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5. Ozeane unter Eis?
Als die Raumsonde Voyager 1989 am Neptunmond
Triton vorbeiflog, machte sie eine überraschende
Entdeckung. Bei einer Entfernung von beinahe 40.000
Kilometern und einer Fluggeschwindigkeit von 27
Kilometern pro Sekunde hielt die Kamera an Bord den
Anblick von vier Geysiren fest, die dunkles Gas in die
hauchdünne Atmosphäre schossen. Die Dampffontänen
reichten bis zu acht Kilometern Höhe und wurden vom
Tritonwind mehr als hundert Kilometer weit geweht.
Diese sensationelle Entdeckung wurde seltsamerweise
achselzuckend zur Kenntnis genommen. Dabei warf sie
die Vorstellung über den Haufen, Triton sei ein toter
Gesteinsbrocken, der von einem festen Eispanzer
umschlossen sei. Im Gegenteil, Triton ist offenbar
geologisch sehr aktiv. Welche Kräfte wirken in ihm, das
nicht nur auf der Oberfläche gefrorener Stickstoff zu einer
Atmosphäre verdunstet, sondern tief unter dem ewigen
Eis, dessen Temperatur nur 38 Grad über dem absoluten
Tiefpunkt von minus 273 Grad Celsius liegt, sondern auch
unterirdisches Gas so erhitzt wird, dass es durch die
Oberfläche bricht?
Die Antwort darauf führt dazu, auch unser Bild von Pluto
(den wir ja als eine Art Zwilling von Triton kennengelernt
haben) noch einmal völlig umzuwerfen.
Der größte Teil der Oberfläche Tritons wird von den
Planetenforschern als „Honigmelone“ bezeichnet, eine
relativ glatte Ebene, die sanft gemasert ist. Daneben weist
Triton Gebiete auf, die auf vulkanische Tätigkeit in
jüngster Zeit (also in den vergangenen paar Millionen
Jahren) schließen lassen: dunkle „Flecken“ von ein- bis
zweihundert Kilometern Durchmesser, Terrassen aus
Ablagerungen von bis zu zweihundert Metern Höhe sowie
Doppelbergrücken, wo sich das geschmolzene Material
seinen Weg gebahnt hat.
Die Oberfläche des Mondes besteht aus gefrorenem
Stickstoff mit Spuren von Methan und Kohlenmonoxid,
ebenfalls gefroren. Die gleichen Stoffe, von der Sonne
erwärmt und verdunstet, bilden auch die Atmosphäre.
Beim Verdunsten absorbiert Stickstoff Wärme – so wie
ein schwitzender Mensch abkühlt, tut dies auch die
Stickstoffatmosphäre, die schließlich wieder als Schnee zu
Boden fällt. So findet ein ständiger Austausch der
Oberfläche statt, dem Triton sein relativ glattes „Gesicht“
verdankt. Die Ursache der Geysire blieb rätselhaft.
Im Mai 2000 passierte die Sonde Galileo die vier großen
Jupitermonde. Die Messgeräte spürten um die Trabanten
Europa, Callisto und Ganymed Magnetfelder auf, die sich
nicht erklären ließen. Ein Gesteinskern mit einem Mantel
aus gefrorenem Eis würde nicht die elektrische
Leitfähigkeit besitzen, um ein solches Magnetfeld aufrecht
zu erhalten. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass
sich mehr als hundert Kilometer unter der Oberfläche eine
geschmolzene Schicht befinden müsse, die Flüssigkeit mit
etwa dem Salzgehalt der irdischen Ozeane enthalten
müssen. In diesem Falle würden die unterirdischen Meere
der Jupitermonde mehr Wasser enthalten als die Ozeane
unserer Erde.
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Die Monde der äußeren Planeten rückten mit einem Mal
in das Blickfeld jener Forschung, die nach Spuren von
Leben außerhalb unserer Erde sucht. Der Mars war bereits
abgegrast worden. Die Lebenssucher waren längst
bescheiden geworden. Nicht einmal mehr primitive Moose
und Flechten erwartete man zu finden. Mikroben würden
schon reichen. Diese zähen Lebensformen bevölkerten
unseren Planeten lange bevor die erste Fauna und Flora
entstand, und Mikroben werden auch in Zukunft jede
andere Existenz um eine lange Zeit überleben. Doch selbst
die einfachsten Mikroben benötigen Wasser. Und das war
bislang einzig gefroren am Pol des Mars gefunden
worden.
Nun war die Rede von Ozeanen in den kalten Weiten
außerhalb des Asteroidengürtels, unter der Eisdecke der
Trabanten des Gasriesen Jupiter und vielleicht auch im
Mantel der Monde von Saturn, Uranus und Neptun. Es
war an der Zeit, die Voraussetzungen für außerirdisches
Leben neu zu überdenken. Bislang hatte niemand sich ein
Leben ohne die licht- und wärmespendende Sonne
vorstellen können. Doch gibt es in der Tiefsee unseres
Planeten ganze Ökosysteme, die ohne Sonnenlicht
existieren. Zweitausend Meter unter dem Meeresspiegel
tummeln sich Würmer, Muscheln und Schnecken um
heiße Quellen. Vor kurzem wurden dort Bakterien
entdeckt, die zur Photosynthese statt Sonnenlicht die
geothermische Wärme der 400 Grad heißen Quellen
nutzen.
Auch ist die den Säugetieren gewohnte Luft aus Sauerstoff
nicht für jedes Leben notwendig. Die Mikroben an der
Mündung dieser heißen Pazifikquellen haben sich
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stattdessen bereits vor 250 Millionen Jahren auf das
Gemisch von Schwefel, Schwermetallen und giftigen
Säuren spezialisiert.
Dass auch arktische Verhältnisse Mikroben nicht
schrecken, erfuhren Forscher bei Bohrproben im vier
Kilometer dicken Eis der Antarktis. Neben Bakterien, die
von der Oberfläche in tiefere Eisschichten gelangt sind,
fand man dort Mikroorganismen, die aus der Tiefe unter
dem Frostpanzer stammen müssen. Dort erhitzt der Druck
der Gletschermassen das Eis so stark, dass sich der vier
Kilometer tiefe Vostok-See gebildet hat, eine
abgeschlossene, lichtlose Welt, in die noch kein Mensch
eingedrungen ist.
Noch weiter geht eine als „Schneeball Erde“ bezeichnete
Theorie. Ihr zufolge war unser Planet zwei Mal bis auf
den tiefsten Meeresgrund vereist. Dies soll vor 710
Millionen Jahren und vor 635 Millionen Jahren geschehen
sein. Diese angeblich zwölf Millionen Jahren dauernden
Supereiszeiten – wenn sie denn tatsächlich stattgefunden
haben – waren dann allerdings nicht in der Lage, das
Leben der Mikroben auszulöschen, die bereits vor einer
Milliarden Jahre in den Urozeanen entstanden waren.
Die Messungen waren zunächst der einzige Beweis für die
Existenz unterirdischer Meere. 2006 lieferte die
Raumsonde Cassini jedoch Bilder von einem Geysir auf
dem Saturnmond Enceladus, der Wasserfontänen hunderte
von Kilometern in die Höhe schoss. Verblüfft nahmen die
Wissenschaftler zur Kenntnis, dass selbst ein Eismond von
nur fünfhundert Kilometer Durchmesser über ein riesiges
Reservoir an flüssigem Wasser verfügt. Gleichzeitig hatte
man eine Erklärung für die rätselhaften Geysire auf
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Triton. Die geothermische Tätigkeit konnte von erhitzter
Flüssigkeit unterhalb des Stickstoffeises verursacht
werden.
Es war an der Zeit, Theorien zu entwickeln, wie sich im
äußeren Sonnensystem unter Eisdecken Ozeane halten
können. So könnten die Trabanten der Gasriesen durch die
an ihnen zerrenden Gravitationskräfte erwärmt werden.
Neben den geothermischen Aktivitäten von noch heißen
Kernen (auf dem Jupitermond Io wurde Vulkanismus
beobachtet) kommen noch Beimischungen von Methan
und Ammoniak in Frage, die im äußeren Sonnensystem
sehr häufig sind und als „Frostschutzmittel“ wirken
könnten.
Derzeit kommen außer den größeren Jupiter- und
Saturntrabanten auch die Uranusmonde Titania und
Oberon als Kandidaten für unterirdische Ozeane in Frage.
Gleiches gilt aber auch für den Neptunmond Triton sowie
seinen Zwilling Pluto – und für jedes größere Objekt des
Kuiper-Gürtels: Eris, Sedna, Orcus… Bei ihnen müsste
eine Messung ein entsprechendes Magnetfeld feststellen.
Um einen solchen Ozean zu untersuchen und um in ihm
möglicherweise Leben zu finden, müsste es einer Sonde
gelingen, die hundert Kilometer dicke Eiskruste zu
durchdringen und die Ergebnisse irgendwie wieder nach
draußen zu bringen.
Eine solche Eissonde wird vom Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt gerade für einen Besuch auf dem
Jupitermond Europa vorbereitet. Die „Sonde Under Shelf
Ice“ (SUSI) ist ein von innen beheiztes Aluminiumrohr,
das sich durch 45 Kilometer tiefes Eis in Europas
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unterirdisches Meer schmelzen und von dort mittels langer
Wellenlängen Messdaten funken soll.
Noch ist die Eissonde im Entwicklungsstadium. Zunächst
soll es in der Arktis getestet werden. Das Problem der
Energieversorgung ist noch nicht gelöst. Noch wird der
sich durch das Eis schmelzende Tubus durch ein Kabel
mit Energie versorgt. Im Weltraum müsste SUSI über eine
autarke Energieversorgung verfügen, um Hitze zu
entwickeln. Wenn die technischen Schwierigkeiten
bewältigt sind, könnte die Sonde 2017 mit dem NASASatelliten Jupiter Icy Moon Orbiter zu Europa fliegen und
versuchen, durch dessen Eispanzer einzudringen.
Zugegeben, es ist gewagt, aufgrund möglicher Ozeane auf
mögliches Leben zu schließen. Aber es sei fairerweise
daran erinnert, dass man sich in dieser Hinsicht beim Mars
noch an den letzten Strohhalm geklammert hat. Solange
auch nur die geringste Hoffnung besteht, wird auf dem
roten Planeten nach Leben gefahndet.
Gleiches sollte für die Himmelskörper des äußeren
Sonnensystems gelten – zumal sich dort durch immer neue
Entdeckungen völlig neue Dimensionen eröffnen.
Was bedeutet dies nun für Pluto? Lässt sich mehr sagen
als die bloße Spekulation, der äußerste Planet könnte
einen Ozean aus flüssigem Wasser unter seiner Eisdecke
besitzen? Oder lässt sich die Existenz dieses Meeres
beweisen?
Um diese Frage zu beantworten, muss eine Raumsonde zu
Pluto geschickt werden, die das Magnetfeld des äußeren
Planeten misst. Und genau diese Sonde ist gerade auf dem
Weg.
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