ZMSBw/OTL Dr. Vogel Schortens, 25.5.2016

Werbung
1
ZMSBw/OTL Dr. Vogel
Schortens, 25.5.2016
Hermann Edert und Karl Schumacher
Zwei deutsche Militärbiografien in der Zeit des Nationalsozialismus 1
Vortrag auf einer Bürgerversammlung im Bürgerhaus der Stadt Schortens
am 25.5.2016
[Anrede]
Ich darf Ihnen die beiden Personen, um die es hauptsächlich geht, etwas näher
vorstellen: Herman Edert und Karl Schumacher. Beide sind infolge der öffentlichen
Diskussion seit einigen Monaten den meisten von Ihnen nicht mehr ganz unbekannt.
Zumindest sind sie es in ihrer historischen Funktion nicht, die uns heute Probleme
bereitet: Als hochrangige Offiziere der Wehrmacht, genauer: der deutschen
Luftwaffe, in der Zeit des so genannten Dritten Reiches und während des Zweiten
Weltkrieges. Als Offiziere der Wehrmacht wurden sie seinerzeit Namensgeber jener
beiden Straßen in der Flughafensiedlung Upjever. Damit wurden sie wahrscheinlich
wegen ihrer Verdienste um den Aufbau von Fliegerhorst und Siedlung geehrt. Ganz
sicher wissen wir das freilich nicht, weil sich Unterlagen über den Vorgang der
Namensgebung bislang nicht finden ließen.
Wie dem auch sei: Es sind weniger die Gründe der damaligen Namensgebung, die
uns heute dazu zwingen, noch einmal über diese Namensgebung nachzudenken.
Vielmehr liegt dies daran, dass sich die politischen Verhältnisse in unserem Land
seitdem völlig geändert haben. Ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat wie die
Bundesrepublik Deutschland hat verständlicherweise ein ganz grundsätzliches
Problem mit der öffentlichen Ehrung von Personen, die während der Zeit der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 1945 staatliche
Funktionsträger gewesen sind. Diese Problematik verschärft sich im Fall höherer
Offiziere, denn diese trugen zwangsläufig auch höhere Verantwortung in einem
Krieg, dessen Zielsetzung und teilweise auch dessen Art der Führung man heute aus
guten Gründen als verbrecherisch bezeichnen muss.
Der nachfolgende Text ist ein wissenschaftlicher Beitrag des Verfassers. Er stellt damit kein im dienstlichen
Auftrag erstelltes Gutachten für die Stadt Schortens dar.
1
2
Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Der Dienst als Soldat und auch als höherer
Offizier in der Zeit des Nationalsozialismus und die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg
begründen noch lange keine persönliche Schuld am und im Krieg. Mit
Pauschalurteilen, die im falsch verstandenen Dienst der Vergangenheitsbewältigung
faktisch den Stab über eine ganze Generation brechen, ist der Wahrheit wenig
gedient. In dieser Frage kommt man nicht umhin, jeden Einzelfall für sich gründlich
zu prüfen. Wenn diese Prüfung aber schließlich ergibt, dass jemand ein überzeugter
Nationalsozialist war und eine tragende Rolle im System spielte oder sich gar direkt
an politisch-ideologisch motivierten Verbrechen beteiligt hat, dann wird man den
Betreffenden wohl schwerlich als Vorbild für einen Rechtsstaat und eine freiheitlichdemokratische Gesellschaft betrachten können. Und erst recht steht damit heute die
öffentliche Ehrung solcher Personen in Frage. Aber solche Fälle sind eher die
Ausnahme. Der menschliche „Normalfall“ auch in der Zeit des Nationalsozialismus
sind die so genannten Mitläufer, also Personen, die in untergeordneter Stellung im
Sinne des NS-Regimes schlichtweg funktioniert haben, – jedoch ohne treibende Kraft
gewesen zu sein, aber auch ohne Widerstand gegen Unrecht und Verbrechen
geleistet zu haben. Eine solche Haltung ist menschlich sehr verständlich, sind doch
die wenigsten Menschen zum Helden geboren. Eine eigentliche Schuld trifft den
Mitläufer also nicht. Eine ganz andere Sache ist dagegen, ob ein solcher Mitläufer als
Vorbild für unsere heutige Gesellschaft taugt und ob er es verdient, öffentlich geehrt
zu werden, zumal wenn sein gesamtes Leben keine besondere Leistung für die
Gemeinschaft nach unserem heutigen demokratischen Verständnis erkennen lässt.
Meine bisher eher grundsätzlichen Überlegungen bitte ich Sie in Erinnerung zu
behalten, wenn wir uns nun den Biografien von Hermann Edert und Karl Schumacher
zuwenden, speziell ihrem Lebensabschnitt zwischen 1933 und 1945, der durch ihren
Militärdienst für das nationalsozialistische Deutschland heute zum Stein des
Anstoßes geworden ist. Glücklicherweise ist dieser Lebensabschnitt für beide
Personen relativ gut dokumentiert, jedenfalls was ihr berufliches Leben, ihre
Laufbahn und Tätigkeit als Offiziere der Wehrmacht betrifft. Von beiden sind im
Militärarchiv in Freiburg umfangreiche, wenngleich lückenhafte Personalakten
überliefert, die ich auswerten konnte. Ergänzende Hinweise fand ich in
verschiedenen Beständen des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde. Die
veröffentlichte Literatur erwies sich dagegen als wenig ergiebig. Es gibt keine
biografischen Arbeiten über beide Personen. Hin und wieder finden sie Erwähnung in
3
der einschlägigen Literatur über Verbände der deutschen Luftwaffe und ihre Einsätze
im Zweiten Weltkrieg. Das mir bekannte Material lässt in beiden Fällen Herkunft,
Kindheit und Jugend bleiben weitgehend unbekannt. Die Personen werden praktisch
erst mit ihrem Eintritt in das Militär und der damit verbundenen Anlage einer
Personalakte sichtbar, – damit allerdings auch nur der Soldat und nicht die
Privatperson. Ganz unterschiedlich stellt sich die Sachlage für die Zeit nach
Kriegsende 1945 dar. Die Spur von Edert verliert sich damals. Nicht einmal sein
Todesdatum ließ sich bislang feststellen. Falls Edert den Krieg überlebt haben sollte,
ist er danach jedenfalls nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Ganz anders
Karl Schumacher, der nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1947
zunächst Anstellung im Regierungspräsidium Aurich fand und später Abgeordneter
im niedersächsischen Landtag wurde. Seine Nachkriegsbiografie ist deshalb relativ
gut dokumentiert. Sie steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Nun aber endgültig zur Militärbiografie beider Personen in der Zeit des
Nationalsozialismus. Dabei fallen zunächst einige Gemeinsamkeiten und Parallelen
in beiden Lebensläufen auf. Schließlich kreuzen sich ihre beruflichen Lebenswege
sogar, - und zwar im Fliegerhorst Jever. Um das Gemeinsame zu erfassen, müssen
wir etwas vor 1933 zurückblicken. Denn beide haben zum Zeitpunkt der
Machtübernahme der Nationalsozialisten bereits eine längere militärische Laufbahn
hinter sich, – beide zudem hauptsächlich in der Marine und nicht in der Luftwaffe.
Beginnen wir mit dem Jüngeren von beiden, Hermann Edert. Geboren 1901, ist er zu
jung, um den Ersten Weltkrieg noch als Soldat zu erleben. Erst im November 1919
wird er eine Art von Soldat, – heute würde man eher von Söldner sprechen. Mit
gerade einmal 18 Jahren tritt er in ein so genanntes Freikorps ein, das sich
hauptsächlich aus ehemaligen Angehörigen der kaiserlichen Marine zusammensetzt.
Es ist die II. Marine Brigade, besser bekannt unter dem Namen ihres Führers,
Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt. Wie zahlreiche andere Freikorps bekämpft die
Marinebrigade Ehrhardt kommunistische Aufstände im politisch unruhigen
Deutschland des Jahres 1919. Das tut sie einerseits mit Billigung der
Reichsregierung, andererseits mit ziemlicher Brutalität. Schließlich gerät die
Reichsregierung selbst ins Visier von Ehrhardt, der eigentlich ein erzreaktionärer
Republikfeind ist. Im März 1920 wird seine Truppe zur Speerspitze des KappLüttwitz-Putsches. Die Putschisten wollen die Reichsregierung stürzen, scheitern
4
aber nach wenigen Tagen. Die Brigade wird danach aufgelöst, einige ihre Mitglieder
radikalisieren sich weiter und ermorden in den Jahren 1921/22 zwei hochrangige
Politiker der Weimarer Republik, den ehemaligen Finanzminister Matthias Erzberger
und den amtierenden Außenminister Walter Rathenau. Hermann Edert hat damit
nichts mehr zu tun; er ist bereits Ende Mai 1920 von der Marinebrigade in die
reguläre Reichsmarine übergetreten. Es deutet aber alles darauf hin, dass er mit der
Brigade im März 1920 am Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin teilgenommen hat. Man
kann sich nun darüber streiten, inwieweit dem jungen Mann hieraus heute ein
Vorwurf zu machen ist. Wie dem auch sei: Es bleibt die Mitwirkung an einem Putsch
gegen die erste deutsche Demokratie.
Nach diesem gewissermaßen soldatischen Vorspiel in der Marinebrigade schlägt
Edert eine reguläre militärische Laufbahn ein: Ende Mai 1920 wird er als Seekadett in
die Reichsmarine aufgenommen. Ich will Ihnen die zahlreichen Stationen seiner
Ausbildung zum Seeoffizier ersparen. Es ist ein unauffälliger militärischer
Lebensweg, der erst wieder Anfang der 1930er Jahre interessant wird, als
Kapitänleutnant Edert beginnt, sich für die Fliegerei zu interessieren. In der Folge tritt
er am 1. Oktober 1933 in die neue deutsche Luftwaffe über. Die existiert damals
offiziell noch gar nicht, denn der Versailler Friedensvertrag von 1919 verbietet
Deutschland eine Luftwaffe. Dennoch wird in Deutschland schon seit Mitte der
1920er Jahre eine geheime Luftrüstung betrieben. Gleich nach ihrer
Machtübernahme Anfang 1933 beschleunigen die Nationalsozialisten den Aufbau
einer Luftwaffe gewaltig, da sie bekanntlich Krieg im Sinn haben. Das geschieht
zunächst weiter gut getarnt, unter dem Deckmantel ziviler Einrichtungen. So besitzt
Edert zunächst auch keinen militärischen Status, sondern den Dienstgrad eines
„Flieger-Kapitäns“. Nach der Ausbildung zum Jagdflieger findet er sogleich
Verwendung als Staffelkapitän bei den Seeluftstreitkräften. Die sind allerdings nicht
mehr Teil der Marine, sondern unterstehen dem mächtigen Hermann Göring als
Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Im März 1935 fühlt sich dann das NS-Regime
politisch stark genug, um den Versailler Vertrag offen zu brechen, führt die
Allgemeine Wehrpflicht wieder ein und gibt auch die Existenz der bereits recht
umfangreichen Luftwaffe offiziell bekannt. Aus dem früheren Kapitänleutnant Edert
macht dies endgültig einen Hauptmann der Luftwaffe. Im Jahr darauf wird er –
inzwischen Major – nach Jever versetzt, wo der neue Fliegerhorst ein halbes Jahr
zuvor eingeweiht wurde. Hier ist er genau ein Jahr lang, vom 1. Oktober 1936 bis
5
zum 29. September 1937, Kommandeur der Küstenjagdgruppe 136 (bald: I. Gruppe /
Jagdgeschwader 136) sowie Kommandant des Fliegerhorstes, auf dem die 27
Jagdflugzeuge des Typs Heinkel He 51 seiner Gruppe stationiert sind. Verband wie
Fliegerhorst befinden sich noch im Auf- und Ausbau. Die damaligen Vorgesetzten
Ederts bescheinigen ihm, seine Aufgaben tatkräftig und erfolgreich bewältigt zu
haben. Am 29. September 1937 übergibt er Jagdgruppe und Fliegerhorst an Major
Karl Schumacher, seinen bisherigen Stellvertreter, um selbst in eine Stabstätigkeit
nach Kiel zu wechseln. – Mit Schumacher kommt nun die andere uns wichtige
Person ins Spiel, der wir uns gleich zuwenden werden. Denn über Hermann Edert
gibt es eigentlich nichts mehr zu berichten, was uns besonders interessieren müsste.
Der bald ausbrechende Zweite Weltkrieg sieht ihn in verschiedenen Verwendungen:
in höheren Stäben, in Schulen der Luftwaffe und auch als Inhaber von
Kommandostellen, unter anderem als Kommodore eines Stuka-Geschwaders. Im
Sommer 1943 dann wird Edert – längst Oberst – Chef des deutschen
Verbindungsstabes bei der verbündeten ungarischen Luftwaffe. Das bleibt er bis zum
Kriegsende 1945, ohne dass Näheres über seine Tätigkeit bekannt ist. Wie eingangs
erwähnt, verliert sich seine Lebensspur mit einem letzten Eintrag in den
Personalakten vom 15. April 1945.
Damit nun zu Karl Schumacher. Im Unterschied zu Edert war der 1896 geborene
Schumacher alt genug, um schon den Ersten Weltkrieg als Soldat zu erleben. Als
Freiwilliger meldet er sich bei Kriegsbeginn 1914 zum Heer. Anfang 1916 tritt er zur
kaiserlichen Marine über und beginnt eine Ausbildung zum Seeoffizier. Mitte 1917
spezialisiert er sich für die junge Seefliegerei. Bis zum Kriegsende 1918 wird er,
zuletzt im Dienstgrad eines Leutnants zur See, als Beobachter und Flugzeugführer
über Nord- und Ostsee eingesetzt. Der Versailler Friedensvertrag – ich erwähnt es
bereits – bringt 1919 das vorläufige Ende für die Militärfliegerei in Deutschland.
Schumacher, dem die kleine Reichswehr der Weimarer Republik keine berufliche
Perspektive mehr bietet, quittiert Ende 1919 den Dienst. Er findet während der 20er
und frühen 30er Jahre kaufmännische Anstellungen in der Privatwirtschaft. Er wird
aber auch politisch aktiv. Am 1. November 1930 tritt er in die NSDAP ein, die zwar
seit Kurzem politisch im Aufwind, aber noch weit davon entfernt ist, die Regierung zu
übernehmen. Der frühe Zeitpunkt seines Eintritts lässt in ihm eher den
„Überzeugungstäter“ als den politischen Opportunisten erkennen. Damit nicht genug:
1931 tritt er auch in die Parteiarmee der NSDAP ein, die paramilitärische SA. Dort
6
engagiert er sich stark und macht Karriere auf einem Gebiet, das ihm vertraut ist.
Vom Fliegerreferenten der SA-Untergruppe Westfalen steigt er zum ersten
Mitarbeiter und Reichsführers des NS-Fliegerkorps im Rang eines SASturmbannführers auf. Das geschieht am 1. März 1933, also nur wenige Wochen
nach der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten. Damit und wegen
seiner militärischen Vorerfahrung hat sich Schumacher den neuen Machthabern
bestens dafür empfohlen, am noch geheimen Aufbau der Luftwaffe mitzuwirken.
Folglich erhält er an jenem 1. März 1933 auch eine Anstellung in der
Hauptverwaltung der Deutschen Verkehrsfliegerschule in Berlin, einer zivil getarnten
Kaderschmiede für die künftige deutsche Luftwaffe. Diese Anstellung endet, als er
am 1. Mai 1934 formal für die Streitkräfte reaktiviert wird. Aus Tarngründen lautet
seine Amtsbezeichnung immer noch „Fliegerkapitän“. Den entsprechenden
militärischen Dienstgrad eines Hauptmanns erhält er, wie Hermann Edert, erst im
März 1935, als Existenz und Aufbau der Luftwaffe offiziell zugegeben werden.
Schumacher durchläuft nun zahlreiche Lehrgänge und Schulungen, bis er militärisch
und fliegerisch reif für ein größeres Kommando ist. Am 1. Oktober 1936 ist es soweit:
Kurz nach seiner Beförderung zum Major wird er Chef der Stabskompanie der
Küstenjagdgruppe 136 sowie Stellvertretender Kommandant des Fliegerhorsts Jever.
Hier ist er nun „zweiter Mann“ nach Hermann Edert, mit dem er offenbar gut
auskommt. Als Edert ein Jahr später versetzt wird, empfiehlt er seinen Stellvertreter
als Nachfolger. Die höheren Vorgesetzten stimmen dem zu, und so übernimmt
Schumacher am 29. September 1937 von Edert das Kommando über die
Jagdgruppe. Er hat es fast zwei Jahre lang inne, während dessen der Verband
mehrfach umbenannt wird, – und im Oktober 1938 auch aus Jever abzieht.
Schumacher und seine Jagdgruppe nehmen an der Annexion der Sudetengebiete
teil und im Frühjahr 1939 bei der Besetzung des restlichen tschechischen
Staatsgebietes. Den Beginn des Zweiten Weltkrieges und den deutschen Feldzug
gegen Polen erlebt Schumacher dann als Kommandeur eines anderen
Luftwaffenverbandes. Ende 1939 macht Oberstleutnant Schumacher einen wichtigen
Karrieresprung. Er wird Kommodore des Jagdgeschwaders 1. Hierdurch kehrt er
auch nach Jever zurück, wo sich sein Geschwader noch im Aufbau befindet. Nur
wenige Tage nach seinem Dienstantritt schlagen seine Flieger in der so genannten
Luftschlacht über der Deutschen Bucht einen der ersten Angriffe britischer Bomber
zurück, was von der NS-Propaganda gehörig ausgeschlachtet wird. Schumacher
7
selbst schießt einen Bomber ab. Als er sein Geschwader dann auch noch im
Westfeldzug erfolgreich führt, wird er im Juli 1940 zum Oberst befördert und von
Hitler mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet.
Bis Anfang 1942 bleibt Schumacher Kommodore des Jagdgeschwaders 1 in Jever
und nimmt von hier aus die übergeordnete Funktion eines Jagdfliegerführers
Deutsche Bucht wahr. Anschließend erhält er als Jagdfliegerführer Norwegen eine
vergleichbare Aufgabe im Norden des deutschen Herrschaftsbereichs. Im Mai 1943
wird er nach Rumänien versetzt, als Kommandeur eines deutschen Lehrstabes, der
Piloten der verbündeten rumänischen Luftwaffe ausbildet. Im April 1944 kehrt er,
inzwischen zum Generalmajor befördert, nach Deutschland zurück und übernimmt
eine Stabsverwendung im Luftgaukommando Hamburg.
Im Spätsommer 1944 macht der militärische Lebensweg von Karl Schumacher dann
eine bemerkenswerte Wendung. Seine Laufbahn als Truppenoffizier der Luftwaffe
findet in gewisser Weise ihren Abschluss. Er übernimmt nun bis zum Kriegsende am
8. Mai 1945 Funktionen in der Wehrmacht, die ihn wie zu Beginn seiner Laufbahn in
der Luftwaffe, wieder stärker mit dem NS-Regime verbunden zeigen. So wird er im
August 1944 zum Reichskriegsgericht versetzt, das kriegsbedingt inzwischen von
Berlin nach Torgau an der Elbe umgezogen ist. Das Reichskriegsgericht war das
Oberste Gericht der Wehrmacht und damit erste und letzte Instanz in Hoch- und
Landesverratssachen gegen Militärangehörige. Später wurde es auch für alle Fälle
von Spionage, Feindbegünstigung, Kriegsverrat sowie für Fälle von so genannter
Wehrkraftzersetzung zuständig, worunter alle möglichen Tatbestände fielen: von der
Wehrdienstverweigerung bis hin zur Selbstverstümmelung. Das Reichskriegsgericht
arbeitete eng mit dem berüchtigten Volksgerichtshof zusammen. Auf diese Weise
geriet es mit zunehmender Kriegsdauer immer mehr zu einem Terrorinstrument zur
Aufrechterhaltung der NS-Herrschaft. Über 1400 von ihm verhängte Todesurteile und
eine Vielzahl hoher Haftstrafen sprechen eine klare Sprache. Die Urteile fällte ein
Richterkollegium, das sich sowohl aus hauptberuflichen Militärjuristen wie auch aus
Offizier-Richtern im Rang mindestens eines Majors zusammensetzte. Als ein solcher
Offizier-Richter sprach nun Karl Schumacher ab September 1944 Recht nach
nationalsozialistischem Verständnis. Bis Januar 1945 wirkte er nachweislich an
mehreren Todesurteilen mit, u.a. gegen Wehrdienstverweigerer, die fast alle auch
vollstreckt wurden. Er ist weiterhin als Zeuge bei mehreren Hinrichtungen mit dem
8
Fallbeil dokumentiert. Gründe und Umstände der Versetzung Schumachers an das
Reichskriegsgericht sind nicht überliefert. Aber es ist klar, dass das NS-Regime
gerade in jener Spätphase des Krieges, als es mit immer radikaleren Mitteln und
Methoden seine Herrschaft zu retten suchte, in solche Funktionen nur Personen
berief, die es sicher auf seiner Seite wusste.
Dass Schumacher vom NS-Regime als überzeugter Nationalsozialist betrachtet
wurde, sieht man auch an seiner nächsten Verwendung, die gleichzeitig seine letzte
im Krieg war. Auch sie ist in dem gerade geschilderten größeren Zusammenhang zu
sehen: Mit dem nachlassendem Kriegserfolg sah sich das NS-Regime genötigt, den
Durchhalte- und Kampfeswillen in der Wehrmacht zu stärken. Der „fanatische
Kämpfer“ war nun gefragt. Hitler selbst nahm sich der Sache an. Im Dezember 1943
befahl er die Einrichtung einer nationalsozialistischen Führungsorganisation in der
Wehrmacht, um wie es hieß, „die politisch-weltanschauliche Führung und Erziehung
in der Truppe in verstärktem Maße durchzuführen“. Daraufhin wurden in den
Oberkommandos von Wehrmacht, Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine eigene NSFührungsstäbe eingerichtet, denen Hunderte von hauptamtlichen und Tausende von
nebenamtlichen nationalsozialistischen Führungsoffizieren in der Truppe
nachgeordnet wurden. Die Auswahl und Tätigkeit der NSFOs geschah in enger
Abstimmung mit der Parteikanzlei der NSDAP. Eine Schlüsselfunktion in diesem
neuen System der ideologischen Durchdringung der Wehrmacht kam den Chefs der
NS-Führungsstäbe zu. Chef des Führungsstabes der Luftwaffe wurde im Januar
1945 Generalmajor Karl Schumacher. Bereits am 7. Februar erließ er eine neue
„Dienstanweisung für den nationalsozialistischen Führungsoffizier der Luftwaffe“. Für
ihn kam demnach als Führungsoffizier nur in Frage, wer:
1.) „bedingungsloser, weltanschaulich vollbewährter Nationalsozialist“, und
2.) „vollbewährter Frontsoldat mit mindestens einer Tapferkeitsauszeichnung
dieses Krieges“ war.
Man darf annehmen, dass Schumacher überzeugt war, diese Kriterien selbst zu
erfüllen. Die Partei war auf jeden Fall mit ihm einverstanden, denn Hermann Göring
selbst entschied sich für ihn, und damit nicht nur der Oberbefehlshaber der Luftwaffe,
sondern Hitlers designierter Nachfolger, also der zweite Mann in Staat und Partei.
Allerdings entsprach das neue Amt nicht unbedingt dem Wunsch Schumachers. Aus
den Akten ist bekannt, dass er Ende 1944 von der Luftwaffe in die Waffen-SS
9
übertreten wollte. Nach eigener Aussage fand er in der Luftwaffe keine Befriedigung
mehr und glaubte durch seine „aktive Veranlagung für den Krieg“ in der Waffen-SS
mehr leisten zu können. Er wurde deshalb beim Reichsführer-SS Heinrich Himmler
persönlich vorstellig und erhielt von diesem auch eine entsprechende Zusage. Doch
musste sich Schumacher schließlich Göring fügen, der ihn nicht aus der Luftwaffe
entließ, sondern als Chef seines NS-Führungsstabes verpflichtete. Dieses Amt
versah Schumacher bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945, als er in US-amerikanische
Kriegsgefangenschaft geriet, ohne dass sich über seine Tätigkeit Nennenswertes
erhalten hat.
Ich fasse kurz zusammen: In Karl Schumacher begegnet uns ein Offizier der
Wehrmacht, wie ihn sich die Nationalsozialisten wünschten. Einerseits ein tapferer,
im Kampf bewährter Frontsoldat, zum anderen ein Parteisoldat der frühen Stunde,
der aber auch in später Stunde nicht am Endsieg zweifelte und bis zuletzt
entsprechenden Einsatzwillen zeigte. Nur so lassen sich seine beiden letzten
Verwendungen in der Wehrmacht erklären. Auch die Episode mit der Waffen-SS
spricht für sich. Offen muss bleiben, wie umfassend Schumacher der NS-Ideologie
verfallen war, denn von ihm sind keine expliziten Äußerungen diesbezüglich
überliefert.
Etwas anders stellt sich die Sachlage bei Hermann Edert dar: Auch er ein in
Organisationsfragen und Kampfeinsatz erprobter Luftwaffen-Offizier. Dagegen zeigt
seine Biografie keine besondere Nähe zum Nationalsozialismus. Mitglied der NSDAP
oder einer Parteigliederung war er jedenfalls nicht. Auch bekleidete er in der
Wehrmacht keine Funktion, die eine solche Nähe vermuten ließ. Vermuten lässt sich
dagegen, dass er das Regime nicht völlig abgelehnt hat. Seine Mitgliedschaft in der
„Putschbrigade“ Ehrhardt legt es nahe, ihn politisch eher dem rechtsextremen
Spektrum zuzuordnen. Doch war er damals ein sehr junger Mann. Später ist er
politisch nicht mehr in Erscheinung getreten, was seine politische Einordnung dann
doch schwer macht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es war nicht meine Aufgabe, über Hermann Edert und Karl Schumacher zu richten.
Vielmehr sollte und wollte ich Ihnen die historischen Fakten, soweit sie zu ermitteln
waren, in ihrem historischen Zusammenhang präsentieren. Ich kann nur hoffen, dass
mir das gelungen ist und dass ich Ihnen damit eine bessere Grundlage für Ihre
10
persönliche Meinungsbildung und damit letztlich auch für Ihre Entscheidung in der
Frage der Straßennamen gegeben habe. Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Verwendete Literatur:
1. Archivalien
•
Bundesarchiv Abt. Militärarchiv (Freiburg i.Br.), Bestände:
PERS 6/142520 („Personalakte Hermann Edert“)
PERS 6/1920 („Anlageheft zum Personalnachweis Schumacher“)
RL 2 III
RW 59/2147
RW 59/2188
•
Bundesarchiv Abt. R (Berlin-Lichterfelde), Bestände:
NS 6/372
NS 6/490
NS 23/1408
Sammlung BDC
•
Militärhistorisches Archiv der Tschechischen Republik (Prag),
Bestand Reichskriegsgericht
2. Veröffentlichte Literatur:
•
Glienke, Stephan A.: Die NS-Vergangenheit späterer niedersächsischer
Landtagsabgeordneter. Abschlussbericht zu einem Projekt der Historischen
Kommission für Niedersachsen und Bremen im Auftrag des Niedersächsischen
Landtages, Hannover 2012.
•
Hildebrand, Karl Friedrich: Die Generale der deutschen Luftwaffe 1935-1945. Teil
II, Band 3, Osnabrück 1992.
•
Krüger, Gabriele: Die Brigade Ehrhardt, Hamburg 1971 (Hamburger Beiträge zur
Zeitgeschichte Bd. VII).
11
•
Prien, Jochen/Rodeike, Peter: Einsatz in der Reichsverteidigung von 1939 bis
1945. Jagdgeschwader 1 und 11. Teil 1. 1939-1943, Eutin o.D.
•
Prien, Jochen/Stemmer, Gerhard/Rodeike, Peter/Bock, Winfried: Die
Jagdfliegerverbände der Deutschen Luftwaffe 1934 bis 1945. Teil 2. Der
„Sitzkrieg“ 1.9.1939 bis 9.5.1940, Eutin o.D.
•
Schumacher, Carl: Der 18. Dezember 1939. Der deutsche Luftsieg über die Royal
Air Force in der Deutschen Bucht, in: Jägerblatt Nr. 6-XII Juni 1963, S. 6-14.
•
Viebig, Michael: Der Bestand „Reichskriegsgericht“ im Militärhistorischen Archiv
der Tschechischen Republik in Prag – ein bedeutender Aktenbestand für die
Forschung zur nationalsozialistischen Justiz, in: Claudia Bade/Lars
Skowronski/Michael Viebig (Hg.): NS-Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg.
Disziplinierungs- und Repressionsinstrument in europäischer Dimension,
Göttingen 2015.
•
Zapf, Jürgen: Fliegerhorst Upjever. Luftwaffenstandort in Friesland 1936-2004,
Zweibrücken 2004.
•
Zoepf, Arne W. G.: Wehrmacht zwischen Tradition und Ideologie. Der NSFührungsoffizier im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a.M. u.a. 1988.
Herunterladen