Franzosenzeit und Mediatisierung

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Franzosenzeit und Mediatisierung
von Volker Dotterweich
'Fällt eine Reichsstadt, so fallen mehrere, fallen mehrere, so fallen alle; fallen die Reichsstädte, so fallen
die kleinen Fürstentümer, fallen die, so hat Deutschland nur zwei Regenten, und diese sind dann ewige
Nebenbuhler, so lange bis hier nur einer regiert.' Diese ahnungsvollen Sätze, die ein Bürger 1789
niederschrieb, können der Augsburger Stadtgeschichte im 19. Jahrhundert gewissermaßen als Motto
voranstehen. Sie verweisen auf die revolutionäre Umgestaltung der politischen Landkarte Mitteleuropas
zuerst durch das napoleonische Frankreich, dann durch den preußischen Militärstaat. Beide stellen
zugleich Wegmarken der deutschen Verfassungsgeschichte dar: Die territoriale Flurbereinigung
Deutschlands infolge der französischen Revolutionskriege und die Gründung des Rheinbundes
(1803-1806) zogen die Auflösung des Alten Reiches nach sich, die gewaltsame Lösung des
preußisch-österreichischen Dualismus und der Deutsch-Französische Krieg (1866 und 1870/71) die
Bismarcksche Reichsgründung. Die erste dieser Wegscheiden markiert zugleich Ende und Neubeginn
einer Epoche in der Augsburger Stadtgeschichte.
Französische Truppen überschreiten den
Lech nach der Schlacht bei Friedberg am
24. August 1796
Die scheinbar frappierende Einsicht, daß die 'Sterbestunde' der Reichsstädte gekommen sei, war im Jahr der Französischen Revolution keineswegs mehr
visionär. Sie war vielmehr Ausdruck eines sicheren Gespürs für die innere Schwäche der Reichsstädte, die Instabilität der Reichsverfassung und die
schwierige außenpolitische Lage, ja Hilflosigkeit der kleineren Herrschaften und Stadtstaaten angesichts des expandierenden fürstlichen Machtstaates.
Denn schon exakt einhundert Jahre vorher, als der französische König Ludwig XIV. mit Kaiser und Reich in Nijmwegen (1678/79) über die Beendigung
des Holländischen Krieges verhandelte, brachte man den Plan ins Gespräch, deutsche Fürsten für größere Gebietsverluste durch Zuspruch von
Reichsstädten zu entschädigen. Knapp zehn Jahre später (1687/88) erwog der Münchener Hof, das Kurfürstentum Bayern durch die Reichsstädte
Regensburg, Nürnberg und Augsburg sowie den zwischen Donau und Inn gelegenen geistlichen Besitz abzurunden, und während des ersten Schlesischen
Krieges (1742) regte Friedrich II. von Preußen an, dem Kaisertum des Wittelsbachers Karl VII. durch Säkularisation und Mediatisierung benachbarter
Bistümer (darunter auch das Hochstift Augsburg) und nicht näher genannter oberdeutscher Reichsstädte eine solide territoriale Grundlage zu geben.
Geistliche Herrschaften und reichsstädtische Stadtstaaten wurden somit bereits im 17. und 18. Jahrhundert als offenbar beliebig verfügbare Objekte
fürstlicher Territorial- und Machtpolitik angesehen und bei Bedarf ohne Skrupel zur Disposition gestellt.
Revolutionskriege
Als die Wogen der Französischen Revolution auf Mitteleuropa übergriffen, die Jakobiner in Paris der Idee von den 'natürlichen Grenzen Galliens'
nachgaben und die Revolutionskriege das Alte Reich bis in seine Fundamente erschütterten, warfen die Großmächte die geistlichen Herrschaften und
Reichsstädte erneut in den Topf der territorialen Kompensationsmasse. Damit wurde, wie lange befürchtet, das Prinzip der Säkularisation und
Mediatisierung, wie man die Annexion von geistlichen und weltlichen Reichsständen verschleiernd umschrieb, für das Hochstift und die Reichsstadt
Augsburg zur existentiellen Gefahr.
Seit 1792 standen Österreich und Preußen, seit der Hinrichtung König Ludwigs XVI. und der Bildung einer großen, gegen die Revolution gerichteten
Koalition in Europa die gesamte deutsche Staatenwelt mit Frankreich im Krieg. Der österreichisch-preußische Feldzug scheiterte 1794. Noch im selben
Jahr erfolgte die endgültige Besetzung des linksrheinischen Reichsgebiets durch das französische Revolutionsheer. Im Frieden von Basel (1795) trat
Preußen, in dem von Campo Formio (1797) Österreich aus der Ersten Koalition gegen Frankreich aus. Beide Friedensschlüsse sowie die Verhandlungen
des Friedenskongresses zu Rastatt (1797/98), auf dem sich die Reichsstände zur Verständigung mit Paris zusammenfanden, basierten auf der Abtretung
des linken Rheinufers an Frankreich und dem Prinzip territorialer Kompensationen für die linksrheinisch geschädigten deutschen Fürsten aus der
'Verfügungsmasse' des Reiches. Augsburg, dessen Deputierte Ende Dezember 1797 mit 'vieler Mühe und Ausforschungen'herausgefunden hatten, daß
nicht nur die geistlichen Staaten, sondern auch Reichsstädte zur Entschädigung herhalten sollten, setzte angesichts der bedrückenden Realitäten auf die
französische Karte. Zusammen mit der Reichsstadt Frankfurt votierte es zur Enttäuschung Wiens letztendlich ohne Vorbehalt für die Abtretung des
linksrheinischen Reichsgebiets und die Entschädigung durch Säkularisation. Wenige Monate vor der Auflösung des Friedenskongresses monierte
Österreichs Staatskanzler Thugut, daß sich 'die zwei Reichsstädte [...] beständig so betragen haben, als stünden sie ganz in französischer Abhängigkeit'.
Schon seit Ausbruch der Revolutionskriege lebten die Augsburger in dumpfer Erwartung des Unheils. 'Die Bürger', notierte der schwäbische
Schriftsteller Christian Friedrich Daniel Schubart auf der Durchreise 1793, 'scheinen eine solche Katastrophe zu vermuten und leben meist wie Leute, die
alles aufzehren, damit der Feind nichts mehr bei ihnen finde'. Im Sommer 1796 überschritt General Moreau im Rahmen einer französischen
Großoffensive die Donau. Ohne alle Rücksicht auf einen mit dem Schwäbischen Reichskreis vereinbarten Waffenstillstand rückte er in das militärisch
geräumte Augsburg ein. Zu keinem späteren Zeitpunkt war die Reichsstadt der Gefahr so nahe, zum unmittelbaren Schauplatz der Kampfhandlungen zu
werden wie in jenen Augusttagen, als die Revolutionstruppen die österreichische Armee über den Lech trieben, das rechte Flußufer erstürmten und
Friedberg plünderten.
Die Stadt sah sich von nun an drückendsten Einquartierungen und härtesten Requisitionsforderungen durch die französische Armee, bei wechselnder
Kriegslage auch durch die Kaiserlichen ausgesetzt. Denn nach dem enttäuschenden Verlauf des Rastatter Friedenskongresses erneuerten sich im März
1799 die Kriegswirren. Die kaiserliche Armee behandelte die Reichsstände in ihrem Aufmarschgebiet wie feindliches Territorium. Als wichtiger
Etappenort war Augsburg bald Lazarett, bald Gefangenenlager und Militärdepot, bald alles in einem. Nach österreichischen und russischen
Truppendurchmärschen folgten im Mai des Jahres 1800 französische Kontingente unter Generalleutnant Lacourbe. Noch im selben Jahr mußte der Rat
eine fünffache Steuer beschließen, um eine Brandschatzung von 900.000 Francs, die der Stadt und der Geistlichkeit zu gleichen Teilen auferlegt wurden,
sowie eine Sonderzahlung von 4000 Louisdor in Gold aufzubringen. Hinzu kamen umfangreiche Naturallieferungen an die französische Armee, unter
anderem 50.000 Portionen Brot, 5000 Pfund Fleisch, 30.000 Maß Bier, 500 Maß Wein, 1000 Maß Branntwein, 1000 Ellen Blautuch, 6000 Paar Schuhe
und 600 Paar Offiziersstiefel. Die enormen Kriegslasten und Erpressungen der Jahre 1796 bis 1801 - sie summierten sich allein bis Ende 1799 auf einen
Gesamtwert von 1,1 Mio. Gulden - rissen trotz mehrfacher Steuererhöhungen in den reichsstädtischen Haushalt ein tiefes Loch.
Landeshoheit und Säkularisationsgeschäft
Am Ende des Zweiten Koalitionskrieges, im Frieden von Lunéville 1801, erkannte Kaiser Franz II. den
Rhein als Westgrenze des Reiches und einmal mehr das Entschädigungsprinzip der Säkularisation und
Mediatisierung definitiv an. Darüber hinaus räumte er Frankreich das Recht ein, sich an den
Kompensationsverhandlungen zwischen dem Reich und den geschädigten Fürsten zu beteiligen.
Gleichzeitig trat in Regensburg ein Ausschuß des Reichstages, die Reichsdeputation, zusammen, um
über die Entschädigungsquoten zu beraten, und zwar nach Maßgabe eines russisch-französischen
Entschädigungsplans.
Der Magistrat stand dem drohenden Verlust der Reichsunmittelbarkeit wie gelähmt gegenüber.
Schließlich war Augsburg nach Lage und Bedeutung von Österreich und Bayern gleichermaßen
begehrt. Erst als bekannt wurde, daß sich Nürnberg und Frankfurt durch Verhandlungen ihre
Eigenständigkeit gesichert hätten, entfaltete er eine fieberhafte Aktivität. Die beiden Stadtpfleger baten
den französischen Außenminister Talleyrand um Schutz, beauftragten im April 1802 den Pariser
Gesandten des Landgrafen von Hessen, Freiherrn von Steube, mit der Vertretung der städtischen
Interessen und ließen teils in geheimer, teils in offizieller Mission in Paris und Regensburg verhandeln.
Bald mußten sie erfahren, daß 'ohne Geld nichts', mit Geld aber 'alles' zu erreichen sei.
Als die Säkularisation des Fürstbistums Augsburg und des Reichsstifts St. Ulrich durch Bayern zur
Fürstbischof Klemens Wenzeslaus
Gewißheit wurde, erging an Steube der Auftrag, Augsburg nicht nur die Reichsfreiheit, sondern auch
den gesamten geistlichen Besitz der reichsunmittelbaren Herrschaften innerhalb der Stadtmauern zu sichern. Nicht ohne Grund fürchtete der Magistrat,
nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein, sobald das Kurfürstentum auch nur den Fuß in die Tür gesetzt hatte. Schließlich streckte er sogar die Hand
nach den außerhalb der Ringmauern auf städtischem Grund befindlichen Liegenschaften der Augsburger Mediatklöster und Stifte aus.
Tatsächlich gelang es Augsburg, neben Frankfurt und Nürnberg als einziger der süddeutschen Reichsstädte, die Reichsunmittelbarkeit zu behaupten. Es
hatte dies wohl vor allem der Absicht Napoleons zu verdanken, sich in Süddeutschland einige neutrale, politisch aber machtlose, ganz von Frankreich
abhängige Stützpunkte zu erhalten. Über die volle Landeshoheit hinaus sprach die Reichsdeputation in Regensburg der Stadt das Verfügungsrecht über
ihre Klöster und geistlichen Stiftungen sowie den säkularisierten Kirchenbesitz 'in ihrem Gebiete, sowohl in- als außerhalb der Ringmauern'
(Reichsdeputationshauptschluß, § 27) als Kriegsentschädigung zu. Am 26. November 1802 verkündete der Rat dem Reichsstift St. Ulrich die
Zivilbesitznahme. Dem Fürstbischof Klemens Wenzeslaus, der auch nach der Säkularisation des Hochstifts als Diözesanbischof höchster kirchlicher
Würdenträger in der Stadt blieb, räumte er seine Augsburger Residenz auf Lebenszeit ein.
Aufs Ganze gesehen erwies sich die Säkularisation für Augsburg als höchst zweifelhaftes Geschäft. Denn die gewinnbringenden auswärtigen
Vermögenswerte der Augsburger Stifte und Klöster fielen an Bayern, während die Reichsstadt zwar in den Besitz der Immobilien auf ihrem Grund und
Boden kam, aber die Folgelasten der gemeinsamen Säkularisation - vor allem Pensionszahlungen an die Geistlichen und ehemaligen Klosterinsassen
sowie Tilgung aller Schulden, die auf dem Kirchengut lasteten - anteilig mitzutragen hatte. Sodann weigerte sich das Kurfürstentum kategorisch, sich an
der materiellen Ausstattung der Augsburger Pfarreien durch Rückgabe der für fromme Stiftungen, Benefizien und Bruderschaften bestimmten Kapitalien
zu beteiligen. So machte die Stadt die schmerzliche Erfahrung, daß die Kosten des Säkularisationsgeschäfts wesentlich höher waren als der realisierbare
Säkularisationsgewinn. 'Man ging', wie einer der Ratskonsulenten kritisch urteilte, 'nach der Wolle und kömmt geschoren nachhaus'.
Mediatisierung der Reichsstadt
Die Tatsache, daß sich Augsburg der Mediatisierung entziehen konnte, durchkreuzte das außenpolitische Konzept des leitenden Ministers in München,
Graf Montgelas. Seit seinem berühmten Reformprogramm von 1796, dem Ansbacher Mémoire, und hauptsächlich bei den Rastatter Verhandlungen hatte
Montgelas, damals politischer Ratgeber des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken und bayerischen Thronanwärters Max Joseph, die Umformung der
heterogenen und zersplitterten pfalz-bayerischen Länder zu einem kompakten Mittelstaat im Blick, und zwar mit Hilfe von großzügigen Arrondierungen
in Franken und Schwaben. Die Säkularisation und Mediatisierung von 1803 brachte dem Hause Wittelsbach einen Landgewinn von 33 Quadratmeilen
und einen Bevölkerungszuwachs von rund 15 Prozent. Vor allem aber verwirklichte Montgelas sein politisches Programm. In Ostschwaben widersetzte
sich lediglich noch die Reichsstadt Augsburg, die inselartig inmitten des neubayerischen Gebietes lag, dem fürstlichen Souveränitätsanspruch.
Als im Herbst 1805 der Dritte Koalitionskrieg ausbrach, nutzte Montgelas die Gunst der Stunde. Auf der Grundlage geheimer Bündnisverhandlungen mit
Napoleon (Vertrag von Bogenhausen, 25. August; Würzburger Allianz, 28. September) sicherte er dem Kurfürstentum die Reichsstadt Augsburg und die
vorderösterreichische Markgrafschaft Burgau. Zunächst aber diente Augsburg der französischen Armee als Hauptdepotplatz. Ohne jede Rücksicht auf
die vorher garantierte Neutralität drangen mehr als 30.000 Franzosen in die Stadt ein. Was halfen da die in nahezu kindlicher Naivität aufgestellten
zweisprachigen Schilder 'Reichsstadt Augsburgisches Neutrales Gebieth - Pays neutre de la Ville Impériale d'Augsbourg'. Erneut hatte die Stadt unter
Einquartierungen und Requirierungen schwer zu leiden.
In seiner Ohnmacht stand der Magistrat den folgenden Ereignissen bis zur endgültigen Mediatisierung durch den Brünner Vertrag (9. Dezember) und den
Frieden von Preßburg (26. Dezember) nur noch resignierend gegenüber. Am 21. Dezember 1805 rückten in Augsburg bayerische Truppen ein, am 9.
Februar 1806 reisten die Wortführer der Augsburger Kaufleute nach München, um dem bayerischen König 'die tiefste Ehrerbietung' zu überbringen, am
4. März übergab der französische Stadtkommandant General René die Stadt einer bayerischen Übernahmekommission. Zur selben Stunde versammelten
sich sämtliche Mitglieder des Magistrats und des Stadtgerichts sowie die höheren Beamten auf dem Rathaus zur Vereidigung auf den neuen Souverän.
Die Bürgerschaft enthielt sich jeder offenen Protestkundgebung. Unverhohlene Freude über die politische Veränderung empfand die Augsburger
Kaufmannschaft, die am folgenden Tag einen glänzenden Ball veranstaltete.
Die Gelassenheit, mit der der Magistrat und die Mehrheit der Bürger den Verlust der Reichsfreiheit und Landeshoheit hinnahmen, ja die Erleichterung,
mit der beide Konfessionen den problemlosen Machtwechsel in einem großen Dankfest feierten, hat hauptsächlich in den zermürbenden Belastungen
durch die Revolutionskriege, in der Schwäche von Kaiser und Reich und in der Einsicht ihre Ursache, daß sich Augsburg in einer ausweglosen Lage
befand. Aber auch geopolitische Voraussetzungen, massive politische Gegensätze innerhalb der Bürgerschaft und offenkundige Defekte des
reichsstädtischen Finanz- und Verwaltungssystems erklären, warum sich die Bevölkerung rasch und widerstandslos mit dem Verlust der
Eigenstaatlichkeit abfand:
(1) Augsburg verfügte über keinerlei Hinterland. Aufgrund der Insellage der Stadt hing die ungehinderte Versorgung der Bevölkerung mit
Nahrungsmitteln und Wirtschaftsgütern in hohem Maße von Bayern ab. Durch bayerisches Territorium führten die wichtigsten Handelswege, und
darüber hinaus war es dem Kurfürstentum als Lechanrainer ein leichtes, den reichsstädtischen Manufakturen und Handwerksbetrieben die Wasserkraft
und damit die lebensnotwendige Energiequelle zu entziehen. Fiel Augsburg aus geographischer und ökonomischer Sicht nicht dem 'meistberechtigten
Erben' zu?
Tatsächlich sympathisierten die Augsburger Kaufleute mehrheitlich mit dem Gedanken, die Stadt mit Bayern zu vereinigen, während das
traditionsgebundene Patriziat eine Zeitlang zäh an der Bewahrung der reichsstädtischen Freiheit (und damit seinen einträglichen Pfründen) festhielt. Als
Paris in den Verhandlungen nach dem Frieden von Lunéville für die Garantie der Reichsunmittelbarkeit und das säkularisierte Kirchenvermögen hohe
Ablösesummen forderte, ließen Augsburger Kaufleute den Kurfürsten von Bayern wissen, daß sie 'lieber bayerisch [...] als immediat' wären. Aber auch
innerhalb der reichsstädtischen Regierung selbst bildete sich eine probayerische Fraktion. Ihr Wortführer, Ratskonsulent Hoscher, widersetzte sich
entschieden den Pariser Verhandlungen und bot, als er kein Gehör fand, in München an, die 'Inkorporierung' der Reichsstadt publizistisch vorzubereiten.
(2) Sodann gab es - noch bevor die Kriegswirren den Reichsstädtern ihre Hilflosigkeit drastisch vor Augen führten und das Stadtregiment infolge
fortgesetzter Erpressungen die Steuerschraube weit über die Schmerzgrenze hinaus anzog - in Augsburg Stimmen, die eine freiwillige Aufgabe der
Reichsunmittelbarkeit forderten. Die seit der Jahrhundertwende dann offenkundige Absicht wenigstens eines Teils der Bürger, auf die Eigenstaatlichkeit
der Stadt zu verzichten, hatte somit noch tiefere Gründe.
Ohne Zweifel spielte die Hoffnung der bürgerlichen Oberschicht, in einem größeren Staat stabilere Verhältnisse zu finden, die ausschlaggebende Rolle.
Auch Sympathien für das aufgeklärte Bayern lassen sich ausmachen. Nicht zuletzt aber brachte der Unmut der Bürger über die undurchsichtige,
ineffektive und kostspielige Finanzverwaltung der Reichsstadt, die der bayerische Organisationskommissär Peter von Widnmann als ruinöses
Selbstbedienungssystem geschildert hat, den 'reichsstädtischen Patriotismus' zum Erliegen. Ihre offenkundigen Mängel schlugen sich zum Zeitpunkt des
Übergangs an Bayern in einem Schuldenberg von mehr als 3 Mio. Gulden, einem lange verschleierten jährlichen Haushaltsdefizit von zuletzt 56.000
Gulden und jährlichen Verwaltungskosten von 100.000 Gulden nieder.
(3) Hinzu trat der politische Konflikt zwischen patrizischem Stadtregiment und oppositionellem Bürgertum über die Reform der reichsstädtischen
Verfassung. Seit Jahren schon stand in Augsburg, wie in anderen Reichsstädten auch, die Forderung nach Finanzkontrolle und bürgerlicher
Mitbestimmung auf der Tagesordnung. Nachdem mehrere Reformprojekte am beharrlichen Widerstand des Patriziats gescheitert waren, erreichte der
Konflikt 1803 seinen Höhepunkt. Damals versagten die Kaufleute dem Stadtregiment nicht nur den Kredit, sie erhoben auch gegen jede Anleihe bei
anderen Geldgebern entschieden Einspruch, solange nicht einem Bürgerausschuß die Kontrolle des reichsstädtischen Haushalts übertragen wurde. Als
das Patriziat angesichts leerer Kassen keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich von drei auswärtigen jüdischen Bankhäusern das erforderliche Darlehen
zu besorgen, und diesen als Gegenleistung das Recht einräumte, sich mit ihren Familien in Augsburg auf Dauer niederzulassen, griffen Kaufleute und
Kramerstand zum letzten legalen Mittel: Sie erhoben Verfassungsklage vor dem Reichshofrat in Wien (6. März 1804).
Zu einer Entscheidung der strittigen Verfassungsfrage kam es jedoch nicht mehr. Am 1. Juli 1806 trat Augsburgs letztes reichsstädtisches Regiment
formell zurück, um einem provisorischen königlich-bayerischen Stadtmagistrat Platz zu machen.
Administrative Integration 1806-1817
Erstes Anliegen des bayerischen Staates war die administrative Eingliederung seiner sehr heterogenen
Neuerwerbungen. Auf diese ließ Montgelas die Prinzipien moderner, rationaler Staatsverwaltung nach
französischem Muster, aber auch nach Vorbild der aufgeklärten Monarchien des ausgehenden 18.
Jahrhunderts mit derselben Konsequenz und ohne jede Rücksicht auf das historisch Gewordene
anwenden wie auf die bayerischen Kernlande selbst.
Für Augsburg bedeutete dies die Gleichstellung mit den altbayerischen Munizipalstädten. Der
Wirkungskreis der kommunalen Verwaltung beschränkte sich nunmehr auf das Stadtgebiet im engeren
Sinne, das Vermögen der Stadtgemeinde wurde strikt von dem des Staates getrennt, der Schutz des
Privateigentums sowie die Sicherung der bürgerlichen Freiheiten sollte künftig unabhängigen Gerichten
obliegen. Kernstück der neuen, zunächst provisorischen Stadtverfassung war die Trennung von Justiz,
Verwaltung und Polizei.
Proklamation der Zivilbesitznahme
Augsburgs durch das Königreich Bayer
auf dem Fronhof am 4. März 1806
Alle Bereiche des Justizwesens, die der reichsstädtische Magistrat bis dahin selbst oder durch nachgeordnete Ämter versehen hatte - von der Zivil- und
Strafgerichtsbarkeit über die Führung von Grund- und Hypothekenbüchern bis hin zur protestantischen Ehegerichtsbar-keit - wurden nun einem von der
Verwaltung unabhängigen Stadtgericht unterstellt, das bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900 in Zivilsachen noch nach dem
alten Augsburger Stadtrecht verfuhr. Die Errichtung eines Wechselgerichts erster Instanz (1820 auch eines Wechselappellationsgerichts) und der
Augsburger Börse (für die auf der Kaufleutestube getätigten Wechselgeschäfte) trugen der besonderen Rolle Augsburgs als Handelsstadt Rechnung.
Die örtliche Polizeigewalt wurde einer eigenen Polizeidirektion unterstellt. Diese erhielt darüber hinaus den Auftrag, eine Feuerlösch- und
Beleuchtungsanstalt zu errichten, die bürgerlichen Baumaßnahmen zu kontrollieren und die städtische Armenanstalt zu beaufsichtigen, wodurch die einst
vielfältigen Befugnisse des städtischen Bauamtes drastisch beschnitten wurden.
An die Stelle des Geheimen Rates, der oligarchischen Stadtobrigkeit, trat nach kurzer Übergangszeit ein Verwaltungsrat. Seine Mitglieder - zwei
Bürgermeister und sieben hauptamtliche Stadträte - standen eigenen, festumrissenen Geschäftsbereichen vor, sogenannten 'Bureaus', über deren
Angelegenheiten im Kollegium vorgetragen und beraten wurde. Seine Kompetenzen erstreckten sich unter anderem auf die Verwaltung der städtischen
Einnahmen und Ausgaben, die Oberaufsicht über das Kirchen-, Schul- und Stiftungsvermögen, das Vorschlagsrecht für die Besetzung erledigter Pfarrund Schulmeisterstellen sowie die Erteilung des Bürgerrechts. Alle grundsätzlichen Entscheidungen, zum Beispiel über Erwerb und Veräußerung von
städtischem Grund und Boden, aufwendige Baumaßnahmen oder neue Gemeindeumlagen, mußten durch die vorgesetzte staatliche Mittelbehörde, die
Landesdirektion, genehmigt werden. Bald kam auch das gesamte Augsburger Stiftungsvermögen im Gesamtwert von rund 5,6 Mio. Gulden unter
staatliche Kontrolle.
Für die Münchener Bürokratie war der Verwaltungsrat nicht mehr als ein 'Regierungs-Beamter'. Als solcher hatte er, wie es im Organisationsedikt für
Augsburg von 1807 heißt, die 'Verordnungen und Weisungen der unmittelbar vorgesetzten Landesstelle' zu befolgen. Er stellte also in erster Linie eine
Unterbehörde der staatlichen Zentralverwaltung und nur in höchst bescheidenem Maße ein Organ der kommunalen Selbstverwaltung dar. Diese
Unterordnung kam am augenfälligsten darin zum Ausdruck, daß der Gemeindeverwaltung ein Stadtkommissär an die Seite gestellt wurde, eine Art
'Staatskommissar', der den städtischen Beamten dem Range nach vorging und gegen alle Beschlüsse der städtischen Organe sein Veto einlegen konnte.
Eine der schwierigsten Aufgaben war die Haushaltssanierung und die Reform der städtischen Finanzverwaltung. Alle staatlichen Einnahmen der
Reichsstadt - Steuern, Ungelder und Zölle - flossen nunmehr über ein Königliches Rentamt der Landeskasse, alle städtischen Umlagen und Gebühren der
Stadtkämmerei (Stadtkassieramt) zu. Von den Schulden der Stadt übernahm München rund 2 Mio. Gulden, die restlichen Passiva aus reichsstädtischer
Zeit (1 Mio. Gulden) sollten über eine städtische Schuldentilgungskasse mit Hilfe außerordentlicher Steuern und mit staatlichen Zuschüssen innerhalb
von zwanzig Jahren getilgt werden.
Im Gegenzug trat Augsburg an den bayerischen Staat unter anderem nicht realisierbare Außenstände, Forderungen an die Staatskasse sowie 'entbehrliche'
Im Gegenzug trat Augsburg an den bayerischen Staat unter anderem nicht realisierbare Außenstände, Forderungen an die Staatskasse sowie 'entbehrliche'
Gebäude und Grundstücke im Gesamtwert von rund 700.000 Gulden ab, was etwa der Hälfte des städtischen Immobilienbesitzes entsprach. Gleichwohl
errechneten die bayerischen Beamten aus der Mediatisierung Augsburgs finanziellen Gewinn. Die schwäbische Provinzialhauptkasse ging 1806 von
einem jährlichen Einnahmeüberschuß des Staates in Höhe von 59.000 Gulden aus, das Münchener Finanzministerium kalkulierte gar mit 70.000 Gulden.
Organisationskommissar Widnmann sah sich zur euphorischen Bemerkung veranlaßt, daß Augsburg 'in so manchfaltiger Hinsicht eine der schäzbarsten
Acquisitionen der Krone Baierns' sei.
Nach einem Jahr durchgreifender Reformen zeichneten sich in Augsburg moderne Verwaltungsverhältnisse ab. Über das rigorose Vorgehen des
Montgelas-Staates wurde oft geklagt. Doch in einer Zeit, in der es auf schnelles und konsequentes Handeln ankam, waren Widersprüche, Härten und
auch Ungerechtigkeiten kaum zu vermeiden. Daß sich der Erfolg trotz schwieriger Zeitumstände so rasch einstellte, war der Übernahme wenigstens eines
Teils der bisherigen politischen Führungsschicht und der Mehrheit der reichsstädtischen Beamten in den bayerischen Staatsdienst zu verdanken. Erster
Stadtkommissär wurde der bisherige Geheime Rat Franz Xaver von Pflummern. Auch die definitive Organisation der Stadtverwaltung von 1807 beließ
nahezu alle Ratsstellen in den Händen der traditionellen Oberschicht.
Allein fünf der sieben Stadträte gehörten patrizischen Familien an. Lediglich die Neubesetzung der beiden Bürgermeisterstellen brachte einen
symbolträchtigen Wechsel. Denn neben dem Patrizier und ehemaligen Geheimen Rat Jakob Besserer von Thalfingen wurde mit Johann Christoph von
Zabuesnig der katholische Vorsteher der Kaufleutestube und führende Kopf der einstigen Opposition mit der ersten Würde der Stadt betraut.
Mit Rücksicht auf die Reorganisation der städtischen Finanzen blieb der Verwaltungsrat bis 1813 im Amt. Die personelle Kontinuität an der Spitze der
Stadtverwaltung darf nicht unterschätzt werden. Denn sie milderte die Folgen des bayerischen Gemeindeedikts von 1808. Dieses ersetzte den bisherigen
Verwaltungsrat durch einen fünfköpfigen Munizipalrat, der in Städten mit mehr als 5000 Einwohnern indirekt zu 'wählen' war, das heißt durch
Wahlmänner, die ihrerseits von der örtlichen Polizeidirektion vorgeschlagen und durch das Generalkreiskommissariat ernannt wurden, wie die staatliche
Mittelbehörde nun hieß. Wenig später wurden Amt und Funktion des Stadtkommissärs dem Polizeidirektor übertragen. Ohne dessen 'Wissen und
Genehmigung' konnte der Munizipalrat nichts beschließen. Kaum eine andere Maßnahme der Montgelas-Zeit wurde in den ehemaligen Reichsstädten
demütigender empfunden als eben dieses Gemeindeedikt, das die Kommunen vollends unter Kuratel stellte und ihnen die noch verbliebenen, höchst
bescheidenen Selbstverwaltungsrechte so gut wie ganz entzog.
Die Augsburger nahmen die fortgesetzten Verwaltungsexperimente ohne nennenswerten Widerstand hin. Dennoch wuchs der Unmut über den
bürokratischen Absolutismus der Münchener Regierung. Daran änderte auch die Einführung der bayerischen Konstitution von 1808 nichts. Denn es
waren in erster Linie praktische, in das tägliche Leben unmittelbar eingreifende oder Recht, Gewohnheit und Gefühl verletzende Maßnahmen, welche die
Bevölkerung erregten. Zu ihnen gehörten die den Augsburger Bürgern bislang unbekannten Rekrutierungen zur Feldarmee, hauptsächlich aber auch die
schonungslose Säkularisation der Augsburger Mediatklöster, eine Maßnahme, die der reichsstädtische Magistrat mit Rücksicht auf den katholischen
Bevölkerungsteil noch kurze Zeit vorher nicht durchzuführen gewagt hatte.
Im Juli 1807 mußten die ehemaligen Jesuiten von St. Salvator ihr Kolleg verlassen. Das katholische Gymnasium wurde mit dem evangelischen bei St.
Anna zu einer paritätischen Studienanstalt zusammengelegt. In das verödete Damenstift St. Stephan zog das Generalkommando in Schwaben ein.
Größere Klosteranlagen wie die von St. Ulrich und St. Salvator wurden als Kasernen genutzt. Die Prälatur von Hl. Kreuz besetzte die Artillerie, St.
Georg wurde Militärlazarett und Monturmagazin. Die St. Johannes-Kirche fiel der Anlage eines Paradeplatzes zum Opfer. Sodann wurden sämtliche
Kapellen geschlossen, die Wallfahrten verboten, das Vermögen der Bruderschaften eingezogen und das Kirchensilber (beider Konfessionen) zugunsten
des Fiskus eingeschmolzen. Die klösterlichen Archive, die wertvolleren Bibliotheksbestände (auch der Stadtbibliothek) und die bedeutenderen
Kunstwerke der Klosterkirchen wurden nach München deportiert. Nach der Entfernung der Klostergeistlichen blieben einzelne Augsburger Pfarreien
jahrelang verwaist. Die Zahl der protestantischen Pfarrstellen wurde von 14 auf neun verringert.
So warf das Licht der Aufklärung auf Augsburg lange Schatten. Der hohe und niedere Klerus klagte über den Verlust seines Einflusses, die Bevölkerung
über die Verletzung geheiligter Traditionen. 1812 forderte Augsburg ebenso wie Nürnberg die Wiederherstellung der städtischen Selbstverwaltung. Dann
überlagerten die patriotischen Emotionen in der Zeit der Befreiungskriege die Unzufriedenheit über den bayerischen Zentralismus. Dennoch verdeutlicht
die Absicht, die Interessen der Stadt auf dem Wiener Kongreß zu vertreten und für Augsburg den Status einer 'Bundesstadt' zu erlangen, die politischen
Illusionen, denen sich Teile des Patriziats und der katholischen Geistlichkeit sowie katholische Bevölkerungskreise noch zu einer Zeit hingaben, als die
administrative Eingliederung der Stadt in den bayerischen Staat längst vollzogen war.
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