David Zinman zu Strawinskys «Le Sacre du Printemps» Liebe Musikfreundinnen und Musikfreunde Die Konzerte am 8. und 9. Juni haben für mich eine ganz besondere Bedeutung. Mein Lehrer und Mentor Pierre Monteux hat 1913 die Uraufführung des Balletts Le Sacre du Printemps von Igor Strawinsky in Paris dirigiert. Die Zuschauer waren total konsterniert und die Aufführung endete in einem Chaos von Protesten. Monteux selbst dachte, als der Komponist mit einem befreundeten Pianisten ihm das Stück vorher auf dem Klavier vierhändig vorspielten, nun sei Strawinsky total verrückt geworden. Beim 50-jährigen Jubiläum, war ich der Assistent von Pierre Monteux beim London Symphony Orchestra. Die Vorbereitung dieses Gedenkkonzertes war meine erste Berührung mit dem Stück. Nun nähert sich das 100-jährige Jubiläum. Meinen Wunsch konnte ich in Realität umsetzen: Zusammen mit dem Tonhalle-Orchester Zürich werde ich die Originalfassung dirigieren (sie liegt bei der Paul Sacher-Stiftung in Basel) sowie die Fassung von 1967. Im Laufe der Jahrzehnte und nach mehreren Retuschen von des Komponisten Hand hat sich das Werk in seinem Charakter ein stückweit geändert. Es ist rauer und rhythmisch noch härter geworden. Damit Sie, liebe Konzertbesucher, die Unterschiede besser erkennen können, werde ich zusammen mit dem Radio-Moderator Andreas Müller-Crepon das Stück kommentieren. Ich würde mich freuen, wenn ich Sie bei diesem besonderen Konzert begrüssen könnte. Strawinskys Sacre gehört zu den bedeutendsten Werken der Musikgeschichte. Strawinsky hat vieles beeinflusst und vorweggenommen, was an Musiksprache und Klangmöglichkeiten erst sehr viel später entstanden ist. Für mich als Interpret ist der Sacre immer auch «a kind of terror». Ich spüre, auch nach so vielen Jahren, immer noch eine Art bedrohlicher existentieller Angst, wenn ich den Sacre dirigiere. Insbesondere der zweite Teil und der unmittelbare Schluss des Werkes fordern mit ihren krachenden Ostinati-Schlägen sowohl von den Musikern als auch vom Dirigenten alles, und wenn man zum letzten Teil kommt, erhöht sich der Puls aller an der Aufführung beteiligten. Auch wenn man alles gewissenhaft memoriert und eingeübt hat, kann man sich nie sicher sein, ob nicht doch etwas schief geht. Ich glaube, dass Strawinsky das absichtlich so komponiert hat. Der Sacre thematisiert diese Art von Angst also nicht nur, sie ist ihm auch eingeschrieben. Teilen Sie diese Erfahrung und fühlen Sie mit uns mit. Ihr David Zinman