2 Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 1 Kriegs- und Friedensziele der Alliierten 6. 1. 1941 14. 8. 1941 Januar 1943 15. 5. 1943 Oktober 1943 Verkündung der „Vier Freiheiten“ durch Roosevelt Britisch-amerikanische Atlantik-Charta Konferenz von Casablanca (Roosevelt und Churchill) Auflösung der Kommunistischen Internationale (Komintern) durch Stalin Außenministerkonferenz (USA, Großbritannien, UdSSR) Nov. 1943 Konferenz von Teheran der „Großen Drei“ (USA, Großbritannien, UdSSR) 12. 9. 1944 1. Londoner Abkommen der EAC zur Aufteilung Deutschlands in 3 Zonen 15. 9. 1944 14. 11. 1944 Februar 1945 Morgenthau-Plan zur Umgestaltung Deutschlands 2. Londoner Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland Konferenz von Jalta; „Erklärung über das befreite Europa“ 1.1 Atlantik-Charta und Casablanca-Formel Die Atlantik-Charta Nach einem Beistandsabkommen zwischen Großbritannien und der Sowjetunion im Juli 1941, verabschiedeten Roosevelt und Churchill am 14. August 1941 die Atlantik-Charta. Noch bevor Deutschland besiegt war, wurden grundlegende Kriegsziele formuliert: Die USA und Großbritannien verzichteten auf das traditionelle Ziel bisheriger Kriege, den Gebietsgewinn, und erklärten u. a., territorialen Besitzstand nur im Einverständnis mit den Betroffenen zu verändern. Außerdem gestanden sie allen Völkern das Selbstbestimmungsrecht und allen Staaten die freie Beteiligung am Welthandel zu. Internationale Zusammenarbeit und der Verzicht auf Gewaltanwendung sollten die Friedensordnung sichern. Deutschland und Japan als Kriegsgegner sollten aber nicht in den Genuss dieser Freiheiten kommen. Die Atlantik-Charta entsprach damit ganz dem „liberalen Friedensmodell“ der USA. Dies hatte Roosevelt bereits im Januar 1941 durch die Verkündung seiner „Vier Freiheiten“ deutlich gemacht, als er erklärt hatte, Rede- und Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit und die Freiheit von Not und Furcht seien die Grundsteine einer friedlichen Weltordnung, für die sich die USA einsetzen wollten. Die Frage einer zweiten Front im Westen, die die Sowjetunion entlasten sollte, entwickelte sich bis zur Landung der Westalliierten in der Normandie im Juni 1944, zu einem der Hauptprobleme zwischen UdSSR und Westmächten. Die Verzögerung der alliierten Invasion ließ Stalin befürchten, die Westmächte wollten damit eine Schwächung der Sowjetunion erreichen, mit der dann das Sowjetsystem selbst zu Fall gebracht werden konnte. Er wollte daher die er- Kriegs- und Friedensziele der Alliierten 3 reichten territorialen und politischen Vorteile auf jeden Fall ausnutzen. Das galt vor allem für die Erwerbungen aus dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939, über die Stalin jede Diskussion ablehnte. Stalin wollte auf das Baltikum und die ostpolnischen Gebiete nicht verzichten. Auch heute noch, nachdem Russland immerhin die Existenz des „geheimen Zusatzprotokolls“ über die vierte Teilung Polens zugegeben hat, herrscht die Bewertung vor, es habe sich bei den Vereinbarungen um eine historisch richtige Korrektur des Friedens von Riga 1921 zwischen Polen und der Sowjetunion gehandelt. In direktem Zusammenhang damit stand die Frage nach einer möglichen Kompensationen Polens für die an die Sowjetunion verlorenen Gebiete. Nachdem Stalin bereits im Dezember 1941 gegenüber dem britischen Außenminister seine Forderung nach Anerkennung der 1939 vollzogenen Gebietsveränderungen zugunsten der Sowjetunion geäußert hatte, brachte er schon hier eine Entschädigung Polens durch Teile Ostpreußens ins Spiel. Die Haltung der britischen wie auch der amerikanischen Regierung war allerdings durch die Vereinbarungen der „Atlantik-Charta“ festgelegt, die territoriale Veränderungen von der Zustimmung der Betroffenen abhängig machte. Außerdem war mit der Unterstützung der polnischen Exilregierung in London zunächst die territoriale Integrität des polnischen Staates von 1939 verknüpft. Einer der Konflikte zwischen Stalin und den Westmächten war also durch die unterschiedlichen Vorstellungen in der polnischen Frage schon angelegt. Die Konferenz von Casablanca Nach Beginn des Nordafrika-Feldzuges trafen Roosevelt und Churchill ohne Stalin in Casablanca zusammen (14. – 24.1. 1943) und einigten sich über eine Landung in Sizilien sowie über die Ausweitung des systematischen Bombenkriegs gegen Deutschland. Ziel war die bedingungslose Kapitulation (unconditional surrender) der Kriegsgegner Deutschland, Italien und Japan. Dieser Forderung schloss sich Stalin am 1. Mai 1943 an. Durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands wollte Roosevelt eine Art Tabula rasa schaffen. Es sollten nicht nur alle Möglichkeiten einer Friedensregelung offen stehen, sondern auch Deutschland als „Friedensstörer“ dauerhaft ausgeschaltet werden. Auch sollte den Deutschen – anders als 1918 – klar werden, dass sie den Krieg verloren hatten; einer neuen Dolchstoßlegende und neuen Revanchegelüsten sollte der Boden entzogen werden. Stalin gab seiner Verstimmung über die erneute Verschiebung der alliierten Invasion in Frankreich in einer persönlichen Botschaft an Roosevelt Ausdruck. Zeichen dieser ernsten Krise sind die geheimen Gespräche über einen deutschsowjetischen Sonderfrieden, die Stalin im Frühjahr 1943 führen ließ. Ziel war 4 Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aber weniger der Austritt aus der Kriegskoalition, als vielmehr eine Warnung an die Alliierten, denen Stalin nach seinen Erfahrungen von 1938 misstraute. Parallel dazu gab er im Mai 1943 die Auflösung der Kommunistischen Internationale (Komintern) bekannt; die Westmächte sollten den Eindruck gewinnen, als gäbe die Sowjetunion alle Pläne für die Weltrevolution auf. 1.2 Von Teheran nach Jalta: Die alliierten Kriegskonferenzen Die Konferenz von Teheran Auf der Außenministerkonferenz in Moskau war zwischen den Vertretern der USA, der UdSSR und Großbritanniens im Oktober 1943 vor allem die Bildung der European Advisory Commission (EAC, Sitz in London) vereinbart worden. Dieses Gremium befasste sich unter anderem mit den praktischen Fragen der Besetzung Deutschlands. So konnten sich die „Großen Drei“ auf der Konferenz von Teheran (28. 11. –1. 12. 1943) grundsätzlichen Fragen der Politik widmen. Neben dem Projekt einer alliierten Landung in Frankreich stand vor allem das polnische Problem auf der Tagesordnung. Stalin lehnte es ab, über die Rückgabe der 1939 erworbenen Gebiete an Polen zu sprechen, für ihn war die 1920 festgelegte „Curzon-Linie“ die historisch richtige Grenze Russlands und der Sowjetunion. Das aber erforderte die Einigung über eine Entschädigung Polens für den Verlust seiner alten Ostgebiete. Nach Stalins Meinung sollte diese Entschädigung so bemessen sein, dass Polen im Westen bis zur Oder reiche. Churchill lehnte diesen Plan nicht ab, wollte sich jedoch zunächst nicht auf den Umfang der Entschädigungen festlegen. Er entwarf die „Formel von Teheran“, in der es hieß, grundsätzlich liege „die Heimstätte des polnischen Staates und der polnischen Nation zwischen der sogenannten Curzon-Linie und der Linie der Oder“ und sollte das südliche Ostpreußen und Oppeln einschließen. Stalins Forderung nach Königsberg und dem nördlichen Ostpreußen erkannten die Westmächte an. Stalin misstraute allerdings den Westmächten. Er befürchtete, die Erfolge der Roten Armee nicht genügend ausnutzen zu können, etwa durch eine Landung der Westalliierten auf dem Balkan, die seine Balkaninteressen (Rumänien, Bulgarien) durchkreuzt hätte. Er stellte daher die Sicherung der Erwerbungen aus dem Hitler-Stalin-Pakt in den Vordergrund und kündigte das sowjetische Eingreifen gegen Japan nach Abschluss des Kriegs in Europa an. Die polnische Frage wurde brisant, als Anfang Januar 1944 die Rote Armee die alte polnisch-sowjetische Grenze von 1921 überschritt und die polnische Exilregierung in London die Einsetzung einer von ihr kontrollierten Zivilverwaltung in den befreiten Gebieten verlangte. Stalin verweigerte dies mit dem Kriegs- und Friedensziele der Alliierten 5 Hinweis auf die „historischen Grenzen“ und mahnte bei Churchill die Zustimmung der Exilpolen zum Teheraner Konferenzbeschluss und den dort festgelegten Gebietskompensationen an. Der Morgenthau-Plan und andere Teilungsprojekte Im September 1944 trafen sich Roosevelt und Churchill auf der zweiten Quebec-Konferenz und besprachen neben der Balkan-Frage und der Planung des weiteren Vorgehens gegen Japan vor allem die Zukunft Deutschlands. Der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau erläuterte hier seinen Plan der Umgestaltung Deutschlands. Er schlug vor, die Deutschen aus den abzutretenden Ostgebieten zu vertreiben, den Großgrundbesitz zu zerschlagen, die deutsche Industrie weitgehend zu demontieren und die Wirtschaft zu einer Agrarwirtschaft umzustrukturieren. Außerdem war die Angliederung des Saargebiets an Frankreich sowie die Internationalisierung des Ruhrgebiets, des Rheinlands und des Nord-Ostsee-Kanals vorgesehen. Dieser radikale Entwurf stieß auf starke Zweifel, sowohl in Bezug auf seine Durchführbarkeit als auch seine Zweckmäßigkeit. Der amerikanische Kriegsminister Stimson stellte dem Morgenthau-Plan Überlegungen gegenüber, die die Anwendung der „Atlantik-Charta“ auch auf Deutschland vorschlugen. Auch der Stimson-Plan sah eine Teilung Deutschlands vor, wollte aber die deutsche Industrie für die Reparationsleistungen und die notwendige Eigenversorgung erhalten, auch im Interesse der politischen Stabilität Deutschlands und Europas und damit des Friedens. Die verschiedenen Pläne zur Neuordnung Deutschlands und seiner Wirtschaft liefen im Kern alle auf eine Abtrennung des Ruhrgebiets von Preußen, dessen Zerschlagung als „Hort des Militarismus“ und eventuell noch auf die Bildung eines separaten Süd-Staates hinaus. Vor allem das US-Außenministerium sah aber in einer erzwungenen Teilung nur eine neue Belastung, denn ihre Absicherung würde finanzielle und militärische Kräfte binden. Die USA befürworteten deshalb die Wiedererrichtung eines deutschen Staates auf föderativer Basis. Auch die Franzosen plädierten für ein dezentralisiertes Deutschland mit möglichst starken Einzelländern. Zu diesem Zweck sollten separatistische Tendenzen gefördert werden, die es hauptsächlich im Süden Deutschlands und im Rheinland gab. Frankreich knüpfte so an seine Politik nach 1919 an, die schon damals als Versuch einer „Balkanisierung“ Deutschlands nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien kritisiert worden war.