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Aufsätze
Die Fotografien der Propagandakompanien
der deutschen Wehrmacht als Quellen
zu den Ereignissen im besetzten Polen 1939-1945
von
Miriam Y. Arani
Die zur visuellen Darstellung des Zweiten Weltkriegs in der Presse, in
Ausstellungen, in wissenschaftlichen und politischen Publikationen wie auch
in Bildbänden meistgenutzten Fotografien wurden von den Propagandatruppen der deutschen Wehrmacht (Abb. 1) hergestellt und waren ein Bestandteil
der damaligen Kriegspropaganda. Ein quellenkritischer Umgang mit den fotografischen Aufnahmen vom Zweiten Weltkrieg und aus dem deutsch besetzten Europa ist bis in die Gegenwart hinein die Ausnahme von der Regel, doch
auch diese Bildquellen bedürfen der Kritik, Analyse und Interpretation.1 Wie
jüngst bei einer Tagung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme über die Bilder
zu den nationalsozialistischen Lagern und Ghettos festgestellt wurde, weist
die Forschung zu den unter nationalsozialistischer Herrschaft entstandenen
Bildern noch zahlreiche Desiderate auf. Das methodologisch derzeit wichtigste Ziel, eine sorgfältige Bildquellenkritik mit einer Untersuchung der ästhetischen Dimension und Ikonografie zu verbinden, wurde bislang nur selten
erreicht.2 Der Forschungsstand speziell zur Fotografie unter nationalsozialistischer Herrschaft unterscheidet sich insbesondere bezüglich des Verhältnisses
von Empirie und Theorie nicht nennenswert vom deutsch- und englischsprachigen Forschungsstand zur allgemeinen Fotografiegeschichte, wo empirisch
fundierte punktuelle Studien und Fototheorien mit sehr weit reichendem Geltungsanspruch unvermittelt nebeneinanderstehen.3 Inzwischen wird insbesondere der Quellenwert der von den Propagandakompanien (PK) der deutschen
Wehrmacht hergestellten Pressefotografien sehr kontrovers beurteilt: Zum ei-
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AHLRICH MEYER: Der Blick des Besatzers. Propagandaphotographie der Wehrmacht
aus Marseille 1942-1944, Bremen 1999, S. 16.
ANNIKA WIENERT: Tagungsbericht Bilderwelten. Fotografie, Film und künstlerische
Bildproduktion in den nationalsozialistischen Lagern und Ghettos und deren Rezeption. 11.02.2011-13.02.2011, Neuengamme, in: H-Soz-u-Kult vom 7.03.2011, http://
hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3566 (eingesehen am 16.03.2011).
Vgl. JENS JÄGER: Fotografiegeschichte(n). Stand und Tendenzen der historischen Forschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 511-537.
Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 60 (2011) H. 1
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Miriam Y. Arani
Abb. 1: Deutsche Soldaten einer Propagandakompanie in einem offenen Fahrzeug,
Litzmannstadt (Łódź), 1941, Fotograf: Zermin, PK 689 (BArch, Bild 101I133-0703-33/Zermin/CC-BY-SA)
nen wird er deutlicher in Frage gestellt4, zum anderen aber auch unter neuen –
beispielsweise stadt- und architekturhistorischen – Fragestellungen höher als
bislang eingeschätzt5. Im Unterschied zu der von der Verfasserin vorgelegten
Monografie zum „Reichsgau Wartheland“6, die verschiedene gesellschaftliche Gebrauchsweisen des Mediums Fotografie in einer Verwaltungseinheit
des besetzten Polen typologisch anzuordnen bestrebt war, widmen sich die
hier vorgestellten Überlegungen ausschließlich der regierungsamtlich gelenkten und militärisch organisierten Bildberichterstattung des nationalsozialistischen Staates.
Von den rund drei Millionen Fotoaufnahmen der PK sind etwa 1,7 Millionen in verschiedenen Archiven überliefert. Die größten Bestände befinden
sich im Bundesarchiv in den Teilbeständen Bild 101I (Heer und Luftwaffe),
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MIRIAM Y. ARANI: Die fotohistorische Forschung zur NS-Diktatur als interdisziplinäre
Bildwissenschaft, in: Zeithistorische Forschungen 5 (2008), 3, S. 387-412, hier S. 393
(mit ausführlichen Literaturhinweisen zur Forschungsgeschichte), http://www.zeithisto
rische-forschungen.de/site/40208871/default.aspx (eingesehen am 16.03.2011).
Vgl. W obiektywie wroga. Niemieccy fotoreporterzy w okupowanej Warszawie 19391945 = Im Objektiv des Feindes. Die deutschen Bildberichterstatter im besetzten
Warschau, hrsg. von CEZARY KRÓL und DANUTA JACKIEWICZ, Warszawa 2009.
MIRIAM Y. ARANI: Fotografische Selbst- und Fremdbilder von Deutschen und Polen
im Reichsgau Wartheland 1939-45. Unter besonderer Berücksichtigung der Region
Wielkopolska, Hamburg 2008 (Schriftenreihe Schriften zur Medienwissenschaft, 19).
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
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Bild 101II (Marine) und Bild 101III (Waffen-SS) sowie Bild 183 (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild).7 Hinzu kommen die Nachlässe einzelner PK-Fotografen, wie beispielsweise derjenige von Artur Grimm
im Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz.8 Die Propagandatruppen der deutschen Wehrmacht wurden an allen Kriegsfronten und in allen besetzten Gebieten eingesetzt. Bisher nicht systematisch untersucht wurden die PK-Fotografien von den östlichen Kriegsschauplätzen, wo die genozidale Dimension
des Nationalsozialismus am deutlichsten hervortrat9 und wo nicht nur die
militärische Aktivität, sondern auch die Verluste an Menschenleben am
höchsten waren10. So liegt weder zu den etwa 25 000 PK-Fotografien aus dem
besetzten Polen noch zu anderen der ostmittel- und osteuropäischen Kriegsund Besatzungsgebiete eine Monografie vor. Im Folgenden werden daher
Forschungsergebnisse der letzten Dekade zu den PK-Fotografien mit einer
geografischen Schwerpunktsetzung auf das deutsch besetzte Polen rekapituliert, um so die Voraussetzungen für deren quellenkritische Nutzung zu verbessern. Zugleich soll die Auffassung untermauert werden, dass die visuelle
Botschaft der PK-Fotografie nicht isoliert von ihrem Entstehungskontext verstanden werden kann.11
Verschiedene Forscher haben inzwischen ein Geflecht administrativer
Steuerungsprozesse der Produktion und Distribution von PK-Aufnahmen offen gelegt, dessen Kenntnis zur genaueren Bestimmung des Quellenwerts dieser bildlichen Massenquellen von hoher transnationaler Relevanz unerlässlich
ist. Neben der Frage nach der Aussagefähigkeit der PK-Fotografien über die
historischen Vorgänge selbst stellt sich vor allem die Frage nach den von diesen Bildern transportierten Botschaften während des Zweiten Weltkriegs im
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OLIVER SANDER: Deutsche Bildberichter in Polen, in: W obiektywie wroga (wie
Anm. 5), S. 31-47, hier S. 32. Vgl. auch die Online-Findmittel und -Publikationen des
Bundesarchivs unter http://www.bundesarchiv.de/ und http://www.bild.bundesarchiv.
de/ (eingesehen am 16.03.2011). Im Dezember 2008 stellte das Bundesarchiv der Online-Enzyklopädie Wikipedia rund 100 000 historische Fotografien aus verschiedenen
Epochen der deutschen Geschichte mit einer Standard-Lizenz zur kostenlosen Nutzung
und Weiterverbreitung zur Verfügung. Die Archivsignaturen derart lizenzierter PKFotografien sind im Folgenden gekennzeichnet mit der Endung „CC-BY-SA“.
http://bpkgate.picturemaxx.com/ (eingesehen am 16.03.2011).
Vgl. Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944,
hrsg. von ULRIKE JUREIT, Hamburg 2002; Genesis des Genozids. Polen 1939-1941,
hrsg. von KLAUS-MICHAEL MALLMANN u.a., Darmstadt 2004 (Veröffentlichungen der
Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, 3); „Grösste Härte ...“ Verbrechen der Wehrmacht in Polen September/Oktober 1939. Ausstellungskatalog, bearb.
von JOCHEN BÖHLER, Osnabrück 2005.
Vgl. NORMAN DAVIES: Europe at War 1939-1945. No Simple Victory, London 2006,
S. 19 f., 24 f., 71 f., 94, 364-367.
WOLF BUCHMANN: „Woher kommt das Photo?“ Zur Authentizität und Interpretation
von historischen Photoaufnahmen in Archiven, in: Der Archivar 59 (1999), 4, S. 296306, http://www.archive.nrw.de/archivar/hefte/1999/Archivar_1999-4.pdf (eingesehen
am 16.03.2011).
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Miriam Y. Arani
Abb. 2: Major Hasso von Wedel, Porträtaufnahme, November 1938, Fotograf:
Stiehr. Zeitgenössische Bildbeschriftung: „Major von Wedel, der Leiter der
Pressetruppe im Oberkommando der Wehrmacht, sprach am heutigen Mittwochabend (23.11.1938) im Schinkelsaal der Hochschule für Politik zu dem
Thema ‚Aufbau der Wehrmacht‘“ (BArch, Bild 146-2002-005-22A/Stiehr/
CC-BY-SA)
Rahmen der psychologischen Kriegsführung des nationalsozialistischen Regimes.
Die Beschreibung der Propagandatruppen der deutschen Wehrmacht blieb
über viele Jahrzehnte der Perspektive ihrer ehemaligen Mitarbeiter verhaftet.12 Außer Hasso von Wedel, dem Leiter der Abteilung Wehrmachtpropaganda (Abb. 2), veröffentlichten ehemalige Mitarbeiter der PK nach dem
12
BERND BOLL: Das Bild als Waffe. Quellenkritische Anmerkungen zum Foto- und
Filmmaterial der deutschen Propagandatruppen 1938-1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54 (2006), S. 974-998, hier S. 974 f. Zuletzt zur Geschichte und
Funktion der Propagandaeinheiten DANIEL UZIEL: The Propaganda Warriors: The
Wehrmacht and the Consolidation of the German Home Front, New York 2008; vgl.
hierzu die Rezension von EUGENIA C. KIESLING, in: Michigan War Studies Review
vom 2.04.2009, http://www.michiganwarstudiesreview.com/2009/ 20090402.asp (eingesehen am 1.12.2010).
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
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Zweiten Weltkrieg ihre Memoiren und andere Texte, deren Quellenwert aufgrund ihrer mehr oder weniger deutlichen Absicht, diese Organisationen von
jeglicher Nähe zu der Ideologie und den Verbrechen des nationalsozialistischen Staates freizusprechen, begrenzt ist.13 Genauere Quellenrecherchen im
letzten Jahrzehnt haben zu dem Ergebnis geführt, dass die PK-Fotografen keine in Uniform gezwungenen, unpolitischen Bildjournalisten waren, wie viele
von ihnen nach dem Krieg behaupteten; vielmehr ist anzunehmen, dass sie
diese Legende bewusst pflegten.14
Wie Winfried Ranke bereits 1992 anmerkte, identifizierten sich viele PKFotografen mit den Kriegszielen des nationalsozialistischen Regimes und sahen in ihrer Tätigkeit eine Möglichkeit, ihre Karriere als Pressefotograf im
Hinblick auf die Nachkriegszeit voranzutreiben.15 Sie konkurrierten im Krieg
und während der Vernichtung der jüdischen Minderheit Europas darum,
„ihre“ Aufnahmen in der deutschen Presse – vorzugsweise auf dem Titelblatt
einer Illustrierten – abgedruckt zu sehen. Daher ist es sinnvoll, bei allen
Nachkriegsaussagen ehemaliger PK-Fotografen von folgender Überlegung als
Arbeitshypothese auszugehen:
„[...] solange wir nicht – anstelle der Selbstrechtfertigungen eines Hilmar Pabel
oder Gerhard Gronefeld, zwei der zahlreichen PK-Fotografen mit erfolgreicher
Nachkriegskarriere – Belege für Dissidenz oder subversives Verhalten innerhalb
der Propagandatruppen der Wehrmacht haben, müssen wir davon ausgehen, dass
nicht journalistisches Handwerk und Distanz zum Geschehen, sondern ein hohes
Maß an Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie und Propaganda den Blick der deutschen ‚Bildberichter‘ geprägt haben.“16
Die an die PK-Fotografen erteilten Anweisungen des Reichsministeriums
für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) und der Dienststelle für
Wehrmachtpropaganda des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), deren
Umsetzung, die anhand vieler Schrift- und Bildquellen nachweisbar ist, sowie
auch die absichtsvolle visuelle Diffamierung bestimmter Menschengruppen
widerlegen Hasso von Wedels Nachkriegsaussage, die PK-Berichterstattung
13
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Zahlreiche Mitarbeiter der Propagandatruppen kehrten nach 1945 in ihre früheren
Berufe zurück und verschleierten der Nachkriegsöffentlichkeit gegenüber ihre vorherige Funktion. So gründete Günther Heysing 1951 in Hamburg eine „Wildente“ genannte Veteranenorganisation der Propagandatruppen, die darauf zielte, die Propagandaeinheiten und die Wehrmacht als losgelöst vom NS-Regime darzustellen; nach DANZIEL
UZIEL: Propaganda, Kriegsberichterstattung und die Wehrmacht. Stellenwert und
Funktion der Propagandatruppen im NS-Staat, in: Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges, hrsg. von RAINER ROTHER und JUDITH PROKASKY,
München 2010, S. 13-36, hier S. 29 f.
BOLL (wie Anm. 12), S. 988, 996.
WINFRIED RANKE: Fotografische Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg. Wann
wurde daraus Propaganda?, in: Fotogeschichte 12 (1992), 43, S. 60-73, hier S. 61-67
und 70 ff.
MEYER (wie Anm. 1), S. 17.
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Miriam Y. Arani
aus Polen sei von größter „Sachlichkeit“17 gekennzeichnet gewesen und die
Wehrmachtpropaganda habe „passive Resistenz“18 gegen die rassenideologisch-antisemitische Propaganda der NSDAP geleistet. Die Organisationsform und der Zweck der Propagandatruppen bestimmten sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen der PK-Fotografie: Sie sollte den Zweiten
Weltkrieg nicht neutral dokumentieren, sondern war eine Waffe, mit der dieser Krieg psychologisch geführt wurde.19
Die Fotografien der PK als visuelle Massenquellen können weder von der
Geschichts- noch von der Kunstwissenschaft allein adäquat interpretiert werden, da diese Artefakte – anders als Werke der bildenden Kunst – eine massenmediale Kommunikationsfunktion erfüllen sollten, so dass auch ihr „sozialer Sinn“ zu berücksichtigen ist.20 Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, die
PK-Fotografien als Quellen interdisziplinär zu analysieren und interpretieren.21 Um ihre visuellen Botschaften im Kontext des nach Osten hin primär
„rassenpolitisch“ konzipierten „Vernichtungskrieges“ präziser beschreiben
und analysieren zu können, ist über eine Rekonstruktion ihrer Entstehungszusammenhänge hinaus eine Untersuchung ihrer zeitgenössischen Gebrauchszusammenhänge erforderlich, um die von den PK-Fotografen „beabsichtigte
Ikonografie“22 herauszuarbeiten. Dies ist möglich durch Vergleiche mit Erzeugnissen der vom nationalsozialistischen Regime gelenkten zeitgenössischen Fotopublizistik einerseits und mit PK-Fotografien von anderen deutsch
besetzten Gebieten und Kriegsschauplätzen andererseits.
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HASSO VON WEDEL: Die Propagandatruppen der deutschen Wehrmacht, Neckargemünd 1962 (Die Wehrmacht im Kampf, 34), S. 37, und dagegen MEYER (wie Anm. 1),
S. 35; SANDER (wie Anm. 7), S. 37.
VON WEDEL (wie Anm. 17), S. 148, und dagegen ARANI, Fotografische Selbst- und
Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 576 ff.
Vgl. BOLL (wie Anm. 12), S. 996; UZIEL (wie Anm. 12), S. 14 f.; ARANI, Fotografische
Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 217 f., 228-231, 247 ff.
„Jedes Artefakt [...] ist lediglich aus dem Sinn deutbar und verständlich, den menschliches Handeln (von möglicherweise sehr verschiedener Zielrichtung) der Herstellung
und Verwendung dieses Artefakts verlieh (oder verleihen wollte); ohne Zurückgreifen
auf ihn bliebe sie gänzlich unverständlich.“ MAX WEBER: Soziologische Grundbegriffe, München 1984, S. 22; vgl. ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie
Anm. 6), S. 90-109, insbes. S. 102 ff.
Vgl. ARANI, Die fotohistorische Forschung (wie Anm. 4), und DIES.: Fotografien als
Objekte – die objektimmanenten Spuren ihrer Produktions- und Gebrauchszusammenhänge, in: Das Objekt Fotografie – „schön und nützlich zugleich“, hrsg. von IRENE
ZIEHE und ULRICH HÄGELE, Münster 2006 (Visuelle Kultur, 2), S. 29-43.
JAN BIAŁOSTOCKI: Skizze der beabsichtigten und der interpretierenden Ikonographie,
in: Ikonographie und Ikonologie. Theorien, Entwicklung, Probleme, hrsg. von EKKHARD KAEMMERLING, 4. Aufl., Köln 1987, S. 15-63.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
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Organisationsgeschichtlicher Überblick
Die Anfänge einer – zunächst inoffiziellen – Kooperation zwischen dem
von der NSDAP nach der Regierungsübernahme errichteten RMVP und dem
Reichswehrministerium (als Vorläuferinstitution des OKW) liegen im Jahr
1933.23 In der Folgezeit wuchs eine auf wechselseitigen Interessen basierende
Allianz zwischen OKW und RMVP, die zur Gründung der Propagandatruppen als militärischer Organisation führte.24
Im Frühjahr 1938 brachte Generaloberst Wilhelm Keitel, Chef des OKW,
in einer Denkschrift zum Ausdruck, dass es zu den „Grundsätzen des totalen
Krieges der Zukunft“ zähle, den Waffen-, Propaganda- und Wirtschaftskrieg
miteinander zu vereinen.25 Das nationalsozialistische Verständnis von Propaganda26 war schon zuvor eng mit der Anwendung physischer Gewalt27 verknüpft gewesen. In den Durchführungsbestimmungen des OKW vom 19. August 1938 wurde festgelegt, dass die PK als Teil der Nachrichtentruppen dem
jeweiligen Armeeoberkommando (AOK) unterstehen, ihre Anweisungen zu
Inhalt und Form der Berichterstattung aber vom RMVP erhalten sollten.28
Bekräftigt wurde die Zuständigkeit des RMVP für die Herstellung von Propagandamaterial in den zwischen RMVP und OKW vereinbarten „Grundsätzen für die Führung der Propaganda im Kriege“ vom 27. September 193829,
wobei das OKW mit Unterstützung des RMVP die Propagandaeinheiten lediglich organisiere: die Kriegsberichterstattung in allen Massenmedien, die
Propaganda in den „Feind“ hinein (sog. Kampf- und Aktivpropaganda) und
die „geistige“ Betreuung der eigenen Truppe.30 Zur Durchführung dieser
Grundsätze richtete das OKW zum 1. April 1939 die Abteilung Wehrmachtpropaganda (Abt. WPr) ein, die für die militärische Zensur im Krieg und die
Lenkung der Wehrmachtsberichterstattung verantwortlich war. Zu ihrem
Leiter wurde Oberst Hasso von Wedel, der die politischen Ziele Adolf Hitlers
und die Indoktrination der Wehrmacht mit der nationalsozialistischen Ideologie seinerzeit explizit befürwortete.31
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UZIEL (wie Anm. 12), S. 14.
Ebenda, S. 13, 28 f.
Zit. nach BOLL (wie Anm. 12), S. 977.
PETER LONGERICH: Nationalsozialistische Propaganda, in: Deutschland 1933-1945.
Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, hrsg. von KARL DIETRICH BRACHER, 2. erg. Aufl., Bonn 1993 (Schriftenreihe Bundeszentrale für Politische Bildung,
314), S. 291-314.
EUGEN HADAMOVSKY: Propaganda und nationale Macht, Oldenburg 1933, S. 22.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 16 f.
Zit. nach SANDER (wie Anm. 7), S. 33; MEYER (wie Anm. 1), S. 30.
Vgl. BOLL (wie Anm. 12), S. 977; SANDER (wie Anm. 7), S. 32 f.; UZIEL (wie Anm.
12), S. 16.
Vgl. BOLL (wie Anm. 12), S. 978; UZIEL (wie Anm. 12), S. 17 f. Eine entsprechende
Publikation HASSO VON WEDELS unter dem Titel „Wehrmacht und Partei“ von 1938 ist
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Miriam Y. Arani
Das RMVP bestimmte in der Folgezeit auf drei Ebenen die Bildproduktion
der PK: durch die Auswahl des Fachpersonals, durch inhaltliche Anweisungen an die PK und durch eine nachträgliche politische Zensur des Bildmaterials.32
Durch die Auswahl des Fachpersonals sicherte sich das RMVP Einfluss
auf dessen Professionalität (im Sinn einer handwerklichen Qualitätserwartung) und dessen politische Zuverlässigkeit (im Sinn der NSDAP). Die Abt.
WPr stimmte im Sommer 1939 einer Rekrutierung des PK-Fachpersonals auf
Vorschlag des RMVP33 in Abstimmung mit dem Allgemeinen Heeresamt
(AHA) des Oberkommandos des Heeres zu.34 Dieser Rekrutierungsprozess
hat sich bisher nicht in allen Einzelheiten klären lassen. Die jüngeren Forschungsergebnisse zu den involvierten Dienststellen ergänzen eine frühere
Rekonstruktion dieses Verfahrens, die sich auf die beteiligten außermilitärischen Dienststellen bezog.35 Jedes Wehrkreiskommando36 erhielt über das
AHA eine Liste von Namen kriegsdienstpflichtiger Fachleute in seinem Kommandobereich und schlug in Abstimmung mit dem zuständigen Reichspropagandaamt (RPA) Kompanieführer vor.37 Die letzte Entscheidung über die befehlshabenden PK-Offiziere traf auf Vorschlag der Abt. WPr Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich.38 Infolge dieses Rekrutierungsverfahrens galt für alle PK-Fotografen das „Schriftleitergesetz“ vom 4. Oktober
1933, wonach jede journalistische Betätigung eine propagandistische Dienstleistung für das nationalsozialistische Regime war und bestimmte Personengruppen vom Zugang zu den Presseberufen gänzlich ausgeschlossen wurden.39
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39
auszugsweise abgedruckt in: Das Dritte Reich und seine Diener, hrsg. von LÉON
POLIAKOV und JOSEF WULF, München u.a. 1978, S. 421 f.
BOLL (wie Anm. 12), S. 979-982.
Gemäß einer Vereinbarung vom 26.07.1940 war hierfür das RMVP-Referat Reichsverteidigung zuständig; nach BOLL (wie Anm. 12), S. 978.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 26, zufolge setzte sich dieses Rekrutierungssystem bis weit in
die Kriegszeit hinein fort.
DORIS KOHLMANN-VIAND: NS-Pressepolitik im Zweiten Weltkrieg. Die „vertraulichen
Informationen“ als Mittel der Presselenkung, München u.a. 1991 (Kommunikation und
Politik, 23), S. 37-40, 43-52, rekonstruiert den organisatorischen Ablauf folgendermaßen: Das RPA am Sitz des jeweiligen Generalkommandos erstellte in Kooperation mit
der NSDAP-Gauleitung Personallisten in Frage kommender Journalisten. Die Vorschlagslisten wurden dann an das Reichsverteidigungsreferat des RMVP weitergeleitet, wo sie begutachtet und ergänzt wurden. Anschließend wurden die vorgeschlagenen
Journalisten nochmals vom Stab des Stellvertreters des „Führers“ auf ihre politische
Zuverlässigkeit hin überprüft.
In jedem Wehrkreiskommando war der Führungsspitze ein der Abt. WPr IIc unterstellter Wehrmachtpropaganda-Offizier zugeordnet worden; nach UZIEL (wie Anm. 12),
S. 27 f.
BOLL (wie Anm. 12), S. 979.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 27.
Vgl. ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 255, 257 ff.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
9
Die täglichen inhaltlichen „Presseanweisungen“40 des RMVP an die PK,
welche u.a. herzustellende Fotografien betrafen, wurden in den Ministerkonferenzen41 und teils auch in den seit 1933 täglich durchgeführten Reichspressekonferenzen42 des RMVP verkündet. Sie schrieben die Themen und
Tendenz der Bildberichterstattung vor und wurden vermutlich über das
Hauptreferat Bildpresse des RMVP an die zuständigen Heeresdienststellen
weitergeleitet.43 Es fehlt bislang eine genauere Rekonstruktion des Dienstbzw. Befehlsweges.
Das RMVP hatte bereits 1936 und 1937 probeweise Pressefotografen bei
Militärmanövern eingesetzt.44 Mit Befehl vom 16. August 1938 stellte das
OKW die ersten vier von fünf PK für den deutschen Einmarsch im Sudetenland auf.45 Vor dem Überfall auf Polen im September 1939 wurden in aller
Eile weitere PK aufgestellt.46 Die reguläre Stärke einer solchen Kompanie betrug 1939 rund 150 Mann, darunter mindestens vier bis sieben Pressefotografen.47 Hinsichtlich des militärischen Ranges der PK-Fotografen widersprechen sich zeitgenössische Quellen und Nachkriegsaussagen: Letzteren zufolge wurden die PK-Fotografen als Ungediente mit dem als Verlegenheitslösung eingeführten Rang eines „Sonderführers“ versehen, wobei Presseveröffentlichungen ihrer Bilder mit einer Beförderung zum Unteroffizier belohnt
worden sein sollen.48 Zeitgenössische Schriftquellen besagen dagegen, dass
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Mit dem Begriff „Presseanweisungen“ werden folgende Quellenkorpora bezeichnet:
die Mitschriften zweier Journalisten aus der „Reichspressekonferenz“ (BArch, Zsg
101: Slg. Brammer; BArch, ZSg 102: Slg. Sänger), die Fernschreiben mit den Anweisungen aus den „Reichspressekonferenzen“ an die Reichspropagandaämter (BArch,
Zsg. 109: Slg. Oberheitmann) und Goebbels’ Protokolle aus den Ministerkonferenzen
1939-1945.
Seit Kriegsbeginn fanden im RMVP täglich von Goebbels geleitete Ministerkonferenzen statt, siehe: Kriegspropaganda 1939-1941, hrsg. von WILLI A. BOELCKE, Stuttgart
1966; Wollt Ihr den totalen Krieg? Die geheimen Goebbels-Konferenzen 1939-1945,
hrsg. von DEMS., Stuttgart 1967.
Vgl. ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 280 ff.; JÜRGEN
HAGEMANN: Die Presselenkung im Dritten Reich, Bonn 1970, S. 95, 242, 288.
Vgl. BOLL (wie Anm. 12), S. 979; vgl. auch: Die Gleichschaltung der Bilder. Zur Geschichte der Pressefotografie 1930-1936, hrsg. von DIETHART KERBS u.a., Berlin 1983.
Vgl. VON WEDEL (wie Anm. 17), S. 2, 18 ff.; BOLL (wie Anm. 12), S. 977; UZIEL (wie
Anm. 12), S. 15.
BArch RH 19 XVI/8, Bl. 102-109, vgl. abweichend UZIEL (wie Anm. 12), S. 17, in
Anlehnung an ORTWIN BUCHBENDER: Das tönerne Erz. Deutsche Propaganda gegen
die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1978, S. 19. Diese ersten fünf Kompanien – PK 521, 537, 549, 558 und 570 – erhielten kurz vor dem Angriff auf Polen
neue Nummern: die Anfangsziffer 5 wurde durch eine 6 ersetzt.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 18.
VON WEDEL (wie Anm. 17), S. 17.
Siehe BOLL (wie Anm. 12), S. 989.
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die PK-Journalisten den Status von Unteroffizieren innehatten und privilegierte „Sonderberichter“ sogar einen Offiziersrang erlangten.49
Als am 1. September 1939 über eine Million deutscher Soldaten nach Polen einmarschierten, war jeder Armee eine PK zugeteilt worden. Mit den
deutschen Streitkräften drangen fünf von sieben PK des Heeres, zwei Kriegsberichterkompanien der Luftwaffe und eine PK der Marine in das polnische
Staatsgebiet ein.50
Noch im Jahr 1939 gründete die Abt. WPr in Potsdam eine Ausbildungskompanie, die 1940 zur Propaganda-Ersatz-Abteilung (PEA) ausgebaut wurde. In dieser Ausbildungs- und Ersatzeinheit wurden auch Propagandaeinheiten verbündeter Staaten (Finnland, Italien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien)
geschult.51
Beim Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 kamen
dreizehn PK des Heeres, vier der Luftwaffe, zwei Halbkompanien der Marine
und drei SS-Propagandakompanien zum Einsatz.52 Im Jahr 1942 umfassten
die Propagandatruppen insgesamt annähernd 15 000 Mann.53 Nun erhielten
auch Panzergruppen, denen bis dahin keine PK zugeteilt worden waren, eigene Kriegsberichter.54 Die Aufgabenschwerpunkte der PK des Heeres wurden infolge der Rückschläge des deutschen Militärs an den Fronten im Winter
1941/42 nach und nach hin zur Kampf- bzw. Aktivpropaganda und Truppenbetreuung verlagert. Die Kompanien wurden umorganisiert und wegen der
erlittenen Verluste verkleinert. Während im Januar 1943 noch etwa drei
Viertel des PK-Personals mit der Kriegsberichterstattung befasst waren, verringerte sich die Zahl dieser Mitarbeiter in den folgenden Monaten entweder
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Einsatzberichte der PK 637 vom Herbst 1939, BArch, Bild, Hilfsmittel Ergänzungsband Heer zum Bestand 101I, S. 45-56. Wie aus den von UTE WROCKLAGE für die
DVD: Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944,
hrsg. vom HAMBURGER INSTITUT FÜR SOZIALFORSCHUNG, Hamburg 2004, zusammengestellten Informationen zum PK-Fotografen Johannes Hähle hervorgeht, wurden
Bildberichter in den Propagandakompanien in mindestens vier verschiedenen militärischen Rängen (Sonderführer, Gefreiter, Leutnant, Unteroffizier) geführt; siehe DVD
unter folgendem Pfad: Themen & Inhalte/Themenauswahl/3. Völkermord/PC-Station/Babij Jar/Der Fotograf (faksimilierte Eingangsmeldung über Bilder und Berichte
der PK 637 vom 30.09.1941).
Nach SANDER (wie Anm. 7), S. 31 f., handelte es sich um folgende Einheiten: bei der
Heeresgruppe Nord: PK 501 und PK 689, bei der Heeresgruppe Süd: PK 621, PK 637
und PK 670, bei der Luftflotte: Lw-PK 1 und Lw-PK 2 sowie Luftwaffen-Kommando
Ostpreußen und Luftwaffen-Propaganda-Zug Ostpreußen, bei der Marine: 1. Marine
PK Ost. Vgl. hiervon teils abweichend ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder
(wie Anm. 6), S. 572 ff.
Vgl. SANDER (wie Anm. 7), S. 32; UZIEL (wie Anm. 12), S. 19. Die PEA wurde später
umbenannt in Propaganda-Ausbildungs-Abteilung (PAA).
Vgl. VON WEDEL (wie Anm. 17), S. 53 f.; UZIEL (wie Anm. 12), S. 19.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 20.
BOLL (wie Anm. 12), S. 987.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
11
auf je zwei Schreibende und einen Fotografen oder sie wurden zusammengefasst in Heereskriegsberichterstatterzügen (HKBZ) bei den Heeresgruppen.55
Im Jahr 1942 beschäftigte die Abt. WPr etwa 300 Mitarbeiter56 und wurde
1942/43 zum Amt WPr des Wehrmachtsführungsstabs (WFSt) aufgewertet.
Die Propagandatruppen wurden nun innerhalb der Wehrmacht zu einer selbständigen Waffengattung erklärt. Hasso von Wedel ließ sich zum Generalmajor und Chef der Propagandatruppen befördern und zog mit einer kleinen
Gruppe von Mitarbeitern in das Führerhauptquartier zu Adolf Hitler und der
OKW-Spitze. Das Amt WPr in Berlin ließ er von seinem stellvertretenden
Kommandanten Oberst Rolf Kratzer leiten.57 Die Ende 1944 etwa 15 verbliebenen Kriegsberichterzüge (KBZ) der Wehrmacht mit rund 450 Mann wurden schließlich dem Befehl einer „Kriegsberichter-Abteilung“ (KBA) unterstellt.58
Dieser organisationsgeschichtliche Überblick zeigt, dass die Propagandatruppen in Wechselwirkung mit dem Kriegsverlauf – insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Sowjetunion – vergrößert und dann
wieder verkleinert wurden, wobei von Wedel sich zunehmend von der alltäglichen Erfahrungswelt der ihm Untergebenen entfernte. Dieser Mangel an
verantwortungsbewusster Führung wirkte sich letztlich auch auf das Verhältnis zur SS aus, denn für die Organisation und Führung der Anfang 1940 aufgestellten SS-Propaganda-Kompanien (SS-PK) war ebenfalls die Abt. bzw.
das Amt WPr verantwortlich, d.h. von Wedel. Es handelte sich anfangs um
eine einzelne Kompanie, die im Kriegsverlauf – parallel zur Vergrößerung
der Waffen-SS – zu einem ganzen Regiment namens „SS-Standarte Kurt
Eggers“ anwuchs, das zum Kriegsende hin seinen Einfluss im Amt WPr erheblich vergrößerte.59
Nach bisherigem Kenntnisstand waren die Aufträge der Abt. bzw. des Amtes WPr an die PK-Fotografen etwas anders akzentuiert als die Aufträge des
RMVP und dienten primär einer Verbesserung des Ansehens des Heeres.
Doch in ihren ästhetischen und ideologischen Anforderungen an die Fotografen unterschieden sich die Aufträge dieser Stelle nicht von denen des
RMVP.60 Auch die von der WPr durchgeführte militärische Zensur erfolgte
nicht in Opposition, sondern analog zu den bildlichen Darstellungsverboten
und -geboten des RMVP. Sie verhinderte die Preisgabe militärischer Geheim55
56
57
58
59
60
Vgl. UZIEL (wie Anm. 12), S. 20.
Ebenda, S. 20.
Vgl. MARTIN MOLL: Die Abteilung Wehrmachtpropaganda im Oberkommando der
Wehrmacht: Militärische Bürokratie oder Medienkonzern?, in: Bürokratien. Initiative
und Effizienz, hrsg. von WOLF GRUNER und ARMIN NOLZEN, Berlin 2001 (Beiträge zur
Geschichte des Nationalsozialismus, 17), S. 111-150, hier S. 129 f.; BOLL (wie
Anm. 12), S. 979; SANDER (wie Anm. 7), S. 33; UZIEL (wie Anm. 12), S. 20.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 20 f.
Vgl. SANDER (wie Anm. 7), S. 32, und UZIEL (wie Anm. 12), S. 18 f.
BOLL (wie Anm. 12), S. 984.
12
Miriam Y. Arani
Abb. 3: An der Grenze zwischen der von der NSDAP regierten Stadt Danzig und der
polnischen Stadt Sopot entstand diese mit deutschen Soldaten gestellte Aufnahme. Sie vermittelt den trügerischen Anschein eines gewaltlosen deutschen Eindringens in Polen. Bildbeschriftung nach ADN-Zentralbild (DDR):
„II. Weltkrieg 1939-45. Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht
auf Polen am 1.9.1939. Soldaten zerstören den Schlagbaum an der deutschpolnischen Grenze in der Nähe von Danzig.“ Fotograf: Hans Sönnke, Danzig
(BArch, Bild 183-51909-0003/Sönnke/CC-BY-SA)
nisse und steuerte zugleich die Felder der Berichterstattung, denn die Zensuroffiziere wurden laufend darüber unterrichtet, was dringend, nur verhüllt und
gar nicht publik werden sollte.61
Es griffe jedoch zu kurz, die PK-Fotografie isoliert von der durch die militärischen Operationen veränderten Medienlandschaft in den besetzten Gebieten
zu betrachten. Mit der Kooperation von OKW und RMVP setzte das nationalsozialistische Regime eine vollständige Kontrolle der Pressebildproduktion und -distribution im besetzten Gebiet durch, indem die Wehrmacht allen
nicht vom OKW und RMVP zugelassenen Journalisten den Zugang zu dem
von der Wehrmacht besetzten Gebiet untersagte62 und nur die Aufnahmen der
PK-Bildberichter – vereinzelt auch solche ziviler Fotografen63 (Abb. 3) – über
die Abt. WPr und das RMVP zur Veröffentlichung weiterleitete. Im Septem61
62
63
Ebenda, S. 986.
SANDER (wie Anm. 7), S. 38.
Vgl. ebenda, S. 31, 38. Siehe zur hier abgebildeten Fotografie auch: BArch, Bild 1461979-056-18A/CC-BY-SA; BArch, Bild 183-E10457/CC-BY-SA und -E10458/CCBY-SA.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
13
ber 1939 wurden so in wenigen Tagen die Bilder der PK-Fotografen – wie
auch andere Medienprodukte der Propagandatruppen – für die deutsche Bevölkerung zur wichtigsten Informationsquelle über den Krieg und die von der
Wehrmacht besetzten Länder; alle Nachrichtenmedien in den Gebieten unter
nationalsozialistischer Herrschaft mussten sich aus deren Material bedienen.64
Den polnischen Pressefotografen im besetzten Gebiet wurde die Berufsausübung weitgehend unmöglich gemacht und ferner Polen im Sommer 1941
verboten, privat Fotoapparate zu besitzen oder zu benutzen.65
Von der Herstellung einer PK-Fotografie
bis zu ihrer Publikation
Eine PK-Fotografie durchlief von ihrer Herstellung bis zu ihrer Veröffentlichung einen hochgradig arbeitsteiligen Produktions- und Distributionsprozess. Obwohl die PK-Aufnahmen primär der aktuellen Kriegsberichterstattung dienten, wollten ihre Hersteller zugleich Quellen für eine künftige Geschichtsschreibung erzeugen.66 Daher wurden von den PK an das RMVPHauptreferat Bildpresse gelieferte „Dienstabzüge“ der Fotoaufnahmen in einem „Reichsbildarchiv“ erfasst, geordnet und verwahrt.67
Der Herstellungs- und Distributionsprozess der PK-Fotografien gestaltete
sich, soweit er bisher rekonstruiert werden konnte, folgendermaßen: Zuerst
verständigten sich RMVP und WPr darüber, welche Themen der Öffentlichkeit wie präsentiert werden sollten; dabei fanden in einem bisher nicht zu bestimmenden Umfang Bestellungen Dritter Berücksichtigung. Dann erfolgten
entsprechende Anweisungen an die PK68, die oft aus schlagwortartig formulierten Bildthemen bestanden. Manchmal erhielten die PK-Fotografen genauere Angaben zur Bildgestaltung. Ein Arbeitsauftrag an den PK-Fotografen
Schwahn (PK 689) vom 8. September 1939 lautete beispielsweise: „Nicht zu
viele Details, Großfiguren, einfache Komposition des Bildes für das Druckergebnis ist entscheidend. Titelblatt! Ein bis zwei Personen mit Milieu als
64
65
66
67
68
UZIEL (wie Anm. 12), S. 21; ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6),
S. 580.
Die Regelungen in den „eingegliederten Ostgebieten“ und dem „Generalgouvernement“ unterschieden sich; vgl. zu Großpolen: ARANI, Fotografische Selbst- und
Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 440-448, und zum Generalgouvernement: DIES.: Aus
den Augen aus dem Sinn? Publizierte Fotografien aus dem besetzten Warschau 1939
bis 1945, in: Fotogeschichte 17 (1997), 65, S. 33-58 (Teil 1) und 18 (1997), 66, S. 3350 (Teil 2).
Vgl. BOLL (wie Anm. 12), S. 994; ROLF SACHSSE: Die Erziehung zum Wegsehen.
Fotografie im NS-Staat, Dresden 2003, S. 349; BArch RH 20-8/167: OKW an PK 649,
11.09.1939; BArch RW 4/185, Bl. 215: OKW und RMVP an alle PK, 13.10.1939.
Ab dem 1.08.1941 war dafür ein als nachgeordnete Dienststelle des RMVP neu gegründetes Bildpresseamt verantwortlich, das 1943 über eine Million PK-Aufnahmen
und eine nicht genauer bezifferte Anzahl von beschlagnahmten Fotografien aus dem
Ausland verfügte; BOLL (wie Anm. 12), S. 995; SACHSSE (wie Anm. 66), S. 257 ff.
BOLL (wie Anm. 12), S. 983; SANDER (wie Anm. 7), S. 34 f.
14
Miriam Y. Arani
Hintergrund.“69 In einigen Fällen beauftragten RMVP und WPr gezielt bestimmte Fotografen.70 Im September 1939 verlangte das RMVP beispielsweise den Einsatz der PK-Fotografen Schwahn, Ehlert und Borchert.71 Im
November 1939 forderte die Abt. WPr speziell den PK-Fotografen Gerhard
Gronefeld an, der im Juni 1941 beim Angriff auf die Sowjetunion nochmals
gezielt für Bilder von Opfern des sowjetischen Geheimdienstes NKWD bestellt wurde.72
Die Fotografen konkurrierten in den PK untereinander offenbar dergestalt,
dass sich einige von ihnen ungestellter Aufnahmen rühmten, während andere
die Bildgegenstände so zurichteten, dass sie zu optimalen Bildergebnissen im
Sinn ihrer Auftraggeber führten. Diese Interpretationsmöglichkeit lässt jedenfalls folgende Aussage im Einsatzbericht der PK 637 vom 14. Oktober 1939 zu:
„Die Bildberichte der Sonderführer [Hans] Wagner, [Eitel] Lange und [Friedrich
Anton] Bögner sind teilweise unecht, da gestellt. Sie dürften einem Vergleich z.B.
mit den Bildberichten des Uffz. [Otto] Lanziger aus Warschau nicht standhalten.“73
Ein Kompaniebefehl der PK 612 vom 18. Januar 1940 stellte eine „Regie“
der herzustellenden Fotoaufnahmen als Selbstverständlichkeit dar:
„Der Bildbericht ist nicht das zufällige Ergebnis einer Bildberichterarbeit, sondern
verlangt vorherige Überlegung und gedankenmässige Festlegung der zu fotografierenden Aufnahmen. Ein regiemässiges Nachhelfen durch Herbeiführen bestimmter Vorgänge wird zur Herstellung eines Bildberichts oft nötig sein. Es muss
dabei aber unbedingt beachtet werden, dass die Hauptbedingung eines Bildberichts die Lebendigkeit ist. Gestellt wirkende und ‚tote‘ Aufnahmen zerstören
die publizistische Wirkung des Bildberichts.“74
Nicht alle PK-Aufnahmen wurden derart inszeniert, doch Verfälschungen
der von einem Fotografen vorgefundenen Sachverhalte konnten auch ohne
tätliche Eingriffe in die vorgefundene Situation durch den Einsatz bildgestalterischer Mittel erzielt werden. Der ehemalige PK-Fotograf Georg SchmidtScheeder75 beschrieb, wie er einen Arbeitsauftrag, der nicht mit der vorgefundenen sichtbaren Wirklichkeit übereinstimmte, fotografisch löste, um das von
ihm angeforderte Bildmotiv zu liefern: Das RMVP verlangte Aufnahmen
möglichst vieler britischer Kriegsgefangener, doch er sah sich in Dünkirchen
vor allem mit französischen Gefangenen konfrontiert. Daher fotografierte er
einige wenige britische Soldaten bildfüllend im Vordergrund und ließ die
Masse französischer Kriegsgefangener undeutlich im Hintergrund des Bildes
69
70
71
72
73
74
75
Zit. nach SANDER (wie Anm. 7), S. 37.
BOLL (wie Anm. 12), S. 979.
SANDER (wie Anm. 7), S. 37.
BOLL (wie Anm. 12), S. 985.
Zit. nach SANDER (wie Anm. 7), S. 37.
Zit. nach BOLL (wie Anm. 12), S. 992.
Vgl. BArch Bild 101I-010-0919-39/CC-BY-SA, 21.06.1941, Fotograf: Georg
Schmidt, PK 621.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
15
Abb. 4: Musikkorps einer deutschen Militärparade in Warschau, ca. September/Oktober 1939, Fotograf: Schulze, PK 501 (BArch, Bild 101I-001-0251-12/
Schulze/CC-BY-SA)
erscheinen.76 Ähnlich ist eine PK-Aufnahme aus Warschau (Abb. 4) gestaltet,
die ein Militärorchester der deutschen Wehrmacht in den Vorder- und Mittelgrund des Bildes setzt, so dass die zahlreichen Menschen rechts im Hintergrund bei flüchtiger Betrachtung als Teil der Militärparade erscheinen. Bei
genauem Hinsehen sind es vermutlich polnische Zivilisten, die der Militärparade hinter einer von deutschen Uniformierten gebildeten Absperrung zuschauen.
Da jede PK pro Woche mindestens eine Bildserie77 von sechs bis zehn
Aufnahmen und 50 Einzelaufnahmen abliefern sollte, listeten sie in ihren
Kriegstagebüchern auf, wie viel Bildmaterial sie hergestellt hatten.78 Die PKFotografen benutzten in der Regel die Kameratypen Leica III und Contax III,
in seltenen Fällen auch Plaubel Makina- oder Zeiss Ikon Super Ikonta-Kameras und stellten damit überwiegend Schwarzweiß-Negativ-Aufnahmen im
Format 24 x 36 mm her.79 Die belichteten Filme wurden im „Auswertezug“
am Standort der PK entwickelt und eine Auswahl der Aufnahmen als Positiv
auf Papier – meist im standardisierten Pressebildformat 13 x 18 cm – vergrö76
77
78
79
GEORG SCHMIDT-SCHEEDER: Reporter der Hölle. Propagandakompanien im 2. Weltkrieg, Stuttgart 1977, S. 152, 162 f. und 166, zit. nach BOLL (wie Anm. 12), S. 992.
Eine „gute Bildserie“ galt als höchste Leistung eines PK-Fotografen; vgl. SACHSSE
(wie Anm. 66), S. 363.
BOLL (wie Anm. 12), S. 988.
Vgl. SANDER (wie Anm. 7), S. 34.
16
Miriam Y. Arani
Abb. 5 (links Vorderseite) und Abb. 6 (rechts Rückseite):
Deutscher Soldat mit abgenommenem Stahlhelm vor einem Soldatengrab mit einem
Eisernen Kreuz. Auf der Rückseite des Papierabzugs der PK-Fotografie ein vorgedruckter Bildbegleitzettel mit maschinenschriftlichen Eintragungen und FreigabeStempeln der Abt. Wpr des OKW und des Hauptreferats Bildpresse des RMVP. Zeitgenössische Bildbeschriftung: „Soldatengrab vor Crone. Eines der ersten Opfer des
deutschen Vormarsches in Polen. Am Wegesrand liegt das Grab eines deutschen Pioniers, der am 2. September für Führer und Volk sein Leben ließ.“ 6.09.1939, Fotograf:
Heinz Boesig, PK 689 (Vorderseite: BArch, Bild 183-2008-0415-507/CC-BY-SA;
Rückseite: BArch, Bild 183-2008-0415-507/CC-BY-SA)
ßert. Diese auf Fotopapier abgezogene Auswahl von PK-Bildern wurde dann
rückseitig mit „Bildbegleitzetteln“ beklebt (Abb. 5 und 6).
Diese Zettel unterschieden sich farblich je nach Verwendungszweck: PKAbzüge „nur für den Dienstgebrauch“ sollten mit gelben, solche für den
Pressegebrauch dagegen mit weißen „Bildbegleitzetteln“ versehen werden.80
Die Zettel sollten folgende Informationen enthalten: den Namen des Fotografen, den Aufnahmeort und -zeitpunkt sowie Angaben zum Bildinhalt.81
Offenbar lieferten die PK-Fotografen während des Überfalls auf Polen ihre
Abzüge oft nur unzureichend beschriftet ab. Darauf lassen wiederholte Aufforderungen der Abt. WPr an die Zensuroffiziere wie die folgende vom 13.
Oktober 1939 schließen: „Alles Bildmaterial ist nur einschl. Beschriftung
80
81
Ebenda, S. 33, Anm. 33.
Ebenda, Anm. 16.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
17
(Erklärung des Bildes) zu zensieren und freizugeben. Dadurch werden Bildberichter zu richtigen Beschriftungen angehalten.“82
Die mit ausreichend beschrifteten „Bildbegleitzetteln“ versehenen PK-Papierabzüge durchliefen dann die militärische Zensur.83 Zuständig hierfür waren von der WPr Abteilung III abgestellte Offiziere, die direkt vom OKW/
WPr in Berlin und vom Stabsoffizier Ic (Feindaufklärung und Abwehr) ihrer
Armee-Dienststelle ihre Anweisungen erhielten. Die militärische Zensur
sorgte primär für einen Ausschluss aller Informationen zu der Operationsführung, den Rüstungsbetrieben, den eigenen Verlusten und der Ersatzlage.84
Nach einer Freigabe durch die militärische Zensur erhielten die PK-Abzüge
auf der Rückseite einen Stempel mit dem Kürzel „Fr. OKW“ (Abb. 6).85
Anschließend wurden die Fotos per Kurier nach Berlin zum RMVP transportiert, wo Mitarbeiter des Bildpresse-Referats eine politische Zensur vornahmen.86 Hier erhielten die PK-Pressebildabzüge auf der Rückseite einen
Freigabestempel mit einer Aussparung für ein handschriftlich einzutragendes
Datum (vgl. Abb. 6: Stempel unter „Fr. OKW“). Wenn ein Bild nicht freigegeben wurde, hatte dies nicht zwangsläufig eine dauerhafte Sperrung zur
Folge; es konnte auch aus tagesaktuellen Gründen nur vorläufig gesperrt
sein.87
Nach einer Freigabe durch die politische Zensur leitete das BildpresseReferat die Presseabzüge der PK-Fotografien an das Oligopol offiziell zugelassener, zuvor „arisierter“ Bildnachrichtenbüros weiter, das sie dann im Inund Ausland vertrieb.88 Die „Bildbegleitzettel“ der von den Bildnachrichtenbüros herausgegebenen PK-Aufnahmen waren inhaltlich etwas anders aufgebaut als die Zettel der von den PK selbst hergestellten Abzüge.89 Sie unterschieden sich ebenfalls farblich, um verschiedene Verwendungszwecke zu
signalisieren: Außer weißen Begleitzetteln für die normale Presseverwendung
waren auch rote „Bildbegleitzettel“ in Gebrauch, die für Bildberichte benutzt
82
83
84
85
86
87
88
89
Zit. nach BOLL (wie Anm. 12), S. 990.
Vgl. ebenda, S. 983.
Ebenda, S. 985.
SANDER (wie Anm. 7), S. 33; vgl. SACHSSE (wie Anm. 66), S. 343.
BOLL (wie Anm. 12), S. 983, 986; VON WEDEL (wie Anm. 17), S. 20 f.
Vgl. BOLL (wie Anm. 12), S. 982; BERND WEISE: Pressefotografie als Medium der
Propaganda im Presselenkungssystem des Dritten Reiches, in: Gleichschaltung der
Bilder (wie Anm. 36), S. 141-155, hier S. 148 f.
Vgl. BOLL (wie Anm. 12), S. 983. Die Bildnachrichtenbüros unterstanden der „Reichspressekammer“ und waren ähnlichen staatlichen Eingriffen unterworfen wie die Verlage; ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 255, 259 f.
Die Begleitzettel der von den Bildnachrichtenbüros verbreiteten PK-Bilder enthielten
den vom RMVP redigierten Begleittext und ggf. zusätzliche Anweisungen an die Presseredaktion, das Datum, an dem das Bild herausgegeben wurde, den Namen des PKFotografen und des Bildnachrichtenbüros sowie von diesem vergebene Seriennummern; siehe ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), Abb. III.30
und III.37.
18
Miriam Y. Arani
wurden, „deren Wiedergabe vordringlich ist“ und die „an bevorzugter Stelle“
abgedruckt werden sollten.90 Einen roten „Bildbegleitzettel“ trug beispielsweise der Presseabzug einer PK-Fotografie, die den ausländischen Journalisten auf einer vom RMVP organisierten Pressefahrt am 7. September 1939
präsentierte Tote bei Bromberg (Bydgoszcz) zeigt.91
Eine direkte Weitergabe der PK-Fotos an die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage war im September 1939 ausdrücklich untersagt worden.92 An den
Erlösen aus dem Vertrieb des PK-Bildmaterials waren die PK-Fotografen
nicht beteiligt, diese wurden vielmehr einem „Dr. Goebbels-Fond“ gutgeschrieben.93 Dieser Umstand ist möglicherweise der entscheidende Grund,
warum einige der profiliertesten PK-Fotografen einen Teil ihrer Bilder nicht
auf den Dienstweg brachten.94 Verschiedene Belege und Indizien erlauben
ferner die Annahme, dass nicht wenige PK-Fotografen für private Zwecke
Aufnahmen und Abzüge herstellten, beispielsweise als Geschenk für Vorgesetzte oder die abgebildeten Soldaten.95
Die größte Öffentlichkeit erreichten die PK-Fotos über die deutsche Presse.
Hervorzuheben ist dabei ihre Verwendung in den illustrierten Zeitschriften
und knapp 40 Feldzeitungen der Wehrmacht96, da während des Krieges fast
alle Männer der mittleren Altersklassen – später auch Jugendliche und ältere
Männer – in das Militär eingezogen wurden. PK-Fotos wurden außerdem für
Plakate, Flugblätter und Wandzeitungen in den besetzten Gebieten verwendet97 sowie als Bildpostkarten vertrieben98. Ebenfalls an eine größere Öffentlichkeit richteten sich 1939/40 zahlreiche nach Abschluss der Kampfhandlungen in Polen publizierte und mit PK-Fotos illustrierte Bücher.99 Zu den zeitgenössischen Publikationsformen zählt auch ein von Hasso von Wedel mitherausgegebener, reich ausgestatteter Bildband über den „Polenfeldzug“ mit
100 schwarzweißen stereoskopischen Fotoaufnahmen, die betrachtet durch
eine beigefügte „Raumbildbrille“ einen dreidimensionalen visuellen Eindruck
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
SACHSSE (wie Anm. 66), S. 342 f.
ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 212 f. und 215, Abb.
III.36-37, sowie BArch, Bild 183-2008-0415-505/Fremke/CC-BY-SA (mit zeitgenössischen, hineinretuschierten Markierungen zur Begrenzung des zu veröffentlichenden
Bildausschnitts).
SANDER (wie Anm. 7), S. 33.
SACHSSE (wie Anm. 66), S. 354-357.
Vgl. die Fälle Artur Grimm, Gerhard Gronefeld und Johannes Hähle, deren PK-Fotografien teils privat bzw. privatwirtschaftlich überliefert wurden.
MEYER (wie Anm. 1), S. 30 f.; SANDER (wie Anm. 7), S. 38.
SANDER (wie Anm. 7), S. 39, Anm. 61-63 (mit Titelangaben). Im Rahmen der Truppenbetreuung verlegte jede PK für die Armee, der sie zugeteilt war, eine Frontzeitung.
BOLL (wie Anm. 12), S. 987.
SANDER (wie Anm. 7), S. 40.
Siehe bibliografische Angaben bei SANDER (wie Anm. 7), S. 39.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
19
von den Kampfhandlungen 1939 vermitteln sollten.100 Kleineren Teilöffentlichkeiten wurden PK-Fotografien aus dem „Polenfeldzug“ auch in Ausstellungen präsentiert101, die darauf zielten, das innerhalb militärischer Befehlsketten produzierte Pressebildmaterial zur Kunst aufzuwerten.
Die in der deutschen Presse publizierten Fotos von den Kampfhandlungen
in Polen waren keineswegs so vertrauenswürdig, wie sie zu sein vorgaben.
Die Abt. WPr wies am 24. November 1939 ihre Zensuroffiziere darauf hin,
dass zur Illustration aktueller militärischer Operationen Manöveraufnahmen
aus der Vorkriegszeit verwendet würden.102 Manchmal wurden auch Positivretuschen103 eingesetzt, um den Bildinhalt eines PK-Fotos zu verändern. Ein
herausragendes Beispiel dafür ist eine Aufnahme aus dem „Polenfeldzug“
1939 vom PK-Fotografen Sturm der Luftwaffen-Kriegsberichterkompanie 4,
die zwei PK-Männer bei ihrer Arbeit als Kriegsberichter darstellt.104 Dieses
Bild wurde vom Deutschen Verlag (ehemals Ullstein-Verlag) ab 1940 mehrmals mit stark retuschiertem Hintergrund publiziert: Das mit nachträglich
hinzugefügten, hell lodernden Flammen hinter den beiden Kriegsberichtern
dramatisierte Bild schmückte u.a. das Titelblatt der ersten Nummer der Illustrierten Signal im Jahr 1940, die im besetzten, verbündeten und neutralen
Ausland für die deutsche Wehrmacht werben sollte.105
PK-Fotografien wurden auch in der an die polnische Öffentlichkeit gerichteten deutschen Presse verwendet.106 Der allgemeine Tenor der polnischsprachigen Besatzerpresse lautete: Die polnische Niederlage sei endgültig, die
Macht Deutschlands und seiner Wehrmacht unüberwindlich. Zugleich wurde
die Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte „Feinde“ gelenkt: auf Juden im
Allgemeinen, 1939/40 primär auf England und ab 1941 vornehmlich auf die
Sowjetunion.107 Wie im alten Reichsgebiet wurden auch im besetzten Polen in
den Tageszeitungen üblicherweise nur einzelne PK-Fotos abgedruckt. Sie
sollten in erster Linie das siegreiche Vorstoßen der Wehrmacht an den
100
101
102
103
104
105
106
107
Die Soldaten des Führers im Felde. Raumbildalbum, hrsg. von HASSO VON WEDEL und
HEINRICH HANSEN, München 1939.
SACHSSE (wie Anm. 66), S. 352 f.; SANDER (wie Anm. 7), S. 39; BArch, Bild 183L02529/CC-BY-SA.
Nach BOLL (wie Anm. 12), S. 990.
Retusche auf dem Papierabzug einer Fotografie im Unterschied zur Negativretusche
auf dem Fotonegativfilm bzw. der Glasplatte.
BArch, Bild 101I-380-0075-15; ALEXANDER ZÖLLER: Soldaten oder Journalisten? Das
Image der Propagandakompanien zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Die
Kamera als Waffe (wie Anm. 13), S. 167-179, hier S. 175 f.
Ebenda, S. 172-176.
Zur legalen Presse im besetzten Polen: LUCJAN DOBROSZYCKI: Die legale polnische
Presse im Generalgouvernement 1939-1945, München 1977; LARS JOCKHECK: Propaganda im Generalgouvernement. Die NS-Besatzungspresse für Deutsche und Polen
1939-1945, Osnabrück 2006 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen
Instituts Warschau, 15).
DOBROSZYCKI (wie Anm. 106), S. 65 f., 113-117.
20
Miriam Y. Arani
Abb. 7: IKP Jg. 3, Nr. 25 vom 12.6.1942, Titelseite (Fotomontage)
Kriegsfronten veranschaulichen. Regelmäßig in größeren Mengen verwendet
wurden PK-Fotos hauptsächlich in den illustrierten Zeitschriften. Im Generalgouvernement wurden mehrere deutsche Illustrierte in polnischer Sprache
hergestellt.108 Der in Krakau vom damals größten und modernsten Presseunternehmen Polens produzierte Ilustrowany Kurier Codzienny109 wurde im
Zuge der Zerschlagung des polnischen Pressewesens110 vom deutschen „Zeitungsverlag Krakau-Warschau GmbH“111 vereinnahmt. Dessen Erzeugnisse
zielten gemäß den Vorgaben durch die Hauptabteilung Volksaufklärung und
Propaganda im Generalgouvernement112 darauf, die polnische Bevölkerung
geistig und emotional im Sinne des nationalsozialistischen Regimes zu beeinflussen. Um einen Anschein von Kontinuität zu erwecken, erschien das Blatt
nach Austausch der polnischen Mitarbeiter gegen deutsches Führungs- und
108
109
110
111
112
Ebenda, S. 93, 95; JOCKHECK (wie Anm. 106), S. 123.
JOCKHECK (wie Anm. 106), S. 116, 129 f.
Ende Oktober 1939 kamen Hans Frank und Goebbels darin überein, alle polnischen
Massenmedien zu vernichten; DOBROSZYCKI (wie Anm. 106), S. 61.
Ebenda, S. 92; JOCKHECK (wie Anm. 106), S. 94 f.
JOCKHECK (wie Anm. 106), S. 69-79, 348 f.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
21
journalistisches Personal zunächst noch unter dem alten Titel113 und wurde
dann in Ilustrowany Kurjer Polski (IKP)114 umbenannt. Die aus polnisch sprechenden deutschen Journalisten bestehende Redaktion verwendete PK-Fotografien, die von den Pressediensten115 der Hauptabteilung für Volksaufklärung und Propaganda in Krakau geliefert wurden. Der IKP verwendete PKAufnahmen auch als Elemente von Montagen (Abb. 7).
Im IKP wurden die Aufnahmen der PK zur Bildberichterstattung über den
Krieg und einer antisemitisch unterfütterten antisowjetischen Feindbildpropaganda genutzt.116 Obwohl der IKP durchgängig Juden diffamierte, war eine
fotografische Darstellung von Juden im besetzten Polen in diesem Blatt nur
ein seltener Ausnahmefall.117 Im Vergleich dazu wurden ab 1941 einzelne der
im IKP sehr häufig bildlich dargestellten US-Amerikaner einerseits118 und
Sowjetbürger andererseits regelmäßig als „Juden“ dargestellt.119 Eine Sichtung sämtlicher Ausgaben120 des IKP führte zu dem Ergebnis, dass – in zunehmendem Umfang ab 1941 – auf etwa bis zu drei Seiten pro Ausgabe PKFotos publiziert wurden, deren Herkunft jedoch vor der Leserschaft verschleiert wurde.121 Als Bildlieferanten genannt wurden stattdessen die Firmen des
113
114
115
116
117
118
119
120
121
Ebenda, S. 130.
Der IKP erschien ab dem 25.02.1940 zweiwöchentlich und ab dem 6.10.1940
wöchentlich. Die Sichtung dieser Illustrierten wurde mir ermöglicht durch ein Feldmann-Reisestipendium der Stiftung DGIA.
JOCKHECK (wie Anm. 106), S. 121.
Vgl. zur Ikonografie beispielsweise die mit „Czerwone gwiazdy z raju sowieckiego“
[Rote Sterne aus dem sowjetischen Paradies] überschriebene und mit Zeichnungen
illustrierte Doppelseite in IKP Jg. 2, Nr. 44 vom 2.10.1941, S. 4-5. Diese „antibolschewistische“ Feindbildpropaganda stand über die Verknüpfung mit dem antisemitischen Element hinaus im IKP in einem Gesamtzusammenhang durchgängig rassistischer Darstellungen außereuropäischer „Völker“, vgl. beispielsweise IKP Jg. 2, Nr. 7
vom 16.02.1941, S. 8-9 (Haiti) und Nr. 42 vom 19.10.1941, S. 13 (Indien).
Juden im deutsch besetzten Polen wurden nur in zwei Ausgaben des Jahres 1940
fotografisch dargestellt: IKP Jg. 1, Nr. 1 vom 25.02.1940, S. 5 (Einzelbild) und Nr. 27
vom 15.12.1940, S. 12 (Bildreportage „Warszawskie Ghetto“).
Beispielsweise: IKP Jg. 2, Nr. 12 vom 23.03.1941, S. 2-3; Nr. 19 vom 11.05.1941, S.
4-5; Nr. 31 vom 3.08.1941, S. 12; Nr. 33 vom 17.08.1941, S. 6; Nr. 40 vom 5.10.1941,
S. 8-9. US-Amerikaner wurden visuell überwiegend durch leicht bekleidete Show Girls
repräsentiert.
Dies entspricht den von HAGEMANN (wie Anm. 42) beschriebenen Haupttendenzen
antisemitischer Propaganda in der nationalsozialistischen Presselenkung während der
Kriegsjahre.
Nicht eingesehen werden konnte der Jahrgang 1943.
Solche nicht gekennzeichneten PK-Fotos, die deutsche Truppen, deren Erfolge, deren
Feinde und deren Kriegsgefangene zeigen, fanden sich im IKP in den Jahrgängen 1940
und 1941 in: Jg. 1, Nr. 7 vom 19.05.1940, S. 6-7; Nr. 8 vom 2.06.1940, S. 7; Nr. 9 vom
16.06.1940, S. 2-5; Nr. 10 vom 30.06.1940, S. 2-3; Nr. 16 vom 22.09.1940, S. 8-9; Jg.
2, Nr. 3 vom 19.01.1941, S. 2-3; Nr. 10 vom 9.03.1941, S. 4-5; Nr. 15 vom
13.04.1941, S. 4-5; Nr. 19 vom 11.05.1941, S. 4-5; Nr. 20 vom 18.05.1941, S. 12-13;
22
Miriam Y. Arani
Abb. 8: IKP Jg. 2, Nr. 30 vom 27.07.1941, S. 4-5. Titel der doppelseitigen Fotomontage „To była linia Stalina“ in roter Farbe auf zweifarbig (rot-grün) gedrucktem Grund
Berliner Oligopols „arisierter“ Bildagenturen (Atlantic, P.B.Z., Scherl, Weltbild), die Firma Presse-Illustrationen Heinrich Hoffmann und vor allem die
Firma Associated Press, um so den Anschein zu erwecken, die Aufnahmen
stammten von einem amerikanischen Lieferanten.
Im IKP vom 27. Juli 1941 (Abb. 8) sollte eine Doppelseite den Vormarsch
der Wehrmacht in das sowjetische Gebiet veranschaulichen. Die obere Hälfte
dieser Doppelseite besteht aus einer an die Tradition gemalter Schlachtenbilder anschließende Montage dreier PK-Fotos, die Stellungen deutscher Soldaten zeigten und durch Retuschen miteinander verbunden und dramatisiert
wurden. Die deutschen Soldaten sind von hinten dargestellt, um so den Betrachterinnen und Betrachtern den Eindruck zu vermitteln, selbst Augenzeugen des Frontgeschehens zu sein. Um Luftangriffe der Wehrmacht auf „den
Nr. 24 vom 15.06.1941, S. 4-5; Nr. 27 vom 6.07.1941, S. 2-3, 7; Nr. 28 vom
13.07.1941, S. 1 (Titelbild), 2-5; Nr. 29 vom 20.07.1941, S. 1 (Titelbild), 4-5, 7; Nr. 30
vom 27.07.1941, S. 2-5; Nr. 31 vom 3.08.1941, S. 2; Nr. 33 vom 17.08.1941, S. 1
(Titelbild), 2-5 (u.a. Waffen-SS), 8-9; Nr. 34 vom 24.08.1941, S. 2-5; Nr. 35 vom
31.08.1941, S. 4-5, 7, 12; Nr. 36 vom 7.09.1941, S. 2-3; Nr. 37 vom 14.09.1941, S. 47; Nr. 38 vom 21.09.1941, S. 2-5; Nr. 39 vom 28.09.1941, S. 2-3, 5; Nr. 40 vom
5.10.1941, S. 1 (Titelbild), 2-3, 4 (ausnahmsweise ausdrückliche Nennung der PKFotografen Dietrich und G. Schmidt), 8-9; Nr. 44 vom 2.10.1941, S. 2-3; Nr. 46 vom
16.11.1941, S. 1 (Titelbild), 2-5; Nr. 48 vom 30.11.1941, S. 1 (Titelbild).
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
23
Feind“ zu veranschaulichen, wurden in den Himmel am oberen Bildrand freigestellte Aufnahmen von Flugzeugen eingefügt. Die Übergänge zwischen den
kämpfenden Soldaten am Boden und den Flugzeugen am Himmel wurden –
insbesondere auf der linken Seite – durch teils fotografierte, teils nachträglich
hineinretuschierte Rauchwolken miteinander verbunden. Die sich im Rauch
abzeichnende Horizontlinie wurde in rot schraffierten Großbuchstaben überschrieben mit „Das war die Stalin-Linie!“.
Das Freistellen eines propagandistisch relevanten Bildgegenstands im Layout des IKP spielte auch für die visuelle Vermittlung des Feindbilds eine
tragende Rolle, indem die Aufmerksamkeit der Betrachter so auf einen bestimmten Wahrnehmungsgegenstand gelenkt wurde. In der Kriegspropaganda
geschah dies im Kontext von Bildformeln, die bereits in der nationalsozialistischen Bildpropaganda der 1930er Jahre angewandt worden waren122, darunter die visuell kontrastierende Gegenüberstellung einer anhand bestimmter
äußerer Merkmale („Sauberkeit“, „Gleichförmigkeit“ in Bewegung und Kleidung) erkennbaren nationalsozialistischen Gruppe und ihrer „Feinde“. Diese
Bildformel wurde 1940 in begrenztem Umfang auch in der antipolnischen
Bildpropaganda eingesetzt.123 Im Rahmen des Angriffs auf die Sowjetunion
fand diese Bildformel nicht nur in der Berliner Illustrirten Zeitung124, sondern
auch im IKP in erster Linie zur pejorativen Darstellung sowjetischer Soldaten
und Zivilisten Verwendung. Einander visuell gegenübergestellt wurden „unsauber“, gar „tierisch“ anmutende Sowjetbürger125 und „saubere“ Deutsche,
wobei Letztere nicht nur als technisch, sondern auch als „rassisch“ überlegen
erscheinen sollten. Diese Ikonografie lässt sich im Fall der Sowjetunion auch
zurückführen auf die bereits 1937 erteilten „Richtlinien für die antibolschewistische Propaganda“126 und eine Anweisung von Propagandaminister Goebbels vom 5. Juli 1941, die besagte:
122
123
124
125
126
Vgl. DIETHART KERBS, WALTER UKA: Beispiele nationalsozialistischer Bildpublizistik,
in: Gleichschaltung (wie Anm. 43), S. 160-171, hier S. 164-171.
Vgl. „Noch vor einem Jahr ... und heute!“ Bildreportage von Hilmar Pabel über den
Reichsgau Wartheland, in: Illustrierter Beobachter vom 15.08.1940, S. 820-821.
Berliner Illustrirte Zeitung vom 17.07.1941, S. 764-765.
Vgl. EDMUND DMITRÓW: Obraz Rosji i Rosjan w propagandzie narodowosocjalistów
1939-1945. Stare i nowe stereotypy [Das Bild Russlands und der Russen in der nationalsozialistischen Propaganda 1939-1945. Alte und neue Stereotypen], Warszawa
1997; DERS.: Dehumanizacja obrazu wroga w propagandzie nazistowskiej na przykładzie broszury propagandowej „Der Untermensch“ [Die Entmenschlichung des Feindbilds in der nationalsozialistischen Propaganda am Beispiel der Propagandabroschüre
„Der Untermensch“], in: Rocznik Polsko-Niemiecki 6 (1997), S. 91-114.
Vgl. DVD Vernichtungskrieg (wie Anm. 49), Pfad: Themen & Inhalte/Themenauswahl/4. Sowjetische Soldaten in deutscher Gefangenschaft/PC-Station/Das Propagandabild/Antibolschewistische Propaganda im Nationalsozialismus und -/Das „Russenbild“ im Zweiten Weltkrieg. Eine diesen Richtlinien entsprechende zeitgenössische
„antibolschewistische“ Bildpublikation war: „Wohnkultur im Sowjetparadies“ mit
sieben Fotografien von SS-PK-Fotograf Roth, in: Illustrierter Beobachter vom
7.09.1941.
24
Miriam Y. Arani
Abb. 9: IKP Jg. 2, Nr. 38 vom 21.09.1941, S. 4-5. Überschriften „Ręce do gory!“
und „Do ataku!“ in roter Farbe auf schwarzweißem Grund
„Einer guten Bildauswahl, in der die vertierten bolschewistischen Typen dem freien und offenen Blick des deutschen Arbeiters, die verdreckten Sowjetbaracken
den deutschen Arbeitersiedlungen, die grundlosen Morastwege den deutschen
Reichsstraßen usw. [...] gegenübergestellt werden, kommt dabei große Bedeutung
zu.“127
In diesem Zusammenhang ist auch eine Doppelseite des IKP zu sehen
(Abb. 9), die auf der linken Seite unter der Überschrift „Hände hoch!“ [Ręce
do góry!] Fotografien sich ergebender sowjetischer Kriegsgefangener kompiliert und auf der „Zur Attacke!“ [Do Ataku!] betitelten rechten Seite die deutschen Soldaten während ihrer Angriffshandlungen zeigt. Am äußeren Rand
der linken Seite ist ein in Lumpen gekleideter Zivilist abgebildet, laut Bildunterschrift128 ein von der Wehrmacht gefangen genommener sowjetischer
127
128
Zit. nach: Wollt ihr den totalen Krieg? (wie Anm. 41), S. 180-183.
Die Bildbeschriftung im IKP lautete: „‚Jestem przyjacielem Rothschilda‘/Tak wolał
ten Ŝyd do Ŝołnierzy niemieckich, gdy go brali do niewoli. Ciekawe czy kapitalista
Rotschild będzie wdzięczny za to, by taki plugawy Ŝyd uwaŜał go za swego
przyjaciela.“ [„‚Ich bin ein Freund Rothschilds‘. So rief dieser Jude zu den deutschen
Soldaten, als sie ihn gefangen nahmen. Fraglich, ob der Kapitalist Rothschild dafür
dankbar sein wird, dass so ein dreckiger Jude sich für seinen Freund hält.“] Die Bildbeschriftungen der unter nationalsozialistischer Herrschaft publizierten Fotografien
folgten ebenfalls den Sprachregelungen der geheimen Presselenkung, siehe HAGEMANN (wie Anm. 42), S. 207 ff.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
25
Abb. 10 (links Vorderseite) und Abb. 11 (rechts Rückseite):
Ärmlich gekleideter Zivilist mit kurz geschorenen Haaren vor einer Bretterwand.
Pressebildabzug im Format 18 x 13 cm auf Silbergelatinepapier mit hochglänzender
Oberfläche. Auf der Rückseite weißer „Bildbegleitzettel“ für den Pressegebrauch mit
maschinenschriftlichen Angaben der Firma Scherl, Berlin. Daraus geht hervor, dass
die Aufnahme von PK-Fotograf Schneider hergestellt und am 3.09.41 von Scherl herausgegeben wurde. Unter dem „Bildbegleitzettel“ ein Stempel der „Regierung des
Generalgouvernements – Hauptabteilung Propaganda“ und der handschriftliche Vermerk „B III 14 Sowjetmenschen“, bei dem es sich vermutlich um die Signatur des
Bildarchivs der Hauptabteilung Propaganda in Krakau handelt. Unten rechts Stempel
des „Ilustrowany Kurjer Polski – REDAKCJA“. Die handschriftlichen Vermerke
„38/4/2 – 12,8 x 28“ betrafen die weiteren grafischen Bearbeitungsschritte für die
Veröffentlichung des Bildes im IKP (Privatbesitz)
Jude.129 Durch den großen Abbildungsmaßstab dieser „elenden“ Figur wird
die Aufmerksamkeit der Betrachterinnen und Betrachter von der Tatsache abgelenkt, dass alle anderen Fotografien auf dieser Seite sowjetische Soldaten
zeigen, die nicht in Lumpen gekleidet sind. Als Bildlieferanten gab die Redaktion des IKP an: Associated Press, Atlantic, Scherl und Weltbild. Es handelt sich jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließ129
Vgl. hierzu andere PK-Aufnahmen von Juden im 1941 deutsch besetzten Gebiet, beispielsweise die Aufnahmesequenzen von PK-Fotograf Rudolf Kessler aus dem weißrussischen Mogilew (Mahilëŭ): BArch, Bild 101I-138-1083-3 [bis -33]/CC-BY-SA
und BArch, Bild 101I-138-1084-02 [bis -20]/CC-BY-SA; dazu BUCHMANN (wie
Anm. 11).
26
Miriam Y. Arani
lich um PK-Fotos. Die Herkunft des Bildmaterials lässt sich allerdings nur in
seltenen Einzelfällen bis ins Detail rekonstruieren. Doch die links abgebildete, freigestellte Figur eines „abschreckenden“ Juden kann zweifelsfrei auf
eine im Bildarchiv der Hauptabteilung Volksaufklärung und Propaganda vorrätige, am 3. September 1941 von der Firma Scherl herausgegebene Aufnahme des PK-Fotografen Schneider zurückgeführt werden (Abb. 10 und 11).
Für die Veröffentlichung im IKP wurde der Bildhintergrund weggeschnitten, um den zentralen Bildgegenstand für eine Montage „freizustellen“. Das
möglicherweise beim Betrachten eines „Feindes“ entstehende Mitgefühl
wurde durch eine Bildbeschriftung, die eine negative Bewertung des Sichtbaren vorgab, verhindert. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die Bildredaktion
des IKP gestalterisch vorging. Wie hingegen die PK-Fotografen selbst solche
Feindbilder visuell konstruierten, lässt sich nur anhand längerer Aufnahmesequenzen belegen.130
Eine weitere, sowohl in der deutsch- als auch in der polnischsprachigen
„antibolschewistischen“ Propaganda während des Krieges eingesetzte Bildformel des RMVP war die Darstellung der „Feinde“ aus dem Osten als
„Masse“ und als „Typen“.131 Dabei sollte insbesondere die Präsentation bestimmter Physiognomien vor dem Hintergrund zuvor popularisierter rassenideologischer Sehnormen132 bei den Betrachtern Abscheu erwecken. Beide
Formen visueller Repräsentation des „Feindes“ sind vereint in einer Fotomontage, die am 21. Juni 1942 als Titelbild des IKP diente (Abb. 7). Die
Herkunft der für diese Montage verwendeten Einzelbilder wurde nicht angegeben, doch auch in diesem Fall ist anzunehmen, dass PK-Fotos als Ausgangsmaterial dienten, da der Einsatz anderer Fotografen an der deutschsowjetischen Front nicht nachgewiesen ist. Die zeitgenössische Beschriftung
dieser Montage besagte: „Mit Hilfe solcher Horden wollte Stalin Europa beherrschen, und Roosevelt und Churchill sahen diesen Plan als ‚ermutigend‘
130
131
132
Anhand einer Aufnahmesequenz des PK-Fotografen Neumann (PK 691) vom April
1941, welche die Erfassung von Juden in Belgrad zur Zwangsarbeit wiedergibt
(BArch, Bild 101I-185-0112-03 bis -38/CC-BY-SA), lässt sich nachvollziehen, wie
der Fotograf einerseits die „Masse“ der zur Zwangsarbeit erfassten Juden in Totalen
festhielt (siehe BArch, Bild 101I-185-0112-07 bis -11/CC-BY-SA) und andererseits
gezielt einzelne „Typen“ wiederholt ins Bild setzte (siehe BArch, Bild 101I-185-011203, -05, -06, -17 bis -19, -31, -32/CC-BY-SA). Die diffamierende Absicht solcher
Halbnah- und Nahaufnahmen einzelner – in diesem Fall jüdischer – „Typen“ wird
dabei besonders deutlich anhand der damals „physiognomisch“ verstandenen Nahaufnahmen einzelner Gesichts-„Typen“ mit Details, die auf spätere Betrachter abschreckend wirken sollten: fehlende Zähne, Asymmetrie des Gesichts u.Ä. (siehe
BArch, Bild 101I-185-0112-20 bis -24/CC-BY-SA).
DVD Vernichtungskrieg (wie Anm. 49), Pfad: Themen & Inhalte/Themenauswahl/4.
Sowjetische Soldaten in deutscher Gefangenschaft/PC-Station/Das Propagandabild/
Die sowjetischen Kriegsgefangenen im Bild.
Vgl. ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 353 ff.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
27
Abb. 12: IKP Jg. 3, Nr. 40 vom 4.10.1940, Rückseite des Hefts
an.“133 Von zentraler Bedeutung ist hierbei der Begriff der „Horde“, da in der
nationalsozialistischen Fotopublizistik durch eine wiederholte bildliche Hervorhebung der „asiatischen“ Soldaten die „rassische“ Minderwertigkeit der
Roten Armee veranschaulicht werden sollte (Abb. 12).134
Die visuelle Repräsentation des sowjetischen Militärs schuf so ein antisemitisch-antibolschewistisches Zerrbild, das darauf zielte, die auf sowjetischer
Seite gegen die Wehrmacht kämpfenden oder aber zum zivilen Opfer des
133
134
„Przy pomocy takich hord chciał Stalin opanować Europę, a Roosevelt i Churchill
uznali ten plan za ‚bardzo podnoszący na duchu‘.“
Der Text zu dieser Fotografie lautete: „Droga do niewoli. Trzej przedstawiciele pstrej
mieszanej ludów Unii Sowieckiej, którzy poznali beznadziejność oporu, przechodzą z
bronią w ręku na stroną niemiecką.“ [„Der Weg in die Gefangenschaft. Drei Vertreter
der bunt gemischten Völker der Sowjetunion, die die Hoffnungslosigkeit des
Widerstands erkannt haben, laufen mit der Waffe in der Hand zur deutschen Seite
über.“] Die in der deutschen Bildpropaganda präsentierten „Asiaten“ gaben insofern
die damalige Wirklichkeit wieder, als tatsächlich zahlreiche Soldaten aus Kasachstan,
Usbekistan und Tadschikistan in der Roten Armee eingesetzt wurden. Zum „vergleichenden Sehen“ derartiger Bilder von „Asiaten“ gemäß kunsthistorischer Methodologie – d.h. dem Feststellen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Bilder durch
vergleichendes Betrachten derselben, siehe ARANI, Objekt (wie Anm. 21), S. 30 f. und
Abbildungen auf S. 36, 39 und 41 – eignet sich BArch, Bild 146-1989-063-30A/Paris/
CC-BY-SA.
28
Miriam Y. Arani
deutschen Angriffs gemachten Polen, Balten, Ukrainer, Weißrussen und Russen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verdrängen.135 Dies wird anhand vollständiger Aufnahmesequenzen der PK-Fotografen im Vergleich zur
zeitgenössischen Fotopublizistik deutlicher. Die damaligen Veröffentlichungen dokumentieren die vom Auftraggeber dieser Aufnahmen intendierten
zeitgenössischen Bildbedeutungen. Diese „beabsichtigte Ikonografie“ beruhte
auf dem vom Deutschen Reich, das sich auf eine völkische Ideologie berief,
von Beginn an eingesetzten Vorwurf der „Rassenmischung“ zur Legitimation
der Verfolgung, gewaltsamen Misshandlung und Entrechtung bestimmter
Menschengruppen. Vor Kriegsbeginn betraf dies primär „Juden“, ab 1939
auch Polen und ab 1941 die Sowjetunion. Typisch für die Ikonografie der gegen die multiethnischen Gesellschaften im östlichen Europa gerichteten nationalsozialistischen Bildpropaganda während des Zweiten Weltkriegs – in
welche die PK-Bildberichterstattung organisatorisch integriert wurde – war
die regelmäßige (indirekte oder direkte) Gegenüberstellung eines „völkisch“
idealisierten Selbstbilds und eines „rassisch“ dämonisierten Fremdbilds.
Zum Themenspektrum der PK-Fotografien aus Polen
unter besonderer Berücksichtigung des Holocaust
Die Aufgabe der PK bestand primär in einer die Wehrmacht verherrlichenden Kriegspropaganda.136 Die Bildgegenstände der PK-Fotografien aus dem
besetzten Polen hängen sowohl mit dem Kriegsverlauf und der Kriegsverherrlichung als auch mit den propagandistischen Zielen der NSDAP als
Staatspartei zusammen. Aus der vorangegangenen Darstellung der Organisation der Berichterstattung und den damaligen Verfahrensweisen mit den PKBildern geht hervor, von welch hoher Relevanz der deutsch-sowjetische Konflikt einerseits für den Kriegsverlauf, andererseits aber auch für die Ausprägung nun transnational eingesetzter nationalsozialistischer Bildformeln war.
Hauptgegner während des Krieges im Osten war die Sowjetunion, die aber
letztlich nicht bezwungen werden konnte. In diesem Rahmen sind auch die im
besetzten Polen entstandenen PK-Fotografien zu verstehen, insbesondere hinsichtlich ihrer Entstehungszeiträume. Im gegebenen Rahmen ist es unmöglich, alle Bildthemen auch nur annähernd vollständig aufzuführen, daher werden nur einige zentrale Themenbereiche der PK-Fotografie und bisher ungenutzte Möglichkeiten ihrer Analyse und Interpretation skizziert.
Die PK-Fotos von den Kampfhandlungen in Polen und deren unmittelbaren Folgen konzentrieren sich auf den September 1939 und die Zeit von Mitte
1944 bis Anfang 1945. Sie zeigen deutsche Soldaten und ihre Waffen, zer135
136
Siehe beispielsweise DAVIES (wie Anm. 10), S. 367; vgl. BArch, Bild 101I-006-223007/CC-BY-SA und -08/CC-BY-SA; BArch, Bild 101I-217-0498-38/CC-BY-SA;
BArch, Bild 101I-187-0203-06A/CC-BY-SA; BArch, Bild 146-1976-112-05A/CCBY-SA; BArch, Bild 183-L28726/CC-BY-SA und -L24469/CC-BY-SA.
Vgl. UZIEL (wie Anm. 12), S. 22.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
29
störtes polnisches Kriegsgerät, polnische Kriegsgefangene und Zivilisten, eroberte polnische Städte und gefallene polnische Soldaten.137 Manche Bildgegenstände, die zu einer wirklichkeitsgerechten fotografischen Darstellung
des Krieges hätten beitragen können, wurden vollständig ausgeklammert. Das
betrifft insbesondere die Verluste auf deutscher Seite: Gefallene Soldaten
sollten nur in Gestalt von Soldatengräbern bildlich festgehalten werden
(Abb. 5).138 Die PK-Berichterstattung heroisierte durchgängig die deutschen
Soldaten und Offiziere.139 Zahlreiche PK-Aufnahmen dienten einer Selbstdarstellung der Truppenführer und der Würdigung einfacher Landser.140 Da die
PK in Absprache mit den Armeestäben eingesetzt wurden, konnten Letztere
in begrenztem Umfang die Bildthemen beeinflussen.
Die im September 1939 in Polen einmarschierenden deutschen Soldaten
wurden als „Befreier“ verfolgter „Volksdeutscher“ dargestellt.141 Dies diente
in Verbindung mit der Behauptung, England habe den Krieg provoziert, zur
moralischen Rechtfertigung des Überfalls auf Polen.142 Um propagandistisch
zu untermauern, dass es sich nicht um einen Angriffs-, sondern um einen
Verteidigungskrieg handle, gab die nationalsozialistische Führung die Anweisung, angebliche polnische Gräueltaten in und um Bromberg mit schockierenden Fotos der PK 689143 von toten Zivilisten „groß aufgemacht“ zu publizieren.144
Für die bildliche Darstellung Polens nach der Beendigung der deutschen
Militärverwaltung (26. Oktober 1939) in der deutschen Presse gab das RMVP
am 24. Oktober eine maßgebliche Anweisung. Dieser mündlich während der
137
138
139
140
141
142
143
144
Siehe Inhaltsbeschreibung bei SANDER (wie Anm. 7), S. 34.
Ebenda, S. 37; vgl. HAGEMANN (wie Anm. 42), S. 286.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 23.
Vgl. MEYER (wie Anm. 1), S. 30 f.
Boll (wie Anm. 12), S. 980 f.; vgl. JÜRGEN SCHRÖDER: Der Kriegsbericht als propagandistisches Kampfmittel der deutschen Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg, Berlin
1965, S. 35 f., und BArch, Bild 146-1979-050-21A/CC-BY-SA; BArch, Bild 183E10713/CC-BY-SA.
Die Tatsache, dass auf deutscher Seite seit Frühjahr 1939 ein Angriffskrieg gegen
Polen geplant worden war, sollte der Öffentlichkeit gegenüber verschleiert werden.
Das RMVP gab die Anweisung, den Kriegsbeginn nicht auf den 1.9., sondern auf den
3.9.1939 zu datieren, siehe HAGEMANN (wie Anm. 42), S. 199 f., 255, 265; vgl. NSPropagandaplakat „Anglio! Twoje dzieło“ [England! Dein Werk!] von Theo Matejko,
Narodowe Archiwum Cyfrowe, sygn. 37-242-1, und dieses Plakat auf einer
zeitgenössischen PK-Fotografie: W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 257.
Vgl. ARANI Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 573 f., BArch RH
45/2 (Stammtafel der PK 689) und BArch, Bild 101I/Band 121.
Ausführlich zur Quellenlage und damaligen Bildpublizistik ARANI, Fotografische
Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 175-225; DIES.: Wie Feindbilder gemacht
wurden. Zur visuellen Konstruktion von „Feinden“ am Beispiel der Fotografien der
Propagandakompanien aus Bromberg 1939 und Warschau 1941, in: Die Kamera als
Waffe (wie Anm. 13), S. 150-163, hier S. 150-156; vgl. SANDER (wie Anm. 7), S. 35;
BOLL (wie Anm. 12), S. 981; SACHSSE (wie Anm. 66), S. 343 f.
30
Miriam Y. Arani
Reichspressekonferenz erteilte Befehl an die deutschen Journalisten ist in
zwei unterschiedlich verschrifteten Versionen überliefert.145 Es müsse
„erreicht werden, dass die gegenwärtige Abneigung gegen alles Polnische für
Jahre aufrechterhalten wird. Diese Abneigung muss aus einer latenten zu einer
bewussten werden. Man müsse eine rassische Unterwanderung verhüten. Polen ist
Untermenschentum. Polen, Juden und Zigeuner sind in einem Atemzug zu nennen. Mit den Polen hat man keinen gesellschaftlichen und keinen anderen Verkehr. Ein Pole ist etwas Unreines, mit dem man sich nicht befasst. Wir müssen auf
Jahre hinaus den polnischen Landarbeiter bei uns dulden, aber wir werden ihn
nach Möglichkeit isolieren. [...] Alles, was in Polen Ordnung sei, habe eine
deutsche Wurzel, ebenso die Kultur. Dass Polen ein Untermenschentum sei, müsse ein ‚Bestand des Unterbewusstseins werden‘. Die Berichterstattung über das
besetzte Gebiet soll als Teil des deutschen Lebens- und Kulturraumes gehandhabt
werden.“146
Diese Definition polnischer Staatsbürger als „Untermenschen“ in Gestalt
von „Polen“, „Juden“ und „Zigeunern“ zielte auf eine längerfristige volkstums- und rassenideologische Indoktrination der deutschen Gesellschaft.147
Ab dem Frühjahr 1940 spielten die Geschehnisse im besetzten Polen in den
deutschen Massenmedien infolge der Angriffskriege gegen weitere Länder
Europas kaum noch eine Rolle.148 Die einsetzenden Aussiedlungen von Polen
und der gegen die polnische Zivilbevölkerung gerichtete Besatzungsterror
wurden in den vom RMVP dirigierten Massenmedien nicht thematisiert.149
Dabei ist jedoch zwischen der zeitgenössischen Bildpublizistik und der Gesamtheit hergestellter PK-Fotografien zu unterscheiden, da nicht alle Aufnahmen auch veröffentlicht wurden. Es sind durchaus PK-Bilder von Razzien bei
der Zivilbevölkerung überliefert, beispielsweise von einer Razzia der deutschen Ordnungspolizei 1941 in Krakau von einem Fotografen namens Kintscher der PK 666 (Abb. 13).150
In der deutschen Presse wurde bereits im Dezember 1939 eine Auswahl
von Bildern des Fotografen Artur Grimm publiziert, der einer unmittelbar
145
146
147
148
149
150
EUGENIUSZ CEZARY KRÓL: Die Propaganda des Dritten Reiches gegenüber Polen und
den Polen 1939-1945, in: W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 15-30, hier S. 16 f.;
ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 324 f. Eine Mitschrift
der Presseanweisung Nr. 1306 (BArch Zsg 101/14) ist abgebildet in: W obiektywie
wroga (wie Anm. 5), S. 183; zit. auch in: HAGEMANN (wie Anm. 42), S. 271,
Anm. 518, der den Befehlscharakter der „Presseanweisungen“ des RMVP, der zum
Verständnis des nationalistischen Systems der Presselenkung unbedingt erforderlich
ist, vorbildlich herausarbeitet.
Zit. nach HAGEMANN (wie Anm. 42), S. 271.
KRÓL (wie Anm. 145), S. 18 f.
Ebenda, S. 20.
Ebenda, S. 21.
SANDER (wie Anm. 7), S. 36; BArch, Bild 101I-030-0780-24, -25, -26 und -28/
Kintscher/CC-BY-SA.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
31
Abb. 13: Razzia der deutschen Ordnungspolizei im besetzten Krakau. Im Eingang
zum Geschäft links („Mięsa“) über dem Helm des Polizisten verschattet
eine Kennzeichnung des Geschäfts mit Davidstern, Januar 1941, Fotograf:
Kintscher, PK 666 (BArch, Bild 101I-030-0780-24/Kintscher/CC-BY-SA)
dem OKW zugeordneten Propagandaeinheit angehörte.151 Seine Fotos sollten
das Eingreifen der deutschen Sicherheitspolizei (Sipo) gegen „Juden“ in Warschau als notwendig erscheinen lassen. Es handelt sich um gestellte Szenen,
die angeblich jüdische Widerstandskämpfer zeigen, welche unter Aufsicht
von Mitarbeitern der Warschauer Dienststelle der Sipo und des Sicherheitsdienstes (SD) der SS Waffen aus einem Grab heben mussten. Anschließend
wurden die jüdischen Männer von einem Standgericht des SD schuldig gesprochen (Abb. 14-16).152
151
152
ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 572; SACHSSE (wie
Anm. 66), S. 386, gibt an, Artur Grimm habe einer PK z.b.V. ObdH (zur besonderen
Verwendung beim Oberbefehlshaber des Heeres) angehört.
W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 194-199, 201. Einige Bilder dieser Aufnahmesequenz wurden unter dem Titel „Waffen – in Gräbern versteckt! Der deutsche Sicherheitsdienst bei einer Razzia im Warschauer Getto“ in der Berliner Illustrierten Zeitung
vom 5.12.1939, S. 1876, veröffentlicht; dazu KLAUS HESSE: PK-Fotografen im NS-Vernichtungskrieg. Eine Bildreportage Artur Grimms aus dem besetzten Warschau 1939, in:
Die Kamera als Waffe (wie Anm. 13), S. 137-149. Nicht ins Bild gesetzt wurden von den
PK-Fotografen die 1939 im besetzten Polen gegen nicht-jüdische Zivilisten eingesetzten
SS-Standgerichte. Vgl. zu den gezielt einen Anschein von „Legalität“ erweckenden SSVerfahren in Polen: HANS-ERICH VOLKMANN: Verbrechen der Wehrmacht in Polen –
Rahmenbedingungen und deutsche Nachkriegsrezeption, in: „Grösste Härte ...“ (wie
Anm. 9), S. 24-38, hier S. 30; DOROTHEE WEITBRECHT: Der Exekutionsauftrag der
Einsatzgruppen in Polen, Filderstadt 2001 (Markstein diskursiv, 1), S. 50.
32
Miriam Y. Arani
Abb. 14: Festgenommene polnische Juden müssen im Gebäude der Jüdischen Gemeinde Warschaus die ihnen vom SD der SS vorgeworfenen „Verbrechen“
gestehen, Oktober 1939, Fotograf: Artur Grimm, Propagandaeinheit
„OKW“ (bpk 30032356)
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
33
Abb. 15: Ein festgenommener polnischer Jude muss ein ihm in Warschau vom SD
der SS vorgelegtes „Geständnis“ unterschreiben, Oktober 1939, Fotograf:
Artur Grimm, Propagandaeinheit „OKW“ (bpk 30010187)
Abb. 16: Festgenommene polnische Juden während eines vom SD der SS inszenierten „Gerichtsverfahrens“ mit bereits zuvor feststehendem Schuldspruch,
Oktober 1939, Fotograf: Artur Grimm, Propagandaeinheit „OKW“ (bpk
30010185)
34
Miriam Y. Arani
Abb. 17: Gruppe von Funktionären des SD der SS im Gebäude der Jüdischen Gemeinde Warschaus (rechts oben im Bild dieselben Gemälde wie auf Abb.
14 im Hintergrund an der Wand) in der Grzybowska-Straße 26-28, wahrscheinlich bei der Verkündung der Errichtung eines „Judenrates“ für Warschau am 28.11.1939, Fotograf: Artur Grimm, Propagandaeinheit „OKW“
(bpk 30009881)
Grimm setzte im November 1939 die Mitarbeiter des Warschauer SD
nochmals ins Bild, als sie sich ein weiteres Mal Einlass in das Gebäude der
Jüdischen Gemeinde verschafften (Abb. 17), sehr wahrscheinlich zur Errichtung des „Judenrates“ für Warschau am 28. November 1939153, der nun allen
Anweisungen der deutschen Besatzer Folge leisten sollte. Zum „Judenältesten“ ernannten die Besatzer Adam Czerniaków (Abb. 18)154, der sich aus Verzweiflung über die ihm auferlegte Pflicht, täglich mehrere Tausend Juden zur
Vernichtung bereitzustellen, am 23. Juli 1942 das Leben nahm155.
Die PK-Fotos von der Polizeirazzia in Krakau und den Aktivitäten der
Sipo in Warschau standen nicht mehr mit rein militärischen Fragen in Zu-
153
154
155
BARBARA ENGELKING, JACEK LEOCIAK: Getto Warszawskie. Przewodnik po nieistniejącym mieście [Ghetto Warschau. Führer durch einen nichtexistenten Raum], Warszawa 2001, S. 148 f.
Die Besatzer forderten von Czerniaków zum 13.10.1939 eine Vorschlagsliste für einen
„Judenrat“ und zum 28.10.1939 eine Liste aller jüdischen Einwohner Warschaus;
ebenda, S. 148.
Ebenda, S. 671. Ab dem 22.07.1942 sollte der „Judenrat“ täglich 6 000 bis 7 000 Ghettoinsassen zur Vernichtung ausliefern.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
35
Abb. 18: Funktionäre des SD der SS und der von ihnen zum „Judenältesten“ in
Warschau bestimmte Ingenieur Adam Czerniaków in der Bildmitte oben,
vermutlich ebenfalls am 28.11.1939, Fotograf: Artur Grimm, Propagandaeinheit „OKW“ (bpk 30010016)
sammenhang: Ihre Funktion bestand in der gezielten Kriminalisierung von
Zivilisten, einhergehend mit einer visuellen Verstärkung und Konstruktion
von „rassischen“ Feindbildern. „Feinde“ wurden in PK-Fotos häufig als Angehörige angeblich minderwertiger „Rassen“ im Unterschied zu vermeintlich
„rassisch überlegenen“ Deutschen dargestellt.156 Während an der Westfront
schwarze französische Soldaten bevorzugtes Objekt der „rassischen“ Feindbildkonstruktion waren157, wurden im deutsch besetzten Polen vor allem Juden visuell zu „rassisch“ Fremden stilisiert.
Bereits am 8. September 1939 erhielten die Propagandakompanien die Anweisung, für den Illustrierten Beobachter Bilder zum Thema „Der polnische
Jude“ herzustellen. Sie lautete: „Polnische Judentypen beider Geschlechter
verschiedener Lebensalter / Berufe der Juden / Jüdische Gebräuche / Jüdischer Dreck.“ Eine weitere Anweisung für den 2. Oktober forderte mehrere
PK-Einheiten dazu auf, „Judentypen aller Art“ aufzunehmen, um damit die
antisemitische Propaganda zu verstärken.158 Nach der in den Eliten des Deutschen Reiches vorherrschenden Auffassung stellte die bis 1939 multiethni156
157
158
Vgl. UZIEL (wie Anm. 12), S. 22.
Ebenda; BOLL (wie Anm. 12), S. 984 f.; HAGEMANN (wie Anm. 42), S. 242, Anm. 255;
vgl. auch MEYER (wie Anm. 1), S. 90, 117, 140.
Zit. nach SANDER (wie Anm. 7), S. 35.
36
Miriam Y. Arani
sche Zweite Polnische Republik ein „Rassengemisch“ dar.159 So schrieb Propagandaminister Joseph Goebbels anlässlich eines Aufenthalts in Lodz
(Łódź) am 2. November in sein Tagebuch:
„Fahrt durch das Ghetto160. Wir steigen aus und besichtigen alles eingehend. Es ist
unbeschreiblich. Das sind keine Menschen mehr, das sind Tiere. Das ist deshalb
auch keine humanitäre, sondern eine chirurgische Aufgabe. Man muss hier
Schnitte tuen, und zwar ganz radikale. Sonst geht Europa einmal an der jüdischen
Krankheit zugrunde. Fahrt über polnische Straßen. Das ist schon Asien.“161
In der Begriffswahl des Propagandaministers kam die hochgradig biologistische und ahistorische Weltanschauung der Nationalsozialisten zugespitzt
zum Ausdruck: Aus Perspektive der NSDAP, die mit den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 jegliche Liebesbeziehungen zu Juden und anschließend auch anderen „Artfremden“ als „Rassenmischung“ verboten
hatte162, waren die Juden Polens ein „orientalischer Fremdkörper“ in Europa,
der einer gesundheitlichen Bedrohung gleichgesetzt wurde.163 Die deutsche
Besatzungsmacht pferchte alle in Polen aufgefundenen Juden ab 1940 ohne
ausreichende Ernährung und medizinische Versorgung in für sie vorgesehene
Zwangswohnbezirke (Ghettos) zusammen, kennzeichnete diese Orte dann als
„Seuchensperrgebiet“ o.Ä. und behauptete unermüdlich, von Juden würden
„gesundheitliche“ Gefahren ausgehen. Dieser Vorgang ist von PK-Fotos partiell erfasst.164 Die Ideenwelt der Rassenideologen stimmte mit der sichtbaren
Wirklichkeit im besetzten Polen nicht überein, doch die in hohem Maße von
Heinrich Himmlers SS- und Polizeiapparat geprägte Besatzungspolitik und
die vom Propagandaministerium gelenkte Bildpublizistik richteten die vorgefundene multiethnische Gesellschaft Polens so zu, dass sie der rassenideologi159
160
161
162
163
164
Vgl. ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 420-426.
Wahrscheinlich ist die nördliche Altstadt von Lodz und der Stadtteil Baluty gemeint,
wo die Besatzungsmacht anschließend einen Zwangswohnbezirk für Juden einrichtete;
vgl. JULIAN BARANOWSKI: Das Getto Litzmannstadt, in: Berliner Juden im Getto
Litzmannstadt 1941-1944. Ein Gedenkbuch, bearb. von INGO LOOSE, Berlin u.a. 2009,
S. 32-43, hier S. 35 f.
Die Tagebücher von Joseph Goebbels, hrsg. von ELKE FRÖHLICH, Bd. 7, München
1998, S. 177.
Das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom
15.09.1935 wurde mit § 6 der ersten Verordnung hierzu vom 14.11.1935 ausgedehnt
auf weitere Menschengruppen, siehe SAUL FRIEDLÄNDER: Das Dritte Reich und die
Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933-1939, München 2000, S. 170.
Vgl. zur Visualisierung dieses Ideologems: Deadly Medicine. Creating the Master
Race, hrsg. von UNITED STATES HOLOCAUST MEMORIAL MUSEUM, Washington 2004,
Abb. S. 103 (Titelbild „Neues Volk“ 1938) und S. 192 (NS-Propagandaplakat von G.
Peiler „śydzi – wszy – tyfus plamisty“ [Juden – Läuse – Fleckfieber] für das Generalgouvernement), Letzteres auch abgebildet in: W obiektywie wroga (wie Anm. 5),
S. 271.
BArch, Bild 101I-131-0596-13/Knobloch; BArch, Bild 101I-322-2470-28/Ohmayer/
CC-BY-SA; BArch, Bild 101I-030-0794-38A/Brenner/CC-BY-SA; BArch, Bild 183L24628/Brenner/CC-BY-SA.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
37
schen Utopie des nationalsozialistischen Regimes so nahe wie möglich
kam.165 Die fotopublizistische Darstellung der polnischen Juden beschränkte
sich dabei ab 1941 auf die visuelle Repräsentation geschlossener Ghettos.
Weder ihre Deportation in die Vernichtungslager noch ihre Aufstände in den
Ghettos wurden in den Massenmedien thematisiert.166
Ab 1941 wurde Polen zum militärischen Aufmarschgebiet und „Durchgangsland“ der Wehrmacht in Richtung Sowjetunion.167 Da wegen des geplanten Angriffs zahlreiche Propagandakompanien in die besetzten Gebiete
Polens verlegt wurden, entstanden im Sommer 1941 sehr viele PK-Aufnahmen von den Ghettos.168 Neben Mitarbeitern der Luftwaffen-Kriegsberichterkompanie 6169 berichteten auch Fotografen der PK 689 von dem größten dieser Ghettos in Warschau. Von den fotografischen Aufnahmen der PK 689 –
die in der Forschung am längsten und ausführlichsten diskutiert worden sind
– erschien im Juli 1941 eine Auswahl in der Berliner Illustrirten Zeitung.170
Auch in diesem Fall führt der Vergleich der überlieferten Aufnahmesequenzen mit der zeitnah veröffentlichten Bildreportage zu dem Ergebnis, dass
die PK-Fotografen im Warschauer Ghetto gezielt bestimmte „Typen“ ins Bild
setzten, um eine „beabsichtigte Ikonografie“ fotografisch zu verwirklichen,
deren Sinn sich erst im zeitgenössischen Veröffentlichungskontext erschließt.
Im Jahr 1941 entstanden darüber hinaus weitere PK- und SS-PK-Aufnahmen von Ghettos in anderen Städten.171 Dazu zählen beispielsweise Aufnahmen des Fotografen Rössler (PK 666) aus Krakau von 1941, die nicht das im
März 1941 im Stadtteil Podgórze neu errichtete Ghetto zeigen, dessen Tor auf
einigen Bildern des PK-Fotografen Koch zu sehen ist172, sondern einen Markt
165
166
167
168
169
170
171
172
Zur Verwissenschaftlichung der rassenbiologistischen Selektions- und Exklusionskriterien im besetzten Polen ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6),
S. 420-426, 431-435, 470-473 mit weiteren Literaturangaben.
Vgl. KRÓL (wie Anm. 145), S. 20 f.; Im Kampf gegen Besatzung und „Endlösung“.
Widerstand der Juden in Europa 1939-1945, hrsg. von GEORG HEUBERGER, Frankfurt
am Main 1995.
KRÓL (wie Anm. 145), S. 20. Warschau wurde zu einem Verkehrsknotenpunkt der
Wehrmacht Richtung Osten.
SANDER (wie Anm. 7), S. 36.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 22 f.
Hierzu zuletzt ARANI, Feindbilder (wie Anm. 144), S. 156-161; DIES.: Abbild oder
Trugbild? Deutsche Fotografien von Juden in Warschau 1939-1944, in: W obiektywie
wroga (wie Anm. 5), S. 48-57, hier S. 52 f.; vgl. UZIEL (wie Anm. 12), S. 22. Die
ersten maßgeblichen deutschsprachigen Veröffentlichungen zu den Aufnahmen der PK
689 waren: Fotografien aus dem Warschauer Ghetto, hrsg. von ULRICH KELLER, Berlin
1987 (Das Foto-Taschenbuch, 9); SYBIL MILTON: Argument oder Illustration. Die
Bedeutung von Fotodokumenten als Quelle, in: Fotogeschichte 8 (1988), 28, S. 61-90,
hier S. 79.
SANDER (wie Anm. 7), S. 35 f.
BArch, Bild 183-L22986 und -L25517/Koch/ CC-BY-SA.
38
Miriam Y. Arani
Abb. 19: Zwei deutsche Soldaten beim Stadtbummel in Lublin, Mai 1941, Fotograf:
Johannes Hähle, PK 637 (BArch, Bild 101I-019-1229-34/Hähle/CC-BYSA)
um die alte Synagoge in Krakaus jüdischem Viertel Kazimierz173. Keine Erkenntnisse liegen bisher zu den PK-Aufnahmen aus dem Ghetto Lublin vor.
Der Fotograf Johannes Hähle (PK 637) lichtete hier im Mai 1941 zwei deutsche Soldaten bei einem Stadtbummel ab (Abb. 19).174
Bei genauer Betrachtung der auf dieser Fotografie im Mittelgrund abgebildeten Menschen ist es nicht möglich, das Axiom des rassenideologischen
Antisemitismus aufrechtzuerhalten, Juden seien durch bestimmte körperliche
Merkmale von anderen Menschen unterscheidbar. Da angeblich sichtbare
Unterschiede zwischen Juden und Nicht-Juden kein zuverlässiges Distinktionsmerkmal waren, führte die deutsche Besatzungsmacht Ende 1939 eine
zweifelsfrei sichtbare Kennzeichnung für Juden ein: in den „eingegliederten
Ostgebieten“ einen gelben Stern und im „Generalgouvernement“ eine weiße
Armbinde mit blauem Stern.
173
174
BArch, Bild 101I-030-0766-08, -20, -26 und -32/Rössler/CC-BY-SA.
BArch, Bild 101I-019-1229-30, -31, -33 und -34/Hähle/CC-BY-SA.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
39
Am dichtesten ist die Überlieferung fotografischer Quellen, abgesehen von
Warschau, zum Ghetto in Lodz. Sie unterscheidet sich von der Warschau betreffenden Überlieferung dadurch, dass sehr viele Bildquellen jüdischer Fotografen aus diesem Ghetto vorliegen175, die zum Vergleich mit den PK-Aufnahmen genutzt werden können. Durch die vergleichende Analyse unabhängig voneinander entstandener Fotografien zum gleichen Thema kann der
Quellenwert einzelner Aufnahmen präziser bestimmt werden.176 Ein derartiger Vergleich kommt zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass PK-Fotografien das Axiom des rassenideologischen Antisemitismus keineswegs durchgängig verifizieren, sondern es auch falsifizieren können, wenn sie in Kenntnis ihrer eingangs beschriebenen Steuerungsprozesse quellenkritisch analysiert werden.
Die multiethnische Stadt Lodz wurde am 11. April 1940 auf Befehl Hitlers zu
Ehren seines politischen Anhängers General Karl Litzmann in „Litzmannstadt“ umbenannt.177 Am 30. April schufen deutsche Einsatzkräfte ein vollständig abgeriegeltes Ghetto.178 Vorausgegangen war eine ab dem 7. November 1939 erzwungene Kennzeichnung der Geschäfte nach deutscher, polnischer oder jüdischer „Volkstumszugehörigkeit“.179 Die Ghettoisierung der Juden 1939/40 ging einher mit einer städtebaulichen Umgestaltung, die mittelfristig auf eine strikte räumliche Trennung der „Volksgruppen“180 in der Stadt
zielte und letztlich auf deren vollständige „Germanisierung“. Dieser bevölkerungspolitische Segregations- und städtebauliche „Germanisierungs“-Prozess
erscheint in einer Aufnahme des PK-Fotografen Knobloch (PK 689) aus
Litzmannstadt nur selektiv bezogen auf die deutsche „Aufbau“-Leistung in
der Stadt.181
175
176
177
178
179
180
181
Vgl. ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 848-851, 893,
901; TANJA KINZEL: Zwangsarbeit im Fokus. Drei fotografische Perspektiven aus dem
Ghetto Litzmannstadt, in: Im Ghetto 1939-1945. Neuere Forschungen zu Alltag und
Umfeld, hrsg. von CHRISTOPH DIECKMANN und BABETTE QUINKERT, Göttingen 2009
(Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, 25), S. 171-204; Das Gesicht des
Gettos. Bilder jüdischer Photographen aus dem Getto Litzmannstadt 1940-1944, hrsg.
von der STIFTUNG TOPOGRAPHIE DES TERRORS, Berlin 2010.
Zur Methodologie ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 86,
106.
BARANOWSKI (wie Anm. 160), S. 32.
Ebenda, S. 36.
Deutsche Lodzer Zeitung vom 7.11.1939, S. 3, zit. nach: Germanizacja Łodzi w
nazistowskiej prasie z lat 1939-1943. Wybór artykułów – Die Germanisierung von
Łódź im Spiegel der nationalsozialistischen Presse (1939-1943), bearb. von KRYSTYNA
RADZISZEWSKA und JÜRGEN RIECKE, Łódź 2004, S. 14 bzw. 72.
Vgl. ARANI Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 425, 470-473.
BArch, Bild 101I-133-0747-12/CC-BY-SA. Das Foto zeigt eine Häuserfassade der
nun in Adolf-Hitler-Straße umbenannten ul. Piotrowska während ihrer „Sanierung“
durch eine deutsche „Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH“. Die Aufnahme
zählt zum Bestand BArch, Bild 101I/Band133/Film747 mit Aufnahmen des PK-Fotografen Knobloch aus Litzmannstadt, vgl. ARANI, Fotografische Selbst- und Fremd-
40
Miriam Y. Arani
Abb. 20: PK-Mann fotografiert einen „Juden“, ca. 1940, Litzmannstadt (Łódź), Fotograf: SS-PK Schilf (BArch Bild 101III-Schilf-003-23/CC-BY-SA)
Vermutlich 1940 setzten die SS-PK-Fotografen Schilf und Wisniewski im
Ghetto Litzmannstadt eingepferchte Juden ins Bild.182 Eine Aufnahme Schilfs
(Abb. 20) gibt zum einen über historische Realia und zum anderen auch über
die soziale Beziehung der deutschen Fotografen zu ihrem fotografierten Gegenüber Auskunft. Im Bild sichtbar ist ein glattrasierter Uniformierter, der
eine Kamera vor sein Gesicht hält, um einen vollbärtigen Zivilisten aus
größtmöglicher Nähe abzulichten. Dass es sich um einen „Juden“ im Sinne
der nationalsozialistischen Rassengesetze handelt, ist zunächst nur an dem
Stern zweifelsfrei zu erkennen, den dieser Bevölkerungsgruppe zugerechnete
182
bilder (wie Anm. 6), S. 916. Die Archivbeschriftung des Bildes ist in einem Punkt unzutreffend: Die Adolf-Hitler-Straße durfte seit November 1939 nicht von Juden betreten werden und lag außerhalb des Ghettogeländes, siehe BARANOWSKI (wie Anm.
160), S. 34; Germanizacja Łodzi (wie Anm. 179), S. 14, 25.
Zu den SS-PK-Fotografen Schilf und Wisniewski SANDER (wie Anm. 7), S. 36. Die
Zwangsumsiedlung der Lodzer Juden in das als Ghettogelände ausgewiesene Stadtgebiet erstreckte sich über die Zeit von Februar bis April 1940, siehe BARANOWSKI (wie
Anm. 160), S. 35 f.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
41
Personen seit dem 11. Dezember 1939 in Lodz auf der rechten Brust und auf
dem Rücken tragen mussten.183 Schilf und der abgebildete Fotograf wählten
einen Mann als Objekt ihrer Aufnahmen aus, der nicht nur durch den hellen
Stern an seinem Mantel, sondern darüber hinaus anhand des langen dunklen
Mantels selbst („Kaftan“) in Verbindung mit einem Vollbart und der Kopfbedeckung visuell als „Jude“ identifizierbar war. Derart traditionell gekleidete
chassidische Juden wurden besonders häufig von deutschen Uniformierten
gedemütigt und fotografiert.184
Anhand von Schilfs Aufnahme lässt sich ferner die körpersprachliche
Interaktion zwischen den Fotografen und dem Fotografierten und ihre Positionierung im Raum analysieren.185 Der durch seine Tracht und den Stern
doppelt als „Jude“ gekennzeichnete Mann steht auf einem ansonsten menschenleeren Platz zwei ihn gleichzeitig fotografierenden uniformierten Deutschen wie erstarrt gegenüber. Er blickt nicht in die Richtung des im Bild
sichtbaren Fotografen, der an ihn herangetreten ist, um eine Nahaufnahme
von „dem Juden“ zu machen, sondern schaut direkt in das Objektiv des SSPK-Fotografen Schilf, dessen Aufnahme hier zu sehen ist. Die beiden fotografierenden Uniformierten reproduzieren dem fotografierten Zivilisten gegenüber ein militärisches und politisches Gewaltverhältnis, das sämtlichen
PK-Aufnahmen von jüdischen und nicht-jüdischen Polen zugrunde lag. Als
Angehörige einer technisch überlegenen Besatzungsmacht führten sie durch
den Akt des Fotografierens einem Machtlosen seine Ohnmacht vor Augen,
indem sie Bilder von ihm machten, auf die er keinen Einfluss nehmen konnte.
Dass der im Bild sichtbare PK-Mann ihn aus größtmöglicher Nähe ablichtet,
ist sicherlich nicht auf innere Anteilnahme zurückzuführen.186
Im Jahr 1941 wurde außer Knobloch von der in Warschau stationierten PK
689 auch ein Fotograf namens Zermin187 in Litzmannstadt eingesetzt.188 Wie
aus einem Vergleich seiner Aufnahmen mit denen der SS-PK-Fotografen
Schilf und Wisniewski hervorgeht, stellte er die Ghettoinsassen anders dar als
183
184
185
186
187
188
Ebenda, S. 32.
Vgl. BArch, Bild 101I-012-0048-17/Falk/CC-BY-SA; BArch, Bild 101I-001-25134/Schulze/CC-BY-SA; BArch, Bild 183-E10855/CC-BY-SA; BArch, Bild 101IIIWisniewski-025-21A und -22/CC-BY-SA; BArch, Bild 101I-030-0780-25, -26 und
-28/Kintscher/CC-BY-SA.
Zur Analyse fotografischer Quellen unter proxemischen und kinetischen Aspekten
ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 99.
Vgl. MEYER (wie Anm. 1), S. 32-35, und zur Operationalisierung der Analyse ARANI,
Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S. 101.
Einige seiner Aufnahmen veröffentlichte bereits KELLER (wie Anm. 170), S. 12, 171187; Kontaktkopien des Negativfilms mit den Aufnahmen aus dem Ghetto Litzmannstadt: BArch, Bild 101I/Band 133/Film 703.
Wie aus den überlieferten Fragmenten der Einsatzberichte der Kompanie hervorgeht,
fotografierten am 12.02.1941 und am 20.09.1941 Angehörige dieser Propagandaeinheit im Ghetto, ARANI, Fotografische Selbst- und Fremdbilder (wie Anm. 6), S.
574, 916.
42
Miriam Y. Arani
sie. Beispielsweise zeigt eine seiner Aufnahmen einen der jüdischen
Ghettopolizisten bei seiner Arbeit auf der Straße189, während die beiden SSPK-Fotografen mit ihren Aufnahmen von Ghettopolizisten offenbar beabsichtigten, durch Halbnah- und Nahaufnahmen deren „Physiognomien“ besonders
hervorzuheben.190
Zahlreiche PK-Aufnahmen Zermins zeigen Juden im Ghetto Litzmannstadt
1941 als Menschen, die sich außer der Kennzeichnung durch einen Stern
nicht von anderen polnischen Zivilisten unterschieden (Abb. 21).191 Einige
seiner Fotografien zeigen Ghettoinsassen bei der Arbeit in einem Schneidereibetrieb, der Uniformen für Wehrmachtssoldaten herstellte (Abb. 22).192
Die Aufnahmen des PK-Fotografen Zermin vermitteln einen anderen Eindruck als diejenigen der SS-PK-Fotografen von den im Ghetto eingesperrten
Juden. Zermins Bilder sind denen der jüdischen Ghettofotografen ähnlicher,
da sie keine physiognomische oder kulturelle Andersartigkeit von Juden nahe
legen. Warum Zermin Juden hier als disziplinierte Textilarbeiter darstellte,
die sich äußerlich nur durch einen aufgenähten Stern sichtbar von nichtjüdischen Arbeitern unterschieden, kann derzeit nicht geklärt werden. Wie
auch die PK-Aufnahmen arbeitender jüdischer Männer mittleren Alters aus
dem Ghetto Warschau wurden diese Aufnahmen damals nicht veröffentlicht.193 Festgestellt werden kann aber, dass PK-Aufnahmen Teilaspekte der
Wirklichkeit in den großen Ghettos festhielten, die durch einen Vergleich mit
weiteren Bild- und Schriftquellen genau eingegrenzt werden müssen, um im
Einzelfall zwischen dem objektiven Informationsgehalt und den propagandistischen Intentionen unterscheiden zu können.
189
190
191
192
193
BArch, Bild 101I-133-0703-32/Zermin/CC-BY-SA.
BArch, Bild 101III-Schilf-003-20 und -21/CC-BY-SA; BArch, Bild 101III-Wisniewski-025-17/CC-BY-SA. Zeitgenössischen „rassenkundlichen“ Schulungsmaterialien zufolge waren „Juden“ an bestimmten körperlichen Merkmalen erkennbar, darunter der
Nase. Dass diese sich aber nicht anhand derartiger körperlicher Merkmale unterscheiden ließen, hatte bereits RUDOLF VIRCHOW: Gesamtbericht über die von der deutschen
anthropologischen Gesellschaft veranlassten Erhebungen über die Farbe der Haut, der
Haare und der Augen der Schulkinder in Deutschland“, in: Archiv für Anthropologie
16 (1886), S. 275-282, feststellen müssen. Ich danke Herrn Prof. Dr. Konrad Vanja für
diesen Hinweis.
Vgl. auch weitere Einzelaufnahmen des kontaktkopierten Negativfilms vom PK-Fotografen Zermin: BArch, Bild 101I/Band 133/Film 703; BArch, Bild 101I-133-0703-27
und -35/Zermin/CC-BY-SA.
Einzelaufnahmen des kontaktkopierten Negativfilms BArch, Bild 101I/Band 133/Film
719; BArch, Bild 101I-133-0719-05, -07 und -16/Zermin/CC-BY-SA.
BArch, Bild 101I-134-0770-05; ARANI, Feindbilder (wie Anm. 144), S. 160 f.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
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Abb. 21: Im Ghetto eingesperrte „Juden“, 1941, Litzmannstadt (Łódź), Fotograf:
Zermin, PK 689 (BArch Bild 101I-133-0703-19/Zermin/CC-BY-SA)
Abb. 22: Schneidereibetrieb im Ghetto, Herstellung von Wehrmachtsuniformen,
1941, Litzmannstadt (Łódź), Fotograf: Zermin, PK 689 (BArch, Bild 101133-0719-02/Zermin/CC-BY-SA)
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Miriam Y. Arani
Der objektive Informationsgehalt und die propagandistischen Intentionen
können bei solchen Ereignissen leichter unterschieden werden, zu denen die
Quellenlage vergleichsweise dicht und der Forschungsstand zum historischen
Kontext des fotografisch Festgehaltenen relativ fortgeschritten ist. Dies gilt
beispielsweise für den Warschauer Aufstand von 1944.
Am 1. August 1944 löste die der polnischen Exilregierung in London unterstehende Armia Krajowa [Heimatarmee] in Warschau einen Aufstand aus,
den die deutschen Sicherheitskräfte trotz besserer Bewaffnung erst nach 63
Tagen niederschlagen konnten. Knapp 23 000 polnische Aufständische nahmen einen erbitterten Kampf mit der deutschen Besatzungsmacht auf. Diejenigen, die nun in deutschen Uniformen gegen die polnischen Aufständischen
kämpften, entsprachen 1944 nicht mehr im geringsten dem propagierten Ideal
der „Rassereinheit“: Es handelte sich u.a. um Ungarn, Weißrussen, Russen
und zahlreiche Aserbeidschanis.194
Obwohl die deutsche Führungsspitze darauf bedacht war, die Öffentlichkeit über den Aufstand in Unkenntnis zu halten, arbeiteten die deutschen
Kriegsberichter unablässig vor Ort, so dass zahlreiche PK- und SS-PK-Fotografien von den Kämpfen mit den Aufständischen überliefert sind.195 Am 30.
Oktober 1944 ließ das RMVP alle fotografischen Darstellungen der Warschauer Aufständischen für eine Veröffentlichung sperren, da diese zu „heroisch“ und „gut“ aussähen.196 Doch RMVP und OKW konnten diesen größten
und längsten Aufstand gegen die deutsche Besatzungsmacht in Europa nach
mehrwöchigen Kämpfen nicht mehr ohne erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust verheimlichen. Daher wurde propagandistisch verzerrt über die Kampfhandlungen berichtet: General Tadeusz „Bór“ Komorowski und seine Streitkräfte seien keine polnischen Patrioten, sondern „Werkzeuge in den Händen
fremder Mächte“, nämlich Englands und der Sowjetunion. Komorowski habe
die polnische Zivilbevölkerung zum Kämpfen gezwungen und so deren Leiden ausgelöst.197 Entsprechend verzerrt stellte auch eine Signal-Extra-Ausgabe am 15. November 1944 den bewaffneten Aufstand dar:
„Das Vorspiel zum dritten Weltkrieg – Der Warschauer Aufstand. Am 1. August
1944 brach in Warschau ein Aufstand aus. Wenige Tage später war er niedergeschlagen.“198
194
195
196
197
198
Hierzu DAVIES (wie Anm. 10), S. 208 ff.
Vgl. W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 336, 339-357.
Zit. nach SACHSSE (wie Anm. 66), S. 364.
W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 337.
Faksimile in: W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 364 f.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
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Abb. 23: Gefangennahme eines polnisches „Kanalgängers“ im Stadtviertel Mokotów, Warschau 1944. Zeitgenössische Bildbeschriftung: „Warschau – das
Ende einer Rebellion. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Aufstandes. Aus zerfallenen Kellern und feuchten Kanalisationsschächten
kriechen die halbverhungerten, von Moskau und London im Stich gelassenen Aufständischen heraus und wandern in die Gefangenschaft“, hrsg. am
6.10.1944, Fotograf: SS-PK-Ahrens (BArch, Bild 146-1994-054-30/Ahrens/CC-BY-SA)
Schon zuvor hatte das RMVP alle verbalen und visuellen Informationen
für die Öffentlichkeit gesperrt, die dazu hätten führen können, dass die deutsche Bevölkerung Sympathie für Gegner des nationalsozialistischen Regimes
empfindet.199 Dementsprechend wurden die Aufständischen in Warschau nun
den Sprachregelungen des RMVP folgend als „fanatische Banden“200 bezeichnet, deren „Widerstandsnester“ ausgelöscht würden. Doch die PK- und SSPK-Fotografien protokollierten den Einsatz von schwerer Artillerie, Panzern
und Luftwaffe gegen die Aufständischen.201 Diese damals unveröffentlicht
gebliebenen PK-Bilder belegen in Verbindung mit anderen Dokumenten, wie
sehr das Ausmaß dieses Aufstands heruntergespielt wurde. Ausländische
Kriegsgefangene sollten auf Anweisung des RMVP generell möglichst „nie-
199
200
201
Vgl. HAGEMANN (wie Anm. 42), S. 182.
Gefangene polnische Zivilisten sollten schon zu Kriegsbeginn nicht als „gefangene Polen“, sondern als gefangene „polnische Banditen“ bezeichnet werden; zit. nach SACHSSE (wie Anm. 66), S. 344.
Siehe W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 336 f.
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Abb. 24: Deutsche Infanteristen beim Einsatz des mit Sprengstoff beladenen Miniatur-Raupenfahrzeuges „Goliath“ gegen die polnischen Aufständischen in
Warschau, August 1944, Fotograf: Götze, PK KBZ HG Mitte (BArch, Bild
101I-895-0412-19/Götze/CC-BY-SA)
dergeschlagen“ dargestellt werden. Dieser allgemeinen Direktive entspricht
auch die fotografische Aufnahme eines polnischen Aufständischen, der sich
wie viele andere während der Kämpfe nur durch das unterirdische Kanalsystem geschützt vorwärts bewegen konnte (Abb. 23).202
Da sich ab 1942 durch die schweren Niederlagen an allen Fronten die
Möglichkeiten verringerten, über Heldentaten deutscher Soldaten und Offiziere zu berichten, trat die Einführung neuer Waffensysteme in den Vordergrund der PK-Berichterstattung.203 Dies gilt wohl auch für viele PK- und SSPK-Fotografien vom Kampf mit den polnischen Aufständischen in Warschau
1944, die nicht so sehr die einzelnen Männer, sondern vielmehr die von ihnen
eingesetzten Waffen ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Bildbetrachter
rückten (Abb. 24).204
So ließ sich auch der hohe Anteil nicht-deutscher „Hilfstruppen“ in deutschen Uniformen leichter vor der Öffentlichkeit verheimlichen.
202
203
204
Vgl. ebenda, S. 357.
UZIEL (wie Anm. 12), S. 23.
Vgl. W obiektywie wroga (wie Anm. 5), S. 342-349.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
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Zusammenfassung
Wie aus dem zuvor Dargestellten hervorgeht, repräsentieren PK-Fotografien ausschließlich Sichtbares. Da aber nicht alle historisch relevanten Vorgänge sichtbar waren bzw. sind, sollten zu ihrer Analyse und Interpretation
wie in der Kunstgeschichte weitere Text- und Bildquellen hinzugezogen werden, die Aufschluss darüber geben, inwiefern die Entstehungsbedingungen
und zeitgenössischen Gebrauchsweisen dieser Bilder die Art und Weise der
Visualisierung und die Sichtbarkeit bestimmter Phänomene einschränkten.
Darüber hinaus ist deren „beabsichtigte Ikonografie“ zu berücksichtigen, die
sich ebenfalls durch das Hinzuziehen zeitgenössischer Text- und Bildquellen
– beispielsweise relevanten Anweisungen und der zeitgenössischen Fotopublizistik – rekonstruieren lässt. Ein solches rekonstruierendes Vorgehen lässt
deutlich hervortreten, dass der Zweck der PK-Fotografien im Rahmen der
Kampfhandlungen in den östlichen Kriegsgebieten nicht allein in einer
Kriegsberichterstattung und Verherrlichung der Wehrmacht lag, sondern auch
in der Konstruktion von Feindbildern.
Bereits 1939 wurde die deutsche Presse vom RMVP angewiesen, die Bevölkerung der multiethnischen Gesellschaft im besetzten polnischen Gebiet
als „Untermenschen“ darzustellen. Im Jahr 1941 wurden vom RMVP schon
zuvor geprägte Muster antisemitischer Bildpropaganda mit einem von 1939
bis 1941 befristet ausgesetzten „antibolschewistischen“ Bildprogramm verknüpft. Alle diese Elemente der visuellen Kriegspropaganda setzten die nationalsozialistische Rassenideologie als Rezeptionskontext der PK-Fotografie
voraus. Sie begleitete und unterstützte in den östlichen Kriegsgebieten den
Holocaust und eine Destruktion multiethnischer Gesellschaften im Hinblick
auf eine bereits in Hitlers programmatischen Schriften vor 1933 umrissene
Utopie: der Errichtung eines kolonialen Imperiums im Osten, in dem Massen
pauperisierter „Fremdvölkischer“ einer Minderheit „nordischer“ Herrenmenschen dienen sollten.205
Die NSDAP hatte bereits vor 1933 in der gegen den Marxismus gerichteten Parole „Rasse statt Klasse“ ihre weltanschauliche Grundlage eines gewaltsamen Angriffs auf „fremde Völker“ deutlich zum Ausdruck gebracht.
Diese Handlungsmotivation schlug sich seit dem Überfall auf Polen im verbrecherischen Handeln der deutschen Besatzungsmacht gegenüber den Angehörigen einer multiethnischen Gesellschaft nieder, die nun in verschiedene
205
KARL HEINZ ROTH: „Generalplan Ost“ und der Mord an den Juden. Der „Fernplan der
Umsiedlung in den Ostprovinzen“ aus dem Reichssicherheitshauptamt vom November
1939, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 12
(1997), 2, S. 50-70; CZESŁAW MADAJCZYK: Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan. Dokumente, München u.a. 1994 (Einzelveröffentlichungen der Historischen
Kommission zu Berlin, 80); Der „Generalplan Ost“. Hauptlinien der nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik, hrsg. von MECHTHILD RÖSSLER und
SABINE SCHLEIERMACHER, Berlin 1993 (Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, 3).
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„Volksgruppen“ aufgespalten wurde. Dieser mit der Rassenideologie und hygienisch-medizinischen Erfordernissen begründete Spaltungs- und Segregationsprozess des Vielvölkerstaats Polen lässt sich anhand der Fotopublizistik
im IKP besser nachvollziehen als in den Medienprodukten für die deutschsprachige Öffentlichkeit.
Während sich die Konstruktion eines rassenideologisch fundierten Feindbilds im deutsch besetzten polnischen Gebiet bis 1941 mittels der PK-Fotografen – und hierbei insbesondere der SS-PK-Fotografen – weitgehend auf
Juden beschränkte, gewann mit dem Angriff auf die Sowjetunion ab 1941 die
vom „völkischen Staat“ rassenideologisch legitimierte visuelle Diffamierung
aller multiethnischen Gesellschaften in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa auf
Basis der PK-Bildproduktion an Bedeutung. Diese Diffamierung verdichtete
sich bildlich spätestens seit 1941 in einer gezielten Übertreibung des „Unsauberen“, „Tierischen“ und „Asiatischen“ in der „beabsichtigten Ikonografie“
zur visuellen Darstellung sowjetischer Soldaten und Zivilisten.206 Systematische Vergleiche zwischen vollständigen Aufnahmesequenzen von PK-Fotografien aus den östlichen Kriegsgebieten und ihren zeitgenössischen Verwendungszusammenhängen in der Fotopublizistik unter nationalsozialistischer
Herrschaft können zeigen, wie groß die Diskrepanz zwischen den herzustellenden völkisch-rassischen Feindbildern und den vor Ort vorgefundenen
sichtbaren Wirklichkeiten sein konnte. Diese Diskrepanz musste von den PKFotografen überbrückt werden, um den Anweisungen des RMVP und der
Abteilung Wehrmachtpropaganda im OKW zu entsprechen.207
Aus dem Vergleich der im deutsch besetzten Polen entstandenen PK-Fotografien mit Schriftquellen und fotografischen Bildquellen anderer Hersteller
geht hervor, dass die PK-Bildberichterstattung nicht nur den Besatzungsterror
gegen die Zivilbevölkerung und die industrialisierte Vernichtung von „Geisteskranken“, Juden, „Zigeunern“ und sowjetischen Kriegsgefangenen ausblendete, sondern diese Verbrechen auch durch ein rassenideologisch fundiertes Bildprogramm begleitete und unterstützte, das nicht durch die Einzelaufnahme, sondern vor allem durch eine Wiederholung bestimmter Bildformeln
und deren massenhafte Vervielfältigung wirksam werden konnte. Jede bild206
207
Die Erforschung der PK-Fotografien aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion wird
erschwert durch die Tatsache, dass sich weder die Soldaten der Roten Armee noch die
schätzungsweise insgesamt 27 Millionen Toten auf sowjetischer Seite trennscharf in
Juden, Polen, Balten, Weißrussen, Ukrainer, Russen und „Asiaten“ unterscheiden
lassen. Hier zeigt sich deutlich, wie wenig sich die Kategorie nationaler Identität dafür
eignet, den Zweiten Weltkrieg in Osteuropa wissenschaftlich zu analysieren; siehe
DAVIES (wie Anm. 10), S. 207, 210, 367 f.
Die Arbeitsteiligkeit des Herstellungs-, Distributions- und Publikationsprozesses der
PK-Fotografien „entlastete“ den Einzelnen von der Verantwortung für das am Ende
stehende Medienprodukt und dessen Folgewirkungen, was letztlich auch die Möglichkeit eröffnete, jegliche individuelle Verantwortung für Holocaust und Kriegsverbrechen von sich zu weisen.
Die Fotografien der Propagandakompanien der deutschen Wehrmacht
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quellenkritische Visualisierung der Ereignisse im besetzten Polen 1939-1945
wird sich daher nicht auf PK-Bildmaterial beschränken können.
Von transnationaler Bedeutung ist primär die Entstehung der PK-Fotografien im Zusammenhang mit einem Staatsverbrechen bis dahin unbekannten
Ausmaßes. In diesem Kontext ist an die von den PK der deutschen Wehrmacht hergestellten Fotografien unter quellenkritischen Gesichtspunkten vor
allem die – hier zugespitzt formulierte – Frage zu stellen, inwiefern sie diese
Verbrechen im Bild festhielten oder aber in der Absicht hergestellt wurden,
diese Verbrechen zu ermöglichen.
Summary
Photographs taken by the German army’s propaganda troops as source material
for the events in occupied Poland 1939 to 1945
The photographs taken by the German army’s propaganda units have long been used in
the visual presentation of World War II. What is frequently ignored, however, is that these
photos were intended as part of a psychological war. They not only served as war propaganda and to glorify the German army, but also as a visual discreditation of alleged or real
“enemies”. A number of researchers have been able to demonstrate how the photos taken
by the propaganda units were manipulated by both the Ministry of Propaganda and the
army high command, thus rebutting the previously widely held view that they constituted
“objective” war reporting.
The propaganda units were deployed on all war fronts, in the German occupied territories, and partly on the “home front” as well. As a record of the course of the war, following
the military activities of the German armies, the photographs taken in the East Central
European theater of war deserve greater attention, as it was here that the greatest number
of soldiers and civilians – including those murdered in the holocaust – met their deaths.
With its focus on the production of the propaganda units’ photographs and their contemporary context in German-occupied Poland between 1939 and 1945, the article aims to present for discussion the ambivalent character of these mass visual sources, with their “intentional iconography” on the one hand, and their elements of objective information on the
other.
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