Politische Partizipation von Frauen

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Politische Partizipation von Frauen
Ein Ländervergleich zwischen
Tschechien und der Slowakei
[Online Version]
August 2012
Verfasser: Johannes Ehrlich und Daniel Gottwald
Kontakt: [email protected]
Die Arbeit steht unter:
Creative Commons
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .................................................................................................................... 1
2. Institutionelle Faktoren ................................................................................................ 2
2.1 Politisches System Tschechiens ................................................................. 2
2.2 Politisches System der Slowakei ............................................................... 3
2.3 Auswirkungen der Systeme auf Frauenanteile ........................................... 4
2.4 Politische Maßnahmen .............................................................................. 8
3. Politische Kultur ......................................................................................................... 9
4. Sozioökonomische Faktoren ...................................................................................... 13
6. Fazit ........................................................................................................................... 16
7. Literaturverzeichnis ................................................................................................... 18
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1: Parlaments und Regierungszusammensetzung 2012 ......................................... 4
Tabelle 2: Frauenanteil EU Parlament 2012. .................................................................... 7
Tabelle 3: Religionszugehörigkeit, Stand 2012. .............................................................. 11
Tabelle 4: Bildungsstand 2011 in Prozent der 15 - 74 Jährigen ....................................... 13
Tabelle 5: Beschäftigtenquote der 15-64 Jährigen, Stand 2011 ....................................... 14
Tabelle 6: Null Stunden formelle Kinderbetreuung......................................................... 15
Abbildung 1: Bruttoeheschließungsziffer ....................................................................... 11
Abbildung 2: Geburtenrate ............................................................................................. 12
1. Einleitung
„Demokratie verdient ihren Namen nicht, wenn sie sich nicht auf Regieren durch Bürger
beruft“1, dennoch sind viele Frauen nicht aktiv in der Politik tätig. Ein mehr an Partizipation
wird allgemein auch als ein mehr an Demokratie verstanden. Die Frage nach der
Gleichstellung von Mann und Frau in den Gesellschaften Europas hat seit dem
Zwanzigsten Jahrhundert und auch heute noch eine große Bedeutung und stößt auf reges
Interesse in der politischen Forschung und Betrachtung von Ländern der Europäischen
Gemeinschaft.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Situation der politischen Partizipation von
Frauen in Tschechien und der Slowakei. Die Betrachtung ist aus mehreren
Gesichtspunkten interessant:
Beide Länder haben mit der Tschechoslowakei eine gemeinsame Vergangenheit. Sie
bildeten eine Nation, die sich 1918 von Österreich-Ungarn abspalten konnte. Nach fast
fünf Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft im Schatten der UdSSR haben sich
beide Nationen 1992 für unabhängig erklärt und sind zudem im Zuge der Osterweiterung
2004 Mitglieder der Europäischen Union geworden. Heute gehören sie zu den kleineren
Mitgliedsstaaten und in den slavischen Kulturkreis Europas.
Beide Länder haben schon früh und in besonderer Art und Weise das Wahlrecht für
Frauen eingeführt und nehmen somit im europäischen Kontext eine eigene und
besondere Rolle ein. Zudem hat gerade die kommunistische Zeit das Rollenverständnis
der Gesellschaft geprägt.
Dennoch kann von keiner ausgeglichenen Beteiligung von Männern und Frauen in der
Politik und anderen Bereichen der Öffentlichkeit gesprochen werden. Die Gründe und
Ursachen, die für diese Situation verantwortlich sind, werden in dieser Arbeit näher
betrachtet.
Die Ausarbeitung ist nach dem Grundmodell von Beate Hoecker2 gegliedert, welches die
drei Bereiche der politischen Partizipation: Institutionelle Faktoren, Politische Kultur,
Sozioökonomische Faktoren aufzeigt und so die Zusammenhänge verschiedener
gesellschaftlicher Faktoren verdeutlicht.
Als Vergleichsmethode dient die „most similar system design-Methode“, da es sich bei
beiden Ländern um sehr ähnliche politische und gesellschaftliche Systeme handelt.
1
2
Dirk Berg-Schlosser/ Ferdinand Müller-Rommel (2006): Vergleichende Politikwissenschaft, Ein
einführendes Studienhandbuch, 4. Auflage, Wiesbaden. S. 168.
Gesine Fuchs / Beate Hoecker (2004): Ohne Frauen nur eine halbe Demokratie, Politische Partizipation in
den osteuropäischen Beitrittsstaaten, Eurokolleg 49, Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin. S. 3.
-1-
Dennoch gibt es einige Unterschiede in den verschiedenen Bereichen, die zusammen mit
ihrer Bedeutung für die politische Partizipation von Frauen herausgearbeitet werden.
Es gibt hierzu einige Basisliteratur, die zumeist im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt
beider Länder entstanden ist, neuere Artikel und vor allem Daten sind in der Regel nur
online einsehbar.
2. Institutionelle Faktoren
Die institutionellen Gegebenheiten sind in allen Ländern maßgeblich für die Partizipation
von Frauen in der Politik verantwortlich. Hierunter fallen vor allem die Regierungs-, Parteiund Wahlsysteme. In diesem Kapitel wird dargelegt, wie diese Faktoren die politische
Partizipation von Frauen in Tschechien und der Slowakei beeinflussen.
Dazu werden zuerst die Systeme beider Länder beschrieben und danach werden die
jeweiligen Auswirkungen analysiert und verglichen.
2.1 Politisches System Tschechiens
Tschechien ist fast 79.000km² groß und hat eine Bevölkerung von rund 10,53 Millionen. 3
Die Verfassung der Tschechischen Republik vom 16. Dezember 1992 sieht ein
parlamentarisches Regierungssystem vor. Dieses setzt sich aus zwei Kammern, dem
Abgeordnetenhaus mit 200 Abgeordneten, und dem Senat mit 81 Mitgliedern,
zusammen.4 Die Regierung, bestehend aus dem Ministerpräsidenten und den jeweiligen
Ministern ist dem Abgeordnetenhaus gegenüber verantwortlich. 5 Das Staatsoberhaupt ist
der Präsident, der von beiden Kammern für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt wird.
Das Amt des Präsidenten ist vor allem repräsentativ und seine Machtbefugnisse sind eher
gering.6
Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden in 14 Wahlbezirken für vier Jahre durch
Verhältniswahl gewählt. Im Mehrparteiensystem ist für die Parteien eine 5 % Hürde für
den Einzug in das Parlament vorgegeben.7
3
4
5
6
7
Auswärtiges Amt: Tschechische Republik, Stand Juni 2012, in: http://www.auswaertigesamt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01Nodes_Uebersichtsseiten/TschechischeRepublik_node.html. (letzter Zugriff 23.08.2012).
Kipke, Rüdiger (2002): Die politischen Systeme Tschechiens und der Slowakei, Eine Einführung,
Wiesbaden. S. 56.
Ebd. S. 46f.
Ebd. S. 56.
Ebd. S. 53.
-2-
Die 81 Senatoren werden in ihren Wahlbezirken durch Mehrheitswahl für sechs Jahre
gewählt. Alle zwei Jahre wird in einem Drittel der Wahlbezirke gewählt. Das Wahlrecht
erhält man ab dem vollendeten 18. Lebensjahr, die Altersgrenze für das passive
Wahlrecht liegt bei 21. Jahren.8
Tschechiens Gemeinden (obec) bilden die kommunale Selbstverwaltung, die zudem in 14
Bezirke (okres) zusammengefasst sind. Die Wahl der Repräsentanten findet durch direkte
Wahl für vier Jahre statt. Die Gemeinden befassen sich vor allem mit Aufgaben der
öffentlichen Ordnung, der Sozial- und Gesundheitsfürsorge oder auch dem Schulwesen.
Während die Bezirke Selbstverwaltungsrecht haben, sofern diese vom Bund zugewiesen
worden sind.9
Insgesamt schien in den letzten Jahren jedoch kein größeres Interesse an der
Selbstverwaltung zu bestehen, da die Wahlbeteiligung immer weiter abnahm. 10 Erst bei
den Kommunalwahlen von 2010 war endlich ein positiver Trend zu erkennen.11
2.2 Politisches System der Slowakei
Die Slowakei hat mit rund 5,44 Millionen ungefähr halb so viele Einwohner wie Tschechien
und ist mit 49.000km² vergleichsweise klein.12 Die Staatsform ist eine Parlamentarische
Demokratie mit einer Kammer, dem Nationalrat. Dieser besteht aus 150 Abgeordneten,
die für vier Jahre gewählt werden. Die Regierung der Slowakei besteht aus dem
Ministerpräsidenten und 13 Ministern. Sie ist dem Nationalrat direkt verantwortlich.
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt vom Volk gewählt. Dadurch
erhält das Amt eine hohe demokratische Legitimation, die politische Position ist insgesamt
jedoch eher als schwach zu bewerten.
Die Mitglieder des Nationalrates werden durch die Verhältniswahl aus nur einem
Wahlbezirk gewählt. Im Mehrparteiensystem der Slowakei ist seit 1998 eine generelle 5%
Hürde für den Einzug einer Partei in den Nationalrat vorgeschrieben. 13
Seit Juli 2001 besteht in der Slowakei ein zweigliedriges System der Selbstverwaltung.
8
9
10
11
12
13
Ebd.
Ebd. S. 64.
Ebd. S. 65.
Hubert Gehring (2010): Dämpfer für die Regierungskoalition – Sozialdemokraten auf dem Weg zur
Senatsmehrheit, Kommunal- und Senatswahlen in Tschechien, in: Konrad-Adenauer-Stiftung online:
http://www.kas.de/tschechien/de/publications/20866/. (letzter Zugriff: 24.08.2012).
Auswärtiges
Amt:
Slowakei,
Stand
April
2012,
in:
http://www.auswaertigesamt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Slowakei_node.html.
(letzter Zugriff 24.08.2012).
Kipke (2002): S. 101f.
Zuvor waren für Mehrparteienbündnisse gestaffelte Sperrklauseln vorgesehen, die gemeinschaftlich
erreicht werden mussten.
-3-
Die Gemeinden haben die Befugnis zur Selbstverwaltung in Angelegenheiten der örtlichen
Gemeinschaft, die Bezirke sind für öffentliche Aufgaben wie z.B. der öffentlichen Ordnung
und dem Schulwesen verantwortlich. Allerdings haben sie relativ geringe finanzielle
Möglichkeiten diese Aufgaben zu erfüllen.
2.3 Auswirkungen der Systeme auf Frauenanteile
Die politischen Systeme beider Länder erscheinen auf den ersten Blick sehr ähnlich, was
sich schon durch ihre gemeinsame Vergangenheit erklären lässt. Der prägnanteste
Unterschied liegt im Aufbau der Parlamente. Während Abgeordnetenhaus und Nationalrat
in Aufbau, Funktion und Zusammensetzung ähnlich sind, gibt es kein slowakisches
Äquivalent
zum
tschechischen
Senat.
Dieser
hat
jedoch
im
Gegensatz
zum
Abgeordnetenhaus nur geringe Befugnisse.
In beiden Ländern spielt die Kommunale- und Regionaleebene eine untergeordnete Rolle
und ist daher auch für diese Betrachtung der politischen Partizipation von Frauen nicht
weiter relevant.
Auch die Staatsoberhäupter beider Länder, wenngleich unterschiedlich gewählt, haben
ähnlich geringe Machtbefugnisse und wurden in der tschechoslowakischen Vergangenheit
und der noch jungen Geschichte beider Länder nur durch männliche Amtsinhaber
besetzt.14
Sitze gesamt
Frauen
Anteil
Abgeordnetenhaus
200
44
22,0%
Senat
81
14
18,5%
Regierung
15
2
13,3 %
Nationalrat
150
26
17,3 %
Regierung
13
1
7,7%
Tschechien
Slowakei
Tabelle 1: Parlaments und Regierungszusammensetzung 2012, eigene Darstellung nach
IPU.15
Das eigentliche Entscheidungszentrum jedoch sind die Regierungen. Der Frauenanteil in
Regierungen und Parlamenten (vgl. Tab.1) zeigt nur geringe Unterschiede, in denen
14
15
Europa auf einen Blick: Tschechien (Stand 22.08.2012): http://www.europa-auf-einenblick.de/tschechien/politik.php. (letzter Zugriff: 26.08.2012).
IPU: Women in national parliaments: http://www.ipu.org/wmn-e/classif.htm. (letzter Zugriff: 23.08.2012).
-4-
Tschechien leicht besser aufgestellt ist. Dennoch ist der Frauenanteil mit maximal 22,0%
im Abgeordnetenhaus in Tschechien sehr gering. Weitaus niedriger fällt die Anzahl an
Frauen in den aktuellen Regierungen beider Länder aus. Die Slowakei schneidet mit 7,7%
(nur einer Frau) gegenüber Tschechien auch hier etwas schlechter ab.
Die Ursachen könnten im Bereich der institutionellen Faktoren unter anderem an der
tschechischen Möglichkeit der Präferenzstimme bei der Parlamentswahl liegen. Diese
bietet den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit die durch die Parteien vorgegebene
Reihenfolge der Listenplätze zu verändern. Wenngleich eine relativ hohe Anzahl an
Präferenzstimmen auf den oder die Kandidatin vereint werden muss. 16 Gerade die Parteiund Listenstrukturen sind ein wichtiger Faktor für die politische Partizipation von Frauen.17
Rueschemeyer führt an, dass das System der Verhältniswahl zu einer Steigung der
Repräsentation
von
Frauen
in
politischen
Ämtern
führt,
wohingegen
das
Mehrheitswahlsystem deutlich geringere oder nicht vorhandene Steigerungen des
Frauenanteils bewirkt.18 Bei der Verhältniswahl ist, wie durch mehrere Untersuchungen
gezeigt worden ist, die Chance für Frauen, je nach Listenplatz, deutlich größer als bei
einer reinen Mehrheitswahl.19 Je geringer die Präsenz von Frauen auf den Wahllisten ist,
desto geringer ist auch ihr Anteil im Parlament.20 Kann eine Position jedoch nur von einem
Parteimitglied besetzt werden, so sind die Chancen für Frauen nur minimal diesen einen
Platz in einem von Männern dominiertem Führungssystem zu besetzen.21
Die Einführung von Quoten innerhalb der Parteiführungen und bei der Besetzung von
Listenplätzen und politischen Ämtern wären eine Möglichkeit die Situation der Frau in der
Politik zu verbessern. Dies stieß in der Öffentlichkeit beider Länder, vor allem in den
ersten Jahren nach Ende der kommunistischen Herrschaft, jedoch auf heftigen
Widerstand. In der Tschechoslowakei gab es unter der kommunistischen Herrschaft
bereits eine festgelegte Frauenquote von 20%-30%.22 Eine erneute Einführung wurde in
beiden Staaten als ein Rückschritt in die kommunistische Vergangenheit angesehen. 23
Diese Einstellungen haben sich bereits nur wenige Jahre nach Beendigung der
kommunistischen Ära in der Bevölkerung wieder verändert, so dass vor allem in
16
17
18
19
20
21
22
23
Kipke (2002): S. 53.
Michaela Markosová-Tominová (2004): Der Unmut wächst: politische Partizipation von Frauen in
Tschechien im Wandel, in: Hoecker, Beate/ Fuchs, Gesine (Hrsg.): Handbuch Politische Partizipation von
Frauen in Europa, Band 2: Die Beitrittsstaaten, Wiesbaden. S. 115.
Marilyn Rueschemeyer (2001): Frauen und Politik in Osteuropa: 10 Jahre nach dem Zusammenbruch des
Sozialismus, in: Berliner Journal für Soziologie, H. 1. S. 12f.
Jana Cviková / Jarmilia Filadelfiová (2004): Die Partizipation von Frauen am politischen Leben in der
Slowakei, in: Hoecker, Beate/ Fuchs, Gesine (Hrsg.): Handbuch Politische Partizipation von Frauen in
Europa, Band 2: Die Beitrittsstaaten, Wiesbaden. S. 133.
Cviková/ Filadelfiová (2004): S. 125.
Rueschemeyer (2001): S. 13.
Ebd. S. 124.
Ebd.
-5-
Tschechien ein relativ großer Teil der Bevölkerung für einen im Gesetz festgeschriebenen
Mindestvertretungsanspruch von Frauen in Regierung und Parlament ist. 24 In der
Slowakei gibt es auch Anzeichen für mehr Frauen in der Politik. Hier möchte man per
Gesetz eine bestimmte Zahl der Parlamentssitze für Frauen festschreiben. Dennoch kann
hier von keiner umfassenden gesellschaftlichen Unterstützung gesprochen werden. 25
Insgesamt lässt sich erkennen, dass die Akzeptanz für mehr Gleichstellung, auch durch
Quotenregelungen, in der Bevölkerung zwar wächst, aber noch auf Widerstand seitens
der Parteien stößt.
Diese noch unterschiedliche Auffassung beider Länder, wobei Tschechien deutlich
aufgeschlossener erscheint, lässt sich leicht in der aktuellen Zusammensetzung der
Regierungen und Parlamente ablesen. (vgl. Tab. 1)
Je bedeutender die Position innerhalb der Parteien, als auch in den Parlamenten, desto
seltener werden sie von Frauen besetzt. Dadurch lässt sich der relativ hohe Frauenanteil
in den Parteien beider Länder von 25 % bis 50 %, mit der geringen Zahl an tatsächlichen
Abgeordneten in Einklang bringen.26
Frauen sind in den slawischen Staaten der EU als Mitglieder und Mandatsträger in
sozialdemokratischen,
linken
und
liberalen
Parteien
konservativen, rechten und christdemokratischen Parteien.
häufiger
vertreten
als
in
27
Die (Nicht-)Bereitschaft der Parteien zur Förderung von Frauen zeigt sich auch im
geringen Anteil von Frauen bei der Besetzung von Ministerposten. So gab es in der
tschechischen Geschichte noch nie einen weiblichen Ministerpräsidenten und mit Iveta
Radicova von 2010 bis 2012 nur eine Frau, die den Posten des slowakischen
Ministerpräsidenten inne hatte.28
In Tschechien gab es sogar nach den Wahlen des Kabinettes 1998 eine Regierung der
keine Frau angehörte. Erst seit dem Jahr 2002 gibt es wieder Politikerinnen die der
Regierung angehören.29
Sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei wird der Bereich der Politik in der
Gesellschaft oftmals noch als ein schmutziges Geschäft und eine typisch männliche
Domäne angesehen.30
24
25
26
27
28
29
30
Markosová-Tominová (2004): S. 113.
Cviková/ Filadelfiová (2004): S. 136.
Ebd. S. 133.
Fuchs /Hoecker (2004): S. 3.
Armin
Höpfel:
Slowakei.net,
Geschichte:
http://www.slowakeinet.de/deutsch/slowakei_preview.html?body_daten-geschichte.html. (letzter Zugriff:26.08.2012).
Markosová-Tominová (2004): S. 110ff.
Europäisches Parlament (Hrsg.), Generaldirektion Wissenschaft (1997): Die Situation der Frau in Ungarn,
Polen
und
der
Tschechischen
Republik,
Luxemburg,
in:
http://www.europarl.europa.eu/workingpapers/femm/pdf/102_de.pdf. (letzter Zugriff: 14.08.2012). S. 15.
-6-
Meist haben Frauen, sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei, wenn sie einen
Ministerposten bekleiden, „typisch weibliche“ Posten inne. Unter diesen Bereich fallen die
Ämter der Ressorts Gesundheit, Familie, Justiz oder Bildung.31
Oftmals liegen die Möglichkeiten zur Verbesserung des Frauenanteils nicht nur in den
Rahmenbedingungen der Verfassung oder Gesetzen, sondern auch in den Händen der
stark männlich dominierten Parteiführungen.32
Auch hierbei ähneln sich Tschechien und die Slowakei stark. Ursache für diese Ähnlichkeit
lassen sich in der tschechoslowakischen Vergangenheit finden, in der sich die
gesellschaftlichen Einstellungen beider einander näherten, wodurch sie auch Rollenbilder,
Parteistrukturen und die Einstellungen zu Frauen in der Politik anglichen.
Verwunderlich ist allerdings die Differenz der Anteile der Frauen im momentanen EUParlament (s. Tab. 2).
In Tschechien ist mit 18,2% der Frauenanteil ähnlich gering wie der in Regierung und
Parlament des Landes und liegt im europäischen Vergleich an vorletzter Stelle. In der
Slowakei ist der Frauenanteil von 38,5% jedoch deutlich höher als in Regierung und
Parlament der Landes und liegt sogar noch über dem EU-Durchschnitt.
Dies sollte jedoch nicht allzu hoch bewertet werden, da die Wahlbeteiligung beider Länder
äußerst gering war.33
EU-Parlament
Sitze
Frauen
Anteil
Insgesamt
736
259
35,2%
Tschechien
22
4
18,2%
Slowakei
13
5
38,5%
Tabelle 2: Frauenanteil EU Parlament 2012, eigene Darstellung nach IPU.34
Eine Ursache hierfür könnte in der deutlich geringeren, öffentlichen Relevanz des EUParlamentes im Gegensatz zum nationalen Parlament der Slowakei, die mit 19,6% 35
Wahlbeteiligung an letzter Stelle im europäischen Vergleich liegt, zu finden sein. Da, wie
bereits festgestellt wurde, die politischen Ämter öfter von Männern besetzt werden je
wichtiger und mächtiger sie sind, so ist es nicht verwunderlich, dass sich in einem für die
31
32
33
34
35
Fuchs (2003): S. 4
Rueschemeyer (2001): S. 13.
Europäisches Parlament: Wahlbeteiligung an den Europawahlen 1979 – 2009, in:
http://www.europarl.europa.eu/aboutparliament/de/000cdcd9d4/Wahlbeteiligung-%281979-bis2009%29.html. (letzter Zugriff 24.08.2012).
IPU:Women in regional parliamentary assemblies: http://www.ipu.org/wmn-e/regions.htm (letzter Zugriff
23.08.2012).
Europäisches Parlament: Wahlbeteiligung an den Europawahlen 1979 – 2009.
-7-
Bevölkerung weniger wichtigen EU-Parlament, mehr Frauen als auf nationaler Ebene
finden lassen.
2.4 Politische Maßnahmen
Der Beitritt zur Europäischen Union wird zumeist als Chance für mehr Gleichstellung
gesehen. Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen unterzeichneten beide Länder die
notwendigen
Verträge
zur
Gleichstellung,
wenn
sie
Rechtsnachfolger der Tschechoslowakei übernommen hatten.
diese
36
nicht
schon
als
Doch beschränkten sich
diese Bemühungen weitestgehend auf den Arbeitsmarkt und dies auch mit geringem
Erfolg, wie in Kapitel 4 gezeigt wird.
Einzig auf der formal juristischen Ebene hat der EU-Beitritt eine Verbesserung der
Situation bewirkt. Auch der Anstoß der Diskussion im Zuge der Beitrittsverhandlungen
wurde nicht aufgegriffen um die Bemühungen für mehr Gleichheit als politisches
Gesamtziel
zu
definieren.37
So
sind
auch
heute
Gleichstellungsthemen auf der politischen Agenda Tschechiens.
noch
keine
expliziten
38
In den aktuellen Programmen der Regierungen in Tschechien und der Slowakei werden
Maßnahmen aufgezählt, die die Situation der Familie verbessern sollen. Dies ist für die
Frauen in der Gesellschaft von großer Bedeutung.
Die tschechische konservative Regierungskoalition besteht aus den Parteien ODS, TOP
09 und LIDEM. Sie verweist in ihrem Programm auf die Benachteiligung von Frauen auf
dem Arbeitsmarkt. Dazu gehören momentan noch schlechtere Einstellungschancen für
Mütter, ein geringes Angebot an Teilzeitarbeit und eine geringe Zahl an öffentlichen
Betreuungsplätzen.39
In Zukunft sollen die Bedürfnisse der Familien auf dem Arbeitsmarkt durch die soziale
Reform so weit wie möglich verbessert werden. Dies betrifft zum einen die längere
Auszahlung eines höheren Elterngeldes und zum anderen die Schaffung neuer
öffentlicher Betreuungsplätze für Kinder. Des Weiteren sollen Eltern, auch wenn ihre
Kinder länger als 48 Monate in öffentlicher Betreuung waren, das Elterngeld für 4 Jahre
ausgezahlt bekommen, die Chancen auf Teilzeitarbeit ausgebaut werden und somit auch
die Einstellungschancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. 40
36
37
38
39
40
Markosová-Tominová (2004): S. 117f.; Cviková/ Filadelfiová (2004): S. 140f.
Vgl. Ebd.
Gunda Werner Institut, Feminismus und Geschlechterdemokratie: Europäische Geschlechterpolitiken –
EU-Ländervergleich, Tschechien, in: http://www.gwi-boell.de/web/eu-laendervergleich-tschechien406.html#1. (letzter Zugriff: 24.08.2012).
Government Information Centre (Hrsg.): Social Reform, in: http://icv.vlada.cz/en/social-reform-91525/.
(letzter Zugriff: 24.08.2012).
Ebd.
-8-
Vor allem diese Maßnahme würde es jungen Familien und somit jungen Müttern eher
ermöglichen zu arbeiten und gegebenenfalls auch politisch zu partizipieren, da eine
gewisse finanzielle Grundsicherheit für die Familie geschaffen wird.
Auch die Slowakische Regierung ist sich der aktuellen Problematik der Familie bewusst.
In ihrem Regierungsprogramm stellt die alleinregierende sozialdemokratische SMER
Partei die Bedeutung der Familie als Grundstein für ein qualitatives und sicheres Leben
der Bevölkerung heraus. Man möchte auch hier eine flexiblere Unterstützung
ermöglichen. So rückt die Familienpolitik in den Hauptfokus der Sozialpolitik. 41
Eine bessere Balance zwischen Arbeit und Familie soll auch hier geschaffen werden.
Anders als in Tschechien wird hier jedoch das traditionelle Bild der Familie (vgl. Kapitel 3)
betont. Jedes Kind soll, wenn möglich, in der Familie aufwachsen und nur im absoluten
Notfall in eine öffentliche Betreuungseinrichtung gegeben werden. 42
Diese Maßnahme unterstützt die Partizipation der Frau am Arbeitsleben natürlich deutlich
weniger, da sie so zusammen mit den vorherrschenden traditionellen Rollenbildern in den
privaten Bereich der Familie gedrängt wird. So ist sie wieder für die Erziehung zuständig
und der Mann für die finanzielle Versorgung der Familie. Eine Partizipation im politischen
Bereich wird so deutlich erschwert.
3. Politische Kultur
Der Kampf für mehr Rechte der Frauen ist in Tschechien und der Slowakei in seinen
Ursprüngen eng mit den nationalen Gedanken verbunden. Besonders ist hierbei
festzuhalten, dass es unter den Tschechen keine Ablehnung der Gleichstellung beider
Geschlechter durch die männliche Bevölkerung gab. Im Zuge der Abspaltung der
Tschechoslowakei von Österreich-Ungarn nach dem 1. Weltkrieg wurde das Wahlrecht für
Frauen nur 15 Jahre später als das Männerwahlrecht eingeführt. Der Kampf für das
Frauenwahlrecht wurde somit zusammen mit dem Kampf für die Loslösung von
Österreich-Ungarn ausgetragen.43
Diese Entwicklung nimmt im Vergleich zu den anderen Staaten der EU eine besondere
Stellung ein. Waren doch meist Frauenbewegungen und deren Bestrebungen auf mehr
Gleichheit von heftigem Widerstand seitens der männlichen Bevölkerung begleitet. Somit
41
42
43
Government Office of the Slovak Republic (Hrsg.): Quality of Life as the Outcome of a cohensive
Society, in: http://www.vlada.gov.sk/quality-of-life-as-the-outcome-of-a-cohensive-society/. (letzter
Zugriff: 24.08.2012).
Ebd.
Markosová-Tominová (2004): S. 112.
-9-
müssten die Frauen der Slowakei und Tschechiens eigentlich in hohem Ausmaß in der
Politik tätig sein.
Dennoch sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Gründe für diesen Zustand lassen
sich unter anderem in der kommunistischen Zeit von 1945 bis 1992 finden. Das
kommunistische Regime führte, wie bereits erwähnt, in der Tschechoslowakei eine
Frauenquote in der Politik und anderen Bereichen der Öffentlichkeit ein. Mit dieser
Maßnahme sollte ein Bild der werktätigen und am Arbeitsleben beteiligten Frau
geschaffen und in der Bevölkerung verankert werden.44
Diese Frauenquote von 30% galt somit auch für das Parlament, welches de facto jedoch
keine Entscheidungsgewalt hatte. Auf diese Weise wurde versucht ein Querschnitt der
Gesellschaft abzubilden. Zumeist ärmere, ungebildete Frauen erfüllten dabei gleich
mehrere Quoten. 45
Es gab also keine „echte“ Partizipation der Frauen an der Politik, da die wichtigen, mit
tatsächlichen Befugnissen ausgestatteten, Ämter an männliche Politiker vergeben
wurden.
Die Rolle der am öffentlichen Leben teilhabenden Frau korrelierte mit den traditionellem
Bild der Frau als Hausfrau und Mutter, da die traditionellen Bilder von Mann und Frau in
dieser Region stark in der Bevölkerung akzeptiert sind.46
So musste die tschechoslowakische Frau neben ihren üblichen häuslichen Aufgaben nun
auch einen Beruf ausüben. Dies führte zu einer Doppelbelastung, die den Männern nicht
auferlegt wurde. Demnach ist das traditionelle Bild der Frau nie wirklich in der
Gesellschaft
beider
Länder
verschwunden
und
wurde
durchweg
gelebt
und
weitergegeben. Die Frau blieb weiterhin für Heim und Kind verantwortlich.
Sogar Frauen, die sich aktiv politisch engagierten übernahmen und übernehmen auch
weiterhin dieses Rollenbild, das so stets in der Gesellschaft fortbesteht. 47
Zum Teil wird das Recht der Frau auf ein Leben außerhalb der Familie stark in Frage
gestellt. Rueschemeyer betont, dass es immer noch häufig die erste Pflicht der Frau ist
als Mutter und Erzieherin zu fungieren und so für den Fortbestand der nationalen und
ethischen Traditionen der Gesellschaft zuständig zu sein.48
Viele Slowakinnen mussten und müssen zum Teil immer noch, um an der politischen
Öffentlichkeit teilnehmen zu dürfen, unter der Voraussetzung, dass die Familie nicht unter
der Doppelbelastung der Mutter leidet, die Erlaubnis ihres Ehegatten erlangen.
44
45
46
47
48
49
Ebd.
Cviková/ Filadelfiová (2004): S. 124.
Fuchs/ Hoecker (2004): S. 9.
Cviková/ Filadelfiová (2004): S. 135.
Rueschemeyer (2001): S. 11.
Cviková/ Filadelfiová (2004): S. 135.
- 10 -
49
Ein wichtiger Faktor für die Entstehung und Weitergabe dieser Rollenbilder ist die
Religionszugehörigkeit. Vor allem in der Slowakei, die von traditionellen und ländlichen
Sozialstrukturen geprägt ist, spielt die Religion bei einem Großteil der Bevölkerung eine
entscheidende Rolle. So ist es nicht verwunderlich, dass der Frau der Bereich der Familie
zugeschrieben wird, da die christliche und vor allem katholische Lehre dieses Bild der
Frau propagiert.50 (vgl. Tab. 3).
2012
konfessionslos
römischkatholisch
evangelisch
andere
Tschechien
59,0 %
26,8 %
2,1 %
3,3 %
Slowakei
13,0 %
68,9 %
10,8 %
7,3 %
Tabelle 3: Religionszugehörigkeit, Stand 2012, eigene Darstellung nach Auswärtiges
Amt.51
In Tschechien, einem Land mit einem sehr hohen Anteil an konfessionslosen Menschen
hat zumindest dieser religiöse Faktor keinen, wie in der Slowakei, allzu großen Einfluss
auf das Rollenbild von Mann und Frau.
Doch auch dieses traditionelle christlich geprägte Rollenbild scheint sich aktuell weiter
abzuschwächen. Wie der Rückgang der Eheschließung, die eben meist aus religiösen
Überzeugungen und Ursprüngen geschlossen werden, zeigt (vgl. Abb. 1).
50
51
Ebd.
Auswärtiges Amt: Tschechische Republik, Stand Juni 2012.
Auswärtiges Amt: Slowakei, Stand April 2012.
- 11 -
12,00
10,00
8,00
6,00
4,00
2,00
Tschechische Republik
Slowakei
0,00
1962 1966 1970 1974 1978 1982 1986 1990 1994 1998 2002 2006 2010
1960 1964 1968 1972 1976 1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008
Abbildung 1: Bruttoeheschließungsziffer, eigene Darstellung nach Eurostat.
Zudem sinkt auch die Geburtenrate, was ebenfalls eine Abschwächung des traditionellen
Rollenbildes vermuten lässt, da sich immer mehr Frauen für ein berufstätiges Leben
3,50
3,00
2,50
2,00
1,50
1,00
0,50
Tschechische Republik
Slowakei
0,00
1962 1966 1970 1974 1978 1982 1986 1990 1994 1998 2002 2006 2010
1960 1964 1968 1972 1976 1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008
Abbildung 2: Geburtenrate, eigene Darstellung nach Eurostat.
entscheiden und somit keine oder nur sehr wenige Kinder bekommen. (vgl. Abb. 2)
Hieran lässt sich gut erkennen, dass die staatliche Unterstützung der Familien und somit
die Möglichkeit für Frauen einen Beruf ausüben zu können, noch Mängel aufweisen. Wie
- 12 -
bereits
erwähnt,
ist
diese
Thematik
jedoch
auch
Bestandteil
in
den
Regierungsprogrammen.
Dennoch reichen diese Entwicklungen nicht aus, um die geringe politische Partizipation
von Frauen allein erklären zu können, so müssen noch weitere Faktoren in die politische
Kultur mit einfließen.
Hierzu
zählt
auch,
dass
es
keine
zweite
Welle
des
Feminismus
und
der
Frauenbewegungen gab. Diese hatten eine starke, allgemein positive Auswirkung, auf die
Gleichstellung von Mann und Frau.52
Ursache hierfür liegt in der bereits erwähnten gemeinsamen tschechoslowakischen
Vergangenheit beider Länder. Da sich im Zuge der Loslösung von Österreich-Ungarn
keine wirklichen Widerstände seitens der männlichen Bevölkerung auftaten, hatten die
Frauen
in
der
Tschechoslowakei
nicht
das
Bedürfnis,
ihren
Anliegen
durch
unkonventionelle politische Aktivitäten Ausdruck zu verleihen und sahen die öffentlichen,
konventionellen Kanäle als Mittel der Verwirklichung als angemessen und ausreichend
an.53
In der Slowakei gab es Anfang der 1990er vor allem Jana Cvikova mit ihrer Organisation
und Zeitschrift Aspekt. Aktuell gibt es vor allem in der Gegend um Bratislava viele
Frauenorganisationen54, die sich aber unterschiedliche Schwerpunkte, wie z.B. Bildung,
Arbeit oder politische Partizipation gesetzt haben.55
In Tschechien werden die Frauenorganisationen von einzelnen Personen getragen, 56 sind
aber in der Regel sehr gut vernetzt.57
4. Sozioökonomische Faktoren
Weitere wichtige Faktoren für die politische Partizipation sind Bildung und Berufstätigkeit.
Wird Bildung egalitärer, bieten sich besser qualifizierte Berufe und es ergibt sich ein
52
53
54
55
56
57
Cviková/ Filadelfiová (2004): S. 134.
Markosová-Tominová (2004): S. 112.
Europaforum Wien (Hrsg.) Zentrum für Städtedialog und Europapolitik (2004): Frauen im neuen Europa,
Beispiele aus Österreich, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn, Wien, in:
http://www.europaforum.or.at/data/media/med_binary/original/1094810507.pdf. S. 40. (letzter Zugriff:
14.08.2012).
Einen Überblick über aktuelle Organisationen bietet: Gunda Werner Institut, Feminismus und
Geschlechterdemokratie: Europäische Geschlechterpolitiken – EU-Ländervergleich, Slowakei, in:
http://www.gwi-boell.de/web/eu-laendervergleich-slowakei-390.html#10. (letzter Zugriff: 24.08.2012).
Europaforum Wien (Hrsg.) Zentrum für Städtedialog und Europapolitik (2004): S.40f.
Europaforum Wien (Hrsg.) Zentrum für Städtedialog und Europapolitik (2004): S. 32.
Vgl.
Gunda Werner Institut, Feminismus und Geschlechterdemokratie: Europäische
Geschlechterpolitiken – EU-Ländervergleich, Tschechien.
- 13 -
höheres Interesse an Politik.58 Wie aus Tabelle 4 ersichtlich wird, haben sich die
Abschlüsse an Hochschulen sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei deutlich
angeglichen. In der Slowakei absolvieren sogar mehr Frauen die Hochschule als Männer.
ISCED59 0-2
ISCED 3-4
ISCED 5-6
♂
♀
Ø
♂
♀
Ø
♂
♀
Ø
Tschechien
11,5
17,7
14,6
72,7
67,3
70,0
15,7
15,0
15,4
Slowakei
14,5
19,5
17,0
71,0
63,2
67,0
14,5
17,3
15,9
Tabelle 4: Bildungsstand 2011 in Prozent der 15 - 74 Jährigen, eigene Darstellung nach
Eurostat.
Beide Länder weisen ähnliche Unterschiede zwischen den Abschlüssen von Männern und
Frauen
auf.
Jedoch
hat
die
Slowakei
eine
insgesamt
leicht
schlechtere
Ausbildungssituation.
Doch ein gleiches Ausbildungsniveau und gleich hohe Abschlüsse ergeben noch kein
gleiches Einkommen.60 Die Beschäftigtenquote der Frauen liegt aktuell nahe am EUDurchschnitt (vgl. Tab. 5). Doch verdienen Frauen 2012 in der Slowakei im Schnitt 20,7%
weniger und in Tschechien sogar 25,5% weniger als Männer.61
2011
Männer
Frauen
gesamt
Tschechien
74,0 %
57,2 %
65,7 %
Slowakei
66,3 %
52,7 %
59,5 %
EU
64,3 %
58,5 %
70,1 %
Tabelle 5: Beschäftigtenquote der 15-64 Jährigen, Stand 2011, eigene Darstellung nach
Eurostat..
Eine durchschnittliche Beschäftigungsquote spricht gegen einen starken Einfluss auf die
politische Partizipation, sondern viel mehr für die Notwendigkeit eines zweiten Gehalts. Im
Jahr 2005 hatten in Tschechien fast 50 % der Haushalte ein Sekundäreinkommen, in der
58
59
60
61
Fuchs/ Hoecker (2004): S. 4.
International Standard Classification of Education.
Cviková/ Filadelfiová (2004): 136.
In Industrie, Baugewerbe und Dienstleistung, nach Eurostat.
- 14 -
Slowakei noch 37 %.62 Die Doppelbelastung durch Arbeit und Familie ist ein Argument
gegen eine hohe politische Partizipation.
Geht man davon aus, dass in beiden Ländern, jedoch deutlich häufiger in der Slowakei,
traditionelle Rollenbilder gelebt werden, so sind die Frauen für die Familie verantwortlich.
Da es sich viele Familien nicht erlauben können nur ein Elternteil arbeiten zu lassen,
besteht keine Zeit mehr für öffentliche Aktivitäten von Frauen. Um eine höhere politische
Partizipation zu erreichen müsste also vor allem die Belastung der Familienarbeit auf
beide Geschlechter aufgeteilt werden.
Demnach müssen in einem Staat bestimmte institutionelle Faktoren geschaffen werden,
die es der Frau ermöglichen mehr in die Öffentlichkeit zu treten. Darunter fallen zum
Beispiel Dinge wie der Mutterschutz, öffentliche Kinderbetreuungen und ähnliches.
Dies zeigt sich auch im Anteil der Kinder, die keinerlei formelle Betreuung 63 nutzen. (vgl.
Tab. 6). Tschechien und die Slowakei haben beide hohe Anteile an Kindern die keine
formale Kinderbetreuungseinrichtung besuchen. Der Wert darf natürlich aufgrund der
nicht verzeichneten privaten Möglichkeiten, auch durch Tagesmütter, nur als Anhaltspunkt
gelten, gibt die Situation, gerade im Vergleich mit Deutschland und der EU, aber gut
wieder.
2010
< 3 Jahre
3 Jahre bis Schulpflichtiges
Mindestalter
Tschechien
97
29
Slowakei
97
28
Deutschland
80
8
EU
72
17
Tabelle 6: Null Stunden formelle Kinderbetreuung, in Prozent der Population der
Altersklasse, Stand 2010. Eigene Darstellung nach Eurostat.
Bei der Umsetzung von Reformen muss aber darauf geachtet werden, dass dies nicht als
„Familienpolitik“ und damit zur Unterstützung der vorhandenen Rollenmodelle passiert,
62
63
Nach Eurostat. Neuere Daten liegen nicht vor.
„Formale Kinderbetreuung der Altersklassen bis zum schulpflichtigen Alter umfasst die Betreuung in
Tagebetreuungseinrichtungen und die Vorschulerziehung. Die Betreuung durch die Eltern selbst, durch
Tagesmütter, die direkte Vereinbarungen mit den Eltern getroffen haben, sowie Betreuung durch
Großeltern, andere Verwandte, Freunde und Nachbarn fällt nicht unter die Definition der formalen
Kinderbetreuung.“,
nach:
Europa.eu,
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=STAT/08/172&format=HTML&aged=1&langu
age=DE&guiLanguage=en. (letzter Zugriff: 26.08.2012).
- 15 -
z.B. durch die reine Vereinbarung von Familie und Beruf, sondern auf die tatsächliche
Gleichstellung in allen Bereichen abzielt.64
Es zeigt sich also, dass, mehr noch in der Slowakei als in Tschechien, die Vereinbarkeit,
nicht nur von Familie und Beruf, sondern auch von Politik verbessert werden muss.
64
Gunda Werner Institut, Feminismus und Geschlechterdemokratie: Europäische Geschlechterpolitiken –
EU-Ländervergleich, Tschechien.
- 16 -
6. Fazit
Geht man nach den fünf Punkten, die Cviková/ Filadelfiová (2004)65 als positiv für die
politische Partizipation von Frauen nennen,
1. gesellschaftlicher Konsens
2. Verhältnis- statt Mehrheitswahlen
3. hoher Teil der Erwerbstätigen sind Frauen
4. starke zweite Welle der Frauenbewegung
5. niedriger katholischer Bevölkerungsanteil
erscheinen
Tschechien
und
die
Slowakei
mit
Ausnahme
des
katholischen
Bevölkerungsanteils auf einem gleichen relativen Stand der politischen Partizipation von
Frauen. Dieser ist allerdings generell nicht sehr hoch.
Das Rollenbild der Frau als Hausfrau und Mutter ist in beiden Ländern noch fest in der
Bevölkerung
verwurzelt
und
wird
oftmals
auch
durch
die
christliche
Religionszugehörigkeit, die in der Slowakei deutlich ausgeprägter ist als in Tschechien,
noch verstärkt. Die Slowakinnen müssen hierdurch meist größere Hindernisse
überwinden um politisch partizipieren zu können.
In Tschechien bietet die Präferenzstimme bei den Wahlen zumindest eine kleine Option
direkt für mehr Frauen im Parlament zu stimmen, die aber eine große Stimmzahl erfordert
um
tatsächlich
zum
Tragen
zu
kommen,
sodass
der
Anteil
tschechischer
Parlamentarierinnen nicht viel größer ist als die der slowakischen.
Zwar hatten beide Staaten keine zweite Welle der Frauenbewegung, aber in Tschechien
scheint die Gleichstellung von Mann und Frau noch ein wenig tiefer in der Gesellschaft zu
wurzeln.
Bei den soziokulturellen Faktoren hat die Slowakei zwar mehr Hochschulabsolventinnen
als Absolventen, hat aber im Bildungssektor insgesamt noch größere Defizite aufzuweisen
als Tschechien.
Ebenfalls ist der Anteil der erwerbstätigen Frauen in Tschechien besser, wenngleich die
Lohnunterschiede wiederum höher sind als in der Slowakei. In beiden Ländern muss
jedoch die
Möglichkeit für Frauen aus der Rolle der Hausfrau und
Mutter
herauszukommen noch verbessert werden. So schreiben sich die Regierungen beider
Länder den Wunsch nach mehr Reformen in der Arbeits- und Familienpolitik auf die
Fahnen. Diese sollen die bisher noch deutlich unterschiedlichen Löhne angleichen und
mehr Möglichkeiten schaffen als Frau sowohl einen guten Arbeitsplatz als auch Kinder
haben zu können. Dennoch bleibt die Rolle des Mannes im Familienleben weitestgehend
65
S. 133f.
- 17 -
unangetastet, sodass noch immer die Frau diejenige ist, die sich um familiäre Belange
kümmern muss.
Die
neue
sozialdemokratische
Regierungsvorhaben
Familienstrukturen.
eher
Regierung
eine
Allerdings
zeigt
Tendenz
auch
der
zur
die
Slowakei
hat
Festigung
konservative
zudem
der
in
ihren
traditionellen
Regierungskoalition
Tschechiens nur wenige Anstrengungen die Partizipation von Frauen in der Politik zu
verbessern, auch wenn der Wunsch in der Bevölkerung nach mehr Frauen in der Politik
durchaus stark vertreten ist.
Weiterhin bleibt festzuhalten, dass in beiden Ländern Frauen häufiger in denjenigen
politischen Ämtern vertreten sind, die über die Verhältniswahl besetzt werden. Die
Parteiführungen, die meist durch männliche Politiker besetzt sind, beeinträchtigen die
Anzahl an Frauen in der Politik weiterhin, da sie nur dann wirkliche Chancen auf ein Amt
haben, wenn dies zum einen, ein als eher „weiblich“ angesehenen Sektor abdeckt und
zum anderen von nicht allzu großer politischer Relevanz ist.
Dies lässt sich in den Besetzungen der Positionen des Ministerpräsidenten und des
Staatspräsidenten gut ablesen. Diese Positionen wurden in Tschechien noch nie und in
der Slowakei nur einmal durch eine Frau für eine halbe Amtszeit besetzt.
Um dies zu verändern ist vor allem ein Umdenken innerhalb der Parteien erforderlich, da
ein Großteil der Bevölkerung solchen Veränderungen längst positiv gegenüber steht.
Tschechien ist also vor allem durch seine, auch säkular bedingte, offenere Haltung zum
Rollenbild der Frauen, als leicht „besser“ einzustufen. Doch wie die aktuellen Zahlen,
gerade im EU weitem Vergleich zeigen, ist sowohl in der Slowakei, wie in Tschechien
noch großer Bedarf an Reformen.
- 18 -
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