THEMEN DER WISSENSCHAFT Helle Sterne im dunklen Universum Kosmologie mit Supernovae vom Typ Ia VON BRUNO LEIBUNDGUT Wegen neuester Erkenntnisse wird unser Weltbild als »grotesk« bezeichnet. Kosmologen sehen staunend auf diese Resultate und versuchen sie zu erklären. D ie kosmische Expansion kann mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie sehr gut beschrieben werden. Diese grundlegende Theorie verbindet die Geometrie des Raums mit dessen Energieinhalt und beschreibt mit wenigen einfachen Annahmen sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft des Universums, wenn alle relevanten Größen bekannt sind. Bestimmend für die Geschichte des Universums ist seine Energiedichte. Bis vor wenigen Jahren wurden die Beiträge folgender Komponenten zur Energiedichte diskutiert: Materie, Strahlung, Neutrinos und Raumkrümmung. Materie ist dabei alles, was wir in unserem täglichen Leben kennen (Erde, Luft, Sterne, Gas, Staub, Galaxien). Atome und die meisten Elementarteilchen, üblicherweise als Baryonen bezeichnet, sind Materie. Allerdings scheint es auch andere, nichtbaryonische Materie zu geben, die gravitativ wirkt, deren Ursprung und weitere Eigenschaften aber noch nicht bekannt sind. Diese so genannte »Dunkle Materie« soll für die Bildung von Strukturen im Universum verantwortlich sein und einen mehrfach größeren Beitrag zur gesamten Energiedichte liefern als die baryonische Materie (siehe [1]). Auch die elektromagnetische Strahlung (Licht) trägt zur Energiedichte bei. Der Beitrag der Strahlung zur heutigen Energiedichte des Universums ist sehr gering. Allerdings war dies nicht immer so: Im frühen Universum hat die Strahlung die kosmische Expansion stark mitbestimmt. Kurz nach dem Urknall waren die Temperatur und die Dichte so hoch, dass zwischen Materie und Strahlung ein Druckgleichgewicht bestand. Die Überreste dieser heißen Phase werden heute als Kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung beobachtet. Neutrinos sind Elementarteilchen, die nur durch die Schwache Wechselwirkung mit ihrer Umwelt in Verbindung treten. 30 STERNE UND WELTRAUM Mai 2005 Bis vor wenigen Jahren wurde diskutiert, ob sie überhaupt eine Masse haben, oder ob sie wie Photonen masselos sind. Inzwischen ist erwiesen, dass Neutrinos eine Ruhemasse besitzen – damit können sie im Prinzip auch die Entwicklung des Universums mitbestimmen. Aber obwohl sie, nach den Photonen, die häufigsten Teilchen im Kosmos sind, ist ihre Masse so gering, dass ihr Beitrag zur globalen Energiedichte vernachlässigbar ist. Da Materie und Raum entsprechend der Allgemeinen Relativitätstheorie gekoppelt sind, kann Energie auch in der Raumkrümmung enthalten sein. Dieser Beitrag zum globalen Energiebudget muss berücksichtigt werden, obwohl bis vor wenigen Jahren sehr wenig darüber bekannt war. Das hat sich mit den neuen Messungen der Fluktuationen in der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung grund- legend geändert. Wir wissen nun, dass die Raumkrümmung über große Entfernungen verschwindend klein ist. Kosmologische Konstante Einsteins Theorie besitzt für das Universum keine stabilen Lösungen, das heißt, es muss sich entweder ausdehnen oder zusammenziehen. Das hielt er für unwahrscheinlich – die kosmologische Expansion wurde auch wirklich von Edwin Hubble 1929 entdeckt [2]. Zunächst hatte Einstein seiner Theorie zusätzlich zu den oben beschriebenen Parametern noch einen weiteren hinzugefügt: die Kosmologische Konstante. Diese Größe beschreibt eine Eigenschaft des Raumes, die ursprünglich helfen sollte, das Universum zu stabilisieren. Die Kosmologische Konstante entspricht einer Energiedichte, wie sie aus der Quantenmechanik Kasten 1: Methoden der Helligkeitskorrektur D ie maximale Leuchtkraft der Supernovae vom Typ Ia ist mit der Form ihrer Lichtkurven korreliert: Supernovae mit einer langsamen zeitlichen Entwicklung sind typischerweise leuchtstärker als solche mit einer schnellen Abnahme der Helligkeit. Diese Beziehung ist ein entscheidender Bestandteil der Entfernungsbestimmung mit Hilfe dieser Supernovae. Seit der Entdeckung dieser Beziehung sind verschiedene Methoden zur Korrektur der gemessenen Helligkeit entwickelt worden. Ursprünglich hatte Mark Phillips vorgeschlagen, den Rückgang der Helligkeit im Zeitintervall zwischen dem Maximum und 15 Tage danach in blauem Licht zu messen. Diese Methode wird oft als Dm15-Methode bezeichnet. Sie ist inzwischen auf weitere Wellenlängen ausgeweitet worden. Die »MultiWavelength Light Curve Shape«- Metho- de (MLCS) verwendet alle vorhandenen optischen Wellenlängen in einer koordinierten Form, um die Leuchtkraft im Maximum zu normieren und gleichzeitig die Rötung zu bestimmen. In einer weiteren Variante der Korrekturmethode wird postuliert, dass die maximale Leuchtkraft mit einer zeitlichen Streckung der Lichtkurve korreliert. Diese Stretch-Methode basiert auf einer Standardlichtkurve, die als Basis für alle Supernovae vom Typ Ia fungiert. Eine Eigenart dieser Methode ist, dass nicht die Leuchtkraft normiert wird, sondern dass die beobachteten Helligkeiten in »effektive« Helligkeiten umgewandelt werden. Für den Entfernungsmodul ist dies irrelevant, aber physikalisch hat es natürlich keinen Sinn. Zu betonen ist, dass wir gegenwärtig die Physik, die für diese Veränderung der Lichtkurve verantwortlich ist, noch nicht verstehen. 11. März 22 23 Abb. 2: Hubble-Diagramm für nahe Supernovae vom Typ Ia. Das Hubble-Gesetz steht im Einklang mit den 75 gezeigten Objekten. Dass sich Supernovae als relative Distanzindikatoren eignen ist aus der geringen Streuung um die Expansionslinie (in rot) erkennbar. Das untere Diagramm ist ein so genanntes »modifiziertes Hubble-Diagramm«, in dem die relativen Abweichungen von der Expansionslinie aufgetragen sind. 24 5. April 26 0 10 20 30 40 Tage nach dem 1. März 1997 Unterschiede in ihren Lichtkurven und ihrer spektralen Entwicklung beobachtet, aber sie scheinen mehr oder weniger immer dieselbe maximale Leuchtkraft zu erreichen. Aufgrund dieser Eigenschaft wurden sie als »Standardkerzen« für Entfernungsmessungen vorgeschlagen. Supernovae Typ Ia Mark Phillips (damals am Cerro Tololo Inter-American Observatory) hat vor etwa zehn Jahren eine Beziehung zwischen der absoluten Leuchtkraft der Supernovae vom Typ Ia bei maximaler Helligkeit und der Form ihrer Lichtkurven entdeckt. Diese Beziehung erlaubt es, die Leuchtkräfte weiter zu normieren und hat dazu geführt, dass wir die relativen Entfernungen 50 60 dieser Supernovae mit etwa zehn Prozent Genauigkeit bestimmen können. Weitere Normierungsverfahren sind vorgeschlagen worden, aber sie gehen letztlich auf diese Methode zurück (siehe Kasten 1). Abgesehen von der so genannten Zeitdilatation, die ich später erklären werde, ist die Lichtkurvenform unabhängig von der Entfernung und deshalb für die Normierung der Leuchtkräfte ideal. Die hervorragende Eignung der Supernovae vom Typ Ia als Entfernungsindikatoren ist im so genannten HubbleDiagramm der nahen Objekte sehr gut zu sehen (Abb. 2). In diesem Diagramm sind die Entfernung und die Fluchtgeschwindigkeit (beziehungsweise die Rotverschiebung) gegeneinander aufgetra- Entfernung [Mpc] 1000 relative Entfernung Entfernungsmessungen liefern einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis des Universums. Seit 75 Jahren wissen wir, dass es expandiert. Um die Expansion genau zu vermessen, benötigen wir einen Maßstab für die Entfernungen, und solche Maßstäbe sind leider nicht leicht zu finden. Aufgrund ihrer enormen Leuchtkraft wurden die Supernovae bereits seit ihrer Entdeckung von Walter Baade, Fritz Zwicky und Rudolph Minkowski in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Messung kosmologischer Entfernungen vorgeschlagen. Die Helligkeit einer Supernova verändert sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten (Abb. 1). Es wird dabei zwischen verschiedenen Typen unterschieden (siehe Kasten auf Seite 22). Die als Supernovae vom Typ Ia bezeichneten Objekte stellen eine Klasse mit sehr homogenen Eigenschaften dar (siehe den Beitrag von Wolfgang Hillebrandt und Friedrich Röpke ab S. 22). Zwar werden 29. März 25 bekannt ist. Dort enthält das Vakuum auch eine (äußerst kleine) Energie. Diese »Vakuumenergie« hat für das Universum eine erstaunliche Konsequenz. Sie wirkt wie eine abstoßende Kraft und kann so zu einer Beschleunigung der Expansion führen. Mit Explosionen das Universum vermessen 13. März 16. März Rothelligkeit [mag] SN Abb. 1: Die Lichtkurve der Supernova SN 1997as vom Typ Ia. Die Bilder zeigen den Helligkeitsrückgang der Supernova (Pfeil) und ihre Muttergalaxie. Die Daten sind mit einer Standard-Lichtkurve für nahe Supernovae vom Typ Ia, korrigiert für die Zeitdilatation, abgeglichen. 500 200 100 50 1.4 1.3 1.2 1.1 1.0 0.9 0.8 0.7 0.6 0.01 0.02 0.05 Rotverschiebung z 0.1 STERNE UND WELTRAUM 0.2 Mai 2005 31 Blauhelligkeit [mag] 23 24 25 780 800 820 Julianisches Datum (+ 2449 000) Abb. 3: Darstellung der Zeitdilatation in der entfernten Supernova SN 1995K (Rotverschiebung z = 0.479). Die blaue Kurve, korrigiert entsprechend der Relativitätstheorie, ist eine gute Anpassung an die beobachtete Lichtkurve von SN 1995K. Die entsprechende Standard-Lichtkurve von nahen Typ-Ia-Supernova ohne Korrektur (schwarze Linie) folgt den Daten nicht. gen. Das Hubble-Gesetz besagt, dass die Expansion und die Entfernung proportional zueinander sind und die Proportionalitätskonstante ist nach dem Entdecker Edwin Hubble benannt. Die Supernovae vom Typ Ia bestätigen das Hubble-Gesetz mit ausgezeichneter Genauigkeit. Dies ist der beste Beweis dafür, dass die Supernovae im nahen Universum genaue Entfernungsbestimmungen liefern. Die Hubble-Konstante Die Bedeutung der Hubble-Konstante ist, dass sie die absoluten Dimensionen des Universums festlegt. Über die Friedmann-Gleichungen sind die dominierenden Parameter für die Entwicklung des Universums mit der momentanen Expansionsrate verknüpft. Es ist deshalb extrem wichtig, die Hubble-Konstante so gut wie möglich zu bestimmen (siehe [3]). Supernovae haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Die Schwierigkeit ist, dass die Hubble-Konstante eine absolute Größe ist, das heißt sie kann nur in absoluten physikalischen Einheiten, nicht aber durch relative Messungen bestimmt werden. Da Supernovae vom Typ Ia nur gute relative Distanzen liefern, muss für die Messung der Hubble-Konstante eine zusätzliche Größe bestimmt werden. Dies ist die absolute Leuchtkraft zum Zeitpunkt der maximalen Helligkeit der Supernova. Traditionell wurde dafür die Entfer32 STERNE UND WELTRAUM Mai 2005 840 nung der uns nächsten Supernovae mit Hilfe anderer Entfernungsindikatoren bestimmt. Das ganze basiert auf der kosmischen Entfernungsleiter, die letztlich auf der mittleren Distanz zwischen Erde und Sonne, der Astronomischen Einheit, beruht. In einem groß angelegten Programm haben Gustav Andreas Tammann aus Basel und Alan Sandage von den Carnegie Observatories in Pasadena diese Entfernungsleiter bis zu den nahen Supernovae erstellt. Mit dem Weltraumteleskop HUBBLE haben sie die Entfernungen von Galaxien, in denen bereits früher Supernovae beobachtet und vermessen worden waren, über die Beobachtung von Cepheiden bestimmt und damit die Leuchtkraft der Supernovae geeicht. Parallele Messprogramme haben diese Methode nachvollzogen, haben allerdings etwas andere Werte für die Hubble-Konstante ergeben. Es stellt sich jetzt heraus, dass die Hauptursache für die Diskrepanzen nicht in den Eigenschaften der Supernovae selber liegt, sondern in den Annahmen, die in die Konstruktion der Leiterstufen eingehen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Entfernung zur Großen Magellanschen Wolke am Südhimmel. Explosionsmodelle Einen völlig neuen Weg stellt der Versuch dar, die Leuchtkraft der Supernovae auf dem Wege über Explosionsmodelle zu bestimmen (siehe dazu den Beitrag von Wolfgang Hillebrandt und Fritz Röpke ab S. 22). Das sichtbare Licht der Supernovae beruht auf dem radioaktiven Zerfall von Nickel- und Kobalt-Isotopen. Die Energie wird dabei zunächst als Gammastrahlung freigesetzt. Kurz nach der Explosion werden die Gammastrahlen von der Supernova-Hülle vollständig absorbiert und in Strahlung niedrigerer Energie umgewandelt. Zu späten Zeiten ist die Hülle der Supernova infolge ihrer Expansion so dünn, dass die Gammastrahlen frei entweichen können. Es muss also einen Übergang von der vollständigen Umwandlung der Gammastrahlung in sichtbares Licht zu deren völligem Entweichen geben. David Arnett von der University of Arizona zeigte bereits vor mehr als zwanzig Jahren mit seinen Rechnungen, dass sich dieser Übergang im Maximum der Lichtemission ereignet. Es ist damit möglich, die Leuchtkraft einer Supernova vom Typ Ia über Modelle, welche die Menge des radioaktiven Materials in den Explosionen berechnen, zu bestimmen. Zusammen mit Max Stritzinger am Max-Planck-Institut für Astrophysik habe ich versucht, die Hubble-Konstante mit dieser Methode zu berechnen. Leider erlauben die Modelle noch keine hinreichend genaue Vorhersage der Menge radioaktiven Materials. Dazu kommt, dass wir inzwischen wissen, dass Supernovae vom Typ Ia nicht alle die gleiche Menge radioaktiven Materials erzeugen, und dass somit für jede individuelle Supernova das passende Modell gefunden werden müsste. Es gelang uns dennoch, für den Wert der Hubble-Konstante eine absolute untere Grenze von 50 km s–1 Mpc–1 zu bestimmen. Zeitdilatation Weit entfernte Objekte erscheinen uns weniger hell als nahe. Allerdings wird diese Aussage durch die Geometrie des Raumes relativiert. Die Bahn eines Lichtstrahls hängt davon ab, wie sehr der Raum gekrümmt ist. Dies ist vergleichbar mit interkontinentalen Reisen, bei denen der scheinbar gekrümmte Weg die kürzeste Verbindung zwischen Startpunkt und Ziel ist. Ein Blick auf eine Weltkarte, in der die Flugrouten eingetragen sind, macht das deutlich. Die Expansion des Raumes hat aber auch zur Folge, dass Zeitintervalle für unterschiedliche Beobachter verschieden sind. So scheinen Uhren in einem Schwerefeld langsamer zu laufen als außerhalb davon. Die Expansion ist weiterhin der Grund, dass die Wellenlänge des Lichts gedehnt wird. Sie wird als Rotverschiebung des Lichts von weit entfernten Objekten, wie Galaxien, Quasaren und Supernovae, beobachtet. Mit dieser Streckung des Raumes geht eine Zeitdilatation einher, die mit einer Standarduhr in weiter Entfernung gemessen werden kann. Dazu wird ein zeitabhängiges Phänomen benötigt, welches über einen großen Teil des Universums hinweg beobachtet werden kann. Supernovae vom Typ Ia mit ihrem regelmäßigen Lichtkurvenverhalten sind geradezu ideal für ein solches Experi- ment. Die ersten weit entfernten Supernovae sind denn auch für diesen Test benützt worden. So konnten wir zeigen, dass die Streckung der Wellenlängen des Lichtes exakt mit der Streckung der Lichtkurven von Supernovae des Typs Ia übereinstimmt (Abb. 3). Das bestätigt eine klare Voraussage aller kosmologischen Modelle, die auf der Allgemeinen Relativitätstheorie basieren. Die Helligkeitsentwicklung der entfernten Supernovae erscheint verlangsamt. Dies entspricht genau der Voraussage, dass Uhren im entfernten Universum für uns langsamer ticken. Diese Zeitdilatation wird mittlerweile bei allen Beobachtungen von Supernovae berücksichtigt. Das beschleunigte Universum Ende der neunziger Jahre hatten sich zwei unabhängige Forschergruppen zum Ziel gesetzt, die mittlere Materiedichte des Universums mit Hilfe der Supernovae zu bestimmen. Dazu wollten sie die Supernovae als Entfernungsindikatoren nutzen. In einem von Materie dominierten Universum sollte die universelle Expansion durch die anziehende Gravitation zwischen den Galaxien verlangsamt werden. Diese Abbremsung der Expansion ist direkt mit der mittleren Materiedichte verknüpft. Da damals schon bekannt war, dass Galaxien und Galaxienhaufen oft von Dunkler Materie, deren physikalische Eigenschaften und Herkunft noch völlig unerklärt sind, dominiert werden, war es extrem wichtig, die globale Materiedichte zu bestimmen. Dies war besonders interessant, da die Theorie der Inflation für das frühe Universum verlangt, dass das Universum genügend Energie besitzt, so dass es ewig expandiert und die Geometrie der Raumzeit flach ist. Diese Bedingung besagt nichts anderes, als dass die Winkelsumme von Dreiecken im Universum 180 Grad beträgt. In positiv gekrümmten Räumen (zum Beispiel auf einem Globus) wäre die Winkelsumme größer, in negativ gekrümmten Räumen (zum Beispiel auf einem Sattel) kleiner als 180 Grad. Weder die damals bekannten Messungen zur Bestimmung der Geometrie noch der Materiedichte waren ausreichend genau, um die zukünftige Entwicklung des Universums vorherzusagen. Eine visionäre Idee Sollte es möglich sein, Entfernungen über einen beträchtlichen Teil des beobachtbaren Universums hinweg zu messen, so wäre die mittlere Expansion zwischen weit entfernten und weit zurückliegenden Raumzeit-Punkten und hier und heute bestimmbar. Es ist zu beachten, dass dazu nur relative Distanzen bestimmt werden müssen und keine Abhängigkeit von der Hubble-Konstante besteht. Supernovae vom Typ Ia mit ihren extremen Leuchtkräften und ihrer Eigenschaft als gute relative Distanzindikatoren eignen sich besonders für ein solches Experiment. Saul Perlmutter vom Lawrence Berkeley National Laboratory war einer der ersten, die den Versuch zu einer solchen Messung in den späten achtziger Jahre propagierten. Dies war visionär und die meisten erfahrenen Supernova-Fachleute waren skeptisch, ob die benötigte Messgenauigkeit erreicht werden könnte. Allerdings waren auch sie bald überzeugt und eine zweite Gruppe, das »High-z Supernova Search Team«, formierte sich um Brian Schmidt (heute an der Australian National University in Canberra, Australien). Perlmutters Gruppe firmiert unter dem Namen »Supernova Cosmology Project«. Beobachtungen von entfernten Supernovae sind schwierig, denn es sind außerordentlich lichtschwache Objekte. Allerdings haben sie den Vorteil, dass wir nicht auf geeignete Ereignisse warten müssen, sondern wir können sie direkt suchen. Supernovae sind extrem selten – in unse- rem Milchstraßensystem sind im Verlauf des vergangenen Jahrtausends nur fünf dieser Ereignisse beobachtet worden. Deshalb sind die Beobachtungen von nahen Supernovae nicht vorhersehbar: Der Überraschungseffekt einer nahen Supernova ist immer noch groß, wie sich am Beispiel der SN 1987A, einer Supernova vom Typ II in der Großen Magellanschen Wolke, deutlich zeigte. Für entfernte Supernovae kann ein sehr großes Volumen abgesucht werden und es ist deshalb möglich, innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens geeignete Supernovae zu finden. Voraussetzung ist, dass ein genügend großes Blickfeld nach variablen Objekten geringer Helligkeit abgesucht wird. Die Schwierigkeit besteht darin, die Supernovae innerhalb kürzester Zeit zu finden. Sie sind die buchstäblichen Stecknadeln im kosmischen Heuhaufen der Galaxien. Stecknadeln im Heuhaufen Mit den CCD-Kameras der neueren Generationen sind solche Suchen möglich geworden. Die ersten weit entfernten Supernovae wurden von einer dänischen Kasten 2: Suchprojekte I m nahen Universum sucht seit etwas mehr als zehn Jahren der »Lick Observatory Supernova Search« mit einem automatischen Teleskop nach Supernovae. In den Jahren von 1990 bis 1995 hat der »Calán/Tololo Supernova Search« die größte Stichprobe gut beobachteter Supernovae vom Typ Ia erstellt. Weiterhin hat die Gruppe am Center for Astrophysics in Cambridge (USA) viele nahe Supernovae beobachtet. In Europa hat ein Großprojekt unter der Leitung von Astronomen aus Padua (Italien) mit Beobachtungen an Teleskopen der Europäischen Südsternwarte mehrere detaillierte Datensätze beigetragen. Seit drei Jahren haben sich die Europäischen Astronomen zur »European Supernova Collaboration« zusammengeschlossen und beobachten alle sehr nahen Supernovae vom Typ Ia mit einer bisher unerreichten Genauigkeit (siehe S. 27). Die Supernova-Gruppe am Cerro Tololo Inter-American Observatory hat sich mit der Carnegie Institution und deren südlicher Station Las Campanas Observatory zum »Supernova Optical and Infrared Search« vereint. Inzwischen hat sich dieses Projekt zum »Carnegie Supernova Project« weiter entwickelt. Diese Gruppe konzentriert sich auf einen Rotverschiebungsbereich bis zu z = 0.3. Konkurrenz macht in diesem Bereich die »Supernova Factory«, ein US-französisches Projekt, welches im Laufe der nächsten Jahre etwa 300 Supernovae beobachten will. Bei höheren Rotverschiebungen haben das »High-z Supernova Search Team« und das »Supernova Cosmology Project«, beides weltweite Kooperationen, mit Mitarbeitern in Europa, Nord- und Südamerika, Australien und Japan, damit begonnen, die Eigenschaften der Dunklen Materie zu untersuchen. Das Projekt ESSENCE versucht, die Dunkle Energie mit etwa 200 gut vermessenen Supernovae vom Typ Ia bei Rotverschiebungen zwischen z = 0.2 und z = 0.8 mit einer Suche am Victor-Blanco-Teleskop auf dem Cerro Tololo zu charakterisieren. Das Konkurrenzunternehmen heißt »Supernova Legacy Survey« und benutzt das Canada-France-Hawaii-Teleskop. Das Weltraumteleskop HUBBLE wurde für den »Higher-z Supernova Search« eingesetzt. Weitere Supernova-Projekte sind geplant. So soll das Teleskop des »Sloan Digital Sky Survey« für eine Suche nach Supernovae genutzt werden. Pläne für einen auf Supernovabeobachtungen spezialisieren Satelliten sind bereits weit fortgeschritten. Die »SuperNova Acceleration Probe« (SNAP) könnte schon in etwa zehn Jahren eine große Zahl an Supernovae über einen großen Bereich von z beobachten. STERNE UND WELTRAUM Mai 2005 33 Eine typische Supernovasuche und die nachfolgenden Klassifizierungen und Lichtkurvenmessungen laufen folgendermaßen ab: Zunächst müssen die Suchkampagnen insgesamt bewilligt werden. Die einzelnen Beobachtungszeiten an allen verfügbaren Großteleskopen werden dann jeweils mindestens ein halbes Jahr im Voraus beantragt. Typischerweise werden die Suchen mit Teleskopen der 4-Meter-Klasse durchgeführt. Das VictorBlanco-Teleskop auf dem Cerro Tololo in Chile mit seiner Weitwinkelkamera ist dabei das am häufigsten benutzte Teleskop. Seit letztem Jahr wird auch das Canada-France-Hawaii-Teleskop auf dem Mauna Kea mit seiner MEGACAM für Supernovasuchen eingesetzt (siehe [4] und Kasten 2 auf Seite 33). Mit diesen Teleskopen werden in der Woche nach Neumond viele Sternfelder beobachtet. Diese Daten werden als Referenzaufnahmen bezeichnet. In der Woche vor dem nächsten Neumond werden dieselben Sternfelder wieder beobachtet und mit den Referenzaufnahmen verglichen. Nach der Subtraktion der alten von den neuen Aufnahmen desselben Himmelsgebiets bleiben dann nur die neu hinzugekommenen Lichtquellen übrig. Dann werden Projektmitarbeiter benachrichtigt, die bereits an den größten verfüg34 STERNE UND WELTRAUM Mai 2005 Entfernung [Mpc] relative Entfernung 1000 WM = 0.3, WL = 0.7 WM = 0.0, WL = 0.0 WM = 1.0, WL = 0.0 WM = 0.0, WL = 1.0 100 1.4 1.3 1.2 1.1 1.0 0.9 0.8 0.7 0.6 0.01 0.03 0.1 Rotverschiebung z baren Teleskopen (VLT, KECK, GEMINI, SUBARU, MAGELLAN) warten, um die Supernovakandidaten spektroskopisch zu beobachten. Nur mit einem Spektrum lassen sich die Objekte klassifizieren. Dabei gilt es, die Supernovae vom Typ Ia von anderen Supernovae sowie von Aktiven Galaktischen Kernen zu unterscheiden. Manchmal haben wir auch veränderliche Objekte entdeckt, die sich nicht klassifizieren lassen. Alle positiv identifizierten Supernovae vom Typ Ia werden dann weiter beobachtet, um ihre Lichtkurve möglichst genau zu bestimmen. 1 Abb. 4: Das Hubble-Diagramm aus den Daten aller publizierten Supernovae vom Typ Ia. Die Originaldaten sind im Hintergrund und ihre Mittelwerte in bestimmten Rotverschiebungsintervallen mit Fehlerbalken dargestellt. Die Kurven entsprechen verschiedenen kosmologischen Modellen. Dies sind das leere Universum (rot), das Einstein-de-Sitter-Universum, das von Materie dominiert ist (orange), ein Universum ausschließlich aus Dunkler Energie bestehend (blau) und das Konkordanzmodell (grün). Abb. 5: Wahrscheinlichkeitsverteilung der kosmologischen Parameter. Für jede mögliche Kombination wird ein Abgleich mit den Daten (185 Supernovae aus Abb. 4) berechnet. Die Grauskala zeigt die Wahrscheinlichkeit für diese Zahlenkombination an. Die Wahrscheinlichkeitsbereiche sind mit den weißen (66 %), hellblauen (95 %) und violetten (99 %) Linien angedeutet. Es ist deutlich sichtbar, dass die besten Lösungen einen signifikanten Beitrag der Dunklen Energie verlangen. Ein flaches Universum (mit der Summe WM + WL = 1) ist als rote diagonale Linie eingezeichnet. Die Messungen der Kosmischen Hintergrundstrahlung bevorzugen ein kosmologisches Modell mit Parametern entlang dieser Linie. Die Punkte bezeichnen die Modelle, die in Abb. 4 eingezeichnet sind. Mühsame Auswertung Im Laufe der Jahre haben beide Gruppen mehr als einhundert entfernte Supernovae beobachtet. Publiziert ist bisher allerdings nur ein Bruchteil dieser Daten. Das liegt an den aufwändigen Reduktionen und Analysen, die benötigt werden, um gesicherte Resultate zu erhalten. Supernovae explodieren in Galaxien. Das hat zur Folge, dass die Messung ihrer Helligkeit oft durch das ungleichförmige Hintergrundlicht der Muttergalaxie erschwert wird. Im Normalfall ist es nötig, die Galaxie ein Jahr nach der Supernovaexplosion nochmals detailliert abzubilden und diese tiefe Aufnahme von allen vorherigen zu subtrahieren, um die Helligkeit der punktförmigen Supernova akkurat vermessen zu können. Wenn die Helligkeit einer fernen Supernova für den Zeitpunkt einer jeden Beobachtung bestimmt ist, muss die Lichtkurve konstruiert werden. Hier stellt sich die Rotverschiebung als ein Problem in den Weg. Wir können die entfernten Supernovae nicht direkt mit den nahen Supernovae vergleichen, da sie nicht bei denselben Wellenlängen beobachtet wurden. 0.3 Suchkampagnen 10000 Forschergruppe im Jahre 1988 während einer Suche mit dem Dänischen 1.5-Meter-Teleskop an der Europäischen Südsternwarte (ESO) auf La Silla gefunden. Im Laufe mehrerer Jahre konnten sie nur zwei weit entfernte Objekte finden: Sowohl das Blickfeld als auch das Teleskop waren für eine effiziente Suche zu klein. Zudem waren die Folgebeobachtungen nicht ausreichend gut organisiert, um die Supernovae zu klassifizieren und eine Aussage zur Kosmologie zu machen. Das »Supernova Cosmology Project« publizierte seine ersten sieben Objekte 1995. In dieser Arbeit behaupten die Autoren, Anzeichen für ein Universum mit hoher Materiedichte zu erkennen. Allerdings stellte sich in der Zwischenzeit heraus, dass einige dieser frühen Objekte nicht sicher als Supernovae vom Typ Ia identifiziert werden konnten. Das »High-z Supernova Search Team« beobachtete sein erstes Objekt, SN 1995K, im selben Jahr. In den folgenden Jahren verfeinerten beide Gruppen ihre Suchen und auch die Folgebeobachtungen. In freundlichem Wettkampf wurden weitere Supernovae beobachtet. Diese Programme sind wissenschaftliche Großunternehmungen, bei denen Beobachtungen an mehreren Sternwarten und Teleskopen miteinander koordiniert werden. Es muss also eine Korrektur eingeführt werden, so dass auch wirklich Vergleichbares verglichen wird. Diese Korrekturen wären nicht so schwierig zu bestimmen, wenn die Supernovae nicht zeitveränderlich wären und wenn die Korrektur nicht auch noch von den beobachteten Farben der Supernovae abhängen würde. Die Letztere wird von der Rötung, beziehungsweise Absorption, innerhalb der Muttergalaxie beeinflusst. Die Korrekturen werden von gut beobachteten nahen Supernovae vom Typ Ia abgeleitet. Bei der Anwendung auf die entfernten Supernovae müssen dann die Phase, Rötung und Farbe berücksichtigt werden. Erst dann können die Maximalhelligkeiten der Supernovae in einem bestimmten Wellenlängenbereich miteinander verglichen und die Entfernungen bestimmt werden. Meist bezieht man sich auf den blauen Bereich, da dort die meisten Supernovadaten existieren. Das Hubble-Diagramm in Abb. 4, eine Erweiterung des Hubble-Diagramms in Abb. 2, zeigt alle bisher beobachteten und veröffentlichten Supernovae vom Typ Ia. Das leere Universum als Vergleich Rätselhaftes Ergebnis Eine Fehlersuche begann. Waren die Messungen falsch durchgeführt worden? Es konnten keine offensichtlichen Fehler in der Photometrie gefunden werden. Wa- kn al l Zur Verdeutlichung der Resultate werden die von den Supernovae zu gegebenen Rotverschiebungen gemessenen Entfernungen mit denjenigen in einem leeren Universum verglichen. Der Grund dafür ist, dass im normalen Hubble-Diagramm die Unterschiede zwischen verschiedenen Modellen des Universums sehr schlecht erkennbar sind. Bei sehr großen Distanzen hängt die Expansion vom mittleren Energieinhalt des Universums ab und das Hubble-Gesetz wird dadurch entsprechend modifiziert. Bei einer hohen Materiedichte wird die Expansion des Universums stärker abgebremst. In einem hypothetischen leeren Universum wirkt keine Anziehung, und die Expansion verläuft ungebremst. Natürlich leben wir nicht in einem leeren Universum, aber als Grenzfall ist dieses Modell zur Illustration sehr geeignet. Zur Erinnerung: Es war das Ziel der Supernova-Experimente, den mittleren Materiegehalt des Universums aus der Abbremsung der Expansion zu bestimmen. Im Fall einer gebremsten Expansion müssten die bei gegebener Rotverschiebung beobachteten Entfernungen kleiner sein als im ungebremsten leeren Universum. Zur Überraschung aller waren die Entfernungen der Supernovae aber bis zu zehn Prozent größer als im Falle eines leeren Universums. Dieses Ergebnis konnte im Rahmen der damals akzeptierten Ideen nicht interpretiert werden. Um einen Mitarbeiter des »High-z Supernova Search Teams« zu zitieren: »In unseren Herzen wissen wir, dass dies nicht stimmen kann!« Dies war die Situation zu Beginn 1998. mittlere Dichte der Dunklen Energie [WL] ke in Ur 1.5 Universum ausschließlich bestehend aus Dunkler Energie 1.0 Konkordanzmodell ren die Korrekturen für die Rotverschiebung unzuverlässig? Die Beobachtungen waren schon so angelegt worden, dass die Korrekturen minimal sein sollten, und dies war auch wirklich der Fall. Obwohl noch über die Präzision der Korrekturen diskutiert wurde, waren alle überzeugt, dass diese am Ergebnis nicht Schuld sein konnten. War die Korrektur für die Absorption in der Muttergalaxie nicht richtig angewandt worden? Es ist zwar möglich und sicherlich nicht ausgeschlossen, dass der Staub in einer anderen Galaxie Rötungseigenschaften hat, die wesentlich von demjenigen des Staubs im Milchstraßensystem abweichen, aber die Messungen konnten mit der bekannten Formel sehr gut korrigiert werden. Außerdem zeigten die meisten Supernovae überhaupt keine Anzeichen einer Rötung. Oder waren die entfernten Supernovae nicht so leuchtstark wie ihre nahen Geschwister? Mit anderen Worten, verlieren sie die Eigenschaft als gute Entfernungsmesser bei großer Rotverschiebung? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten. Entscheidend ist, ob die entfernten Explosionen aus irgendwelchen Gründen nicht so hell werden wie die Vergleichsobjekte im nahen Universum. Immerhin explodierten diese Sterne zu einer Zeit, als das Universum nur halb so alt war wie heute und die Sonne und das Sonnensystem noch nicht existierten. Es galt also, die verschiedenen Supernova-Eigenschaften, vor allem die Form der Lichtkurven und die spektrale Evolution, so gut wie möglich zu überprüfen. Die verfügbaren Daten deuten alle darauf hin, dass die entfernten Supernovae den nahen sehr ähnlich sind. Da der Helligkeitsunterschied aber sehr klein ist (nur etwa 25 Prozent bei einer Rotverschiebung von z = 0.5 verglichen mit einem leeren Universum) muss die Möglichkeit unterschiedlicher Lichtkurven genau geprüft werden. Es wäre eine große Hilfe, wenn wir die Physik der Explosion und des Strahlungstransports besser verstehen würden. Damit könnten auch Aussagen zur Helligkeitsentwicklung gemacht werden. Hier sind noch große Fortschritte notwendig. Beschleunigte Expansion und Kosmologische Konstante 0.5 leeres Universum 0 0 Einstein-de-Sitter Universum 0.5 mittlere Materiedichte [WM] 1.0 Die kosmologische Interpretation des Supernova-Resultates ist, dass sich die universelle Expansion in den letzten sechs Milliarden Jahren beschleunigt hat. Deshalb erscheinen entfernte Supernovae weiter entfernt als in einem leeren Universum. Die Gravitation wirkt allerdings nur anziehend und nicht abstoßend. Allerdings hatte Albert Einstein bereits eine mögliche Erklärung für unsere MessunSTERNE UND WELTRAUM Mai 2005 35 Bestätigtes Ergebnis Mittlerweile haben beide Forschergruppen viele nahe und ferne Supernovae vom Typ Ia vermessen und sind immer wieder zum selben Ergebnis gekommen. In den letzten zwei Jahren wurde noch eine entscheidende Vorhersage bestätigt. Im frühen Universum war die Dichte höher als heute, und folglich war auch die Anziehungskraft der Gravitation damals stärker. Im frühen Universum war die Expansion verlangsamt! Erst in der zweiten Hälfte der kosmischen Geschichte hat sich die Dunkle Energie durchgesetzt und die Beschleunigung begonnen (siehe [5]). Dies bedeutet, dass wir zwar bis zu einer gewissen Rotverschiebung eine Beschleunigung, dann aber eine Abbrem36 STERNE UND WELTRAUM April 2005 ������������ ���������������������� ��� ������ ������� ������������������ gen vorgeschlagen, als er versuchte, seine Allgemeine Relativitätstheorie auf das Universum anzuwenden. Damals waren Galaxien noch nicht als Milchstraßensysteme erkannt und ihre Fluchtgeschwindigkeiten noch nicht gemessen werden. Die einzigen damals bekannten astronomischen Geschwindigkeiten waren die Radialgeschwindigkeiten von Sternen, und da das Milchstraßensystem weder kontrahiert noch expandiert, waren diese Geschwindigkeiten sehr klein. Einstein hatte erkannt, dass ein statisches Universum in seiner Theorie nicht möglich war und versuchte daher, die Theorie zu »stabilisieren«. Dazu führte er die Kosmologische Konstante ein. Willem de Sitter konnte sehr schnell zeigen, dass auch dieser zusätzliche Term in den Einsteinschen Gleichungen nicht-statische Lösungen erlaubt, und Einstein hat später seine Einführung der Kosmologischen Konstante als großen Fehler betrachtet. Die Kosmologische Konstante ist jedoch die einfachste Erklärung für die beobachtete globale Beschleunigung. Dies war die Erklärung, die Adam Riess (damals an der University of California in Berkeley) für das »High-z Supernova Search Team« 1998 publizierte. In dieser Publikation waren nur zehn entfernte Supernovae vom Typ Ia analysiert worden, aber die Evidenz für die beschleunigte Expansion war schon deutlich. Das »Supernova Cosmology Project« hat dann 1999 mit einer größeren Anzahl entfernter Supernovae nachgezogen und das erstaunliche Resultat bestätigt. Beinahe gleichzeitig sind damals auch die ersten neueren Messungen der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung bekannt geworden (siehe [6]). Und diese deuteten auf eine flache Geometrie des Universums hin. Zusammen mit den Supernovae war die Schlussfolgerung, dass eine zusätzliche Energiekomponente im Universum vorhanden ist, unausweichlich. Abb. 6: Die Verteilung der bekannten Energiekomponenten, die momentan für die Entwicklung des Universums wichtig sind. Die Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie ist noch unbekannt. sung beobachten sollten. Dies wurde in verschiedenen Supernova-Datensätzen auch wirklich festgestellt (siehe Abb. 4). Die Beobachtungen der Supernovae vom Typ Ia mit dem Weltraumteleskop HUBBLE bei Rotverschiebungen größer als z = 1 waren hierfür entscheidend. Beinahe alle Kosmologen halten die Existenz der Dunklen Energie heute für erwiesen. Diese Erkenntnis ist in Abb. 5 nochmals dargestellt, die inzwischen zu einem klassischen Diagramm der Kosmologie geworden ist. Es zeigt die Anteile der Materiedichte und der Dichte der Dunklen Energie (in der Form einer Kosmologischen Konstante) für kosmologische Modelle, welche auf Friedmann-Theorien aufbauen. Diese sind direkt von der Einsteinschen Relativitätstheorie abgeleitet. Die in Abb. 4 eingezeichneten Modelle sind hier nochmals angegeben. In der Vergangenheit wurden nur Modelle mit W = 0 diskutiert (Kasten 3 gibt eine Erklärung der hier verwendeten W). Dies entspricht den Modellen entlang der horizontalen Linie. Das Einstein-de-Sitter-Modell hat zusätzlich eine flache Raumgeometrie und ist beim Schnittpunkt der diagonalen roten Linie und der horizontalen schwarzen Linie rechts unten im Diagram zu finden (oranger Punkt). Kosmologische Modelle mit einer flachen Raumgeometrie liegen entlang der roten Diagonale. In der oberen linken Ecke liegen Modelle, die keinen Urknall hatten. In diesem Parameterbereich liefern die Friedmann-Modelle keine konvergenten Lösungen. Die Supernova-Daten bevorzugen ein Gebiet, das sowohl von einem Materie-dominierten Universum (W = 0) als auch vom Einstein-de-Sitter-Modell weit entfernt liegt. Die Konturlinien entsprechen den Wahrscheinlichkeiten von 66, 95 und 99 Prozent für die Modelle, welche die Supernovae beschreiben. Dieses Diagramm zeigt, dass die Kosmologische Konstante einen beträchtlichen Beitrag liefert. Dies war das erste Anzeichen, dass die Vorstellungen zum kosmologischen Modell falsch waren. Kombiniert mit den Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung, die ein flaches Model bevorzugen, ergibt sich eine gute Übereinstimmung: Inzwischen hat sich das Modell mit WM = 0.3 und W = 0.7 als so genanntes »Konkordanz-Modell« etabliert (grüner Punkt in Abb. 5; siehe auch Abb. 6). Weitere unabhängige Messungen des Gravitationslinseneffekts und Massenbestimmungen in Galaxienhaufen unterstützen diese Werte. Der Name Konkordanzmodell ist ein Indiz für die Unzufriedenheit vieler Astrophysiker darüber, dass wir die Natur dieses Universums noch nicht verstehen. Alternativen Alternativen zur Kosmologischen Konstante als Erklärung für die Dunkle Energie beruhen auf der Vorstellung, dass der Zerfall von Teilchenfeldern Energie in die Raumzeit frei setzt, ähnlich den Theorien für die Inflation im sehr frühen Uni- Kasten 3: Der Dichteparameter W der Kosmologie I n der Kosmologie hat es sich eingebürgert, statt mit absoluten Werten, mit Vergleichswerten relativ zu speziellen Modellen zu arbeiten. Anstelle der absoluten Materie- und Energiedichten werden die Verhältnisse zu den Werten, die einem flachen Universum entsprechen, berechnet. Die Energiedichte eines flachen Universums wird auch als »kritische Dichte« bezeichnet. Der Dichteparameter W ist so definiert, dass er die Dichte eines Modells relativ zur kritischen Dichte des flachen Universums darstellt. W = 1 entspricht somit in allen Fällen dem flachen Universum. W > 1 beschreibt Modelle, in denen die Raumkrümmung positiv ist, und W < 1 entspricht Modellen mit einer negativen Raumkrümmung. Um die Beiträge einzelner Komponenten zur gesamten Energiedichte zu beschreiben, wird W oft aufgeteilt und mit Indices versehen. WM steht für die Materiedichte, W bezeichnet den Beitrag der Dunklen Energie oder Kosmologischen Konstante. versum. Es ist durchaus möglich, dass ein solches physikalisches Feld, das oft mit dem Begriff der »Quintessenz« umschrieben wird, die Expansion antreibt. Allerdings bestehen hier Probleme mit der erforderlichen Feinjustierung, damit die Beschleunigung erst »spät«, d. h. mehrere Milliarden Jahre nach dem Urknall, einsetzt. Weitere Erklärungsversuche beruhen auf der Möglichkeit, dass die Gravitation in höheren als vier Dimensionen wirkt und ein »Leck« in diesen höheren Dimensionen existiert. Dadurch könnte sozusagen Energie aus anderen Dimensionen in unser vierdimensionales Universum gepumpt werden. Diese neue Komponente des Universums dominiert gegenwärtig die kosmische Expansion. Sie macht etwa 70 Prozent der kritischen Dichte aus. Aus der Elementsynthese des Urknalls wissen wir, dass nur etwa drei bis vier Prozent der Energiedichte des Universums aus baryonischer Materie besteht, wie wir sie aus unserem Alltag kennen. Die Dunkle Materie macht etwa 25 Prozent der Energiedichte aus (siehe Abb. 6). Die Zukunft des Universums Die kosmologischen Modelle liefern eindeutige Vorhersagen für die Zukunft. Nur müssen alle Modellparameter bekannt sein. Bis vor wenigen Jahren haben wenige Astrophysiker mit der Kosmologischen Konstante gerechnet. Die Supernova-Programme sollten die zukünftige, von der Abbremsung bestimmte Entwicklung ermitteln. Wenn die Abbremsung stark genug gewesen wäre, das heißt wenn genügend Materie im Universum vorhanden gewesen wäre, so hätte uns am Ende ein »Big Crunch«, das in sich Zusammenstürzen des Universums, erwartet. Mit der Dunklen Energie sind die Vorhersagen jetzt etwas schwieriger geworden. Aufgrund der Vermessung des Mikrowellen-Hintergrundes scheint festzustehen, dass die globale Geometrie der Raumzeit flach ist und damit wahrscheinlich immer so bleiben wird. Die Materiedichte, die in Galaxienhaufen gemessen wird, ist zu klein, um die Flachheit des Raums erklären zu können. Die Beschleunigung, wie sie anhand von Supernovae gemessen wurde, kann nur mit einer abstoßenden Komponente in Einsteins Gleichungen erklärt werden. Die Kosmologische Konstante ist dafür die einfachste Möglichkeit. Sie wirkt zu allen Zeiten und an allen Stellen gleich. Sie hätte zur Folge, dass die Galaxien für uns allmählich alle rotverschoben im Himmelshintergrund verschwinden würden. Es bliebe ein unendliches Universum mit immer weniger beobachtbaren Galaxien übrig. Mit der Zeit wäre Literaturhinweise [1]Wolfgang Rau: »Auf der Suche nach der Dunklen Materie«. SuW 1/2005, S. 32– 42. [2]Thomas Bührke: »Einsteins astrophysikalisches Vermächtnis«. SuW 4/2004, S. 32–39. [3]Martin Federspiel, Lukas Labhardt und Gustav A. Tammann: »Der Wert der Hubble-Konstante«. SuW 4/1998, S. 333 –339 (Teil 1) und 5/1998, S. 418–427 (Teil 2). [4]Das größte Bild. SuW 9/2003, S. 10– 11. [5]Hartmut Schulz: »Dunkle Energie, Antrieb für die Expansion des Universums«. SuW 10/2001, S. 854–861 (Teil 1) und 11/2001, S. 948–955 (Teil 2). die Energie in den Sternen aufgebraucht und alle Materie in Schwarzen Löchern konzentriert. Das Universum wäre erloschen. Allerdings kann die Beschleunigung auch auf einem zeitabhängigen Phänomen beruhen. In einem solchen Fall hätte sich die Stärke der Dunklen Energie mit der Zeit verändert und Voraussagen für die Zukunft des Universums wären sehr schwierig. Man kann sich vorstellen, dass die Wirkung dieser Kraft einmal wieder nachlässt, ähnlich wie dies am Ende der inflationären Phase im frühen Universum geschah, und dass dann die Expansion sich wieder verlangsamt. Es kann aber auch sein, dass die Dunkle Energie so stark ist und die Raumausdehnung in einer Weise beschleunigt wird, dass die uns bekannten Kräfte nicht ausreichen, um das Universum zu erhalten. In einem solchen Fall würde die Expansion des Raumes am Ende alles zerreißen – die Galaxien, das Sonnensystem, ja die Atome würden auseinander gerissen und das Universum würde im »Big Rip« zerfallen. [6]Götz Hoeppe: »In diesen sechs Zahlen steckt eine neue Physik«. SuW 11/2004, S. 24–31. [7]Bruno Leibundgut: Cosmological Implications from observations of Type Ia Supernovae, Ann. Rev. of Astronomy and Astrophysics 31, 69 [2001]. [8]Robert P. Kirshner: The extravagant universe: exploding stars, dark energy and the accelerating cosmos, Princeton: Princeton University Press [2002]. 312 Seiten. ISBN: 069111742X. [9]Wolfgang Hillebrandt und Bruno Leibundgut (Hrsg.): From Twilight to Highlight: The Physics of Supernovae, Heidelberg: Springer Verlag [2003]. ISBN: 3-540-00483-1. Eigenschaften besser zu erforschen – das aus dem »High-z Supernova Search Team« hervorgegangene Projekt ESSENCE und der »Supernova Legacy Survey«. Weitere Projekte sind in Kasten 2 auf Seite 33 beschrieben. Was auch immer die Zukunft bringen wird, es steht fest, dass das Universum von einer bisher unbekannten und weitgehend unbeschriebenen Energiekomponente dominiert wird. Diese Komponente entspricht im Wesentlichen der Vakuumenergie, etwas salopp gesagt also dem Nichts. Für uns bedeutet dieses Ergebnis auch, dass wir nicht nur nicht im Zentrum des Weltalls stehen, sondern dass auch die Materie, aus der wir mitsamt unserer Umwelt bestehen, nicht dem vorherrschenden Baustoff der Welt entspricht. Da wir aus Baryonen bestehen, das Universum aber in erster Linie aus Dunkler Energie und Dunkler Materie, müssen wir nun auch dieses »Zentrum« aufgeben. In einer gewissen Weise entspricht dies einer neuen und weitreichenden Kopernikanischen Revolution. □ Neue Projekte Heute geht es darum, die Stärke der Dunklen Energie genau zu bestimmen. Auch dafür sind Beobachtungen entfernter Supernovae der beste Weg, obwohl auch andere Methoden vorgeschlagen wurden. Nur mit Hilfe hochpräziser Messungen der Entfernungen und der Expansionsgeschwindigkeit des Universums zu ganz unterschiedlichen Zeiten in der Vergangenheit werden wir erfahren können, wie sich das Universum in Zukunft entwickeln wird. Gegenwärtig sind mindestens zwei weltweite Projekte im Gange, um diese Bruno Leibundgut ging nach seiner Promotion am Astronomischen Institut der Uni Basel an das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und ist Vorsteher des Wissenschaftsbüros bei der ESO in Garching. Er ist Mitglied mehrerer internationaler Projekte wie dem High-z Supernova Search Teams, dem ESSENCE Projekt und der European Supernova Collaboration. STERNE UND WELTRAUM Mai 2005 37