Helle Sterne im dunklen Universum

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THEMEN DER WISSENSCHAFT
Helle Sterne
im dunklen Universum
Kosmologie mit Supernovae vom Typ Ia
VON BRUNO LEIBUNDGUT
Wegen neuester Erkenntnisse wird unser Weltbild als »grotesk« bezeichnet. Kosmologen sehen staunend auf diese Resultate und versuchen sie zu erklären.
D
ie kosmische Expansion kann
mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie sehr gut
beschrieben werden. Diese grundlegende Theorie verbindet die Geometrie des
Raums mit dessen Energieinhalt und beschreibt mit wenigen einfachen Annahmen sowohl die Vergangenheit als auch
die Zukunft des Universums, wenn alle
relevanten Größen bekannt sind.
Bestimmend für die Geschichte des
Universums ist seine Energiedichte. Bis
vor wenigen Jahren wurden die Beiträge
folgender Komponenten zur Energiedichte diskutiert: Materie, Strahlung, Neutrinos und Raumkrümmung. Materie ist
dabei alles, was wir in unserem täglichen
Leben kennen (Erde, Luft, Sterne, Gas,
Staub, Galaxien). Atome und die meisten
Elementarteilchen, üblicherweise als Baryonen bezeichnet, sind Materie.
Allerdings scheint es auch andere,
nichtbaryonische Materie zu geben, die
gravitativ wirkt, deren Ursprung und
weitere Eigenschaften aber noch nicht
bekannt sind. Diese so genannte »Dunkle Materie« soll für die Bildung von Strukturen im Universum verantwortlich sein
und einen mehrfach größeren Beitrag zur
gesamten Energiedichte liefern als die baryonische Materie (siehe [1]).
Auch die elektromagnetische Strahlung (Licht) trägt zur Energiedichte bei.
Der Beitrag der Strahlung zur heutigen
Energiedichte des Universums ist sehr
gering. Allerdings war dies nicht immer
so: Im frühen Universum hat die Strahlung die kosmische Expansion stark mitbestimmt. Kurz nach dem Urknall waren
die Temperatur und die Dichte so hoch,
dass zwischen Materie und Strahlung ein
Druckgleichgewicht bestand. Die Überreste dieser heißen Phase werden heute als Kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung beobachtet.
Neutrinos sind Elementarteilchen, die
nur durch die Schwache Wechselwirkung
mit ihrer Umwelt in Verbindung treten.
30
STERNE UND WELTRAUM
Mai 2005
Bis vor wenigen Jahren wurde diskutiert,
ob sie überhaupt eine Masse haben, oder
ob sie wie Photonen masselos sind. Inzwischen ist erwiesen, dass Neutrinos
eine Ruhemasse besitzen – damit können sie im Prinzip auch die Entwicklung
des Universums mitbestimmen. Aber
obwohl sie, nach den Photonen, die häufigsten Teilchen im Kosmos sind, ist ihre
Masse so gering, dass ihr Beitrag zur globalen Energiedichte vernachlässigbar ist.
Da Materie und Raum entsprechend
der Allgemeinen Relativitätstheorie gekoppelt sind, kann Energie auch in der
Raumkrümmung enthalten sein. Dieser
Beitrag zum globalen Energiebudget
muss berücksichtigt werden, obwohl bis
vor wenigen Jahren sehr wenig darüber
bekannt war. Das hat sich mit den neuen
Messungen der Fluktuationen in der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung grund-
legend geändert. Wir wissen nun, dass die
Raumkrümmung über große Entfernungen verschwindend klein ist.
Kosmologische Konstante
Einsteins Theorie besitzt für das Universum keine stabilen Lösungen, das heißt,
es muss sich entweder ausdehnen oder
zusammenziehen. Das hielt er für unwahrscheinlich – die kosmologische Expansion wurde auch wirklich von Edwin Hubble 1929 entdeckt [2]. Zunächst
hatte Einstein seiner Theorie zusätzlich
zu den oben beschriebenen Parametern
noch einen weiteren hinzugefügt: die
Kosmologische Konstante. Diese Größe
beschreibt eine Eigenschaft des Raumes,
die ursprünglich helfen sollte, das Universum zu stabilisieren. Die Kosmologische Konstante entspricht einer Energiedichte, wie sie aus der Quantenmechanik
Kasten 1: Methoden der Helligkeitskorrektur
D
ie maximale Leuchtkraft der Supernovae vom Typ Ia ist mit der Form
ihrer Lichtkurven korreliert: Supernovae
mit einer langsamen zeitlichen Entwicklung sind typischerweise leuchtstärker
als solche mit einer schnellen Abnahme
der Helligkeit. Diese Beziehung ist ein
entscheidender Bestandteil der Entfernungsbestimmung mit Hilfe dieser Supernovae. Seit der Entdeckung dieser
Beziehung sind verschiedene Methoden
zur Korrektur der gemessenen Helligkeit
entwickelt worden.
Ursprünglich hatte Mark Phillips vorgeschlagen, den Rückgang der Helligkeit im Zeitintervall zwischen dem Maximum und 15 Tage danach in blauem
Licht zu messen. Diese Methode wird
oft als Dm15-Methode bezeichnet. Sie
ist inzwischen auf weitere Wellenlängen ausgeweitet worden. Die »MultiWavelength Light Curve Shape«- Metho-
de (MLCS) verwendet alle vorhandenen
optischen Wellenlängen in einer koordinierten Form, um die Leuchtkraft im
Maximum zu normieren und gleichzeitig
die Rötung zu bestimmen.
In einer weiteren Variante der Korrekturmethode wird postuliert, dass die
maximale Leuchtkraft mit einer zeitlichen Streckung der Lichtkurve korreliert.
Diese Stretch-Methode basiert auf einer
Standardlichtkurve, die als Basis für alle
Supernovae vom Typ Ia fungiert. Eine
Eigenart dieser Methode ist, dass nicht
die Leuchtkraft normiert wird, sondern
dass die beobachteten Helligkeiten in
»effektive« Helligkeiten umgewandelt
werden. Für den Entfernungsmodul ist
dies irrelevant, aber physikalisch hat es
natürlich keinen Sinn. Zu betonen ist,
dass wir gegenwärtig die Physik, die für
diese Veränderung der Lichtkurve verantwortlich ist, noch nicht verstehen.
11. März
22
23

Abb. 2: Hubble-Diagramm für nahe Supernovae vom Typ Ia. Das
Hubble-Gesetz steht im Einklang
mit den 75 gezeigten Objekten.
Dass sich Supernovae als relative
Distanzindikatoren eignen ist aus
der geringen Streuung um die Expansionslinie (in rot) erkennbar.
Das untere Diagramm ist ein so
genanntes »modifiziertes Hubble-Diagramm«, in dem die relativen Abweichungen von der Expansionslinie aufgetragen sind.
24
5. April
26
0
10
20
30
40
Tage nach dem 1. März 1997
Unterschiede in ihren Lichtkurven und
ihrer spektralen Entwicklung beobachtet, aber sie scheinen mehr oder weniger
immer dieselbe maximale Leuchtkraft zu
erreichen. Aufgrund dieser Eigenschaft
wurden sie als »Standardkerzen« für Entfernungsmessungen vorgeschlagen.
Supernovae Typ Ia
Mark Phillips (damals am Cerro Tololo Inter-American Observatory) hat vor etwa
zehn Jahren eine Beziehung zwischen der
absoluten Leuchtkraft der Supernovae
vom Typ Ia bei maximaler Helligkeit und
der Form ihrer Lichtkurven entdeckt. Diese Beziehung erlaubt es, die Leuchtkräfte
weiter zu normieren und hat dazu geführt, dass wir die relativen Entfernungen
50
60
dieser Supernovae mit etwa zehn Prozent
Genauigkeit bestimmen können. Weitere
Normierungsverfahren sind vorgeschlagen worden, aber sie gehen letztlich auf
diese Methode zurück (siehe Kasten 1).
Abgesehen von der so genannten Zeitdilatation, die ich später erklären werde, ist
die Lichtkurvenform unabhängig von der
Entfernung und deshalb für die Normierung der Leuchtkräfte ideal.
Die hervorragende Eignung der Supernovae vom Typ Ia als Entfernungsindikatoren ist im so genannten HubbleDiagramm der nahen Objekte sehr gut
zu sehen (Abb. 2). In diesem Diagramm
sind die Entfernung und die Fluchtgeschwindigkeit (beziehungsweise die Rotverschiebung) gegeneinander aufgetra-
Entfernung [Mpc]
1000
relative Entfernung
Entfernungsmessungen liefern einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis des
Universums. Seit 75 Jahren wissen wir,
dass es expandiert. Um die Expansion genau zu vermessen, benötigen wir einen
Maßstab für die Entfernungen, und solche Maßstäbe sind leider nicht leicht zu
finden. Aufgrund ihrer enormen Leuchtkraft wurden die Supernovae bereits seit
ihrer Entdeckung von Walter Baade, Fritz
Zwicky und Rudolph Minkowski in den
vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
zur Messung kosmologischer Entfernungen vorgeschlagen.
Die Helligkeit einer Supernova verändert sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten (Abb. 1). Es wird dabei
zwischen verschiedenen Typen unterschieden (siehe Kasten auf Seite 22). Die
als Supernovae vom Typ Ia bezeichneten
Objekte stellen eine Klasse mit sehr homogenen Eigenschaften dar (siehe den
Beitrag von Wolfgang Hillebrandt und
Friedrich Röpke ab S. 22). Zwar werden
29. März
25
bekannt ist. Dort enthält das Vakuum
auch eine (äußerst kleine) Energie. Diese
»Vakuumenergie« hat für das Universum
eine erstaunliche Konsequenz. Sie wirkt
wie eine abstoßende Kraft und kann so
zu einer Beschleunigung der Expansion
führen.
Mit Explosionen
das Universum vermessen
13. März
16. März
Rothelligkeit [mag]

SN
Abb. 1: Die Lichtkurve der Supernova SN 1997as vom Typ Ia. Die
Bilder zeigen den Helligkeitsrückgang der Supernova (Pfeil)
und ihre Muttergalaxie. Die Daten
sind mit einer Standard-Lichtkurve für nahe Supernovae vom Typ
Ia, korrigiert für die Zeitdilatation, abgeglichen.
500
200
100
50
1.4
1.3
1.2
1.1
1.0
0.9
0.8
0.7
0.6
0.01
0.02
0.05
Rotverschiebung z
0.1
STERNE UND WELTRAUM
0.2
Mai 2005
31
Blauhelligkeit [mag]
23
24
25

780
800
820
Julianisches Datum (+ 2449 000)
Abb. 3: Darstellung der Zeitdilatation in der entfernten Supernova SN 1995K (Rotverschiebung z = 0.479). Die blaue Kurve, korrigiert entsprechend der
Relativitätstheorie, ist eine gute
Anpassung an die beobachtete Lichtkurve von SN 1995K. Die
entsprechende Standard-Lichtkurve von nahen Typ-Ia-Supernova ohne Korrektur (schwarze
Linie) folgt den Daten nicht.
gen. Das Hubble-Gesetz besagt, dass die
Expansion und die Entfernung proportional zueinander sind und die Proportionalitätskonstante ist nach dem Entdecker
Edwin Hubble benannt. Die Supernovae
vom Typ Ia bestätigen das Hubble-Gesetz
mit ausgezeichneter Genauigkeit. Dies ist
der beste Beweis dafür, dass die Supernovae im nahen Universum genaue Entfernungsbestimmungen liefern.
Die Hubble-Konstante
Die Bedeutung der Hubble-Konstante
ist, dass sie die absoluten Dimensionen
des Universums festlegt. Über die Friedmann-Gleichungen sind die dominierenden Parameter für die Entwicklung des
Universums mit der momentanen Expansionsrate verknüpft. Es ist deshalb extrem
wichtig, die Hubble-Konstante so gut wie
möglich zu bestimmen (siehe [3]). Supernovae haben dabei eine entscheidende
Rolle gespielt. Die Schwierigkeit ist, dass
die Hubble-Konstante eine absolute Größe ist, das heißt sie kann nur in absoluten physikalischen Einheiten, nicht aber
durch relative Messungen bestimmt werden.
Da Supernovae vom Typ Ia nur gute relative Distanzen liefern, muss für die Messung der Hubble-Konstante eine zusätzliche Größe bestimmt werden. Dies ist
die absolute Leuchtkraft zum Zeitpunkt
der maximalen Helligkeit der Supernova. Traditionell wurde dafür die Entfer32
STERNE UND WELTRAUM
Mai 2005
840
nung der uns nächsten Supernovae mit
Hilfe anderer Entfernungsindikatoren bestimmt. Das ganze basiert auf der kosmischen Entfernungsleiter, die letztlich auf
der mittleren Distanz zwischen Erde und
Sonne, der Astronomischen Einheit, beruht.
In einem groß angelegten Programm
haben Gustav Andreas Tammann aus
Basel und Alan Sandage von den Carnegie Observatories in Pasadena diese Entfernungsleiter bis zu den nahen Supernovae erstellt. Mit dem Weltraumteleskop
HUBBLE haben sie die Entfernungen von
Galaxien, in denen bereits früher Supernovae beobachtet und vermessen worden
waren, über die Beobachtung von Cepheiden bestimmt und damit die Leuchtkraft
der Supernovae geeicht.
Parallele Messprogramme haben diese Methode nachvollzogen, haben allerdings etwas andere Werte für die Hubble-Konstante ergeben. Es stellt sich jetzt
heraus, dass die Hauptursache für die
Diskrepanzen nicht in den Eigenschaften
der Supernovae selber liegt, sondern in
den Annahmen, die in die Konstruktion
der Leiterstufen eingehen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Entfernung
zur Großen Magellanschen Wolke am
Südhimmel.
Explosionsmodelle
Einen völlig neuen Weg stellt der Versuch
dar, die Leuchtkraft der Supernovae auf
dem Wege über Explosionsmodelle zu
bestimmen (siehe dazu den Beitrag von
Wolfgang Hillebrandt und Fritz Röpke ab
S. 22). Das sichtbare Licht der Supernovae
beruht auf dem radioaktiven Zerfall von
Nickel- und Kobalt-Isotopen. Die Energie
wird dabei zunächst als Gammastrahlung
freigesetzt. Kurz nach der Explosion werden die Gammastrahlen von der Supernova-Hülle vollständig absorbiert und in
Strahlung niedrigerer Energie umgewandelt. Zu späten Zeiten ist die Hülle der Supernova infolge ihrer Expansion so dünn,
dass die Gammastrahlen frei entweichen
können.
Es muss also einen Übergang von der
vollständigen Umwandlung der Gammastrahlung in sichtbares Licht zu deren
völligem Entweichen geben. David Arnett
von der University of Arizona zeigte bereits
vor mehr als zwanzig Jahren mit seinen
Rechnungen, dass sich dieser Übergang
im Maximum der Lichtemission ereignet.
Es ist damit möglich, die Leuchtkraft einer Supernova vom Typ Ia über Modelle,
welche die Menge des radioaktiven Materials in den Explosionen berechnen, zu
bestimmen.
Zusammen mit Max Stritzinger am
Max-Planck-Institut für Astrophysik
habe ich versucht, die Hubble-Konstante
mit dieser Methode zu berechnen. Leider
erlauben die Modelle noch keine hinreichend genaue Vorhersage der Menge radioaktiven Materials. Dazu kommt, dass
wir inzwischen wissen, dass Supernovae
vom Typ Ia nicht alle die gleiche Menge radioaktiven Materials erzeugen, und
dass somit für jede individuelle Supernova das passende Modell gefunden werden
müsste. Es gelang uns dennoch, für den
Wert der Hubble-Konstante eine absolute untere Grenze von 50 km s–1 Mpc–1 zu
bestimmen.
Zeitdilatation
Weit entfernte Objekte erscheinen uns
weniger hell als nahe. Allerdings wird
diese Aussage durch die Geometrie des
Raumes relativiert. Die Bahn eines Lichtstrahls hängt davon ab, wie sehr der
Raum gekrümmt ist. Dies ist vergleichbar
mit interkontinentalen Reisen, bei denen
der scheinbar gekrümmte Weg die kürzeste Verbindung zwischen Startpunkt
und Ziel ist. Ein Blick auf eine Weltkarte, in der die Flugrouten eingetragen sind,
macht das deutlich.
Die Expansion des Raumes hat aber
auch zur Folge, dass Zeitintervalle für
unterschiedliche Beobachter verschieden sind. So scheinen Uhren in einem
Schwerefeld langsamer zu laufen als außerhalb davon. Die Expansion ist weiterhin der Grund, dass die Wellenlänge des
Lichts gedehnt wird. Sie wird als Rotverschiebung des Lichts von weit entfernten Objekten, wie Galaxien, Quasaren
und Supernovae, beobachtet. Mit dieser
Streckung des Raumes geht eine Zeitdilatation einher, die mit einer Standarduhr in weiter Entfernung gemessen werden kann. Dazu wird ein zeitabhängiges
Phänomen benötigt, welches über einen
großen Teil des Universums hinweg beobachtet werden kann.
Supernovae vom Typ Ia mit ihrem regelmäßigen Lichtkurvenverhalten sind
geradezu ideal für ein solches Experi-
ment. Die ersten weit entfernten Supernovae sind denn auch für diesen Test benützt worden. So konnten wir zeigen,
dass die Streckung der Wellenlängen des
Lichtes exakt mit der Streckung der Lichtkurven von Supernovae des Typs Ia übereinstimmt (Abb. 3). Das bestätigt eine
klare Voraussage aller kosmologischen
Modelle, die auf der Allgemeinen Relativitätstheorie basieren. Die Helligkeitsentwicklung der entfernten Supernovae
erscheint verlangsamt. Dies entspricht
genau der Voraussage, dass Uhren im entfernten Universum für uns langsamer ticken. Diese Zeitdilatation wird mittlerweile bei allen Beobachtungen von Supernovae berücksichtigt.
Das beschleunigte Universum
Ende der neunziger Jahre hatten sich zwei
unabhängige Forschergruppen zum Ziel
gesetzt, die mittlere Materiedichte des
Universums mit Hilfe der Supernovae zu
bestimmen. Dazu wollten sie die Supernovae als Entfernungsindikatoren nutzen. In einem von Materie dominierten
Universum sollte die universelle Expansion durch die anziehende Gravitation zwischen den Galaxien verlangsamt werden.
Diese Abbremsung der Expansion ist direkt mit der mittleren Materiedichte verknüpft.
Da damals schon bekannt war, dass
Galaxien und Galaxienhaufen oft von
Dunkler Materie, deren physikalische Eigenschaften und Herkunft noch völlig
unerklärt sind, dominiert werden, war es
extrem wichtig, die globale Materiedichte
zu bestimmen. Dies war besonders interessant, da die Theorie der Inflation für das
frühe Universum verlangt, dass das Universum genügend Energie besitzt, so dass
es ewig expandiert und die Geometrie
der Raumzeit flach ist. Diese Bedingung
besagt nichts anderes, als dass die Winkelsumme von Dreiecken im Universum
180 Grad beträgt. In positiv gekrümmten
Räumen (zum Beispiel auf einem Globus)
wäre die Winkelsumme größer, in negativ gekrümmten Räumen (zum Beispiel
auf einem Sattel) kleiner als 180 Grad.
Weder die damals bekannten Messungen zur Bestimmung der Geometrie noch
der Materiedichte waren ausreichend genau, um die zukünftige Entwicklung des
Universums vorherzusagen.
Eine visionäre Idee
Sollte es möglich sein, Entfernungen über
einen beträchtlichen Teil des beobachtbaren Universums hinweg zu messen,
so wäre die mittlere Expansion zwischen
weit entfernten und weit zurückliegenden
Raumzeit-Punkten und hier und heute
bestimmbar. Es ist zu beachten, dass dazu
nur relative Distanzen bestimmt werden
müssen und keine Abhängigkeit von der
Hubble-Konstante besteht.
Supernovae vom Typ Ia mit ihren extremen Leuchtkräften und ihrer Eigenschaft als gute relative Distanzindikatoren eignen sich besonders für ein solches
Experiment. Saul Perlmutter vom Lawrence Berkeley National Laboratory war einer der ersten, die den Versuch zu einer
solchen Messung in den späten achtziger
Jahre propagierten. Dies war visionär und
die meisten erfahrenen Supernova-Fachleute waren skeptisch, ob die benötigte
Messgenauigkeit erreicht werden könnte.
Allerdings waren auch sie bald überzeugt
und eine zweite Gruppe, das »High-z Supernova Search Team«, formierte sich um
Brian Schmidt (heute an der Australian National University in Canberra, Australien).
Perlmutters Gruppe firmiert unter dem
Namen »Supernova Cosmology Project«.
Beobachtungen von entfernten Supernovae sind schwierig, denn es sind außerordentlich lichtschwache Objekte. Allerdings haben sie den Vorteil, dass wir nicht
auf geeignete Ereignisse warten müssen,
sondern wir können sie direkt suchen.
Supernovae sind extrem selten – in unse-
rem Milchstraßensystem sind im Verlauf
des vergangenen Jahrtausends nur fünf
dieser Ereignisse beobachtet worden.
Deshalb sind die Beobachtungen von nahen Supernovae nicht vorhersehbar: Der
Überraschungseffekt einer nahen Supernova ist immer noch groß, wie sich am
Beispiel der SN 1987A, einer Supernova
vom Typ II in der Großen Magellanschen
Wolke, deutlich zeigte.
Für entfernte Supernovae kann ein
sehr großes Volumen abgesucht werden
und es ist deshalb möglich, innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens geeignete
Supernovae zu finden. Voraussetzung ist,
dass ein genügend großes Blickfeld nach
variablen Objekten geringer Helligkeit
abgesucht wird. Die Schwierigkeit besteht
darin, die Supernovae innerhalb kürzester Zeit zu finden. Sie sind die buchstäblichen Stecknadeln im kosmischen Heuhaufen der Galaxien.
Stecknadeln im Heuhaufen
Mit den CCD-Kameras der neueren Generationen sind solche Suchen möglich
geworden. Die ersten weit entfernten Supernovae wurden von einer dänischen
Kasten 2: Suchprojekte
I
m nahen Universum sucht seit etwas
mehr als zehn Jahren der »Lick Observatory Supernova Search« mit einem
automatischen Teleskop nach Supernovae. In den Jahren von 1990 bis 1995
hat der »Calán/Tololo Supernova Search«
die größte Stichprobe gut beobachteter
Supernovae vom Typ Ia erstellt. Weiterhin hat die Gruppe am Center for Astrophysics in Cambridge (USA) viele nahe
Supernovae beobachtet. In Europa hat
ein Großprojekt unter der Leitung von
Astronomen aus Padua (Italien) mit Beobachtungen an Teleskopen der Europäischen Südsternwarte mehrere detaillierte Datensätze beigetragen.
Seit drei Jahren haben sich die Europäischen Astronomen zur »European
Supernova Collaboration« zusammengeschlossen und beobachten alle sehr nahen Supernovae vom Typ Ia mit einer
bisher unerreichten Genauigkeit (siehe S.
27). Die Supernova-Gruppe am Cerro Tololo Inter-American Observatory hat sich
mit der Carnegie Institution und deren
südlicher Station Las Campanas Observatory zum »Supernova Optical and Infrared Search« vereint. Inzwischen hat sich
dieses Projekt zum »Carnegie Supernova
Project« weiter entwickelt. Diese Gruppe
konzentriert sich auf einen Rotverschiebungsbereich bis zu z = 0.3. Konkurrenz
macht in diesem Bereich die »Supernova
Factory«, ein US-französisches Projekt,
welches im Laufe der nächsten Jahre
etwa 300 Supernovae beobachten will.
Bei höheren Rotverschiebungen haben das »High-z Supernova Search Team«
und das »Supernova Cosmology Project«,
beides weltweite Kooperationen, mit
Mitarbeitern in Europa, Nord- und Südamerika, Australien und Japan, damit
begonnen, die Eigenschaften der Dunklen Materie zu untersuchen. Das Projekt
ESSENCE versucht, die Dunkle Energie mit
etwa 200 gut vermessenen Supernovae
vom Typ Ia bei Rotverschiebungen zwischen z = 0.2 und z = 0.8 mit einer Suche am Victor-Blanco-Teleskop auf dem
Cerro Tololo zu charakterisieren.
Das Konkurrenzunternehmen heißt
»Supernova Legacy Survey« und benutzt
das
Canada-France-Hawaii-Teleskop.
Das Weltraumteleskop HUBBLE wurde für
den »Higher-z Supernova Search« eingesetzt. Weitere Supernova-Projekte
sind geplant. So soll das Teleskop des
»Sloan Digital Sky Survey« für eine Suche
nach Supernovae genutzt werden. Pläne
für einen auf Supernovabeobachtungen
spezialisieren Satelliten sind bereits
weit fortgeschritten. Die »SuperNova Acceleration Probe« (SNAP) könnte schon in
etwa zehn Jahren eine große Zahl an Supernovae über einen großen Bereich von
z beobachten.
STERNE UND WELTRAUM
Mai 2005
33
Eine typische Supernovasuche und die
nachfolgenden Klassifizierungen und
Lichtkurvenmessungen laufen folgendermaßen ab: Zunächst müssen die Suchkampagnen insgesamt bewilligt werden.
Die einzelnen Beobachtungszeiten an
allen verfügbaren Großteleskopen werden dann jeweils mindestens ein halbes
Jahr im Voraus beantragt. Typischerweise werden die Suchen mit Teleskopen der
4-Meter-Klasse durchgeführt. Das VictorBlanco-Teleskop auf dem Cerro Tololo in
Chile mit seiner Weitwinkelkamera ist
dabei das am häufigsten benutzte Teleskop. Seit letztem Jahr wird auch das Canada-France-Hawaii-Teleskop auf dem
Mauna Kea mit seiner MEGACAM für Supernovasuchen eingesetzt (siehe [4] und
Kasten 2 auf Seite 33). Mit diesen Teleskopen werden in der Woche nach Neumond viele Sternfelder beobachtet.
Diese Daten werden als Referenzaufnahmen bezeichnet. In der Woche vor
dem nächsten Neumond werden dieselben Sternfelder wieder beobachtet und
mit den Referenzaufnahmen verglichen.
Nach der Subtraktion der alten von den
neuen Aufnahmen desselben Himmelsgebiets bleiben dann nur die neu hinzugekommenen Lichtquellen übrig. Dann
werden Projektmitarbeiter benachrichtigt, die bereits an den größten verfüg34
STERNE UND WELTRAUM
Mai 2005
Entfernung [Mpc]
relative Entfernung
1000
WM = 0.3, WL = 0.7
WM = 0.0, WL = 0.0
WM = 1.0, WL = 0.0
WM = 0.0, WL = 1.0
100
1.4
1.3
1.2
1.1
1.0
0.9
0.8
0.7
0.6
0.01
0.03
0.1
Rotverschiebung z
baren Teleskopen (VLT, KECK, GEMINI,
SUBARU, MAGELLAN) warten, um die Supernovakandidaten spektroskopisch zu
beobachten.
Nur mit einem Spektrum lassen sich
die Objekte klassifizieren. Dabei gilt es,
die Supernovae vom Typ Ia von anderen
Supernovae sowie von Aktiven Galaktischen Kernen zu unterscheiden. Manchmal haben wir auch veränderliche Objekte entdeckt, die sich nicht klassifizieren
lassen. Alle positiv identifizierten Supernovae vom Typ Ia werden dann weiter beobachtet, um ihre Lichtkurve möglichst
genau zu bestimmen.
1
Abb. 4: Das Hubble-Diagramm
aus den Daten aller publizierten
Supernovae vom Typ Ia. Die Originaldaten sind im Hintergrund
und ihre Mittelwerte in bestimmten Rotverschiebungsintervallen
mit Fehlerbalken dargestellt. Die
Kurven entsprechen verschiedenen kosmologischen Modellen.
Dies sind das leere Universum
(rot), das Einstein-de-Sitter-Universum, das von Materie dominiert ist (orange), ein Universum
ausschließlich aus Dunkler Energie bestehend (blau) und das
Konkordanzmodell (grün).
Abb. 5: Wahrscheinlichkeitsverteilung der kosmologischen Parameter. Für jede mögliche Kombination wird ein Abgleich mit
den Daten (185 Supernovae aus
Abb. 4) berechnet. Die Grauskala zeigt die Wahrscheinlichkeit
für diese Zahlenkombination an.
Die
Wahrscheinlichkeitsbereiche sind mit den weißen (66 %),
hellblauen (95 %) und violetten
(99 %) Linien angedeutet. Es ist
deutlich sichtbar, dass die besten Lösungen einen signifikanten Beitrag der Dunklen Energie
verlangen. Ein flaches Universum
(mit der Summe WM + WL = 1)
ist als rote diagonale Linie eingezeichnet. Die Messungen der
Kosmischen Hintergrundstrahlung bevorzugen ein kosmologisches Modell mit Parametern
entlang dieser Linie. Die Punkte
bezeichnen die Modelle, die in
Abb. 4 eingezeichnet sind.
Mühsame Auswertung
Im Laufe der Jahre haben beide Gruppen
mehr als einhundert entfernte Supernovae beobachtet. Publiziert ist bisher allerdings nur ein Bruchteil dieser Daten. Das
liegt an den aufwändigen Reduktionen
und Analysen, die benötigt werden, um
gesicherte Resultate zu erhalten.
Supernovae explodieren in Galaxien.
Das hat zur Folge, dass die Messung ihrer
Helligkeit oft durch das ungleichförmige
Hintergrundlicht der Muttergalaxie erschwert wird. Im Normalfall ist es nötig,
die Galaxie ein Jahr nach der Supernovaexplosion nochmals detailliert abzubilden und diese tiefe Aufnahme von allen
vorherigen zu subtrahieren, um die Helligkeit der punktförmigen Supernova akkurat vermessen zu können.
Wenn die Helligkeit einer fernen Supernova für den Zeitpunkt einer jeden Beobachtung bestimmt ist, muss die Lichtkurve konstruiert werden. Hier stellt sich die
Rotverschiebung als ein Problem in den
Weg. Wir können die entfernten Supernovae nicht direkt mit den nahen Supernovae vergleichen, da sie nicht bei denselben Wellenlängen beobachtet wurden.
0.3

Suchkampagnen
10000

Forschergruppe im Jahre 1988 während
einer Suche mit dem Dänischen 1.5-Meter-Teleskop an der Europäischen Südsternwarte (ESO) auf La Silla gefunden.
Im Laufe mehrerer Jahre konnten sie nur
zwei weit entfernte Objekte finden: Sowohl das Blickfeld als auch das Teleskop
waren für eine effiziente Suche zu klein.
Zudem waren die Folgebeobachtungen
nicht ausreichend gut organisiert, um die
Supernovae zu klassifizieren und eine
Aussage zur Kosmologie zu machen.
Das »Supernova Cosmology Project« publizierte seine ersten sieben Objekte 1995.
In dieser Arbeit behaupten die Autoren,
Anzeichen für ein Universum mit hoher
Materiedichte zu erkennen. Allerdings
stellte sich in der Zwischenzeit heraus,
dass einige dieser frühen Objekte nicht sicher als Supernovae vom Typ Ia identifiziert werden konnten. Das »High-z Supernova Search Team« beobachtete sein erstes
Objekt, SN 1995K, im selben Jahr.
In den folgenden Jahren verfeinerten
beide Gruppen ihre Suchen und auch die
Folgebeobachtungen. In freundlichem
Wettkampf wurden weitere Supernovae
beobachtet. Diese Programme sind wissenschaftliche
Großunternehmungen,
bei denen Beobachtungen an mehreren
Sternwarten und Teleskopen miteinander koordiniert werden.
Es muss also eine Korrektur eingeführt
werden, so dass auch wirklich Vergleichbares verglichen wird. Diese Korrekturen
wären nicht so schwierig zu bestimmen,
wenn die Supernovae nicht zeitveränderlich wären und wenn die Korrektur nicht
auch noch von den beobachteten Farben
der Supernovae abhängen würde.
Die Letztere wird von der Rötung, beziehungsweise Absorption, innerhalb der
Muttergalaxie beeinflusst. Die Korrekturen werden von gut beobachteten nahen
Supernovae vom Typ Ia abgeleitet. Bei der
Anwendung auf die entfernten Supernovae müssen dann die Phase, Rötung und
Farbe berücksichtigt werden. Erst dann
können die Maximalhelligkeiten der Supernovae in einem bestimmten Wellenlängenbereich miteinander verglichen
und die Entfernungen bestimmt werden.
Meist bezieht man sich auf den blauen Bereich, da dort die meisten Supernovadaten existieren. Das Hubble-Diagramm in
Abb. 4, eine Erweiterung des Hubble-Diagramms in Abb. 2, zeigt alle bisher beobachteten und veröffentlichten Supernovae vom Typ Ia.
Das leere Universum
als Vergleich
Rätselhaftes Ergebnis
Eine Fehlersuche begann. Waren die Messungen falsch durchgeführt worden? Es
konnten keine offensichtlichen Fehler in
der Photometrie gefunden werden. Wa-
kn
al
l
Zur Verdeutlichung der Resultate werden
die von den Supernovae zu gegebenen
Rotverschiebungen gemessenen Entfernungen mit denjenigen in einem leeren
Universum verglichen. Der Grund dafür
ist, dass im normalen Hubble-Diagramm
die Unterschiede zwischen verschiedenen
Modellen des Universums sehr schlecht
erkennbar sind. Bei sehr großen Distanzen hängt die Expansion vom mittleren
Energieinhalt des Universums ab und das
Hubble-Gesetz wird dadurch entsprechend modifiziert. Bei einer hohen Materiedichte wird die Expansion des Universums stärker abgebremst. In einem hypothetischen leeren Universum wirkt keine
Anziehung, und die Expansion verläuft
ungebremst. Natürlich leben wir nicht in
einem leeren Universum, aber als Grenzfall ist dieses Modell zur Illustration sehr
geeignet.
Zur Erinnerung: Es war das Ziel der
Supernova-Experimente, den mittleren
Materiegehalt des Universums aus der
Abbremsung der Expansion zu bestimmen. Im Fall einer gebremsten Expansion
müssten die bei gegebener Rotverschiebung beobachteten Entfernungen kleiner
sein als im ungebremsten leeren Universum. Zur Überraschung aller waren die
Entfernungen der Supernovae aber bis
zu zehn Prozent größer als im Falle eines leeren Universums. Dieses Ergebnis
konnte im Rahmen der damals akzeptierten Ideen nicht interpretiert werden. Um
einen Mitarbeiter des »High-z Supernova
Search Teams« zu zitieren: »In unseren Herzen wissen wir, dass dies nicht stimmen
kann!« Dies war die Situation zu Beginn
1998.
mittlere Dichte der Dunklen Energie [WL]
ke
in
Ur
1.5
Universum
ausschließlich
bestehend aus
Dunkler Energie
1.0
Konkordanzmodell
ren die Korrekturen für die Rotverschiebung unzuverlässig? Die Beobachtungen
waren schon so angelegt worden, dass die
Korrekturen minimal sein sollten, und
dies war auch wirklich der Fall. Obwohl
noch über die Präzision der Korrekturen
diskutiert wurde, waren alle überzeugt,
dass diese am Ergebnis nicht Schuld sein
konnten. War die Korrektur für die Absorption in der Muttergalaxie nicht richtig angewandt worden? Es ist zwar möglich und sicherlich nicht ausgeschlossen,
dass der Staub in einer anderen Galaxie
Rötungseigenschaften hat, die wesentlich
von demjenigen des Staubs im Milchstraßensystem abweichen, aber die Messungen konnten mit der bekannten Formel
sehr gut korrigiert werden. Außerdem
zeigten die meisten Supernovae überhaupt keine Anzeichen einer Rötung.
Oder waren die entfernten Supernovae
nicht so leuchtstark wie ihre nahen Geschwister? Mit anderen Worten, verlieren
sie die Eigenschaft als gute Entfernungsmesser bei großer Rotverschiebung? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten.
Entscheidend ist, ob die entfernten Explosionen aus irgendwelchen Gründen nicht
so hell werden wie die Vergleichsobjekte
im nahen Universum. Immerhin explodierten diese Sterne zu einer Zeit, als das
Universum nur halb so alt war wie heute und die Sonne und das Sonnensystem
noch nicht existierten.
Es galt also, die verschiedenen Supernova-Eigenschaften, vor allem die Form
der Lichtkurven und die spektrale Evolution, so gut wie möglich zu überprüfen.
Die verfügbaren Daten deuten alle darauf
hin, dass die entfernten Supernovae den
nahen sehr ähnlich sind. Da der Helligkeitsunterschied aber sehr klein ist (nur
etwa 25 Prozent bei einer Rotverschiebung von z = 0.5 verglichen mit einem
leeren Universum) muss die Möglichkeit
unterschiedlicher Lichtkurven genau geprüft werden. Es wäre eine große Hilfe,
wenn wir die Physik der Explosion und
des Strahlungstransports besser verstehen würden. Damit könnten auch Aussagen zur Helligkeitsentwicklung gemacht
werden. Hier sind noch große Fortschritte notwendig.
Beschleunigte Expansion
und Kosmologische Konstante
0.5
leeres Universum
0
0
Einstein-de-Sitter
Universum
0.5
mittlere Materiedichte [WM]
1.0
Die kosmologische Interpretation des Supernova-Resultates ist, dass sich die universelle Expansion in den letzten sechs
Milliarden Jahren beschleunigt hat. Deshalb erscheinen entfernte Supernovae
weiter entfernt als in einem leeren Universum. Die Gravitation wirkt allerdings
nur anziehend und nicht abstoßend. Allerdings hatte Albert Einstein bereits eine
mögliche Erklärung für unsere MessunSTERNE UND WELTRAUM
Mai 2005
35
Bestätigtes Ergebnis
Mittlerweile haben beide Forschergruppen viele nahe und ferne Supernovae
vom Typ Ia vermessen und sind immer
wieder zum selben Ergebnis gekommen.
In den letzten zwei Jahren wurde noch
eine entscheidende Vorhersage bestätigt.
Im frühen Universum war die Dichte höher als heute, und folglich war auch die
Anziehungskraft der Gravitation damals
stärker. Im frühen Universum war die
Expansion verlangsamt! Erst in der zweiten Hälfte der kosmischen Geschichte
hat sich die Dunkle Energie durchgesetzt
und die Beschleunigung begonnen (siehe
[5]). Dies bedeutet, dass wir zwar bis zu
einer gewissen Rotverschiebung eine Beschleunigung, dann aber eine Abbrem36
STERNE UND WELTRAUM
April 2005
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gen vorgeschlagen, als er versuchte, seine Allgemeine Relativitätstheorie auf das
Universum anzuwenden. Damals waren
Galaxien noch nicht als Milchstraßensysteme erkannt und ihre Fluchtgeschwindigkeiten noch nicht gemessen werden.
Die einzigen damals bekannten astronomischen Geschwindigkeiten waren die
Radialgeschwindigkeiten von Sternen,
und da das Milchstraßensystem weder
kontrahiert noch expandiert, waren diese
Geschwindigkeiten sehr klein.
Einstein hatte erkannt, dass ein statisches Universum in seiner Theorie nicht
möglich war und versuchte daher, die
Theorie zu »stabilisieren«. Dazu führte er
die Kosmologische Konstante ein. Willem
de Sitter konnte sehr schnell zeigen, dass
auch dieser zusätzliche Term in den Einsteinschen Gleichungen nicht-statische
Lösungen erlaubt, und Einstein hat später seine Einführung der Kosmologischen
Konstante als großen Fehler betrachtet.
Die Kosmologische Konstante ist jedoch die einfachste Erklärung für die beobachtete globale Beschleunigung. Dies
war die Erklärung, die Adam Riess (damals an der University of California in
Berkeley) für das »High-z Supernova Search
Team« 1998 publizierte. In dieser Publikation waren nur zehn entfernte Supernovae vom Typ Ia analysiert worden, aber
die Evidenz für die beschleunigte Expansion war schon deutlich. Das »Supernova
Cosmology Project« hat dann 1999 mit einer größeren Anzahl entfernter Supernovae nachgezogen und das erstaunliche
Resultat bestätigt.
Beinahe gleichzeitig sind damals auch
die ersten neueren Messungen der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung bekannt
geworden (siehe [6]). Und diese deuteten
auf eine flache Geometrie des Universums
hin. Zusammen mit den Supernovae war
die Schlussfolgerung, dass eine zusätzliche Energiekomponente im Universum
vorhanden ist, unausweichlich.
Abb. 6: Die Verteilung der bekannten Energiekomponenten,
die momentan für die Entwicklung des Universums wichtig
sind. Die Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie ist
noch unbekannt.
sung beobachten sollten. Dies wurde in
verschiedenen Supernova-Datensätzen
auch wirklich festgestellt (siehe Abb. 4).
Die Beobachtungen der Supernovae vom
Typ Ia mit dem Weltraumteleskop HUBBLE bei Rotverschiebungen größer als z =
1 waren hierfür entscheidend. Beinahe
alle Kosmologen halten die Existenz der
Dunklen Energie heute für erwiesen.
Diese Erkenntnis ist in Abb. 5 nochmals dargestellt, die inzwischen zu einem klassischen Diagramm der Kosmologie geworden ist. Es zeigt die Anteile der
Materiedichte und der Dichte der Dunklen Energie (in der Form einer Kosmologischen Konstante) für kosmologische
Modelle, welche auf Friedmann-Theorien
aufbauen. Diese sind direkt von der Einsteinschen Relativitätstheorie abgeleitet.
Die in Abb. 4 eingezeichneten Modelle sind hier nochmals angegeben. In der
Vergangenheit wurden nur Modelle mit
W = 0 diskutiert (Kasten 3 gibt eine Erklärung der hier verwendeten W). Dies
entspricht den Modellen entlang der horizontalen Linie.
Das Einstein-de-Sitter-Modell hat zusätzlich eine flache Raumgeometrie und
ist beim Schnittpunkt der diagonalen roten Linie und der horizontalen schwarzen Linie rechts unten im Diagram zu
finden (oranger Punkt). Kosmologische
Modelle mit einer flachen Raumgeometrie liegen entlang der roten Diagonale.
In der oberen linken Ecke liegen Modelle,
die keinen Urknall hatten. In diesem Parameterbereich liefern die Friedmann-Modelle keine konvergenten Lösungen. Die
Supernova-Daten bevorzugen ein Gebiet,
das sowohl von einem Materie-dominierten Universum (W = 0) als auch vom Einstein-de-Sitter-Modell weit entfernt liegt.
Die Konturlinien entsprechen den Wahrscheinlichkeiten von 66, 95 und 99 Prozent für die Modelle, welche die Supernovae beschreiben. Dieses Diagramm zeigt,
dass die Kosmologische Konstante einen
beträchtlichen Beitrag liefert.
Dies war das erste Anzeichen, dass die
Vorstellungen zum kosmologischen Modell falsch waren. Kombiniert mit den
Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung, die ein flaches Model bevorzugen, ergibt sich eine gute Übereinstimmung: Inzwischen hat sich das Modell
mit WM = 0.3 und W = 0.7 als so genanntes »Konkordanz-Modell« etabliert (grüner Punkt in Abb. 5; siehe auch Abb. 6).
Weitere unabhängige Messungen des Gravitationslinseneffekts und Massenbestimmungen in Galaxienhaufen unterstützen
diese Werte. Der Name Konkordanzmodell ist ein Indiz für die Unzufriedenheit
vieler Astrophysiker darüber, dass wir die
Natur dieses Universums noch nicht verstehen.
Alternativen
Alternativen zur Kosmologischen Konstante als Erklärung für die Dunkle Energie beruhen auf der Vorstellung, dass
der Zerfall von Teilchenfeldern Energie in
die Raumzeit frei setzt, ähnlich den Theorien für die Inflation im sehr frühen Uni-
Kasten 3: Der Dichteparameter W der Kosmologie
I
n der Kosmologie hat es sich eingebürgert, statt mit absoluten Werten,
mit Vergleichswerten relativ zu speziellen Modellen zu arbeiten. Anstelle der
absoluten Materie- und Energiedichten
werden die Verhältnisse zu den Werten, die einem flachen Universum entsprechen, berechnet. Die Energiedichte
eines flachen Universums wird auch als
»kritische Dichte« bezeichnet.
Der Dichteparameter W ist so definiert, dass er die Dichte eines Modells
relativ zur kritischen Dichte des flachen
Universums darstellt. W = 1 entspricht
somit in allen Fällen dem flachen Universum. W > 1 beschreibt Modelle, in denen die Raumkrümmung positiv ist, und
W < 1 entspricht Modellen mit einer negativen Raumkrümmung.
Um die Beiträge einzelner Komponenten zur gesamten Energiedichte zu
beschreiben, wird W oft aufgeteilt und
mit Indices versehen. WM steht für die
Materiedichte, W bezeichnet den Beitrag der Dunklen Energie oder Kosmologischen Konstante.
versum. Es ist durchaus möglich, dass ein
solches physikalisches Feld, das oft mit
dem Begriff der »Quintessenz« umschrieben wird, die Expansion antreibt.
Allerdings bestehen hier Probleme mit
der erforderlichen Feinjustierung, damit
die Beschleunigung erst »spät«, d. h. mehrere Milliarden Jahre nach dem Urknall,
einsetzt. Weitere Erklärungsversuche beruhen auf der Möglichkeit, dass die Gravitation in höheren als vier Dimensionen
wirkt und ein »Leck« in diesen höheren
Dimensionen existiert. Dadurch könnte
sozusagen Energie aus anderen Dimensionen in unser vierdimensionales Universum gepumpt werden.
Diese neue Komponente des Universums dominiert gegenwärtig die kosmische Expansion. Sie macht etwa 70 Prozent der kritischen Dichte aus. Aus der
Elementsynthese des Urknalls wissen wir,
dass nur etwa drei bis vier Prozent der Energiedichte des Universums aus baryonischer Materie besteht, wie wir sie aus unserem Alltag kennen. Die Dunkle Materie
macht etwa 25 Prozent der Energiedichte
aus (siehe Abb. 6).
Die Zukunft des Universums
Die kosmologischen Modelle liefern eindeutige Vorhersagen für die Zukunft. Nur
müssen alle Modellparameter bekannt
sein. Bis vor wenigen Jahren haben wenige Astrophysiker mit der Kosmologischen Konstante gerechnet. Die Supernova-Programme sollten die zukünftige,
von der Abbremsung bestimmte Entwicklung ermitteln. Wenn die Abbremsung stark genug gewesen wäre, das heißt
wenn genügend Materie im Universum
vorhanden gewesen wäre, so hätte uns am
Ende ein »Big Crunch«, das in sich Zusammenstürzen des Universums, erwartet.
Mit der Dunklen Energie sind die Vorhersagen jetzt etwas schwieriger geworden.
Aufgrund der Vermessung des Mikrowellen-Hintergrundes scheint festzustehen,
dass die globale Geometrie der Raumzeit
flach ist und damit wahrscheinlich immer
so bleiben wird.
Die Materiedichte, die in Galaxienhaufen gemessen wird, ist zu klein, um
die Flachheit des Raums erklären zu können. Die Beschleunigung, wie sie anhand
von Supernovae gemessen wurde, kann
nur mit einer abstoßenden Komponente
in Einsteins Gleichungen erklärt werden.
Die Kosmologische Konstante ist dafür
die einfachste Möglichkeit. Sie wirkt zu
allen Zeiten und an allen Stellen gleich.
Sie hätte zur Folge, dass die Galaxien
für uns allmählich alle rotverschoben
im Himmelshintergrund verschwinden
würden. Es bliebe ein unendliches Universum mit immer weniger beobachtbaren Galaxien übrig. Mit der Zeit wäre
Literaturhinweise
[1]Wolfgang Rau: »Auf der Suche nach
der Dunklen Materie«. SuW 1/2005,
S. 32– 42.
[2]Thomas Bührke: »Einsteins astrophysikalisches Vermächtnis«. SuW
4/2004, S. 32–39.
[3]Martin Federspiel, Lukas Labhardt
und Gustav A. Tammann: »Der Wert
der Hubble-Konstante«. SuW 4/1998,
S. 333 –339 (Teil 1) und 5/1998, S.
418–427 (Teil 2).
[4]Das größte Bild. SuW 9/2003, S. 10–
11.
[5]Hartmut Schulz: »Dunkle Energie,
Antrieb für die Expansion des Universums«. SuW 10/2001, S. 854–861
(Teil 1) und 11/2001, S. 948–955
(Teil 2).
die Energie in den Sternen aufgebraucht
und alle Materie in Schwarzen Löchern
konzentriert. Das Universum wäre erloschen.
Allerdings kann die Beschleunigung
auch auf einem zeitabhängigen Phänomen beruhen. In einem solchen Fall hätte sich die Stärke der Dunklen Energie
mit der Zeit verändert und Voraussagen
für die Zukunft des Universums wären
sehr schwierig. Man kann sich vorstellen, dass die Wirkung dieser Kraft einmal wieder nachlässt, ähnlich wie dies
am Ende der inflationären Phase im frühen Universum geschah, und dass dann
die Expansion sich wieder verlangsamt.
Es kann aber auch sein, dass die Dunkle Energie so stark ist und die Raumausdehnung in einer Weise beschleunigt
wird, dass die uns bekannten Kräfte
nicht ausreichen, um das Universum zu
erhalten. In einem solchen Fall würde
die Expansion des Raumes am Ende alles zerreißen – die Galaxien, das Sonnensystem, ja die Atome würden auseinander gerissen und das Universum würde
im »Big Rip« zerfallen.
[6]Götz Hoeppe: »In diesen sechs Zahlen steckt eine neue Physik«. SuW
11/2004, S. 24–31.
[7]Bruno Leibundgut: Cosmological Implications from observations of Type
Ia Supernovae, Ann. Rev. of Astronomy and Astrophysics 31, 69 [2001].
[8]Robert P. Kirshner: The extravagant universe: exploding stars, dark
energy and the accelerating cosmos, Princeton: Princeton University Press [2002]. 312 Seiten. ISBN:
069111742X.
[9]Wolfgang Hillebrandt und Bruno
Leibundgut (Hrsg.): From Twilight
to Highlight: The Physics of Supernovae, Heidelberg: Springer Verlag
[2003]. ISBN: 3-540-00483-1.
Eigenschaften besser zu erforschen – das
aus dem »High-z Supernova Search Team«
hervorgegangene Projekt ESSENCE und der
»Supernova Legacy Survey«. Weitere Projekte sind in Kasten 2 auf Seite 33 beschrieben.
Was auch immer die Zukunft bringen wird, es steht fest, dass das Universum von einer bisher unbekannten und
weitgehend unbeschriebenen Energiekomponente dominiert wird. Diese Komponente entspricht im Wesentlichen der
Vakuumenergie, etwas salopp gesagt also
dem Nichts.
Für uns bedeutet dieses Ergebnis auch,
dass wir nicht nur nicht im Zentrum des
Weltalls stehen, sondern dass auch die
Materie, aus der wir mitsamt unserer Umwelt bestehen, nicht dem vorherrschenden Baustoff der Welt entspricht. Da wir
aus Baryonen bestehen, das Universum
aber in erster Linie aus Dunkler Energie
und Dunkler Materie, müssen wir nun
auch dieses »Zentrum« aufgeben. In einer gewissen Weise entspricht dies einer
neuen und weitreichenden Kopernikanischen Revolution.
□
Neue Projekte
Heute geht es darum, die Stärke der
Dunklen Energie genau zu bestimmen.
Auch dafür sind Beobachtungen entfernter Supernovae der beste Weg, obwohl
auch andere Methoden vorgeschlagen
wurden. Nur mit Hilfe hochpräziser Messungen der Entfernungen und der Expansionsgeschwindigkeit des Universums zu
ganz unterschiedlichen Zeiten in der Vergangenheit werden wir erfahren können,
wie sich das Universum in Zukunft entwickeln wird.
Gegenwärtig sind mindestens zwei
weltweite Projekte im Gange, um diese
Bruno Leibundgut ging
nach seiner Promotion
am Astronomischen Institut der Uni Basel an
das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und ist Vorsteher
des Wissenschaftsbüros bei der ESO in Garching. Er
ist Mitglied mehrerer internationaler Projekte wie
dem High-z Supernova Search Teams, dem ESSENCE
Projekt und der European Supernova Collaboration.
STERNE UND WELTRAUM
Mai 2005
37
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