Manuskript: Die Sonde New Horizons erreicht Pluto

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Hessischer Rundfunk
hr-iNFO
Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
Wissenswert
Zu Besuch bei einem Zwergplaneten:
Die Sonde New Horizons erreicht Pluto
von
Dirk Lorenzen
Sprecher: Dirk Lorenzen
Sendung: 04.07.15, hr-iNFO
Copyright
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1
Anmoderation:
Seit neuneinhalb Jahren ist sie auf der Reise an den Rand
unseres Sonnensystems, so schnell wie keine andere
Raumsonde bisher, und in wenigen Tagen hat sie ihr wichtigstes
Ziel erreicht: das ungefähr Konzertflügel-große Raumschiff
New Horizons. Neue Horizonte sollen also gesichtet werden,
insbesondere aber Pluto, der Zwerg unter den Planeten
unseres Zentralsterns. Mein Name ist khw.
Akzent
Moderator
Die Spannung bei den Astronomen und Weltraumfans steigt. In
wenigen Tagen erreicht zum ersten Mal eine Raumsonde den
fernen Pluto ganz am Rand des Sonnensystems. Pluto ist eine
eisige Steinkugel, er hat nur gut 2.000 Kilometer Durchmesser,
und seit neun Jahren gilt er zudem nicht mehr als Planet,
sondern nur noch als Zwergplanet. Zu viele gleich große und
sogar noch größere eisige Steinkugeln hat man inzwischen in
der Nähe von Pluto nachgewiesen, und tausend Planeten wollte
die Internationale Astronomische Union den Schülern offenbar
nicht zum Auswendiglernen zumuten. Aber diese Änderung tut
der Faszination der eisigen Kugel jenseits des Neptun keinen
Abbruch. Vielleicht gelingt es Dirk Lorenzen ja nun, auch Sie auf
das nächste große Raumfahrtereignis einzustimmen.
2
Beitrag (1)
Autor 1:
Donnerstag, 19. Januar 2006, 14 Uhr Ortszeit am KennedyWeltraumzentrum in den USA. Auf der Startrampe steht eine
voll betankte Atlas-Rakete, um eine historische Mission ins All
zu tragen.
Atmo 1:
...5, 4, 3, 2, 1, we have ignition and lift-off of NASA's New Horizons
spacecraft on a decade-long voyage to visit the planet Pluto and then
beyond...
Autor 2:
Auf einem Feuerschweif stemmt sich die Rakete in den blauen
Himmel über Florida, an Bord wertvolle Fracht: die Raumsonde
New Horizons. Ein Jahrzehnt lang wird sie unterwegs sein, um
den Planeten Pluto zu besuchen und danach in die Bereiche
jenseits von ihm vorzudringen, wie der NASAStartkommentator begeistert verkündet. Inzwischen hat die
kleine Sonde fast fünf Milliarden Kilometer zurück gelegt – und
am kommenden Dienstag hat das lange Warten endlich ein
Ende.
3
O-Ton 1, Ralf Jaumann:
„Am 14. Juli fliegt die Raumsonde New Horzions an dem Zwergplaneten
Pluto vorbei und an seinen Monden und wird dort innerhalb relativ kurzer
Zeit, weil es nur ein Vorbeiflug ist, sehr, sehr viele Untersuchungen
durchführen, Aufnahmen machen und spektrale Messungen.“
Autor 3:
Ralf Jaumann ist Planetenforscher am Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt. Mit großem Interesse verfolgt er, wie die
US-Weltraumbehörde NASA sich darauf vorbereitet, einen der
letzten weißen Flecken des Sonnensystems zu erkunden. Alle
sieben Planeten – von Merkur bis Neptun – haben bereits
Besuch von Raumsonden bekommen. Nun endlich folgt auch
der erst 1930 entdeckte Pluto, freut sich der New HorizonsChefwissenschaftler Alan Stern:
O-Ton 2, Alan Stern:
„The spacecraft is in perfect health...
Übersetzung 1:
„Die Raumsonde ist vollkommen intakt – die lange Reise hat keine Spuren
hinterlassen. An Bord sind sieben wissenschaftliche Instrumente, mit
denen wir Pluto erforschen. Mit New Horizons verwandeln wir jetzt einen
Lichtpunkt in einen Planeten.“
...this is a real moment in time to watch us turn a point of light to a
planet.“
4
Autor 4:
Tatsächlich blieb Pluto bisher selbst im HubbleWeltraumteleskop nur ein winziges verwaschenes Fleckchen.
Gäbe es auf ihm Kontinente wie auf der Erde, so wären selbst
sie bisher nicht entdeckt worden. Das wird sich nun ändern:
New Horizons rast am 14. Juli in nur rund 12.000 Kilometern
Abstand an Pluto vorbei. Die Sonde wird vermutlich
spektakuläre Fotos schießen – Aufnahmen von einer minus 200
Grad Celsius kalten Plutowelt:
O-Ton 3, Ralf Jaumann:
„Die Oberfläche wird sicherlich geprägt sein durch die Tatsache, dass es
Kollisionen gegeben hat. Wir werden sehr viele Einschlagkrater sehen. …
Man könnte sich durchaus vorstellen, dass wir dort flüssige Seen finden
von Gasen, die unter diesen Temperaturen den Zustand der Flüssigkeit
einnehmen können. Und wenn wir es nicht sehen, dann könnte es
durchaus sein, dass wir Spuren davon sehen: Rillen, Täler und Flüsse.
Man kann durchaus sagen, dass da einiges zu erwarten ist.“
Autor 5:
So groß die Vorfreude der Forscher am Boden auch ist – ihnen
bleibt am Dienstag nur, fest die Daumen zu drücken. Denn New
Horizons ist beim rasanten Vorbeiflug auf sich allein gestellt. Es
laufen nur die schon vor Wochen zur Sonde gefunkten
Programme ab, und alle Bilder und Messwerte werden
5
zunächst an Bord gespeichert. Erst ab Mittwoch beginnt dann
das langwierige Übertragen der Daten zur Erde.
Moderator
Ab Mittwoch, dem 15. Juli wohlgemerkt, es ist also noch ein
paar Tage hin bis zu diesem Tag der Erfolgskontrolle. Um sicher
zu sein, dass Messdaten zur Erde gelangen, hat man die Sonde
übrigens mit mehreren Antennensystemen ausgestattet. Eine
Art Notsystem könnte selbst dann noch zur Erde funken, wenn
die Hauptantennen nicht mehr zur Erde ausgerichtet werden
könnten. Erfolgreich gearbeitet hat New Horizons übrigens
schon im Jahr 2007 beim Vorbeiflug an Jupiter.
Beitrag (2)
Autor 6:
Pluto macht es den Forschern nicht leicht. Er ist mehr als
dreißigmal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Mit gut
2.300 Kilometern Durchmesser erreicht er nicht einmal die
Ausmaße unseres Mondes. Pluto ist eine kleine Eiskugel, die
sage und schreibe fast zweihundertfünfzig Jahre braucht, um
die Sonne einmal zu umrunden. Bemerkenswert ist zudem sein
übertrieben großer Mond Charon: Charon ist halb so groß wie
Pluto. New Horizons soll bei ihrer Stippvisite nicht nur Bilder
des ungewöhnlichen Paares machen, betont der
6
Planetenwissenschaftler Hal Weaver:
O-Ton 4, Hal Weaver:
„The other most important objective of the mission is to map the chemical
composition of the surface of Pluto and Charon...
Übersetzung 2:
„Ein weiteres Hauptziel der Mission ist, die chemische Zusammensetzung
der Oberflächen von Pluto und Charon zu kartieren. Wir wollen wissen,
welche Stoffe dort vorkommen. Zudem untersuchen wir Plutos dünne
Atmosphäre. Eines haben wir aber aus 50 Jahren Planetenforschung
gelernt. Wenn man irgendwo zum ersten Mal hin fliegt, dann entdeckt man
stets völlig überraschende Dinge, die man sich niemals hat vorstellen
können. Auch das macht diese Mission so aufregend.“
...and this is going to be part of the excitement of this mission.“
Autor 7:
Zwar mühen sich die Wissenschaftler seit langem mehr über
Pluto zu erfahren. Doch bisher liefern die mit Teleskopen auf
der Erde – also aus großer Entfernung – erfolgte
Beobachtungen nur eine sehr vage Vorstellung dieses
Himmelskörpers, erläutert Alan Stern:
O-Ton 5, Alan Stern:
„We know that it is rocky in the inside, icy on the outside...
7
Übersetzung 3:
„Wir wissen, dass Pluto einen Gesteinskern hat, der von einer dicken
Eisschicht umgeben ist. Auf seiner Oberfläche gibt es mindestens drei
Gase: Stickstoff, Kohlenmonoxid und Methan. Diese Gase dürften immer
mal wieder aus der Atmosphäre ausfrieren, manchmal flüssig vorkommen
und von der Oberfläche verdampfen. Charon, der größte Mond, sieht ganz
anders aus. Er enthält wohl deutlich weniger Gestein. Offenbar hat er
keine Atmosphäre, doch seine Oberfläche scheint erstaunlich aktiv zu
sein.“
...tantalizing signs of surface activity.“
Autor 8:
Bisher ist Pluto kaum mehr als ein Schemen in den dunklen
Weiten des Kosmos, eine weithin unerforschte, nahezu
spukhafte Erscheinung. Doch der Vorbeiflug von New Horizons
kann binnen Stunden eine neue Ära der Plutoforschung
begründen, hofft der Chefwissenschaftler der Mission:
O-Ton 6, Alan Stern:
„By the time we are done we will have mapped Pluto, Charon and the other
moons...
Übersetzung 4:
„Wenn wir vorbeigeflogen sind, werden wir Pluto, Charon und die vier
kleinen Monde umfassend erforscht haben: Wir kartieren die Oberflächen
und ihre geologischen Strukturen, untersuchen die chemischen Stoffe und
8
messen die Temperatur. Wir lernen, wie Pluto und Charon im Innern
aufgebaut sind und ob sie unter dem Eispanzer vielleicht einen
Wasserozean haben. Zudem halten wir nach unbekannten Monden
Ausschau. Wir bekommen also sehr vielseitige Informationen über dieses
mysteriöse System.“
...rich variety of data sets about this strange and mysterious system.“
Autor 9:
Doch bei der Erkundung von Pluto geht es nicht nur darum, wie
eine weit entfernte Eiskugel aussieht. Pluto befindet sich ja in
der Nähe des Außenbereichs unseres Sonnensystems, und die
Forscher erwarten daher einzigartige Informationen über die
Ursprünge unserer kosmischen Heimat, erklärt Ralf Jaumann
vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt:
O-Ton 7, Ralf Jaumann:
„Umso weiter draußen, umso weniger prozessiert ist das Zeug, umso
ursprünglicher ist es. Insofern hilft es natürlich zu verstehen, wie das
Sonnensystem entstanden ist. Aber wir sind auch im Grenzbereich
sozusagen zu anderen Sternen, in einer Zone, die nicht nur wegen Pluto
selber, sondern auch wegen aller anderen Dinge, die da draußen
passieren, interessant sind.“
Autor 10:
Denn jenseits der großen Planeten, im interplanetaren
Gefrierfach, sind die Reste jener Urwolke bestens erhalten, aus
9
der vor viereinhalb Milliarden Jahren die Sonne und die
Planeten entstanden sind, also auch unsere Erde. Pluto war bei
seiner Entdeckung 1930 und noch Jahrzehnte danach ein
einsamer Sonderling jenseits von Neptun, dem entferntesten
Riesenplaneten. Seit den 90er Jahren aber haben die
Astronomen mehr als eintausend Objekte in diesem Bereich
entdeckt – die Fachleute sprechen vom Kuipergürtel. Dessen
Entdeckung führte dazu, dass 2006 Pluto vom Planeten zum
Zwergplaneten herabgestuft wurde. Die Aufregung war groß,
und sie ist es zum Teil noch immer.
O-Ton 8, Ralf Jaumann:
„Das ist eine, denke ich, schon wichtige, aber auch ein wenig eine
semantische Diskussion. Die Problematik da ist aufgekommen, weil es da
draußen noch mehrere pluto-große Körper gibt. Die Frage war natürlich:
Was machen wir jetzt? Zählen wir da immer mehr Planeten dazu und
definieren alles, was bis an den Rand des Sonnensystems geht, auch als
Planeten? Oder finden wir eine Definition für Planeten, die sich etwas
stärker eingrenzen lässt als nur über die Größe?“
Autor 11:
Vor allem in den USA können sich manche Pluto-Fans – auch
unter den Wissenschaftlern – einfach nicht mit der
„Degradierung“ des eisigen Körpers abfinden. Auch das New
Horizons-Team wurde von der neuen Definition überrascht:
Beim Start der Sonde im Januar 2006 war Pluto noch ein Planet
10
– sieben Monate später war New Horizons „nur“ noch eine
Zwergplanetensonde. Doch Pluto ist es völlig egal, welches
Etikett ihm die Wissenschaftler geben. Für die Erforschung der
Ursprünge unseres Sonnensystems bleibt er ein äußerst
wichtiger Himmelskörper – und seine Erkundung passt ideal zu
anderen Raumfahrt-Projekten:
O-Ton 9, Ralf Jaumann:
„Die Mission zum Pluto kann man natürlich nicht nur allein sehen. Wir
haben das Glück, dass wir drei große Missionen haben, die kleine
Eiskörper untersuchen. Da ist Rosetta mit Tschurjumow-Gerasimenko,
das ist ein Komet, der untersucht wird. Wir untersuchen gerade mit der
Dawn-Mission Ceres, das ist ein Eis-Asteroid. Und wir
haben jetzt Pluto, das ist ein Körper sozusagen im äußeren
Sonnenbereich. Damit haben wir natürlich die Chance, sehr viele dieser
kleinen, aber ursprünglichen Körper im Sonnensystem zu untersuchen.
Alle drei zusammen werden uns sehr, sehr viel verraten über die
Entstehung des Sonnensystems, über das erste Material in diesem
Sonnensystem und damit letztlich auch, wie sich Planeten gebildet
haben.“
Autor 12:
Riesenplaneten wie Jupiter und Saturn mögen faszinierende
Objekte sein und uns mit ihrer Größe und Schönheit
beeindrucken. Doch den kleinen Eiskörpern im Sonnensystem,
von denen es zigtausende gibt und einst noch viel mehr
gegeben haben muss, verdanken wir womöglich unsere
Existenz.
11
O-Ton 10, Ralf Jaumann:
„Wir wissen, dass wir mit der Erde im inneren Sonnensystem sitzen, in
einem Bereich, der in der Anfangsphase völlig frei von Gasen gewesen ist,
auch von Wasser. Und die Frage, wie das Wasser auf die Erde gekommen
ist, ist bis heute nicht geklärt. Und jetzt haben wir da drei Eiskörper, die
wir genauer betrachten können. Vielleicht hilft das ein Stückchen weiter zu
verstehen, wie die Erde so geworden ist, wie sie ist.“
Autor 13:
Vermutlich sind vor rund vier Milliarden Jahren viele Eiskörper
mit der Erde kollidiert und haben so das Wasser angeliefert.
Belege für oder gegen die Theorie, dass das Wasser
buchstäblich vom Himmel gefallen ist, sollen die
Beobachtungen von Tschjurjumow-Gerasimenko, Ceres und
eben Pluto liefern. Der gehört zu den größten Eiskörpern im
Sonnensystem – und wird selbst von einigen Eisbrocken
umkreist, erklärt der Planetenwissenschaftler William
McKinnon von der Washington University in St. Louis:
O-Ton 11, William Mckinnon:
„Pluto has 5 moons, 4 of which we didn't even know about when we started
the New Horizons project...
Übersetzung 5:
„Pluto hat 5 Monde. Vier davon waren uns noch beim Beginn des New
Horizons-Projekts unbekannt. Die Monde laufen alle in einer Ebene um
12
Pluto. Dort draußen haben wir eine Art Miniaturausgabe des
Planetensystems. Das alles genauer zu untersuchen, wird uns viel
darüber verraten, was im Kuiper-Gürtel jenseits des Neptun vor sich geht.
Es gibt auch einen direkten Bezug zu unserem Planeten: Sowohl die
Monde von Pluto als auch der Erdmond haben sich nach einem gewaltigen
Zusammenstoß gebildet – sie befinden sich an ganz unterschiedlichen
Orten, sind aber auf die gleiche Weise entstanden.“
...but it is the same formation process.“
Autor 14:
Die Pluto-Monde müssen gemeinsam entstanden sein und
haben sich aus Material verklumpt, das nach einem gewaltigen
Einschlag aus Pluto herausgeschleudert worden war. Nur so ist
zu erklären, dass sie sich alle in einer Ebene bewegen und in
derselben Richtung um ihren Hauptkörper laufen. Doch diese
Kollisionen und die vielen Monde könnten der New HorizonsSonde durchaus gefährlich werden, betont der
Chefwissenschaftler Alan Stern:
O-Ton 12, Alan Stern:
„Our primary concern is about the possibility of collisions with small
debris in the Pluto system...
Übersetzung 6:
„Wir fürchten mögliche Kollisionen mit kleinen Trümmerstücken im
Plutosystem. New Horizons bewegt sich mit 50.000 Kilometern pro
13
Stunde. Da könnte schon der Treffer eines kleinen Steinchens fatal sein.
Wir gehen auf Nummer sicher und übertragen an den beiden Tagen vor
der Ankunft die wichtigsten bis dahin gesammelten Daten. Dann haben wir
auf jeden Fall schon etwas am Boden, bevor wir mit der Sonde ins Herz
des Plutosystems vorstoßen und einige Risiken eingehen.“
...before we pass in the heart of the satellite system and take any possible
risk.“
Autor 15:
Das Vordringen in unbekannte Bereiche ist immer auch ein
wenig ein Blindflug ins Ungewisse. Im Mai und Juni hat das
New Horizons-Team schon aus der Ferne sehr genau Pluto und
seine Monde beobachtet. Ziel war, mögliche Gefahren für die
Sonde auszumachen und gegebenenfalls deren Bahn zu
ändern. Doch Brocken von wenigen Zentimetern bis einigen
Metern Größe lassen sich nicht vorher erkennen. Sollte solch
ein Stein New Horizons in die Quere kommen, wäre die Mission
mit einem Schlag beendet. Aber dieses – minimale – Risiko
lässt sich nicht umgehen, erklärt James Green, NASA-Direktor
für Planetenwissenschaft:
O-Ton 13, James Green:
„Pluto is more than 4,5 light hours away from Earth...
Übersetzung 7:
„Pluto ist so weit entfernt, dass die Funksignale viereinhalb Stunden
14
brauchen – hin und zurück also neun Stunden. Damit ist es völlig
unmöglich, die Sonde vor Ort direkt zu steuern. Sie muss gerade während
des Vorbeiflugs perfekt arbeiten und selbst wissen, was sie zu tun hat.
New Horizons ist vermutlich die am weitesten autonom arbeitende
Raumsonde, die je gestartet wurde.“
...probably the most autonomous planetary spacecraft ever launched.“
Autor 16:
Das Team um den Projektmanager der Mission, Glen Fountain
von der Johns Hopkins Universität im US-Bundesstaat
Maryland, hat immer und immer wieder den Vorbeiflug
durchgespielt und in Computermodellen simuliert. Nicht
auszudenken, New Horizons würde in den entscheidenden
Momenten nicht Pluto im Blick haben, sondern die schwarzen
Tiefen des Kosmos. Während der Passage konzentriert sich die
Sonde rein auf die Beobachtungen und Messungen. Damit der
Vorbeiflug wissenschaftlich so ergiebig wie möglich wird, muss
dem New Horizons-Team ein wahrer Kunstschuss gelingen.
O-Ton 14, Glen Fountain:
„We need to send it to a very precise point, as we fly by Pluto...
Übersetzung 8:
„Wir müssen die Sonde beim Vorbeiflug durch ein virtuelles Schlüsselloch
manövrieren. Es ist 100 mal 150 Kilometer groß und wir müssen es
innerhalb eines Zeitfensters von nur 100 Sekunden passieren. Wir fliegen
15
fast 5 Milliarden Kilometer weit und das neuneinhalb Jahre lang – aber
navigieren auf wenige Kilometer und Sekunden genau. Und um es noch
ein wenig schwieriger zu machen: Nach der Passage an Pluto müssen wir
durch seinen Schatten und den von Charon fliegen. Erst wenn alle Daten
gesammelt sind, dreht sich die Raumsonde so, dass sie die Daten zur Erde
übertragen kann.“
...collect the data and then turn it around and get it home.”
Autor 17:
Bei den Flügen durch die Schatten der beiden größten Körper
im Plutosystem lernen die Forscher viel über die Atmosphäre
Plutos und das vielleicht ganz dünne Gas in der Umgebung
Charons. So aufregend die entscheidenden Stunden und Tage
werden. Die Forscher bedauern, dass New Horizons an Pluto
rasend schnell vorbeifliegt und buchstäblich im Vorbeifliegen
nur ein paar schnelle Eindrücke sammelt – doch anders war
diese Mission nicht durchzuführen, erklärt Ralf Jaumann:
O-Ton 15, Ralf Jaumann:
„Die Problematik ist, dass sie nicht einfach da draußen abbremsen können
und in einen Orbit gehen, dafür brauchen sie immens viel Energie, die in
so einem kleinen Raumschiff wie New Horizons nicht zu realisieren ist. Es
ist da draußen auch ein sehr, sehr schwieriges Manöver, also ganz einfach
ist das nicht.“
16
Autor 18:
Als die NASA um die Jahrtausendwende herum Vorschläge für
eine Plutomission erbeten hatte, musste das Team um
Projektmanager Glen Fountain harte Entscheidungen treffen:
O-Ton 16, Glen Fountain:
„First, it is a long way to Pluto and to get there in a reasonable time, 9.5
years, you had to make the spacecraft light...
Übersetzung 9:
„Pluto ist sehr weit weg. Und um dort in vernünftiger Zeit hinzukommen –
und für uns sind das neuneinhalb Jahre – musste die Sonde sehr leicht
sein. Nur so konnte New Horizons zur schnellsten Raumsonde werden, die
je gestartet wurde. Sie ist nur etwa 500 Kilogramm schwer und hat die
Ausmaße eines Konzertflügels.“
...size of a grand piano.“
Autor 19:
Die kleine Sonde ist wirklich ein Stück Ingenieurskunst.
Während sie durch die eisige Kälte des Weltraums fliegt, sind
die Instrumente im Innern gut geheizt. Dabei ist die
Stromversorgung dort draußen äußerst schwierig. Denn die
Sonne scheint am Pluto nur etwa ein Tausendstel so hell wie
bei uns.
17
O-Ton 17, Glen Fountain:
„Solar arrays don't work there...
Übersetzung 10:
„Solarzellen funktionieren dort nicht. Zum Glück konnten wir
Radionuklidbatterien nutzen. An Bord von New Horizons sind knapp elf
Kilogramm Plutonium. Dessen radioaktiver Zerfall produziert Wärme, die
ein Generator in Strom umwandelt. Wir haben 200 Watt, um das
Raumschiff zu betreiben.“
...200 Watts we use to operate the spacecraft“.
Autor 20:
Damit steht der Raumsonde nur etwa ein Viertel der Energie
zur Verfügung, die ein herkömmlicher Toaster braucht. Der
Sender an Bord, über den die gesamte Kommunikation mit der
Erde erfolgt, hat sogar nur 12 Watt – etwa so viel wie ein
Kühlschranklämpchen. Davon kommt auf der Erde fast nichts
mehr an. Doch die 70 Meter großen Antennen des Deep Space
Network der NASA sind empfindlich genug, um auch das
äußerst schwache Signal von New Horizons zu empfangen. Ein
beträchtlicher Anteil der Masse der Sonde geht zudem auf
Komponenten zurück, die – so hoffen die Forscher – nie
gebraucht werden. Das klingt paradox, ist aber höchst
professionell.
18
O-Ton 18, Glen Fountain:
“We built a lot of redundancy on the spacecraft just in case something
fails...
Übersetzung 11:
„Wir haben alle wichtigen Teile des Raumschiffs doppelt eingebaut – für
den Fall, dass mal eines ausfällt. Bisher gab es keinerlei technischen
Defekte, aber wenn welche auftreten, sind wir vorbereitet: Den
Bordcomputer gibt es doppelt, ebenso das Datenaufzeichnungssystem und
andere kritische Teile. Wir haben zwei Sender an Bord und es gibt so viele
Steuerdüsen, dass wir alles mit der Raumsonde machen können, auch
wenn mal eine Düse ausfällt. Dies alles musste in die kleine leichte Sonde
passen, damit wir es auch wirklich in neuneinhalb Jahren zum Pluto
schaffen.“
...to get there in 9.5 years.“
Autor 21:
Zuletzt haben Techniker vor einem Jahrzehnt an New Horizons
gearbeitet – seither fliegt die Sonde ganz ohne Wartung durch
die harschen Bedingungen des Weltraums. Ein Auto auf der
Erde wäre längst ein Fall für den Abschleppdienst – doch New
Horizons funktioniert noch immer tadellos. Somit können nun
die „Pluto-Festspiele“ beginnen, die ebenso kurze wie intensive
Erforschung des Eiskörpers am Rande des Sonnensystems.
19
O-Ton 19, Alan Stern:
„We are excited. It sounds like science fiction, but it is not.“
Autor 22:
Es seien alle sehr aufgeregt, erklärt der Chefwissenschaftler.
Die Mission möge nach Science-Fiction klingen, sei es aber
nicht. Hal Weaver und seine Kollegen aus der
Planetenforschung weltweit verfolgen jetzt wie im Rausch, wie
New Horizons neue Horizonte aufzeigt:
O-Ton 20, Hal Weaver:
„This is our first step into this new land...
Übersetzung 12:
„Das ist unser erster Schritt in dieses neue Land. Wir dringen in den
Kuiper-Gürtel vor, jene Region am Rand des Sonnensystems, von der wir
bis in die 90er Jahre hinein rein gar nichts wussten. Wir werden mit New
Horizons dort draußen so viel erforschen wie nur irgend möglich. So eine
Chance bekommen wir alle nur einmal im Leben.“
...this is truly a once-in-a-lifetime opportunity.“
Moderation:
"Zu Besuch bei einem Zwergplaneten. Die Sonde New Horizons
erreicht Pluto." Autor und Sprecher dieser Ausgabe von
hr-iNFO-Wissenswert war Dirk Lorenzen. Und wenn wir Sie
neugierig gemacht haben auf weitere Beiträge der Reihe
20
Wissenswert, dann schauen Sie einfach mal in unser PodcastAngebot auf hr-inforadio.de, unter der Rubrik Wissenswert.
Mein Name ist khw.
21
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