Von wegen sanfte Hasenpfote: Während der ­Rammelzeit wird unter den Männchen geboxt. Da fliegen schon mal die Fetzen – und Fellbüschel. LandLiebe auf der Pirsch Ballett der Feldhasen Scheu sind sie, leben versteckt und am liebsten allein. Doch wehe, ein Weibchen lockt! Dann streiten sich die Männchen, und aus Angsthasen werden wilde Boxer. Text Marcel Huwyler Fotos Manfred & Susanne Danegger 34 35 S Beim Boxen testet die Häsin den Rammler o friedliebend und scheu Feldhasen sonst sind, wenn Liebe und Triebe ins Spiel kommen, ver­ teilen sie kräftige Hiebe – dann gibts, um im Fachjargon zu bleiben, zünftig eins hinter die Löffel! Und zwar für Männchen und Weibchen, Rammler wie Häsin. Davon zeugen Fellbüschel auf ­Wiesen und Äckern, die nach dem rabiat-amourösen Gezänke zurück­ bleiben. Jetzt, im Frühjahr, ist die Zeit günstig, Feldhasen bei ihrem Paarungsritual zu beobachten. Die sonst eher nacht- und däm­ merungsaktiven Tiere veranstalten ihre Hochzeit am heiterhellen Tag. ­Feldhasen mögen trockene, offene Landschaften wie Ackerland oder weite Wiesen und Felder, möglichst mit Hecken durchsetzt. Hier rotten sich die Einzelgänger zusammen und veranstalten ihre brachialen Balztänze. Pirschen wir uns also vorsichtig heran. ­ ellfetzen, und selbst ­blutende F Verletzungen müssen die liebes­ tollen Hasenmänner ertragen. Der Sieger dieser Rammler-Rangelei hetzt nun also seiner Häsin hinter­ her. Bis zu siebzig Stundenkilometer schaffen Feldhasen dank ihren ­langen kräftigen Hinterläufen. Und vier Meter hohe Sprünge wurden schon beobachtet. Plötzlich stoppt das Weibchen, dreht sich um, richtet sich drohend auf. Jetzt ist sie es, die Schläge austeilt: Einem Trommel­ feuer gleich prasseln die Hiebe auf den Kopf des Rammlers, und dieser haut zurück. Mit dieser Prügelei bringt sich die Häsin einerseits in Paarungsstimmung, anderseits prüft sie, wie stark ihr Partner ist. Nur die kräftigsten kommen als Erzeuger ihres Nachwuchses infrage. Dieser Rammler hier scheint ihr genehm – die Hasenhochzeit wird vollzogen. Von Treue hält die Häsin allerdings wenig. Innert kürzester Zeit paart sie sich mit mehreren Rammlern; die Jungen eines Wurfes können darum verschiedene Väter haben. Feldhase – Osterhase Sein Paarungstrieb und die vielfache Nachkommenschaft haben den Feldhasen schon im Altertum zum Symbol für Fruchtbarkeit gemacht. Leute assen Hasen, wenn sie sich viele Kinder wünschten. Papst Zacharias verbot im Jahr 751 den Hasenbraten, weil das Essen von Hasenfleisch, so der Papst, Sitten und Moral gefährde. Und dann natürlich die Sache mit dem Osterhasen: Ei und Hase gelten seit je als Inbegriff für Potenz, Leben, Neubeginn – für Frühling also, die Zeit ums Osterfest. Warum aber bringt der Osterhase farbige Eier? Es gibt verschiedene Erklärungen. Um Ostern herum legt der Kiebitz seine gesprenkelten Eier in eine Mulde am Erdboden. Schläge Beim Rammeln Und hopp und weg. Droht Gefahr, rennen Hasen bis zu ­siebzig Stundenkilometer schnell. 36 Da! Man muss schon genau hin­sehen, die Tarnfarbe täuscht ­wirklich meisterhaft: Erdbraune athletische Fellbündel jagen über den Acker. Zwei Feldhasen sinds, vorne eine Häsin – die weisse Unterseite ihres puschligen Schwänzchens, Blume genannt, blitzt im Sonnenlicht auf –, sie wird ­verfolgt von ihrem brünstigen ­Verehrer, dem Rammler. Wird er seine Braut kriegen? Schliesslich hat er sie sich schwer verdienen müssen. Denn vor der Hatz aufs Weibchen haben die Männchen bereits untereinander gestritten, wer der Stärkere, Potentere ist, wer die empfängnis­bereite Häsin bekommen soll. Auf ihren Hinterläufen thronend, die Brust in ­Imponiergehabe ­auf­gerichtet, prügeln sie mit ihren krallen­ besetzten Vorderpfoten ­aufeinander ein. Da wird geboxt, fliegen die Krähenattacke! Da hilft nur noch ein (zick)zackiger Fluchtweg. 37 Nur eines von zehn ­Jungtieren überlebt Oder gibt es ihn doch? Ich war zwölf, meine Schwester fünf Jahre alt. Ich wusste alles, sie glaubte alles. Ich war längst Komplize meiner Eltern, wenn es um Christkind, Sami­chlaus und Osterhase ging; meine Schwester dagegen hielt all die magischen Wesen für real. Es war an einem Ostermorgen, wir wohnten in einem Haus auf dem Land, ich half meiner kleinen Schwester beim Bau eines Osternestes aus Grashalmen. Später am Tag kontrollierten wir das Nest. Und da sass – ehrlich, ich schwörs! – ein Feldhase. Im Grasnest meiner Schwester. Natürlich flüchtete er sofort. Meine Schwester strahlte, sie hatte ihn gesehen, mich aber plagten fortan Riesenzweifel: Ob es ihn am Ende etwa doch gab? so leben Die häschen Drei- bis viermal im Jahr bringt eine Häsin, nach einer Tragzeit von 42 Tagen, zwei bis fünf Junge zur Welt: 100 Gramm leichte Fellbäusch­ chen, voll entwickelt und sehend. Das Aussergewöhnliche dabei: Eine Häsin kann erneut trächtig werden, auch wenn die Baby-Hasen noch gar nicht geboren sind. Dank dieser Sonderleistung, Superfötation genannt, bringt eine Häsin mehr Junge zur Welt. Was auch nötig ist: Denn nur eines von zehn Jungtieren wird das nächste Jahr erleben. Die hohe Sterblichkeit hat unter anderem mit dem Nest der Feldhasen zu tun: Dieses liegt ungeschützt im offenen Feld oder auf Ackerland. Ein kalter Ein ganz seltenes Bild: Die Häsin zeigt sich sonst nie mit ihren Jungen. Das wäre zu gefährlich! Denn ihre zahlreichen Feinde lauern überall. 38 Nur vier Wochen nach der Geburt sind die Häschen selbstständig. Frühling oder ein nasser Sommer, dazu Viren und Epidemien setzen den Jungtieren arg zu. Auch Greif­ vögel und Raubwild – der Fuchs ist der grösste Hasenjäger – dezimieren den Junghasenbestand. Die grösste Gefahr geht aber vom Menschen aus, Strassenverkehr und intensive landwirtschaftliche Nutzung sind am Tod vieler Tiere schuld. Wie ängstlich ist er nun wirklich? Der Feldhase ein Hasenfuss? Hat das Weibchen Junge geboren, ist es tatsächlich übervorsichtig und ängstigt sich um seinen Wurf. Mit gutem Grund: Grösse und Geruch der Mutter locken Feinde an. Um ihre Kleinen zu schützen, «mimt» die Mama darum die Rabenmutter und verlässt die Jungschar. Tagsüber höckeln die Jungtiere, getrennt und getarnt, im Gras. Nur abends, in der Dämmerung, huscht die Mutter von Häschen zu Häschen und säugt Netzwerk www.pronatura.ch j www.bafu.admin.ch V www.wwf.ch E www.foto-danegger.de sie mit ihrer Milch, die viermal mehr Fett als Kuhmilch enthält und enorm nahrhaft ist. Nach nur 33 Tagen sind die Jungen selbstständig – und die Häsin lässt sie ziehen. Feldhasen in der Schweiz In der Schweiz haben die Feldhasen­ bestände stark abgenommen. Doch noch gibt es sie … Wer die Tiere beobachten will, versucht es am besten in den Gebieten Wau­wiler Ebene (LU), im Klettgau (SH) sowie im Kanton Genf und im Raum rund um den Bieler- und den Neuen­burger­see. Die Chancen stehen derzeit gut. Denn Frühlings­ zeit ist Rammelzeit! Und mit etwas Glück, guter ­Tarnung und viel Geduld wird man ihnen zuschauen können, wie sie boxen, streiten, zanken, hoppeln, rasen, Haken schlagen – und einander beibringen, wie hier der Hase läuft. C Für Landliebe auf der Lauer Er ist einer der besten Wild- ­faszinieren ihn Feldhasen und tier- und Naturfotografen Rehe. Seine Bilder von rammelnim deutschen Sprachraum den, boxenden Feldhasen schoss Der 74-jährige Manfred Danegger, wohnhaft im deutschen Billafingen (Baden-Württemberg), schiesst seit über fünfzig Jahren die spek­ta­ku­lärs­ ten und intimsten Fotos von Tieren in freier Wildbahn. Am meisten Susanne und Manfred Danegger: Tochter und Vater auf Fotopirsch. Danegger mit dem Tele­objektiv aus seinem Auto heraus. «Als Fussgänger verrate ich mich zu schnell, und die Hasen flüchten. In meinem Wagen aber bin ich ­prima getarnt, und die Tiere trauen sich näher heran.» Auch seine 43-jährige Tochter Susanne Danegger ist ­mittlerweile der Tierfotografie ­verfallen. Schon als Kind begleitete sie ihren Vater auf der Fotopirsch. Die gelernte Tierarzthelferin leitete mehrere Jahre ein Tierheim, heute lebt sie auf einem Bauernhof am Bodensee. Ihre Tier­fotos, sagt sie, entstehen alle spielerisch: «Nichts muss, aber alles kann.» 39 Foto Reto Hügin Da der Feldhase sich tagsüber ebenfalls in einer Ackerfurche, Sasse genannt, aufhält, glaubte man, er lege diese Eier. Die plausibelste Erklärung ist aber wohl päda­ gogischer Natur, gemischt mit dem Jö-Effekt: Die Eltern schenken ihren Kindern farbige Ostereier und zelebrieren ein Geheimnis à la Christkind. Und weil der Feldhase niedlich, flauschig und darum kindertauglich ist, zudem flink und scheu (darum erwischt man ihn beim Eierbringen ja nie), wurde ihm die Rolle des Eierschenkers angedichtet. Natürlich existiert der Osterhase nicht. Wobei … Also die Geschichte muss ich Ihnen erzählen.