R u d o l f ,; S t e p h a n NEUE MUSIK Versuch einer kritischen Einführung 2., durdigesehene Auflage M it einem Nachwort V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T IN G E N LC-3 AMGELS3, CAU.F0RN1A R md e I f S t ep b a n •wurde 1925 in Bochum■geboren , rnttchs jedoch in H eid el­ berg a u f, ■ w o er neben v ielfä ltig er m usikalischer T ätig­ keit: 1.944 das Studium d er M usikwissenschaft begann, das er 1950 mit d er P rom otion in G öttin gen ahsebloß. Danach war er zeitweilig Stipendiat., zeitweilig lebte er als freier Mttsikschriftsteller, bis er 1963 an d er Uni­ versität G ottingen habilitiert wurde. Seit 1967 w irk t er als ord. P rofessor fü r Masik-wissenschaft an d er Freien U niversität Berlin, Seine Hauptarbeitsgebiete sind die M usik des M ittelalters und d ie N eue Musik, E r ist erster Vorsitzender des >e M usik und Musikerziehung {Darms ' ffentlichmgen er herausgibt, verantr <• - • '-xtisgeber der er des Neuen Schönberg-Gesamtausgazc ____ Handbuchs der Musikwissenschaft. N eueste Veröffentlichungen: Verzeichnis d er musikalischen W erke Arnold- Schönbergs (Wien. 1973, u n iversal E d itio n ): A rn old Schonberg (W ien 1974, E lisabeth L a fte ). K k in e V a n ä e n b o u k - R c ih 1Q49 © Vasidsnhoeck Bz. Ruprecht, V : -' / ■ ....1958. 'r r.r.::._ :i in G etm any, — A lle Hechte TOtbehaken, O hne an särüddicbe G enehm igung des Verlages ist es n ich t gestattet, das B u ch o d erT ciie darausauffbic-OGetakustoeaeciaanisehem "Wege r a T erv ieifaitigen ,— G esam thetstellung : Hubers: Bz Co..Gcttingcn, IS B N 3-525-33 135-5 I Immer wieder wird die Klage erhoben, „Neue Musik“ sei eigent­ lich unverständlich. Nicht nur bornierte Selbstgefälligkeit, die alles Fremde als im Grunde minderwertig von sieb weist, flüchtet sich hinter diese Aussage» sie ist auch Ausdruck ehrlicher Ver­ wunderung. Darum hat sie wohl eia Anrecht darauf, erklärt zu werden. Es ist vielleicht zweckmäßig, zuerst einmal Betrach­ tungen darüber anzustellen, warum dieses oder jenes Musik­ werk von anerkannt höchstem Rang, etwa Beethovens Sym­ phonie in c-Moll oder Mozarts Serenade „Eine kleine Nacht­ musik“, so wesentlich populärer ist als andere gleichrangige Kom­ positionen der gleichen Komponisten. Wenn man voraussetzt, daß zur großen Musik nicht nur schöne Melodien gehören, ja, daß diese nicht einmal unbedingt besonders wichtig sind, son­ dern daß vor allem formale Kriterien (im weitesten Sinne) wertkonstitutiv sind — diese Erkenntnis verdankt man vor allem August Halm — , so wird man einsehen müssen, daß ein Über­ blicken des Formverlaufs zur vollen Aufnahme von Musik un­ erläßlich ist. Damit ist nicht gesagt, daß man die Form unbedingt auf dem Weg über die Analyse erkennen muß — was freilich vielfach sehr nützlich ist — , man kann sie ebenso spontan er­ fahren. Allerdings bestätigt uns selbst ein so gebildeter Musiker wie Em st Krenek, daß sich ihm erst durch gründliches ana­ lytisches Studium gewisser Werke deren ästhetische Schönheiten ganz erschlossen hätten. Und wirklich vermittelt ja eine Analyse zunächst einmal die Bekanntschaft mit einem Werk, so daß man ihm. dann bei einer Aufführung als etwas Vertrautem begegnet. Im Grande ist es jedoch gleichgültig, auf welchem Wege man za einer Erkenntnis der Form kommt, durch Analyse, durch wiederholtes Hören oder „spontan“. (Unter Form sind hier natürlich nicht die Schemata der musikalischen Formenlehre ge­ meint, sondern die Gesamtheit der Beziehungen der einzelnen Teile zueinander.) D a ein großer Teil des Publikums spontan nur sehr wenig bewußt hört, da weiterhin brauchbare Analysen 3 nur den Fachleuten zur Hand smd3 endiiui die Fähigkeit, selbst sinnvoll zu analysieren wenig verbreitet ist, so bleibt nur das wiederholte Hören als gangbarer Weg zum Eindringen in musi­ kalische Werke. Dieses wiederholte Hören erschließt — voraus­ gesetzt, daß der Hörer nicht nur auf die Themen wartet, die der Konzertführer zitiert — das gesamte Stück: man gewinnt eine Übersicht. Weit -wichtiger als das Erkennen von Themen oder sonst hervorstechenden Teilen ist das Erkennen dessen, was den Zusammenhang und damit den Sinn stiftet. Die einzelnen Abschnitte, ja die einzelnen Takte, haben eine bestimmte Funk­ tion im Ganzen einer Komposition. Um sie beim Hören zu realisieren, ist es erforderlich, immer dieses Ganze zu überblicken und das jeweils Einzelne im Zusammenhang aufzunehmen. Das ist ohne besondere Schwierigkeit nur möglich bei Kompositionen, die eine etwas handgreifliche formale Gestaltung aufweisen: diese bringen es dann auch zu größerer Popularität, wie etwa gerade die fünfte Symphonie Beethovens, die leider durch allerlei Schlagworte und Titel wie „Schicksalssymphonie“ („So klopft das Schicksal an die Pforte . . „Kampf und Sieg“ und andere mehr etikettiert ist. Niemand wird behaupten wollen, daß diese Symphonie etwa der „Hammerklaviersonate“ ästhetisch über­ legen sei, aber sie macht ihr den Rang in der Gunst des Publi­ kums streitig, weil sie weniger kompliziert ist (ohne indes simpel zu sein). Wenn wir hier einmal davon absehen, daß vom Publikum auch solche Kompositionen dauernd gefordert werden, die überhaupt keine oder doch nur sehr wenig formale Qualitäten aufweisen —■ was ein anderes, hier weitabführendes Problem wäre — , so zeigt das Verlangen des Publikums nach Aufführung immer der­ selben Werke an sich ein richtiges Verhalten zur Kunstweit an. Dazu wußte schon der Verfasser der „Pseudo-Aristotelischen Probleme über Musik“ (2. Jahrhundert nach Christi Geburt) Treffliches zu bemerken. Carl Stumpf, der diese Texte erst richtig erschloß, berichtet: »Daß uns bekannte Melodien lieber sind als unbekannte, erklärt P ro­ blem 5 zunächst daraus, daß der Singende uns wie einer erscheint, der ein Zie! trifft, und daß wir das Treffen besser kontrollieren können, wenn wir das Gesungene kennen. Dies aber (das Treffen des Zieles) sei angenehm zu beobachten. (Unter dem Ziel ist hier wohl nicht nur die Tonhöhe, sondern der ganze Vortrag gemeint . . . ) Eine zweite E r­ klärung stützt sich darauf, daß es (das Wiederhören) angenehmer ist als das Lernen, weil dies ein Erlangen, jenes ein Gebrauchen (der Kenntnis) und ein Wiedererkennen ist. Ferner sei auch das Gewohnte angenehmer als das Ungewohnte.“ Stumpf lobt mit Recht die Sauberkeit der psychologischen Zer­ gliederung in diesem „Problem“. Was aber ist „das Gewohnte“ in der Musik? Hier müssen wir unterscheiden zwischen, der ein­ maligen formalen Beschaffenheit einer Komposition, die uns bekannt ist, und der allgemeineren Grundlage, auf der eine solche Komposition ruht. Die allgemeine Grundlage ist das Ton­ system, die Summe aller Tonbeziehungen, in gleicher Weise Vor­ aussetzung und Produkt der jeweiligen Komposition. Alle Musik vom 17. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert ist, yon den über­ geordneten Tonbeziehungen aus betrachtet, ziemlich eng mit­ einander verwandt; sie beruht auf einem sich allerdings ständig modifizierenden Tonsystem. Im Bereich seiner Gültigkeit sind wir aufgewachsen, in ihm sind wir gewohnt, uns musikalisch zu verständigen und Gehalte mehr oder weniger schnell zu reali­ sieren, genau so wie etwa in der neuhochdeutschen Sprache. Der Glaube, unser Tonsystem sei etwas Natürliches, und alle anderen Tonsysteme seien rudimentäre Vorformen, Entartungserschei­ nungen oder unbeträchtliche Nebendinge, ist längst als naiv und falsch erkannt. Ältere Tonsysteme verhalten sich zu dem uns geläufigen etwa wie das Althochdeutsche zum Neuhochdeutschen, fremde, exotische, wie fremde Sprachen zur deutschen. Wir ver­ stehen sie nicht spontan, sondern müssen sie erlernen, wenn wir willens sind, die Gehalte der auf ihnen basierenden Kompo­ sitionen in uns aufzunehmen. Spontan erfassen wir nicht einmal die akustische Realität: wir hören uns ungewohnte Intervalle m die gewohnten zurecht. So erscheint uns etwa ein javanisches Siendrostüdi, das auf der aus temperierten Oktavfünfteln (ge­ nauer |/2) bestehenden Fünftonleiter basiert, pentatonisch, das heißt als aus Ganztönen und kleinen Terzen gefügt, ein sia­ mesisches Stück, das die Töne der siebenstufig temperierten Skala (y*2) verwendet, diatonisch, wir hören also die jeweils gleich­ großen Intervalle, die kleiner als ein Ganzton aber größer als ein Halbton sind, tatsächlich als Ganz- und Halbtöne. Die frem­ den Tonstufen haben also für uns zunächst keine musikalische 5 Wirklichkeit; sie gewinnen sie erst, wenn wir das akustische Phänomen als solches richtig auffassen. Was ein Tonsystem eigentlich, ist, kann hier nicht auseinandergesetzt werden, aber es sollen wenigstens einige Grundeigensdiaften genannt werden. Von zentraler Bedeutung ist der Ton­ vorrat, also das, was man als Tonleiter schematisch zusammen­ stellen kann. Unser Tonvorrat sind die zwölf Halbtöne, heute die temperierten Oktavzwölftel (A|/2), Für die musikalische Komposition ebenso wichtig sind aber die (unterschiedlichen) Beziehungen, die zwischen den einzelnen Tönen bestehen, Es handelt sich, dabei um eine Hierarchie von Tonbeziehungen, wie sie uns im allgemeinen als Konsonanz-Dissonanz-Gegensatz, der im Verlauf der Musikgeschichte nicht konstant blieb, andeu­ tungsweise "bekannt ist. In unserem System, dem Dur-MollSystem, finden diese Tonverwandtschaften in Akkordverwandt­ schaften sichtbaren Ausdruck: daß ein Dominantseptimenakkord (in C-Dur: g— h— d—f) die Tendenz hat, sich in den Grunddreiklang (c— e— g) aufzulösen, gilt uns daher für ausgemacht. T at­ sächlich ist diese Auflösung nur in einem historisch näher zu be­ stimmenden Zeitraum unseres Tonsystems „logisch“. (Nach Hindemiths Lehre, die glauben machen will, ein Tonsystem sei ein Stück gottgeschaffene Natur, ist diese Auflösung bloße Will­ kür.) Alle Momente der musikalischen Artikulation, der Schlußbildung usw. haben ihre Funktion nur im Bereidi eines bestimm­ ten Entwicklungsstandes eines (unseres) Tonsystems, ln weichem Grade der musikalische Zusammenhang das einzelne Moment bestimmt, erweist die verschiedene Auffassung an sich eindeu­ tiger akustischer Sachverhalte. Die große Terz c— e, für uns reine Konsonanz, kann und muß in einem bestimmten Zusam­ menhang als verminderte Quart (c-—fes oder ins— e), also als scharfe Dissonanz aufgefaßt werden. Der Riemannsche Begriff der „Scheindissonanz“ ist ebenso wie der der „Auffassungskonsonanz“ Ausdruck dieser Mehrdeutig­ keit. Unsere Empfindungen sind also, wie bereits gesagt, an ganz bestimmte tonsprachliche Gegebenheiten gebunden. Ähn­ lich wie wir einem bestimmten Satz, der ein uns geläufiges Vokabular und eine uns bekannte Syntax verwendet, einen be­ stimmten. Sinn entnehmen, so lösen bestimmte ’ion&omBinationen, vorausgesetzt, daß wir uns im Bereich einer uns ge­ 6 läufigen Tonsprache befinden.; bestimmte Eindrücke aus. Diese Eindrücke sind von unserer musikalischen Erfahrung abhängig. Einem Araber, der nur seine einheimische Musik kennt, sagt eine Beethovensche Symphonie oder eine Badische Fuge über­ haupt nichts; sie ist für ihn Lärm, der nach bestimmten, ihm unbekannten Prinzipien organisiert sein mag: sie hat für ihn eine vielleicht absurde musikalische Wirklichkeit. Ein Tonsystem ist, wie schon angedeutet, nicht unveränderlich; es ist vielmehr einer andauernden Wandlung unterworfen. Das wußte schon Eduard Hanslick, als er 1854 in seinem Traktat „Vom Musikalisch-Schönen“ schrieb: „Es gibt keine K üsst, -welche so bald und so viele Formen verbraucht w ie die Musik. Modulationen, Kadenzen, Iatert-altforochreitungen, Harmoniefolgen nutzen sich in 50, ja 30 Jahren, dergestalt ab, daß der geistvolle Komponist sich deren nicht mehr bedienen kann und fort­ während zur Erfindung neuer, rein musikalischer Züge gedrängt wird. Man kann von einer Menge Kompositionen, die hoch Eber dem Alitags­ tand ihrer Zeit stehen, ohne Unrichtigkeit sagen, daß sie einmal schön waren“ (I.A . 1854, 41). „Aus diesem Prozeß ergibt sich, daß auch unser Tonsystem im Zeit­ verlauf neue Bereicherungen und Veränderungen erfahren wird. Doch sind innerhalb der gegenwärtigen Gesetze noch so vielfache Evolutionen möglich, daß eine Änderung im W esen des Systems sehr femiiegend erscheinen dürfte. Bestände z.B . die Bereicherung in der .Emanzi­ pation der Vierteltöne' . . . so würde Theorie, Kompositionslehre and Ästhetik der Musik eine total andere“ (1. c. 87 f.). Nim, das 20. Jahrhundert hat auch die Vierteltöne gebracht, und manche Komponisten verfügen sogar, vermöge elektronischer Tonerzeugung, über das absolute Kontinuum der Tonhöhen im ganzen Hörbereich. Fraglich erscheint allerdings noch, ob man damit überhaupt sinnvoll komponieren kann. Wenn man aber von der elektronischen Musik, der Viertel-, D rittel- und Sechstel tonmusik absieht — und das ist einstweilen noch gestattet — , so muß man feststellen, daß sidi das Tonsystem in unserem Jahrhundert zwar erheblich verändert hat — man denke nur an das Phänomen der sogenannten Atonalität — , daß wir uns aber prinzipiell noch immer im gleichen Tonsystem befinden, denn es wird noch immer mit dem gleichen Tonvorrat gearbei­ tet. Audi die Tonbeziehungen haben sich nicht grundsätzlich verändert. Was sieb verändert hat, ist vor allem, die Einstellung der Komponisten zu den Tonbeziehungen. Sie geben sich nicht mehr der gestuften Vielfalt der Beziehungen, hin, sondern bevor­ zugen die entfernteren Verwandschaften. Um 1910 war der chromatische Tonvorrat längst vollständig erschlossen, aber das, was man damals als eine neu errungene Freiheit ansah, war tat­ sächlich die Freiheit vom Zwang der Tonbeziehungshierarchie, die Freiheit von eingeschliffenen Formeln. Die Tonbeziehungen wurden nicht geleugnet, auch nicht die unterschiedlichen Bezie­ hungen egalisiert — das ist unmöglich — , sondern lediglich die Bevorzugung der einfachen Beziehungen aufgegeben. Die früher vorherrschende Quintbeziehung trat nun zurück oder wurde mindestens verschleiert. Aus welchen Gründen dies geschah, ist bekannt und durch, das Hanslids-Zitat angedeutet. Um aber jeder Komposition einen gewissen H alt zu geben, führte Arnold Schönberg in den Zwanzigerjahren die Methode der „Kompo­ sition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ ein, welche die Tonbeziehungen komplizierter und komplexer musikalischer Gebilde einigermaßen regelt (bei einfachen ist sie sinnlos). Mag dies Verfahren aus einer Verabsolutierung der motivi­ schen Arbeit erwachsen sein, die ihrerseits wieder die Verände­ rungen innerhalb des Tonsystems reflektierte, so ist doch seine Funktion innerhalb einer Komposition kein einfacher Tonali­ tätsersatz, auch, kein Ersatz für die motivische Arbeit, sondern ausschließlich Regulierung der Tonbeziehungen. Daher ist auch verständlich, daß jederzeit Umkehrungen und Transpositionen der „Reihe“, der Grundlage aller Zwölftonkomposition, mög­ lich sind, daß sie sowohl melodisch wie auch harmonisch in E r­ scheinung treten kann und Tonwiederholungen prinzipiell ge­ stattet sind. "Wenn nun — wie wir eingangs sahen — selbst Musik mit recht handgreiflichen formalen und motivischen Beziehungen bei ge­ wohnten tonsprachlichen Verhältnissen nur dann einigermaßen aufgefaßt werden kann, wenn sie formal nicht allzu .kompliziert und wenn sie häufiger zu hören ist, um wieviel schwieriger hat es der Hörer erst mit einer Musik, die auf anderen als den gewohn­ ten tonsprachlichen Beziehungen beruht, in formaler Hinsicht dazu viel komplizierter ist und überdies relativ selten aufgeführt wird! Nicht einmal die Hauptwerke Arnold Schdnbergs sind mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Konzertsaal zu hören, und nur wenige sind in Deutschland auf Grammophonplatten verfügbar. Es bietet sich also dem Hörer kaum etwas, woran er sich haken könnte. Wie soll er unter solchen Umständen die not­ wendige Beziehung zwischen jedem kompositorischen Detail und der ohnehin nicht mehr den Schemata der Formenlehre fol­ genden Gesamtform auffassen können? Wenn nun ein Musik­ freund versucht, sich in eine ihm fremde musikalische Welt einzu­ leben, sei es nun alte, neue oder eine gewisse exotische Musik, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich studierend und hörend mit ihr zu befassen. „Gefällt sie ihm nicht, erscheint sie ihm zu fremd, so ist dies kein Unglück, oder wenigstens ist es nicht un­ natürlich, und daraus kann ein Tadel weder für den Hörer noch für die Musik abgeleitet werden. Es ist sogar besser, man gebe die Tatsache offen zu, als daß man sich in Illusionen hineinstei­ gere oder snobistisch zu verstehen meine, wozu einem der Zu­ gang verschlossen ist“ (Jacques Handschin). Bis zum eigentlichen Verstehen können, wie Handschin weiter ausführt, Jahre er­ forderlich sein, „doch zum Trost diene uns, daß wir ja keines­ wegs verpflichtet sind, dies alles in uns aufzunehmen“. * % * „Nach und nach müssen wir uns in diese vergangene, reiche Welt ein­ leben, um sie immer besser zu verstehen. Vorerst kapieren wir sie höchstens . . . Wir bewundern die Schönheiten des Satzes, . . . aber wir können unser modernes Stufenbewußtsein, unser harmonisches Funk­ tionsgefühl nicht in der Garderobe abgeben, und das müßten wir eigentlich, um diese Musik naiv zu hören und wirklich als Kunst aufzunehmen. Also hören wir sie leider mit unvermeidlicher Befangenheit. Daß man als Musiker keine nur aufnehmende Natur, kein wahlloser Allesfresser ist, keine glatte Tafel, in die jedes historische Seminar seine Eindrücke ritzen kann, sondern ein von einem bestimmten Kultur­ erbe lebender . . . und von ihm umgrenzter Mensch ist, gerade das ist’s, was einen hindert, sich von dem historisch Fernen mit der Leichtigkeit ergreifen zu lassen, die der große Vorteil der minder Musikalischen ist. Der nur halb oder dreiviertel Musikalische hat’s gut. Er merkt kaum, was vorgeht. Er hört ohne Kontrolle, ohne Erstaunen, ohne Widerstände. Um so übler ist der Musiker dran. Daß man beispiels­ weise ein Stück beenden kann, indem man vom Leitton zum Grund­ ton übergeht, aber diesen Grundton von der unteren Quint stützen 9 läßt and damit eigentlich in der Subdominante schließt, das begreift er theoretisch sehr gut, aber nicht gefühlsmäßig. Er ,kapiert* den Schluß, aber er versteht ihn nicht.“ Dies schrieb der überaus musikalische, aber sehr konservative Alexander Herrsche (Trösterin Musika, 2. Aufl. 1949, 9 f.) über die Musik des 14. Jahrhunderts, genauer über die des großen Gtullaume de Macfaaut. Gehen wir noch, weiter zurück, bis zur Musik der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, so bemerken wir za unserer Verwunderung, daß die Terz — in der neueren Musik Inbegriff des Wohlklangs — meist aufgelöst wird und zwar in der Regel in den. Einklang. Die Terz wurde als Disso­ nanz behandelt und in dieser Hinsidit durchaus der Sekund gleichgesetzt; ja, man hat den Eindruck, daß im dreistimmigen Satz ein „Dreiklang“ als schärfere Dissonanz empfunden w urde als der Quart-Quintklang. Wenn wir ein Stück dieser Zeit hören, fassen wir natürlich dennoch den Dreiklang als das uns nädistliegende, vertrauteste Gebilde, als Konsonanz, auf, hören also auch hier befangen. Nur durch eine Verbindung unseres Wissens von der Funktion des Klanges und dem akustischen Eindruck können wir uns von unseren Hörgewohniieiten distan­ zieren. Wenden wir uns gar einer exotischen Musik zu, so sind die Schwierigkeiten noch erheblich größer, wenn auch nicht prin­ zipiell anders. Der sogenannten „Neuen Musik“ gegenüber liegen die Verhält­ nisse ähnlich. Das Paradoxe freilich ist, daß sie uns als zeitlich Nächstliegendes so fremd ist. Aber dies ist wohl nur eine Folge der Tatsache, daß man seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in immer steigendem Maße auch die Musik der Vergangenheit weiterpflegt und sie nicht einfach vergißt oder als altmodisch und überwunden erklärt. Man ist sogar in zeitlich immer entfern­ tere Bereiche vorgedrungen und hat das Bedürfnis nach Neuem durch das unbekannte Alte befriedigt. Die Schwierigkeit bei der Neuen Musik beruht nun zum großen Teil auch noch darauf, daß die W erke der verschiedenen Komponisten verschieden ge­ hört werden wollen, die Eigenarten der Komponisten dem Publikum aber natürlich nicht genügend vertraut sind. W enn schon die Namen Bach, Beethoven, Schumann, Liszt beim Hörer sofort eine bestimmte Einstellung bewirken, so sind ihm Stra10 winsky, Hindemith, Bartdk, Schönberg, um nur Beispiele zu nennen, meist eben nur in Bausch und Bogen „Neue Musik“. Wenn wir nun die klangliche Eigenart verschiedener Kompo­ nisten neuer Musik etwas eingehender charakterisieren, werden wir zugleich verschiedene typische Möglichkeiten kennenleraea, die für die Neue Musik von Bedeutung sind. Strawinsky zum Beispiel, der heute zu den beliebtesten neueren Komponisten zählt, sucht vor allem das Publikum zu über­ raschen. Das relativ traditionelle Äußere seiner Musik weckt Erwartungen, die dann nicht eingelöst werden. Kantilenen läßt er vielfach nicht von den Violinen oder Klarinetten, sondern von Posaunen, Fagotten, Trompeten oder Piccoloflöten vor­ tragen, dauernd wird der „natürliche“ Fluß der rhythmischen Entwicklung abgebrochen und durch Einschübe mit anderer ZäUzeit gestört, häufig erscheint die klangliche Einkleidung nur als Mittel zur Hervorhebung bestimmter Rhythmen, ohne daß eigentlich eine harmonische Entwicklung stattfände — sie würde ja auch vom Eigentlichen, dem Rhythmus, ablenken — , später, namentlich seit der „Geschichte vom Soldaten“, spielt Stra­ winsky mit bestimmten Formeln älterer Musik. Diese Formeln werden aber in einen neuartigen Zusammenhang gestellt. U r­ sprünglich waren sie Ausgangspunkt einer musikalischen Ent­ wicklung (etwa im alten Concerto grosso), bei Strawinsky werden sie aneinandermontiert, ohne daß eine Entfaltung zu­ stande käme. Dieses spielerische Moment sichert den Werken Strawinskys bei einem aufgeschlossenen Publikum immer einen gewissen Erfolg, selbst dann, wenn nicht nur Formeln der älte­ ren Musik, sondern auch reguläre Themen übernommen werden. Es ist dabei prinzipiell gleichgültig, ob sie von Pergolesi, Tsdiaikowsky oder Rossini ausgeborgt wurden. Das HarmonischLogische, auf das gerade im 19. Jahrhundert so viel Kraft ver­ v/endet wurde, spielt, wie schon angedeutet, für Strawinsky eine untergeordnete Rolle. Zwar ist er in seinen Werken seit dem Bläseroktett (1924) ziemlich zahm geworden, aber auch in diesen Werken herrschen andere als die traditionellen Tonbe­ ziehungen. Der letzte Satz des konzertanten Duos für Geige und Klavier, „Dithyrambus“, schließt mit einem regulären Dominantseptakkord. D er Klang e— gis— a, der eigentlich nach A-Dur oder a-moll aufgelöst werden müßte, wird in einen il Klang übergeleitet, der zwar die Töne des a-Moll-Dreiklangs enthält, aber die Terz C als Grundton aufweist. Ein noch nachklingendes g wird seinerseits wieder mit der Terz versehen, und so erscheint der Klang ,C— C — c’—g’— a’—r i— e” . Das a’ wird über h’ zu c55 geführt, die Terz g’— h’ zu b’— c”, und, damit das g nicht verlorengeht, wird es dem Baß in Oktavver­ setzung zugefügt: so entsteht der Dominantseptakkord von F~ Dur (oder -Moll), also der Klang c— e—g—-b als Schlußakkord! Die Auflösung nach F-Dur (oder f-Moll) soll möglicherweise nicht mitgehört werden, doch ist das leichter gesagt als getan. Vielleicht ist es aber gerade der Schwebezustand, den der nicht aufgelöste, aber auflösungbedürftige Akkord bewirkt, der vom Komponisten als Effekt gewünscht wird. Dies Beispiel kann zeigen, wie bei Strawinsky zunächst das Unerwartete eintritt und dann das Erwartete ausbleibt. Und doch ist dies alles an­ dere als bloße Willkür. Warum soll man aus dem Bereich des E nicht in den des C hinüberwechseln? Wenn man sich einmal eingehört hat, ist diese Fortsdireitung auch musikalisch durchaus einleuchtend (sie entspricht zudem der schon von Handschin festgestellten Tendenz Strawinsky s, die Terzbeziehung der Quintbeziehung (iberzuordnen). Gerade an solchen Kleinigkeiten zeigen sich die eigentlichen Schwierigkeiten beim Hören Neuer Musik. Aber es sind in der Tat noch Kleinigkeiten, gemessen an dem, was andere Komponisten (und auch Strawinsky an ande­ ren Stellen) bieten. II Wenn wir versuchen, die Beziehungen einzelner Komponisten zum Tonmaterial zu betrachten, so ist es vielleicht zweckmäßig, unsere Aufmerksamkeit zunächst einigen Werken zu widmen, bei deren Konzeption und Komposition sich die Autoren selbst Beschränkungen auferlegten. Wir wählen zuerst Werke von Igor Strawinsky und Paul Hindemith aus, die eine strenge Begren­ zung des Tonraumes (und also auch des Tonvorrats) erkennen lassen; dann ist leicht zu sehen, wo der einzelne Komponist den selbstgesteckten Rahmen zu sprengen trachtet, schließlich sogar zu erkennen, warum dies geschieht. Die Stücke, mit denen wir es zunächst zu tun haben, sind zwar klein, bieten dafür 12 aber große Vorteile: sie sind leicht zu spielen, bequem zu über­ schauen und dodi mit künstlerischer Ambition verfaßt; und schließlich das Wichtigste: wir können jeden Ton genau über­ prüfen und uns so vergewissern, was wir eigentlich hören. Mit den bei der Betrachtung dieser kleinen Stücke gewonnenen Ein­ sichten wollen wir dann versuchen, auch größere musikalische Zusammenhänge zu verstehen. Gegen Ende des dritten Kapitels der „Musikalischen Poetik“ schreibt Strawinsky: „ . . . Ich brauche nur eine theoretische Freiheit. Man gebe mir etwas Begrenztes, Bestimmtes, eine Materie, die meiner Arbeit insofern dienen kann, als sie im Rahmen meiner Möglichkeiten liegt. Sie bietet sich mir mit ihren Grenzen dar. Es ist an mir, ihr nur die meinigen auf­ zuerlegen . . . Meine Freiheit besteht also darin, midi in jenem engen Rahmen zu bewegen, den ich mir selbst für jedes meiner Vorhaben ge­ zogen habe. Ich gehe noch w eiter: meine Freiheit wird um so größer und um­ fassender sein, je enger ich mein Aktionsfeld abstedce und je mehr Hindernisse ich ringsum aufrichte. Wer mich eines Widerstandes be­ raubt, beraubt mich meiner Kraft, je mehr Zwang man sich auferlegt, um so mehr befreit man sich von den Ketten, die den Geist fesseln“ (Schriften 202 f.). Da Strawinsky kaum jemals sich strengeren Bindungen unter­ warf als in seinen kleinen Klavierstücken „Die fünf Finger“, wollen wir diese zunächst betrachten. In seinen „Erinnerungen“ erzählt der Komponist: „In Garches, wo ich den Winter 1920/21 verbrachte, . . . schrieb ich eine Sammlung kleiner Kompositionen für Kinder, die ich unter dem Titel ,Die fünf Finger“ veröffentlicht habe. Es sind acht sehr einfache Melodien, die so gesetzt sind, daß die Finger der rechten Hand, wenn sie erst richtig auf den Tasten liegen, während einer Periode oder auch während des ganzen Stücks ihre Lage nicht mehr zu verändern brauchen, während die linke Hand, die die Melodie begleitet, ganz leichte harmonische und kontrapunktische Figuren auszuführen hat. Diese kleine Arbeit machte mir viel Spaß. Sie soll mit ganz einfachen Mitteln im Kinde das Vergnügen wecken an einer Melodie und an der Art, wie sie auf eine rudimentäre Begleitung bezogen ist“ (Schrif­ ten 90). Der genaue Titel der Sammlung lautet: „Les cinq doigts; Huit piices trcb faciles sur cinq notes pour piano (1921).“ Inhaltlich sind es Genrestücke; ein Marsch (2), ein Siziiiano (4), eine T a­ rantella (7) und ein Tango (8); die anderen bringen teilweise volkstümliche Themen, z.B . das „rassische“ Lento (6) oder das Andaatino (1). Schließlich darf man auch hervorheben, daß die kleine Sammlung die Nachbarschaft der anderen W erke jener Zeit nicht verleugnet, die zu den vierhändigen Klavier­ stücken, die später instrumentiert als Orchestersuiten bekannt wurden, zu „Pulcinella“ und, vor allem zur „Geschichte vom Soldaten“. Wie ungezwungen sich. Strawinsky auf so eng umgrenztem Feld bewegt, ist erstaunlich, selbst wenn man sich daran erinnert, daß diese Fähigkeit charakteristisch für die Petersburger Schule war. im ersten Stück, Andantino, einem nach der üblichen Formen­ lehre kleinen, dreiteiligen Lied (A—B—A), kommt Strawinsky mit dem diatonischen Tonvorrat von c— g aus, also in jeder Hand mit je fünf Tönen. Das ist merkwürdig genug, und wir stellen es als wesentlich fest: In der ganzen Komposition gibt es keine einzige Alteration. Dennoch, ist man keinen Augen­ blick im Zweifel, daß es sich um ein Werk aus unserem Jah r­ hundert handelt: B e i s p ie l 1. ig or Strawinsky: .Les cinq doigts (Die fünf Finger), Nr. 1, Andantino, Takt 1— 11 Das Stück, dessen ersten Teil wir mitteilen, steht in C-Dur, aber die Begleitung bringt dies nicht ungetrübt zum. Ausdruck. Viel­ mehr geht die Tendenz des 14 der traditionellen Harmonik den Klang interessanter zu ge­ stalten. Die Trübung wird dadurch erreicht, daß sowohl den „natürlichen“ Dreiklangstönen Hebentöne im Sekundabstand zugesellt werden — etwa im zweiten Takt das g’ — , als auch, daß mit den Bruchstücken des Dreiklangs einer unerwarteten Tonstufe — etwa im dritten Takt mit der zweiten (d-MolI) statt der fünften (G-Dur) — begleitet wird und daß dieser Klang dann ebenfalls noch getrübt — im dritten Takt durch e’ — erscheint. Besonders charakteristisch ist ferner, daß Bin­ nenschlüsse mit Akkordbestandteilen begleitet werden, die der Melodie nicht zugehören. Dem d” des fünften Taktes etwa ge­ hört als richtiger Akkord die fünfte Stufe von C-Dur als Harmonisation zu, aber Strawinsky begleitet mit den Tönen der vierten, funktionsharmonisch gesprochen: es wird ein eindeutig dem Dominantbereidh. zugehöriger Ton der Melodie mit der Subdominante vermischt1. Betrachten wir die Melodik. Das ganze Sätzchen umfaßt elf Takte. Es zerfällt in zwei Teile (T. 1— 5, 6— 11), die durch'ein Zäsurzeichen von einander abgetrennt sind. Was zunächst ein­ mal auffällt, ist neben der Ungleichheit der Teile der Taktwech­ sel, genauer, der in den 2/i-Takt eingeschobene s/*-Takt. Redu­ zieren wir die Melodie auf die sie konstituierenden Motive, wie sie durch die Bögen angezeigt werden, so bemerken wir auch hier eine unterschiedliche Größe, einen Wechsel von Drei-, Vierund Zweivierteigruppen. Durch diesen Wechsel bekommt die Melodik etwas Preziöses; sie scheint am freien Ausschwingen gehindert durch, vorzeitige Unterbrechung des Bewegungsimpul­ ses. Audi das ist eine Folge der dem ganzen Sätzchen zugrunde liegenden Konstruktion. Auf ähnliche Weise wie Strawinsky im Harmonischen das „natürlich.“ Erscheinende verschmäht, weicht er ihm. auch im rhythmisch-metrischen Autbau einer Periode aus. Es ist nicht schwer, sich das gewöhnliche Modell des ganzen Abschnitts zu rekonstruieren; dabei ist es ganz gleichgültig, ob Strawinsky bei der Komposition von ihm aus­ ging oder nicht. Die beiden Dreiviertelgruppen legen von allem Anfang an nahe, daß wir es eigentlich mit einem Stück im Drei­ vierteltakt zu tun haben. Versucht man eine Rekonstruktion des (imaginären) Modells, so ergibt sich eine übersichtliche Achttaktperiode. Vor dem letzten Takt dieses Abschnitts ist indes­ 15 sen noch ein Zusatztakt eingeschoben, der gew iß Kompositionsmodell angehörte, dennoch aber leicht zu erkennen ist und beliebig entfernt werden könnte dings die Veränderung einer Note — c” in d” — gehenden Takt zur Folge hätte): schon dem als Zusatz (was aller­ Im voran­ ft B e i s p i e l 2. Nun wird klar, worin die kompositorische Leistung bei diesem Stück eigentlich besteht. Gerade weil wir das hier rekonstru­ ierte Modell eigentlich als das „Natürliche“, oder sagen wir bes­ ser als das Naheliegende (aber sehr Banale) erkennen, werden wir die Differenzen in jedem einzelnen Punkt als Reiz empfin­ den2. Die Melodik wurde bei der Ausarbeitung des Modells zur Komposition am wenigsten tangiert — es fielen nur zwei Töne aus — , das metrische Schema dagegen umgeworfen, die H ar­ monik durch Stufenmischung gewürzt, aber beides nur soweit, daß wir ein (bescheidenes) ästhetisches Vergnügen darüber emp­ finden, um das eigentlich Erwartete geprellt worden zu sein. Die beiden folgenden, ebenfalls ln C-Dur stehenden Stücke er­ weitern geringfügig den Tonraum, das Allegretto (3) im un­ teren System um einen Ton (h— g’), das Allegro (2), ein kleiner Marsch, um zwei Töne (a— g’); beide zeigen aber noch immer keine Alteratlonszeidien. Die anderen Stücke vergrößern den Tonumfang noch mehr: das Moderato (5), das Lento (6) und das Pesante (8), ein Tango, fordern in der rechten Hand Lagen­ wechsel, so daß ein erheblich größerer Tonvorrat verfügbar wird. Allerdings zeigt sich hier dann auch eine Neigung zu grö­ ßerer harmonischer Variabilität. Das Lento (6) mit seiner konse­ quenten Mischung von D-D ur und d-Moll, dieses ln der linken, jenes in der rechten Hand*, und der Tango mit seiner Vorliebe für verminderte Dreiklänge, w J-L-v'l ib-dli-i.io-//.I- 1Äb.0 w!VrJ. XiJ.S”0 men der Sammlung dar, ja gelegentlich scheint sich Strawinsky sogar, wenn auch nur vorübergehend, der Bitonalität zu nähern. Versuchen wir vorläufig zusammenzufassen: Obwohl Stra­ winsky programmatisch nur „über fünf Noten“ schreiben will, drängt er danach, den Quintumfang zu erweitern. Durch seine metrischen Manipulationen, zu denen auch noch die Verschie­ bung einer Spielfigur gezählt werden muß (besonders im Alle­ gro Nr. 2), so daß in einem System von betonten und halb­ betonten leichten Werten (Akzenten) das Motiv eine wech­ selnde Lage einnimmt, aber auch durch seine harmonischen Ver­ anstaltungen, wird die natürliche Entfaltung behindert, ja un­ möglich gemacht. Dadurch entsteht das, was man allgemein als „statisch“ empfindet und bezeichnet, ganz im Gegensatz zu der sich dynamisch entfaltenden Musik des vergangenen Jah r­ hunderts. Diese Verfahren geben dem Komponisten die Mög­ lichkeit, leicht überschaubare Formen zu schaffen, die, mögen sie auch noch so primitiv sein, solcher Tonsprache durchaus an­ gemessen sind. Wer die ganze Sammlung durchmustert, wird aber noch einen anderen Eindruck gewinnen: die Formelhaftigkeit des motivischen Materials. Diese Formelhaftigkeit hat durchaus ihren ästhetischen Reiz: sie ist ein Spiel mit bekanntenModelien. Wenn Strawinsky einen Tango oder einen Marsch schreibt — er tat dies mehr­ fach — , so schafft er keine neuen Ausdruckscharaktere, die die alten hinter sich lassen, sondern er zeigt, nicht ohne Ironie, die gängigen in ihrer ganzen Einfalt; er treibt, indem er sie zer­ beult, rhythmisch verschiebt, „falsch“ harmonisiert, mit ihnen ein mutwilliges Spiel und macht dadurch darauf aufmerksam, daß sie eigentlich schon obsolet sind. Dieser Tendenz verdanken seine besten Werke, etwa die „Geschichte vom Soldaten“, deren bedeutendes Libretto, von C. F. Ramuz, ebenfalls eine Montage von altbekannten Märchenmotiven ist, ihre unvergleichliche Gewalt. Während Strawinsky versucht, durch Denaturierung von Rhyth­ mik, Harmonik und Melodik etwas Neues zu schaffen — wo­ bei allerdings nicht übersehen werden darf, daß gerade in die­ ser Negation des Gewöhnlichen sich eine innige Beziehung zu 17 Ihm bekundet — , strebt Hindemith danach. Bewährtes in neuer Zusammenstellung zu zeigen, Hindemiths „Kleine Klaviermusik“ (1929), der ■wir uns jetzt zuwenden, besteht aus einer Folge von zwölf „leichten Fünfton­ stücken“, die aber mit denen Strawinskys kaum etwas gemein­ sam haben. Die ,kleine Klaviermusik' ist ziemlich systematisch aufgebaut: Die Tonartordnung erinnert: an Bachs Wohltempe­ riertes Klavier, mit dem aber die einzelnen. Stücke weit weniger zu schaffen haben als etwa die „Reihe kleiner Stücke“ op. 37,2 (1 9 2 7 ) und „Ludus tonalis“ (1943)4. Bei einigen der Hindemithschen Fünftonstücke fällt die Tatsache auf, daß sie in einer anderen Tonart beginnen als schließen (Nr, 2; Dis— CIs; 4; B— Es; 10: A —E etc.), ein bemerkenswerter Sachverhalt, der auch schon einige Sätze der „Reihe kleiner Stücke“ kennzeichnete (N r.5: G—-H; 10: D — A), aber erst später, In den grundsätz­ lich modulierten Interludien des „Ludus tonalis“ durch die Ge­ samtanlage des Zyklus gerechtfertigt wurde. Hlndemith schrieb also wie Strawinsky Fünftonstücke, aber er meint damit nicht die TonzahL sondern die Distanz: Fünf tonstück heißt für ihn nichts anderes als Stück Im Quintumfang, ja, gleich im ersten Stück geht er sogar so weit, den umfang der übermäßigen Quint zu beanspruchen. W ir betrachten auch Her das erste Stück und teilen die erste Hälfte mit. M äßig schnell B e i s p i e l 3. Faul Hlndemith: Kleine K lavierm usik, N r. 1, M äßig schnell, T ak t 1— 7 18 Salon in den beiden ersten Takten hat Hindemith in der Ober­ stimme den gesamten chromatischen Tonvorrat Im Bereich der Quinte c”— g” erschlossen, ohne jedoch • — und darauf ist beson­ ders zu achten — in Chromatik zu verfallen. Gleich zu Beginn erscheint hier die bewußte Dur-MoUmischung, während Im zweiten Takt die Folge des”— ges” — eine sonst wenig ge­ bräuchliche, dem (lokrlsdien) h-Modus zugehörige Wendung — als Trübung der Tonalität aufgefaßt werden kann, die Ihre Funktion darin hat, die im fünften Takt beginnende Ober­ leitung nach dem tonalen Zentrum Ces vorzubereiten. Im vier­ ten Takt gehört die Wendung g” — des”— c” zum phrygischen Geschlecht (e-Modus) und die Begleitfigur (g’— fis’—g5) zum lydisdien (f-Modus). Es ist besonders darauf z« achten, daß in dieser Passage nicht nur die einzelnen Töne der verschiedenen diatonischen Modi in Erscheinung treten (phrygische Sekund: des; lydische Quart: fis; lokrisdie Quint: ges, neben Dur- und M oli-Terz), sondern daß alle Intervallschritte modal erklärbar sind. In den wenigen Takten unseres Beispiels erscheinen dabei alle möglichen Modi innerhalb des Quintraums. Dorisch und Mixolydisch (d- und g-Modus) können nicht erscheinen, da sie sich innerhalb des Quintraums nicht darstellen lassen, weil sich das Dorische durch, die große Sext bei kleiner Septime von unserem Moll, Mixolydisch durch die kleine Septime von unserem Dur unterscheiden. Wir können also sagen: Hindemith hat sich in dem mitgeteilten Tonsatz tatsächlich aller möglichen diatonischen Wendungen bedient und dabei den Quintraum vollständig chromatisch erschlossen. E r will Chromatik eben nicht als Freiheit von den diatonischen Formeln — das wäre etwa die konsequente Gegenposition zu Strawinsky — , son­ dern möchte alle Möglichkeiten diatonisch tonaler Satzgestal­ tung nutzen. Der Unterschied zwischen Strawinsky und Hindemith läßt sich vielleicht, soweit es sich um Ihre Einstellung zum überlieferten Tonsystem handelt, in folgender Weise zusammenfassen: Hinde­ mith errichtet Biatonik auf der Grundlage der Chromatik, Stra­ winsky betradhtet Chromatik als Erweiterung der Diatonik. Gemeinsam ist ihnen die Anerkennung der „natürlichen“ Gravi­ tation aller Intervalle — dies bezeugen etwa Hmdemiths 19 „Reih.en‘% wie er sie (etwas gewaltsam) in seiner „Unterweisung im Tonsatz“ ableitet —, ab er H indem ith räum t den traditionel­ len Qmnt-(Quart-)Beziehungen einen noch bedeutenderen Platz ein. Strawinsky bezieht alles auf die diatonischen Dur-MollSfcalen and Kadenzen, während für Hindemith alle diatonischen Tongesdilechter (Modi) gleichberechtigt nebeneinander stehen und sidi andauernd vermischen; er hat dadurch die Möglichkeit, schnell jede gewünschte „Modulation“ (oder Ausweichung) durch­ zuführen, so wie wir es in Beispiel 3 sehen, wo die (relativ dem Grandton fern stehende) lokrisdie zweite und fünfte Stufe (des und ges) ln die „normalen“ umgedeutet werden, indem sieh der Grundton um einen Halbton tiefer verlagert (von C nach Ces). W ill man diese Tendenz Hindemiths näher bestimmen, so könnte man vielleicht paradox sagen, daß er die Chromatik zur Grund­ lage einer neuen Diatonik gemacht hat. Hlndemith ist von Hause aus DIatonlker. aber die Macht der alten Tongesdilechter ist ge­ brochen. Dur und Moll sind Ihm nicht mehr „polare Gegensätze“, sondern neben allen anderen diatonischen Geschlechtern, dem dorischen, phrygischen, lydlschen und mixolydischen gleich­ berechtigte diatonische Aspekte eines Grundtons, einer Tonali­ tät. In seinen früheren Werken bevorzugte Hindemith vielfach, um keinem Geschlecht den Vorrang vor dem anderen zu geben, Schlüsse im Einklang oder der leeren Quint, später, seit etwa 1930, hat er dem Dur-Geschlecht seine alte Vorherrschaft wieder weitgehend eingeräumt. Dadurch erscheinen dann die anderen Modi oft nur mehr als Trübungen des Durgeschlechts. Als Beispiel konsequenter Modusmischung sei hier der Anfang des Vorspiels zum Einieltungschor des „Lehrstücks“ (1929), einer Vorform von Bertolt Brechts „Badener Lehrstück vom Einver­ ständnis“ und zugleich Schlußnummer des Radiohörspieis „Lradberghfiug“ mitgeteilt und besprochen. D a der Anfangsakkord nur aus C — c— c’— c5' besteht, bleibt das Tongeschlecht ungewiß, aber die beiden Wechselnoten der Ober­ stimme, b ’ und a’, sind, c als Grundton vorausgesetzt, nur als dorisch oder mixolydisch zu erklären; das gleich folgende es" der Oberstimme beweist, daß wir es mit dem dorischen Modus zu tun haben. Der Fortgang der Melodie wechselt vielfach das Tongeschlecht: des”— c” —b*— as’— g’ Ist phryglsch, während 20 B e i s p i e l 4. Paul H indem ith: Lehrstück, N r. 1, Bericht vom Fliegen, T ak t 1— 6 die beiden restlichen Noten des Taktes sowohl als Dur als auch als Mixolydisch aufgef aßt werden können, der dritte Takt und die beiden ersten Noten des vierten sind abermals phrygisdh, die folgenden Noten und die drei ersten Viertel des nächsten lydisch und der Abschluß der ganzen Phrase abermals phrygisch. Wür­ den wir hier auch die anderen Stimmen auf die gleiche Art ana­ lysieren, so müßten wir feststellen, daß selten — zum Beispiel in der zweiten Hälfte des dritten Taktes — alle Stimmen dem gleichen Modus zagehören; meist sind verschiedene Geschlechter miteinander kombiniert. Dies ist die Ursache der zahlreichen ungewohnten Querstände, etwa e— es (Dur- und Moll-Terz), as— a (bei herrschendem Molldiarakter „reine“ und dorische Sext) und des— d (phryglsche und normale Sekund). Wir können jetzt vielleicht verstehen, daß die konsequente Mischung aller diatonischen Modi zu einer eigentümlichen Tonsprache führen muß, deren charakteristisches Merkmal es Ist, über den gesam­ ten chromatischen Tonvorrat zu verfügen, ohne jedoch darum schon Chromatik zu sein. Aber es bleibt zu fragen, ob und gegebenenfalls wie man mit dieser Tonalität sinnvoll komponieren kann. Ihre historische Ableitung Ist nicht schwierig, Ist es doch längst allgemein be­ kannt, daß Robert Franz und Johannes Brahms kirchentonale 21 melodische und, daraus abgeleitet, harmonische Wendungen, dieser vornehmlich, dorische, jener ptirygisdae, liebten. Sie färbten so auf charakteristische Wesse insbesondere ihre Lied­ melodik, ohne jedoch von allen oder auch nur mehreren Modi gleichzeitig Gebrauch zu machen5. Die Folge davon war, daß sie ihre Tonsprache um neuartige Wendungen von hohem kolo­ ristischen Reiz bereicherten und namentlich zu einer Kräftigung der harmonischen INebenstufen gelangten, während Hindemith zwar jetzt auf dem Umweg über die Kombination der verschie­ denen diatonischen Tongeschlechter über den chromatischen Ton­ vorrat verfügt, ihn aber, indem er DIatonik suggeriert, nicht systematisch erschließt. Die koloristischen Wirkungen der ein­ zelnen Modi sind durch dauernde Modusmischung neutralisiert und aufgehoben. Hindemith kann zwar grundsätzlich jede chro­ matische Stufe erreichen, aber durch die Nutzung der Möglich­ keit dauernden Wechsels wird die melodische Kontinuität ge­ stört und die harmonische Konstruktion ■willkürlich. Alles er­ scheint getrübt, denn die Nebenstufen erhalten, da sie jederzeit durch eine andere ersetzt werden können, kein neues, zusätz­ liches Gewicht®. Das aber rächt sich. Entweder ist Hindemith genötigt, einen ganzen Tonsatz durch einen Orgelpunkt zusammenzuiialten oder mechanisch das harmonische Fundament zu verändern — .hierher gehören die stufenweise schreitenden Baßgänge, wie sie etwa im Anschluß an unser Beispiel 4 bei gieichbleibender Oberstimme (sie entspricht Takt 1) die Folge G-, B-, As-, Ges- und F-Dur, also eine „phry gische“ Folge von Durdreiklängen stützen — , oder aber der Satz gerät In ein un­ verständliches harmonisches Durcheinander. Dieses Durchein­ ander ist jedoch keine „Atonalität“, sondern ausschließlich die folge schlecht ausgewogener tonaler Verhältnisse, Ein klares Beispiel ist das letzte der „Fünf Stücke für Streichorchester“ op. 44 Nr. 4 (1927), das w ir trotz seiner frühen Entstehungszeit wohl berechtigt sein dürfen auszuwählen, da es sich auf der der ersten Auflage (193 7) des theoretischen Teils der „Unterweisung im Tonsatz“ beigegebenen Liste von Werken findet, die angeb­ lich die In jenem Buch vorgetragenen Ansichten von der Technik des Tonsatzes realisieren, l de uns dieses Stuck die Möglichkeit, noch andere Fragen zu erörtern. 22 III W ir betrachten als nächstes einige Konzertsätze von Hindemith und Strawinsky, wobei wir sehen werden, daß sich die bereits festgesteilten Übereinstimmungen und Unterschiede im kompo­ sitorischen Verfahren beider Komponisten erneut bestätigen. .Ms erstes Beispiel wählen wir das letzte der „Fünf Stücke für Streichorchester“ von Hindemith, das wegen seiner engen Anlehnung an ein historisches Vorbild besonders instruktiv ist. Das Stück beginnt In c-Moli mit dorischer Seiet (a) und phrygischer Sekund (des), Ist also stark kirchentonartlich getärbt. Der letzte Ton des ersten Taktes, e, wird, da er mit einem as, der normalen (äolischen) MoIIsext, in der Baßstimme gleich­ zeitig auftritt, nicht als Durterz aufgefaßt, sondern als Mittel zur Erreichung der 4; Stufe, als V orhalt zu f. Auf dieser Stufe angekommen, die hier, merkwürdig genug, wieder im Moll­ geschlecht erscheint, findet man wieder die dorische Sext (d in der Mittelstimme) und die phrygische Sekund (ges, als fis ge­ schrieben, ebenfalls in einer Mittelstimme), während dann In den Überleitungsfiguren des dritten Taktes auch die Durterz er­ scheint. Die Takte 4 bis 7 basieren auf der 7. Stufe von C-Dur, und bei dieser Gelegenheit erfährt man also, daß dem Mollenarakter des Anfangs gar keine wesentliche Bedeutung zu­ kommt, sondern daß es sieh um eine einfache C-Tonalität han­ delt, für die Dur, Moll, jfhrygisch und Dorisch nur verschiedene Aspekte eines Grandtons sind. Nun, fast drei ganze Takte hält das Stück auf dieser 7. Stufe inne. . . Dann folgt (T. 7) eine Repe­ tition des Themenkopfes auf der 3. Stufe (In Moll), mit sofort anschließendem (überraschendem) Übergang zur 6. Stufe (a), während man doch eine Befestigung der in Takt 8 vorüber­ gehend erreichten (äolischen) 7. Stufe (b) erwartete. Schließlich wird das Ritorneli abermals durch eine Repetition des Kopf­ themas (Vordersatz) eben auf jener schon früher erwarteten 7. Stufe (b) beschlossen, aber wie stets moduliert Hlndemith auch hier nach, einer anderen Stufe, der 3. In Moll, also nach es. Der ganze Komplex, das Ritorneli, gibt sich uns als ein großer Modulationsteil zu erkennen, der auf Umwegen von der 1. zur 3. Stufe (von c-Moli nach es-Moli) moduliert. Es fragt sich aber jetzt, ob einer derartige Anlage geeignet ist, eine „Form“ zu tragen. Modulation bedeutet soviel wie Übergang, aber hier ist der formal tragende Abschnitt als Überleitungsteil angelegt. Der Vordersatz, der eigentlich die Grundstufe der Tonart befestigen sollte, leitet gleich zur 4. Stufe über, und diese selbst erscheint abgeschwächt durch das Vorherrschen eines ihr nicht angemes­ senen Tongeschlechts. Überdies läßt der Komponist durch merk­ würdige Phrasierung die tonalen V erhältnisse noch unklarer er­ scheinen. Der Vordersatz beginnt niedertaktig, der Nachsatz auftaktig. Dieser Auftakt hat aber hier derartiges Gewicht — einmal, weil der Vordersatz eben über keinen Auftakt verfügt, zweitens, weil der Auftakt „Leitton“ Ist und drittens, weil er länger ist als die einzelnen Töne der folgenden Figuren — , daß das Verhältnis von Vorder- und Nachsatz für jenen noch ungünstiger wird. Er kann gerade das nicht leisten, worauf Hindemith den größten Wert legt, nämlich tonale Ordnung zu schaffen. Diese 13 Takte, das gesamte Ritomell also, berühren die Grundstufe nicht einmal einen einzigen T ak t lang. Man könnte jetzt vielleicht einwenden, daß eben gerade die neu­ artige Anlage das eigentlich Hindemlthsehe an diesem Tonsatz sei und infolgedessen einen neuen Wert repräsentiere. Dem­ gegenüber wäre aber daran zu erinnern, daß hier nicht nur die Form von historischen Vorbildern übernommen wurde, sondern auch der Melodietypus. Die rüstige gleichmäßige Bewegung der Achtel und Sechzehntel ist nur dann sinnvoll, wenn ihr ein ebenfalls (wenigstens einiger­ maßen) gleichmäßiger Stufenwechsel entspricht, denn erst dieser Harmoniewechsel gliedert die gleichförmige Bewegung. Indem aber hier ein wenig ausgewogenes Verhältnis zwischen den ein­ zelnen Abschnitten besteht, verwirrt sich der musikalische Pro­ zeß. Die gleichmäßige Bewegung, bei der die Zäsuren über­ spielt werden, verhindert das Erfassen der harmonischen E r­ eignisse. Die Gesamtform dieses Hindemithschen Streldierstücks folgt ziemlich streng der alten Vivaldlsdien Konzertform, Hier ein Schema, in dem die Tonalität der entsprechenden Abschnitte mit­ geteilt ist: 24 1. R itorn eli T u tti T a k t — 13 c 1. E pisode Solo 14-24 25-35 36-48 es f e 2. Episode 3. Ritorneli 2. R itorneli Tutti Solo T u tti (verkürzt) 1. T h . 3. T h . 2. T h . 105— 117 60-78 79-88 89-104 49— 59 c d e b g Coda Solo T u tti xi8—122 123— 125 g-^c Man sieht also drei Tutti-Bitornelle auf den wichtigsten tonalen Stufen beginnen., was aber kaum irgendwelche Bedeutung hat, da diese Stufen, wie wir sahen, nur ganz kurz berührt werden. Die modulatorische Anlage der Rltornelie erzwingt sogar eine Coda, denn nur wenn das letzte Ritorneli auf der 6. Stufe be­ gänne, würde es auf der Grundstufe endigen. Das aber brächte neue Schwierigkeiten: Würde das Sdilußritornell tatsächlich auf der 6. Stufe beginnen und auf der 1. schließen, so hätte niemand den Eindruck eines bestätigten Schlusses. Darum läßt Hindemith das letzte Ritorneli in Analogie zum ersten auf der Grundstufe (c) beginnen und auf der dritten schließen, moduliert dann aber anschließend in einem kleinen Soloabschnitt zur 5. Stufe (g), womit eine Analogie zum Anfang des zweiten Ritornells ge­ geben ist, und schließt die ganze Komposition mit einer Repe­ tition des Ritomellvordersatzes auf der Grundstufe ab. Dieses Streicherstück, das in einem Schul werk steht, also in jeder Hinsicht mustergültig sein sollte, ist tatsächlich ein Dokument für jene jahrzehntelang geübte Praxis der naiven Übernahme alter Formen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß es auf jeden Fall unsinnig Ist, sich alter Formen zu bedienen, sich von ihnen anregen zu lassen oder sie auch nachzuahmen. Freilich wird stets die Gefahr des Kunstgewerblichen drohen, selbst dann, wenn derartige Versuche mit größerem Feingefühl unternommen werden, als es Hindemith bei der Komposition dieses Stückes bewies1. Igor Strawinsky folgt in einigen seiner Konzerte nicht eigent­ lich dem Vivaldischen Typus der Konzertform, sondern der ent­ wickelteren und komplizierteren Form Bachs, ohne freilich jede Erinnerung an die einer anderen historischen Entwicklungsstufe angehörenden Sonatenform zu verdrängen. Zwei 'Werke der Dreißigerjahre, der Zeit also, in der der Neoklassizismus all­ gemeine Weltgeltung hatte, mögen hier dafür einstehen. Wie Strawinsky den musikalischen Prozeß auslöst, ist überaus bezeichnend,, Der erste Satz des Violinkonzerts von 1931 'be­ ginnt nach zwei Einleitungstakten sogleich mit dem Hauptthema, das regelgerecht aus Vorder- und Nachsatz besteht. Beide zeigen die tür Strawinsky charakteristischen metrisdien Verschiebun­ gen, die durdi Erweiterungen und V erkiirzungen entstehen. Diese metrischen Verschiebungen dokumentieren deutlich die Beschädi­ gung des traditionellen rhythmisch-metrischen Systems. Indem sie im Rahmen einer konstanten Taktgliederung — hier Ist es ein Vt-Takt • — stattfinden, wird diese selbst illusorisch. Das Schema der ersten fünf Takte des Themas mag dies zeigen, Die Begleitakkorde sind abwechselnd Hörnern und Fagotten über­ tragen. In der ersten Takthälfte spielen sie jeweils den Akkord fis— g— d’, in der zweiten fis— a— d\ Beide Akkorde verhalten sich also zueinander wie Vorhalt und Auflösung. Da aber die ganze Passage mit der zweiten Hälfte eines Taktes beginnt, steht am Anfang die aufgelöste Form, Dieser mechanische Klangwech­ sel ist übrigens das einzige Moment, das die Taktgliederung recht­ fertigt. Da indessen die Vortragsbezeichnung sempre sf. anzeigt, daß allen Akkorden der gleiche Akzent zu geben ist, wird sie In gewisser Weise zugleich wieder aufgehoben. Die Schläge 1 und 3 {nach Achteln gezählt) erhalten zwar doch wieder ein Über­ gewicht gegenüber 2 und 4, aber die qualitative Differenz zwi­ schen 1 und 3 ist zerstört. Dem entspricht die Anlage des eigent­ lichen Themas. Der Niederschrift zufolge beginnt es auftaktig, hätte also, wäre das alte metrische System noch unbeschädigt, seinen Hauptakzent nach dem Kopfmotiv auf dem ersten Achtel der Hegenden Noten, während bei der Wiederholung des Motivs der Akzent auf dem ersten Sechzehntel und auf dem dritten Achtel läge. Daß eine solche Auffassung nicht den wahren musi­ kalischen Sachverhalt trifft, Hegt auf der Hand und wird dar­ über hinaus noch von allen vergleichbaren Stellen, dem Einsatz des 1. Solos (Ziffer 3), des 2.T u tti (Z. 7), des 2, Solos (Z. 11) und der Reprise (Z. 36) bewiesen. Dem ersten Tutti, das eben be­ trachtet wurde, entspricht nur das 3. Tutti (Z. 16), hei dem aber das Thema stets auftaktig aufgefaßt werden muß, auch wenn es, wie bei der Wiederholung des Kopfmotivs niedertaktig geschrie­ ben Ist. 26 Man wird sich fragen dürfen, warum der Komponist sich nicht die Mühe gemacht hat, sein Stück durch. Taktwechsel, vor dem er doch sonst nicht zurücksdareckt, sinngemäß zu metrisieren und damit auch zu phrasieren. Für den Na&satz des 1. Tutti (Z. 2} gilt genau dasselbe wie für den betrachteten Vordersatz, Kein zwingender Grund ist anzugeben, warum der Beginn auftaktig und die beides Repetitionen des Nachsatzmotivs niedertaktig erscheinen. Die Akzente liegen bei dem auftaktigen und dem ersten niedertaktigen Beginn ganz gleich (und zwar deutlich synkopisdi), um dann erst bei der zweiten (verkürzten) Wieder­ holung den Niedertakt, also die Zählzeit 1, zu markieren. Metrisch instandgesetzt, müßte der ganze Themenkomplex, das erste Tutti, etwa durch folgende Taktwechsel bezeichnet werden (wobei die Pause nach Ziffer 1 dem vorangehenden Einleitungs­ takt zugesdiiagen werden müßte): */*, 4/4, s/&, 3/i, Vt, Vs, wobei der letzte Takt (9/s) ein um ein Achtel verkürzter 5/4-Takt ist (also */4 + Vs). Auf diese Weise metrisiert, würden die musi­ kalischen Sach'verhalte klarer: allerdings würde sich dann, bei auch weiterhin konsequenter Metrisierung zeigen, daß sich in den durdtführungsartigen Passagen die metrischen Verhältnisse ungemein vereinfachen, (übrigens hat Strawinsky auch manche Stellen vernünftig metrisiert, etwa bei Z. 6, der Modulation vom l.S o lo zum 2. Tutti, v/ährend unmittelbar nach 2 .7 der */4-Takt etwas zu früh eingeschoben ist.) Die Stelle Z. / ist in der Strawinsky-Literatur wiederholt als »Seitenthema“ bezeichnet worden, während doch die Soloviolme nur einen Kontrapunkt zum Hauptthema spielt. Dennoch ist dies vielleicht in einem übertragenen Sinn richtig. Nähme man an, der Satz sei in Sonatenform geschrieben, was indessen aber nicht zutrifft, so käme dieser Stelle die Bedeutung des SeitenSsltZSS ZU* Dennoch ist sie so wenig ein Seitensatz wie der Mittelteil (Z. 18 ff.) eine Durchführung. Der erste Satz des Konzerts für Kammerordiester in Es (1938), das zu Strawinskys bekanntesten neoklassizistisdien Werken zählt, lehnt sich noch stärker als das Violinkonzert an Bach an. Die Thematik zeigt gewisse äußerliche Ähnlichkeiten mit den Werken des Köthener Kapellmeisters und der Soio-Tutti-Kontrast ist, ganz wie in einigen der Brandenhurgischen Konzerte, liquidiert. Während aber die Teile eines Badischen Konzert­ themas (Ritomells) einen harmonischen Vorgang repräsentieren — dies ist sogar in gewissem Umfang bei dem Hauptthema von Strawinskys Violinkonzert der Fall! —, herrscht hier voll­ ständiger harmonischer Stillstand, der es ermöglicht, jedes ein­ zelne Glied durch ein anderes zu ersetzen, die einzelnen Bestand­ teile also beliebig miteinander zu vertauschen. Herbert Eimert hat in seinem Versuch einer Analyse (Melos 14, 1947, 247— 250) darauf hingewiesen, wie die melodische Veränderung in den ersten zwölf Takten durch die wechselnde Anordnung der ein­ zelnen Glieder des Themas zustande kommt. Auf diese Weise Ist aber nicht nur die Hauptstimme dieses Themas zusammengesetzt, sondern auch alle anderen musikalischen Bestandteile, besonders die Simultankombination der verschiedenen Motive aller be­ teiligten Stimmen. Die Motive, die zunächst konzertierend mit­ einander abwechseln, Streicher- und Holzbläsermotive, werden alsbald miteinander kombiniert, besser gesagt, Immer näher zu­ sammengeschoben, bis sie schließlich In T. 9 gleichzeitig er­ scheinen. Wollte man die Technik näher bestimmen, so müßte man sagen, es handele sich um ostmate Figuren, die wechselnd miteinander kombiniere werden. Tatsächlich sind auch alles nur zu Motiven verfestigte Spielfiguren, deren Substanz der Es-DurDreikiang ist. Durch das Immer dichtere Zusammenriicken ent­ steht sogar etwas wie eine Steigerung, aber aus ihr wiederum resultiert nichts, sie Ist Selbstzweck ohne formale Bedeutung, ein kunstgewerblicher Schnörkel. Bei Z. 2 Ist motivisch wieder der ursprüngliche Zustand hergestellt, aber formal beginnt die Überleitung zum Solothema, die dadurch eingeleitet wird, daß das Hauptthema neu (dissonant) harmonisiert und durch Synkopierungen etwas entstellt erscheint. Eigentlich erwartet man, daß die an dieser Stelle auftretenden Dissonanzen eine Modu­ lation elnleiten. Das aber Ist, merkwürdig genug, nicht der Fall. Vielmehr tritt nach einigen harmonischen und metrischen Extra­ vaganzen, die zu dem zuvor ziemlich eindeutig vorherrschenden Es-Dur kontrastieren — das thematische Geschehen ist nicht viel mehr als eine getrübte Sequenz — , das zweite Thema ebenfalls in Es-Dur ein. Dieser kurze musikalische Gedanke Ist im Sinne der Konzertform ein Soiothema. Es Ist In der für Strawinsky so überaus bezeichnenden Weise aus einem metrisch verscho­ benen und sequenzierten Dreitomnotlv gebildet und umfaßt Insgesamt vier Takte. Der Motivkern, das Dreitonmotiv, besteht in seiner originalen Gestalt aus einer aufwärts gerich­ teten großen Terz, die als Vorhalt zur Quart dient, nimmt aber im Verlauf seiner Verarbeitung auch andere Intervalle für sich in Anspruch, etwa die kleine Terz als „Vorhalt“ zur großen. Dieses Thema wird kurz verarbeitet und durch konzertante Zu­ satzstimmen bereichert und moduliert schließlich nach D-Dur. Bei 2 .7 beginnt dann eine durch das Hauptmotiv des zweiten Themas eingeleitete Episode, in der zunächst die Hörner und dann die Streicher kantabel, das Fagott dagegen mit konzer­ tierenden, gebrochenen Akkorden hervortreten. Nach einer dreitaktigen Überleitung folgt eine variierte Wiederholung des eigentlichen Ritornells, dann, bei 2 .1 3 , eine Fuge mit zwei Durchführungen. Der Motivkopf des Fugenthemas ist aus dem Hauptmotiv des Solothemas gebildet. Die erste Fugendurch­ führung verbleibt im Dominantbereich (C —F), die zweite leitet zurück in den Tonika-Subdominantbereich (Es—As), um dann bei 2 .2 0 in die Reprise des Solothemas in Es-Dur einzumünden. Darauf folgt zunächst das Ritornelithema (verkürzt, Z. 22), an­ schließend abermals das zweite Thema, das hier eigentlich über­ flüssig ist, da damit doch die Reprise eingeleitet wurde und end­ lich eine (angehängte) Coda (Z. 24) mit einer Überleitung zum zweiten Satz. Es ist kaum notwendig, noch einen weiteren Konzertsatz Strawinskys vollständig zu analysieren, da doch immer wieder ähnliche kompositorische Situationen auftreten. Überblickt man die Strawinskyschen Konzertsätze — der des Kammerkonzerts in Es fand einen Nachfolger im Hauptsatz des Septetts von 1953, das Hilmar Schatz (Melos 25, 1958, 60 bis 63) jüngst analysierte —, so taucht die Frage auf, was für eine Formkonzeption Strawinsky eigentlich verwirklichen wollte. In den Konzertsätzen Strawinskys durchdringen sich nämlich die Bestandteile dreier wichtiger, aber deutlich zu tren­ nender Formen, der Konzertform, der Sonatenform und der Form der Da-capo-Arie. Die Arienform hat schon Bach in seinem Violinkonzert E-Dur auf das Instrumentalkonzert über­ tragen, ein Experiment, dem schon darum nichts 'Willkürliches anhaftet, weil diese Form selbst wieder teilweise der Konzert­ form verpflichtet war. Bachs Vorbild folgt wiederum Stra­ winsky in seinem Violinkonzert. Wer aber zu häufig alten Vor­ 29 bildern nacheifert, muß es sich gefallen lassen, an ihnen ge­ messen zu ■werden. Die thematischen Verknüpfungen, b ei Bach von äußerster Portgeschrittenheit und Konsequenz, sind bei Strawinsky äußerlich, die Themen selbst konventionell. Wo (In diesem Rahmen) profi­ liertere musikalische Gedanken auftreten, wie etwa im Haupt­ thema des Violinkonzerts oder dem Soiothema (Z .4) des Kam­ merkonzerts, sind sie so beschaffen, daß man nicht versteht, warum sie dissonant begleitet werden. Damit werden aber auch alle modulatorischen Operationen, die mit H ilfe dieser Disso­ nanzen — meist sind sie das Ergebnis von Stufenmischung — ausgeführt werden, unangemessen; das heißt Form und Motiv stehen im Verhältnis des Widerspruchs. Eine Entwicklung der musikalischen Gedanken kann also gar nicht stattfinden, da die einzelnen Momente der Komposition nicht zusammenstimmen. Die Formen selbst tragen darum auch allenthalben Spuren der Gewalttätigkeit. Die metrischen Verschiebungen sind keine Ent­ wicklungen oder Variationen, sondern nur ein Notbehelf, um die konventionelle Kompositionstechnik zu cachieren. Daraus erklärt es sich, daß gerade die Überleitungen bei Strawinsky so wenig überzeugend geraten. Nach alledem dürfte es kaum wundernehmen, daß richtige Durchführungen bei Strawinsky kaum je anzutreffen sind. An ihre Stelle treten melodiöse Partien (Kammerkonzert Z. 7, Vio­ linkonzert Z. 20) oder Fugati, respektive mißlungene Fugen (Kammerkonzert 2 . 13, Septett Z. 4). Über die Kantilenen Stra­ winskys mag ich mich nicht äußern, die Fügen und Fugati, die allesamt zu kurz geraten sind, müssen dagegen auf ihre formale Bedeutung hin untersucht werden. Es bedarf dazu eines Hin­ weises auf kompositorische Details bei Bach. Im l.S a tz des 3 .Brandenburgischen Konzerts beginnt T .78 ein ganz kurzes Fugato mit einem eigenen Thema, das vom Hauptmotiv des Satzes kontrapunktiert wird. Das Fugato dauert nur 8 Takte, aber was für eine bedeutende Funktion kommt ihm zu! Das Fugato selbst Ist ein auskomponiertes Crescendo, auf dessen. Höhepunkt das Hauptthema des Satzes hinzugefügt wird. Die produzierte Spannung löst sich in einem unerhört kühnen» rein harmonisch konzipierten Abschnitt (87— 90), dessen Gewalt für seine Zeit wohl einzigartig Ist. Dieser Komplex wirkt noch In 30 dem folgenden Abschnitt, dem letzten vor dem Einsatz der Reprise nach, der erst die volle Entfaltung des thematisch kon­ trastierenden Materials bringt und es wahrhaft durchführt. In Strawinskys Septett, das sich hier besonders zum Vergleich anbietet, folgen aas dem Fugato (2 .4 ), das mit einer sechsstimmigen Engführung durch den Quintenzirkel (von f bis e) schließt, ein paar Akkorde, sonst nichts! Dann setzt die Reprise ein, ganz so, als ob nichts geschehen wäre. Es ist im Grunde gleichgültig, welches Werk von Strawinsky man näher analysiert; die formale Gestaltung ist immer primi­ tiv, das heißt willkürlich gefügt, denn kaum ein musikalisches Ereignis läßt sich ursächlich aus dem vorhergehenden ableiten. Die motivische Arbeit ist zu schwach, um formkonstitutiv zu wirken — die Themen selbst lassen allerdings auch kaum eine andere als eine konventionelle Verarbeitung zu — , die H ar­ monik hat, seitdem die Funktionsharmonik machtlos wurde, ebenfalls kaum noch formtragende Bedeutung. Die Folge davon ist einerseits das Einschrumpfen der Form, das nichts mit Kon­ zentration zu schaffen hat, anderseits ihre Willkür. Diese Willkür zeigt sich schon in der Yertauschharkeit der ein­ zelnen Motive oder Motivbestandteile. Es ist freilich auch hier nicht die Vertauschbarkeit an sich, die formwidrig ist, sondern ausschließlich der Umstand, daß der Austausch musikalisch nicht motiviere wird und auch keine Konsequenzen nach sich zieht. Aach bei Bach findet man gelegentlich. Motivtausch. Im Konzert für zwei Klaviere C-Dur setzt Bach in der Reprise (T. 122 ff.) an die Stelle der Vordersatzfortspinnung das Solothema, aber dieses musikalische Ereignis, das jedem aufmerksamen Hörer bewußt wird, ist Ziel der Entwicklung des ganzen Satzes. Dem wird gewöhnlich entgegnet, daß Strawinsky Entwicklung und Steigerung eben nichts bedeuten. Mag sein, daß er sie nicht erstrebt; — dennoch wird man im Da-capo-Teil des Violin­ konzerts oder etwa in der Reprise des Kammerkonzerts eine Steigerung erblicken müssen, nur ist sie eben nicht genügend vor­ bereitet. Audi wird man fragen müssen, warum Strawinsky etwa im Kammerkonzert das Fugato-Thema aus dem Solothema ab­ geleitet hat, warum er zwei Fugendurchführungen schreibt und in der zweiten alle Stimmen oktavierr, wenn nicht doch eine Steigerung intendiert ist. 31 Während Strawinsky und Hindemith relativ einfache musi­ kalische Inhalte mit einfachen musikalischen Mitteln ausdrüdten, somit also auch relativ leicht za verstehen sind, bedürfen andere Komponisten, etwa Claude Debussy, Alexander Skrjabin und Arnold Schönberg differenzierterer Mittel. Das Werk Debussys zeigt eine teilweise ganz neuartige Einstellung zum Tonmaterial. Die für unsere Betrachtung interessantesten Teile seines Oeuvres sind diejenigen. In denen er bewußt auf die Verwendung des gesamten chromatischen Tonvorrats verzichtet. Nach dem Vor­ bild einiger russischer Komponisten, Modest Mussorgskijs und Wladimir Rebikoffs, aber auch fernöstlicher Musik, die, wis wir sahen, zum Teil über halbtonlose temperierte Skalen verfügt, hat Debussy des öfteren Abschnitte miteinander konfrontiert, die einen grundsätzlich verschiedenen Tonvorrat aufweisen. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß sich in diesem Verfahren noch Reste der alten Art der Gegenüberstellung mehrerer Tonarten verbergen, aber das wesentlich Neue bei Debussy ist, daß quali­ tativ verschiedene „Systeme“ einander gegenübergestellt -werden. Uns interessieren hier weniger die Kompositionen, In denen einzelne diatonische Modi einander ablösen, etwa unser ge­ wöhnliches Dur-Geschlecht und einer der uns archaisch an­ mutenden Kirchentöne — wobei wir nicht verkennen, daß auch den kirchentonalen Partien eine erhebliche Bedeutung zuKommt — , sondern jene, in denen wir einen Systemwechsel be­ obachten können. Das Klavierstück „Volles“ (Preludes 1/2) ist in seinen Außen­ teilen ( T .l — 41 und 48— 64) ganz und gar auf der Ganzton­ leiter errichtet (c— d— e— fis— gis—als), v/ährend der Heine Mittelteil (T. 42— 47) rein pentatonisch (es— ges— as— b— des) angelegt Ist, Mit Ausnahme von vier Einleitungs- 'and drei Schlußtakten ruht das ganze Stück auf einem ,B als Orgelpunkt, was aber nicht verhindert, daß wir, während die Außenteile nur gelegentlich als getrübtes B-Dur erscheinen, den ganzen pentatonischen Mittelteil als unvollständiges es-Moii hören. Ais einer der konsequentesten Versuche, von der alten diatonischen Ord­ nung loszukommen, ist dieses Klavierstück von höchster Bedeu­ tung. Wir finden in ihm keinerlei Anklänge aa die alte Modaü- tat, und daß wir im Mittelteil ein unvollständiges Moll hören, ist wahrscheinlich. nur eine Folge unserer Gewöhnung an dieses Tongesdileditj denn uns steht die Pentatonik, da sie ganz und gar auf der Quintverwandtsdiaft beruht, näher als die Ganzton­ leiter, die die Quintverwandtsdiaft bekanntlich vollständig Igno­ riert. Konstitutiv für die Ganztonskala ist in Debussys „Volles“ durchaus die große Terz, nicht aber die ausschließlich zur Melo­ diebildung benutzte große Sekund. So ist es verständlich, daß der übermäßige Dreiklang klanglich vorherrscht. Dennoch er­ scheinen die auf der Ganztonleiter basierenden Teile nicht aharmonisch, denn wie von ferne klingt gelegentlich der Nonen­ akkord mit disalterierter Quint (c— e— ges— gis—b— d) durch. Gerade aber durch die unvermittelte Gegenüberstellung von Ganztonreihe und Pentatonik entsteht ein eigentümlicher Effekt: 'Während in den Rahmentellen die große Terz (ohne die sie zum Dreiklang ergänzende Quint) vorherrscht, wirkt der auf der Quint basierende kurze Mittelteil mit seiner Mollfärbung berückend. Und damit sehen wir auch, was Debussy In diesem Stück veranschaulichen wollte: er zeigt die auch in der traditio­ nellen Musik so wichtigen Intervallbeziehungen in einem ganz neuen Licht und vermag darüber hinaus noch einen bestimmten Bildgehalt, den fiatterder Segel im Abendwind bei plötzlichem, kurzem Aufleuchten des letzten Sonnenstrahls, zu suggerieren. Das Klavierstück. „Cloches a travers les feuilles“ (Images II/l) zeigt bei grundsätzlicher Ähnlichkeit im Detail eine etwas ab­ weichende Anlage, Es beginnt mit verschiedenen, aus der Ganz­ tonleiter (f—g— a— h— eis— dis) gebildeten, kontrapunktisch miteinander verbundenen, skalenmäßig auf- und absteigenden Tonreihen, In die plötzlich Im 6. Takt ein „systemfremdes“ c” an pointierter Stelle eingeführt wird. In Takt 9, einem Ober­ leitungstakt, erscheint dieses c” abermals mit einem d5 In der Begleitung; beide Töne dienen der Vorbereitung des in Takt 10 ganz schnell aufeinanderfolgenden c-Moll-C-Dur-Wechsels, der aber sogleich wieder zurückgenommen wird, indem nach Takt 11, einer genauen Wiederholung von Takt 9, in T ak t 12, unter Bei­ behaltung der gleichen rhythmischen und motivischen Anlage der Nonenakkord über As mit reiner und tiefalterierter Quint (statt es: eses, als d geschrieben) erklingt. Wir hören also an dieser Stelle so etwas wie eine nachträgliche Rechtfertigung des 33 das ganze Stück einleitenden Ganztonkomplexes. Darüber hin­ aus wird an dieser Stelle auch der historische Zusammenhang mit der traditionellen Musik deutlich. Schon aas dem hier An­ gedeuteten kann man erkennen, wie verschiedenartig Debussy ein und dasselbe Runstmittel, hier die Ganztonreihe, ver­ wendet. Betrachten wir schließlich noch ein drittes Werk von Debussy, „Pagodes“ (Estampes 1). Grundlage dieses Stückes ist die anhemitonische (halbtonlose) Pentatonik (h— eis— dis—fis— gis), aus der alle formkonstitutiven musikalischen Gedanken (Themen und Motive) gebildet werden, Bereits Im 5. Takt erscheint In den Begleitharmonien ein a, das aber nur als Vorbote der beiden m den Takten 7— 10 erscheinenden Töne ais und e autzufassen ist. Tatsächlich ist also hier die Pentatonik in Diatonik (H-Dur) übergegangen; die folgenden Takte kehren allerdings wieder zur Pentatonik zurück, In der anschließenden Episode wird der Tonvorrat abermals erweitert und zwar um die Töne eis, g ( = fisis) und a. Diese Töne treten während des ganzen Stückes nur in den (eingeschobenen) Episoden auf und haben also für die Gesamtkonzeption nur sekundäre Bedeutung. Wer das Stück auf diese Weise analysiert, wird feststellen, daß der (der alten Diatonik) entsprechende Tonvorrat — die pentatonische Reihe mit h als Grundton — stets die Tendenz zeigt, sich nach H-Dur zu entwickeln, d. h, zu erweitern, während die den „Episoden“ zugehörenden Zusatztöne ais Alterationen im üblichen Sinn an­ zusprechen sind. Der ästhetische Reiz dieses Stückes beruht auf der Dynamik des Tonmaterials und der einleuchtenden formalen Konfrontation der verschiedenen Stadien seiner Entfaltung. Wesentlich ist, daß die Pentatonik als Grundlage dient, daß sie, ganz abgesehen von den (zahlreichen) Partien Innerhalb des Stückes, Anfangs- und Schlußtakte allein beherrscht. Am An­ fang wird sie langsam, „aufgebaut“ — erst sind es zwei Töne fh— fis), womit bereits die Tonalität fixiert Ist, dann wird ein dritter (gis) hinzugefügt und im 3, Takt sind endlich alle fünf Töne gegeben — , und am Schluß steuert alles auf den pentatonischen Fünfklang zu, der als Schlußakkord figuriert. Dieser Klang, der das gesamte konstitutive Tonmatenal zusammen­ faßt. wird bereits vorher durch die lebhafte fünkcönlge Figu­ ration der Schlußtakte erzeugt, ehe er am Schluß tatsächlich als 34 Akkord auftritt. Die besondere Eigenschaft dieses Akkords ist es, nicht wie unsere traditionellen Drei-, Vier- und Fünfklänge durch Terzsdiidirung entstanden zu sein, sondern durch Quint­ schichtung, Die Lage der einzelnen Töne läßt ihn jedoch wieder als Verwandten des (durch Terzschichtung entstandenen) Undezimenakkords erscheinen. Ein Vergleich dieser drei Stücke Debussys zeigt, daß in „Pa~ godes“ doch noch, wenn auch nur in wenigen Episoden, Chro­ matik anklingt, in „Cloches a travers ies feuiUes“ keine Neigung mehr zur Chromatik besteht, während in „Voiles“ sowohl „Chromatik“ als auch die landläufige siebenstufige Diatonik konsequent vermieden sind. Dies entspricht durchaus der stetigen Entwicklung Debussys von der Chromatik zur Diatonik: die „Estampes“ erschienen 1903, das zweite Heft der „Images“ 1.907 und der erste Band der „Preludes“ 1910. Während Debussy Skalen in Akkorde umbildet, d, h. den gesam­ ten Tonvorrat in gleicher Weise zur Skala (oder Spielfigur) und zum Akkord verwendet, womit dem alten Prinzip, nur eine Tonauswahl zur Akkordbildung zu verv/enden, der erste Schlag versetzt wird, geht Alexander Skrjabin in seinen Wer­ ken, etwa seit op. 58 (1909), den entgegengesetzten Weg. In die­ sen Spätwerken unternimmt Skrjabin den Versuch, das für eine bestimmte Komposition charakteristische Tonmaterial aus e in e m Akkord zu entwickeln. Dieser Akkord, trotz seiner Ab­ leitung aus den sonst für die Akkordbildung nicht herangezo­ genen, entfernteren Obertönen häufig ein entfernter Verwandter des Dominantseptakkords (oder auch des Nonenakkords), wird transponiert, aufgeteilt und klanglich in Figurenwerk aufgelöst. Alles ist auf diesen Akkord bezogen und gewinnt seine form­ konstitutive Kraft aus dieser Beziehung. Der Grundakkord ist auf jeden Fall eine Dissonanz (mit allerdings einwandfrei hör­ barem Grundton), der aber die Funktion einer Konsonanz zu­ gemutet wird. Die Tonalität ist zwar nicht aufgegeben, aber durch die geringere V ersehmelzung des Klanges erscheint der jeweilige Grundton weniger aufdringlich, die Tonalität ist also verschleiert. (Dieser Eindruck: wird durch den wunderbar schwere­ losen, freilich höchste Anforderungen stellenden Klaviersatz noch verstärkt.) Auch im Verhältnis der Grandtöne treten immer mehr die entfernteren Verwandtschaften in den Vordergrund, so daß die Quint ihre formkonstitutive Kraft allmählich ein­ büßt und sogar vielfach durch den Tritonus ersetzt wird. Wesent­ lich ist bei dieser Kompositionstechnik, daß es dennoch zu einer sinnvollen harmonischen Entwicklung kommt. Skrjabin hat es immer verstanden, die Akkordfortschreitungen als „logisch“ er­ scheinen zu lassen, Indem er die Transpositionen von Akkord­ teilen so einführte, daß der Vorhaltcharakter einzelner Töne ausgenutzt wurde, also Immer ein gewisses Drängen spürbar bleibt, während andere Komponisten, die eine ähnliche Klang­ technik anwandten, gerade den traditionellen Drang eines Akkords in den anderen aufheben wollten. Die Wiener Komponisten um Arnold Schönberg entwickelten gleichzeitig mit Skrjabin, vielleicht sogar schon früher, eine ganz ähnliche Klangtechnik. In der Wahl Ihrer Grundakkorde waren sie zwar großzügiger als der russische Komponist, dafür aber verzichteten sie vielfach auf eine Transposition der Akkorde und haben diese Technik überhaupt nicht so konsequent ent­ wickelt. Einmal hat sich Schönberg ihr allerdings ganz und gar anvertraut, nämlich in den beiden kürzesten seiner klei­ nen Klavierstücke op. 19, deren Analyse wir Hugo Leidatentritt (Die Musik 25/1, 1932/33, 405—413) verdanken. Das zweite Stück dieser Sammlung zeigt die Technik des Klang­ zentrums, reduziert auf das Widerspiel von großer und kleiner Terz. Jeder einzelne Ton dieses Stückes ist mit einem der gleich­ zeitig auftretenden oder darauffolgenden Töne durch Terzbezie­ hung verknüpft, und bei den kantabel hervortretenden Wendun­ gen, insbesondere in Takt 2 und 3, ist die Beziehung kleine Terz— große Terz unmittelbar melodisch ausgeprägt (d—fis— dis / a— c— as); es Ist dies eine jener für die Musik um 1910 so überaus charakteristischen Tonfolgen8. Im 6. Stück steht dem dreitömgen Quartenakkord (g—c’— f resp. transponiert c'— t5— b’) ein Klang gegenüber (am Anfang und linde a'— fis"— h” ), der die Neigung hat, sich in den Septakkord h— dis—fis— a zu ver­ wandeln. Mit dieser Komposition ist aber schon ein Grenzfail gegeben, da die gewählten Akkorde kaum mehr ais bloße Grund­ lage des Stückes angesehen werden können, sondern schon iast mit ihm identisch sind. Die vielleicht schönsten Beispiele tür diese Technik im Wiener Schönbergkreis sind m Anton Weberns Georgeüedern op. 3 und 36 op. 4 (1907— 1909} enthalten. Webern wählt natürlich (wie Skrjabin und Sdiönberg) eine Dissonanz als „Klangzentrum“ für eine ganze Komposition oder einen Kompositionsabschnitt. Dieses Klangzentrum übernimmt auch hier zunächst die Funk­ tion des Grunddreikiangs der Grundstufe, wird aber häufig aiteriert und durch Vorhalte, Durchgänge und Wechselnoten be­ stätigt. Gelegentlich werden auch ganze Komplexe transponiert. So basiert z.B. das ganze Lied „Im Morgentaun trittst du her­ vor“ op. 3 ,4 auf einem einzigen Fünfklang (f— h— g— e— b). Was für reiche Möglichkeiten sich bei der Auskomposition dieses Grandklanges ergeben, läßt ein flüchtiger Blick auf diesen Akkord erkennen, da er sämtliche Intervalle zur Verfügung stellt: Quint und Quart (f— b und e— h), kleine Terz und große Sext (e— g). große Terz und kleine Sext (g—h), große Sekund und kleine Septime (f— g), kleine Sekund und große Septime (e— f, b— h) sowie den Tritonus (f— h und b— e). Darüber hinaus findet sich sowohl ein Moll dreiklang (e— g— h), der, wird der Akkord spiegelbildlich, umgekehrt, zum Durdreiklang wird, als auch ein Septakkord, allerdings ohne die leicht entbehrliche Quint (g—h— f). Man kann also sagen, daß sich der Komponist mit diesem einen Akkord ein Tonmaterial zurechtlegte, das ihm gestattete, jede gewünschte Tonbeziehung herzustellen. Natürlich hat Webern diesen Akkord nicht mechanisch voraus­ gesetzt, sondern durchaus der jeweiligen kompositorischen Situa­ tion angepaßt. Besonders bedeutsam ist dabei, daß der Ton f des Grundklanges vielfach die Neigung zeigt, sich in fis zu ver­ wandeln, eine Neigung, der Webern nicht nur im Schlußklang nachgibt, sondern bereits beim Höhepunkt des Liedes im 3. Takt. Hier bringt die Melodie der Singstimme die Töne des Grund­ klanges eine kleine Sekund aufwärts transponiert: g”— c” — as’— f’— h. Die Melodiebildung wird bei Webern aber meist nur indirekt von einem derartigen Klangzentrum bestimmt: Vielfach folgt sie eigenen Gesetzen, deren Konsequenzen in gewisser Weise sogar zum Klangzentrum kontrastieren. Dennoch besteht selbst­ verständlich eine Beziehung zwischen klanglicher und melo­ discher Konstruktion. Da das Klangzentrum bei Webern ge­ wöhnlich ein recht komplizierter Klang ist, kann es als Grund­ lage für eine sehr differenzierte chromatische Melodik dienen. 37 Die Melodik hat dabei sogar die Tendenz sich nach bestimmten Prinzipien der alten M odalität zu richten. Bemerken, wir zu­ nächst die Tendenz, Anfangs- und Schlußton auf die gleiche Stufe zu setzen, ferner die Neigung, den umgrenzten Tonraum — wenigstens am Anfang eines Gesanges — mit all seinen diromanschen Stufen auszufüllen. Alles dies trifft in den ersten vier Takten des Liedes „So ich traurig bin, weiß idh nur ein D ing“ op. 4,4 zusammen: Klangzentrum in der Begleitung, chroma­ tische Ausfüllung des Ton.raum.es der Singstimme (cf—gis’), Identität von Anfangs- und Schlußton der Phrase. Sehr fließend und zart {«!•««> m'i t) i PP So ich trau-rig bm = = — weiß ich nur ein --------—-Pp' w v Ding; pp ( B e i s p i e l 3. A n to n W ebern: .Lied nach einem G edicht von Stefan G eorge op. 4, N r. 4, 'Takt 1— i Aber nicht nur sdhlidhte Identität von Anfangs- und Schlußton, sondern auch Bauprinzipien nach Analogie der tonalen Sätze und Perioden treten hier in Erscheinung. Dies können w ir eben­ falls an unserem Beispiel studieren. H ier fördern die außer­ ordentlichen formalen Q ualitäten der Georgesdien Lyrik die musikalische Formbildung. Freilich sind bisweilen (vor allem in op. 3,5) noch Reste der alten Tonalität spürbar: so lassen sich dommantische Beziehungen und Oktavierungen nachweisen und — was noch bedeutsamer ist — Leittonbeziehungen, die jetzt allerdings nicht mehr an die Kadenzformeln gebunden sind. Eine ähnlich gelungene konstruktive Abrundung eines Viertak­ ters finden wir in dem Lied „Ihr tratet zu dem H erde“ op. 4,5. H ier ist aber das Streben nach tonaler Abrundung durch iden­ tische Ecktöne zurückgetreten hinter das Verfahren, die diroma38 tischen Nebentöne, die eigentlich als V orhalte zu denken sind, nicht mehr „aufzulösen“. Charakteristisch für den Tonsatz in den frühen Liedern Webems ist außer den bereits genannten Momenten vor allem das aus der klassischen Instrumentalmusik wohlbekannte Verfahren der durchbrochenen thematischen Ar­ beit. Sie findet sich in einer größeren Anzahl dieser Lieder, be­ reichert durch kontrapunktische Techniken (besonders in op. 3,1 und 3,2). Dabei gelingen Webern gleich Musterstöcke differen­ zierter Form, wie etwa op. 3,1, „Dies ist ein Lied für didi allein“. H ier hat die Singstimme eine Melodie, die sich auf das Schema ab(b)ccba reduzieren läßt. Es versteht sich bei dem damaligen Stand fortgeschrittenen Komponierens von selbst, daß es keine genauen Wiederholungen und Reprisen gibt, son­ dern stets nur Varianten. In dem bereits genannten Lied op. 3,4 ist die thematische Arbeit mit der Technik des Klangzentrums besonders wirkungsvoll kombiniert. Die drei eben genannten Momente, die Technik des Klangzen­ trums, stufenreiche Chromatik und entwickelte thematische Ar­ beit, führen unm ittelbar an die Schwelle der Zwölftontechnik. Alban Bergs „Fünf Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg“ o p .4 (1911— 1912) sind in dieser H in­ sicht tatsächlich ein Schlüsselwerk. Das zweite Lied Sahst du nach dem G ewitterregen den Wald?!?! Alles rastet, b lin k t und ist schöner als z u v o r ,------Siehe, Fraue, au dl du brauchst G ew itterregen! — zeigt eine repräsentative Auswahl der für die Musik jener Zeit charakteristischen melodischen Figuren. w en ig b e w eg tf- Sahst du nach dem Ge-wit - ter-re-gen den Waid?!?! B e i s p i e l 6. A lban B erg: O rchesterlied nach einem T ex t von Peter A lten b erg op. 4, N r. 2, Singstim m e T ak t 1— 3 Als Anfangsmotiv » a « dient ein Dreitongebilde, das kleine und große Terz, sowie die kleine Sekund umschreibt, also in geeig­ neter Konstellation nicht nur das D ur- und Mollgeschlecht re­ 39 präsentieren kann, sondern auch Dur-Moll-Mischtmg und (um­ gekehrt) eine Terz mit D ur- und M ollgrundton im Sekundabstand. Das M otiv » b « macht die chromatischen Nebentöne ver­ fügbar, » c « schließlich ist eine höchst bedeutsame Version des Quartenakkords — man findet Ihn schon bei Webern op, 3,4 T. 8 —, der aber auch durchaus in seiner Normalform, der ein­ fachen Quartenfolge, oder mit Hochalteration des letzten Mo­ tivtons erscheint. Das M otiv » a’« ist die transponierte Umkeh­ rung des ersten Motivs. Aus diesem motivischen Material, das noch bereichert wird durch einige konventionelle Mittel (diato­ nische Dreiklänge und ‘den verminderten Septakkord), Ist das ganze Lied leicht abzuleiten. Betrachten w ir alle diese Motive auf Ihre übergeordneten Ton­ beziehungen hin, so sehen wir, daß eigentlich erst der Gegensatz von Terz- und Quartbeziehung den K ontrast schafft, während die Sekund als neutrale Basis dient. Das traditionelle Verhältnis von Konsonanz und Dissonanz Ist also auch hier umgekehrt. Das Vorspiel zum ersten Lied beginnt mit einem in verschie­ dene Ostinatokomplexe aufgespaltenen Eifkiang ■ — als einziger Ton fehlt, soweit der Klavierauszug erkennen läßt, der Ton gis •—, dessen einzelne Bestandteile unabhängig voneinander transponiert werden. Das dritte Lied O ber die G renzen des Ali blicktest du sinnend hinaus; H attest nie Sorge um H o f und Haus! Leben und T raum vom L e b e n ----------- plötzlich ist alles a u s -----------O ber die G renzen des All blickst du noch sinnend h in a u s !----------- weist eine dem Text entsprechende dreiteilige Form auf. In sei­ ner Mischung von Poesie und Prosa (rhythmische Reimprosa) ist dieses Gedicht überaus charakteristisch iü r Altenberg. Gleich­ gültig, ob es nun bewußt konstruiert oder improvisiert Ist — wie so vieles bei diesem Dichter —, die Pentameter am An­ fang und Schluß wirken mindestens ebenso to n n bildend wie der Reim. Beide Rahmentelle haben jeweils als Begleitung zu der bis auf die Verkürzung der N otenw erte identischen, zunächst engräumig-diromatisehen, dann aber sogleich m die äußerste Höhe 40 und Tiefe ausgreifenden Melodie der Singstimme den gehal­ tenen und sich allmählich auflösenden, respektive den sidi kon­ stituierenden Zwölftonakkord. D er M ittelteil, ebenso wie der Text zweiteilig, ist streng deklamierend gehalten. Beide Motive der Singstimme in diesem M ittelteil sind aus der Melodie des ersten Teils abgeleitet. Die Technik des Klangzentrums ist hier auf andere Weise als bei Schönberg ins Extrem vorgetrieben, aber dam it zugleich auch einigermaßen aufgehoben. Aus dem Zw ölftonakkord kann gar nichts mehr folgen, da er, O ktav­ versetzungen einzelner Töne vorausgesetzt, jede beliebige Ton­ kombination zuläßt. Wenn aber alles in gleicher Weise sinnvoll ist, hat die Technik des Klangzentrums ihren eigentlichen Sinn verloren; denn das, was die Technik leisten soll, nämlich durch die Beschränkung des Materials Möglichkeiten zu eröffnen, wird hier gerade nicht mehr geleistet. Aus dem Zwölfklang resul­ tiert denn auch konsequenterweise überhaupt nichts. Alles was sich im M ittelteil musikalisch zuträgt, läßt sich leicht aus der Melodie des ersten Teils ableiten, die aber selbst doch nur eine der (unzähligen) Möglichkeiten der melodischen Ausgestaltung des Klangzentrums ist. Indem aber eine beliebige aus dem zwölflönigen Klangzentrum abgeleitete Tonfolge konstitutiv für die Melodik der Komposition w ird, ist eine entscheidende Vorstufe der Zwölftontechnik erreicht. Das fünfte Altenberglied — eine ausführliche Analyse bot Rene Leibowitz in The Musical Q uarterly 34, 1948, 487—505 — ist eine Passacaglia, m it der sich Berg wiederum von einer ganz anderen Seite der Reihentechnik nähert. Seit Schuberts „Doppel­ gänger“ findet m an in der Vokalmusik den Ostinato mehrfach wieder als Formprinzip. Schönberg h a t ihn im zehnten seiner George-Lieder „Das schöne Beet betracht’ ich m ir im H arren “ deutlich hervortreten lassen, während er ihn in der „Nacht“ des „Pierrot lunaire«9 mehr versteckte als präsentierte. Audi die Passacaglia Bergs ist sehr frei. Ih r Thema g—as—b—cis—e erscheint keineswegs in allen zehn Variationen, vielmehr tritt gleich in der ersten anstelle des Themas ein neuer musikalischer Gedanke hervor, der alle zwölf Töne der chromatischen Skala umfaßt, also auf einer Zwölftonreihe zu basieren scheint. Im weiteren Verlauf des Liedes Ist das Passacagliathema nur noch gelegentlich, etwa in der vierten Variation, deutlich hörbar. Das ganze Lied ist m it seinen 55 Takten die umfangreichste Komposition des ganzen Zyklus, und — trotz aller Kühnheit — die konventionellste. Zw ar ist das überlieferte Formsdhema, das schon Schubert zerbrach, nicht restauriert, sondern verwandelt, aber es bleibt die Tendenz zur formalen Geschlossenheit, die dann später im „Wozzeck“, in dem sieb, ja ebenfalls eine Passa­ caglia findet, triumphiert. Dennoch eröffnet diese Passacaglia eine ganz neue Perspektive: Berg läßt nämlich das Thema nicht nur als melodische Tonfolge, sondern auch als Akkord, als ge­ trübten verminderten Septakkord, in Erscheinung treten. Damit sind die motivische Arbeit und die Technik des Klangzentrums auf der Grundlage eines alten technischen Konstruktionsprin­ zips, eben der Passacaglia, miteinander verschmolzen. Noch sind freilich nicht alle melodischen Gestalten, etwa die Zwölftonfolge des Anfangs, aus dem eigentlichen thematischen Kern abgelei­ tet, doch w ird deutlich sichtbar, was Berg anstrebte: die musi­ kalisch auffaßbare Verwandlung einer Melodie In einen Akkord, ganz ähnlich dem Verfahren Debussys In dem Klavierstück „Pagodes“. Dabei kann es aber dennoch kaum zweifelhaft sein, daß für Berg der A kkord das Prim äre war. * Ä Das grundsätzliche Zurücktreten der einfachen Tonbeziehungen hinter die komplizierteren ist vielleicht überhaupt das allge­ meinste Kennzeichen der Neuen Musik. Die konsequente An­ erkennung dieses Sachverhalts hat die Zwölftontechnlk entste­ hen lassen, von der heute noch immer gelegentlich behauptet wird, sie diene der Vorherbestimmung der Tonhöhen. Nichts ist irreführender und von der Hauptsache ablenkender als diese vielfach gedankenlos nacherzählte Phrase. Die Tonhöhen wer­ den durch die jeweils einer Komposition zugrunde liegenden Reihen eben gerade nicht geregelt, sondern ausschließlich Ton­ beziehungen. So läßt sich schon allein aus den von den ein­ zelnen Komponisten gewählten Reihen vieles über die Eigenart des jeweiligen Komponisten ablesen. Betrachtet man die Reihen Schönbergs, so wird man feststellen, daß alle möglichen Intervalle auftreten, vielleicht mit einer ge­ 42 wissen Bevorzugung der Sekunden, der Septimen und des Tritonus; dieser tritt z.B. in der Reihe der Klaviersuite o p .25 und der des 3. Streichquartetts op. 30 zweimal an wichtiger Steile, in der des Violinkonzerts op. 36 sogar dreimal auf, fehlt dafür aber in der Reihe des Walzers op. 23,5, Schönbergs erster Zwölf tonkomposition, und der des 4. Streichquartetts op. 37. Aller­ dings gibt es auch Reihen, In denen konsonante Tonbeziehungen im Vordergrund stehen. Das Klavierstück op. 33 a (1929) be­ ruht auf der Reihe b—f—c—h—a—fis—cis— dis—g—as—d—e. Diese Reihenanlage mit drei Q uinten (b—f, f—c und fis—cis) erleichtert es Schönberg, durch die Konfrontierung der Quintbeziehung mit entfernteren ergreifende Wirkungen zu erzielen. Das Verhältnis zwischen den einfachen und den komplizierten Beziehungen h at sidx aber, wie bereits angedeutet, gegenüber der traditionellen Musik gerade umgekehrt; die entfernteren (komplizierteren) Beziehungen sind übergeordnet und erschei­ nen als das Normale, die einfachen dienen als Reizmittel. In T. 14/15 des genannten Stücks, dem Anfang eines fünftaktigen Satzes, ist eine geradezu erlösende W irkung der Quinten zu be­ merken: b '—es—As— (es—As—)des’ und von hier ab nach d, wo sich der Zielton dieser Melodie mit dem durchgehaltenen bs vereinigt. Die H aupttöne der Begleitung, c’ und P, geben ihren musikalischen Sinn erst später zu erkennen. Die Parallelstelle T. 21/22, lil der die Quinten durch andere Intervalle ersetzt sind, zum Teil durch Septimen, mündet in den reinen Quintklang, nicht den leeren, meist läppisch klingenden Q uint-O ktavklang, sondern in einen Ausschnitt aus dem Quintenzirkel: des— as—es’—b’—f”—c’” . Klanglich derart ausgewogene Stellen fin­ det man in allen W erken Schönbergs, etwa dem 3. Q uartett (4. Satz T. 129 ff.) oder dem Violinkonzert (T. 24 ff.), wo ihnen allemal eine bedeutende Funktion für die Gesamtform zu­ kommt. Keine der angeführten Stellen enthält aber irgendwo einen reinen Dreiklang: er wurde von Schönberg bewußt ver­ mieden (aber auch hier bestätigt eine Ausnahme die Regel). In seinen frühen Zwölftonkompositlonen bemüht sich Schönberg, deutliche tonale Schwerpunkte und kadenzähnliche Formeln zu umgehen, selbst wenn diese durch die Reihe nahegelegt wurden. 43 Ein überaus instruktives Beispiel bietet dafür die Gavotte aus der Klaviersuite op. 25, T .4/5, Die Reihe der Suite e—f—g—des—-ges—es—as—d'—li—c—a—b, die meist in drei Viertongruppen aufgeteilt w ird und außer in der Grundgestalt und Umkehrung, der krebsgängigen Gestalt und dem Krebs der Umkehrung nur noch in den dazugehörigen Tritonustranspositionen erscheint, zeigt, wie gesagt, Tritoni an entscheidenden Stellen, der denn ja auch als „halbe O k tav “ sehr geeignet ist, die Stelle einzunehmen, die früher der Q uint zu­ kam. T räte nun an entscheidender Stelle eine Konsonanz auf, so würde sie das ganze künstliche Gebäude einstürzen lassen. Eine derartige Klippe kann nun Schönberg in den genannten Takten der G avotte nur dadurch umschiffen, daß er den Reihen­ zwang durchbricht. n s te 5 r ^ — j— j—~t— ___ -----= * / B e i s p i e l 7. Arnold Schönberg: Suite fü r K lavier op. 25, 2, Satz, G avotte, T a k t 4— 5 Die ganze Stelle basiert auf der Tritonustransposition der Grundgestalt der Reihe (b—h—cis—g / c—a—d—as / f—ges— es'—e). Aus der ersten Viertongmppe der Reihe ist die Ober­ stimme, aus der zweiten die Unterstimme und aus der dritten die Mittelstimme der Akkorde abgeleitet, so daß jeweils die Schlußtöne aller Relhenauschnltte übrigbleiben. Die folgenden drei Töne lassen leicht erkennen, welche Töne zu welchen Stim­ men gehören: der erste zur mittleren, der zweite zur oberen und der dritte zur unteren. Das ergäbe als Abschluß des ersten Viertakters der G avotte eine (durch zwei O ktaven getrennte) kleine Terz. Indem Schönberg regelwidrig den vorletzten Ton von g’ zu ges5 tiefalteriert, verhindert er die Schlußterz, die hier fraglos als Kadenzformel wirken müßte. * * * Die Ausschließung der konsonanten Akkorde kann ich nicht mit einem einzigen physikalischen G rund rechtfertigen, aber mit einem w e it ent­ scheidenderen künstlerischen. Es Ist das nämlich eine Frage der öko­ 44 nomie. N adi meinem Formgefühl (uad idi bin unbescheiden genug, diesem bei meinem Komponieren das alleinige Verfügungsrecht ein­ zuräumen) w ürde die Anführung auch n u r eines tonalen Dreiklangs Konsequenzen nach sich ziehen und einen Raum in Anspruch nehmen, der innerhalb meiner Form nicht zur Verfügung steht. Ein tonaler Dreiklang erhebt Ansprüche auf das Folgende und, rückwirkend, auf alles Vorhergehende, und man -wird nicht verlangen können, daß ich alles Vorhergehende umstoße, weil eia unversehens passierter DreiMang in seine Rechte eingesetzt werden soll. D a irre ich midi lieber gleich gar nicht; so w eit ich das vermeiden kann. Jeder Ton h at die Tendenz, Grundton, jeder Dreiklang Grunddreiklang zu werden. Wollte ich aus dem Auftreten auch n ur diese eise Konsequenz ziehen, so könnte der Gedanke unversehentlich auf ein falsches Geleise ge­ schoben werden; wovor Formgefühl und Logik midi bis jetzt bewahrt haben. Gleich. bei meinen ersten Versuchen habe ich das gespürt und ia meiner Harm onielehre unter anderem damit begründet, daß die konsonanten Akkorde neben den vieltönigen leer and trocken wirkten. Ich halte es aber trotz meinem heutigen Standpunkt nicht für aus­ geschlossen, auch die konsonanten Akkorde mitzuverwenden: sobald man eine technische Möglichkeit gefunden hat, ihre formalen An­ sprüche entweder zu erfüllen oder zu paralysieren. (Arnold Sdiönberg, in: 25 Jahre Neue Musik, Jahrbuch der Universal-Editicn 1926, 28 f.) Alban Berg hat versucht, die formalen Ansprüche der konso­ nanten Akkorde zu erfüllen, Anton Webern sie zu paralysieren. Das beweisen schon ihre Reihen. Berg w ählt für die „Lyrische Suite für Streichquartett“ und die zweite Komposition des Ge­ dichts „Schließe mir die Augen beide“ von Theodor Storm die von Fritz Heinrich Klein ausfindig gemachte Allintervallreihe, d. h. eine Reihe, in der alle Intervalle von der kleinen Sekund bis zur großen Septime In einer Richtung auftreten; die Reihe des Violinkonzerts enthält In direkter Aufeinanderfolge je einen Dur- und einen M oll-Dreiklang sowie einen Ausschnitt aus der Ganztonskala; die ersten sieben Töne der Reihe der Konzertarie „Der Wein“ (nach Baudelaire-George) sind die vollständige har­ monische d-Moll-Skala. Im Violinkonzert w ar Berg geradezu gezwungen, die Zwölftontechnik mit den Forderungen der kon­ sonanten Akkorde zu versöhnen, da im letzten Teil des Werkes notengetreu ein vierstimmiger Kirchenliedsatz von Johann Sebastian Bach eingebaut und dann variiert ist. W ir betrachten ■45 hier eine kleinere Komposition, das bereits genannte Stornilied, das für uns den Vorteil hat, bis in alle Einzelheiten über­ schaubar zu sein. Dieses Lied ist Bergs erste Auseinandersetzung m it der Sdbönbergsdien Methode, mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen zu komponieren. Die unmittelbaren Modelle können demnach nur diejenigen Zwölftonkompositionen Schönbergs sein, die um diese Zeit bereits Vorlagen, also das »Sonett“ aus der „Serenade“ op. 24, der „W alzer“ aus den Klavierstücken op. 23 and die Klaviersuite. Der Gesangspart ist in Bergs Lied genauso behandelt wie der in Schönbergs „Sonett“, d.h. die Reihe läuft einfach mehrmals hintereinander ab. Von der Mög­ lichkeit der Transposition oder Umkehrung etc. w ird hier kein Gebrauch gemacht. Die Reihe selbst ist jene Allintervallreihe, die auch den strengeren Teilen der lyrischen Suite für Streichquartett als Grundlage d ien t10. Sie lautet: Die Anlage der Klavierbegleitung ist prinzipiell die des Sdiönbergschen Walzers. Die Reihe tritt auch hier geschlossen auf, wenn sie auch — analog dem Anfang des genannten Walzers — nicht mit dem ersten, sondern mit dem siebten Ton beginnt11. Doch erlaubt sich Berg hier schon verschiedene Freiheiten, z.B. macht er von der Lizenz der Akkordwiederholung Gebrauch, indem er die Regeln des Orgelpunkts und der Tonwiederholung nach dem 'Vorbild des 3. und 4. Satzes der Schönbergschen K la­ viersuite ausdehnt (T. 3/4). In T akt 6 ff. erscheint auch die Krebs­ gestalt, T ,11 ft. die Transposition um eine kleine Terz nach oben. Die folgenden vier Takte sind als „M ittelteil“ freier ge­ staltet. Audi In diesem Lied sehen w ir also die Tendenz, strenge und Ireie Teile zu verbinden, wie dies dann später auch in der lyri­ schen. Suite der Fall ist. Die Kiangtolge g/ais-—cis—fis (es handelt sich um einen Durdreiklang mit vorausgehendem obe­ ren chromatischen Nebenton des Grundtons) ist, wie man sie auch auflösen will, m der Reihe und Ihren Nebenformen nicht vorhanden. D er dritte Teil des Liedes — das sind die letzten fünf Takte — ist prinzipiell nach inert wie der erste, nur mit noch realisiert sich in langen Liegetön« 46 Wandlung von Melodie in Akkord. Als Beispiel mag Mer eia Ausschnitt (T. 9— 12) dienen, die Übergangsstelle vom ersten in den zweiten Teil. B e i s p i e l 8. A lban B erg: „Schließe m ir die Ä ugen beide“ nach einem G edicht v o n T h e o d o r S torni (2. K om ­ position), T ak t 9— 13 In der Singstimme erscheinen in dem Beispiel von den Reihen­ tönen der 4.— 12. und darauffolgend der l.T o n . Im untersten System sehen w ir nach dem 12. Ton den Ablauf der ganzen Reihe, deren sieben letzte Töne als A kkord liegenbleiben; in der Oberstimme folgen die: Töne 9-—12 und anschließend die Töne 1—3 der Grandgestalt. Die Töne 4 und 5 werden vom unteren System übernommen; dann folgt die Oktavversetzung 47 des Fünfklanges, der zusammen mit den liegenden Tönen den Zwölf klang ergibt. — N un beginnt der M ittelteil; Im. oberen System der Begleitung sehen w ir die Terztransposition der Um­ kehrung (Töne N r, 8— 12 und 1 und 2), in der Unterstimme jenen bereits oben erwähnten, nicht aus der Reihe ableitbaren Akkord. W ir können also feststellen, daß dieses Werfe technisch dem „W alzer“ und dem „Sonett“ Schönbergs nahesteht, aber in ge­ wissen technischen Details wie Transposition, Krebs und er­ weiteren Orgelpunktwirkungen durchaus schon die Errungen­ schaften der Schönbergschen Klaviersuite verwertet. Rein tech­ nisch gesehen äußert sich in der Verwendung einer Allinter­ vallreihe das Bergsehe Streben nach möglichster Freiheit im Sy­ stem: er will über alle Intervalle verfügen und stets die Mög­ lichkeit zu konsonanter Dreiklangsbildung haben. Dies führt ihn schon in diesem Lied zu der, nadi dem damaligen Stand der Theorie unzulässigen Verwendung von Reihenfragmenten, die w ir z.B. in unserem Beispiel in der Oberstimme der Beglei­ tung vor dem E intritt des 'Zwölfklanges feststellen können. Freilich ließen sich die Töne f—e—c ebenso wie g—a auch als Orgelpunkt interpretieren. Viel wichtiger als die Entscheidung dieser Frage scheint aber die Erkenntnis der Tatsache, daß Berg durch solche Verfahrensweise tiefsinnige K ritik am System übt. Später hat er es dann unter der H and umgestaltet, indem er das Konsonanzverbot umging. Ja, selbst ein Vergleich der von Berg verwendeten Reihe m it den frühen Schönbergschen Reihen läßt den Unterschied erkennen. Aus keiner der Schönbergschen Reihen läßt sich, wie w ir sahen, unmittelbar eine konsonante Dreiklangsfoige ableiten, während in der Bergsdien sowohl der a-Moll- als auch der es-Moli-Dreiklang enthalten ist. Bei der Umkehrung der Reihe ergibt dies dann C-D ur und Ges-Dur, in der ausschließlich verwendeten Terztransposition demnach A -Dur und Es-Dur. Daraus ist denn auch zu ersehen, warum Berg gerade diese Transposition wählte und nicht die einfache Umkehrung: nur auf diese Weise sind ihm nämlich D ur und Molidreiklang auf derselben Stufe ver­ fügbar. Daraus dürfen wir schließen, daß Berg es wesentlich auf diese Dreiklänge abstelite. Die Bemerkungen über die Dreiteiligkeit des Liedes bezogen sich ausschließlich auf die reihenmäßige Konstruktion. Vom rein musikalischen Standpunkt aus betrachtet ist das Lied natür­ lich dem Gedicht entsprechend zweiteilig. Beide Abschnitte von je 10 Takten münden in den Zwölf klang; das Ende des ersten Ist in unserem Beispiel enthalten. In der Widmung dieser beiden Storm-LIeder spricht Berg von „dem ungeheuren Weg, den die Musik von. der tonalen Kompo­ sition zu der ,mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen', vom C-Dur-Drelklang zum M utterakkord zurückgelegt h a t“. T at­ sächlich steht die erste Komposition dieses Stormsdien Gedichts in C-Dur, und der M utterakkord ist nichts anderes als der Zwölftonakkord, der alle 11 Intervalle um faßt und dessen horizontale Anordnung die Allintervallreihe, die oben mitge­ teilt wurde, ergibt. Aus dem Text des Bergschen Schreibens scheint hervorzugehen, daß tatsächlich dieser „M utterakkord“ und nicht die Allintervallreihe Ausgangspunkt der Kompo­ sition war. Genauer: Der Singstimme liegt die Reihe, dem K la­ vierpart der M utterakkord zugrunde. Aber an den komposito­ risch entscheidenden Stellen pausiert ja die Singstimme und der Zwölfklang beherrscht das Feld. Bei der Besprechung des 3. Altenbergliedes w urde zu zeigen versucht, daß tatsächlich der Zwölfklang der eigentliche Ausgangspunkt für die Kompo­ sition des Liedes w ar; auch in dem Storm-Lied ist, ganz Im Sinne jener früheren Werke, der Zwölfklang („M utterakkord“) das „Klangzentrum“. Dam it erklären sich auch alle Freiheiten der Tonfolge In der Klavierbegleitung (Takt 11 ff.), da ja, setzt man die Technik des Klangzentrums als konstitutiv voraus, die melodische Folge der Töne durchaus sekundär ist. D aß Berg sich dennoch in den Außentellen an die Folge der Allintervall­ reihe hält, ist eine zusätzliche, freiwillige Beschränkung, analog (nicht identisch!) der motivischen K onstruktion der Singstimme im Altenberg-Lied. Das ganze Ist also ein Versuch, die vor­ wiegend harmonisch orientierte Technik des Klangzentrams mit der vorwiegend „linearen“ der Dodekaphonie zu verschmelzen. Aber es scheint, daß die Technik des Klangzentrums im StormLied nicht ausschließlich auf dem M utterakkord basiert, sondern ganz allgemein auf dem Zwölfklang. In unserem Beispiel sahen w ir den ersten Zwölfklang, er ist tatsächlich der (umgekehrte) M utterakkord. D er zweite Zwölfklang, der Sdilußakkord des Liedes, ist aber anders konstruiert: E r enthält nur zehn verschie­ dene Intervalle; die Q uarte ist zweimal vorhanden, dafür fehlt die große Sekund. Es handelt sich also um eine einigermaßen freie Umkehrung des M utterakkords12. Anton Webern versuchte, ganz im Gegensatz zu Berg, die An­ sprüche der Konsonanzen zu paralysieren. D ie Reißen seiner Spätwerke vermeiden grundsätzlich die reine Q uint und Q uart und manche, z.B. die des Chorwerks „Das Augenlicht“ op. 26, die des Streichquartetts op. 28 und der Orcaestervariationen op. 30 auch den Tritonus. In seinen ersten „großen*, der Zwölftontedinik folgenden Instrum entalwerken, hat Webern Dreiklänge durchaus vermeiden wollen und durch die lebhafte Veränderung des musikalischen Prozesses auch die auftretenden Terzen, Quinten und Q uarten so eingebaut, daß sie nicht be­ sonders auffallen. W er etw a den Anfang des Streichtrios op. 20 genau analysiert, w ird zw ar Terzen und Q uarten finden, aber so eingeführt und aufgelöst wie in den Zeiten strengster Dissonanz­ behandlung die ärgsten Mißklänge, In diesem Streichtrio ist der Klang derartig aufgesplittert, sei es durch große Intervalle, Pizzicati und Flageolets, sei es durch eine ganz neuartige A rtiku­ lation, daß die Konsonanzen kaum als solche wahrgenommen werden. In der Symphonie op. 21 liegen etwas andere V erhält­ nisse vor; es ist nicht mehr ganz jener zerstäubte Klang des Trios, sondern ein ruhig fließender Tonsatz, der veränderte Be­ dingungen für die Aufnahm e der einzelnen Tonbeziehungen schafft. In diesem W erk kann man den seltenen Fall eines zw ar auffälligen, aber doch keineswegs falsch klingenden Dreiklangs studieren. In einem Tonsatz, in dem durchweg Sekunden und Septimen nebst ihren O ktaverweiterungen vorherrschen, der aber immer­ hin wirkungsvoll durch gelegentlich kurz auftretende Terzen „Farbe“ erhält, erscheint in T akt 50 des 1, Satzes, also ziemlich gegen Schluß, die Terz c—es, die in diesem Zusammenhang nicht unbedingt als c-Moll gehört w ird; dazu tritt im folgenden T akt ein e, so daß ein Dur-Moll-Mischklang entsteht. Dieser freilich erklingt nur kurz, denn der A kkord wird schnell in einen Sekundklang (cis— d—e) aufgelöst, aber schon gegen Ende 50 f V io illk , f J B eispiel 9. Anton Webern: Symphonie op. 21, 1. Satz, Takt 50—56 des Taktes 52 hört man den Klang d—dis—fis (dis = es), der im folgenden T akt in den reinen h-M oll-Dreiklang übergeht, dann aber wiederum in einen Sekundklang (cis— d) aufgelöst wird. Aus dem Klang des Taktes 54 (c—es—e; es = dis) entwickelt sich in T akt 55 zunächst die Terz c—e, um dann kurz den ganzen CD ur-Dreiklang folgen zu lassen, der aber sogleich in einen vermin­ derten Dreiklang (cis— e—g) aufgelöst w ird. Indessen erkennt man doch an der folgenden Oberleitung (Violine, Baßklari­ nette), daß auch hier wiederum Q uarten eine erhebliche Rolle spielen. Es bestätigt sich also das. was man bei ähnlichen Stellen in Schönbergs W erk feststellen kann, etwa dem Beginn des Adagiosatzes aus dem 3. Q uartett: daß die G rundtöne der nebeneinander stehenden konsonanten Klänge nur sehr ent­ fernt miteinander verw andt sind. Meist stehen sie in Tritonusoder Halbtonbeziehung. Auflösung der Konsonanzen (Quinten, Q uarten, Sexten, Ter­ zen und Dreiklänge) in Dissonanzen und entfernte Beziehungen der G randtöne konsonanter Tongruppen sind also die beiden Mittel, die Ansprüche eben der konsonierenden Klänge zu para­ lysieren. 51 ln seinem späten Streichquartett hat Webern das zweite Mittel allein angewandt; B e i s p i e l 10. A n to n W ebern: Streichquartett op. 28» 1. Satz, T ak t 1— 15 Die ersten 15 Takte des Q uartetts weisen an Zusammenklängen vornehmlich Terzen und Sexten — die enharmonische Verwechs­ lung zahlreicher Töne, die in diesem Zusammenhang wohl er­ laubt ist, vorausgesetzt— und zweimal eine Dissonanz auf, näm­ lich die große Septime h—b im 4. und 11. Takt. W ährend in fast allen Fortschreitungen der Grundtöne, denen man manche Einzel­ teile gleichsetzen muß, die entfernteren Beziehungen überwiegen (am Anfang g—fis/a—as), gehen den Dissonanzen wie immer auch verschleierte kadenzartige Bildungen voraus, in denen die Quintverwandtschaft oder eiae betonte Terz Verwandtschaft, die in der Reihe nicht vorgesehen ist, dominiert. Die zweite Septime (T. 11) fängt die Stufenfolge ges—as—des ( = fis—gis—cis), also die einfachste Kadenzformel auf, die erste den fast über­ deutlichen Terzschritt des—b, dem noch die Oberquinte voran­ ging (as), und ermöglicht so, daß der Tonsatz überhaupt weiter­ gehen kann. Diese Technik des Tonsatzes hat sich also gegenüber der Symphonie dahingehend modifiziert; daß nicht m ehr der kon­ sonante Klang, sofern er überhaupt auftritt, an sich auflösungs­ bedürftig ist (d.h. in eine Dissonanz verwandelt wird), sondern nur noch konsonante Grundtonverhältnisse. Ein weiterer Un­ terschied ist der, daß im Q uartett die Konsonanzen im Zusam­ menklang, wenigstens soweit es sich um Zweiklänge handelt, vorherrschen. In den überwiegend dreistimmigen Akkorden, insbesondere in der Coda (Takt 96 ff.), ist die Dissonanz wieder in ihre Rechte eingesetzt. Betrachtet man also den ganzen Satz, so w ird doch, der weitgehend konsonierende Anfang in den dissonanten Schluß aufgelöst13. Obwohl hier keine Zwölftonanalyse des Q uartetts von Webern gegeben werden soll, kann auf die Mitteilung der Reihe nebst ihrer Gliederung, wie sie als erster Rene Leibowitz erkannte, nicht verzichtet werden. %> y ” i i r:: .... ~ ; A__________ ______ «=Umkehrung von A B r. .. r = A (transponiert) ; Krebs der Umkehrung von B B e i s p i e l 11. Reihe des Streichquartetts o p . 28, v o n A n to n W ebern Eine Analyse des ersten Satzes dieses Q uartetts bot H erbert Eimert (Die Reihe 2, 1955, 97— 102), deren bedeutsamster Teil die Statistik der sukzessiven, durch Motive begrenzten Inter­ valle ist. Diese Statistik zeigt das Überwiegen der kleinen Nonen und großen Septimen und das vollständige Fehlen von Quinten, Quarten, Tritoni, aber auch von großen Sekunden und kleinen Septimen. Leider hat Eimert die simultan erklingenden Intervalle gar nicht berücksichtigt und vor allem das seltsame 'Vorherrschen der Terzen, Sexten und Dezimen (im Zusammen­ klang) überhaupt nicht erwähnt. Wie mir scheint, besteht zwi­ schen der Melodik und der „H arm onik“ •— wenn man diesen Ausdruck hier gestatten will — ein nicht zu überhörender Widersprach. Die klangliche Erscheinung ist einigermaßen sinn­ fällig, wie übrigens auch die Rhythm ik; — die Melodik da­ gegen, die unm ittelbar aus der Reihe abgeleitet ist, und die in­ strumentale Disposition (Instrum entation) sind allerdings sehr kompliziert, Überdies macht die einigermaßen festgehalteneTonhöhenordnung, die der Reihenabfolge hinzugefügt w ird, den Eindruck des Mechanischen, der auch durch die rhythmisch- me­ trische Verschiebung und Verkürzung, die in gewisser Weise an Strawinsky erinnert, nicht verdeckt werden kann. Das kompo­ sitorische Verfahren macht hier, wie übrigens Theodor W. Adorno bereits verschiedentlich feststeilte, einen etwas starren und leblosen Eindruck. Vielleicht sind es gerade diese Sachver­ halte, die jüngst Strawinsky nach fast vierzigjährigem Igno­ rieren zu einem Verehrer Weberns werden ließen. Auf jeden Fall, erscheint hier die außerordentliche klangliche Differenzie­ rung, das beste an Weberns Kunst, wie eingefroren, V Eine der größten musikalischen Errungenschaften der Neuzeit, genauer des 18, und 19. Jahrhunderts, w ar die Ausbildung einer von außermusikalischen Beziehungen unabhängigen Formenwelt, die es ermöglichte, musikalische Kunstwerke zu schaffen, die, in sich sinnvoll gegliedert, eine zeitliche Ausdehnung erreichen, wie sie früheren Zeiten ganz unbekannt war. Zu einem Sym­ phoniesatz Beethovens, Bruckners oder Mahlers gibt es ia der älteren Musik kein Gegenstück. Schon seit dem Beginn des 18, Jahrhunderts ging die allgemeine Entwicklung der Tonsprache auf Formerweiterang aus, und wer sich etwa der W andlung der K onzertform bei Bach gegenüber Vivaldi erinnert, mag ermessen, welcher kompositorischen Anstrengungen es bedurfte, um grö­ ßere musikalische Formen vollständ:~ J— hzuartikulieren. Die Basis aller musikalischen Formen < zeit: ist die harmo­ nische Konstruktion. Alle Formen, ie wirklich relevant sind, verfügen über ein harmonisches (modulatorisdhes) Schema, das dann mit thematischem M aterial erfüllt wird. Das Thema­ tische (oder Motivische) bezeichnet, wie schon August H alm er­ kannte, das Spezifische des einzelnen Werks, während das H a r­ monische das Allgemeine, Gattungsmäßige repräsentiert.. Zwar kennt auch die H arm onik spezifische, nur bestimmten Werken 54 zugehörige Details, aber der harmonische Plan weist grundsätz­ lich über das einzelne Werk hinaus. Ebenso können natürlich auch verschiedene Werke über teilweise identisches oder ähn­ liches thematisches M aterial verfügen, ohne daß dies den spe­ ziellen C harakter des Thematischen berührte; denn, mögen auch die Themen verschiedener Werke miteinander verw andt sein, so ist das Thematische als Gesamtheit, also auch die Verarbeiung, Durchführung und Kombination der Themen und Motive, in zv/ei Werken niemals identisch. Eines der wichtigsten Probleme der Neuen Musik besteht nun darin, auch ohne formtragende H arm onik zu vernünftiger formaler Gestaltung zu gelangen. Es ist bekannt, daß, nach­ dem das 18. Jahrhundert die wichtigsten Formen ausgebildet hatte, im. 19. die H arm onik immer weniger geeignet er­ schien, die sich ständig erweiternden Formen zu tragen. Ge­ rade bei den entscheidenden Komponisten verstärkte sich die schon bei Beethoven bemerkbare Neigung zu immer größerer thematischer Dichte, eine Entwicklung, die in einigen der frühen Werke Schönbergs, etwa dem 1. Streichquartett in d-MolI op. 7 und der 1, Kammersymphonie in E-D ur op. 9, ihren Höhepunkt erreichte. Ais Sdiönberg die aite Tonalität aufgab, bot sich ihm die Mög­ lichkeit, entweder auf die thematischen Verarbeitungstedbniken, die sich ja schließlich im Bereich der traditionellen, harmonisch fundierten Formen-weit entwickelt hatten, zu verzichten oder sie beizubehalten. D er Verzicht, den er zunächst wählte, hatte ein radikales Einschmmpfen der Form zu Folge, es sei denn, daß im Bereich: der Vokalmusik die literarische Vorlage die Möglichkeit des Zusammenhalts bot. Später ist Sdiönberg wie­ der zur konsequenten thematischen Konstruktion zurückgekehrt, ja, das von ihm entwickelte V erfahren einer „Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ stellt direkt eine Ver­ absolutierung der thematischen Beziehungen dar. D er Zwang, jede N ote thematisch zu legitimieren, w ar der eigentliche Motor zur Entwicklung der Reihentedmik. Es darf aber nicht über­ sehen werden, daß diese Entwicklung den Begriff des Thema­ tischen unerhört erweiterte, denn die Reihe selbst ist nichts eigentlich Thematisches mehr, sondern allenfalls seine Basis. Die Rechentechnik an sich erzwingt keine thematische Arbeit mehr, obwohl sie historisch aus Ihr abgeleitet werden muß, ja, sie ist sogar vollständig unabhängig von Ihr. Sie Ist zu der Grundlage geworden, auf der sich die eigentliche, musikalisch relevante thematische Arbeit erst zuträgt. Darüber hinaus ist die Form einer Reihenkomposition von der Reihe grundsätzlich unab­ hängig. Die Rechentechnik selbst Ist nichts weiter ais eine H and­ habe zur vollständigen Erschließung des verfügbaren chroma­ tischen Tonvorrats und eine Festlegung der wichtigsten für das einzelne W erk konstitutiven Tonbezlehungen ohne feste Bezie­ hung auf einen Zentralton. Wie es scheint, hat sich Schönberg über die mögliche konstruktive Bedeutung des Zwölftonverfahrens getäuscht. Er neigte dazu, die historische Ableitung mit der Sache selbst gleichzusetzen. Schon 1925 schrieb er: „Von allem Anfang an w ar ich mir H a r darüber, daß für den Entfall der tonalen Gliederungsbeheife ein Ersatz gefunden werden muß, der ermöglicht, wieder größere Formen zu bauen. Denn da die Länge ein relativer Begriff, aber eine Dimension der Musik ist, da Musikstücke somit lang oder kurz sein können., kann der Aasweg der kurzen Stücke nur ein gelegentlicher sein. D avon ausgehend bin ich zur Komposition mit zw ölf Tönen gelangt.“ (Jahrbuch der Universal-Edition 1926, 29.) 1937 heißt es In dem bekannten Brief an den amerikanischen Musikschriftstelier Nicolas Sionimsky: „Der Methode, mit zwölf Tönen zu komponieren, gingen viele Vorversuche voraus. D er erste im Dezember 1914 oder Anfang 1915, als Ich die Skizze zu einer Symphonie en tw a rf. Das Scherzo dieser Sym­ phonie basiert auf einem Thema von zw ölf Tönen. Es w ar aber nur eines der Themen. Ich war noch weit von der Idee entfernt, ein solches G rundthem a für ein ganzes W erk als zusammenhanggebendes M ittel zu verwenden. Seither w ar ich bestrebt, die Struktur meiner Musik bew ußt auf einen einheitlichen Gedanken zu stellen, der nicht nur alle ändern Gedanken enthält, sondern auch ihre Begleitung, ihre Akkorde. Es waren viele Versuche nötig, das auszuführen, aber nur sehr wenige w urden veröffentlicht. Dabei wurde mir plötzlich der w ahre Sinn meines Bestrebens bewußt: Einheit und O rdnung w aren es, die midi unbewußt diesen Weg geführt hatten . . .“ (Zitiert nach Rufer 26.) Aus diesen Dokumenten geht aber nur hervor, wie und warum die Zw ölftontedm ik entstand, nicht aber, was sie tatsächlich 56 leistet. Vielleicht meint Sdiönberg» die Zwölftontedinik ermög­ liche an sich, die Gestaltung größerer Formen, vielleicht war er aber auch nicht willens, die Zwölftontedinik und die thematische Arbeit auseinanderzuhalten. Was von Schönberg und seinen Schülern bewiesen wird, ist jedenfalls nicht mehr, als daß die Zwölftontedinik zusammen m it strenger motivischer Arbeit größere Formen zuläßt. Dennoch müssen w ir die beiden Aspekte der Sache möglichst auseinanderhalten. Die Form der großen Werke Schönbergs wird nicht durch die Zwölftontedinik, son­ dern einzig durch die motivische A rbeit ermöglicht. Die Schwie­ rigkeit der Trennung beider Aspekte beruht auf der Tatsache, daß bei Schönberg die thematische Arbeit und die Zwölftonkonstruktion in einem nicht einfach zu bestimmenden Verhältnis zueinander stehen. Die Reihe soll, den programmatischen Äußerungen zufolge, die Tonalität ersetzen. Tonalität und Reihe sind aber grund­ sätzlich verschiedene Dinge. W ährend im Bereich der D urM oll-Tonalität die natürlichen, das Tonsystem konstituierenden Tonbeziehungen grundsätzlich den entfernteren übergeordnet sind, ferner sich im Lauf der Entwicklung ein kompliziertes Beziehungssystem ausgebildet hatte, das aber vom einzelnen W erk grundsätzlich unabhängig gedacht werden kann, ver­ sucht die Zwölftonreihe bestimmte Tonbeziehungen für eine bestimmte Komposition als konstitutiv vorauszusetzen. Es leuch­ tet ein, daß dies nur dann sinnvoll sein kann, wenn dadurch im Gegensatz zur gewohnten Beziehungshierarchie, etwas Neues ge­ stiftet wird, das in ein Spannungsverhältnis zu den für das Ton­ system konstitutiven Beziehungen tritt. Um dies deutlich in Ersdieinung treten zu lassen, bestand für die frühen Zwölftonkompositionen das Konsonanzverbot und ergab sich später die Notwendigkeit, die konsonanten K länge umzufunktionieren. Man kann vielleicht allgemein folgendes Verhältnis von Ton­ system und Dodekaphonie annehmen: Durch die jeweils einer Komposition zugrunde liegende Reihe w ird ein bestimmtes Span­ nungsverhältnis zwischen der unserem Tonsystem natürlichen Be­ ziehungshierarchie und der durch die Reihe formulierten Be­ ziehungsfolge hergestellt. Die Reihe ersetzt nicht die Tonalität, sie stiftet auch keine neue, sondern schafft eine neue Ordnung der 57 Tonbeziehungen. Diese ist aber nicht allgemeinverbindlich, son­ dern für jedes Werk, wenn auch bisweilen nur durch Nuancen, verschieden. Die Reihe selbst ist kaum mehr als ein abstraktes Schema, das als die Voraussetzung für die Themen und die thematische Arbeit angesehen werden darf. Die mannigfachen Möglichkeiten der Themenbildung aus der Reihe von einfachem Abspielen bis zur Tonauswahl (bei der die restlichen Töne der Begleitung zu­ fallen) zeigen, daß das eigentlich Thematische sowohl direkt als auch indirekt aus der Reihe abgeleitet werden kann. Denn wenn auch die Begleitung fast immer motivisch ausgearbeitet ist, so bleibt sie doch Begleitung, und es ist für das musikalische Auf­ fassen zunächst ganz gleichgültig, ob das eigentliche Thema und die Begleitung aus ein und derselben Reihengestalt abgeleitet oder ob zwei Reihengestalten m iteinander kombiniert sind. Wichtig ist zunächst die musikalische Bedeutung des einzelnen Motivs, nicht die Beziehung zur Reihe. Das zeigt dann auch die Formkonstruktion. Sie erhält ihren Sinn erst durch die thema­ tische Arbeit; diese wiederum ermöglicht es, durchaus verschie­ denartige Partien zu bilden, die jeweils die Funktion von Sätzen, Perioden oder auch von Überleitungsgruppen übernehmen kön­ nen. Mag sich auch in den rondoartigen Schlußsätzen des Bläserqaxntetts op. 26 und des 3. Streichquartetts op. 30 von Sdiön­ berg ein klassizistisches Moment finden, so darf man doch nicht vergessen, daß die Überleitungen, die sich, an die ersten H au p t­ sätze anschließen (op. 30/4, T. 13 fr.; o p .26/4. T. 11 ff.), den Ein­ tritt des ersten Couplets (op. 30, T. 18) oder eine Wiederholung des Hauptsatzes (op. 26, T. 18) musikalisch plausibel vorbereiten. Audi Steigerungen sind sehr wohl möglich. Man betrachte etwa die Schlußsteigerung in dem genannten Q uartettsatz ab T, 163, wo zunächst die Repetition des Hauptsatzes erscheint und dann in T. 171 die Einführung eines kontrastierenden Gedankens und dessen allmähliche Steigerung mit H ü te von Sequenzen erfolgt, bis schließlich auf dem H öhepunkt (T. 186) der allerdings variierte, jetzt endlich von seinem ursprünglichen, obligaten Akkompagnement befreite H auptsatz einsetzt. Theodor W. Adorno hat in seiner „Philosophie der Neuen M usik“ (I.A . 1949, 6 3 ff.) tiefsinnige K ritik an der Form­ 58 gestaltung der Schönbergsdhen Zwölftonkompositionen geübt, aber vielleicht doch die Bedeutung dieser Kompositionstechnik für das einzelne W erk überschätzt. So konnte er schreiben: »Jeder T od. ist durch, die Reih.enbezieb.ung thematisch erarbeitet und keiner ist ,frei‘ “ (65). W äre die Reihe lediglich eine Ton­ folge, so träfe dies fraglos zu. Sie ist aber nicht nur eine Folge von Tönen, sondern vor allem eine von Intervallen, eine einiger­ maßen festgelegte Folge von Tonbeziehungen. Gerade dieser Umstand ermöglicht es, daß die verschiedenen musikalischen Gebilde mehr oder weniger fest an die Reihe gebunden sind. Steilen w ir uns einen Reihenausschnitt g—fis—d-—c vor, so ist ein Motiv, das diese vier Töne hintereinander bringt, unm ittel­ bar ans der Reihe abgeleitet, während das M otiv g—c mit fis—d in der Begleitung relativ lose an die Reihe gebunden, also nur m ittelbar aus ihr abgeleitet ist, da es die in der Reihe selbst nicht hervortretende Quintbeziehung in den Vordergrund rückt. D aß Sdhönberg gerade durch solche Operationen wirklich Form schafft, zeigt die Analyse fast eines jeden Satzes. Kaum ist es ein Zufall, daß im Finale des 3. Quartetts, wenige Takte vor dem letzten H öhepunkt (T. 178 f.), Tritoni die Baßquinten verbinden, während unm ittelbar von dem Ende des Satzes (T. 202 f.) ein O rgelpunkt m it liegender Quint den Schluß vorbereitet. Durch solche Hervorhebungen nicht in der Reihe selbst angelegter Tonbeziehungen erhält Sdiönberg die Möglichkeit der For­ mung. Ein besonders instruktives Beispiel ist das Rondo­ thema des Bläserquintetts, das Sehönberg (Style 120) selbst analysierte. Seine schwierige Melodie w ird durch ein in Q uintsdiritten sich ergehendes Baßfundam ent zusammengehalten. Die Q uint ist zw ar in der ausschließlich aus Sekunden, Ter­ zen und Septimen gebildeten Reihe nicht vorgesehen, aber Sdiönberg gewinnt sie, indem er jeweils den ersten und siebten Reihenton m iteinander konfrontiert. Er erhält so, da der zweite Reihenabschniit die Quinttransposition des ersten ist. reguläre, aber dennoch nicht archaisierende „Quintschrittsequenzen“ ! D aß derartige, nicht direkt aus der Reihe abgeleitete Sachverhalte Bedeutung für die Form gewinnen können, ist eine Folge der thematischen Konstruktion. Der Satz Adornos, „Die T otalität der thematischen Arbeit in der Vorformung des Materials macht 59 jede sichtbare thematische Arbeit in der Komposition selbst zur Tautologie“ (I.e.) scheint m ir darum kaum die ganze W ahrheit zu treffen. Dieser Satz Adornos ist bereits in die Geschichte eingegangen. Die jüngsten Komponisten haben sich ihn ganz offensichtlich zu Herzen genommen. Sie komponieren wie Schönberg um 1910 und später Alois H äba athematisch, haben sich aber gleichzeitig auch wieder von der Zw ölftontedinik emanzipiert. Ihren pro­ grammatischen Äußerungen zufolge knüpfen diese Komponisten — w ir meinen hier Pierre Boulez, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen — bei Anton Webern an, aber es ist sicher, daß auch andere Komponisten, vor allem Debussy, O livier Messiaen und Edgar Varese einen bestimmenden Einfluß ausübten und wohl auch noch ausüben. Immerhin schufen diese Komponisten schon bedeutende, durch ganz neuartige Ausdruckscharaktere fesselnde Werke. Wollen w ir etwas über diese „neue“ Neue Musik — wie man sie gelegentlich genannt hat — ausmachen, so müssen w ir einige Werke genauer betrachten. Es kommen für uns aus praktischen Gründen vor allem Klavierwerke in Betracht, obwohl sie, wie es scheint, keineswegs das wirklich Relevante dieser Richtung sindM. W ir wählen hier die Klavierstücke von Stockhausen, von denen bisher nur einige wenige (N r. 1—4,11) erschienen sind. Betrachtet man diese Studie unvoreingenommen, so fällt zu­ nächst die unerhörte rhythmische Kompliziertheit auf. Triolen, Quintoien, Septolen und noch viel ungebräuchlichere U nter­ teilungen der metrischen Einheiten herrschen in befremdendem Umfang vor, und bisweilen muß man sich fragen, ob es über­ haupt einen Menschen gibt, der diese Angaben auch nur einiger­ maßen korrekt befolgen kann. In den Klavierstücken I—IV ist jeweils das Grundzeitmaß unveränderlich, was erkennen läßt, daß durch diese Unregelmäßigkeit der Tondauer Temposchwan­ kungen auskomponiert sind. Jedenfalls entsteht der Eindruck des rhythmisch Amorphen. Aber nicht nur die Rhythm ik w irkt hier merkwürdig ungreifbar, sondern auch die Tonhöhen- und iautstärkenorganisation. Vielfach stehen sich so kurze und in so 60 extremer Lage erklingende Töne gegenüber, daß man die Be­ ziehungen zu den benachbarten Tönen nicht mehr realisieren kann« D a aber allgemeine Beschreibungen nutzlos sind, wollen wir wenigstens ein Stück näher betrachten. Das kürzeste der von Stodkhausen bisher veröffentlichen Klavierstücke, das hier voll­ ständig reproduziert werden kann, hat für uns den außerordent­ lichen Vorzug, die sonst so häufigen rhythmischen und dyna­ mischen Extreme zu vermeiden. Außerdem liegt es in einem Be­ reich, der vom O hr noch relativ bequem kontrolliert werden kann. Versuchen wir, so gut es geht, uns darin zurechtzufinden. rn rfh >3 1 f •U V & «y » T“ f v.- , 'w g j -------- r ^ = i i 4) 1 H* P ® r / V ? » / fc . 1 m f te /J » f g— 5 3 1. frrf® ---- m f nf f * 'S8®®? 15 7:5 m fm f 1 161 m ff P n fP A f r f f f i s p i e l 12. Karlheinz Stockhausen: Klavierstück III, vollständig Das Stück verfügt über keine Tempoangabe, soll aber, wie auch alle anderen des Heftes, so schnell wie möglich gespielt werden. Ais Richtpunkt dient der kleinste zu spielende Wert. D aran Vier-Fünftel einer Achtelnote, entweder kurze, starke Akzente sollten sich aber doch ■wohl nur die Pianisten beim öffent­ oder gar kein neuer Toneinsatz. Dadurch entsteht eine Steige­ rung oder Spannung, die in den beiden folgenden Takten gelöst lichen V ortrag halten. Zunächst dürfte es zweckmäßig sein, schön wird. Dieser zweite Abschnitt des ersten Teils (T. 3—4) ist, ob­ langsam zu spielen und jede einzelne Tongruppe sorgfältig aus­ zuhören. Spielt man gleich so schnell wie möglich oder hört man gleich nur aus vier Tönen bestehend, harmonisch konzipiert, in­ unvorbereitet eine derartige Interpretation, so ist zu befürchten, dem auf den A uftakt e gleichzeitig die große und kleine Terz, g und gis’ folgen. Der Ton ges” des 4. Takts wird als Ober­ daß .man überhaupt nichts w&hrnimmt. Das vorliegende Klavierstück III von Stockhausen um faßt 16 leitung empfunden. (Zu der Beziehung des ges zu der voraus­ Takte mit 55 Tönen. Die Tonfolge der beiden ersten Takte: gehenden um e zentrierten Gruppe erinnere man sich dessen, was (1) a—h—d—as—b—a (2) gis—li etc. zeigt sogleich, daß es sich, oben über die Einleitungstakte des Q uartetts op. 28 von Webern bei diesem Stück um keine Zwölftonkomposition im stren­ ausgeführt wurde.) W ir sehen also in diesem ersten Formteil gen Sinne handeln kann, denn der letzte Ton des 1. Takts und trotz aller Verschleierungen eine übersichtliche Gliederung und die beiden ersten des zweiten erscheinen bereits doppelt. Zählt sogar etwas wie Innendynam ik: Aus einer gegliederten, rhyth­ man die einzelnen Töne des Stücks ab, so ergibt sich Folgendes: misch pointierten Melodie entwickelt sich ein rhythmisch wenig c und fis erscheinen je 2mal, cis (des) 3mal, d und g je 4mal, es hervortretender, harmonischer Komplex. (dis), f und a je 5mal, e, b (als) und h je 6mal und as (gis) 7mai. Dem entspricht der Schlußteil (T. 13— 16). In T akt 13 bemerkt Dieser Befund erweist dann allerdings eindeutig, wie fern dieses man wiederum einen auf gespaltenen Dur-Moll-Mischklang (ohne Stück dem Schönbergschen Zw ölftonverfahren steht, dessen Q uint), diesmal auf der Basis b (als), die als eine A rt V orhalt Funktion es doch unter anderem auch ist, die einzelnen Töne zu dem isolierten as figuriert. Der darauf folgende melodische einigermaßen gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Bei der Abschnitt bringt neben, dem auskomponierten R itardando keine Betrachtung der Tonhöhen — bisher achteten w ir ja nur auf die charakteristischen Figuren hervor. Melodische oder rhythmische Tonorte — finden w ir ebenfalls keine Regelmäßigkeit: es er­ Spannung ist nicht mehr zu bemerken. Die Beziehungen der scheinen in dem Stück z. B. h zweimal, h” dreimal und h” ’ ein­ einzelnen Töne zueinander sind relativ unkompliziert und mal, also überhaupt kein h’ und kein H , die doch beide im Be­ können so ihre Schlußfunktion erfüllen. reich des gewählten Ambitus verfügbar gewesen wären. D er Sind die harmonisch konzipierten Takte der Außenteile durch Ambitus, der von A bis IT” reicht, w ird durch die beiden letzten teilweise verschleierte Dur-Moll-Mischklänge (ohne Quint) ge­ Töne markiert. Dennoch kann man nicht sagen, die Form­ kennzeichnet, so enthält der Mittelteil auch noch andere, eben­ konzeption des Stücks bestünde in einer ständigen Ausweitung des Tonraumes, denn der zweithöchste Ton (gis’”) erscheint be­ falls aus der älteren Neuen Musik wohlbekannte Klänge. Die reits im zweiten T akt als erste N ote. Die Form des Stücks lehnt T akte 5—7 bringen zunächst (natürlich durchbrochen) den Bsich vielmehr, wie verschleiert auch immer, an die alte, drei­ Dur-D reiklang mit beigefügtem Tritonus, dann folgt die Terz h-dis (es), die w ir als unvollständigen Dur-Dreiklang auffassen teilige Liedform an. D er erste Teil um faßt die Takte 1—4; er ist zweigliedrig. Die und schließlich eine Kombination der F-Dur- und der f-Mollbeiden Anfangstakte führen eine jener für Stockhausen so cha­ Terz. Takt 8 bringt wieder einen durch den Tritonus getrübten rakteristischen Melodien vor, in die man sich gut einhören kann, B,Dur-Dreiklang, T akt 9 endlich eine Kombination von Es-Durda sie in sich sinnvoll gegliedert sind. Diese Melodie ist wieder­ und es-Moll-Terz. Man hört also als tonale Ereignisse in diesem um zweigliedrig und in gewisser Weise sogar kontrastreich. Im ersten Abschnitt des Mittelteils die Folge B—F(f)—B—Es(es), ersten T akt entfallen bei ruhiger Bewegung auf die wichtigsten das heißt, in die Terminologie der Funktionsharmonik über­ Taktteile normale Notenwerte, im zweiten, mit dem A uftakt- tragen: Tonika-—Dominante-—Tonika—Subdominante, 62 63 D er zweite Abschnitt des Mittelteils scheint zunächst weniger klar. Er beginnt in T akt 10 mit dem durchbrochenen E-DurDreikiang mit beigefügtem Tritonus (ais); dann erfolgt eine Wendung in den Subdominantbereich, nach a-Moil. In T akt 11 schließlich findet ein überaus charakteristischer Vorgang statt: nadi dem vorangehenden c—a w irkt die Gruppe e—cis’—g’ wie eine Vervollständigung des a-Dur-Moll-Septimenklanges, aber das folgende gis scheint die Gruppe e—cis’—g’ ais getrübtes cis-Moü wirken lassen zu v/ollen. Selbst wenn man getrübtes cis-Moll hört, so kommt, ihm doch nur eine untergeordnete Be­ deutung zu. Im folgenden T akt (12) hören w ir ein durch­ brochenes H -D ur, das durch den liegenden Vorhalt e’ zu dis ge­ trübt ist. Somit erscheint also der zweite Teil des Mittelabschnitts als Folge von E—A(a)— [cis— ]H (Tonika—Subdominante— Tonikaparallele—Dominante), also einer ebenso plausiblen Harmoniefolge wie im ersten Teil des Abschnitts. Die Gesamtkonzeption des Klavierstücks III von Stockhausen ist also nicht länger mehr zweifelhaft. Im ersten Abschnitt können wir die allmähliche Festigung der Tonalität E(e) hören; an­ schließend folgt ein um B zentrierter Abschnitt. Rückgreifend auf E entfaltet sich kurz ein neuer Teil, bis dann wieder der Schlußteil bei B(b) anknüpft, um sich, endlich in zunächst un­ bestimmter Region zu verlieren. Jetzt erkennen wir auch die Funktion der den Dreiklängen beigefügten Tritonustöne, die im Mittelabschnitt bemerkbar waren: sie stellen die Beziehung zu dem tü r das Stück ebenfalls konstitutiven anderen tonalen Zen­ trum her. Insgesamt ist also festzuhalten, daß zwei tonale Zen­ tren im Tritonusabstand existieren, die jeweils einmal abschnitt­ weise erklingen und durch die quintverwandten Akkorde Sub­ dominante und Dominante voll ausgeprägt erscheinen. Aber die beiden tonalen Zentren sind doch nicht ganz gleichberechtigt, denn am Ende überwiegt das E. Die ganze Komposition beginnt mit der Tonfolge a—b und schließt auch mit ihr ab; so wird das tonale Zentrum, das in den beiden melodisch konzipierten An­ fangs- und Schlußtakten selbst nicht erscheint, wenigstens deut­ lich umschrieben. Wenn hier dieses Stück so ausführlich betrachtet wurde, so ins­ besondere um zu zeigen, was musikalisch tatsächlich vorliegt. Was die kleine Form betrifft, so haben wir gesehen, daß Stock­ 64 hausen sie wohl za bewältigen vermag. Aber ebenso wie die größeren Klavierstücke schon weit problematischer sind, scheint es, als habe er jüngst vor dem Formproblem kapituliert. Die jüngsten Stücke bevorzugen eine einfache Reihung von G rup­ pen, und im Klavierstück X I (1957) ist die eigentliche Form­ bildung dem Interpreten und damit dem Zufall überantwortet. Dieses Klavierstück besteht aus 19 unterschiedlich langen G rup­ pen, die zusammenhanglos auf einem großen N otenblatt aufgezeichnet sind. Die einzelnen Gruppen sind so komponiert, daß sie in verschiedener Lautstärke und verschiedenem Tempo ge­ spielt werden können und vom Interpreten in beliebiger Auf­ einanderfolge Yorgetragen werden sollen. D er Komponist schreibt dazu: „D er Spieler schaut absichtslos auf den Papierbogen und beginnt mit irgendeiner zuerst gesehenen Gruppe; diese spielt er mit beliebiger Geschwindigkeit (die kleingedruckten N oten immer ausgenommen), G rundlautstärke und Anschlagsform. Ist die erste G ruppe zu Ende, so liest er die darauf folgenden Spielbezeichnungen für Geschwindig­ keit (T°), G rundlautstärke und Ansdilagsform, schaut absichtslos weiter zu irgendeiner der anderen G ruppen und spielt diese, den drei Bezeichnungen gemäß. M it der Bezeichnung ,absichtslos von G ruppe zu Gruppe w eiter­ schauen' ist gemeint, daß der Spieler niemals bestimmte Gruppen m it­ einander verbinden oder einzelne auslassen will. Jede G ruppe ist mit jeder der 18 anderen Gruppen verknüpfbar, so daß also auch jede Gruppe mit jeder der sechs Geschwindigkeiten, G rundlautstärken und Anschlagsformen gespielt werden kann. W ird eine Gruppe zum zweitenmal erreicht, so gelten eingeklammerte Bezeichnungen: meist sind es Transpositionen um eine oder zwei O ktaven (8 va . ..) (2 okt . . . ) aufw ärts oder abwärts, für unteres und oberes System jeweils verschieden; es werden Töne hinzugefügt oder weggelassen. W ird eine G ruppe zum drittenm al erreicht, so ist eine der möglichen Realisationen des Stückes zu Ende. Dabei kann es sich ergeben, daß einige G ruppen nur einmal oder noch gar nicht gespielt w urden . . .“ (Melos 25, 1958, 69). Ob ein Pianist, der die technisch äußerst schwierigen Gruppen studiert haben muß, sich also auf dem N otenblatt schon gut auskennt, wirklich noch absichtslos auf das Blatt schauen kann, 65 bleibt zweifelhaft. Außerdem ist es für den H örer ohnehin ganz gleichgültig, ob der Vortragende Pianist die Gruppen tatsächlich absichtslos spielt oder sich an einen zuvor zurechtgelegten Plan hält. Auf jeden Fall kommt es bei der Aufführung dieses Stücks zu Wiederholungen und unter bestimmten Umständen sogar zu Reprisen. Allerdings hat der Komponist hei manchen Gruppen Vorsorge getroffen, daß die Wiederholungen variiert werden. M an erinnert sich bei dieser Gelegenheit aber daran, daß einst "bei Stockhausen Wiederholung und V ariation ln gleicher Weise verpönt waren. Dieser neue Versuch, dem Interpreten einen größeren Anteil an der endgültigen Gestaltung des Kunstwerks zu geben, den In seltsamer Verblendung Bouiez In seiner dritten Klaviersonate noch überbot, ist tatsächlich, ein Verzweiflungsakt, das Eingeständnis der Unmöglichkeit, noch verbindliche Formen zu schaffen. Wer die umfangreicheren Kompositionen von Stock­ hausen, etwa die „K ontra-Punkte“ oder die „Zeitmaße“ hört, fragt sich vielleicht, ob hier die Form überhaupt noch einen Sinn hat. Das Dilemma, das einst die bedeutendsten Komponisten nach 1920 bewog, älteren Formen zu folgen, wird Mer auf radi­ kale Weise gelöst: die Form selbst w ird abgeschafiL Die in glei­ cher Welse willkürliche und konventionelle Anlage der neuen Formen — denn schließlich kommt ja bei Stodshausens Klavier­ stück X I doch so etwas wie ein freies Rondo heraus — w ird dem Zufall, der als Freiheit deklariert wird, überlassen. Noch viel bedeutsamer Ist allerdings die Tatsache, daß dieser Verzicht auf Form auch den Sinn des Tonsatzes selbst in M it­ leidenschaft zieht. Es läßt sich leicht nadiprüfen, In wie außer­ ordentlich großem Ausmaß das richtige Tempo eines Musik­ stücks, das keineswegs einet genauen. Festlegung bedarf, die Komposition selbst bestimmt. Die Schwerpunkte eines Ton­ satzes befinden sich an bestimmten Stellen und die Geschwindig­ keit des Vortrags bestimmt die Dichte Ihrer Aufeinanderfolge und umgekehrt. Man mag einmal versuchen, ein. wohlbekanntes Stück, sei es von Beethoven oder Sdiönberg, wesentlich zu schnell oder zu langsam zu spielen, um sofort einzusehen, worum es hier geht. Es gibt zw ar Kompositionen, denen keine Vortrags­ bezeichnungen und Tempoangaben beigefügt sind, z. B. die Werke Bachs, aber es Ist dennoch ganz ausgeschlossen, Irgend­ eines dieser Stücke sowohl presto als auch largo zu spielen. 66 Spielt man zu langsam, fällt die Komposition auseinander, spielt man zu schnell, so hört man nur noch eine abstrakte Bewegung, nicht mehr aber die formkonstitutiyen harmonischen oder die motivischen Beziehungen. Wenn auch die jüngsten Komponisten weder Modulationen und Kadenzen noch motivische Beziehun­ gen kennen — daß freilich bisweilen doch noch etwas Ähnliches bei ihnen auftaucht, sahen wir oben bei der Behandlung des Klavierstücks III von Stockhausen •—, so müssen doch irgend­ welche andere Faktoren dafür einstehen. Stockhausen selbst bezeichnete es einmal ais seine Formkonzeption, „verschiedene Gestalten im gleichen. L idit“ zu zeigen und nicht wie früher „gleiche Gestalten in verschiedenem Licht“. Dieses „Licht“, in der neuesten Terminologie „Struktur“ genannt, muß sehr ab­ strakt sein, wenn es, ohne seine form konstitutive K raft einzu­ büßen, gestattet, einen bestimmten Tonsatz in den verschieden­ sten Tempi zu spielen. Vielleicht leistet aber dieses neue Form­ prinzip nur so wenig, daß es tatsächlich gleichgültig ist, in {welchem Tempo, in welcher Lautstärke und mit was für einer ^A rtikulation gespielt wird. Die Zukunft w ird erweisen, was die „Strukturen“ tatsächlich leisten, was sie als Ersatz für die auf­ gegebenen formkonstitutiven Momente, H arm onik und thema­ tische Arbeit, zu bieten haben. W ir können nichts weiter tun, als die Musik anzuhören und uns darüber Rechenschaft zu geben, was w ir eigentlich hören. Einstweilen ist noch vieles ganz unklar, denn, wie Boulez einmal treffend sagte: „Von so erschlichener Schnelligkeit ist Erkenntnis nicht.“ ANMERKUNGEN 1 Ein eindrucksvolles Beispiel für Stufeamischung ist eine Passage aus dem H auptsatz der Klaviersonate von Strawinsky (1924) T ak t 15— 17, in der Reprise T akt 128— 130. W illi Schuh hat in seinen schönen „Beiträgen zur H arm onik Igor Strawinskys“, Schweizerische Musik­ zeitung 92, 1952, 243—253; bes. 248 f. mehrere Beispiele für JPolyfunktionalität“, wie er es nennt, zusammengestellt und versucht sie im Anschluß an Strawinskys Äußerungen im 2. K apitel der „Musikalischen P oetik“ zu erklären. 2 In den Märschen der „Geschichte vom Soldaten“ und der vierhändigen Klavierstücke („Trois pieces“ N r. 1) — dieses Stück eröffnet dann auch die zweite Orchestersuite — verfährt Strawinsky ebenso, w ährend er in den W alzern der gleichen Werke auf rhythmisch-metrische Dena­ turierung verzichtet und lediglich die Formelhaftigkeit gewisser melo­ discher Phrasen, die meist etwas verzerrt erscheinen, H armoniefolgen und rhythmischer Komplexe hervorkehrt. Dies ist offensichtlich der Punkt, an dem Hindemith mit seiner „Kleinen Kammermusik für fünf Bläser“ op. 24,2 (1922) anknüpfte. Schließlich sei aber noch daran erinnert, daß die Melodie des erstes Fünftonstücks deutlich auf das H auptthem a des zweiten Teils von „Le Sacre du Printemps“ verweist, das erstmals Ziffer 84 (Seite 75) der P artitur au ftrk t und im weiteren V erlauf in ganz verschiedener Takt­ gliederung erscheint. Die Begleitfiguren bei Ziffer 91 (Seite 80) machen aber wahrscheinlich, daß ursprünglich ein einfacher V iervierteltakt vorlag und alles andere als Akzentverschiebung (mit gelegentlichen rhythm ischen und melodischen Varianten) aufgefaßt w e rd en soll. * Z u dieser Technik vergleiche man Schuhs „Beiträge“, 245 f. 4 Im Anschluß an K. H errm ann, Die Klaviermusik der letzten Jahre, 1934, 28, sei hier darauf aufm erksam gemacht, daß sich H indem ith in den Fünftonstücken, vor allem den Nummern 3, 4 und 7, Baxtok näherte. Man vergleiche also Mindemitbs 3. Stüde mit dem A ndante­ teil, das 4. mit dem Allegro molto des ersten, 1916 komponierten, aber erst 1930 veröffentlichten der „Drei Rondos über Volksweisen“ von Bartok. Vielleicht ist dies der einzige Fall in H indem iths W erk. Bartök hat sich dagegen H indem ith mehrfach genähert, zunächst m seinen klassizistischen „Zwiegesprächen“ aus den „Neun kleinen K la­ vierstücken“ (1926), dann aber vor allem in seinem, späten „Orchester­ konzert“ (1943). 5 Nicht nur Brahms und Franz benutzten kirchentonale Wendungen, sondern auch die Neudeutsdien, vor allem Wagner im „Parsifai“, so- 68 wie zahlreiche slawische Komponisten, besonders Mussorgskij. Von hier gingen sie dann in die Tonspradhe Debussys (and Bartoks) über, wo sie, neben Partien aus ganz anderen Skalen, der haifotonlosen F ünf­ tonreihe and der Ganztonskala, einen bedeutenden P latz einnahmen. (Cf. A. GoMa: Musik unserer Zeit, 1955, 93 ff.; W .D andsert: Claude Debussy, 1950, 85 ff. und E. von. der H üll: Bela Bartök, 1930). Übrigens findet man in einigen der neuesten Werke Strawinskys, namentlich in den beiden mittelalterlichen Vorbildern verpflichteten Werken, der „Messe“ (1948) und der »K antate“ nach anonymen englischen 'Testen des 15. and 16. Jahrhunderts (1952) modale Wendungen. Besonders auffallend sind die sieben phrygischen Takte, die das Präludium und die Interludien der K antate einleiten. 6 In der Musik unseres Jahrhunderts spielen auch noch andere Skalen eine gewisse Rolle. Im Werk Bartoks, namentlich in Voiksliedbearbeitungen, findet man gelegentlich die in der Popularliteratur als Zigeuner­ tonleiter bekannte Skala c—d—e—fis—g—as—h, also unsere Moll­ reihe mit lydisdier Q uart, die in der osteuropäischen Volksmusik eine beachtliche Rolle spielt. Daneben gibt es aber auch willkürliche K on­ struktionen. Alexander Tscherepnin legt seinem „K am m erkonzert“ op. 35 (1925) eine „neunstufigeTonleiter (D ur-M oll-Tonart)“ zugrunde: d—es—f—fis—g—a—b—h—cis, die nichts anderes als eine D ur-M ollMisdiung mit phrygischer (statt reiner) Sekund ist. Die Skala scheint aber weniger darauf abgestelit, die drei Modi zu mischen, als eine regelmäßige Folge von H alb- und G anztonabständen durchzusetzen. Gegen diese Tonleiter lassen sich natürlich viele Bedenken anmeiden, vor allem gegen ihre „unnatürliche“, w eder auf Quintverwandts-chaft noch, auf T em peratur basierende, regelmäßige K onstruktion. Zur Rechtfertigung der phrygischen Sekund, die das D ur-M oll gefährdet, ließe sich vielleicht daran erinnern, daß bereits D vorak eine Vorliebe fü r M ollsubdom inanten in D ur h atte (z.B. Symphonie G -D ur op. 88, 2. Satz) und hieraus der Wunsch zu erklären ist, auch die Terz der doppelten Subdom inante zum Skalenton zu erheben. 7 In seinen späteren Werken ist H indem ith zu vernünftigerer harm oni­ scher Disposition übergegangen, hat dabei aber sehr viele bewährte und konventionelle M ittel aufgegriffen. Selbst die einst karikierten Blechbläserapotheosen haben sich wieder eingestellt. In den besten der späteren W erke sind diese alten M ittel w irkungsvoll eingesetzt, aber vielfach klingt auch direkt die komm erzielle U nterhaltungsm usik an, etwa in der „K onzertm usik fü r Streichorchester u n d Blechbläser“ op. 50, einem der formal gelungensten Werke, P artitu r S. 26 ff. (Strei­ cher), 45 f. (l.H o rn , ein Motiv Gershwins!) und S. 48, bei D (Vio­ linen und Celli), ohne daß es zu einer künstlerischen Einschmelzung dieser niederen Musik, wie etwa bei Berg, käme. In der Symphonie „Mathis der M aler“ hat sich das, was man treffend H indem iths k o n ­ zertanten Stil nannte, m it dem Idiom der N eudeutschen Schule des vergangenen Jahrhunderts verbunden. Das späte W erk H indem iths w äre darüber hinaus n u r im Zusamm enhang m it den Theorien der 69 U nterw eisung kritisch zu würdigen, auf die M er aber nicht ein­ gegangen zu w erden braucht, da die Voraussetzungen, aus denen H indem ith seine Ansichten entwickelt, längst als falsch erk an n t sind. W er dennoch sich m it H indem iths Spatwerk beschäftigen will, der sei auf zwei A ufsätze in der Schweizerischen Musikzeitung 90, 1950 v er­ wiesen: A, von Reck, K onstruktive Dichte in H indem iths M athisSymphonie (p. 85—92) und W. Kolneder, H indem iths S treichquartett 5 in Es (92—96), sowie auf die im bibliographischen A nhang zitierten A rbeiten, 8 cf. auch die Analyse dieses Stückes in Erpfs „ S tu d ie n ...“, 187ff. [Neuerdings auch A. Krieger, Schönbergs Werke für Klavier, 1968, 24 ff.] 8 cf. R. Tenschert, „Eine Passacaglia von A rnold Sdiönberg“, Die Musik 17/11, 1925, 590—594. 10 cf. F. H . Klein, „Die Grenze der H albtonw elt“, Die Musik 17/1, 1924/25, 281—286; H . F. Redlichs N achw ort zu r Neuausgabe der Stormlieder Bergs, 1955. Die damalige Ansicht, dies sei die einzig mögliche Allintervallreihe w urde von E.Krenek, Ober neue Musik, 1937, 72 ff, korrigiert, der an dieser Stelle ausführlicher über solche Reihen, handelt; cf. ferner H . Jelinek, „A nleitung. . .“, I, 1952, 1 4 f. und 19 ff. 11 Ober diesen Stand der Zwölftontedinik unterrichtet man sich auch heute noch am besten an H and von E. Steins Aufsatz „Neue Form ­ prinzipien“ von 1924, der verschiedentlich gedruckt w urde und heute am bequemsten in H . PL Stucfcensdimidts „Neue M usik“ 1951, 358 bis 385, zugänglich ist. 12 Zum Verständnis der Form konzeption des Liedes ist noch beson­ ders hervorzuheben, daß die beiden Zwölftonakkorde an formal ent­ scheidenden Punkten, nämlich den Schlüssen der beiden Abschnitte, erscheinen, also, w orauf auch andere Eigenschaften des Tonsatzes ver­ weisen, als das Ziel der gesamten Tonbewegung angesehen werden müssen. Dies gibt uns vielleicht die Berechtigung, einen der w ohl an­ stößigsten Sachverhalte der späteren Bergsdien Kompositionstechnik zu erklären, die Tatsache, daß die O per „Lulu“ auf m ehreren Reihen basiert. Wer in den einschlägigen W erken von Reich, Leibowitz und Redlich die hödist merkwürdigen Bergsdien Ableitungen der ver­ schiedenen Reihen aus der Grundreihe betrachtet, der w ird den Ein­ druck einer gewissen m athematischen W illkür nicht ios, v o r allem deshalb, weil die einzelnen Reihen ja tatsächlich keinerlei reale Be­ ziehungen zueinander haben. Betrachtet man aber den Zwölftonakkord (der ja schließlich ziemlich am Ende der O per — in der P a rtitu r der „Lulu-Suite“ p. 130 — sogar erscheint) als das Ziel der Entwicklung und als eigentliche Erfüllung des musikalischen P ro­ zesses, folglich alle Reihenmanipulationen als sekundär, so löst sich das Problem fast von selbst; denn für einen vom Zwölfklang ausgehenden 70 Komponisten sind die Reihen ja nur beliebige Ausschnitte von be­ grenzter Verbindlichkeit, und es ist lediglich eine Frage der Ökonomie, ob er eine oder mehrere Reihen aus dem Zvrölfkiang ableitet, nicht aber eine Frage von prinzipieller Bedeutung. 1S In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß in keinem der Spätwerke Weberns den Konsonanzen eia so breiter Raum gegönnt ist, wie gerade in diesem Streichquartett. Die Klaviervaria­ tionen op. 27 räum en allerdings sogar den Q uarten wieder einen ge­ wissen Platz ein —■obw ohl die Reihe dieses W erks keine Q u a rt ent­ h ält —, aber dieses Intervall zeigt auch hier wieder sein altes D oppel­ gesicht: es w ird je nach dem Zusam m enhang als Konsonanz oder als Dissonanz aufgefaßt [Nachtrag 1973: Weberns Analyse seines Q uar­ tetts op. 28 hat F. Döhl gefunden und publiziert, zuerst in seiner ver­ vielfältigten Dissertation (Weberns Beitrag zur Stilwende der Neuen Musik, Göttingen 1966), dann in seinem Beitrag ,Zum Formbegriff Weberns1 im W ebern-Heft der Österreich. Musikzeitschrift (27, 1972. H . 3).] 14 Die Äußerungen Messiaens über die 2. Klaviersonate von Boulez findet man bei A. Golea, Musik unserer Zeit, 1955, 190 f. [Nachtrag 1973: Mittlerweile sind alle Klavierstücke von Stockhausen im Druck erschienen.]. BIBLIOGRAPHIE (Auswahl) Allgemeines. T. W. Adorno, Philosophie der Neuen Musik, 1949, 2. A. 1958; id. Dissonanzen, 1956, 2, A. 1958; A. Golea, M usik unserer Zeit, 1955; H.H.Stuckensdimidt, Neue Musik, 1951; K .H .W ö rn er, Neue Musik in der Entscheidung, 2. A. 1956. Schnften der Komponisten. B.Bartok, Weg und Werk, Schriften und Briefe, ed. B. Scabolsci, 1957; P. H indem ith, Die U nterw eisung im Tonsatz I, 2. A. 1940; A. Schönberg, Harmonielehre, 1911, 3. A. 1922; id. Style and Idea, 1950; id. Die formbildenden Tendenzen der H a r­ monie, 1957; I. Strawinsky, Leben und Werk — von ihm selbst, 1957 (zit. als „Schriften“). Monographien, a) H arm onik, Polyphonie. H .E rp f, Studien zur H a r­ monie und Klangtechnik der neueren Musik, 1927; E. von der Niill, Moderne H arm onik, 1932; A. Jakobik, Zur Einheit der Neuen Musik, 1957; R. Leibowitz, Infroduction ä la musique de douze sons, 1949; J. Rufer, Die Komposition mit 12 Tönen, 1952; H . Jelinek, Anleitung zur Zwöiftonkomposition I, 1952; E. Krenek, Zwölfton-Kontrapunkt-Studien, 1952; G .Perle, The harmonic problem in twelwe-tone music, The Music Review 15, 1954, 257—267; T.W . Adorno, Die Funktion des K ontrapunkts in der Neuen Musik, 1957, abgedr. im M erkur 12,1958; S. Günther, Moderne Polyphonie, 1930. b) Personen (Bartök- und Debussyiiteratur ist nicht verzeichnet). W.Reich (mit T. W. Adorno und E.Krenek), Alban Berg, 1938; H .F . Redlich, Aiban Berg, 1957; H . Strobel, Paul H indem ith, 2. A. 1931, 3. A. 1948; R. Stephan, H indem iths Marienleben, The Music Review' 15,1954,275—287; N .C azden, H indem ith and N ature, ib. 288—306; t.W ellesz, Arnold Schönberg, 1921; R. Leibowitz, Schoenberg et son ecole, 1947; I'.W .Adorno, Arnold Schönberg, in: Prismen, 1955; id. Arnold Sdiönberg, in: Die großen Deutschen 4, 1957; id. Zum Ver­ ständnis Schönbergs, Frankfurter Hefte 10, 1955, 418—429; H . Flei­ scher, Igor Strawinsky, 1931; J.Handsdiin, Igor Strawinsky, 1933; ü. H . White, Igor Strawinsky, 1950; H.Lindlar, Igor Strawinskys sakraler Gesang, 1957; Strawinsky in Amerika, ed. H.Lindlar, Musik der Zeit 12, 1955; Anton Webern, ed. H . Eimert, Die Reihe 2, 1955. Ausschließlich mit neuer Musik befassen sich die Zeitschriften „Melos“, ed. H . Strobel bei B. Schott’s Söhne, Mainz, und die Schriftenreihe „Musik der Z eit“, ed. H . Lindlar bei Boosey und Hawkes, Bonn. Die Reihe „Die R eihe“, ed. H . üimert bei der U niversal Edition, Wien, bietet fast ausschließlich „Inform ationen über serielle M usik“. (Nachtrag 1973) Allgemeines. T. W. Adorno, Der getreue K orrepetitor, 1963; U. Dibelius Moderne Musik 1945— 1965, 1966; Das musikalisch Neue und die Neue Musik, ed. H . P. Reinecke, 1969; Die Musik der Sechziger­ jahre, ed. R. Stephan, 1972. Schriften der Komponisten. P. Boulez, W erkstatt-Texte, 1972; A. Schönberg, Modelle für Anfänger im Kompositionsunterricht, 1972; K.Stockhausen, Texte, 3 Bände, 1963— 1971; I.Straw insky: Gespräche mit R. Craft, 1961; A. Webern, Wege zur Neuen Musik, 1960. Monographien. Personen. W. Reich, A. Berg, Leben und Werk, 1963; T. W. Adorno, Berg, der Meister des kleinsten Übergangs, 1968; A. Briner, Paul Hindem ith, 1971; W. Reich, Sdiönberg oder der konservative Revolu­ tionär, 1968; A. Krieger, Schönbergs Werke für Klavier, 1968; R. Brinkmann, A. Schönberg, Drei Klavierstücke op. 11, Studien zur friihen A tonalität, 1969; E. H . White, Stravinsky, the Composer and His Works, 1966; F. Wildgans, Anton Webern, 1967; E. Budde, A. Weberns Lieder op. 3, Untersuchungen zur frühen A tonalität, 1971; F. Döhl, Zum Formbegriff Weberns. Weberns Analyse des Streich­ quartetts op. 2 8 . . . , in: Österreich. Musikzeitschrift 27, 1972, H . 3 ( = Webern-Sonderheft), S. 131— 148. 73 N A C H W O R T ZUR ZW EITEN AUFLAGE Das Büchlein, 1958 zum ersten Male erschienen» seit vielen Jah­ ren vergriffen, erscheint hier in nahezu unveränderter Gestalt. (N ur einige Versehen wurden berichtigt.) Es trifft heute, andert­ halb Jahrzehnte nach seiner Niederschrift, auf eine veränderte Zeitlage. In den fünfziger Jahren herrschte im Musikleben noch der musikalische Neoklassizismus, um den es jetzt sehr still ge­ worden ist. Eine Umwertung hat stattgefunden, von deren Ausmaß sich damals niemand eine Vorstellung machen konnte. Dennoch sah der Verfasser keine Veranlassung, das damals Ge­ schriebene zu verändern. Der Versuch, die neue Musik mit traditionellen Kategorien zu erklären, erscheint ihm auch heute noch sinnvoll. Da.ß es der einzig sinnvolle sei, hat er nie ge­ glaubt. Was hier als Neue Musik bezeichnet wird ist es heute nicht mehr im. Sinne der Chronologie. Viel Neues und ganz N eu­ artiges hat sich im letzten Jahrzehnt hervorgetan. Vielfach wird es „Neueste Musik“ oder auch „Postserielle Musik“ genannt. Diese Musik ist weithin gekennzeichnet durch die Tendenz, jeg­ lichen Kunstanspruch aufzugeben. Den Rahmen der vorliegen­ den kritischen Einführung in dieser Richtung zu erweitern, hätte der Grundkonzeption widersprochen, ging es doch hier gerade um die Mittel, die künstlerische Wirkungen hervor­ bringen. Mit der Zurücknahme des künstlerischen Anspruchs in der jüngsten Musik hat sich zugleich sowohl die Zahl ihrer Apologeten beträchtlich vermehrt, als auch der Kreis der H örer vergrößert. Dies ist besonders zu beobachten, seitdem eine An­ näherung weiter Bereiche der Kunstmusik (unter den verschie­ densten Schlagworten) an solche der kommzerielien U nterhal­ tungsmusik stattfindet. Diese Vorgänge sind gewiß sehr bedeu­ tungsvoll, aber sie stehen m keinem direkten Zusammenhang mit den hier behandelten Fragen. Das Neueste, was hier besprochen wird, ist ein frühes Klavier­ stück von Stocknausen, iis wäre dem. Autor nur lieb, wenn Leser sich die Mühe machten, die gleichzeitig erschienene mit neuen Begriffen operierende Analyse des gleichen Stücks von Dieter Schnebel nadizulesen (Die Reihe, hrsg. von H. Eimert, Heft 4, 74 1958, 122— 129). Sie ist für den an Fragen der Entwicklung des Tonsatzes und der Musikanschauung der Fünfzigerjahre Inter­ essierten noch Immer sehr aufschlußreich. Doch hilft sie auch dem H örer oder dem Spieler? Für den Autor w ar diese Schrift ein Schritt auf dem Weg der Annäherung von Musikwissenschaft und Neuer Musik. Er hatte ihn schon viel früher gesucht und ist ihn seither weitergegangen. Über die besonderen Schwierigkeiten der Analyse und Bewer­ tung, die die neueste Musik bereiten, hat er sich in einem Vor­ trag geäußert, der In der Zeitschrift „Musica“ (26, 1972, 225 ff.) veröffentlicht worden Ist. Das Büchlein, das nicht nur gekauft, sondern offenbar auch Yiel gelesen wurde, hat die ihm bestimmte Aufgabe erfüllt. Es wäre erfreulich, wenn es nun, da es wieder greifbar ist, erneut wirken könnte für eine Neue Kunst, die sich nicht schämt, eine zu sein. Berlin-Dahlem, im Januar 1973 75 Rudolf Stephan REGISTER Adorno, Th. W. 54, 58—60 Altenberg, P. 39 (s. Berg) Aristoteles, s. Pseudo-Aristoteles Jelinek, H . 70 Bach, j. S. 7, 10, 27, 29, 30, 31, 54, 66 B artök,B. 11, 68, 69 Baudelaire, Ch. 45 Beethoven, L. van 3, 4, 7, 10, 54, 66 Berg, A. 39—42 (Altenberglieder), 45—50 (Stormlieder), 70 f. (Lulu) Herrsche, A. 10 Boulez, P. 60, 66, 67, 71 Brahms, J. 21, 68 Brecht, B. 20 Bruckner, A. 54 Danckert, W. 69 Debussy, C. 32 f. (Preludes I), 33 f. (Images ID , 34 f. (Estampes), 42, 60, 69 ' D vorak, A. 69 Eimert, H . 28, 53 E rpf, H . 70 Franz, R. 21, 68 George, St. 36, 41 Golea.A . 69, 71 Haba, A. 60 H alm , A. 3, 54 Handsdiin, J. 9, 12 Hanslick, E. 7 f. H erm ann, K. 68 H indem ith,P. 6, 11, 12, 18—20 (Fünftonstücke), 20 f. (Lehr­ stück), 22—25 (Fünf Stücke für Streichorchester), 32, 68, 69 f. 76 Klein, F. H . 45, 70 Kolneder, W. 70 Krenek, E. 3, 70 Leibowitz,R. 41, 53 Leichtentritt, H . 36 Liszt, F. 10 Machaut, G. de 10 Mahler, G. 54 Messiaen, O. 60, 71 M ozart, W". A. 3 Mussorgskij, M. 32, 69 N ono, L. 60 N üll, E. von der 69 Pergoiesi, G. 11 Pseudo-Aristoteles 4 f. Ramuz, C. F. 17 Refaikoff, W. 32 Reck, A. von 70 Redlich, H . F. 70 Riemann, H . 6 Rossini, G. 11 Rufer, J. 56 Schatz, H . 29 Schönberg, A. 8, 11, 32, 36 (Kla­ vierstücke op. 19), 4 2 ff., 43 (Klavierstück op. 33a), 46, 55— 60 (Z w ölftontedm ik: 3. Q uar­ tett, Bläserquintett), 66, 70 Schubert, F. 41 Schuh, W. 68 Schumann, R. 10 Skrjabin, A. 32, 35 f. S io nim sky , N . 56 Stein, E. 70 Stockhausen, K. 60—64 (Klavier­ stück III), 64—68 (Klavier­ stück XI) Storm, Th. 45 (s. Berg) Stuckensdimidt, H . H . 70 Stum pf, C. 4 f. Strawinsky, I. 11 f. (Konzertan­ tes Duo), 12— 17 (Die fünf Finger), 18 ff., 23, 25, 26—31 (Konzertsätze: Violinkonzert, Kammerkonzert in Es, Sep­ tett), 54, 68 T ensdiert,R . 70 Tsdiaikov?sky,P. 11 Tsdierepixin, A. 69 Varese, E. 60 Vivaldi, A. 24, 54 Wagner, R. 68 Webern, A. (von) 36—39 (Ge­ orgelieder), 45, 50 f. (Sympho­ nie), 52 ff. (Streichquartett), 54, 71