50schlüssel ideen

Werbung
Astronomie und Kosmologie
Sachbuch
50
Joanne Baker
schlüssel
ideen
Joanne Baker
50 Schlüsselideen
Astronomie und
Kosmologie
Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Gerl
Spektrum
AKADEMISCHER VERLAG
Inhalt
Einleitung 3
DER BLICK INS UNIVERSUM
01 Planeten 4
02 Das heliozentrische Weltbild 8
03 Keplers Gesetze 12
04 Newtons Gravitationsgesetz 16
05 Newtons Theorie der Optik 20
06 Das Teleskop 24
07 Fraunhofer-Linien 28
08 Der Doppler-Effekt 32
09 Parallaxe 36
10 Die große Debatte 40
GALAXIEN
29 Die Hubble-Klassifikation für
Galaxien 116
30 Galaxienhaufen 120
31 Großräumige Strukturen 124
32 Radioastronomie 128
33 Quasare 132
34 Der kosmische Röntgenhintergrund 136
35 Supermassereiche Schwarze
Löcher 140
36 Die Entwicklung von
Galaxien 144
37 Gravitationslinsen 148
KOSMOLOGIE
11 Olbers’ Paradoxon 44
12 Die Hubble-Konstante 48
13 Die kosmische Entfernungsleiter 52
14 Der Urknall 56
15 Der kosmische Mikrowellenhintergrund 60
16 Die Nukleosynthese im Urknall 64
17 Antimaterie 68
18 Dunkle Materie 72
19 Die kosmische Inflation 76
20 Dunkle Energie 80
RAUMZEIT UND DARÜBER HINAUS
21 Machs Prinzip 84
22 Die Spezielle Relativitätstheorie 88
23 Die Allgemeine Relativitätstheorie 92
24 Schwarze Löcher 96
25 Teilchenastrophysik 100
26 Das Higgs-Boson 104
27 Die String-Theorie 108
28 Das anthropische Prinzip 112
STERNE
38 Die Klassifikation von Sternen
152
39 Die Entwicklung von Sternen
156
40 Die Geburt eines Sterns 160
41 Der Tod eines Sterns 164
42 Pulsare 168
43 Gammablitze 172
44 Veränderlichkeit 176
45 Die Sonne 180
46 Exoplaneten 184
47 Die Entstehung des
Sonnensystems 188
48 Monde 192
49 Astrobiologie 196
50 Das Fermi-Paradoxon 200
Glossar 204
Index 206
Einleitung
Einleitung
Die Astronomie ist eine der ältesten Grundlagenwissenschaften. Seit unsere Vorfahren zum ersten Mal die Bewegungen der Sonne und der Sterne verfolgten, haben die Ergebnisse ihrer Beobachtungen die Auffassung über unseren Platz im Universum immer wieder radikal verändert.
Jeder Durchbruch hatte auch Auswirkungen auf das soziale Gefüge. Im 17. Jahrhundert wurde
Galileo Galilei für die Behauptung, die Erde kreise um die Sonne, verhaftet. Auch als man
zeigen konnte, dass sich unser Sonnensystem weit außerhalb des Zentrums der Milchstraße
befindet, gab es einen Aufschrei des Unglaubens. Doch im Jahre 1920 brachte Edwin Hubble
die Zweifler zum Schweigen, als er beobachtete, dass die Milchstraße nur eine von Milliarden
von Galaxien in einem riesigen Universum ist, das sich ausdehnt und schon seit 14 Milliarden
Jahren besteht.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts folgten neue Beobachtungen dank neuer Technologien in
immer kürzeren Abständen aufeinander. Das Jahrhundert begann mit einem tieferen Einblick in
Sterne und die Fusionsprozesse in ihrem Inneren, parallel dazu verstanden wir die Kernkraft
und die radioaktive Strahlung und bauten Atombomben. Die Jahre während und nach dem
Zweiten Weltkrieg brachten die Entwicklung der Radioastronomie und die Entdeckung von
Pulsaren, Quasaren und Schwarzen Löchern. Neue Fenster zum Universum wurden aufgestoßen, angefangen bei der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung bis hin zum Röntgenund Gammastrahlenhimmel. Jede Frequenz brachte ihre eigenen Entdeckungen.
Dieses Buch unternimmt eine Reise durch die Astronomie aus Sicht der modernen Forschung. Die ersten Kapitel beschreiben die großen Sprünge der Philosophie, als man begriff,
welche ungeheuren Ausmaße das Universum hat, und führen in die Grundlagen der Gravitation
ebenso wie in die Funktionsweise eines Teleskops ein. Die nächsten Kapitel behandeln Fragen,
die die Kosmologie bereits beantwortet hat; sie beschreiben die Erforschung des Universums
im Ganzen – woraus es aufgebaut ist, wie es sich entwickelt hat und noch entwickeln wird.
Dann werden theoretische Aspekte des Universums wie die Relativitätstheorie, Schwarze
Löcher und Multiversen eingeführt. Die letzten Kapitel analysieren im Detail, was wir über Galaxien, Sterne und das Sonnensystem wissen, und behandeln Themen von Quasaren über die
Entwicklung von Galaxien bis hin zu Exoplaneten und zur Astrobiologie. Das Tempo, in dem
neue Entdeckungen unsere Kenntnisse erweitern, ist immer noch hoch: Vielleicht werden wir in
den kommenden Dekaden Zeuge der nächsten großen Umwälzungen werden – wenn wir Leben
jenseits der Erde entdecken.
3
4
Der Blick ins Universum
01 Planeten
Wie viele Planeten gibt es? Vor wenigen Jahren war das noch eine einfache
Frage, die jeder beantworten konnte – neun. Heute ist die Antwort umstritten. Zu verdanken haben wir das den Astronomen, die im Gefrierschrank am
äußeren Rand des Sonnensystems felsige Körper gefunden haben, welche
es mit Pluto aufnehmen können, und die außerdem Hunderte von Planeten
um weit entfernte Sterne entdeckten. Daher musste man die Definition eines
Planeten überdenken, was dazu führte, dass man unserer Sonnensystem
kurzerhand verkleinerte und ihm heute nur noch acht Planeten und einige
Zwergplaneten wie Pluto zuspricht.
Schon seit vorgeschichtlichen Zeiten wissen wir, dass Planeten etwas anderes sind
als Sterne. Planeten, die nach dem griechischen Wort für „Wanderer“ benannt sind,
ziehen vor dem unveränderlichen Hintergrund der Sterne über den Nachthimmel.
Jede Nacht bilden die Sterne dieselben Muster. Ihre Konstellationen drehen sich
allesamt langsam um den Nord- und Südpol und jeder Stern brennt täglich eine präzise Kreisbahn in den Himmel. Doch die Position der Planeten zu den Sternen
ändert sich jeden Tag ein wenig; sie folgen einer schiefen Bahn über den Himmel,
die Ekliptikebene genannt wird. Alle Planeten bewegen sich auf ihrem Weg um die
Sonne in der gleichen Ebene, die auf den Himmel projiziert, eine Linie ergibt.
Neben der Erde sind die fünf wichtigsten Planeten – Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn – schon seit Jahrtausenden bekannt. Man kann sie mit bloßem Auge
leicht beobachten, oft überstrahlen sie ihre stellaren Nachbarn, und die Tatsache,
dass sie sich anders als die Sterne bewegen, hat ihnen zu einem besonderen Status
in der Mythologie verholfen. In noch mehr Ehrfurcht erstarrte man nach dem Aufkommen der ersten Teleskope im 17. Jahrhundert: Nun erkannte man, dass der
Saturn von wunderbaren Ringen umgeben ist, der Jupiter sich mit einer Gesellschaft
von Monden schmückt und die Oberfläche des Mars ist von dunklen Kanälen
durchzogen.
Planet X Dieses festgefügte Bild des Himmels wurde 1781 durch eine Entdeckung des deutsch-britischen Astronomen Friedrich Wilhelm (William) Herschel er-
Zeitleiste
ca.
350 v. Chr.
Aristoteles stellt fest,
dass die Erde rund ist
1543
1610
1781
Kopernikus veröffentlicht sein heliozentrisches Weltbild
Galileo Galilei entdeckt
die Monde des Jupiters
mit einem Teleskop
Friedrich Wilhelm
Herschel entdeckt
den Uranus
Planeten
schüttert. Den Uranus hielt man, weil er weniger hell ist und sich langsamer als andere
Wie ist ein Planet definiert?
Planeten bewegt, zunächst für einen banalen
Ein Planet ist ein Himmelskörper, der
Stern. Doch Herschels genaue Beobachtuna) in einer Bahn um die Sonne kreist
gen bewiesen, dass er die Sonne umkreist;
b) ausreichend Masse hat, sodass seine
im Ansehen beträchtlich gestiegen, verlieh
Eigengravitation stärker ist als die
man Uranus daraufhin den Status eines PlaKräfte in einem Festkörper,
neten. Herschel sonnte sich in seinem
wodurch er seine runde Form erhält.
Ruhm, der ihm angesichts seiner Entdec) die Umgebung in seiner Umlaufbahn
ckung zuteil wurde, und er gewann sogar
freigeräumt hat.
die Gunst von König Georg III., da er den
neuen Planeten kurzerhand nach dem englischen König benennen wollte.
Bald danach schlossen sich weitere Entdeckungen an. Leichte Unregelmäßigkeiten in der Umlaufbahn des Uranus ließen darauf schließen, dass sich in größerer Entfernung ein weiterer Himmelskörper befinden musste. Mehrere Astronomen machten sich am erwarteten Ort auf die Suche.
Belohnt wurden ihre Bemühungen im Jahre 1846, als der Franzose Urbain Jean
Joseph Le Verrier fündig wurde und den Planeten Neptun entdeckte. Er kam damit
knapp dem britischen Astronomen John Couch Adams zuvor, der die Entdeckung
jedoch bestätigte.
Dann, im Jahre 1930, folgte Pluto. Wie schon bei Neptun schloss man aus geringen Abweichungen in den Bahnen der äußeren Planeten auf einen weiteren Himmelskörper – damals als Planet X bezeichnet. Clyde Tombaugh vom Lowell Observatory in den USA spürte das Objekt schließlich auf, als er Fotos des Nachthimmels
verglich, die zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen worden waren. Namensgeberin war jedoch eine Schülerin. Venetia Burney aus Oxford in Großbritannien hatte
einen Wettbewerb zur Namesvergabe mit ihrem von der klassischen Antike inspirierten Vorschlag „Pluto“, dem Gott der Unterwelt, gewonnen.
Und Pluto inspirierte seinerseits viele kreative Köpfe aus Kunst,
Genau wie Kontinente
Kultur und Wissenschaft, angefangen bei Disneys Zeichentrick- werden Planeten mehr
hund bis hin zum neu entdeckten Element Plutonium.
‚
über das definiert, was
wir über sie denken, als
Pluto entthront Unser aus neun Planeten bestehendes Sonnensystem stand nun für weitere 75 Jahre festgefügt am Himmel durch eine nachträgliche
– bis Michael Brown und seine Kollegen vom California Institute offizielle Verlautbarung
of Technology herausfanden, dass Pluto nicht allein ist. Nicht
Michael Brown, 2006
‘
1843–1846
1930
1962
1992
2005
Neptun wird vorhergesagt
und von Adams und Le
Verrier gefunden
Clyde Tombaugh
entdeckt Pluto
Mariner 2 macht die ersten Bilder von der Oberfläche eines anderen
Planeten, der Venus
Der erste extrasolare
Planet wird entdeckt
Michael Brown entdeckt Eris
5
6
Der Blick ins Universum
Planeten
ZwergPlaneten
weit von der eisigen Umlaufbahn des Pluto fanden sie eine Hand voll recht großer
Objekte, eines davon sogar größer als Pluto selbst. Sie nannten es Eris. Die Astronomen standen vor einem Problem. Sollte man das von Brown entdeckte Objekt als
zehnten Planeten anerkennen?
Und wie sollte man mit den anderen eisigen Himmelskörpern in der Nähe von
Pluto und Eris verfahren? Letztlich stellte man Plutos Status als Planet infrage. Die
äußeren Gebiete des Sonnensystems sind übersät mit eisüberzogenen Objekten, von
Friedrich Wilhelm Herschel (1738–1822)
Friedrich Wilhelm Herschel wurde 1738 in
Hannover geboren. Er emigrierte 1757 nach
England und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Musiker. Herschel entwickelte
ein reges Interesse an Astronomie, das er
mit seiner Schwester Caroline teilte, die er
1772 nach England geholt hatte. Die Herschels bauten ein Teleskop, um den Nachthimmel zu beobachten. Sie katalogisierten
Hunderte von Doppelsternen und Nebeln.
Herschel entdeckte den Uranus und nannte
ihn zu Ehren von König Georg III., der ihn daraufhin zum Hofastronomen ernannte,
„Georgium Sidum“. Zu den weiteren Entdeckungen Herschels gehören die Zusammengehörigkeit vieler Doppelsterne, die jahreszeitlichen Schwankungen der Polkappen des
Mars und die Monde von Uranus und Saturn.
Planeten
‚
denen Pluto und Eris schlicht die größten sind. Außerdem gibt
Vielleicht ist diese Welt
es auch anderswo noch felsige Asteroiden, etwa Ceres, ein Asdie Hölle eines anderen
teroid mit 950 Kilometern Durchmesser, der 1801 bei der Suche nach Neptun zwischen Mars und Jupiter entdeckt wurde.
Planeten.
2005 traf sich ein Komitee der International Astronomical
Aldous Huxley, 1988
Union, des Berufsverbandes der Astronomen, um über das
Schicksal von Pluto zu entscheiden. Brown und einige andere wollten den Status
von Pluto als Planet aufgrund seiner kulturellen Verwurzelung schützen. Ihrer Ansicht nach sollte auch Eris zum Planeten erklärt werden. Andere hielten entgegen,
dass all diese eisigen Himmelskörper jenseits des Neptuns nicht wirklich als Planeten aufzufassen seien. 2006 kam es zu einer Abstimmung, bei der auch der bis dahin
nicht festgelegte Begriff „Planet“ neu definiert wurde. Dies sorgte wiederum für Irritationen und manche verglichen dieses Bestreben mit der Frage nach einer genauen Definition eines Kontinents. Wenn Australien ein Kontinent ist, wie ist dann zum
Beispiel Grönland einzuordnen? Wo beginnt Europa, wo Asien? Trotz dieser Diskrepanzen einigten sich die Astrophysiker schließlich auf eine Reihe von Regeln.
Ein Planet ist ein Himmelskörper, der sich auf einer Bahn um die Sonne befindet.
Er hat genug Masse, dass seine Schwerkraft ihn in eine runde Form zwingen kann,
und er hat einen Raum um sich herum von Materie befreit. Pluto ist demnach kein
Planet, denn Letzteres trifft nicht zu. Pluto, Eris und auch Ceres erhielten den Status
von Zwergplaneten – kleinere Körper, außer Monden, blieben unspezifiziert.
‘
Jenseits der Sonne Diese Definition von Planeten wurde zwar für unser Sonnensystem entwickelt, doch kann sie auch bei größeren Entfernungen angewandt
werden. Heute kennt man mehrere Hundert Planeten, die um andere Sterne als die
Sonne kreisen und sich dadurch bemerkbar machen, dass sie ihren Mutterstern
durch ihre Gravitationswirkung ins Schwanken bringen. Die meisten dieser Planeten sind massereiche Gasgiganten wie Jupiter. Doch neue Raumsonden wie Kepler,
die 2009 gestartet wurde, wetteifern darum, kleinere Planeten, die der Erde ähneln
könnten, um andere Sterne herum zu entdecken.
Eine weitere Definition wurde kürzlich infrage gestellt, nämlich die eines Sterns.
Sterne sind Gasbälle wie die Sonne, die groß genug sind, dass in ihrem Inneren ein
Kernfusionsprozess in Gang kommen konnte. Diese Energie lässt den Stern leuchten. Doch zwischen planetengroßen Kugeln aus Gas, wie dem Jupiter, und den
kleinsten, schwach glimmenden Sternen, wie Braunen Zwergen, eindeutig zu unterscheiden, ist nicht trivial. Sterne ohne einen Fusionsprozess und sogar frei herumvagabundierende Planeten könnten überall im Raum herumschwirren.
esdergeht
Planeten Worum
stechen aus
Menge hervor
7
8
Der Blick ins Universum
02 Das heliozentrische
Weltbild
Heute erscheint es uns ganz selbstverständlich, dass sich die Erde und die
Planeten um die Sonne bewegen, doch setzte sich diese Auffassung erst
durch, als im 17. Jahrhundert die Beweise dafür nicht mehr zu übersehen
waren – und sie erschütterten das damalige Weltbild. Die Menschen sollten
sich nicht, wie lange geglaubt und von Philosophen und Vertretern der Kirche
gelehrt, im Zentrum des Universums befinden. Ähnliche Diskussionen über
den Platz des Menschen im Kosmos existieren auch heute noch. Vor allem in
den USA poltern die Kreationisten mit ihren Dogmen gegen die vernunftbasierten Ergebnisse der Kosmologie.
Frühe Gesellschaften sahen keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich das Universum um sie dreht, und bereits in der Antike konstruierte man Modelle des Kosmos
mit der Erde als Zentrum, von dem alles andere ausging. Man stellte sich vor, alle
Himmelskörper seien an Kristallsphären fixiert, die sich um die Erde drehen, und
die Sterne, die daran befestigt sind oder deren Licht durch kleine Löcher tritt, kreisten jede Nacht um den nördlichen und südlichen Himmelspol. Der Platz der Menschen als Schlüssel zu den Mechanismen des Universums war klar definiert.
Die sich dennoch mehrenden Hinweise darauf, dass dieses bequeme Modell nicht
ganz stimmen konnte, bereitete Gelehrten über viele Generationen hinweg Kopfzerbrechen. Die Idee, der Himmel könne sich um die Sonne und nicht um die Erde drehen – also eines heliozentrischen Weltbildes, benannt nach dem griechischen Wort
helios für „Sonne“ – wurde schon 270 v. Chr. von griechischen Philosophen vorgebracht. Einer derjenigen, die solche Ideen in ihren Schriften vertraten, war Aristarchos von Samos. Nachdem er die relative Größe von Erde und Sonne berechnet hatte, erkannte Aristarchos, dass die Sonne viel größer sein musste. Es erschien ihm
daher sinnvoller, dass sich die kleinere Erde bewegte, als die große Sonne.
Zeitleiste
270 v. Chr.
zweites Jahrhundert
Die alten Griechen
schlagen ein heliozentrisches Weltbild vor
Ptolemäus ergänzt die Epizykeln,
um die Rückwärtsbewegungen zu
erklären
Das heliozentrische Weltbild
Im zweiten Jahrhundert bemühte Ptolemäus mathematische Ansätze, um die Bewegungen der Sterne und Planeten zu berechnen. Seine Modelle erwiesen sich als einigermaßen brauchbar, doch gab es offensichtlich Muster, die nicht zu seinen Gleichungen passten. Das Verhalten von Planeten, die sich gelegentlich scheinbar auch
rückwärts bewegten, irritierte am stärksten. Wie alle vor ihm, stellte sich auch Ptolemäus vor, dass die Planeten auf riesigen Rädern über das Firmament zogen. Deshalb baute er in ihre Umlaufbahnen zusätzliche Schleifen ein, durch die sich die außergewöhnlichen Beobachtungen erklären ließen. Nach seiner Auffassung bewegten
sich die Planeten auf ihrem Weg auf der Hauptbahn zusätzlich um einen kleineren
Ring, wie im Räderwerk einer riesigen Uhr. Diese überlagerten „Epizykeln“ erweckten den Eindruck, als wanderten die Planeten gelegentlich auch rückwärts.
Die Idee der Epizykeln blieb hängen und wurde in späteren Jahren weiter verfeinert. Den Philosophen gefiel, dass die Natur offenbar vollkommene geometrische
Formen bevorzugte. Als die Astronomen aber die Bewegungen der Planeten immer
genauer beobachteten, konnten sie nicht mehr umhin zuzugeben, dass ihre mathematische Beschreibung dieses Uhrwerks falsch war. Je genauer die Daten wurden,
desto größer wurden die Diskrepanzen.
Das Modell des Kopernikus Die Idee eines heliozentrischen Weltbildes kam im Laufe der Jahrhunderte immer wieder auf, durchsetzen konnte sie sich jedoch
nicht. Instinktiv blieb man beim geozentrischen System, alternative Theorien tat man als Hirngespinste
ab. Erst im 16. Jahrhundert war das Modell mit
der in den Mittelpunkt gerückten Sonne, um die
die Himmelskörper kreisen, so weit ausgereift,
dass man es so ernsthaft wie heftig diskutierte. In
seinem 1543 erschienenen Buch De Revolutionibus Orbium Coelestium beschrieb der polnische
Astronom Nikolaus Kopernikus ein detailliertes
mathematisches Modell für ein heliozentrisches
Weltbild, das auch die scheinbaren Rückwärtsbewegungen der Planeten als Projektion ihrer Bewegung
um die Sonne auf die ebenfalls kreisende Erde erklären
konnte.
Erde
Venus
Merkur
Sonne
1543
1609
1633
Kopernikus veröffentlicht
sein heliozentrisches
Weltbild
Galilei entdeckt die JupiterMonde; Kepler stellt die Umlaufbahnen als Ellipsen dar
Galilei wird angeklagt,
weil er ein heliozentrisches Weltbild lehrt
9
10
Der Blick ins Universum
Nikolaus Kopernikus (1474–1543)
Nikolaus Kopernikus wurde im polnischen
Thorn geboren, nahm Unterricht in Recht,
Medizin, Astronomie und Astrologie und wurde zum Domherrn ernannt. Er war fasziniert
von den Ideen des Ptolemäus zur Ordnung
des Universums, stand ihnen aber auch kritisch gegenüber und erarbeitete deshalb sein
eigenes System, in dem die Erde und die
Planeten um die Sonne kreisen. Sein Werk
‚
De Revolutionibus Orbium Coelestium („Über
die Kreisbewegungen der Himmelskörper“),
das er im März 1543 – nur zwei Monate vor
seinem Tod – veröffentlichte, war ein entscheidender Schritt bei der Einführung eines
heliozentrischen Weltbildes, auch wenn es
noch weit von den Ideen der modernen Astronomie entfernt war.
Letztlich sollten wir die Sonne selbst
in die Mitte des Universums setzen.
Nikolaus Kopernikus
‘
Weil es die generelle Überlegenheit der Menschheit infrage stellte, hatte das Kopernikanische Modell tiefgreifende Auswirkungen. Staatskirche und Gesellschaft
bevorzugten das geozentrische Modell des Ptolemäus, und Kopernikus war vorsichtig genug gewesen und hatte die Veröffentlichung bis zum Jahr seines Todes verzögert. Posthum wurden seine Darlegungen zwar wahrgenommen, aber rasch beiseite
gelegt. Offensichtlich war eine streitbarere Figur nötig, die Schlacht zu schlagen.
Galileis Verurteilung Der italienische Astronom Galileo Galilei zog die Aufmerksamkeit der römisch-katholischen Kirche auf sich, indem er vehement für das
heliozentrische Weltbild eintrat. Dieser Mut wurde durch seine eigenen Beobachtungen, die er mit dem damals neu erfundenen Teleskop gemacht hatte, bestärkt. Da
er den Himmel damit genauer beobachten konnte als seine Vorgänger, erhielt er
Hinweise darauf, dass die Erde keineswegs das Zentrum bildet. Der Jupiter besitzt
Monde, die ihn umkreisen, und die Venus zeigt Phasen, wie der Mond. Er veröffentlichte diese Beobachtungen 1610 in seinem Werk Sidereus Nuncius („Sternenbote“).
Überzeugt von seinem heliozentrischen Weltbild, verteidigte Galilei seine Auffassung in einem Brief an die Großherzogin Christine. Doch seine Behauptung, es sei
die Rotation der Erde, die den Eindruck erwecke, die Sonne wandere um die Erde,
brachte ihm eine Vorladung nach Rom ein. Der Vatikan räumte ein, dass seine Beobachtungen zutreffend seien, da jesuitische Astronomen mit ihren Teleskopen die
gleichen Dinge gesehen hatten, und trotzdem weigerte sich die Kirche, Galileis
Das heliozentrische Weltbild
Theorie zu akzeptieren. Man tat sie ab und vertrat die Ansicht,
es sei nur eine Hypothese, die nicht wörtlich zu nehmen sei,
wenn sie auch durch ihre Einfachheit besteche. 1616 verbot die
Kirche Galilei, den Heliozentrismus zu lehren, und verhinderte
damit, dass er weiter an dieser umstrittenen Idee festhielt oder
sie verteidigte.
‚
Bestimmt schadet es
den Seelen, wenn man
etwas zu glauben,
was bewiesen ist,
zur Häresie erklärt.
Galileo Galilei
Keplers Argument Inzwischen widmete sich ein deutscher
Astronom der Mathematik der Planetenbewegung. Johannes
Kepler veröffentlichte seine Analyse der Umlaufbahn des Mars im Jahre 1609 in
seinem Werk Astronomia nova („Neue Astronomie“), im gleichen Jahr, in dem Galilei mit seinem Teleskop zu arbeiten begann. Kepler fand heraus, dass die Umlaufbahn des roten Planeten um die Sonne eher eine Ellipse beschreibt als einem Kreis.
Indem er sich von vollkommenen Kreisen befreite, ging er über das Modell des Kopernikus hinaus und verbesserte damit die Vorausberechnungen der Planetenbewegungen. Heute als grundlegendes Gesetz der Physik angesehen, war die Vision Keplers ihrer Zeit weit voraus und es dauerte lange, bis sie allgemein anerkannt wurde.
Galilei beispielsweise nahm keine Notiz davon.
Obwohl er sich nicht frei äußern durfte, war Galilei überzeugt, dass seine heliozentrische Erklärung richtig war. Als er von Papst Urban VIII. aufgefordert wurde,
eine Schrift zu verfassen, die beide Seiten darstellte, brachte er den Papst mit seinem Werk Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo
Tolemaico e Copernicano („Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das
Ptolemäische und das Kopernikanische“) gegen sich auf, weil er sein eigenes System
als dem der Kirche überlegen darstellte. Der Vatikan bestellte ihn erneut nach Rom
und klagte ihn 1633 des Ungehorsams an. Galilei wurde für den Rest seines Lebens
unter Arrest gestellt und starb 1642. Erst Jahrhunderte später, im Vorfeld des Jahrestages der Veröffentlichung seines berühmten Werkes, entschuldigte sich der Vatikan
formell.
Allmähliche Akzeptanz Im Laufe der Jahrhunderte gab es immer mehr Beweise für das heliozentrische Weltbild. Es zeigte sich, dass Keplers Berechnungen
der Umlaufbahnen korrekt waren, und sie beeinflussten auch Newtons Gravitationstheorie. Als weitere Planeten entdeckt wurden, war es ganz offensichtlich, dass sie
um die Sonne kreisen. Die Auffassung, der Mensch stehe im Zentrum aller Dinge,
war nicht länger haltbar.
esimgeht
DieWorum
Sonne steht
Zentrum
‘
11
12
Der Blick ins Universum
03 Keplers Gesetze
Die drei Gesetze von Kepler der Planetenbewegung waren ein Meilenstein
der modernen Physik. Sie beschreiben die elliptischen Bahnen, auf denen
die Planeten um die Sonne kreisen, die Zeit, die ein Umlauf dauert, und um
wie viel langsamer Planeten, die weiter entfernt sind, die Sonne umkreisen
als nähere. Kepler war zwar seiner Zeit weit voraus, doch hätte er sich wohl
kaum vorstellen können, dass seine Gesetze heute auf Planeten angewendet
werden, die um weit entfernte Sterne wandern, und dass sie sogar dazu
nützlich sind, die Anwesenheit von Dunkler Materie nachzuweisen.
Die moderne Astronomie begann 1609, als Kepler sein großes Werk Astronomia
Nova veröffentlichte. Der deutsche Mathematiker hatte auf der Grundlage von genauen Beobachtungen der Bewegungen des Mars durch den adligen dänischen Astronom Tycho Brahe, bei dem Kepler als Assistent gearbeitet hatte, Gleichungen abgeleitet, die die Umlaufbahnen von Planeten beschreiben konnten. Brahe war ein talentierter Instrumentenbauer gewesen, und seine Messungen der Bewegungen des
roten Planeten waren weit genauer, als alle zuvor. Doch war es Kepler, der all die
Daten auswertete und daraus eine neue Theorie entwickelte.
A
B
Elliptische Orbits Keplers Abhandlung enthielt bereits zwei Gesetze zu den
Umlaufbahnen, das dritte wurde erst 1619 veröffentlicht. Keplers erstes Gesetz besagt, dass sich die Planeten auf elliptischen Bahnen bewegen, wobei in einem der
Brennpunkte der Ellipse die Sonne steht. Diese Erkenntnis
war radikaler als sie klingt. Die Astronomen jener Zeit
hatten bis dahin angenommen, dass die Umlaufbahnen vollkommene Kreise beschreiben. Seit
D
den alten Griechen galten Kreis, Quadrat, Tetraeder und andere einfache geometrische Formen als etwas Besonderes. Man dachte, die
C
Natur bevorzuge vollkommene Formen und
Abweichungen davon seien ihr verhasst. Kepler
schloss sich dieser Ansicht zunächst an und stellte
Zeitleiste
ca.
580 v. Chr.
Pythagoras behauptet,
dass sich die Planeten entlang vollkommener, kristallener Sphären bewegen
ca.
150 n. Chr.
Ptolemäus zeichnet Rückwärtsbewegungen auf und
erklärt sie mit der Existenz von Epizykeln
1543
1576
Kopernikus vertritt die Ansicht, dass die Planeten
um die Sonne kreisen
Tycho Brahe zeichnet die
Positionen der Planeten
auf
Keplers Gesetze
sich vor, dass Planeten in einer Reihe von Kristallsphären um die Sonne arrangiert
seien und die Abstände den mathematischen Verhältnissen von Polygonen entsprächen. Doch die Daten von Brahe änderten seine Meinung.
Der entscheidende Hinweis kam von den Bewegungen des Planeten Mars. Seine
Umlaufbahn ist, abgesehen von der des Merkurs, langgestreckter und somit exzentrischer als die jedes anderen Planeten in unserem Sonnensystem. Von der Erde aus
gesehen ändert sich die Geschwindigkeit des Planeten sehr stark, und manchmal
kehrt er sogar um, wandert zurück und zieht eine Schleife. Vor Kepler hatten die Astronomen diese verrückte rückläufige Bewegung mit kleinen zusätzlichen Kreisen,
sogenannten Epizykeln, als Ergänzung zu den großen Kreisbahnen zu erklären versucht. Doch Kepler stellte fest, dass sich eine Ellipse dazu viel besser eignet. Der
Grund für die Rückwärtsbewegung der anderen Planeten liegt darin, dass wir das
Sonnensystem von einer sich bewegenden Plattform aus beobachten. So löste also
Kepler ein Problem, das den Astronomen jahrhundertelang Kopfzerbrechen bereitet
hatte.
‚
Zur wissenschaftlichen Lehre sollten auch Experimente gehören.
Die Beobachtung eines Planeten durch ein Teleskop ist so viel wert
wie ein ganzer Astronomiekurs, der Schock, den ein elektrischer
Funke im Ellenbogen verursacht, übertrifft alle Theorien, der
Geschmack von Lachgas, das Entzünden eines künstlichen
Vulkans sind besser als die dicksten Chemiebücher.
Ralph Waldo Emerson
‘
Keplers zweites Gesetz beschreibt, wie schnell sich ein Planet auf seiner Umlaufbahn bewegt. Die Verbindungslinie zur Sonne überstreicht dabei im gleichen Zeitraum gleiche Flächen. Dieses Segment zwischen der Sonne und den beiden Positionen des Planeten (A und B oder C und D) sieht wie ein Kuchenstück aus. Wenn der
Planet der Sonne näher ist, bewegt er sich schneller und das Kuchenstück ist breiter,
ist er weiter weg, bewegt er sich langsamer und das Kuchenstück wird im gleichen
Zeitraum schmaler; laut Keplers Gesetz ist das Kuchenstück jedoch immer gleich
groß. Diese Erkenntnisse zog Kepler ausschließlich aus den Aufzeichnungen zur
Geschwindigkeit des Mars an unterschiedlichen Punkten seiner Umlaufbahn.
1609
1619
1687
2009
Kepler entdeckt, dass sich
die Planeten auf elliptischen Umlaufbahnen
bewegen
Kepler veröffentlicht sein
drittes Gesetz
Newton erklärt Keplers
Gesetze mit seinem
Gravitationsgesetz
Die NASA startet den Satelliten
Kepler, der um entfernte Sterne
kreisende Planeten entdecken
soll
13
14
Der Blick ins Universum
Keplers Gesetze
Erstes Gesetz
Die Umlaufbahnen der Planeten sind Ellipsen, mit der Sonne in einem der Brennpunkte.
Drittes Gesetz
Die Umlaufzeiten hängen von der Größe
der Ellipse ab, sodass das Quadrat der
Umlaufzeit proportional zur dritten Potenz
der großen Halbachse der Ellipse ist.
Zweites Gesetz
Die Verbindungslinie zwischen Planet und
Sonne überstreicht bei dessen Bewegung
um die Sonne in gleichen Zeiträumen gleiche Flächen.
Keplers drittes Gesetz geht noch einen Schritt weiter und verrät uns, wie sich die
Umlaufzeiten für unterschiedlich große Ellipsen, also verschiedene Entfernungen
von der Sonne, verändern. Es besagt, dass die Quadrate der Umlaufzeiten proportional zur dritten Potenz der großen Halbachse der elliptischen Bahn sind. Je größer
die Ellipse, desto länger dauert es, bis der Planet einen Umlauf vollendet hat. Also
bewegen sich Planeten, die weiter von der Sonne entfernt sind, deutlich langsamer
als sonnennahe. Der Mars benötigt fast zwei Erdenjahre für einen Umlauf, Saturn
braucht 29, Neptun sogar 165 Jahre. Der Merkur kreist in nur 80 Erdentagen um die
Sonne, und würde Jupiter sich mit der gleichen Geschwindigkeit bewegen, bräuchte
er nur 3,5 Erdenjahre für einen Umlauf, tatsächlich sind es aber zwölf.
Der moderne Mensch Vier Jahrhunderte später haben sich Keplers Gesetze
ausreichend bewährt. Sie können auf jeden Körper angewendet werden, der um einen anderen kreist, angefangen bei Kometen, Asteroiden und Monden in unserem
Sonnensystem bis hin zu Planeten um andere Sterne und sogar künstlichen Satelliten, die um die Erde schwirren. Noch wichtiger ist vielleicht, dass Kepler der erste
war, der eine wissenschaftliche Herangehensweise anwendete, die auch heute noch
Bestand hat – er führte Beobachtungen durch und analysierte die Ergebnisse, um
Theorien über unser Universum zu überprüfen.
‚
Die Himmel habe ich gemessen,
jetzt mess ich die Schatten der Erde.
Himmelwärts strebte der Geist,
des Körpers Schatten ruht hier.
Keplers Grabinschrift
‘
Herunterladen