelikten, kann ṣulḥ auch bei anderen Konflikten
Anwendung finden, wobei die Rahmenbedingungen und Gestaltung des Verfahrens dann
deutlich von dem dargestellten Beispiel abweichen können. Bei einfacheren Disputen,
also solche, die keine Tötung, (schwere) Verletzung oder Vergewaltigung beinhalten,
kann/ können sich der/ die Schlichter auch schon im Vorfeld Details der Einigung mit
dem/ den Geschädigten besprechen und klären.48 Andererseits können Umfang und
Anzahl der Beteiligten deutlich größer sein, wenn etwa eine Stammesfehde geschlichtet
werden soll.49
Friedrich-Wilhelm Lehmann, welcher sich auf das Erkenntnisse von ʿAlāʾ ad-Dīn Abū Bakr
ibn Masʿūd al-Kāsānī beruft, erläutert das Prinzip des ṣulḥ beispielsweise als Vergleich bei
vermögensrechtlichen Angelegenheiten, wobei auch hier wieder der Gedanke der
Versöhnung im Vordergrund steht.50 Dabei steht für Lehmann das Ergebnis des Vergleichs,
nämlich der Vergleichsvertrag, im Vordergrund seiner Analyse.51 Da der Fokus
vorliegender Arbeit aber auf das Verfahren an sich gerichtet ist, soll hier nicht auf das
Wesen des Vertrages eingegangen werden.
Bei vermögensrechtlichen Disputen liegt der Schwerpunkt nicht auf einem ritualisierten
Prozess, sondern das Verfahren ist stark ergebnisorientiert. Ziel ist es, ein neues
Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zu schaffen, um so den Konflikt zu beenden.52
Auch muss eine Schuldfrage bei solchen Disputen nicht geklärt sein,53 zudem ist die
48 Vgl. Abu-Hassan 2006, S. 562.
49 Vgl. Abu-Hassan 2006, S. 562 – 563.
50 Vgl. Lehmann 1970, S. 13.
51 Anmerkung: Insbesondere behandelt Lehmann Voraussetzungen des Vertrages, dessen Rechtswirkung
und Aufhebungsgründe.
52 Vgl. Lehmann 1970, S. 14.
53 Vgl. Lehmann 1970, S. 48.
15
Einbeziehung einer dritten Partei nicht nötig, aber möglich.54 Jedoch kann der Versuch
einer Versöhnung durch einen Richter angeordnet sein, um ein Gerichtsverfahren
beziehungsweise den Streit zu beenden oder zu vermeiden.55
Die Definition von ṣulḥ als Vertrag findet man auch in der Mecelle, dem osmanischen
Zivilgesetzbuch. Das Werk war auch der erste Versuch, vermögensrechtliche Regelungen
des islamischen Rechts (hauptsächlich nach hanafitischer Auffassung) zu kodifizieren. 56
Die Artikel bezüglich des Vergleichs und der Schlichtung finden sich im kitāb aṣ-ṣulḥ wa-librāʾ (Buch über den Vergleich und Rechtsverzicht). Nach Art. 1531 ist ṣulḥ ein Vertrag,
bestehend aus Angebot und Annahme dessen, um einen Disput mit beidseitigem
Einverständnis beizulegen.57
In solchen Fällen ist ṣulḥ also nicht nur als Versöhnungsprozess zu verstehen, sondern
steht für den Friedensschluss und die Einigung als Ergebnis selbst. Dieser Ansicht folgt
Sezai Özçelik:
„[This] one is called sulha (peacemaking) as process and outcome.”58
Der Autor vertritt auch die Ansicht, dass ṣulḥ beziehungsweise ṣulḥa als Prozess
üblicherweise nur bei Streitfällen Anwendung findet, bei denen Personenschäden eine
Rolle spielen.59
Allerdings gibt es auch Beispiele, bei der ṣulḥ in anderen Fällen erreicht wurde. Hier
handelt sich um ein Delikt der Ehrverletzung und Beleidigung, ein Vorfall, der sich
54 Vgl. Lehmann 1970, S. 48 sowie Bouheraoua 2008, S. 2. Anmerkung: Beide Autoren beziehen sich auf
unterschiedliche Lehrmeinungen, Lehmanns Darstellung der Sichtweise al-Kāsānīs spiegelt eine Meinung
der klassische Rechtslehre wider, wohingegen Bouheraoua Bezug auf die heutige Anwendung nimmt.
55 Vgl. Lehmann 1970, S. 50.
56 Vgl. Ágoston/ Masters 2009, S. 355.
57 Vgl. Hooper 1989, S. 326.
58 Vgl. Özçelik 2007, S. 9.
59 Vgl. Özçelik 2007, S. 10. Anmerkung: Der Autor benennt explizit sulha als letzte Komponente („last
component“) einer Mediation (hier: wisata), bei der es um Familienfehden, Mord und Verkehrsunfälle geht.
16
allerdings in der Moderne60 (20. Jahrhundert) und nicht in der Frühgeschichte des Islam
zugetragen hat. Die Gerichtsakten aus Libyen belegen, dass ein Richter eine Alternative
zum Prozess nahelegte, welche die Parteien annahmen.61 Dabei kann von einem
gerichtsnahen ṣulḥ-Verfahren gesprochen werden.
Als Kläger trat dabei ein verheiratetes Paar auf, Beklagter war ein Mann, dem
vorgeworfen wurde, sich diffamierend über die Moral der Ehefrau geäußert zu haben. 62
Der Richter legte dem Mann nahe, um Vergebung zu bitten und zum Ausgleich der Frau
silbernen Halsschmuck zu schenken. Dem Paar wiederum wurde empfohlen, unter
besonderer Berücksichtigung des Wertes der Versöhnung im Islam, dies zu akzeptieren.63
Die Parteien wurden sich einig und das Gerichtsverfahren wurde abgewendet.64
Über weitere Details des Prozesses wird keine Aussage gemacht, jedoch ist ersichtlich
geworden, dass es nicht in erster Linie um die Klärung der Schuldfrage, sondern um den
Ausgleich zwischen den Parteien und dem Wiederherstellen der Reputation der Ehefrau
ging.65
2.6 Anforderungen an ṣulḥ und Ausschlusskriterien
Obschon sich die Vielfalt in der Deutung der Versöhnung durch ṣulḥ gezeigt hat, sind sich
die Rechtsgelehrten darüber einig, dass bestimmte Anforderungen daran geknüpft sind,
insbesondere wenn zum Friedensschluss eine dritte Partei involviert ist. Dabei sind
weniger formelle Regeln zum Prozess einzuhalten, wie etwa im Gewohnheitsrecht der
Beduinen. Vielmehr handelt es sich um Bedingungen, welche einen Friedensschluss gültig
beziehungsweise ungültig (vor einem Gericht oder vor Gott) machen können.
60 Vgl. Layiš 2005, S. 219. Anmerkung: Der Fall ist nach der Gerichtsakte auf den 23. Oktober 1946 datiert.
61 Vgl. Layiš 2005, S. 217.
62 Vgl. Layiš 2005, S. 217 – 218.
63 Vgl. Layiš 2005, S. 218.
64 Vgl. Layiš 2005, S. 219.
65 Vgl. Layiš 2005, S. 218. Anmerkung: In den Gerichtsakten ist die Rede von “[…] for the sake of protecting
the woman’s good name and sacred honour […]”.
17
Zunächst darf ein Vergleich oder Friedensschluss nicht gegen die Ge- und Verbote des
Islam verstoßen. So ist nach dem bedeutenden malikitischen Gelehrten Ibn Abī Zaid alQairawānī ein ṣulḥ generell erlaubt, so er nicht auf Verbotenes (ḥarām) hinauslaufe.66 Es
ist davon auszugehen, dass auch die anderen (sunnitischen) Rechtsschulen diesem
Grundsatz folgen. Begründung dafür ist ein für authentisch befundener Brief des zweiten
Kalifen ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb, dessen Haltung zum Friedensschluss von Syed Khalid Rashid
folgendermaßen wiedergegeben wird:
„All types of compromise and conciliation among Muslims are permissible, except those
which make harām anything which is halāl, and a halāl as harām.”67
Diese Sicht entspricht der Haltung des Propheten, wonach alles abzulehnen sei, was nicht
in Harmonie steht mit den Regeln des Islam.68 Daher kann hier von einer allgemeinen
Norm ausgegangen werden, welche rechtsschulenübergreifend Anwendung findet.
Ebenso
teilen
Gelehrte
unterschiedlicher
Rechtsschulen
die
Sicht,
dass
ein
Schuldeingeständnis (iqrār) des Beklagten beziehungsweise des vermeintlichen
Schuldners für ein ṣulḥ-Verfahren bei sachenbezogenen Konflikten nicht notwendig ist.
Das bedeutet, der Beklagte kann Schuld bestreiten (iqrār) oder zu den Vorwürfen
schweigen (sukūt).69 Damit wird deutlich, dass die Klärung der Schuldfrage nicht
wesentlich ist, sondern die Befriedung von Konflikten im Vordergrund steht.
Jedoch ist eine Rechtmäßigkeit des Friedenschlusses bei Bestreiten des Anspruches der
Gegenseite nicht abschließend geklärt. Das liegt daran, dass die Einigung als Vertrag
gesehen wird, der unzulässig ist, wenn nur eine Partei eine Leistung erbringt. Umstritten
66 Vgl. al-Qairawānī 1980, S. 266
67 Rashid 2004, S. 99. Anmerkung: Die Aussage von ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb wird in anderen Quellen und
Sprachen sinngemäß wiedergegeben. Vgl. Scholz 1997, S. 443 – 444.
68 Vgl. ebenda.
69 Vgl. Lehman 1970, S. 30 sowie Scholz 1997, S. 443. Anmerkung: Das osmanische Zivilgesetzbuch – die
Mecelle – folgt dieser Sicht und unterteilt ṣulḥ in drei Kategorien, je nach Haltung des Beklagten zu den
Schuldvorwürfen. Vgl. Rashid 2004, S. 101.
18
bleibt allerdings auch, ob dies einen hinreichenden Grund darstellt, ein Verfahren
beziehungsweise einen Prozess zu beenden.70
Zwar sind die Anwendungsfelder des Verfahrens umfangreich, in einzelnen Fällen ist es
jedoch weder möglich noch gestattet. Es gilt der Rechtssatz, dass nur Rechtsansprüche
des Menschen (ḥuqūq al-ʿabd oder ḥuqūq an-nās), nicht jedoch die Rechtsansprüche
Gottes (ḥuqūq Allāh) verhandelt werden dürfen. Letztere Umfassen das Verbot des
Weintrinkens beziehungsweise Alkoholkonsums (weitergehend im Sinne des Konsums von
Rauschmitteln), der Unzucht und der falschen Bezichtigung der Unzucht sowie des
Diebstahls und des Straßenraubes.71 Für solche Vergehen sind die sogenannten ḥudūdStrafen vorgesehen. Die „Rechtsansprüche Gottes“ können gemäß der Einschätzung der
Rechtsgelehrten aus folgenden Gründen nicht durch einen Vergleich (zwischen Personen)
geregelt werden:
1. Die Durchsetzung des ḥaqq Allāh liegt nicht im Interesse von Individuen sondern
in dem der Allgemeinheit.72
2. Es soll durch ihre Durchsetzung ein Schaden (für die Moral und Sicherheit der
Gesellschaft) abgewendet werden.73
3. Ein Vergleich bei solchen Rechtsansprüchen käme einer Gleichmachung der
Interessen Gottes mit den Interessen von Personen gleich, was nicht gestattet
ist.74
Im Gegensatz zur Einschätzung, dass ein Friedensschluss einem Urteil stets vorzuziehen
ist, gilt in solchen Fällen also die Regel, dass die Berufung der Obrigkeit obligatorisch ist
70 Vgl. Scholz 1997, S. 444.
71 Vgl. Johansen 1999, S. 386
72 Vgl. ebenda.
73 Vgl. Johansen 1999, S. 386.
74 Vgl. Johansen 1999, S. 387.
19
und ein Vergleich keine Anwendung finden kann.75 Zudem sind alle privatrechtlichen
Ansprüche, zumindest nach hanafitischer Sicht, durch eine ḥadd-Strafe abgegolten, das
heißt:
„Aus diesem Verständnis der ḥudūd resultiert der Grundsatz, daß für Vergehen, die mit
einer Strafe des ‚öffentlichen Rechts‘ gesühnt sind, nicht gleichzeitig eine privatrechtliche
Entschädigung beantragt werden kann. Die ḥadd-Strafe beinhalte eine Abgeltung des
gesamten Delikts, so dass für privatrechtliche Ansprüche die Rechtsgrundlage entfalle.“76
Damit entfällt auch ein anschließender ṣulḥ im Sinne des Täter-Opfer-Ausgleichs. Das
unter 2.4 beschriebene Beispiel eines Vergleichs zwischen einem Ehepaar und einem
Mann, dem Diffamierung vorgeworfen wurde, könnte also in dieser Form nach
hanafitischer Auffassung nicht auf einen Fall der Verleumdung wegen Unzucht
angewendet werden. Ein Vergleichsverfahren findet nicht statt, weil der Rechtsanspruch
der Geschädigten durch einen Prozess zwar berücksichtigt, aber nicht separat materiell
erfüllt wird.77
Im Grundsatz gilt, dass ṣulḥ diesen Regeln im Besonderen und den Vorgaben der šarīʿa im
Allgemeinen folgen muss, sonst gilt das Ergebnis eines solchen Verfahrens als nicht
rechtswirksam und kann aufgehoben werden. Aus dem Grunde werden auch gewisse
Ansprüche an Personen gesetzt, welche als Schlichter auftreten.
2.7 Die Anforderungen an einen Schlichter
Findet ein Einigungsverfahren unter Mitwirkung einer dritten Partei als Schlichter statt,
muss diese gewisse Anforderungen erfüllen. Nach Ansicht der Gelehrten müssen die
75 Vgl. ebenda. Anmerkung: Nicht nur hanafitische Gelehrte vertreten diese Sicht, auch andere Quellen
geben an, dass ṣulḥ in solchen Fällen keine Anwendung finden kann. Vgl. Rashid 2004, S. 99 – 100.
76 Johansen 1999, S. 388.
77 Vgl. Johansen 1999, S. 389.
20
Schlichter oder Schiedsrichter volljährige, zurechnungsfähige Muslime sein.78 Zusätzlich
wird von einigen behauptet, dass nur zuverlässige Muslime männlichen Geschlechts dazu
in
der
Lage
seien.79
Da
in
einigen
Fällen
dem
Schlichter
eine
gewisse
Entscheidungsbefugnis zukommt, werden Kenntnisse der šarīʿa für notwendig befunden.
Andernfalls bestehe die Gefahr, dass ein Richter einen mangelbehafteten Friedensschluss
für ungültig erklärt.80
Jedoch
herrscht
kein
Konsens
innerhalb
der
Gemeinschaft
der
klassischen
Rechtsgelehrten. Die Anhänger der verschiedenen Rechtsschulen sind sich insbesondere
uneinig, ob Frauen als Schiedsrichter oder Schlichter zugelassen werden können.81 Die
Gegner berufen sich nach Analogieschluss (qiyās) auf das Verbot von Frauen in der
Rechtsprechung, welches auch bei dem Amt als Schlichter Anwendung finden sollte.82 Die
Befürworter dagegen vertreten die Ansicht, dass Frauen wie Männer grundsätzlich dazu
in der Lage sind, Konflikte zu hinterfragen und Argumente der Parteien zu verstehen. 83
Zudem seien historische Beispiele bekannt, bei denen Frauen solche oder ähnliche Ämter
begleitet haben.84
Festzuhalten ist, dass die Quellen der šarīʿa kein direktes Verbot hinsichtlich von Frauen
als Schlichter aussprechen.85
78 Vgl. Alsheikh 2011, S. 383.
79 Vgl. Alsheikh 2011, S. 384.
80 Vgl. Alsheikh 2011, S. 386.
81 Anmerkung: Die hier dargestellten Argumente gelten für die klassische Rechtslehre und finden nur
vereinzelt Anwendung in der Moderne. Zu beachten ist, dass in diversen arabischen und islamischen
Ländern heute Frauen sowohl Richter, Anwälte als auch Schiedsrichter und Schlichter sein können und sind.
82 Vgl. ebenda.
83 Vgl. Alsheikh 2011, S. 387.
84 Vgl. ebenda.
85 Vgl. ebenda.
21
3 Das Verständnis von taḥkīm
3.1 Taḥkīm als Schiedsgericht
Da das dargestellte Verständnis des ṣulḥ sowohl eine der am häufigsten beschriebenen als
auch vielseitigsten Methoden der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ist, wurde sie im
vorangegangen Teil umfangreich behandelt. Jedoch werden noch andere Wege und
Methoden genannt, welche etwas weniger ausführlich aufgezeigt werden sollen.
Zunächst steht taḥkīm im Fokus, welches sich am ehesten als Schiedsgerichtsverfahren
übersetzen und beschreiben lässt.
Auch für diese Methode gibt es eine Quelle im Quran86:
„wa-ˈin ḫiftum šiqāqa baynihimā fa-bʿaṯū ḥakaman min ahlihī wa-ḥakaman min ahlihā in
yurīdā iṣlāḥan yuwaffiqi llāhu baynahumā inna llāha kāna ʿalīman ḫabīran.“87
Hierbei steht ḥakam88 für die Schiedsrichter, von welchen es mindestens zwei geben soll,
zumindest in Schiedsgerichtsverfahren bei Ehestreitigkeiten. Der Quran spricht hierbei
also direkt eine Empfehlung für Schiedsverfahren bei ehelichen Konflikten aus.
An einem solchen Beispiel lässt sich das Verfahren auch recht gut erklären. Die
Rechtsgelehrten bezeichnen taḥkīm als Abkommen zerstrittener Parteien, einen Disput
durch Berufung einer geeigneten dritten Partei unter Anwendung islamischer Normen
und Regeln beizulegen.89 Auch in der Mecelle findet sich der Begriff ähnlich definiert
86 Anmerkung: Zwar wird nicht direkt von taḥkīm als Verfahren gesprochen, jedoch von den
Schiedsrichtern (ḥakam), welche einen solchen durchführen. So bedeutet taḥkīm in etwa so viel wie
„jemanden zum Schiedsrichter erklären“. Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 3.
87 Quran, Sure 4: 35. Übersetzung: „Und so ihr einen Bruch zwischen beiden [Mann und Frau] befürchtet,
dann sendet einen Schiedsrichter von ihrer Familie und einen Schiedsrichter von seiner Familie. Wollen sie
sich aussöhnen, so wird Allah Frieden zwischen ihnen stiften. Siehe, Allah ist wissend und weise.“ Vgl.
Henning 1968, S. 77.
88 Anmerkung: Die Wurzel ḥ-k-m steht unter anderem für „urteilen“, „entscheiden“ und „beurteilen“.
89 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 3 – 4.
22
wieder. Allerdings ist er unter Art. 1790, das heißt im kitāb al-qaḍāʾ (Buch über die
Gerichtsbarkeit), zu finden. Dort heißt es:
„‘Tahkim‘ consists of two litigating parties employing another person as judge by the
consent of both, to decide their litigation and claims in Court. The person is called hakem
and muhakim.”90
Gemäß dem Artikel der Mecelle ist ein Schiedsverfahren nicht auf Ehekonflikte
beschränkt. In einigen Quellen werden vermögensrechtliche Dispute ebenfalls als durch
solche Schiedsverfahren lösbar betrachtet.91 Allerdings gilt wie bei ṣulḥ, dass die Methode
auf privatrechtliche Konflikte beschränkt ist.92 Somit sind Rechtsansprüche der
Allgemeinheit beziehungsweise Gottes (ḥuqūq Allāh) ausgenommen, ḥadd-Strafen und
andere physische Sanktionen können nicht verhängt werden.93 Nähere Erläuterungen
finden sich dazu im nächsten Kapitel.
Wie das ṣulḥ-Verfahren hat auch taḥkīm seine Wurzeln bereits in vorislamischer Zeit. Die
Rolle des ḥakam nahmen dabei Stammesälteste, -führer oder andere erfahrene und für
ihre Weisheit geachtete Personen ein. Zwar war das Urteil des ḥakam nicht direkt
durchsetzbar, es herrschte jedoch ein moralischer Druck auf den Konfliktparteien, sich an
Absprachen zu halten und dem Urteil des Schiedsrichters den gebührenden Respekt
entgegen zu bringen.94 Die Entscheidung Verfahren selbst wie auch die Wahl des ḥakam
wurde von den Parteien freiwillig getroffen.95
90 Tyser 2001, S. 317.
91 Vgl. Fīrbar 2006, S. 8
92 Vgl. ebenda.
93 Vgl. ebenda.
94 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 4 – 5. Anmerkung: Gemäß den Autoren war die Entrichtung eines Pfands als
zusätzliche Durchsetzungsmaßnahme optional.
95 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 5.
23
Es ist anzumerken, dass einige Autoren einen Streit um den schwarzen Stein der Kaaba in
frühislamischer Zeit96 und dessen Lösung als taḥkīm bezeichnen97, während andere hier
von ṣulḥ sprechen. Demnach besteht innerhalb der Forschung zu dem Thema eine
gewisse begriffliche Unschärfe. Gemeinsam ist beiden, dass ihre Wurzeln sich schon vor
Offenbarung des Quran finden lassen und beide als Möglichkeiten, Konflikte friedlich zu
lösen, Beachtung fanden. Daher soll an dieser Stelle der Schwerpunkt auf Beschreibung
der Besonderheiten von taḥkīm im Vergleich zu anderen Methoden liegen.
Während ṣulḥ vor allem bei vermögensrechtlichen Angelegenheiten als Vertrag
verstanden wird, der nicht zwangsläufig unter Mithilfe einer dritten Partei entsteht und
somit dem heutigen rechtswissenschaftlichen Verständnis des Vergleichs ähnelt, verlangt
das Schiedsverfahren die Einbindung eines ḥakam.98 Weiterhin ist das Urteil des
Schiedsrichters nach Ansicht der Mehrheit der Rechtsgelehrten bindend, wobei sich die
Parteien dem Vergleich freiwillig unterwerfen.99 Zudem kann ṣulḥ nur bei bereits
bestehenden Konflikten Anwendung finden, durch taḥkīm ist auch die Verhandlung
zukünftiger Konfliktthemen möglich.100 Zwar können auch öffentlich bestellte Richter als
ḥakam auftreten (dies wird zum Teil sogar empfohlen, da ein qāḍī die notwendigen
Rechtskenntnisse besitzt).101 In jedem Fall wird ein solcher Schiedsrichter aber als private
Institution betrachtet.102
96 Vgl. Fußnote 14.
97 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 5.
98 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 8 – 9.
99 Vgl. ebenda.
100 Vgl. ebenda.
101 Vgl. Fīrbar 2006, S. 8.
102 Vgl. ebenda.
24
Der ḥakam ist an Recht und Gesetz gebunden, ein Schiedsrichter darf nicht nach eigenem
Gutdünken entscheiden. Das Urteil wird anhand der durch die Parteien hervorgebrachten
Positionen und Argumente gefällt.103
3.2 Anwendung und Merkmale des Verfahrens
Zwar ordnet die in 3.1 erwähnte Sure des Quran taḥkīm Konflikten zu, welche im
Eheleben entstehen. Aber auch andere Anwendungsfelder sind vorstellbar. Einigkeit
innerhalb der Rechtsschulen besteht wie bereits erwähnt darin, dass Verstöße gegen die
ḥuqūq Allāh nicht durch taḥkīm verhandelbar sind. Im Gegensatz dazu befürworten die
meisten Rechtsgelehrten jedoch eine Anwendung bei handelsrechtlichen Disputen.104
Nach Syed Khalid Rashid sind die Anhänger der malikitischen Schule zudem offen
gegenüber der Anwendung bei Fällen der Wiedervergeltung (qiṣāṣ).105 Betont werden
sollte im Übrigen, dass eine Verstoßung der Ehefrau (talāq) oder eine Annullierung der
Ehe (fasḫ nikāḥ) nicht durch einen Schiedsrichter verhandelt wird.106 Auch Diebstahl oder
andere Taten, in denen Privatpersonen keine zivilrechtlichen Ansprüche geltend machen
können, werden nicht an einen ḥakam zur Verhandlung gereicht.107
Das Verfahren an sich ist dabei an bestimmte Regeln und Bedingungen geknüpft, um den
Ansprüchen des islamischen Rechts zu genügen. Die Ansprüche variieren dabei in ihren
Grundzügen kaum, auch wenn die Situationen, welche ein Schiedsverfahren nötig
erscheinen lassen, voneinander unterscheiden.
103 Vgl. Fīrbar 2006, S. 9.
104 Vgl. Rashid 2004, S. 104.
105 Vgl. ebenda.
106 Vgl. Rashid 2004, S. 104 – 105. Anmerkung: Der Autor listet an dieser Stelle einige weitere Beispiele
nicht verhandelbarer Fragen auf, dazu gehört zum Beispiel Klärung der Abstammung (nasab).
107 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 27 – 28.
25
Zunächst ist ein Abkommen zu einem taḥkīm notwendig.108 Inhalt des Abkommens ist je
nach Quelle und Disput verschieden, jedoch muss folgendes stets festgehalten werden:
1. Ein Konflikt muss vorliegen, welcher allen Beteiligten bewusst ist und dessen
Lösung von allen gewünscht wird.109
2. Die klare Einverständniserklärung der Parteien (gleich ob natürliche oder
juristische Personen) zum Verfahren muss gegeben sein. Vor allem die
Bevorzugung von taḥkīm gegenüber anderen Verfahren muss ersichtlich
werden.110
3. Die Einigung auf und Einverständniserklärung zu einem ḥakam muss ersichtlich
sein.111
Das Abkommen muss klar und verständlich für alle Beteiligten sein. Bei dem Beispiel eines
ehelichen Streits sind Ehemann und Ehefrau jeweils eine Konfliktpartei. Ebenso wie ein
Schiedsrichter müssen auch die Disputanten bestimmte Kriterien erfüllen: sie müssen die
Pubertät
erreicht
haben
(bulūġ),
persönliche
Reife
zeigen
(rušd)112
und
Zurechnungsfähigkeit (ʿaql) besitzen.113 Dies sind allerdings allgemeine Voraussetzungen
für die volle Geschäfts- und Vertragsfähigkeit einer Person und nicht auf die Möglichkeit,
ein Schiedsverfahren anzustreben, beschränkt.
Es besteht keine Vorgabe bezüglich eines schriftlichen Vertrages, jedoch erscheinen
gerade bei mündlichen Abkommen Zeugen als vorteilhaft.
108 Vgl. Baamir 2010, S. 60 sowie Hak/ Zahraa 2006, S. 11. Anmerkung: Das Abkommen zum Verfahren wird
von Hak und Zahraa ṣīġa genannt und kann auch Rahmenbedingungen des Verfahrens festhalten, wie etwa
Fristen, Ort des Verfahrens et cetera. Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 22 – 24.
109 Vgl. Baamir 2010, S. 60 sowie Hak/ Zahraa 2006, S. 11.
110 Vgl. Baamir 2010, S. 60 sowie Hak/ Zahraa 2006, S. 11.
111 Vgl. Baamir 2010, S. 60 sowie Hak/ Zahraa 2006, S. 11.
112 Anmerkung: Das Wort rušd bedeutet „Bewusstsein“, womit Bewusstsein der Konsequenzen des
eigenen Handelns gemeint ist.
113 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 11 – 12.
26
Für die Durchführung eines taḥkīm-Verfahrens sind fünf Elemente notwendig: (1) die
Anwesenheit der Disputanten beziehungsweise deren Vertreter (muḥakkimūn), (2) die
Anwesenheit der/ des Schiedsrichter/s (muḥakkamūn)114, (3) der Auftrag beziehungsweise
das Abkommen zum Verfahren (ṣīġa), (4) der Streitgegenstand (mawḍūʿ) sowie (5) ein
Urteil (ḥukm) zum Ende des Verfahrens.115
Der Verfahrensverlauf ist als eher informell zu betrachten. Die ḥukām (Plural von ḥakam)
beziehungsweise muḥakkamūn (wie die Schiedsrichter auch genannt werden) sind nicht
an enge Regeln zum Prozessablauf gebunden.116 Schiedsrichter hören sich Standpunkte
und Argumente der Parteien an, sichten mögliche Beweise und urteilen auf Grundlage
dessen.117 Jedoch muss das Verfahren fair und frei von Korruption, Betrug, Arglist oder
anderen Fehlern ablaufen. Das gilt für alle Teilnehmer, Schiedsrichter haben insbesondere
darauf zu achten, Neutralität zu wahren (was weniger bei Ehestreitigkeiten gilt, bei denen
jeweils ein Richter von jeder Partei ernannt wird) und die Konfliktparteien
gleichberechtigt zu behandeln.118 Ein Verfahren, welches den Vorgaben nicht entspricht,
kann durch einen Richter (qāḍī) für ungültig erklärt werden, womit ein Urteil aufgehoben
ist.119 Erweist sich ein muḥakkam als ungeeignet oder bestechlich, darf beziehungsweise
muss er von seinen Pflichten entbunden werden.120 Wird eine Frist für das Verfahren im
Vorfeld ausgemacht, so darf die Urteilsverkündung nur innerhalb dieser Frist erfolgen.121
114 Anmerkung: Der hier erwähnte Plural von muḥakkam ist ein Synonym des Wortes ḥakam, wird aber
spezifisch als Schiedsrichter bei Schiedsverfahren gebraucht. Dagegen lässt sich ḥakam allgemeiner
gebrauchen, etwa als Unparteiischer bei Sportveranstaltungen.
115 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 11.
116 Vgl. Rashid 2004, S. 109.
117 Vgl. ebenda.
118 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 40 – 41.
119 Vgl. Rashid 2004, S. 109. Anmerkung: Ein Urteil kann allerdings auch nur dann aufgehoben werden,
wenn es diesen Vorgaben und anderen der šarīʿa nicht entspricht.
120 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 41.
121 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 40.
27
3.3 Der Schiedsrichter und das Urteil
Es gibt, ebenso wie für Schlichter, bestimmte Vorgaben für Personen, die das Amt des
ḥakam beziehungsweise muḥakkam antreten wollen oder sollen. Auch wenn die Kriterien
nicht so streng sind wie für das Amt eines qāḍī122, so können sie doch als umfangreich
bezeichnet werden. Es muss vorausgeschickt werden, dass bei diesem Thema keine
vollständige Einigkeit unter den Anhängern der verschiedenen Rechtsschulen besteht.
Einhellig wird die Meinung vertreten, dass eine Person, welche als ḥakam auftritt, eine
tadellose Reputation haben muss.123 Zudem sollte der Schlichter ein männlicher Muslim
(daher wird das männliche Fürwort verwendet) und bei guter körperlicher wie geistiger
Verfassung sein.124 Körperliche Gesundheit wird vorausgesetzt, da sonst wohlmöglich
nicht jede Information vom Schiedsrichter wahrgenommen werden kann.125 Nach
Wortlaut des 35. Verses der vierten Sure des Quran ist bei Ehestreiten auch die Berufung
von Nichtmuslimen möglich.126 Auch außerhalb des Gebiets islamischer Herrschaft
erscheint ein Nichtmuslim als Schiedsrichter gegenüber Muslimen als vorstellbar.127 Auch
sehen einige Rechtsgelehrte das Geschlecht als kein Kriterium an, das heißt, auch Frauen
können als Schlichter und Schiedsrichter auftreten. Dabei berufen sie sich auf das Beispiel
des Kalifen ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb, welcher eine Frau zur Marktaufseherin (muḥtasiba)
ernannte und sie damit in ein Amt berief, welches einen ähnlich hohen Stellenwert wie
das des ḥakam hatte und hat.
122 Anmerkung: Einige Rechtsgelehrte legen allerdings die gleichen Kritierien für einen ḥakam wie für
einen qāḍī an, das heißt, ein ḥakam kann nur werden, wer auch die Befähigung zum Amt eines Richters hat.
Ausnahmen gelten allerdings für Fälle, bei denen Ehekonflikte zur Disposition stehen. Vgl. Hak/ Zahraa
2006, S. 14 sowie Rashid 2004, S. 105.
123 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 14 und Rashid 2004, S 105.
124 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 14 und Rashid 2004, S 105.
125 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 18.
126 Vgl. Rashid 2004, S. 105 – 106.
127 Vgl. Rashid 2004, S. 106.
28
Das Urteil des ḥakam, so es denn den Gesetzen und den Sitten entspricht, gilt nach
Ansicht der Mehrheit der Gelehrten als bindend, sobald es ausgesprochen ist.128 Vor der
Urteilsverkündung kann das Verfahren jedoch abgebrochen werden.129 Allerdings wird
auch die Meinung vertreten, dass sobald ein Schiedsrichter ernannt und das Verfahren
eröffnet ist, die Zustimmung zum Verfahren nicht zurückgenommen werden kann.130
Je nach Rechtsschule wird dem Urteil eine hohe Geltung beigemessen. So kann ein qāḍī
es nicht aufheben, auch wenn er eine andere Meinung vertritt als der ḥakam.131 Es kann
daher nur aufgehoben werden, wenn es den Vorgaben der šarīʿa widerspricht.132
4 Beispiele anderer Arten der Streitschlichtung und Vermittlung
4.1 Das Amt des muḥtasib
Auf der vorherigen Seite wurde anhand der Ernennung einer Frau zur muḥtasiba durch
den Kalifen ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb erläutert, warum nach Ansicht einiger auch Frauen als
Schlichter und Schiedsrichter in Frage kommen. An dieser Stelle soll das Amt näher
erläutert und auf seine potentiell streitschlichtende Funktion hin untersucht werden.
Ein muḥtasib beziehungsweise in der weiblichen Form als muḥtasiba hatte in etwa die
Funktion eines Marktaufsehers.133 Daher wurde die Person auch als ʿamīl as-sūq oder
ṣāḥib as-sūq (in etwa: „Schirmherr“ oder „Herr des Marktes“) bezeichnet.134 Der
Aufgabenbereich, welcher mit dem Amt einherging, war aber deutlich umfangreicher als
eine reine Marktaufsicht. Vielmehr oblag es dem muḥtasib direkt Verstöße gegen Moral,
128 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 31 sowie Alsheikh 2011, S. 385.
129 Vgl. Alsheikh 2011, S. 385.
130 Vgl. Hak/ Zahraa 2006, S. 30.
131 Vgl. Alsheikh 2011, S. 386.
132 Vgl. ebenda.
133 Vgl. Islam 2012, S. 34. Anmerkung: Da in der Literatur fast ausschließlich der maskuline Terminus
„muḥtasib“ verwendet wird, wird innerhalb dieser Arbeit zur besseren Lesbarkeit ebenso verfahren werden.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es Beispiele für weibliche Marktaufseher gab.
134 Mottahedeh/ Stilt 2010, S. 735.
29
Sitte und Recht im öffentlichen Raum zu beanstanden.135 Jedoch gingen die Kompetenzen
keinesfalls soweit wie die der Polizei heutzutage.136
Aufgrund seiner weitreichenden Befugnisse konnte ein muḥtasib schnell bei Konflikten im
öffentlichen Raum vermittelnd oder entscheidend wirken. Entsteht etwa ein Streit um ein
unlauteres Geschäft, weil die Ware nicht in einem beschriebenen Zustand ist, oder
Maßeinheiten (beispielsweise Gewichte) nicht korrekt sind, kann der Marktaufseher den
Sachverhalt prüfen und ein Urteil fällen. So wird zeitnah Recht gesprochen, ohne einen
qāḍī zu bemühen oder ein Gerichtsverfahren anstreben zu müssen. Die Beteiligten hatten
sich in dem Falle dem Urteil zu beugen, auch weil das Amt von hochangesehenen
Personen bekleidet wurde, etwa dem späteren Kalifen ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb.137 Somit
bestand ein hoher sozialer Druck, den Anweisungen zu folgen.
4.2 Die Vermittlung wasāṭa
Der Begriff wasāṭa findet heute in einigen Ländern Gebrauch als „Mediation“, auch im
Verständnis etwa des deutschen Gesetzgebers in § 1 Abs. 1 MediationsG. Auch
„Fürsprache“ oder „Vermittlung“ sind adäquate Übersetzungen des arabischen Wortes. In
der frühen Geschichte des Islam taucht der Begriff in einem ähnlichen Kontext in der
Literatur auf, Beispiele von wasāṭa finden sich aber vor allem in Situation wieder, in
denen potentiell bewaffnete Konflikte vermieden wurden beziehungsweise kurz davor
deeskalierend auf die Parteien eingewirkt wurde.138
Die Funktion des Schlichters kann nach Said Bouheraoua von einer oder mehreren
Person(en) eingenommen werden. Auch war die Aufnahme der Tätigkeit als Vermittler
135 Vgl. Mottahedeh/ Stilt 2010, S. 737. Anmerkung: Als Beispiel wird etwa das Beanstanden von Verstößen
gegen die Kleidungsordnung (Verhüllung der Frauen) genannt. Auch hatte ein muḥtasib Mitspracherecht
bei Wahl eines Bauplatzes für Gebäude. Vgl. Islam 2012, S. 34 – 35.
136 Vgl. Mottahedeh/ Stilt 2010, S. 737 – 739. Anmerkung: Die Autoren stellen jedoch fest, dass zu diesem
Amt durchaus auch eine Sanktionskompetenz gehören kann.
137 Vgl. Islam 2012, S. 35.
138 Vgl. Bouheraoua 2008, S. 5.
30
auf Eigenitiative oder auf Anfrage möglich. Wichtig war vor allem, dass der oder die
Vermittler bei allen Konfliktparteien eine hohe Reputation genossen.139
4.3 Die Rechtsgutachten fatāwā
Auch Laien und Nicht-Muslimen ist das Wort fatwā (Plural: fatāwā) nicht unbekannt.
Gemeint sind damit Rechtsauskünfte, Rechtsgutachten oder Meinungen zu einem
Sachverhalt, welche durch einen muftin (determiniert: al-muftī) angefertigt oder getätigt
werden. Diese Auskunft bezieht sich auf eine Fragestellung, welche nach den Normen der
šarīʿa unter Verweis auf die Rechtsquellen gelöst wurde und wird.140
Ein möglicher Schlichtungscharakter hat ein fatwā insofern, als das Privatpersonen unter
Umständen bei (šarīʿa-)rechtlichen Unklarheiten einen von Ihnen anerkannten muftin um
Auskunft hinsichtlich eines Streits bitten konnten beziehungsweise können. Gesetzt dem
Falle, der Auskunft Gebende stellt(e) für alle Konfliktparteien eine Autorität dar, kann das
Gutachten eine Lösung des Problems darstellen. Das gilt auch für Auskünfte, welche
bereits erteilt und literarisch festgehalten wurden sind, etwa in sogenannten „FatwaSammlungen“.141 Besondere Relevanz bekamen und bekommen fatāwā für Muslime
dadurch, dass häufig Alltagsthemen und tatsächlich relevante Sachverhalte aufgegriffen
werden.142 Einmal herangezogen, sollten sich die Antwort Suchenden dem Gutachten
unterwerfen, eine Befragung etwa eines weiteren muftin, weil das Ergebnis nicht wie
gewünscht ausfällt, ist nicht zulässig.143
Problematisch hierbei ist, dass nicht immer eine Einigung über die Autorität des muftī
erzielt werden konnte, da diese mit dem Ansehen des Gelehrten verbunden und damit
139 Vgl. Bouheraoua 2008, S. 2 – 5.
140 Vgl. Ergene 2009, S. 229.
141 Vgl. Johansen 1999, S. 452.
142 Vgl. Johansen 1999, S. 449.
143 Vgl. ebenda.
31
keine objektive Größe war.144 Auch kamen Anhänger einer Rechtsschule im Verlauf der
Geschichte zu verschieden Ansichten.145
5 Beispiele und Probleme der Konflikteinigung in der Moderne
5.1 Außergerichtliche Einigung in Saudi-Arabien
Der Vorfall einer Ehrverletzung in Libyen (Kapitel 2.4), der sich im letzten Jahrhundert
zutrug, zeigt bereits, dass die bisher genannten Streitschlichtungsmodelle nicht nur
Anwendung im Stammesrecht oder im Recht der frühen islamischen Gemeinde fanden,
sondern auch im modernen Privatrecht Einzug gehalten oder dieses mit beeinflusst
haben. Ein weiteres Beispiel findet sich im saudi-arabischen Gesetz, welches nach
eigenem Anspruch auf der šarīʿa basiert.
Die rechtliche Grundlage für außergerichtliche Einigung in Saudi-Arabien stellt im
Wesentlichen die Schiedsverfahrensverordnung von 1983 dar, welche im Jahr 2012
umfangreich reformiert wurde. Mithin ist niẓām at-taḥkīm aṣ-ṣādir bi-l-marsūm al-maliki
raqm 34/m al-muʾarraḫ 24/5/1433 al-mawāfiq 16/4/2012 (Schiedsverfahrensverordnung
erlassen durch königliche Anordnung Nr. 34/m vom 24.5.1433 AH beziehungsweise
16.4.2012 n. Chr. - SchiedsVfG SAU 2012) die derzeit gültige gesetzliche Basis für
Konflikteinigung bei kommerziellen Angelegenheiten und findet explizit keine Anwendung
bei Fällen aus dem Personalstatut (Art. 2 SchiedsVfG SAU 2012). In der Verordnung finden
sich viele bereits genannte Merkmale islamisch geprägter Schiedsverfahren, also taḥkīm
wieder. So kodifizieren etwa Art. 14 – 16 SchiedsVfG SAU 2012 Vorgaben, welche schon
unter 3.2 genannt wurden.
In
privatrechtlichen
Angelegenheiten,
etwa
Vertragsstreitigkeiten
zwischen
Geschäftspartnern, ist die Anwendung von Schiedsgerichtsbarkeit und Schlichtung oder
144 Vgl. ebenda.
145 Vgl. ebenda.
32
Vergleich nicht ungewöhnlich.146 In der Anwendung zeigen sich diverse Ähnlichkeiten zu
vergleichbaren Verfahren aus dem westlichen Recht. Allerdings gibt es, bedingt durch das
islamische Verständnis solcher Konflikteinigungsmethoden, einige Auffälligkeiten, die
nicht selten wirtschaftliche Akteure aus dem Ausland vor Herausforderungen stellen, da
sie mit diesem Verständnis nicht vertraut sind.147
Da in dem vorangegangenen Teil der Arbeit die Besonderheiten islamisch geprägter
Konfliktlösung erläutert wurden, soll an dieser Stelle weniger auf die Merkmale
außergerichtlicher
Einigung
in
Saudi-Arabien
eingegangen
als
vielmehr
die
Herausforderungen für nicht mit dem Rechtssystem vertraute Parteien näher betrachtet
werden.148 Es ist anzumerken, dass die aktuelle Verordnung von 2012 deutlich stärker auf
internationale wirtschaftliche Anforderungen eingeht, als das bei der Verordnung von
1983 der Fall war. Beispielhaft dafür sei Art. 3 SchiedsVfG SAU 2012 genannt.
Das erste Problem ergibt sich aus der Verwendung von Schiedsklauseln in Verträgen
zwischen Geschäftspartnern, wie es mittlerweile in der internationalen Wirtschaft üblich
ist. Auch wenn man von einer Präferenz der außergerichtlichen Einigung im Islam
sprechen kann, so ist doch die Zusage zu einem Schiedsgericht vor Auftreten eines
Konfliktes nach islamischem Recht heikel. Wie etwa in Kapitel 3.2 dargestellt, ist die
eindeutige Zustimmung der Konfliktparteien zu einem Einigungsverfahren wesentlich.
Diese kann aber nur erfolgen, wenn die Situation und die Konsequenzen für alle
Beteiligten absehbar sind. Bei unbekannten Konfliktsituationen ist das nicht immer der
Fall.149 Zumindest war eine solche Vereinbarung bis zum Erlass der Verordnung von 2012
rechtlich angreifbar durch einigungsunwillige Parteien.150 Aus Sicht des Autors der
146 Vgl. Sayen 2003, S. 906.
147 Vgl. ebenda
148 Anmerkung: Im Gesetz von 2012 sind alle Vorgaben zu finden, anhand der Erläuterungen in diesem
Kapitel soll exemplarisch auch auf die Inhalte der Verordnung eingegangen werden.
149 Vgl. Baamir 2010, S. 74.
150 Vgl. Sayen 2003, S. 915.
33
vorliegenden Arbeit wird der Umstand nicht komplett ausgeräumt, da nach Art. 5
SchiedsVfG SAU 2012 Schiedsklauseln nur dann gültig sind, wenn sie nicht in Widerspruch
zu den Vorgaben der šarīʿa stehen.
Auch das Verfahren an sich muss der šarīʿa entsprechen. So sind durch Art. 25
SchiedsVfG SAU 2012 alle diesbezüglichen Regelungen wirkungslos, wenn sie dieser
entgegenstehen.
Weiterhin nicht abschließend geklärt ist die Frage nach Ergebnis des Verfahrens und
Durchsetzung des Schiedsspruches. Nach Art. 50 SchiedsVfG SAU muss ein Urteil šarīʿarechtlichen Normen folgen. Die Bedeutung dessen ist für Außenstehende nicht immer
leicht zu erfassen und kann zu Missverständnissen führen.151
Häufig wurden ungenügende oder ungenaue Vorgaben bezüglich der Durchsetzbarkeit
von Schiedsurteilen kritisiert.152 Die Schiedsverfahrensverordnung versucht durch Art. 52
– 54 SchiedsVfG SAU diesen Umstand abzustellen. Ob dies gelingt muss die weitere Praxis
zeigen.
Aufgrund der Schwierigkeiten für nicht-saudische natürliche und juristische Personen
empfiehlt Georg Sayen insbesondere bei handelsrechtlichen Disputen eher die
Anwendung von ṣulḥ, bei welchem die šarīʿa vor allem für die Konfliktparteien mehr
Spielräume lässt. Als Hauptgrund dafür sieht er die Tatsache, dass das Ergebnis eines ṣulḥVerfahrens wie ein neuer Vertrag gewertet wird.153 Gerade Konflikte im Rahmen von
Langzeit-Verträgen können so wirksamer gelöst werden, ohne gewisse Risiken eines
taḥkīm eingehen zu müssen.154
151 Vgl. Sayen 2003, S. 918. Anmerkung: Ursache dafür ist die Vielfältigkeit der Interpretationen, was die
šarīʿa tatsächlich vorgibt und wie Sachverhalte geregelt sind. Diese Vielfältigkeit ist für Außenstehende
häufig kaum zu überblicken und deren Auswirkungen durch sie selbst kaum vorherzusehen.
152 Vgl. Baamier 2010, S. 138 sowie Sayen 2003, S. 941 – 944.
153 Vgl. Sayen 2003, S. 946.
154 Vgl. ebenda.
34
5.2 Die wasāṭa im jordanischen Recht
Auch Jordanien nutzt die Mittel außergerichtlicher Konflikteinigung, einerseits für
nachhaltigere Lösungen, als auch um die eigenen Gerichte zu entlasten.155 Während ṣulḥ
als Schlichtung bekannt ist und in Jordanien nach Berichten der Justizbehörde häufig
Anwendung findet, ist wasāṭa in der Form nach jordanischem Recht noch relativ
unbekannt.
Gerichtliche Schlichtungsinstanzen sind zahlreich in Jordanien, so gab es nach Berichten
des jordanischen Justizrats (al-maǧlis al-qaḍāʾī al-urdunī) im Jahr 2013 genau 266 Richter,
welche als Friedens- oder Schiedsrichter auftraten.156
Diese
verhandelten 248.812 Fälle.157 Die große Zahl an Schlichtungsverfahren, obschon nicht
bekannt worum es sich dabei im Einzelnen handelte, verdeutlicht doch die Bedeutung
von ṣulḥ im heutigen Jordanien.
Mediation, oder wasāṭa ist vergleichsweise neu und geht auf ein Gesetz von 2006, das
qānūn al-wasāṭa li- taswīyat an-nizāʿāt al-mudunīya raqm 12 li-sana 2006
(Mediationsgesetz zur Beilegung von Zivilrechtsstreitigen Nr. 12 von 2006), kurz
MediationsG JO 2006 zurück. Ein Blick auf das Gesetz zeigt, dass es sich hierbei um eine
Art „Mischform“ zwischen Mediation nach westlichem, etwa deutschem Verständnis im
Sinne des Gesetzgebers, als auch um Konflikteinigung nach islamischer Auffassung
handelt. Zum Vergleich wird hier das deutsche Mediationsgesetz (zu besseren Trennung
hier abgekürzt: MediationsG DEU) von 2012 herangezogen.
Zunächst ist wasāṭa gerichtsnah ausgelegt und wird durch Richter durchgeführt, auch
wenn sogenannte Privat- oder Spezialmediatoren (wusaṭāʾ ḫuṣūsiyyūn) zugelassen sind,
welche jedoch bevorzugt Anwälte und ehemalige Richter (oder ähnlich befähigte
155 Vgl. Jahresbericht des jordanischen Justizrats 2011, S. 98 – 99.
156 Vgl. Jahresbericht des jordanischen Justizrats 2013, S. 19.
157 Vgl. ebenda.
35
Personen) sein sollen (Art. 2 MediationsG JO 2006), die Mediation kann auch durch einen
Richter empfohlen werden (Art. 3).
Dagegen wird in Deutschland deutlich mehr Wert auf ein freiwilliges Verfahren unter
Verantwortung der Konfliktparteien gelegt (Art. 2 MediationsG DEU). Das Gesetz sieht
nicht explizit vor, dass die Mediation an Gerichten durchgeführt werden muss, während
Jordanien zu dem Zwecke gesondert eine Behörde innerhalb der Gerichte erster Instanz
eingeführt hat (Art. 2 MediationsG JO 2006).
Auch die Ernennung von Mediatoren erfolgt unterschiedlich. Nach deutschem Recht ist
eine Tätigkeit als Richter oder Anwalt beziehungsweise eine Befähigung dazu nicht
vorgesehen, es muss lediglich der Mediation angemessene Kompetenzen durch Aus- und
Fortbildung sowie praktische Erfahrung erworben und nachgewiesen werden (Art. 5
MediationsG DEU).
Die körperliche Anwesenheit aller Parteien beziehungsweise ihrer Vertreter ist in
Jordanien gesetzlich angeordnet (Art. 5 MediationsG JO 2006). Unentschuldigtes Fehlen
kann mit durch einen Richter angeordneten Geldstrafen geahndet werden (Art. 7
MediationsG JO 2006). Solche Vorgaben kennt das deutsche Mediationsgesetz nicht, es
ist jedoch professionellen Mediatoren möglich, Vertragsstrafen in ihre allgemeinen
Geschäftsbedingungen aufzunehmen.
Zudem ist es Mediatoren in Jordanien per Gesetz gestattet, die eigene Meinung, Wertung
und Erfahrung zur Lösung des Falls in das Verfahren zu bringen (Art. 6 MediationsG JO
2006). Zudem kann ein jordanischer Mediator Beweise bewerten und auf gerichtliche
Urteile verweisen (Art. 6 MediationsG JO 2006). Solcherlei wird zwar nicht durch das
deutsche Mediationsgesetz verboten, ist jedoch auch nicht explizit gestattet.
Die Unterschiede ergeben sich vermutlich aus dem rechtskulturellen Hintergrund.
Während Deutschland in seinem Mediationsgesetz viel Wert auf Eigenverantwortlichkeit
der Bürger, Freiwilligkeit und Verfahrensfreiheit lässt, spielen andere Werte in Jordanien
36
nach Ansicht des Autors eine größere Rolle. Dem Amt des Mediators wird in Jordanien
eine hohe Verantwortung beigemessen und das Amt hat per Gesetz vergleichsweise
weitreichende Kompetenzen. Die Hürden zu diesem Amt sind zumindest für gerichtsnahe
Mediatoren recht hoch, woran sich womöglich die Ansprüche an vergleichbare Positionen
innerhalb des Islam widerspiegeln. Ähnliches lässt sich über die Wertung von Beweisen
und die Einbeziehung richterlicher Urteile behaupten. Hier zeigen sich deutliche Anleihen
aus dem taḥkīm wieder.
Gleichwohl ist zu beachten, dass wasāṭa (nach bisherigem Kenntnisstand) mit einigen
tausend Fällen pro Jahr in Jordanien noch eine eher geringere Rolle spielt.158
5.3 Konflikteinigung unter Muslimen in der Diaspora
Da eine große Zahl von Muslimen mittlerweile außerhalb des Geltungsbereiches des
islamischen Rechts oder muslimischer Herrscher beziehungsweise Regierungen leben, soll
ein abschließender Blick auf die Verwendung von Konflikteinigungsmethoden nach
islamischer Auffassung unter fremden Rechtssystemen und Rechtsansprüchen geworfen
werden.
In Großbritannien gibt es seit 1982 sogenannte Sharia Councils unter staatlicher
Anerkennung. Diese können bei privatrechtlichen Angelegenheiten vermitteln, wie es
gemäß den Vorgaben von taḥkīm oder ṣulḥ auch möglich ist.159 Die durch solche Sharia
158 Vgl. Jahresbericht des jordanischen Justizrats 2011, S. 99 – 100.
159 Vgl. Schirrmacher 2013, S. 13.
37
Councils gefällten Urteile haben zunächst nur per Gesetz Empfehlungscharakter. Die
Parteien können sich diesen freiwillig unterwerfen.160
Auf Grundlage des Arbitration Acts wurden 1991 ähnliche Stellen in Ontario, Kanada
eingeführt, welche jedoch nach diversen Debatten im Jahr 2005 in ihrem Kompetenzen
stark eingeschränkt wurden, aber immer noch Empfehlungen aussprechen können.161
In Deutschland bestehen solcher Behörden oder offiziellen Stellen nicht, jedoch ist eine
Art „muslimischer Konflikteinigung“ auf Basis des Mediationsgesetzes denkbar. Solange
die Ergebnisse solcher Mediation nicht gegen deutsches Gesetz sowie Sitte und Norm
verstoßen, sind sie legitim und können wie Verträge behandelt werden.162
Als problematisch gelten jedoch Spannungen, die aus den unterschiedlichen Rechts- und
Konfliktauffassungen ergeben. So wurden eine „Sharia-Gerichtsbarkeit“ in Ontario
deswegen eingeschränkt, weil Forderungen nach einer nur für Muslime gültigen, neben
der
kanadischen
existierenden
Gerichtsbarkeit
für
starke
Irritationen
und
gesellschaftlichen Widerstand sorgten.163
Auch in Großbritannien gelten die Sharia Councils als kontrovers. Zwar haben diese
Stellen formal keine Kompetenz, die dem eines Richters in Großbritannien gleich kommt.
Jedoch kann insbesondere innerhalb der britischen muslimischen Gemeinschaft eine
hohe Tragweite dadurch entstehen, dass innerhalb dieser Gemeinschaft das Urteil als
rechtskräftig und durchsetzbar wahrgenommen wird.164 Die Islamwissenschaftlerin
Christine Schirrmacher benennt das Beispiel einer Scheidung eines muslimischen Paares,
160 Vgl. ebenda.
161 Vgl. Schirrmacher 2013, S. 17 – 18.
162 Vgl. Schirrmacher 2013, S. 22.
163 Vgl. Schirrmacher 2013, S. 17 – 19.
164 Vgl. Schirrmacher 2013, S. 15 – 16.
38
welche erst dann für viele Muslime als rechtmäßig gilt, wenn durch einen islamischen
Richter durchgeführt.165
In Deutschland wiederum können nach Christine Schirrmacher Fälle einer Art
„Parallelgerichtsbarkeit“ ausgemacht werden. Dabei handelt es sich nicht um offiziell
errichtete Stellen für Muslime wie in Großbritannien oder Kanada:
„Bei der Thematik der islamischen Friedensrichter in Deutschland geht es jedoch weder
um islamische Schariagerichte noch um ein staatlich anerkanntes Schieds- bzw.
Mediationsverfahren. Vielmehr geht es darum, dass sich in einigen Städten islamische
Friedensrichter als Instanzen zwischen dem deutschen Staat und muslimischen Straftätern
etabliert haben.“ 166
Die Friedensrichter werden gerufen oder bieten aktiv ihre Hilfe an bei Fällen von
Streitigkeiten um Schulden bis hin zu Körperverletzung.167 Ziel der so in die Konflikte
involvierten Schlichter ist es einerseits, eine Eskalation zu vermeiden, wohl aber auch
andererseits „eine strafrechtliche Verfolgung durch die deutsche Justiz möglichst zu
verhindern.“168
Die Methodik entspricht grob dem bisher erläuterten Modell von ṣulḥ als Vergleich, das
heißt, es werden Ausgleichsangebot und die Annahme dessen verhandelt.169 Höchst
kritisch betrachtet Schirrmeister die Verhandlungen da, wo sie im eklatanten Gegensatz
zur deutschen Rechtsordnung stehen, wenn etwa Scheidungen oder gar strafrechtlich
relevante Delikte wie Körperverletzung, Totschlag und Mord Gegenstand der Schlichtung
sind. Häufig werden die Judikative und Exekutive, auch auf Initiative der Schlichter,
165 Vgl. ebenda.
166 Schirrmacher 2013, S. 26
167 Vgl Schirrmeister 2013, S. 26 – 27.
168 Schirrmeister 2013, S. 27.
169 Vgl. ebenda.
39
umgangen, getäuscht oder gezielt falsch informiert.170 Ursache dafür ist nicht nur der
Einfluss der islamischen Friedensrichter, sondern ebenso das Misstrauen gegenüber der
Polizei und Justiz sowie die Geringschätzung von solchen Gemeindemitgliedern, die sich
an die Behörden wenden.171
Weiterhin stellt für Schirrmeister der Hintergrund der Schlichter ein Problem dar: zum
einen verfügen diese kaum über adäquate Rechtskenntnisse, weder in Bezug auf
deutsche
noch
islamische
Normen
und
handeln
nach
subjektivem
Gerechtigkeitsempfinden.172 Zum anderen entstammen die Friedensrichter nicht selten
einem kriminellen Umfeld und haben mithin eigennützige Motive bei der Schlichtung.173
Die deutsche Justiz selbst wiederum hat keine einheitliche Position zu diesen Formen der
Schlichtung. Einerseits wird die Zusammenarbeit mit solchen Schlichtern konsequent
abgelehnt und die Handlungen der Schlichter selbst als Strafvereitelung strafrechtlich
verfolgt. Andererseits werden aufgrund von Überlastung auch derlei Tätigkeiten geduldet,
um zumindest eine Eskalation zu vermeiden.174
Die Islamwissenschaftlerin Schirrmeister resümiert, dass religiöse Gerichtsbarkeit zwar
grundsätzlich zulässig sei im Sinne der freien Ausübung des Glaubens, jedoch keinesfalls
auf Kosten der Integration oder der staatlichen Rechtsordnung geschehen dürfe.175
170 Vgl. Schirrmeister 2013, S. 28 – 32.
171 Vgl. Schirrmeister 2013, S. 28 – 30.
172 Vgl. Schirrmeister 2013, S. 30.
173 Vgl. Schirrmeister 2013, S. 31.
174 Vgl. Schirrmeister 2013, S. 35.
175 Vgl. Schirrmeister, 2013, 42 – 43.
40
6 Fazit
Da im Zuge von Migration und globaler wirtschaftlicher Tätigkeiten immer wieder
privatrechtliche Konflikte entstehen, ist es immer wahrscheinlicher, dass auch
Nichtmuslime mit den hier dargestellten Methoden islamisch geprägter Beilegung in
Kontakt kommen. Es wurde hier der Versuch unternommen, einen Zugang für
Außenstehende und mehr Verständnis für die Besonderheiten zu schaffen.
Zusammenfassend erscheinen als wichtigste Merkmale die Einbindung größerer
Personengruppen in die Lösung, die höhere Bedeutung der Wiederherstellung einer
konfliktfreien Situation, die Betonung des Konzeptes der Ehre und die hohen
Anforderungen an das Amt und die Rolle des Schlichters. Die Ursachen dafür finden sich
in der Sichtweise auf den Konflikt im Islam an sich, die große Bedeutung gesellschaftlicher
Stellung als Durchsetzungsmöglichkeit sowie tendenziell stärkere Unterordnung des
Individuums unter das Kollektiv der Familie und der Gesellschaft.
All dies ist für westliche Parteien und Schlichter womöglich ungewohnt. Größere
Probleme entstehen vermutlich aber aus Unkenntnis der Nichtmuslime gegenüber den
Normen und Werten der šarīʿa einerseits und der Frage der Anerkennung
nichtmuslimischer Rechtsauffassung durch Muslime andererseits. So stellen taḥkīm oder
ṣulḥ keine rechtsfreien Räume dar, können aber gerade in islamischen Ländern für
westliche Parteien unvorhergesehene Ergebnisse haben.
Der Problematik einer möglichen „Paralleljustiz“ lässt sich eventuell mit der Berufung und
Bildung kompetenter muslimischer Schlichter und Schlichtungsstellen unter direkter
Kontrolle etwa deutscher Behörden beikommen. Dafür sind Vorgaben hinsichtlich
Ausbildung und Kompetenz notwendig. Dazu müssen sich aber auch Nichtmuslime mit
41
den dargestellten Methoden beschäftigen, um weder als Konfliktpartei noch als
Kontrollinstanz Fehler aus Gründen der Unwissenheit zu begehen.
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45
Jordanischer Justizrat (al-maǧlis al-qaḍāʾiyya) (Hrsg.): Jahresbericht der Justiz für die Jahre
2011 (taqrīr as-sanawī ʿan aʿmāl as-sulṭa al-qaḍāʾiyya li-lʿām 2011); [Electronic Version];
2012.
Jordanischer Justizrat (al-maǧlis al-qaḍāʾiyya) (Hrsg.): Jahresbericht der Justiz für die Jahre
2013 (taqrīr as-sanawī ʿan aʿmāl as-sulṭa al-qaḍāʾiyya li-lʿām 2013); [Electronic Version];
2014.
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