suw_2010_11_S32 - Wissenschaft in die Schulen

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Welt der Wissenschaft: Geschichte Der Astronomie
Die Entdeckung des
Orionnebels
Historische Aufzeichnungen aus dem Jahr 1610 neu gesichtet
Im November des Jahres 1610, vor genau 400 Jahren, entdeckte der französische
­Gelehrte Nicolas-Claude Fabri de Peiresc den heute so berühmten Nebel im Schwert
des Orion per Teleskop – noch im gleichen Jahr, als dieses neuartige Instrument mit
Galileo Galilei seinen Einzug in die Astronomie hielt. Jetzt zugängliche Handschriften
von de Peiresc werfen ein neues Licht auf den Orionnebel.
D
er Orionnebel zählt zu den be­
es verwundern, dass der Große Orion­
angenommen, nachdem die handschrift­
kann­tes­ten astronomischen
nebel erst seit wenigen hundert Jahren
lichen Notizen von Nicolas-Claude Fabri
Ob­jek­ten.
röt­li­ches
bekannt ist. Astronomiegeschichtlich ist
de Peiresc (1580 – 1637) in meiner Veröf­
Leuch­ten so­wie die bizarren
Sein
dies allerdings eine recht kurze Zeit. Im 18.
fentlichung in den »Annals of Science« im
Farb­ver­läu­fe faszinieren. In seiner ganzen
Jahrhundert fand dieser Nebel im Schwert
vergangenen Jahr erstmals vollständig zu
Pracht zeigt er sich aber nur auf foto­
des Orion dann Eingang in die im Jahr
lesen sind und in Übersetzung vorliegen.
grafischen Aufnahmen (siehe Bild ganz
1774 veröffentlichte erste Fassung des von
Die Aufzeichnungen des französischen
rechts). Beim Blick durchs Teleskop ist
Charles Messier (1730 – 1817) veröffentli­
Gelehrten werfen ein neues Licht auf die
davon weit weniger zu sehen. Sei­ne Aus­
chten Katalogs, worin er die Nummer 42
Beobachtungen und womöglich auch auf
maße sind aber so gewaltig, dass er trotz
erhielt. Daraus resultiert die heute sehr
die Geschichte des Orionnebels selbst.
einer Distanz von rund 1400 Licht­jah­ren
gebräuchliche Bezeichnung M 42.
selbst dem bloßen Auge noch als Licht­
fleck erscheint. Angesichts dessen mag
Die
gängige
Entdeckungsgeschichte
scheint aber weniger gesichert als bisher
Für das bloße Auge unsichtbar
Die griechisch-römische Astronomie kann­
te genauso wenig einen Nebel im Schwert
des Orion wie die chinesische oder ara­
Damit Schüler aktiv mit
bische. Doch auch das Fehlen von Berich­
den Inhalten dieses
ten aus vorteleskopischer Zeit erlaubt für
Beitrags arbeiten können,
sich genommen nicht den Schluss, dass
stehen auf unserer
der Orionnebel für das bloße Auge völlig
Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien
Verfügung. Diese bestehen aus einem zentralen Arbeitsblatt mit einem Lesetext zum
unsichtbar war. Hierfür liefert der allseits
Orionnebel aus Uropas Astronomiebuch sowie einigen sich aus der Bearbeitung des
spiel. Obwohl dieser Nebel auch im Mit­
Blattes ergebenden optionalen Aufgaben. Unser Schulprojekt führen wir in Zusam-
telalter mit bloßen Augen durchaus zu er­
menarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad und dem
kennen war – der persische Astronom Abd
Haus der Astronomie in Heidelberg durch.
ar-Rahman as-Sufi (903 – 986) verzeichne­
bekannte Andromedanebel M 31 ein Bei­
te ihn nämlich in seinem Buch der Fix­
32
November 2010
Sterne und Weltraum
Franz Xaver Kohlhauf
Von Harald Siebert
Im Sternbild Orion leuchtet unterhalb der
drei Gürtelsterne der Große Orionnebel. Im
Schwert des Himmelsjägers, das vom
mittleren Gürtelstern herabhängt, lässt er
sich heutzutage mit bloßen Augen leicht
erkennen. Wenigstens bis zum Ende des
18. Jahrhunderts war er nur mit Hilfe eines
Teleskops zu sehen.
NASA / ESA, M. Robberto (Space Telescope Science Institute /
ESA) and the HST Orion Treasury Project Team
Der Große Orionnebel zeigt auf dieser
Aufnahme seine ganze Pracht. Er wird
hauptsächlich von der heißen leuchtkräftigen Sternen des Trapez in seinem Zentrum
zum Leuchten angeregt. Die markierte
Region der hellsten Teile des Nebels heißt
Huygens-Region zu Ehren des niederländischen Astronomen Christiaan Huygens,
NASA / C. R. O’Dell und S. K. Wong (Rice University)
B
1
D u A
C
der Mitte des 17. Jahrhunderts Theta 1
Orionis, das Tapez, in seine vier Einzelsterne
auflöste.
Die hellen Sterne der Huygens-Region im
Zentrum des Orionnebels M 42 sind auf
B
u2
A
dieser Hubble-Aufnahme im sichtbaren
Licht deutlich zu erkennen. Die vier Sterne
41 Orionis A, B, C und D (HD 37020, 21, 22
und 23) bilden zusammen Theta 1 Orionis.
Zwei weitere Mitglieder des Mehrfachsterns Theta Orionis liegen weiter südwestlich. Sie bilden die Gruppe Theta 2 Orionis A und B (HD 37041 und 42).
www.astronomie-heute.de
November 2010
33
Stich von Jacques Lubin
42 Ori
u2 Ori
44 Ori
u1 Ori
Das erste Bild des Orionnebels stammt aus dem Jahr 1654 vom italienischen
Pries­ter und Forscher Giovanni Battista Hodierna. Er beschreibt ihn als dunk­len
Licht­schein. Der Holzstich stellt die Sterne des Orion-Schwerts spiegelverkehrt
zur angezeigten Himmelsrichtung Westen (lat. occid[ens]) dar: links (im NorDer französiche Gelehrte Nicolas-Claude
den) 42 Orionis (flankiert von HD 36958, HD 37058 und 45 Orionis), in der
Fabri de Peiresc (1580 - 1637) entdeckte im
Jahr 1610 den Orionnebel.
Mitte Theta 1 Orionis, das noch zusammengeklappte Oriontrapez (flankiert von
zwei Theta-2-Orionis-Sternen, HD 37042 und HD 37041) sowie rechts 44 Orionis.
sterne –, blieb er im Abendland dennoch
muel Gehler (1751 – 1795) entnehmen lässt,
ein nebeliger Fleck erkannt wurde, lässt
völlig unbekannt. So konnte Simon Ma­
war M 42 im Gegensatz zum Andromedane­
sich angesichts der physikalischen Natur
yer (1573 – 1624), der den Andromedanebel
bel Ende des 18. Jahrhunderts für das bloße
des »Phänomens« erklären. Dementspre­
im Jahr 1612 durch ein Teleskop erblickte,
Auge weiter unzugänglich.
Während wir heute mit bloßem Au­
chend reichen die Berichte über M 31 bis
zeit­weise als sein Entdecker gelten.
Genauso unbekannt wie M 31 blieb der
ge M 42 zumindest als einen Fleck im
Orionnebel den lateineuropäischen Astro­
Schwert des Orion erkennen, war dies im
Früheste Berichte
nomen, solange das Teleskop noch nicht er­
18. Jahrhundert offenbar nicht möglich.
Die ersten Nachrichten über M 42 stam­
funden war. Den frühen Nachrichten über
Das Fehlen von Berichten aus vortelesko­
men aus dem 17. Jahrhundert; lediglich
M 42 ist aber zu entnehmen, dass der Nebel
pischer Zeit scheint daher darauf hinzu­
vier historische Berichte sind bislang da­
im Schwert des Orion selbst im 18. Jahrhun­
weisen, dass M 42 ohne Teleskop tatsäch­
rüber bekannt geworden. Sie entstanden
dert noch nicht mit bloßem Auge gesehen
lich nicht zu sehen war.
unabhängig voneinander und fanden in
in die vorteleskopische Zeit.
wurde. So diente Robert Hooke (1635 – 1703)
Dies wirft die Frage nach einer Verän­
ihrer Zeit offenbar kaum Beachtung. Noch
dieser Nebelstern als Beispiel für eine te­
derlichkeit des Orionnebels auf. Darin
im Jahr 1674 kannte Robert Hooke keinen
leskopische Entdeckung. Edmond Halley
liegt ein weiterer Unterschied zu M 31. Bei
Entdecker für jenen Nebel im Schwert des
(1656 – 1742) zählte ihn im Jahr 1716 zu sol­
dem Nebel im Sternbild Andromeda han­
Orion, der erst durch ein Teleskop zu sehen
chen Nebulae, die sich nur durch ein Fern­
delt es sich um unsere Nachbargalaxie,
sei. Erst im 18. Jahrhundert wird Christia­
rohr zeigten. Johann Elert Bode (1747 – 1826)
die trotz ihrer ungeheuren Entfernung
an Huygens (1629 – 1695) als Entdecker des
setzte für die Be­ob­ach­tung von M 42 noch
noch mit einer Helligkeit von 3,5 mag mit
Orionnebels bekannt. Dieser hatte Messier
gute Teleskope voraus, und wie sich dem
bloßem Auge leicht zu erkennen ist. Dass
42 schon im Jahr 1659 in seinem Systema
Physikalischen Wörterbuch von Johann Sa­
diese Galaxie womöglich schon immer als
Saturnium ausführlich beschrieben und
eine Abbildung davon geliefert (siehe Bild
Aus: Christiaan Huygens: Systema Saturnium, S. 8,
Adrianus Vlacq, Den Haag 1659.
links). Huygens zufolge handele es sich um
u1 Ori
u2 Ori
A
B
C
34
November 2010
Neben der Entdeckung des Saturnrings
ein neues Phänomen, das, soweit er wisse,
berichtet Christiaan Huygens in seinem
noch niemand bemerkt habe. Auch seien
Systema Saturnium von einem Phänomen,
hierfür große Teleskope nötig. Anstelle des
das völlig neu und unvergleichlich unter den
mittleren Sterns im Schwert des Orion ha­
Sternen sei: Im Süden des inneren Bereichs
be er dadurch zwölf einzelne Sterne zu se­
von M 42, dem helleren Bereich in dieser
hen bekommen, die Huygens in seinem
Zeichnung, sind die drei Theta-2-Orionis-
Stich mit abbildet. Drei dieser Sterne lägen
Sterne (HD 37041, -42, -62) dargestellt, im
ganz nah beisammen – gemeint sind da­
Zentrum drei Sterne des Trapez (HD 37020,
mit drei der vier Sterne des Trapez –, wäh­
-22, -23); diese drei Komponenten von
rend vier weitere gleichsam wie durch ei­
Theta 1 Orionis hatte Galilei zwar schon
nen Nebel hindurch schienen, dessen Aus­
1617 sehen können, veröffentlichte seine
dehnung Huygens in seinem Bild festhält.
Beobachtung aber nicht.
Dieser Bereich sei um vieles heller als der
Sterne und Weltraum
Aus: Giovanni Battista Hodierna: De systemate orbis cometici
deque admirandis coeli characteribus, Teil 2, S. 19, 1654.
45 Ori
Der französische Astronom Guillaume
lehrten Welt bekannt. Auch seinerzeit so
Bigourdan (1851 – 1932) und spätere
berühmte Freunde, wie Pierre Gassen­
Präsident der Académie des Sciences wurde
di (1592 – 1655) und Athanasius Kircher
1919 für seine Erforschung zahlreicher
(1602 – 1680), mit denen de Peiresc ge­
Nebelobjekte mit der Goldmedaille der
meinsam astronomische Beobachtungen
Royal Astronomical Society ausgezeichnet.
durchführte, berichten nichts von einem
Er entdeckte insgesamt 71 NGC- und 260
Nebel im Schwert des Orion.
IC-Objekte. Daneben schrieb Bigourdan
auch als Astronomiehistoriker Geschichte:
public domain
Seit seiner Veröffentlichung von 1916 gilt
Nicolas-Claude Fabri de Peiresc als Entdecker von M 42.
Die Dynamik von M 42 in historischer Zeit
Anders als beim Andromedanebel M 31
sprechen im Fall von M 42 die historischen
Zeugnisse dafür, dass die Helligkeit dieses
heute so beeindruckenden Nebels ganz
übrige Himmel, der wie durch eine Kluft
tro­­nom und Astronomiehistoriker Jo­
allmählich wuchs, bis er sogar für das blo­
(lateinisch: hiatus) zerrissen wirke, die ei­
hann Rudolf Wolf (1816 – 1893) ausfindig:
ße Auge sichtbar wurde. Die These eines
nen Ausblick auf eine viel lichtere Gegend
Sein Landsmann Johann Baptist Cysat
langsamen Sichtbarwerdens stünde nicht
gebe. Im Unterschied zu den bekannten
(1587 – 1657) habe schon 1619 von einem
in Widerspruch mit dem, was wir heu­
Nebeln lasse sich dieses Wunderding (por-
Nebel im Schwert des Orion berichtet
te über die physikalische Natur von M 42
tentum) nicht in einzelne Sterne auflösen.
(sie­he SuW 7/2006, S. 44). Damit galt Cy­
wissen.
Es sei unveränderlich und behalte seinen
sat als der Entdecker von M 42, bis ihm
Der Orionnebel ist ein Emissionsnebel
festen Platz. Dergleichen habe Huygens
dieser Titel wieder streitig gemacht wur­
und Teil eines Sternentstehungsgebiets.
noch nirgends unter den anderen Fixster­
de. Der französische Astronom und As­
Durch ihre energiereiche Strahlung regen
nen beobachten können, wie er im Jahr
tronomiehistoriker Guillaume Bigourdan
die eingebetteten jungen Sterne die Gas­
1659 abschließend bemerkt.
Fünf Jahre vor Huygens war solch eine
(1851 – 1932) (siehe Bild oben) wollte auf
wolke zum Leuchten an – sie emittieren
ei­ne noch frühere Nachricht gestoßen
Licht. Dies geschieht durch das Ionisieren
Beschreibung zusammen mit einem Bild
sein: Schon 1610 habe sein Landsmann,
der darin befindlichen Wasserstoffatome
bereits vom italienischen Astronomen
der Universalgelehrte Nicolas-Claude Fa­
durch die Strahlung der heißen Sterne.
Gio­vanni Battista Hodierna (1597 – 1660)
bri de Peiresc (siehe Bild linke Seite), den
Die freigesetzten Elektronen stehen dann
im zweiten Teil seines De systemate orbis
Orion­nebel gesichtet. Einigkeit herrscht
für das Gas zum Wiedereinfang bereit. Bei
cometici (Über die Systematik der Umlauf­
heute darüber, dass sowohl Hodierna als
dieser Rekombination senden die Atome
bahnen der Kometen, 1654) veröffentlicht
auch Huygens den Orionnebel sahen. De
worden (siehe linke Seite oben). Hodiernas
Peiresc hatte seine Orionbeobachtungen
Leistungen wurden jedoch erst seit den
zwar nicht veröffentlicht, was für sich ge­
Erst mit der Erfindung des Fernrohrs und
1980er Jahren zur Kenntnis genommen
nommen keine Schlüsse zulässt. Schließ­
seine Einführung in astronomische
(siehe SuW 7/2006, S. 46), obwohl er seinen
lich ging zu seinen Lebzeiten nichts
Beobachtungen gelang Nicolas-Claude
Zeitgenossen und insbesondere Huygens
aus seinem umfangreichen Schaffen in
Fabri de Peiresc, einem Zeitgenossen von
sehr wohl bekannt war.
Druck. Er machte solch eine Entdeckung
Galileo Galilei, die Entdeckung des
Einen noch früheren Hinweis auf den
nicht einmal durch sein ausgedehntes
Orionnebels. Allerdings wurde dieser Fund
Orionnebel machte der Schweizer As­
Netzwerk von Briefpartnern in der ge­
erst sehr viel später wahrgenommen.
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November 2010
35
Strahlung verschiedener Längenwellen
Um eine Momentaufnahme dieser
sen in der gelehrten Welt so sehr gefei­
aus, im sichtbaren Bereich vor allem dieje­
er­­staun­li­chen Dynamik zu gewinnen,
erten Autor hatte de Peiresc Jahre zuvor
nige der roten Wasserstofflinie.
kommt de Peirescs Bericht besondere Be­
persönlich kennengelernt. Als der junge
Diese sehr heißen massereichen Sterne
deutung zu. Bislang war es allerdings
de Peiresc 1599 zum Studium der Rechte
gehören zur Huygens-Region, die im Zen­
nicht möglich, sich mit dem Inhalt seiner
nach Padua kam, verkehrte er im Kreise
trum des Großen Orionnebels liegt (siehe
Aufzeichnungen näher auseinanderset­
von Gian Vincenzo Pinelli (1535 – 1601)
Bild S. 33). Darunter finden sich auch jene
zen. Bigourdan hatte die entsprechenden
und war dem dortigen Professor für Ma­
des Mehrfachsterns Theta Orionis. In ih­
Passagen aus de Peirescs Journal des ob-
thematik, Galileo Galilei, vorgestellt wor­
den. Das bisher nie Gesehene, wovon Ga­
Die Berichte erlauben den Schluss, dass der Orionnebel vor
weniger als 300 Jahren für das bloße Auge sichtbar wurde.
lileis Sternenbote kündete, war allein
durch jenes jüngst erfundene optische
Gerät ermöglicht worden. De Peiresc ließ
sich ein Fernrohr oder die dafür nötigen
rer viereckigen Anordnung bildet Theta 1
servations zwar veröffentlicht. Seine Tran­
Linsen durch seinen Bruder in Paris be­
Orionis das so genannte Trapez des Orion.
skription der lateinischen Handschrift lie­
schaffen. So war er in der Lage, mit eige­
Diese Trapezsterne haben ein geschätztes
fert aber einen fehlerhaften Text, der eine
nen Beobachtungen zu beginnen.
Alter von nur dreißigtausend bis hundert­
vollständige Lektüre oder eine Überset­
Noch im November des Jahres 1610
tausend Jahren. Astronomisch betrachtet
zung der Aufzeichnungen nicht zulässt.
machte er sich daran, die Monde des Jupi­
handelt es sich hierbei um ein vergleichs­
Mit meiner neuen Textgrundlage ist es
ter in Augenschein zu nehmen. Bei seinen
weise junges Objekt.
nun erstmals möglich, de Peirescs Beo­
Beobachtungen verfolgte er offenbar das­
bachtungsnotizen komplett zu lesen.
selbe Ziel wie Galilei. Die Umlaufzeiten
Kosmische Phänomene sprengen in
der Regel jeden historischen Rahmen. Da­
und Stellungen der Jupitermonde konn­
Entstehung des Orionnebels historisch
Astronomie im Kreis von de Peiresc
belegen. Doch von der Dynamik dieses
In der zweiten Januarwoche des Jahres
Vor Einführung des Schiffchronometers
Phänomens ist der subjektive Anteil kaum
1610 wurden durch Galileo Galilei (1564-
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun­
zu trennen: Durch die Verwendung im­
1642) erstmals neue Himmelskörper in
derts stellte die Längengradbestimmung
mer besserer Teleskope ließ sich M 42 im­
unserem Sonnensystem entdeckt. Bei Ju­
ein großes Problem für die Seefahrt dar.
mer besser sehen und sichtbar machen.
piter zeigten sich durch ein Teleskop be­
Um dieses zu lösen, wurden im 17. Jahr­
Gleichwohl vollzog sich im Zeitraum hi­
trachtet vier unbekannte kleine Wandel­
hundert viele Ansätze verfolgt. Solan­
storischer
her wäre es ein Glücksfall, ließe sich die
ten als eine Art von kosmischer Uhr die­
nen, um den Längengrad zu bestimmen.
lang­
sterne. In fortgesetzten Beobachtungen
ge es technisch noch nicht möglich war,
sames Sichtbarwerden, welches auf das
gelang es Galilei, diese neuen Gestirne als
präzise seetaugliche Uhren herzustel­
physikalische Phänomen selbst zurück­
Monde des Jupiter zu identifizieren (si­
len, kamen die Jupitermonde als himm­
zuführen ist. Denn die frühen Berichte
ehe SuW 12/2008, S. 48). Im März dessel­
lische Zeitgeber in Betracht. Unabhängig
über M 42 erlauben den Schluss, dass der
ben Jahres veröffentlichte Galilei als Er­
von Galilei bemühte sich auch der Kreis
Große Orion­nebel an Helligkeit gewann
ster diese Entdeckung. Sein Sidereus nun-
um de Peiresc darum, möglichst genau
und innerhalb von weniger als dreihun­
cius (Sternenbote) machte binnen Mona­
die Stellung der Jupitermonde über einen
dert Jahren die Sichtbarkeitsschwelle für
ten die­se und andere noch nie gemachte
längeren Zeitraum hinweg zu bestimmen.
das bloße Auge überschritt.
Beobachtungen europaweit bekannt. Die­
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In seinem Journal des observations notierte
de Peiresc die eigenen Orionbeobachtun­gen
nur am Rande seiner Aufzeichnungen über
die Jupitermonde, hier für den Zeit­raum
vom 24. November bis 4. Dezember 1610.
Vier der sechs Einträge auf der rech­ten
Hälfte der Seite beziehen sich auf Orion.
hervor, dass er diese Beobachtungen zu­
sammen mit Freunden machte. Die erste
Eintragung hierüber findet sich für den
24. November 1610 und die letzte für den
21. Juni des folgenden Jahres.
Venusphasen und vermeintliche Monde
Über die folgenden drei Wochen hinweg
ab dem 24. November 1610 richteten die
Beobachter ihr Teleskop auch auf das wei­
ter südwestlich gelegene Sternbild Orion
– Jupiter selbst stand im Krebs. Sie hatten
an einem der Ostfenster von de Peirescs
Haus in Aix-en-Provence Stellung bezo­
gen. Was sie hier im Winter 1610 sahen,
Bibliothèque Inguimbertine (Carpentras), Ms. 1803, 189r/189v
notierte de Peiresc auf zwei Seiten seines
Journal des observations (im Bild rechts
ist die erste der beiden dargestellt). Orion
war allerdings nicht das eigentliche Ziel
der soeben begonnenen Beobachtungsrei­
he. Überdies scheint de Peiresc das, was er
unter den Orionsternen erblickte, für we­
niger spektakulär gehalten zu haben als
andere Entdeckungen, die ihm das Tele­
skop ermöglichte.
Der Venus widmete er ganze Seiten sei­
nes Journals, und dies nicht ohne Grund.
Denn de Peiresc gelang es, die Venuspha­
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–AUSTRIA.COM
–AUSTRIA
37
De Peiresc entdeckt die Venusphasen
A
m 12. Februar 1611 habe sich ihm Venus ganz sichelförmig
gezeigt (linkes Teilbild). De Peiresc entdeckte die Venus-
phasen unabhängig von Galilei, noch bevor dieser seine eigene
Be­ob­ach­tung 1612 veröffentlichte. Überdies scheine die Venus
Monde (satellites) zu besitzen, wie de Peiresc für dieselbe Nacht
notiert (rechtes Teilbild). Auch an den darauf folgenden Tagen
will er zwei Monde der Venus beobachtet haben, einen kleineren
(minor) und einen größeren (major). Sie zeigten dieselben
Bibliothèque Inguimbertine (Carpentras), Fonds de Peiresc, Ms. 1803, 194r
Phasen wie die Venus selbst, was de Peiresc eigens notiert und
in mehreren Zeichnungen festhält. Fraglich ist, ob er überhaupt
bekam. Als mögliche Erklärung könnten wohl durchaus auch
Him­melskörper an diesen Tagen neben der Venus zu sehen
Re­fle­xio­nen an den Linsen seines Teleskops dienen.
1611 und die folgenden Tage vermerkt er
Peiresc so deutlich sehen konnte, waren
Galileis Stillschweigen über M 42
in seinem Journal, dass die Venus sichel­
für sich genommen schon spektakulär.
Während de Peiresc seine Venusbeobach­
förmig (forniculata) wie der Mond zu se­
De Peiresc wähnte sich aber noch einer
tungen ausführlich dokumentierte, sind
hen sei (siehe Kasten oben).
weiteren Sensation auf der Spur. Bei sei­
seine Aufzeichnungen zum Orion weder
Für den Kreis um de Peiresc war das
nen Beobachtungen glaubte er nämlich,
eigens datiert noch mit Zeichnungen ver­
ptolemäische Weltbild somit schon An­
zwei Monde (satellites) der Venus entdeckt
sehen. Was er dort sah, notierte er eher
fang 1611 widerlegt: Die Venusphasen
zu haben, welche dieselben Phasen auf­
beiläufig am Seitenrand seines Jupiterbe­
sind mit dem geozentrischen System un­
wiesen wie sie selbst (siehe Kasten oben,
richts für Ende November, Anfang Dezem­
vereinbar. Sie lassen sich überzeugend nur
rechtes Bild). Dass auch die Venus Monde
ber des Jahres 1610 (siehe Bild S. 37). Ent­
dadurch erklären, dass die Venus um die
habe, wie de Peiresc an mehreren Tagen
sprechend enttäuschend dürfte der An­
Sonne läuft, ganz wie es Kopernikus gefor­
berichtet, konnte für seine Zeit durchaus
blick von M 42 aber auch gewesen sein –
dert hatte und von Tycho Brahe in seinem
plausibel scheinen. Schließlich hatte Gali­
verglichen damit, wie wir den Orion­nebel
geo-heliozentrischen System berücksich­
lei soeben erst die vier heute nach ihm be­
heute schon mit bloßem Auge sehen.
tigt worden war. De Peiresc glückte diese
nannten Jupitermonde entdeckt. Auch bei
Dadurch ließe sich auch das Still­
Beobachtung unabhängig von Galilei, der
Saturn sollte er später seltsame Begleiter
schweigen seitens Galileis erklären. Dieser
seine Entdeckung erst im Jahr 1612 veröf­
sehen – Teile des Ringsystems –, die er als
berichtete in seinem Sidereus nuncius im
fentlichte.
»Ohren« bezeichnete. Dass ausgerechnet
Jahr 1610 von so viel Neuem, das sich dank
Venus keine Monde hat, konnte de Peiresc
des Teleskops erblicken ließ, und führte
nicht wissen.
eindrucksvoll das ungeheure Potenzial
Diese Hörner der Venus (Veneris cornua), die Enden der Venussichel, die de
De Peirescs Beobachtungen
S
eit dem Jahr 2009 sind die Beobach-
3. 12. 1610: »Das Wölkchen hat sich nicht
tungsnotizen von Nicolas-Claude
gezeigt im Orion bei heiterem Himmel.«
4. 12. 1610: »Das Wölkchen hat sich von
Neuem gezeigt im Orion, vielleicht weil die
Beitrags erstmals vollständig zu lesen.
Luft nicht klar genug gewesen sei und sich
Im Folgenden behält ein lateinisches
darum auch der vierte Jupitermond nicht
Wort immer dieselbe Entsprechung im
gezeigt hat.«
Deutschen; nachträglich ergänzt ist die
5. 12. 1610: »Der Himmel war nicht heiter,
Datierung. Sie ist der Chronologie von de
und so groß zeigte sich das Wölkchen in
Peirescs Jupiteraufzeichnungen entnom-
Orions mittlerem [Stern], dass die zwei
men.
Sterne kaum unterschieden werden konn-
machte de Peiresc zwischen dem 24. und
ten, und so zeigte sich auch im obersten
30. November 1610. Offenbar wollte er
24. - 30. 11. 1610: »Im Orion der mittlere
Stern ein Wölkchen.«
das unbekannte Himmelsphänomen
[Stern] …, aus zwei Sternen zusammenge-
6. 12. 1610: »Im Orion hat sich nur im
zunächst als Nebel bezeichnen. Das
setzt: eine Art erleuchtetes Wölkchen gab
mittleren Stern ein Wölkchen gezeigt, und
gestrichene, nicht zu Ende geschriebene
er auf den ersten Blick wieder von sich bei
nichts hinderte die Unterscheidung in
Wort am Anfang der vierten Zeile könnte
nicht ganz heiterem Himmel.«
1. 12. 1610: »Das Wölkchen hat sich nicht
zwei Sterne.«
nebu[losa] lauten. Dagegen wählte er den
7. 12. 1610: »Der Himmel ist sehr bewölkt
völlig ungebräuchlichen Begriff nubecula
gezeigt im Orion bei heiterem Himmel.«
gewesen und das Wölkchen hat sich über-
(Wölkchen).
38
November 2010
Bibliothèque Inguimbertine
(Carpentras), Ms. 1803, 189r
Fabri de Peiresc (1580 – 1637) durch eine
korrekte Transkription vom Autor dieses
Die erste Notiz über den Orionnebel
Sterne und Weltraum
des neuen Instruments vor Augen. Sein Si-
Notiz für wert hielt. Aus der Chronologie
zeichnung nebulosa für das beobachte­
dereus nuncius erwähnt zwar den seit der
seiner Jupiteraufzeichnungen lässt sich
te Phänomen wählen wollte (sie­he Bild
Antike bekannten »Nebel« im Kopf des
schließen, dass die früheste Orion­be­ob­
im Kasten unten). Solchen Nebeln (ne-
Orion, den offenenen Sternhaufen Collin­
ach­tung in den ersten sieben Tagen vom
bulosae), die seit der Antike bekannt wa­
der 69 bei Lambda Orionis, und liefert da­
24. bis zum 30. November 1610 erfolgt sein
ren, konnte seine Beobachtung aber nicht
für eine eigene Abbildung. Dagegen fehlt
muss. Der letzte Eintrag bezüglich Orion
ganz entsprochen haben. So wählt de Pei­
von dem neuen Nebel im Schwert dessel­
fällt auf den 10. Dezember. Seine Aufzeich­
resc mit nubecula (Wölkchen) eine völlig
ben Sternbilds jede Spur in diesem wie in
nungen finden sich heute im Journal des
unübliche Bezeichnung. Im Sidereus nun-
allen anderen Werken Galileis. Zwar erga­
observations, zu dem die astronomischen
cius spricht Galilei nur ein einziges Mal
ben neuere Untersuchungen, dass Galilei
Blätter de Peirescs zusammengefasst wor­
von einer nubecula. Damit bezeichnet er
die entsprechende Region im Orion sehr
den sind. Dieser Band gehört zu den Be­
den täuschenden Glanz oder Schleier, mit
viel intensiver beobachtete, als sich di­
ständen der Bibliothèque Inguimbertine
dem die Sterne dem bloßen Auge erschei­
es in seinen Veröffentlichungen nieder­
in Carpentras (Frankreich). Nach meiner
nen, während sich durch ein Teleskop be­
schlägt (sie­he SuW 7/2006, S. 41). Doch
eigenen Recherche vor Ort zu urteilen,
trachtet deutlich ihr rundlicher Körper
lässt sich der Orionnebel eben nicht in
finden sich darin keine weiteren Berichte
einzelne Sterne auflösen. Dies aber gelang
über Orion oder den Orion­nebel.
abzeichnet.
Als Nebel kam das beobachtete Phäno­
Galilei erstmals mit dem Teleskop bei an­
Somit stützte Bigourdan allein auf die
men für de Peiresc offenbar nicht in Be­
deren Nebelsternen – nebulosae wie zum
unten übersetzten Textpassagen seine
tracht. Dagegen gesprochen haben könn­
Beispiel Praesepe im Sternbild Krebs, die
An­nah­me, dass de Peiresc den Orionne­
ten zum einen dessen unstete Sichtbar­
seit der Antike bekannt waren. Galilei
bel im November 1610 entdeckt habe. Die­
keit, die schon in den allerersten Tagen
selbst hätte also, wie vielleicht andere sei­
se Beobachtungsnotizen vollständig zu
bemerkt wurde, sowie die schwankende
ner Zeitgenossen, guten Grund gehabt, im
lesen und zu übersetzen wurde aber erst
Ausdehnung, die darauf fol­gend festzu­
Orionnebel schlichtweg eine optische Täu­
2009 durch eine neue Textgrundlage, ei­
stellen war (siehe Kasten unten). Zum an­
schung, eine atmosphärische Störung zu
ne korrekte Transkription möglich. Im Ka­
deren scheint es nicht nur schwieriger,
sehen, die keine Nachricht wert erschiene.
sten »De Peirescs Beobachtungen« ist die
sondern teils auch schwächer zu sehen ge­
Übersetzung des Originals zeilenweise
wesen sein als einer der bekannten Nebel.
wiedergegeben.
Auch wollte de Peiresc darin allenfalls ein
De Peirescs Beobachtungsnotizen
von Ende 1610
Wölkchen oder Nebelchen (nubecula) er­
In den Monaten November und Dezember
Das Neue an diesem Phänomen
des Jahres 1610 berichtet de Peiresc zehn
Die Bezeichnung nubecula, die de Peiresc
Der gewählte Deminutiv (von nubes
Mal über das Sternbild Orion, während er
für dieses ungeklärte Phänomen gewählt
für Wolke) dürfte von der geringeren In­
eigentlich damit beschäftigt war, die Jupi­
hat, weist auf dessen Andersartigkeit hin.
tensität oder Dichte des beschriebenen
termonde zu beobachten. Offenbar bekam
Eine Streichung in seiner allerersten No­
Phänomens herrühren. Denn trotz seiner
er an zehn dieser Beobachtungstage im
tiz zu dieser Beobachtung mag verraten,
Wolkigkeit und selbst bei größter Ausdeh­
Orion etwas zu sehen, das er einer eigenen
dass de Peiresc wohl zunächst die Be­
nung war es möglich, zwei einzelne Sterne
blicken.
aus groß gezeigt im mittleren [Stern] des
Peiresc bei zwei Sternen des Orion ein
Phänomen zu tun. Diese Vermutung moch-
Orion, sodass die zwei Sterne sich nicht
kleines Wölkchen (lateinisch: nubecula)
te sich an den vier darauffolgenden Tagen
leicht gezeigt haben.«
und dies zum wiederholten Male. Danach
sogar bestätigen: Bei nicht klarer Sicht trat
8. 12. 1610: »In Orions mittlerem [Stern]
blieb diese Erscheinung an zwei aufeinan-
das Wölkchen am 5. Dezember besonders
zeigte sich recht groß das Wölkchen, das
derfolgenden Tagen, an denen gute
groß in Erscheinung und war an Tagen
dennoch nicht verhinderte, dass sich die
Sichtbedingungen herrschten, aus.
sichtbar, an denen das Wetter unverändert
zwei Sterne unterschieden.«
Dagegen waren die Witterungsverhält-
blieb.
9. 12. 1610: »Der Himmel war völlig heiter,
nisse sogar schlechter, als das Wölkchen
und dennoch fehlte nicht das Wölkchen
am 4. Dezember erneut zum Vorschein
anders: Bei völlig klarem Himmel war das
in Orions mittlerem [Stern]. Aber schier
kam, während de Reiresc einen der
Wölkchen trotzdem zu sehen. Auch am
unzählige Sternchen zeigten sich oberhalb
Jupitermonde unter diesen Umständen
letzten Tag der Orionbeobachtungen muss
des dritten [Sterns] im Orion.«
nicht sehen konnte. Um dieses unstete
gute Sicht geherrscht haben. Dennoch
10. 12. 1610: »Deutlich waren die
Wölkchen zu erklären, erwog de Peiresc
zeigte sich wie gewohnt jene wolkige
Zwischenräume [zwischen den Jupiter-
offenbar, dass dessen Erscheinen vielleicht
Erscheinung im Orion. An diesen zwei
monden], und immer zeigte sich wie
auf die schlechteren Sichtbedingungen
letzten Tagen dürften sich de Peiresc und
gewohnt das Wölkchen im Orion.«
selbst zurückzuführen sei. De Peiresc und
seine Mitbeobachter davon überzeugt
seine Mitbeobachter dachten wohl
haben, dass schlechte Sichtverhältnisse
zunächst, sie hätten es womöglich mit
nicht Ursache für das Wölkchen im Orion
einem rein atmosphärisch bedingten
sein konnten.
De Peirescs Wölkchen: In den Tagen vom
24. bis zum 30. November 1610 sichtete de
www.astronomie-heute.de
Doch am 9. Dezember verhielt es sich
November 2010
39
Diese Darstellung des Sternbilds Orion
entstammt der Uranometria von Johann
Bayer aus dem 1603. Der mittlere Stern im
Schwertgehänge des mythischen Jägers ist
das Mehrfachsystem Theta Orionis. Es liegt
im Zentrum des Orionnebels, der HuygensRegion. Der Orionnebel ist nicht eingezeichnet.
darin mal besser, mal schlechter auszu­
Aus: Johann Bayer: Uranometria, omnium asterismorum continens schemata, Bl. 35v. Mangus, Augsburg, 1603
machen. De Peiresc und seine Mitbeo­
bachter beschreiben folglich ein Objekt
von wolkig nebeligem Aussehen, das sich
nicht permanent am Himmel zeigte und
in seiner Sichtbarkeit genauso schwankte
wie in seiner Intensität und Größe.
Von bekannten Nebeln dürfte es sich
durch eben seine Schwankungen unter­
schie­den haben. De Peirescs nu­becula
konn­te nach damaligem Verständnis aber
auch deshalb kein Nebel sein – wie zum
Beispiel die von Galilei behandelten Nebel
im Orion oder die Praesepe, die seit der
Antike bekannt waren –, weil sich dieses
Wölkchen nicht in einzelne Sterne auflö­
sen ließ und so beim Blick durchs Tele­
skop verschwunden wäre. Vielmehr wur­
de es erst durch das Teleskop zugänglich
und blieb trotz der darin sichtbaren Sterne
weiter bestehen.
Entdeckung des Orionnebels?
Laut Guillaume Bigourdan sei aus den
oben angeführten Beobachtungsnotizen
direkt zu entnehmen, dass de Peiresc den
von Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543),
Orionnebel im Jahr 1610 entdeckt habe.
Christoph Clavius (1538 – 1612) und Jo­
Erster Doppelstern und ­Sternhaufen
Über diese Behauptung hinaus liefert Bi­
hann Bayer (1572 – 1625) der Name Media
Umso sicherer dagegen lässt sich diesen
gourdan leider keine eigene Interpreta­
Orionis finden. Doch tragen gleich mehre­
Aufzeichnungen entnehmen, dass de Pei­
tion, wie diese Aufzeichnungen zu lesen
re Oriongestirne diese Bezeichnung (Epsi­
resc im Sternbild Orion mehr entdeckte
sind. Denn aus ihnen geht leider nicht her­
lon Orionis, Phi 2 Orionis, 29 Orionis, 27
als bisher angenommen. Gleich zu Be­
vor, wo sich in diesem nicht gerade klei­
Orionis), darunter auch der mittlere Stern
ginn seiner Orionnotizen berichtet er,
nen und zudem nebelreichen Sternbild
im Schwert des Orion, Theta Orionis (sie­
dass dieser mittlere Stern aus zwei Ster­
jenes merkwürdige Wölkchen zeigte. Es
he Bild oben).
nen zusammengesetzt sei, worauf er wie­
wird auch kein bestimmter Teil des Orion
Die Entdeckungsgeschichte des Orion­
derholt zu sprechen kommt (siehe Kasten
genannt, wie zum Beispiel Kopf, Fuß, Gür­
nebels, wie sie seit nunmehr 90 Jahren zu
S. 38 unten). Daraus lässt sich schließen,
tel, Rücken, Keule oder gar das Schwert.
lesen ist, erscheint somit wenig gesichert.
dass de Peiresc einen Stern, den er bis da­
Am häufigsten erwähnt de Peiresc einen
Denn das Wo dieser Beobachtung geht aus
hin für einen Einzelstern hielt, durch das
mittleren Stern des Orion (media Orionis).
de Peirescs Aufzeichnungen keineswegs
Teleskop doppelt sah. Sollte es sich da­
Wenn de Peiresc den Orionnebel ge­
hervor und müsste eigens noch geklärt
bei wirklich um den mittleren Stern im
sehen hat, dann muss es sich hierbei um
werden. Hierfür böten allenfalls die von
Schwert des Orion handeln, dürfte er an­
den mittleren Stern im Schwert des Orion
ihm verwendeten Sternbezeichnungen
stelle des Mehrfachsterns Theta Orio­
handeln, Theta Orionis. An sechs von zehn
wie mittlerer, oberster, dritter Stern einen
nis, die zwei hellsten Teilsterne dessel­
Beobachtungstagen ist von dieser media
weiteren Anhaltspunkt. Ob er diese sehr
ben Theta 1 Orionis und Theta 2 Orionis,
die Rede. Durch die wiederholte Verwen­
vagen Sternbezeichnungen unmittelbar
zu sehen bekommen haben. Bislang galt
dung dieser Bezeichnung liegt die Vermu­
aus der Beobachtung gewonnen hat, oder
der italienische Astronom Benedetto Ca­
tung nahe, dass es sich hierbei um einen
ob sie aus einem Sternverzeichnis seiner
stelli (1577 oder 1578 – 1643) als Entdecker
feststehenden Namen handelt. Tatsäch­
Zeit stammen, ist dabei nicht einmal si­
der Doppelsterne: Er berichtete Galilei im
lich lässt sich in den Sternverzeichnissen
cher.
Jahr 1617, dass ihm Mizar durch ein Tele­
40
November 2010
Sterne und Weltraum
ED-Apochromaten:
skop betrachtet doppelt erscheine (siehe
bel im Kopf des Orion (Nebulosa Orionis),
SuW 7/2006, S. 41). De Peiresc hingegen
die sich durch das Teleskop in viele Sterne
be­schreibt dieses Phänomen bereits in
demselben Jahr, als Galilei seinen Sidere-
auflösen ließen.
Hieraus mag sich eine Schwierigkeit er­
us nuncius veröffentlichte. Er liefert damit
ge­ben, Bigourdan in seiner Deutung von de
den frühesten Hinweis auf diese neue Art
Pei­rescs Aufzeichnungen zu folgen: Soll­
von Sternen. Auch scheint de Peiresc als
te de Peiresc M 42 entdeckt haben, dann
Erster von einem Sternhaufen zu berich­
müss­te er gleich zwei solcher Orionnebel
ten: Am 9. Dezember 1610 will er »schier
ge­se­hen haben. Zumindest vermerkt de
unzählige« kleine Sterne »oberhalb des
Pei­resc keinen Unterschied zwischen den
dritten Sterns im Orion« gesehen haben
bei­den Objekten. Nur ihre Lage ist verschie­
(siehe Kasten S. 38 unten).
Erneut stellt sich aber die Frage, welchen
den. Hierüber macht er aber keine genauen
Stern de Peiresc damit bezeichnet haben
von M 42 in Zweifel ziehen könnte. Sollte
mag. In den Sternverzeichnissen von Ni­
sich aber durch weitere Forschung bestäti­
kolaus Kopernikus, Christoph Clavius, Ty­
gen lassen, dass de Peiresc mit seiner media
cho Brahe und Johann Bayer tragen meh­
Orio­nis tatsächlich den mittleren Stern im
rere Sterne die Bezeichnung Tertia Orionis
Schwert des Orion meint (Theta Orionis),
(Theta Orionis, 33 Orionis, Phi 1 Orionis, 6
dann könnte er mit jener suprema stella
Orionis, Psi Orionis). In keinem dieser vier
den obersten Stern im Schwertgehänge be­
Sternverzeichnisse bildet solch ein »dritter
zeich­net haben (42 Orionis).
Stern im Orion« einen Teil des Sternbilds
An­ga­ben, sodass man sogar die Entdeckung
»mittleren Stern«, den de Peiresc so oft er­
Das Aussehen von M 42 Ende 1610
wähnt. Die gängigen Sternverzeichnisse
Mit diesen zwei Orionnebeln, von denen
der Zeit erlauben es also nicht, de Peirescs
de Peiresc berichtet, ergibt sich ein Wider­
»dritten Stern« als den Dritten im Schwert­
spruch in der gängigen Entdeckungsge­
gehänge (Iota Orio­nis = 44 Orio­nis) zu deu­
schichte. Man darf aber annehmen, dass
ten. Allerdings findet sich bei diesem süd­
de Peiresc sehr viel weniger von M 42 zu
lichen der drei Sterne im Schwert des Ori­
sehen bekam als spätere Astronomen.
on tatsächlich ein Sternhaufen mittlerer
­Das liegt zum einen an seiner techni­schen
zusammen mit einer Media Orio­ni, diesem
Dichte, NGC 1980. Doch in den Sternver­
Ausstattung und geringen Be­ob­ach­tungs­
zeichnissen taucht Iota Orionis nicht als
pra­xis. Zum anderen könnte ­dies aber
Tertia auf. Daher muss es vorerst Spekula­
auch aus der dynamischen Natur von M 42
tion bleiben, welchen Stern de Peiresc ge­
selbst herrühren, wie sie sich in his­tori­
meint haben mag und welchen Sternhau­
scher Zeit belegen lässt. In den frü­hes­ten
fen er wirklich sah.
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Huygens 1659 am ausführlichsten über
das Aussehen von M 42. Er sieht darin
nicht nur ein völlig neues Phänomen, son­
aus den Aufzeichnungen de Peirescs ent­
dern hält es auch für unvergleichlich und
nehmen. Denn, was bislang offenbar über­
einmalig. De Peiresc hingegen macht kei­
lesen wur­­de, waren es zwei Wölkchen, die
nen Unterschied zwischen einem Wölk­
de Pei­resc im Orion gesichtet haben will:
chen, das er bei einem »mittleren« Stern
100° Okulare:
Die Exis­tenz dieser zweiten nubecula geht
des Orion sah, und einem weiteren Wölk­
Brennweite:
aus dem Eintrag vom 5. Dezember hervor,
chen, das er beim »obersten« entdeckte.
wo de Peiresc von einem Wölkchen auch
Sollte es sich bei der einen nubecula
im obersten Stern berichtet (ac in supre-
um den Orionnebel handeln, dann berich­
ma quoque stella). Am darauf folgenden
tet de Peiresc übereinstimmend mit Huy­
Tag war dieses Objekt offenbar schon
gens und Hodierna, dass sich dieses »wol­
nicht mehr zu sehen. Denn nur im mittle­
kige« beziehungsweise »lichte« Himmels­
ren Stern (in media tantum stella) sei am
gebiet über die zwei Hauptkomponenten,
6. Dezember ein Wölkchen sichtbar gewe­
Theta 1 Orionis und Theta 2 Orionis, des
sen. Er erwähnt keinen Nebel, obwohl ihm
mittleren Sterns im Schwert des Orion er­
der astronomische Begriff (nebulosa) für
streckt. Beide sah de Peiresc nur als Ein­
Objekte, wie sie Galilei im Sidereus nun­
zelsterne, während Huygens sie in weitere
cius bebildert und beschreibt, bekannt ge­
Sterne auflöste (siehe Bild S. 34 unten),
wesen sein muss: der Nebel im Sternbild
was Hodierna nur für Theta 2 Orionis ge­
Krebs (Nebulosa Praesepe) sowie der Ne­
lang (siehe Bild S. 34 oben rechts).
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De Peiresc berichtet am 5. Dezember 1610
von einem weiteren Wölkchen beim
»obersten Stern«. Falls de Peirescs damit
den nördlichen der drei Schwertsterne im
Orion (42 Orionis) meinen sollte, könnte er
hier den bläulich leuchtenden Reflexionsnebel NGC 1977 nördlich von M 42 gesehen
haben.
Harald Siebert studierte
Philosophie in Augsburg
und an der Sorbonne.
In Paris und Berlin
promovierte er in Wissenschaftsgeschichte. Er ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin.
Zu seinem Spezialgebiet zählen Astronomie
und Kosmologie der Frühen Neuzeit.
Bernd Hubl
Literaturhinweise
Ist es also nur seinem schwächeren Te­
den in Aix-en-Provence gelang de Pei­
le­skop geschuldet, dass de Peiresc den Ori­
resc im Jahr 1610 mit einem Teleskop die
onnebel für weniger spektakulär hielt als
wohl früheste Beobachtung eines Dop­
Huygens und Hodierna vierzig Jahre spä­
pelsterns und eines Sternhaufens. Weiter
ter? Zumindest liefert de Peiresc ein kon­
berichtet er von zwei Wölkchen, die sich
kretes Vergleichsobjekt: Sollte es sich bei
bei zwei verschiedenen Sternen im Orion
jenem »obersten Stern« tatsächlich um 42
zeigten, eines sehr schwankend in seiner
Orionis handeln, dann käme als zweites
Größe und beide nicht immer sichtbar.
Wölkchen, von dem de Peiresc berichtet,
Die erstmals vollständige Lektüre von de
ein Reflexionsnebel in Betracht, den wir
Peirescs Aufzeichnungen stellt aber zu­
heute dort verzeichnen: NGC 1977 (sie­
gleich infrage, was bislang als sicher galt.
he Bild oben). Demnach könnte das Wölk­
Aus seinen Notizen geht nicht eindeutig
chen im Zentrum des heutigen Orionne­
hervor, dass er den Orionnebel sah. Denn
bels ähnlich ausgesehen haben wie der
für all diese Beobachtungen bleibt de Pei­
Reflexionsnebel NGC 1977 im darüber lie­
resc eine genaue Angabe schuldig, wo in
genden Schwertstern 42 Orionis. Der An­
diesem nicht gerade kleinen, aber nebel­
blick, den M 42 in frühen Teleskopen bot,
reichen Sternbild er seine Entdeckungen
dürfte damit nur wenig mit dem Großen
machte. Solange die von ihm genann­
Orionnebel von heute gemein haben. Eine
ten Sterne nicht identifiziert sind, muss
Vorstellung davon, wie dieser Ende 1610
daher Spekulation bleiben, was er wirk­
erstmals zu sehen war, lässt sich vielleicht
lich sah. Sollte sich de Peirescs Entdecker­
mit einem Blick auf NGC 1977 gewinnen.
schaft aber doch noch bestätigen lassen,
Sah de Peiresc den Orionnebel?
De Peirescs Aufzeichnungen selbst ha­
dann liefern uns seine Aufzeichnungen
ein etwas anderes Bild vom Orionnebel,
als wir ihn heute kennen.
ben weit mehr zu bieten als aus ihrer ers­
ten Veröffentlichung im Jahr 1916 zu er­
Weblinks zum Thema:
fahren ist. Zusammen mit seinen Freun­
www.astronomie-heute.de/artikel/1046945
42
November 2010
Bigourdan, G.: La découverte de la
nébuleuse d’Orion par de Peiresc.
In: Comptes rendus de l’Académie
des Sciences 162, S. 489 – 490, 1916.
Digitalisiert unter: http://gallica.bnf.fr/
ark:/12148/bpt6k3115n)
Chapin, S. L.: The Astronomical Activities
of Nicolas-Claude Fabri de Peiresc. In:
Isis 48/1, S. 13 – 29, 1957.
Harrison, Th. G.: The Orion Nebula:
Where in History is it? In: Quarterly
Journal of the Royal Astronomical Society 25, S. 65 – 79, 1984.
Herczeg, N. Tibor: The Orion Nebula. A
chapter of early nebular studies. In: The
Message of the Angles – Astrometry
from 1798 to 1998 (Hrsg.: P. Brosche,
W. R. Dick, O. Schwarz, R. Wielen),
S. 246 – 258. Harri Deutsch, Thun, 1998.
de Peiresc, N. C. F.: Journal des observations. Bibliothèque Inguimbertine,
Carpentras, Frankreich, 1803.
Siebert, H.: Die Anfänge der Stellarastronomie. Erste Bilder und Berichte
von Doppelsternen nach Einführung
des Fernrohrs. In: Stern und Weltraum
7/2006, S. 41 – 49.
Siebert, H.: De Peirescs Nebel im Sternbild Orion – eine neue Textgrundlage
für die Geschichte von M42. In: Annals
of Science, 66/2, S. 231 – 246, 2009.
Strohmaier, G.: Die Sterne des Abd
ar-Rahman as-Sufi, Verlag Müller und
Kiepenheuer, Hanau/Main, 1984.
Sterne und Weltraum
www.astronomie-heute.de
November 2010
43
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