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erforschten Abschnitt, den unsere Historiker bescheiden als „Weltgeschichte“ bezeichnen. Der Rest, also praktisch die gesamte biologische
und kulturelle Entwicklung dieser seltsamen Primatenart, liegt, von
einigen Skeletten, Schädelresten, Zähnen und Faustkeilen abgesehen,
vollständig im Dunkeln.
Das heißt: Unser Wissen über die eigene Vergangenheit umfasst
nicht mehr als das letzte Tausendstel, also ein Promille, der Menschheitsgeschichte. Innerhalb dieser winzigen Zeitspanne aber gelang dem
Gehirnspezialisten unter den Säugetieren der Übergang vom Steinbeil
zur Atombombe, vom Einbaum zum Raumschiff!
Angesichts so krasser zeitlicher Proportionen drängt sich die Frage
auf: Hat der Mensch diesen Schritt heute, nach Millionen Jahren, erstmals vollzogen, oder könnten in weit zurückliegenden Epochen solche
oder ähnliche technische Entwicklungen schon einmal oder mehrmals
auf der Erde stattgefunden haben?
Vielleicht handelte es sich um relativ kurze und stürmisch verlaufende Erscheinungen mit abruptem Ende, wie es sich auch heute bereits
abzeichnet, eine Reihe aufflackernder „Weltgeschichten“, die spurlos
untergegangen sind, sich selbst eliminiert haben. Oder wird sich in dreißig- oder fünfzigtausend Jahren noch irgendjemand an unsere Epoche
erinnern?
Sicher nicht.
Aber vielleicht kehren ja eines Tages Raumschiffe zurück, die vor vielen Jahrtausenden die Erde verlassen haben.
Von Unendlichkeit und Menschenzeit
Kaum hat der Mensch seinen ersten forschenden Blick auf die unmittelbare kosmische Umgebung gerichtet, sieht er sich bereits Größenverhältnissen gegenüber, die sein Vorstellungsvermögen übersteigen:
Die Erde ist rund 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, der
äußerste Planet, Pluto, aber schon sechs Milliarden. Das Licht, das die
Sonne abstrahlt, erreicht die Erde in acht Minuten, Pluto aber erst in
fünf Stunden.
Um dies ein wenig anschaulicher zu machen, wollen wir unser Sonnensystem, also die Sonne mit den sie umrundenden Planeten, einmal
im Maßstab 1:1 000 000 000 (eins zu einer Milliarde) betrachten (nach
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Dolezol, Aufbruch, S. 232 f), das bedeutet, einem Millimeter in diesem
Modell entsprechen tausend Kilometer im All.
Dann ergibt sich für die Sonne ein Durchmesser von 1,4 m, die Erde,
kaum kirschengroß, schwebt im Abstand von 150 Meter, Pluto, etwa
gleich winzig, ist sechs Kilometer entfernt, die übrigen Planeten befinden sich irgendwo dazwischen. Das System hat also bei diesem Maßstab einen Durchmesser von etwa zwölf Kilometern.
Wenn wir nun aber Ausschau halten nach dem der Sonne am nächsten stehenden Fixstern Alpha Centauri, finden wir ihn erst – in unserem Modell, wohlgemerkt! – in einer Entfernung von sage und schreibe
40 000 (vierzigtausend) Kilometern.
Die amerikanische Raumsonde Pioneer 10 (1972/73) raste mit der für
unsere Begriffe schon enormen Geschwindigkeit von mehr als 100 000
Stundenkilometern dahin. Dennoch benötigte sie für die Strecke bis
zum Planeten Jupiter, in unserem Modell etwa 620 Meter, nicht weniger
als zweiundzwanzig Monate. Ein Flug zum Planeten Pluto und wieder
zurück würde mindestens sechsunddreißig Jahre dauern, zum Fixstern
Alpha Centauri aber, wieder hin und zurück, neunzigtausend Jahre!
Das Licht bewältigt diese Entfernung in viereinhalb Jahren, denn es
legt 300 000 Kilometer zurück, allerdings nicht in der Stunde, sondern in
der Sekunde. Die Raumsonde erreicht mit ihren 100 000 Kilometern in
der Stunde nicht mehr als ein Zehntausendstel dieser Geschwindigkeit.
Angesichts solcher Fakten und Dimensionen ahnt selbst der Laie
etwas von den Grenzen menschlicher Raumfahrt. Diese werden noch
deutlicher, wenn wir uns weiter umsehen.
Die Sonne und ihr Nachbar Alpha Centauri gehören zu einem gigantischen Wirbel, der neben ungeheuren Schwaden aus Gas und Staub schätzungsweise zweihundert Milliarden weiterer Sonnen (Fixsterne) enthält.
Ihre Abstände voneinander betragen durchschnittlich 3,2 Lichtjahre oder
dreißig Billionen Kilometer. Das entspricht ungefähr der „Dichte“ und
relativen Größe von einem oder auch zwei Dutzend Tennisbällen, gleichmäßig über ganz Nordamerika verteilt! (Vgl. T.Ferris, S. 24)
Diese unermessliche Sternenwelt, Galaxis oder auch Milchstraße
genannt, dreht sich als flache Scheibe im Universum und hat in der Rotationsebene einen Durchmesser von etwa hunderttausend Lichtjahren.
Aber das ist noch längst nicht alles. Es gibt außer der Milchstraße
Milliarden weiterer Galaxien, und zwischen ihnen gähnen jeweils
Abgründe von mehreren Millionen Lichtjahren. Ein Ende ist nicht
abzusehen.
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DAS ENDE DES MITTELALTERS
Anlässlich der Landung auf dem Mond – Entfernung: etwas mehr
als eine Lichtsekunde! – von einer beginnenden „Eroberung des Weltraums“ zu sprechen, wie es häufig geschieht, ist also, ohne die geniale
Leistung Wernher von Brauns und seiner Mitarbeiter schmälern zu
wollen, geradezu lächerlich.
Selbst wenn wir ein Raumschiff auf etwa neunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und auf einen tausendjährigen Flug schicken könnten, was gegenwärtig nur Science Fiction-Autoren gelingt, so
hätten die Astronauten sowie die ihnen folgenden rund dreißig an Bord
geborenen und aufgewachsenen Generationen auch dann nur einen
winzigen Bereich der Galaxis gesehen.
Welchen Sinn hätte ein solches Unternehmen?
Der Blick in die Vergangenheit
In unmittelbarer Nachbarschaft unserer Heimatgalaxis, der Milchstraße,
befindet sich eine ihrer Töchter, die Große Magellansche Wolke. In ihr
wurde im Jahre 1987 von der Erde aus das Aufleuchten einer Sternexplosion (Supernova) beobachtet.
Für die Astronomen von heute, die in unglaubliche Tiefen des Universums spähen, liegt die Große Magellansche Wolke quasi vor der
Haustür. Und dennoch flog dort der Stern zu einer Zeit in die Luft, als
hier der kulturelle Fortschritt des Menschen gerade den Faustkeil hervorgebracht hatte, genauer gesagt: vor etwa 170 000 Jahren! So lange
dauerte es, bis das Licht der Explosion, sich kugelförmig ausbreitend,
auch die Erde erreicht hatte, und das bei einer Geschwindigkeit von
300 000 Kilometer pro Sekunde!
Während eiszeitliche Jäger und Schamanen die Wände der Höhlen
von Altamira und Lascaux bemalten, mehr als zehntausend Jahre vor
dem Bau der ägyptischen Pyramiden, war dies Licht bereits seit 150 000
Jahren unterwegs!
Wir werden also Zeugen von Ereignissen im Universum, die längst
der Vergangenheit angehören, die Tausende, Millionen oder Milliarden
Jahre zurückliegen können.
In der Nähe der Milchstraße, „nur“ zwei Millionen Lichtjahre entfernt, dreht sich eine andere große Galaxis, der Andromedanebel.
Sicher gibt es auch dort eine Menge bewohnter Planeten und intelliDAS ENDE DES MITTELALTERS
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