klatschmohn dritter teil

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Der Aronstab
Für Menschen ist Aasgeruch wohl der fürchterlichste Gestank, der
sich denken lässt – für viele Fliegen-Arten aber ein unwiderstehlicher Lockduft, der sie zu Tisch ruft und gleichzeitig zu nützlicher
Arbeit verlockt: Die Fliegen (und andere Insekten) besorgen bei
den nach Aas stinkenden Pflanzen die Verbreitung der Sporen und
die Bestäubung.
KLATSCHMOHN
AUS UNSERER HEUMANUFAKTUR
Die Blüten des Aronstabes bestehen aus der «Spatha», ein scheidenförmiges Hochblatt, das den – stinkenden – schmalen Kolben
umhüllt, auf welchem die männlichen und weiblichen Blüten getrennt sitzen; die Bestäubung geschieht durch Insekten, die den
Eingang in diese «Kesselfalle» gefunden haben, aber erst wieder
nach draussen können, wenn nach erfolgter Befruchtung die Reusenhaare welken, die zwischen den männlichen und weiblichen Blüten stehen und den Insekten den Eingang ermöglichen, den Ausgang aber zunächst versperren.
Im Sprachgebrauch der Evolutionstheorie ist das ein «Zweck», aber
man sollte vorsichtig sein, für jede Stinkpflanze einen «Zweck»,
etwa den der Abschreckung von Weidetieren oder anderen Pflanzenfresser zu suchen oder herbeizuphantasieren. Viel ergiebiger als
solche Erwägungen sind die Fragen, die sich aus unserer Reaktion
auf den Gestank ergeben. Da begegnen wir uns selbst im überraschenden Erlebnis. Die Düfte an sich und die üblen erst recht verlocken zu spontanen Bekundungen, zu unbekümmerten Urteilen und
zur heiteren Auseinandersetzung darüber, wessen Gefühle die «richtigen» sind – als gäbe es richtige und falsche Gefühle. Gefühle sind
immer richtig für den, der sie hat.
DRITTER TEIL
Gestaltung: Beatrix Nicolai, Texte: Bernhard Streit
Bern, im Winter 2007
Gefleckter Aronstab «Eselsohr, Pfaffenspint»
Arum maculatum, Aronstabgewächse
3.
Die Birke
als Gas, ins Freie, Birke
ist die Antwort der Erde
auf stehende Nässe des Bodens, das Wasser
Birke bringts in Umlauf, Bewegung
und wer die Wässer seines Körpers
fliessen lassen will, der muss Birke
essen, trinken: einverleiben, sie treibts
aus, das Wasser, Birke wirkt auf die Nieren
macht den Körper für Wasser durchlässig
zu trinken, zu pissen, zu lösen
und zu spülen, Reinigung
innerlich und äusserlich, im Fliessen
des Wassers selber flüssig werden
wie Wasser darin zu treiben, durchlässig
zur Birke gehört
der ganze Himmel als Hintergrund
vor dem sie – zeigt und ziert sich
steht allein, ragt
entfaltet sich nach oben
und wenn der Wind in ihren Zweigen
rührt, dann fegt sie
am Himmel die Wolken
ausser dem Rauschen des Windes
vor meinen Ohren ist da nur
dies leise Schnarren, das durch
dringt, es gehört zur Birke
von ihrem Stamm ein kleiner Fetzen
silberweisse Haut, als Wimpel
vibriert im Wind, schnarrt
ein Gefühl von Schweben, der Bussard
steht auf dem Wind, wie flüssig
flattert sein Gefieder, durchlässig
für Luft und Wind und Welt, so
oder aber immer kleiner
werden, schrumpfen, der Welt
immer weniger Widerstand leisten, und so
durchgehen, dies von der Birke
ein Ton, eintönig, wenn Birken
in Alleen stehen
sieht man gleich
dass Birken Bäume sind, die keine
typischen Kronenform bilden
sondern ihre Krone wachsen lassen
wie sie will wenn sie kann
Birke «Frühlingsbaum, Besenbaum»
Betula alba, Birkengewächse
3.
Klette
Kohl
Körnelkirsche
Kornrade
Kratzdistel
Kürbis
Acker-Gauchheil
Akalei
Alpenrispengras
Apfel
Aronsstab
Basilikum
Birke
Bittersüsser Nachtschatt
Boretsch
Buschwindröschen
Butterblume
Labkraut
Maiglöckchen
Narzisse
Natternkopf
Nelkenwurz
Eibe
Enzian
Öhrchen-Habichtskraut
Rhabarber
Ruprechtskraut
Fenchel
Fetthenne
Feuerbusch
Flechten
Sauerklee
Schwertlilie
Soldanelle
Sonnenwend-Wolfsmilch
Gartenbohne
Gelber Enzian
Greiskraut
Tagetes
Haselwurz
Hauswurz
Heckenkirsche
Hopfen
Vergissmeinnicht
Wasserlinse
Wegwarte
Weidenröschen
Weisse Taubnessel
Wollgras
Wundklee
Kartoffel
Kirsche
Klatschmohn
3.
die Birken, denen ich begegne
sind allesamt nicht Exemplare
der Art, sondern Individuen
der Art: in grossen Scharen
betreten sie die Welt, aber
jeder Baum für sich
wie Möven fast – und dann
die Anmut mit der sie sich beugen
dass sie sich beugen, ist, was Birken
der Welt entgegensetzen und dem Wind
beim Wachsen: sie recken
ihre Kronen aus dem flachen Boden
in den Wind und wenn
sie erst mal wachsen, wird
bald alles andere Gewächs verkümmern
wo Birken stehen, das Land
verwildert, sumpfige Steppe
die Birke liebt es nämlich feucht
sie sucht das Wasser, zieht es an
sich, sich auch an es, nimmts auf
lässts durch sich durch
gehen, gibt’s weiter
lässt es fliessen, Birke zieht
das Wasser aus der Erde, gibt’s
an die Luft ab, Birke ist eine Quelle
der Erde, wie Birke aus Erde
quillt aus Birke Wasser an die Luft
3.
1
2
3 Natternkopf «Starrer Hans» Echium vulgare, Raublattgewächse
Refugium am Strassenrand
Mit den Akeleien ist es einfach und schwieriger. Sie zählen zu den
ältesten Gartenpflanzen, sind Hahnenfussgewächse und haben in
ihrer heimischen Art die Robustheit von Unkraut. Einmal vorhanden
säen sie sich überall aus und gehören mit ihren warmen Blütenfarben zu den fröhlichsten und anmutigsten Gartengewächsen. Schon
der Name zeigt, dass mehr in ihnen steckt als Adlerschwänze (von
aquila) oder -krallen, Feenhandschuh, Elfenschuh, Venuswagen und
im Englischen Columbine oder Fool’s cap.
Frau Esther Hirschi, Leiterin vom Kulturforum Altenberg, hat auf ihrem Vorplatz mit den wohlwollenden Blicken der städtischen Strassenreiniger ein wahres Refugium für Ruderalpflanzen eingerichtet,
für jene Pflanzen also, die zur Keimung und zum Gedeihen, nur wenig offenen Boden brauchen und von denen sich die meisten – immer noch – selber ansiedeln: Vogelknöterich, Vogelmiere, Wegrauke,
Hirtentäschel, Sonnenwend-Wolfsmilch, Acker-Gauchheil und viele
andere.
Natürlich wächst die Akelei auch im Garten an der Lerberstrasse.
Im Gartenbeet ebenso wie im Wiesenhang und an den Stellen, an
denen die Mauern an die Nachbargrundstücke grenzen, aber auch
zwischen den Lilien und in den Rosenbüschen. In der mittelalterlichen Medizin sollen Akeleien eine Rolle bei der Bekämpfung von
Milz- Leber- und Gallenbeschwerden gespielt haben, aber auch bei
der Behandlung von Wunden. Altem Aberglauben nach gibt die Akelei impotenten Männern die sexuelle Kraft wieder:
«So einem Manne seine Kraft genommen und durch Zauberei oder
andere Hexenkunst zu den ehelichen Werken unvermöglich geworden, der trinke ständig von dieser Wurzel und dem Samen, er geniesset, und kommet wieder zurecht.»
Um auch den ausdauernden Pflanzen Raum zu schaffen hat Frau
Hirschi auf jedem Quadratmeter Töpfe und Wannen hingestellt und
damit experimentiert. Da hat sich in einem kleinen Eimer mit Steinen die Wegmalve angesiedelt, daneben wächst die Ackerwinde, der
Natterkopf, die Acker-Gänsedistel, um nur ein paar zu nennen. Man
kann auf dem Platz eine fast selbsttätige und fast gesetzmässige
Abfolge bestimmter Pflanzen sich vollziehen sehen, und es wird einem so richtig bewusst, wie sehr man gewöhnlich den Reichtum
dieser Strassenrandtopfflora unterschätzt – nicht zu reden von der
Fauna, die sich hier einstellt. Käfer, Spinnen, Hautflügler.
Auch wenn dieser Text in einem Buch über Hildegard Medizin zu lesen steht, ist von Selbstversuchen abzuraten. Akeleien gelten nach
heutigen Gesichtspunkten eindeutig als giftig.
3
1 Acker-Gauchheil «Weinbergstern» Anagallis arvensis, Myrsinengewächse
2 Sonnenwend-Wolfsmilch Euphorbia helioscopia, Wolfsmilchgewächse
Die Akelei
Akelei «Kolumbine, Feenhandschuh, Venuswagen»
Aquilegia vulgaris, Hahnenfussgewächse
3.
Apfelbaum
Pirus malus, Rosengewächse
3.
Der Apfel
Das Alpenrispengras
Früher lagen die Äpfel buchstäblich auf der Strasse. Aber da Falläpfel den Autoverkehr gefährden, holzte man allenthalben die
Obstalleen ab; der Apfelbaum im Hausgarten wich der Libanonzeder; die «Hoschtet» und die Streuobstwiese wurden Opfer landwirtschaftlicher Rationalisierung und Intensivierung. Als Gipfel allen
Schwachsinns gab es bis in die 1970er Jahre sogar für die Bauern eine «Kopfprämie» auf jeden gefällten Hochstammapfelbaum –
ganz gleich, ob seine Tracht denn nun wirklich eine Gefahr für das
Funktionieren des Gemeinsamen Marktes darstellte oder ob er «nur»
dem Hof zu Schmuck und Schutz diente.
Im Frühling beginnt sich auf der Magerwiese am Argauerstalden
ein absonderliches Gras zu gebären; es trägt an seiner Rispe fast
nie Blüten, sondern fertige winzige Graspflänzchen mit leicht gebogenen Blättern, die der Rispe ein heiter beschwingtes Aussehen verleihen. Bald darauf werden die Ähren des Alpenrispengrases,
weil die Brutpflanzen kräftig wachsen, immer schwerer; sie neigen
sich zur Erde, wurzeln sogleich an und bilden schon nach wenigen
Wochen kräftige neue Horste um den alten herum.
Erstaunlich genug, dass heute noch so viele Apfelsorten erhalten geblieben sind. Dies ist einerseits dem Eigensinn und der Unbeugsamkeit einiger «unbelehrbarer» Obstbauern, Apfelgärtner und
-gärtnerinnen sowie Einzelkämpfer zu verdanken, anderseits auch
privaten Initiativen und Vereinen, die gegen den Strom schwammen und sich für die Apfelsortenvielfalt einsetzten. Im Sorteninventar von «Fructus», der Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten, lässt sich das grosse Sortiment der Apfelsorten in der Schweiz
nachprüfen. Der Waldhöfler, der Melchnauer Sonntagsapfel, die
Süssholz Reinette und viele, viele andere Sorten, die auf dem Markt
kaum mehr zu haben sind, dürfen so wenigstens in privaten Gärten weiterleben.
Alpenrispengras
Poa alpina, Süssgräser
An solchen Stellen Ruderalpflanzen wachsen zu lassen, kostet
nichts, nicht einmal viel Zeit, und Esther Hirschi hat damit auf
die Dauer erreicht, dass nicht nur die städtischen Strassenreiniger
wohlwollend auf ihren Vorplatz blicken – es hat sich bereits herumgesprochen, welche Absicht dahintersteckt.
3.
Was die Pflanze hier macht, hat seinen strategischen Sinn: das Alpenrispengras erlebt in seiner Heimat nur eine ziemlich kurze Vegetationsperiode; es sichert seine Vermehrung, indem es die Stufen
der Samenbildung, Reifung und Keimung überspringt und statt dessen gleich fertige Brutpflänzchen hervorbringt.
Weise sei das alles eingerichtet – hätte man früher gesagt. Heute
sagt man, das ist kein Wunder, sondern das Ergebnis von Mutation
und Auslese, eine Anpassung also. Für mich bleibt es immer noch
ein Wunder, dass ein Gras dort, wo eigentlich Blüten hingehören,
fertige Pflänzchen erzeugt. Die Mitteilung, das sei alles genetisch
bedingt und eine Folge von Mutationen ist nur eine Übersetzung
des Rätsels in eine andere Sprache, in die Sprache der Biologie. Wie
denn eigentlich das, was auf der Ebene der Gene als Programm notiert ist, Gestalt annimmt, davon wissen wir weit weniger, als uns
die Biologiebücher glauben machen wollen.
3.
Der Basilikum
Der Basilikum im Topf auf dem Balkon an der Altenbergstrasse hat
nicht nur eine dekorative Wirkung, sondern er ist diesmal auch gut
geraten. Beatrix hat aus der Ernte eine Pesto-Sauce bereitet und zu
Teigwaren serviert. Einfach köstlich!
Ursprünglich wurde der, aus den tropischen Gebieten Asiens und
Afrikas stammende Basilikum, von reisenden Kaufleuten auf ihren
Schiffen von Indien nach Genua gebracht. Wann in Genua allerdings
zum ersten Mal Pesto zubereitet wurde, ist nicht überliefert. Bereits
im Mittelalter jedoch wurde der Basilikum, oder das Basilienkraut,
wie es auch genannt wurde, nördlich der Alpen angebaut. Genutzt
wurde es allerdings weniger als Gewürz, sondern vielmehr als Heilmittel. In mittelalterlichen Schriften werden ihm wahrliche Wunderkräfte nachgesagt. In grossen Mengen genossen, soll es Augen
dunkler färben, Milchfluss fördern, Harn treiben, Depressionen heilen und allerlei Geschwülste zum Abklingen bringen.
Basilikum, der nachweislich verdauuungsfördernd wirkt und Blähungen lindert, wird heute noch als Rohstoff für kosmetische Salben
und aromatische, stärkende Bäder genutzt. Doch seine Bedeutung
als Heilmittel wurde längst von seinem Ruf als ausgezeichnetes Gewürz in den Schatten gestellt. Hier das Rezept von Beatrix für die
Pesto-Sauce:
Zwei handvoll Basilikumblätter (kann mit Peterlig gemischt werden)
zusammen mit ca 100 g Pinienkernen und 1-2 Knoblauchzehen fein
hacken. Mit Salz, Pfeffer, Olivenöl und geriebenem Parmesan oder
Pecorino mischen (ev. im Mixer).
Bittersüsser Nachtschatten «Rote Hundsbeere, Pissranke, Saurebe»
Solanum dulcamara, Nachtschattengewächse
Basilikum «Königsbalsam, Pfefferkraut»
Ocimum basilicum, Lippenblütengewächse
3.
3.
Die blauen Enziane braucht man nicht mehr vorzustellen. Jeder
kennt diese Alpenblumen, die schon fast zum Symbol für eine immer weiter von uns abrückende «heile» Welt geworden sind. Beinahe täglich sehen viele von uns die kleinen Pflanzengestalten auf
den Plakaten für Fremdenwerbung oder als Markenzeichen für Milch
und Butter.
Heinrich von Ofterdingen träumt in Novalis‘ gleichnamigem Roman
von der blauen Blume und geht dann auf die Suche nach ihr, ein Leben lang. Es scheint müssig zu fragen, welche Pflanze Novalis denn
mit der «Blauen Blume», die fortan zum Symbol romantischen Suchens wurde, gemeint haben könnte. Soweit ich sehe, haben Botaniker und Germanisten die Blaue Blume immer für eine Allegorie gehalten, die sich nicht auf eine bestimmte Pflanze beziehen lässt.
Später im Jahr blüht der Schwalbenwurz-Enzian; seine Blütentrichter ähneln den Blüten des Stengellosen Enzians, doch die Pflanze
selbst hat ein ganz anderes Aussehen: Ihre kräftigen, dicht beblätterten Stengel werden über sechzig Zentimeter lang, und die grossen Blüten sitzen in den oberen Blattachseln. Auch diese Enzianart
galt früher als Zauberpflanze.
3 Kochscher Enzian «Stengelloser Enzian» Gentiana acaulis, Enziangew.
Aber wozu braucht es eigentlich den Bittersüssen Nachtschatten?
In allen Büchern, die ihn überhaupt erwähnen, ist übereinstimmend von seinem zwielichtigen Wesen die Rede; sein Gift soll nur
bei sehr umsichtiger Anwendung wohltätige Wirkung haben, sonst
aber zur Verwirrung des Geistes und des Leibes führen. Gar schreckliche Geschichten gibt es da, aus der Zeit, als man die Alkaloide der
Nachtschattengewächse noch nutzte, um schlimme Schmerzen zu
betäuben, um sich halluzinatorisch in andere Welten zu begeben,
auf den Blocksberg zum Beispiel, und um mit oder ohne Hilfe von
Giftmischerinnen (sicher gab es auch Giftmischer) Liebe und Tod
herbeizuführen. Dennoch oder vielleicht auch gerade darum, kann
man sich hingezogen fühlen zu dieser etwas exzentrischen Pflanzenfamilie, in der das Gift nah beim Wohlgeschmack liegt, die Lockung nah der Drohung, die Düsternis nah beim Leuchten, der Zauber nah beim Tod.
Die Blaue Blume der Romantik
Nicht weniger strahlend blau als der Stengellose Enzian sind die
Blütensterne des Frühlings-Enzians, die meist in lockeren Gruppen
zusammenstehen oder dichte Blütenkissen bilden. Wie alle Enziane
legt auch der Frühlings-Enzian seine Knospen bereits im Herbst an.
Durch die Schneedecke geschützt, kommt er dann mit einem Minimum an Tätigkeit durch den Winter, bis ihn die Wärme wieder
drängt zu voller Aktivität.
1 Frühlings-Enzian «Weinbergstern» Gentiana veran, Enziangewächse
2 Schwalbenwurz-Enzian Gentiana asclepiadea, Enziangewächse
Vor wenigen Tagen hab ich entdeckt, dass in den Gebüschen am
Hang der Bittersüsse Nachtschatten blüht. Seine Blüten haben eine
gewisse Ähnlichkeit mit den Blüten der Kartoffel und auch mit denen der Tomate. Dieselbe Beobachtung finde ich heute in der «Heilpflanzenkunde» von Dörfler und Roselet. Überhaupt ist dies unter
allen mir bekannten Pflanzenbüchern das einzige, das sich über den
Bittersüssen Nachtschatten auslässt. Und da steht dann, dass von
Juni bis August die Blütezeit der Pflanze ist und dass sie im Herbst
scharlachrote hängende Beeren hat. Diese Früchte sollen anfangs
bitter, dann süss schmecken.
Die Blauen Enziane
Zu den bekanntesten Alpenblumen zählt der Stengelllose Enzian.
Seine azurblauen Blüten leuchten bereits im frühen Frühling aus
den noch winterfahlen Matten. In höheren Lagen findet man sie sogar noch bis in den Juli hinein.
Vergissmeinnicht Myosotis, Raublattgewächse
Borretsch «Blauhimmelstern» Borago officinalis, Rauhblattgewächse
Der Bittersüsse Nachtschatten
3.
Bis ich bei Waverly Root, einem amerikanischen Journalisten, der
ein Buch über essbare Pflanzen und Tiere geschrieben hat, auf die
Behauptung stiess, die Blaue Blume sei identisch mit dem Borretsch.
Ausgerechnet Borretsch! Seine Blüten sind zwar himmlisch blau,
aber ziemlich klein und fast immer verschämt nach unten geneigt.
Das verlockt zu weiteren Erwägungen und Vermutungen. Wie wäre
es mit dem Vergissmein nicht? Es hat ja im ganzen durchaus etwas Romantisches. Es spielte nämlich von jeher im Liebeszauber
eine vielfältige Rolle und gehörte ausserdem zu den «SchlüsselBlumen», die in Sage und Volksglaube gerühmt wurden, weil man
mit ihrer Hilfe Berge aufschliessen und zu verborgenen Schätzen
gelangen konnte. In dieser Verknüpfung von Liebe und Schatzsuche
entspräche das Vergissmeinnicht mehr als alle anderen Pflanzen der
romantischen Grundstimmung und erinnert jedenfalls daran, dass
das Bild von der Blauen Blume nicht einfach frei erfunden wurde,
sondern seinen Ursprung in volkstümlichen Vorstellungen vom Zauber blauer Blumen hatte.
3.
Das Busch-Windröschen
Die Butterblume
Das Busch-Windröschen ist eine recht häufige Pflanze. Sie erscheint
zeitig im Frühjahr (und daher der Name Busch) in fast allen Wäldern. Aber auch an Bachrändern sowie auf Magerwiesen ist sie anzutreffen, und manchmal sogar in städtischen Anlagen. Allerdings –
so zahlreich und rasch, wie die Pflanze gekommen ist, so gründlich
und schnell verschwindet sie auch wieder; schon im Mai vergilben
die Blätter. Aber dieses frühe Absterben passt gut ins romantische
Bild vom Busch-Windröschen.
Es ist schon eine seltsame Blume, diese Butterblume, die selbst
wenn sie im späteren Frühjahr so häufig vorkommt, dass sie die
Wiesen gelb färbt, vom Vieh verschmäht wird. Die Tiere fürchten
instinktiv ihr Gift. Da der Mensch keine Butterblumen isst, geht
er kein Risiko ein. Der Scharfe Hahnenfuss, der den Schriftstellern
des Altertums schon bekannt war, besitzt die seltsame Eigenschaft,
eine partielle Lähmung der Gesichtsmuskeln, speziell der Kinnlade
herbeizuführen. Bei einem durch das Gift dieser Pflanze Sterbenden
wird also ein Muskelkrampf hervorgerufen, den man das «sardonische Lächeln» genannt hat, das berühmte Lächeln, mit dem die
von den Römern besiegten Iberer in den Tod gingen, wenn sie den
Gifttod der Sklaverei vorzogen.
Im Volksmund geniesst diese Frühlingspflanze ohnehin eine gewisse Symphatie. Man nannte sie liebevoll Vorwitzchen, mancherorts hiess sie auch Seidenlieschen. Diese Bezeichnung bezieht sich
auf den eigentümlichen Glanz der Blütenblätter, der jedoch häufig
auch zu weniger zärtlichen Vergleichen herausforderte. Namen wie
Schmalz- oder Speckblume zeigen, dass sich unsere Vorfahren häufig auch an nahrhafte Verheissungen erinnert fühlten.
Doch hat das Busch-Windröschen bezüglich seiner Heilwirkung keinen nennenswerten Ruf. Und selbst der Name Augenblume bedeutet keineswegs, dass es gegen Augenkrankheiten hilft, sondern eher
das Gegenteil. Buschwindröschen sollen Augenbrennen verursachen
und Kopfweh. Damit nicht genug, galten sie mancherorts sogar als
Totenblumen. Wer nur ein Exemplar mit nach Hause nehme, so hiess
es, der habe übers Jahr einen Verstorbenen zu beklagen.
Scharfer Hahnenfuss «Butterblume»
Ranunculus acris, Hahnenfussgewächse
Busch-Windröschen «Hexenblume, Vorwitzchen»
Anemone nemorosa, Hahnenfussgewächse
3.
Der Fenchel
Die Eibe
In hiesigen Gärten findet sich fast nur der einjährige Gemüsefenchel, dem man fleischige, gestauchte Blätter anerzogen hat; wenn
sie dick genug geworden sind, ist es um ihn geschehen. Der Gewürzfenchel hingegen ist ausdauernd. Er wird vorallem in Mittelmeerländer angebaut und ist auch als Heilpflanze voll anerkannt.
Die Eibe ist ein immergrüner Nadelbaum mit biegsamen, oberseits
glänzend dunkelgrünen Nadeln. Auf der Unterseite ihrer Zweige
trägt sie im Herbst verführerisch knallrot gefärbte Beeren. Diese
Beeren enthalten wie alle Teile des Baumes ein giftiges Alkaloid,
das auch für viele Tiere tödlich ist:
Es war im Frühjahr 1995, als sich im Berner Bärengraben der plötzliche Tod einer 18 Jahre alten Bärin ereignete. Ein zweiter Bär
zeigte Unruhe und Erbrechen, erholte sich aber innert weniger
Stunden. Bei den Wärtern trat Ratlosigkeit auf und die Frage nach
der ungewöhnlichen Todesursache stellte sich ein. Sie konnte geklärt werden, als man im Gehege Eibenäste fand. Das Tierspital Zürich stellte danach die Todesursache fest: Eibenvergiftung.
Im Frühjahr treibt der Fenchel sein federiges Grün, und man kann
von den jungen Trieben als zartes Gemüse essen. (Ich stelle mir
eine im Backofen sanft gegarte Seezunge vor, die von einem Wall
von Fenchelgrün umgeben ist.) Später setzt der Fenchel ein Stockwerk der fädigen Blattwedel übers andere, es entsteht ein dichter
Dschungel aus schlanken Stämmen und verwobenem Laub, zuletzt
bekrönt von vielen gelblichen Blütendolden. Von Jahr zu Jahr wird
die Gestalt mächtiger, ohne an Grazie zu verlieren.
Die Blätter sind eine feine, dem Dill ähnliche Würze für Salate und
Fisch, und die reifen Früchte ergeben einen Tee, der sowohl einen
rauhen Rachen als auch einen Blähbauch kurieren kann.
Die letzte Vorstellung, die der Fenchel gibt, sind seine im November
gilbend erschlaffenden Blätter – nur eins von vielen Beispielen für
die eigentümliche Schönheit der Welke.
Europäische Eibe «Baum des Todes»
Taxus baccata, Eibengewächse
Fenchel «Brotsamen»
Foeniculum vulgare, Doldengewächse
3.
3.
Das Holz der Eibe wurde seit jeher sehr geschätzt, weil es zäh, hart
und gleichzeitig sehr elastisch ist. So wurde es bereits in der Steinzeit zur Fertigung von Waffen wie Bogen, Pfeilen, Armbrüsten und
Wurfhämmer gebraucht. Auch für kostbare Truhen und sonstiges
Mobiliar mussten die Eiben fallen. Die Eiben lassen sich mit allem
sehr viel Zeit, und deshalb dauert es auch länger als bei einem anderen Baum, bis aus einem kleinen Eibensprössling ein ausgewachsener Baum geworden ist. Die ausgelichteten Eibenwälder hatten
nicht genügend Zeit, sich wieder zu schliessen. Die Ausrottung der
Eiben wurde in den folgenden Jahrhunderten fortgesetzt, und heute sind diese Bäume in ihrer natürlichen Verbreitung in ganz Europa selten geworden. Bei uns findet man die Eibe im Unterholz von
Laubmischwäldern, an schattigen Waldhängen und in Schluchten.
3.
Zierquitte «Feuerbusch, Japanische Zitronenquitte»
Chaenomeles, Rosengewächse
Gartenbohne «Fisole, Grüne Bohne, Prinzessbohne»
Phaseolus vulgaris, Hülsenfruchtgewächse
Fetthenne «Mauerpfeffer, Trippmadam»
Sedum floriferum, Dickblattgewächse
Die Fetthenne
Der Feuerbusch
Man braucht nur die kräftigen Wurzelstöcke der Fetthenne zu sehen, um zu begreifen, warum sie im Garten keine Konkurrenten duldet. Schon im zeitigen Frühjahr entfalten sich die Blätter der Winterknospen, und dann beschatten die Büsche den Boden lückenlos
über den ganzen Sommer hin. Keine andere Pflanze hat da eine
Chance. Langsam, aber kraftvoll breitet sich die Fetthenne nach allen Seiten aus und ihre sommerlichen Blütendolden fügen sich zu
einem flächigen Muster zusammen, das im Herbst wunderschöne
Farbverläufe bringt. Die saftigen Blätter der Fetthenne wurden früher als kühlendes, schmerzstillendes Mittel auf Wunden aufgelegt,
woran noch der Gattungsname «Sedum» erinnert, der vom lateinischen sedare abgeleitet ist, was «stillen» bedeutet. Ähnlich ist
die grosse Fetthenne (Sedum maximum) mit gelben Blüten.
In den Gärten flackert der Feuerbusch, wirbelt weisse Flocken,
brennt wie Gott im Dornbusch. Seine stacheligen Zweige sind mit
Blüten dicht besetzt, je nach der Sorte in vielen unterschiedlichen
Rottönen, manchmal auch in einem reinen Weiss. Man kann den
Feuerbusch als dichte Hecke pflanzen oder einzeln vor einem Hintergrund, der die Blütenfarben zur Geltung kommen lässt – und
später das Gelb der Früchte, die ein starkes Quittenaroma verbreiten und wie Quitten zu Gelee oder Saft verarbeitet werden können;
lässt man sie hängen, dann vergehen sie sehr langsam im Laufe
des Winters, und über die Reste machen sich die Vögel her. Was die
Wuchshöhe angeht, so gehört der Feuerbusch zu den Stauden, die
als «pflegeleicht» gelten. Er erreicht sehr schnell seine endgültige
Grösse, kaum mehr als einen Meter, und braucht danach niemals
mehr zurückgeschnitten zu werden.
3.
3.
Die Flechten
Die Gartenbohne
Faszinierend ist nicht nur die Schönheit der Flechten (die sich aber
erst unter der Lupe richtig zeigt), sondern auch die Beharrlichkeit,
mit der die winzigen Pflanzen Millimeter für Millimeter eine Mauer, einen Stein oder alte Holzstücke erobern. Flechten sind lebende
Bilder, und wer ihre Verwandlung geduldig beobachtet, dem wird
selbst hier im Allerkleinsten, das Ausmass der grossen Verwüstung
zum Bewusstsein kommen: Zahlllose Moos- und Flechtenarten sind
längst dem von uns produzierten Dreck zum Opfer gefallen, das
heisst: Nicht nur die Vielfalt der Blütenpflanzen geht zurück, sondern auch die scheinbar so robusten, anspruchslosen, urtümlichen
Pflanzenwesen, die selbst auf kahlem Fels noch gedeihen, sterben
unter dem giftigen Aushauch dessen, was wir unsere Zivilisation
nennen. Die Kerze brennt von beiden Seiten, sie verzehrt die grossen Schönheiten und die kleinen Wunder, aber selbst so lächerliche
Opfer wie das eines Tempolimits erscheinen uns und unseren ebenso
beschränkten wie arroganten Politikern zu gross, um damit wenigstens ein Versuch für eine Notbremsung einzuleiten.
Neulich bei einem sommerlichen Abendessen gab es Buschbohnen,
mit Bohnenkraut gewürzt, dazu Kartoffeln mit einer fein geschnittenen Zwiebel, in Sonnenblumenöl gebräunt. Das war schon fast die
ganze Welt, auf diesemTeller:
Die Kartoffeln stammen, wie jeder weiss, aus Südamerika und das
Bohnenkraut aus dem Mittelmeerraum. Die ölliefernden Sonnenblumen wurden aus dem subtropischen Mittelamerika importiert, die
Zwiebel von Kreuzfahrern aus dem Vorderen Orient mit nach Hause
gebracht. Und von den Bohnen gab es zwar eine in Südamerika heimische Art, doch wurden sie erst so richtig geniessbar, als die Züchter sie in Europa feldmässig anbauten. Heute sind von der GartenBohne weltweit über 500 verschiedene Formen bekannt, die nach
Wuchs und der Blütenfarbe sowie nach Form, Grösse und Färbung
der Hülsen und Samen unterschieden werden.
Jung geerntet, sind Gartenbohnen eine wahre Delikatesse, aber
man sollte sie nie ungekocht auf den Tisch bringen, denn sie enthalten eine giftige Eiweissverbindung, die erst beim Kochen zerstört wird. Auch wer keine Bohnen mag, kann sich zwei oder drei
Pflanzen auf dem Fensterbrett heranziehen: Wäre die Garten-Bohne
nicht jahrhundertelang als Feldgemüse angebaut worden, dann hätte man sie wahrscheinlich ihrer schönen Blüten wegen als Gartenstaude zu würdigen gewusst.
Gewöhnliche Baumbart Usnea filipendula, Flechte
3.
3.
Der Gelbe Enzian
Das Greiskraut
Die ungewöhnlichen Blüten zeigen, dass der Gelbe Enzian auf einem
Sonderplatz unter den Enzianen steht. Die dichten Büschel in den
schalenförmigen, grossen Blättern sind ein Gewirr aus schmalen,
spitzen, gelben Blütenblättern und Staubgefässen. Erst wenn man
sich mit diesen seltsamen Blüten näher befasst, sieht man die langgestielten, goldgelben Sterne in den Achseln der oberen Blätter.
Durch diesen Blütentypus gibt sich der Gelbe Enzian als eine Urform
der Art zu erkennen, die vor vielen Jahrmillionen in der Frühzeit der
Alpen, aus Asien zugewandert sein dürfte.
Das Greiskraut ist einmal ein mediterraner Fremdling gewesen, doch
das ist lange, lange her, und seitdem hat es sich als «Kulturfolger»
mit dem Ackerbau fast über die ganze Erde ausgebreitet: Die Samen
fliegen leicht und weit an ihren Schirmchen und haben dazu noch
Härchen, aus denen bei Feuchtigkeit ein klebriger Schleim kommt,
dieser begünstigt sowohl die Verschleppung durch «Klebhaftung»
wie auch die Verankerung im Boden.
Der ehedem bäuerliche Enzianschnaps ist heute zum Massenartikel
geworden, der in entsprechend grossem Stil hergestellt wird. Da
nunmehr die hochwüchsigen Enziane in den meisten Ländern unter
Naturschutz stehen, werden die Pflanzen kultiviert. Um eine grössere Likörfabrik mit einem Jahresverbrauch von etwa 18‘000 Kilogramm frischer Wurzeln regelmässig beliefern zu können, müssen
18 Hektar Fläche mit Gelbem Enzian bepflanzt werden.
Doch diese Berechnung berücksichtig nicht, dass man beispielsweise noch sehr wenig vom Verhalten des Gelben Enzians in der Kultur
sowie von seinen Schädlingen weiss. Sie beleuchtet nur eine Seite
eines weitverzweigten Komplexes.
Greiskraut «Kreuzkraut»
Senecio, Korbblütengewächs
Gelber Enzian «Butterwurz»
Gentiana lutea, Enziangewächse
3.
Zäh und beharrlich ist das gemeine Greiskraut auch darin, dass es
bei kargen Lebensumständen immer noch «Hungersformen» bilden kann, die manchmal nur eine einzige trotzige Blüte haben;
und in den Bergen, wo der Samen nicht ausreift, entschliesst das
Greiskraut sich kurzerhand vom einjährigen Kraut zur ausdauernden
Staude zu werden.
Den Namen Greiskraut hat die Pflanze wohl deshalb, weil ihre grauwolligen Fruchtköpfe durch die grauweissen Haare eine Ähnlichkeit
mit dem Kopf eines Greises haben. Früher galt das Greiskraut als
zuverlässiges Mittel bei Schwellungen aller Art. Ein Tee aus Greiskrautblättern sollte ausserdem abführend, harntreibend und gegen
Würmer wirken. Inzwischen hat man allerdings herausgefunden,
dass alle Greiskrautarten giftige Alkoloide enthalten: Diese schädigen die Leber, sind krebserregend und haben in tropischen Gebieten, wo manche Greiskrautarten als Tee getrunken werden, schon
Massenvergiftungen verursacht.
3.
Das Habichtskraut
Die Haselwurz
Dem Löwenzahn sehr ähnlich, auch eng mit ihm verwandt, aber erst
später blühend, ist das Habichtskraut. Das Habichtskraut blüht in
den verschiedensten Gelbtönen. Dies ist folglich leicht zu bestimmen – aber dann wird es schwierig: Die Gattung «Hieracium» umfasst nämlich mehr als 30 Arten und mehr als 600 Unterarten, und
dazu kommen noch über tausend Bastarde und «Zwischenarten»,
bei denen (oft wegen mehrfacher Bastardisierung) auch der Spezialist nicht mehr mitkommt, welche Arten sich hier vermischt haben.
Ich bin sonst gerne dafür, dass auch der botanische Laie, wenn er
sich mit Pflanzen befasst, ein wenig Mühe darauf verwendet, die
Arten unterscheiden zu lernen und ein ordentlichers Bestimmungsbuch zu benutzen. Bei den Habichtskräutern ist solche Mühe so gut
wie vergebens. Was immer man herausbekommt: es ist wahrscheinlich falsch.
Die Haselwurz gehört zu den botanischen Charakterköpfen, jedenfalls was ihr Laubwerk angeht. Die immergrünen, mattrot überlaufenden Blätter sind meist von nierenförmiger bis rundlicher Form,
aber gegen den Stiel hin tief eingebuchtet. Das Grün der kleinen
Niederblätter spielt eher ins Bräunliche. Diese Niederblätter schützen eine zwar unscheinbare, aber keineswegs uninteressante Blüte.
Häufig noch im vorjährigen Buchenlaub versteckt, zeigt sie aussen
nur ein trübes Braun, im Innern aber schattet ein dunkles Purpur.
Und das oft schon im frühen März, wenn sogar die Frühblüher der
Pflanzenwelt sich rar machen. Das tun übrigens auch die Insekten.
Weshalb die Haselwurz meist auf Selbsbestäubung angewiesen ist.
Beatrix hat als Exempel, ein Habichtskraut mitten auf einer Verkehrsinsel in Belp gepflückt. Mit einiger Sicherheit handelt es sich
hier um das Öhrchen-Habichtskraut, dessen Blattunterseiten graufilzig sind und das sich durch Ausläufer leicht verbreitet.
Europäische Haselwurz «Brechwurz, Hexenrauch»
Asarum europaeum, Osterluziegewächse
Hasenohr-Habichtskraut
Hieracium, Korbblütengewächse
3.
3.
Die Hauswurz
Die Heckenkirsche
Kaum eine Pflanzengattung ist so anspruchslos wie die Hauswurz:
Nur in einem Blumentopf mit etwas Erde ein paar Rosetten gepflanzt – und in ein oder zwei Jahren bringen die jeweils älteseten
Pflanzen einen prächtigen Blütenstand hervor.
Die Heckenkirsche stammt ursprünglich aus Asien. Sie ist ein
Strauch von ganz besonderer Wuchsfreude und Robustheit. Der botanische Namen zeigt an, dass die Heckenkirsche zur gleichen Gattung gehört wie die sich windenden Geissblatt-Arten. Sie wächst
aber aufrecht, und die am Boden entspringenden Hauptäste können
bis zu vier Meter hoch werden. Die im Mai erscheinenden rötlichen
Blüten sind vorallem durch ihre grosse Zahl auffalllend und schmückend, ebenso im Spätsommer die korallenroten Früchte.
Solche Anspruchslosigkeit hat die Hauswurz in ihrer Heimat gelernt
– im Hochgebirge, wo sie in Felsenspalten nistet, mit den Jahren
dichte Polster bildet und sich von ihrem eigenen Humus ernährt.
Wenn eine Rosette ausgewachsen ist und blüht, dann verzehrt sie
sich dabei selbst: Sie schickt ihre ganze Lebenskraft in den Blütenstand und stirbt dabei ab. Inzwischen hat sie aber um sich herum
neue Rosetten gebildet. Das sind mehr oder weniger lange Ausläufer, die binnen weniger Tage eigene Wurzeln treiben.
Über die Zuordnung der Arten und Unterarten herrscht selbst unter
den Fachleuten anhaltende Uneinigkeit. Die Zahl der Lokalvarianten
und Naturhybriden ist schier unübersehbar und nimmt noch ständig zu, und die erfolgreichen Bemühungen der Züchter haben das
Heer der Sorten so vergrössert, dass man ein zünftiger Sempervium-Sammler sein muss, um sich unter den rund tausend genannten
Varianten zurechtzufinden. Wer möchte, darf sich natürlich ruhigen
Gewissens an den Pflanzen freuen, ohne jede einzelne gleich mit
den richtigen Namen anzureden.
Rote Heckenkirsche
Lonicera xylosteum, Geissblattgewächse
Hauswurz
Sempervivum, Dickblattgewächse
3.
Hopfen
Humulus, Hanfgewächse
3.
Der Hopfen
Die Kartoffel
Der Hopfen treibt unerbittlich zähe Ausläufer und umgarnt mit seinen meterlangen Lianen alles, was er gerade errreichen kann: Pfähle, Bänke, Bäume, Stauden, und mit robusten Klimmhaaren hält er
sich daran fest. Der Hopfen hat eine ausdauernde Wurzel, aber die
Ranken sterben alljährlich ab und wachsen im Frühjahr wieder neu
heran, drei oder vier Meter lang.
Immer ist die Kartoffel verkannt worden, einmal soherum und einmal andersherum: Als Pizarro sie vor 460 Jahren nach Europa brachte, galt sie mit ihren heiteren Sternblüten als Zierpflanze und botanische Sehenswürdigkeit – und als man zweihundert Jahre später
die Essbarkeit ihrer Knollen entdeckte, wurde sie zur Nutzpflanze,
um deren Schönheit sich niemand mehr kümmerte.
Der Hopfen gehört zu den tugendhaften Pflanzen, bei denen die Geschlechter nicht beieinanderwohnen, und nur die weiblichen Pflanzen geben die Hopfen- «Zapfen», die eigentlich keine Zapfen sind,
sondern traubenförmig gebaute Blütenstände mit Vorblättern und
Deckblättern. In diesen Hopfenzapfen liegen die Wohltaten bereit,
die der Hopfen uns zu bieten hat: Wir können uns einen guten und
unschädlichen Schlaftee brauen oder einen starken Auszug, den wir
mit Honig süssen und mit Alkohol als einen vorzüglichen Magenbitter konservieren.
Um der Kartoffel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muss man sie
als Zierpflanze sehen, ohne ihren Nutzen zu verachten – oder umgekehrt: Es muss ja nicht gleich ein ganzes Kartoffelfeld sein. Schon
eine einzige Kartoffel aus den Vorratsresten, mit ihren weisslichen
Keimen auf dem Balkon in einen Topf voll Erde gelegt und abgedeckt reicht aus, um das schöne Bild einer zierenden Pflanze und
den Nutzen einer bescheidenen Ernte zu verschaffen, ein Nest von
blanken, gelblichen Knollen, die man erntet, wenn im Spätsommer
das Laub abgestorben ist – oder kurz vorher, wenn die Kartoffeln
noch ganz jung und klein sind. Vielleicht reicht es gerade für ein
kleines Abendessen, für einen Teller Gschwellti, die man mit Salz
und Butter, als eine Art von pikanter Praline essen kann.
Und natürlich können wir Bier damit brauen. Dem Bier verleiht der
Hopfen nicht nur die würzige Bitterkeit, sondern durch seine antibiotischen Bestandteile auch bessere Haltbarkeit.
Kartoffel «Härdöpfu»
Solanum tuberosum, Nachtschattengewächse
Die Heckenkirsche gilt, obwohl sie seit zweihundert Jahrten in europäischen Gärten steht und hier und da ausgewildert ist, als exotischer «Zierstrauch». Dabei hat sie alle Tugenden einer vortrefflichen Heckenpflanze. Sie ist absolut frosthart, auch gegen Wind
und Wetter völlig unempfindlich; der ungewöhnlich frühe Laubaustrieb freut Tiere und Menschen, die Blüten haben viel Insektenbesuch, und die Beeren werden von den Vögeln gern gefressen.
3.
3.
Die Kirsche
Die wahrscheinlich faszinierendste Baumfrucht meiner Kindheit war
die Kirsche; der geheimnisvollste Baum der Kirschbaum. Die Kirsche
war für die Bauern einmal Segen und ein andermal Fluch. Die Kirsche wuchs versteckt ins Grün des Baums hinein – bis alles prallvoll
schwarz war. Diese Pracht hielt allerdings nicht lange an. Jeder Tag
war ein Risiko. Es konnte zuviel regnen oder gewittern, vom Hagel
schon gar nicht zu reden. Wie aus dem Nichts waren plötzlich die
ekelhaften Kirschenkäfer da oder, unbemerkt, die Würmer im Innern der Kirsche.
Kam die Kirschenlese, musste jeder ran. Fast jeden Tag mussten
alle auf die Leitern, um Kirschen zu pflücken und sie dann bis in
alle Nacht hinein zu verlesen und sie zum Obsthändler zu bringen.
Die Kirsche duldete kein Zeitverlust. So war die Kirschlese die hektischste Zeit auf dem Hof, obwohl es nur ein paar Bäume gab.
Die Kirsche ist wohl die philosophischste Frucht. Diese Vergänglichkeit: kaum gepflückt und schon dahin. In Japan rankt sich die
gesamte Kulturgeschichte des Landes um die Kirschblüte. Sie wird
zum Symbol der Vergänglichkeit, für Schönheit und Glück. Was alles an Gefühlen in einer Kirschblüte steckt, das weiss nur der japanische Mensch zu sagen. Auch Stiel und Stein bringen uns zum
Philosophieren. Die Frage, ob bei frischen Kirschen die Steine mit
geschluckt werden sollen oder nicht, ist unbeantwortet. Dass aus
den Steinen die wärmsten Bettkissen für den Winter gemacht werden konnten, darüber herrschte einst Einigkeit. Die Stiele konnten
für Tee verwendet werden. Warum sie jedoch für Hexen kostbar waren, wissen wir nicht mehr.
Grosse Klette «Haarwachswürze»
Arctium lappa, Korbblütengewächse
Kirsche
Cerasus, Rosengewächse
3.
Die Klette
Die grosse Klette ist eine rauhhaarige Pflanze, die bis anderthalb
Meter hoch werden kann. Man findet sie häufig an Wegränder und
auf Ödland. Ihre grünen und unscheinbaren Früchte haben Hüllblätter mit roten Spitzen, die mit Widerhaken ausgerüstet sind; sie hängen sich den kleinen Säugetieren, die durchs Gestrüpp kriechen, ins
Fell und lassen sich von ihnen irgendwohin tragen, wo sie zu Boden
fallen und keimen oder gleich vergehen.
(Übrigens kann der Gärtner sich die Bildung der Klettenfrüchte zur
Bekämpfung der Wühlmäuse zunutze machen. Diese Früchte in die
Wühlmausgänge gelegt, hängen sich den Mäusen ins Fell, was diesen äusserst unangenehm ist, da sie sich nur sehr schwer wieder
herauslösen. Bei ihren Versuchen sich davon wieder zu befreien,
werden sie durchs gesamte Revier geschleppt, so dass die Kletten sich gerade in den Wühlmausgängen ansiedeln. Dies wiederum
vermehrt die Zahl der herumliegenden unangenehmen Früchte in
einem Masse, dass das Revier für die Wühlmäuse schliesslich unbewohnbar und von ihnen verlassen wird.)
Klettenwurzelöl gilt übrigens als ein beliebtes Haarpflegemittel gegen Schuppen, frühzeitigem Ergrauen der Haare und Ausschlägen
der Kopfhaut. Leider ist dieses Öl dadurch in Verruf geraten, dass
unter dem Namen Klettenwurzelöl gewöhnliches parfümiertes Öl
verkauft wurde.
3.
Der Kohl
Im Oktober ist die hohe Zeit der Kohle aller Art. Der botanische Namen ist für alle bei uns gebräuchlichsten Kohlarten derselbe: Brassica oleracea. Das heisst, dass Rosenkohl und Weisskohl, Kohlrabi und
Wirz, Blumenkohl und alle anderen nichts sind als Variationen einer
einzigen Pflanzenart. Die Urform, den Wildkohl findet man heute
noch an den europäischen Küsten des Atlantik.
Der Ruf des Kohls als Heilmittel für mancherlei Gebresten war zu
allen Zeiten gross, seine Nahrhaftigkeit unbestritten. «Ohni Chabis chasch nid i Winter ga!» oder «Chabis muesch ässe zum gross u
starch wärde» gehörten zu den Sprüchen meiner Jugend. Eine Gemüsesuppe ohne Chabis war keine. Gehacktes in Chabisblätter eingewickelt war ein Geheimnis. Chabis, Chabis und nochmals Chabis,
an ihm hing der Geschmack der Armut.
Kohl als solchen gab es im Überfluss, doch gutes Sauerkraut war
eine Kostbarkeit. Was Sauerkraut enthielt und ausmachte, war die
Mischung von Weisskohl mit «etwas» Dill, Kümmel und Salz. Die
Kenner des Topfs setzten Apfelschnitz dazu. Zum Geschmack wichtig waren – sofern vorhanden – Wacholderbeeren. All das wurde
ins Fass eingestampft. Es stimmt wohl nicht, dass das beste Sauerkraut dann entstand, wenn es mit blossen, etwas schweissigen
Füssen gestampft wurde. Im Fass gärt der Zucker, es entsteht Milchsäure. Das führt zu dem pikanten Geruch des Sauerkrauts. Sauerkraut reizt Geschmack und Geruchssinn, und wer bei dem Wort Sauerkraut die Nase rümpft, der kann nur ausgelaugtes, totgekochtes
oder schlecht gewürztes Sauerkraut vorgesetzt bekommen haben.
In Wahrheit sind alle Kohlarten, vorsichtig gedünstet (manche auch
leicht angebraten), wahre Delikatessen.
Kornelkirsche «Tierlibaum»
Cornus mas, Hartriegelgewächse
Kohl «Chabis»
Brassica, Kreuzblütengewächse
3.
Die Kornelkirsche
Im Herbst wachsen viele Früchte heran, die schmecken ganz köstlich und gammeln doch meist ganz ungenutzt vor sich hin. So ergeht es auch den dunkelrot glänzenden Steinfrüchten der Kornelkirsche. Allzuviele Menschen freuen sich nur an der frühen Blüte
dieses häufig angesetzten Strauchs – gelbe Kugeldöldchen vor dem
Laubaustrieb! – und sind überrascht, wenn sie erfahren, dass man
aus den Früchten Saft und Konfitüre machen kann, auch einen Likör, der dem der Schlehe fast ebenbürtig ist.
Oft werden sie als «Ziersträucher» verkannt, von denen man wie
selbstverständlich annimmt, dass auch ihre Früchte nur zur Zierde
da sind. Tonnenweise, was sag ich, güterzugweise verkommen sie
in den Schweizer Gärten, nicht mitgerechnet die an den Strassenränder, die jedoch durch Abgase und Hundedreck ungeniessbar gemacht werden.
3.
Gemeine Kratzdistel Cirsium vulgare, Asterngewächse
Acker-Kratzdistel «Ackerunkraut» Cirsium arvense, Korbblütengewächse
Kornrade
Agrostemma githago, Nelkengewächse
Die Kratzdistel
Die Pflanze, von der hier die Rede ist, stammt aus einer «naturfreundlichen» Ausgleichsfläche mit Wildpflanzen, das heisst man
berücksichtigt in solchen Wiesen jede mögliche Einsicht in ökologische Zusammenhänge, aber nicht im Sinne irgendeiner Rekonstruktion, sondern im Sinne einfühlsamer, eben «naturfreundlicher»
Zuwendung. In diesen «naturfreundlichen» Ausgleichsflächen
könnte manches ohne Skrupel gehegt werden, was darin keinen
Platz hat, wenn die Wiesen ein Spiegelbild der ortsansässigen Flora
vorzeigen sollen. Da wird wohl niemand, ehe er die Konrade aussät,
in der Fachliteratur nachforschen, ob die Konrade denn auch wirklich einheimisch ist.
Sie zeigt sich im ersten Frühjahr als flache Rosette, aus der im
zweiten ein Stamm nach oben schiesst, der sich alsbald nach allen
Richtungen hin verzweigt, bis zuletzt ein ovales, fast kugeliges Gebilde dasteht, das auf seiner Aussenseite von stacheligen, violetten
Blüten übersät ist, die rasch auswachsen und sich nach Art der Löwenzahnsamen mit dem Wind ausbreiten. Wenn sie sich erst einmal
irgendwo festgesetzt haben, gibt es für sie kein Halten mehr, und
sie gehen immer weiter. Wo die Kratzdistel gleich in Scharen auftritt, kann sie zur Plage werden. Dagegen hilft dann nur noch die
Giftspritze oder das Ausgraben der Rosette.
Sie ist es nicht. Sie ist vielmehr als Getreideunkraut aus Westasien
zu uns gekommen, also keineswegs von selber, auf «natürliche»
Weise, sondern durch die Tätigkeit des Menschen. Nur die Tatsache,
dass dies vor sehr langer Zeit geschah, bewahrt die Konrade davor,
als eingeschleppte Exotin gezeichnet zu werden. Sie steht sogar in
der «Roten Liste» der gefährdeten Pflanzen – nur könnte sie in der
freien Natur niemals überleben, sie braucht das kultivierte Land,
ist also eigentlich ein von menschlicher Kulturtätigkeit abhängige
Pflanze wie jede Gartenstaude auch, nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie nicht mit Absicht, sondern unfreiwillig mitkultiviert wurde, als man noch keine Möglichkeit hatte, das Saatgut mechanisch oder chemisch zu reinigen. Damals gerieten die Samen der
Konrade, die fast so gross sind wie Getreidekörner, oft mit ins Mehl
und verursachten schwere Vergiftungen.
3.
3
Kürbisse
Cucurbita, Kürbisgewächse
3.
Das Labkraut
In meiner Kindheit gab es noch kaum Kürbisse im Garten. Bei uns
wuchs der Kürbis auf dem Misthaufen oder ums Haus herum, dort,
wo er soetwas wie eine Warnung war: Vom Betreten des Geländes
wird abgeraten.
Das echte Labkraut kann man an seinen leuchtend gelben Blüten
und den schmalen Blättern von allen anderen Arten unterscheiden.
Die Pflanze wurde früher zum Gerinnen der Milch bei der Käseherstellung verwendet.
Mittlerweile haben Kürbisgewächse die Welt erobert. Sie sind zu einer saisonalen Frucht eigener Prägung geworden. Kinder lieben sie.
Sie verfolgen ihr Wachstum, und wenn sie im Garten endlich so weit
sind, wissen sie, dass der Herbst gekommen ist und dass November
mit Allerheiligen sich nähert. Halloween und Kürbisse sind eins.
Ein unliebsames Kraut, das man als Unkraut bezeichnen kann, ist
das Klettenlabkraut. Die Pflanze macht sich gleich mit ihrem ersten Wachstum auf die Suche nach einem Wirt, der aufrecht steht
oder senkrecht herabhängt, um an seiner Vertikalen teilzuhaben.
Haben seine Ranken eine geeignete Wirtspflanze gefunden, gewöhnlich eine Staude oder ein kleineres Gebüsch, beginnen sie,
an seinen Ästen und Verzweigungen aufwärts zu klimmen und seine Krone, sofern er eine bildet, innerlich auszufüllen. Das Klettenlabkraut, sich der Stabilität seiner Wirtspflanze bedienend, wird
dick wie ein Baumstamm und wirkt auch so (ohne allerdings dessen Dichte und Höhe zu erreichen), ein räumlich sich entwickelndes
Gerüst aus dünnen, weichen und sehr zähen Ranken, die sich und
ihren Wirt vielfältig durchwachsen und verschlingen und die durch
ihre klettenartige Behaarung unentwirrbar aneinander hängen. (Es
ist nahezu unmöglich, eine einzelne Ranke aus diesem Dickicht unbeschädigt herauszulösen.) Zuletzt haben sich die Verhältnisse umgekehrt, und das Klettenlabkraut hält dann mehr ihn, den Wirt,
ausgelutscht und ausgelaugt bis zum trockenen reisigen Gestrüpp,
aufrecht, indem es sich nun selbst aufrecht hält, anstatt dass er es
aufrecht hielte.
Aus den beinhart gewordenen Schalen kann man Gefässe machen,
die Kerne kann man essen, teils sie aufbewahren um im Frühjahr
neue Kürbisse daraus zu ziehen. Es gibt viele Kürbissorten, vom
einfachen Speisekürbis bis zu den abstrusesten und buntesten
Spielformen, die, auch wenn sie von Züchtern gekreuzt und ausgelesen, doch nicht «unnatürlich» sind, sondern die ganze Breite
der Verkleidungsmöglichkeiten des Kürbis repräsentieren. Kobolde
sind das, und ihr trockenes Rasseln klingt vergnügt wie Eulenspiegels Schellenkappe.
1
Dabei ist sie eine wunderschöne Pflanze. Nach dem Flug der Blüten
ist der Distelkörper zuletzt nur noch ein trockenes, starres und stacheliges Gebilde, das vollständig von Spinnen ausgesponnen ist mit
unzähligen Fliegen- und Insektenskeletten darin. Nach dem Lauf
der Dinge wird die Kratzdistel schliesslich abbrechen, nass werden
und allmählich verrotten.
Der Kürbis
Drinnen im Zimmer trocknen Kürbisse unendlich lange vor sich hin
und behalten auch über Monate ihre Farben. Nur an der Verminderung ihres Gewichts merkt man, dass ihnen das Leben – das heisst:
das Wasser – langsam abhanden gekommen ist. Schliesslich sind sie
ganz leicht, hohl klappern nur noch die Kerne.
2
1 Weisses Labkraut Galium album
2 Echtes Labkraut «gelbes Käselab, Liebfrauenstroh» Galium verum
3 Kletten-Labkraut «Klebkraut» Galium aparine
Die Kornrade
3.
3.
Klatschmohn «Mohnblume, Klatschrose»
Papaver rhoeas, Mohngewächse
Wundklee «Apothekerklee, Pantöffeli»
Anthyllis, Hülsenfrüchtler
Maiglöckchen «Meieriisli»
Convallaria majalis, Maiglöckchengewächse
Bach-Nelkenwurz
Geum rivale, Rosengewächse
Das Maiglöckchen
Der Mohn
Das Maiglöckchen dürfte seine Popularität zuallererst dem Duft verdanken. Den halten ja diverse Parfüms und Seifen das ganze Jahr
über gegenwärtig – so jedenfalls wollen es uns die Werbestrategen
einreden. Doch oft beleidigt der Duft solcher Kosmetika unseren
Geruchssinn grob. Wer die Nase derart kränkt, hätte es ehedem nie
weit gebracht mit der Keuschheit. Tätsächlich empfahl der Duft das
Maiglöckchen als Attribut der Unschuld, und neben dem Duft natürlich auch das jungfräulich reine Weiss seiner Blüte.
Seit viele Felder per Gesetz brachliegen, sind leuchtende Flächen
von rotem Mohn keine Seltenheit mehr. Der Klatschmohn gilt als
eine Pionierpflanze auf nackter Erde. Wo der Boden offen ist und die
Konkurrenz noch gering, kann sich der Klatschmohn üppig entwickeln. Schon im nächsten Jahr werden nur wenige Pflanzen sich behaupten können, und ein oder zwei Jahre später wird der Klatschmohn dort ausgestorben sein, wenn man ihn nicht Jahr für Jahr auf
nackter Erde wieder aussät.
Wer genauer hinschaut, wird übrigens feststellen, dass die langgestielten elliptisch-lanzettförmigen Blätter nicht weniger attraktiv sind als die Blütenstände. Und das Laubwerk hat sogar die grössere Eleganz für sich. Seine Trupps fallen in den Wäldern meist
schon von weitem ins Auge. Leider entgeht das auffällige Erscheinungsbild auch den begehrlichen Blicken der Spaziergänger nicht.
Dabei kann das «sittige Blüemli» zu seinen handgreiflichen Verehrern sehr garstig sein. Mit schöner Regelmässigkeit wurde den notorischen Daumenlutschern unter uns Kinder speiübel, wenn sie ein
Strauss Maiglöckchen gepflückt hatten.
Die Familie der Mohngewächse umfasst krautige Pflanzen, Einjährige und Stauden. Auf der ganzen Welt sind etwa 700 Arten bekannt.
Viele davon führen Milchsaft und manche – wie der Schlafmohn
– enthalten Alkaloide, aus denen Opium und Morphium gewonnen
wird, aber auch Mohnsamen, die in der Küche vielseitig verwendbar
sind. Ausser dem bekannten Klatschmohn der Felder gibt es bei uns
den Orientalischen Mohn als Gartenpflanze und den Alpenmohn, der
in den Höhen bis 3000 Meter vorkommt.
3.
3.
Die Nelkenwurz
Der Wundklee
Die Familie der Rosengewächse bildet eine sehr weitläufige Verwandschaft, dazu gehören auch so unähnliche Angehörige wie die
Nelkenwurz, von der es in den Gärten ein paar prächtige ausländische Arten und zwei bescheidene einheimische gibt, die Gemeine
Nelkenwurz und die Bachnelkenwurz. Der Name rühmt den Umstand,
dass die Wurzeln der Pflanze nach Gewürznelken duften und schmecken. Der Duft verliert sich schnell beim Trocknen, aber es bleibt
vom Geschmack so viel vorhanden, dass es zum Würzen von Rotkohl
reicht. Ob der alte Name «Manneskraftwurzel» gerechtfertigt ist,
weiss ich nicht – das wäre wieder mal einer jener vielen Fälle, in denen ein Pflanzenliebhaber wertvolle Forschungsarbeit leisten kann,
indem er alte Überlieferungen auf ihre Zuverlässigkeit prüft.
Der Wundklee ist ein altes Heilmittel in der Volksmedizin, das aber
heute eher in Vergessenheit geraten ist. Er wurde bei schlecht heilenden Wunden verwendet, weswegen er bei uns früher auch Heidnisch Wundkraut genannt wurde. Neben der heilenden Wirkung
wurde dem Wundklee in gewissen Regionen auch eine magische
Wirkung zugeschrieben. So wurde er von alten Frauen den Kindern
in die Wiege gelegt, um böse Mächte fern zu halten.
3.
Vom Wundklee haben sich zahlreiche Unterarten und Formen ausgebildet. In der Schweiz etwa wachsen in tieferen Lagen der Echte
Wundklee und der Karpaten-Wundklee. In den höheren Lagen ist der
Alpen-Wundklee am häufigsten, er hat ein besonders grosses äusseres Stengelblatt. Im Wallis, im Tessin und in einigen Bündner Tälern kommt auch der Walliser Wundklee vor. Bei dieser aufffälligen
Vielgestaltigkeit verwundert es nicht, dass manche Arten schon im
späten Frühjahr, andere noch im Frühherbst blühen, manche kaum
10 cm hoch werden, andere gut 30 cm. Schliesslich trifft es für
manche einzelne Pflanze zu, nennt ihre Blütenfarbe hellgelb; andere sind ausgesprochen goldgelb, ja braungelb oder haben rötliche
Töne wenigstens in einem Teil der Blüten.
3.
Ruprechtskraut «Stinkender Storchenschnabel, Wanzenkraut»
Geranium robertianum, Storchenschnabelgewächse
Gemeiner Rhabarber
Rheum rhabarbarum, Knöterichgewächse
Die Rhabarber
Das Ruprechtskraut
Bevor man jedes Obst und jedes Gemüse zu fast jeder Jahreszeit
kaufen konnte, war die Rhabarber, das erste frische Frühjahrs«Obst», das der Garten bot. Ganz früher schätzte man die Rhabarber nur als Heilpflanze, und zwar nahm man die Wurzeln als Stärkungsmittel. Dann fand man, dass die jungen Blätter einen feinen
Salat abgäben, und dass sich die Wurzeltriebe, wie Spargel gestochen, als Gemüse eigneten; schliesslich kochte man die Blütenstände wie Blumenkohl. In einem alten Hausfrauenlexikon las ich,
Rhabarberpflanzen seien «hinlänglich, einer starken Familie wöchentlich zweimal als ein schmackhaftes, gesundes Gemüse in den
Speiseplan einzubeziehen.» Nicht selten hat man nach dem Genuss
von diesem «Dauergemüse» schwere Vergiftungsfälle beobachtet:
Krämpfe, Kreislaufkollaps, akutes Nierenversagen, woran nicht nur
die Oxalsäure schuld sein soll, sondern andere in der Rhabarber
enthaltene Stoffe. Bleiben wir also beim Rhabarberkompott – mit
Griessköpfchen und Nidle ein köstliches Dessert.
Heute ist ein guter Gartentag gewesen. Ich sitze am Steintisch in
der Sonne und schaue über die Stadt hinaus auf den Gurten. Mir
ist angenehm warm, nachdem ich den ganzen Vormittag gefroren
hatte, wie den ganzen Winter nicht. Beinahe schon zu warm. Soeben habe ich auf etwas herumgekaut, eine Faser, sehr intensiv von
Geschmack. Sie schmeckte anhaltend bitter und war zäh zu kauen.
Als ich sie aus dem Mund in die Hand nehme, um sie zu betrachten,
stellt sich heraus, das es sich um einen roten Stengel vom Ruprechtskraut handelt, den ich vorhin in der Wiese ausgezupft habe.
3.
Der Name dieser Pflanze geht auf den heiligen Robert oder Ruprecht zurück. Im Mittelalter wurde ihre Heilwirkung gegen Entzündungen, Geschwülste, Nasenbluten, gegen Nierenleiden und Gicht
eingesetzt. Heute wird das Ruprechtskraut, das wegen dem strengen Geruch auch Stinkender Storchschnabel genannt wird, kaum
mehr genutzt. Mir aber macht gerade das Bittere Lust auf mehr von
dem Biss des Ruprechtskrauts, und so kaue und kaue ich wie ein
Wilder auf dem Stengel herum.
3.
Die Schwertlilie
Der Sauerklee
Der Sauerklee wächst im feuchten Moder des Waldes, gern auf Moos.
Der Name kommt einerseits von der Ähnlichkeit, welche die Laubblätter des Sauerklees mit denen des Klees haben – botanisch sind
die beiden Familien aber nicht verwandt – und anderseits von seinem säuerlichen Geschmack, der von seinem Gehalt an Oxalsäure stammt. Als Kind habe ich gern auf diesen Blätter nach diesem
Geschmack gekaut. «Es soll gut gegen den Durst sein», meinte die
Grossmutter. In grösseren Mengen kann der Sauerklee jedoch gesundheitsschädlich sein, denn die in den Blättern und Stielen enthaltene Oxalsäure greift die Nieren an.
Das zarte Pflänzchen öffnet seine Blüten nur jeweils eine Stunde lang am Vormittag und zwischen fünf und sechs Uhr am Abend,
sonst verweilt der Sauerklee mit seinem gesenkten Haupt meist
in Schlafstellung. Nachts und bei intensiver Sonnenstrahlung auch
tagsüber, senkt der Sauerklee seine Blätter.
Schwertlilie «Iris»
Iris, Schwertliliengewächse
Wald-Sauerklee
Oxalis acetosella, Sauerkleegewächse
3.
Von der Schwertlilie gibt es unzählbar viele Sorten mit märchenhaften Farben und Farbkombinationen, zarte Blütenwunder; besonders den amerikanischen Züchtern ist es in den letzten Jahrzehnten
gelungen, die in der Iris angelegten Farbpotenze freizusetzen. Es ist
ja keineswegs so, dass die gezüchtete Sorte einer Pflanzenart grundsätzlich eine widernatürliche Fälschung wäre – vielmehr ist allles,
was sie zeigt, vorher als Möglichkeit schon in der Pflanze vorhanden
gewesen. Die Schwertlilie kann in ihrer Blüte das ganze Farbenspektrum mit Ausnahme des Grüns darstellen, und stets mehrere Farben
gleichzeitig, oft aquarellartig ineinander verlaufend, aber auch in
scharf abgesetzter Äderung; die welligen Blütenblattränder verstärken den Eindruck des Wässerig-Fliessenden, der dann endgültig bestätigt wird, wenn die Irisblüte verwelkt.
Die Bewegungen der Pflanzen vollziehen sich meist so langsam, dass
man sie kaum oder gar nicht wahrnehmen kann. Aber die Enfaltung
einer Irisblüte lässt sich gut beobachten, wenn man etwas Geduld
aufbringt und etwas Übung darin gewonnen hat, zu erkennen, bei
welchen Knospen gerade der Vorgang der Entfaltung in Gang gekommen ist. Zuerst stehen beide Blütenblattkreise noch aufrecht, dann
klappen die äusseren Hängeblätter nach unten und die inneren Domblätter bauchen sich aus – ein faszinierendes Ereignis, das allein
schon lohnt, mindestens ein paar Irisblüten im Garten zu haben.
So zart die Blüten sind, so robust ist die Pflanze selber, sie braucht
kaum eine andere Pflege, als die, dass man die nach allen Seiten weiterwachsenden Rhizome alle paar Jahre aufnimmt und ein paar Stücke davon neu legt, wobei man die dünnen Wurzeln mit Erde bedeckt,
das Rhizom selber aber nur fest andrückt.
3.
Tagetes «Studentenblume, Totenblume, Stinkstudent»
Tagetes, Korbblütengewächse
Grosses Alpenglöckchen «Soldanelle» Soldanella alpina, Primelgewächse
Mehl-Primel «Mehlige Schlüsselblume» Primula farinosa, Primelgewächse
Die Soldanelle
Die Tagetes
Bei einer Wanderung in den Alpen kann man auch im Frühsommer
noch Schneereste antreffen oder Stellen, an denen der Schnee gerade geschmolzen ist. Es sind nasse Böden, oft Mulden, die von
bleichbraunen alten Grasresten bedeckt sind. Auf den ersten Blick
scheint hier noch tiefer Winterschlaf zu herrschen, doch mit wachsamem Auge erkennt man runde, dunkelgrüne Schildblätter und
aufsteigende Stängel, an denen zartlila gefranste Glöggli hängen.
Die Soldanelle, die man auf hochdeutsch mit Alpen-Troddelblume
ansprechen sollte, scheut auch den Schnee nicht. Manchmal sieht
man Pflanzen, deren Blüten eine Schneedecke durchbrochen haben.
Man nahm an, dass die Pflanze allein durch ihre Atmungswärme ein
Loch in den Schnee schmelzen könne. Doch scheint es so zu sein,
dass sich die dunklen Kelchblätter und Stängel der Pflanze durch
die Sonnenstrahlen, die den Schnee durchdringen, so stark erwärmen, dass der Schnee über den Blüten schmilzt.
Nicht mehr ganz frische Butter kann «streng» riechen, auch Geissmilch und Urin. Ein typisch «strenger» Duft ist für mich der Duft
der Tagetes, die Jahr für Jahr in vielen Gärten und Anlagen als unermüdliche Sommerblüher angepflanzt werden. Die Gärtner nennen
sie oft Studentenblume, im Volksmund gibt es den davon abgeleiteten Namen Stinkstudent; ihr herber, intensiver Geruch wird nämlich von vielen Menschen als unangenehm empfunden. Wenn ich
diese Meinung nicht ganz teilen kann, mag das daran liegen, dass
in der angenehmen Erinnerung an meine Kindheit ein Hauch von
Tagetes-Duft zum Erlebnis des sommerlichen Gartens gehörte. Lesley Bremness schreibt in ihrem Kräuterbuch, dass es neben den nur
zierenden Tagetes-Arten in Mexiko solche gibt, die als angenehm
aromatisches Gewürz und Teekraut kultiviert werden.
In meinem Bestimmungsbuch lese ich, dass die Soldanelle ausser
in den Alpen in den Pyrenäen, dem Jura, dem Schwarzwald und im
Illyrischen Gebirge vorkommt. Obwohl sie eine typische Gebirgspflanze ist, ist sie nicht an grössere Höhen gebunden, sondern kann
auch schon ab 500 Meter wachsen und bis 3000 Meter emporsteigen. Je nach Höhe und Schneebedeckung variiert die Blütezeit. In
hohen Lagen kann man noch im Juli oder August blühende Soldanellen antreffen. Nicht selten sieht man sie dann mit den Mehl-Primeln zusammen in solchen Mengen auftreten, dass die Wiesen aus
der Ferne rosa erscheinen.
3.
Die Wasserlinse
Die Wegwarte
Im Frühjahr lässt sich in den Tümpeln gut beobachten, wie selbsttätig das Wachsen im Wasser vor sich geht. Innerthalb weniger Wochen bildet die Wasserlinse einen dichten, lückenlosen Teppich auf
der Wasseroberfläche, der durch fortwährende Sprossung so mächtig heranwächst, dass er ganze Gräben ausfüllt und den anderen
Pflanzen das Licht nimmt. Dabei sind Wasserlinsen mit ihren lanzettlichen Wurzeln sehr hübsch, und Wasserlinsen sind etwas ganz
Besonderes. Sie sind die kleinsten Blütenpflanzen, die es überhaupt
gibt, und sie sind gewissermassen das Minimum einer Pflanze überhaupt; denn die «Linsen» sind keine richtigen Blätter, sondern nur
blattförmig verbreiterte Stengel; jede «Linse» ist eine Pflanze für
sich. Wasserlinsen blühen bei uns sehr selten und nur in besonders
sonniger Lage – auch die Blüten sind das Geringste, was sich als
Blüte denken lässt.
Die Wegwarte ist eine eher spröde Schönheit. Das ganze Erscheinungsbild passt zu einer Pflanze, die sich an Wegrändern, auf
Schuttplätzen und Grünstreifen zäh behaupten muss. Ein Gewächs
anscheinend, das man ohne schlechtes Gewissen Unkraut nennen
könnte. Wären da nicht die Blüten! Von zartem Blau und vielstrahlig wie ein Sonnenrad sitzen sie am Geäst der Pflanze. Gegen sechs
Uhr entfalten sich die Blütenblätter; sind aber schon am Nachmittag wieder geschlossen.
In dem volkstümlichen Namen «Entengrütze» kommt zum Ausdruck, dass die Enten dieses faserarme, aber an Eiweiss und Stärke reiche Grün zu schätzen wissen. Auch Gänse und einige Fische
mögen es, und in manchen Gegenden hat man es sogar als Viehfutter verwendet.
Wegwarte «Zichorie»
Cichorium, Korbblütengewächse
Wasserlinse «Entengrütze»
Lemna, Wasserlinsengewächse
3.
3.
Als Heilpflanze ist die Wegwarte weitgehend in Vergessenheit geraten. Nichtsdestoweniger erleben die Wurzeln der Pflanze neuerdings
so etwas wie eine Renaissance. Immer mehr Leute sprechen wieder
mehr jenem Heissgetränk zu, das früher Zichorien-Kaffee hiess, häufig aber einfach Muckefuck genannt wurde.
Bei der Zichorie handelt es sich um eine Kulturform der Wegwarte, und eine Kulturform der Pflanze ist auch der Chicorée. Dem
gebleichten «Brüsseler-Salat» ist seine Abkunft kaum mehr anzusehen. Bekommt der Chicorée jedoch Licht, lässt ihn ein träger Gärtner gar schiessen und blühen, dann kann der Salat seine vegetative
Vewandschaft mit der Wegwarte nicht länger leugnen.
3.
Weisse Berg-Narzisse «Montreux-Narzisse»
Narcissus radiiflorus, Amaryllisgewächse
Schmalblättriges Weidenröschen «Feuerkraut, Wald-Weidenröschen»
Epilobium angustifolium, Nachtkerzengewächse
Das Weidenröschen
Die Weisse Berg-Narzisse
Das Weidenröschen ist eine ausdauernde Pflanze, die an Ufern, in
Gräben und auf schweren, feuchten Böden auch in Ackerland, vorallem in Brachen, häufig zu finden ist. Mit seinen weitfliegenden
Samen kann es offene Bodenstellen rasch bedecken. Die wegen ihrer hübschen grossen Blüten und weiten Verbreitung bekannteste
Art ist das Schmalblätterige Weidenröschen. Es wächst auf trockenen, aber kalkfreien Böden und kann sich vorallem in Waldlichtungen stark verbreiten. Die verschiedenen Arten mit den kleinen
Blüten sind nicht leicht zu unterscheiden. Gelegentlich kann das
Weidenröschen zwischen Feldgemüse und in Obstgärten vorkommen; ist aber wegen ihrer geringen Grösse (meist unter 1 Meter)
und Schwachwüchsigkeit nicht als Problemunkräuter anzusehen.
Die jungen Blätter und Triebe aller Weidenröschenarten lassen sich
als Salate und Gemüsse essen. Auch als Heilpflanze kommt dem
Weidenröschen eine grosse Bedeutung zu. Seit Jahren wird es in der
Volksmedizin als «Männerkraut», genauer als Mittel gegen leichte
Prostataerkrankungen verwendet, eine Indikation, die inzwischen
auch wissenschaftlich bestätigt worden ist.
Ausser in den westlichen Alpen wächst die weisse Bergnarzisse
noch an einigen Orten im Jura und im Prättigau. Die Zeiten sind vorbei, als die Wiesen hoch über dem Genfersee jeden Frühling mit Tausenden von Weissen Berg-Narzissen überzogen waren. Maischnee,
«Neige du mai», nannten die Einheimischen denn auch dieses Ereignis. In der Belle Epoque waren die exquisiten Herbergen und Hotels
der steilen Hänge über dem Genfersee beliebtes Ferienziel wohlhabender Touristen aus ganz Europa. Eine Wanderung durch die blumenbestandenen Felder gehörte im Frühling zum festen Programm.
Die alljährliche Fete des narcisses war in aller Welt ein Begriff. Aber
auch Ausflügler aus der Region wurden vom Spektakel der blumenübersäten Wiesen angezogen. Alle wollten Blumensträusse mit nach
Hause nehmen, und tonnenweise wurden die zarten Pflanzen mit
der Post versandt. Aber nicht nur sogenannte Blumenliebhaber dezimierten die Bestände der Weissen Berg-Narzisse, womöglich noch
ärger setzten die Intensivierung der Landwirtschaft und der Bau von
Ferienhäusern der Pflanze zu. So schrumpften die Narzissenfelder
immer mehr, und 1957 fand das letzte Mal ein Fête des narcisses
statt.
3.
Seit einigen Jahren stellt man wieder ein vermehrtes Interesse an
den Narzissenfelder fest. Schliesslich droht keinesweg nur der Verlust einer seltenen Pflanze. Vielmehr steht ein ganzes Landschaftsbild auf dem Spiel. So haben engagierte Einheimische eine Vereinigung für die Erhaltung der Narzissenwiesen in der Waadtländer
Riviera gegründet. Kernstück des Projekts ist, in Zusammenarbeit
mit den Bauern die Landschaft so zu gestalten, dass die Narzissen
3. können.
ungestört blühen und sich verbreiten
Die weisse Taubnessel
Die Wollgräser
Manche blütenfliegenden Insekten wenden den Erfahrungssatz,
dass ein Ding zu einer Zeit sich nur an einem Ort befinden könne, zu einem praktisch gewaltlosen, friedlichen Nebeneinander an.
Fliegt nämlich ein grösseres und stärkeres Insekt, beispielsweise
eine Biene eine Blüte an, die schon von einem schwächeren besetzt
ist, so weicht dieses unverzüglich auf ein anderes aus. Ein Recht
des ersten am Platze, das lediglich den Interessen des Individuums
dient, gibt es in diesem Zusammenhang anscheinend nicht. Aber
offenbar gibt es einen funktionellen Grund für die Arterhaltung,
weshalb bestimmte Blüten durch bestimmte Insekten bestäubt werden müssen. So können beispielsweise die Nektarvorräte in der engen Blütenröhre der weissen Taubnessel nur von den langen Rüsseln
der Hummeln erreicht werden.
Von meiner Bergwanderung am Fuss des Hohgant habe ich Beatrix
ein paar Wollgräser fürs Herbarium mitgebracht. Sie hat die flauschigen, daunenleichten Bälle durch die Hand gleiten lassen und
mich gefragt, ob sich damit nicht ein besonders weiches Kissen füllen liesse? Tatsächlich wurden früher die weissen Haare der Wollgräser als Stopfmaterial für Kissen und Polster verwendet, zudem hat
man sie allein oder mit Tierwolle oder Seide vermischt, zu allerhand
Arten von Tüchern gesponnen.
Man findet die weisse Taubnessel in Hecken und Gebüschen oder
an Wegrändern. Die Pflanze ist unverkennbar, an ihren creme- oder
reinweissen Blüten mit der starken Oberlippe. Heilkundlich nutzt
man nur die Blüten. Den Tee nimmt man zur Nervenberuhigung und
bei Schlafstörungen, ferner bei Magen- und Darmverstimmungen,
Katarrhen der oberen Atemwege und äusserlich bei kleineren Hautverletzungen, junge Blätter und Triebe auch als Wildkrautsalat.
Wollgras «Gaiszöggeli, Gitzibärtli, Chätzele»
Eriophorum angustifolium, Sauergrasgewächse
Weisse Taubnessel
Lamium album, Lippenblütengewächse
3.
In der Schweiz gibt es fünf Arten von Wollgräsern. Sie wachsen
vorallem in den Feuchtgebieten in den Bergen und sind ohne auffällige Blütenformen oder besonders intensiven Farben. Weil sie
aber meist in grösseren Beständen auftreten und dies an Orten, Verlandungszonen und Mooren, wo andere Blumen selten sind, fallen
sie noch mehr auf. Die vielen Volksnamen der Wollgräser beziehen
sich allesamt auf die leuchtenden Haarbüschel. Im Sankt-Gallischen
heissen sie Gaiszöggeli, im Kanton Luzern Gitzibärtli, im Kanton Uri
Chätzle. Oft hat man auch Kosenamen für Katzen auf die Wollgräser
übertragen, wie etwa Kätzli, Mimeli oder Büseli.
3.
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