e-paper: 0010228102 Zeitgeschehen SZ-ZG2 Samstag, 7. Juni 2014 Von der Invasion bis zum Kriegsende Zuletzt diente T 28 als Fluchthelfer Als eines von wenigen größeren Schiffen aus Hitlers Marine überstand das Torpedoboot den Krieg VON TIBOR PÉZSA DANIEL GÖBEL UND A ls am 20. Juli 1944 in Adolf Hitlers ostpreußischem Hauptquartier „Wolfsschanze“ eine Bombe explodiert, bereitet der Fähnrich zur See, Werner Wiegand, im verwüsteten Hafen von Le Havre mit seinen Kameraden den Ausbruch von T 28 vor. Ein erster Versuch ist an der Unwucht einer Schraubenwelle gescheitert, wodurch das ganze Unternehmen noch mehr als ohnehin schon zur tödlichen Gefahr geworden wäre. Vom gescheiterten Attentat auf Hitler erfahren die Marinesoldaten per Funk. Jeder denkt sich seinen Teil. Karl Dönitz, der Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine und spätere Nachfolger Hitlers als Reichspräsident, hat der Marine befohlen, dass der militärische Gruß ab sofort durch den Hitlergruß zu ersetzen ist. Begleitet von Schnellbooten verlässt T 28 in der Nacht zum 22. Juli 1944 Le Havre. „Knochensammler“ nennen die Männer die Schnellboote. Sie sollen im Fall einer Versenkung von T 28 retten, was zu retten ist. Das Glück bleibt T 28 treu. Zwar kommt es noch in der Nacht zu einem Schusswechsel mit einem britischen Zerstörer und mehreren Schnellbooten, wobei auch das deutsche Boot schwere Treffer hinnehmen muss. Immerhin sind auch die Briten offenbar so schwer getroffen, dass sie das Gefecht abbrechen. Werner Wiegand wird mittlerweile als Artillerieoffizier eingesetzt. M it dabei ist jetzt auch ein „B-Trupp“ - Beobachter, unter anderem ein Anglistik-Professor, der den nun immer dichter werdenden Funkverkehr der britischen Jagdbomber übersetzt und oft sagen kann, wie die Piloten ihre Angriffskurven auf T 28 verabreden, um dabei nicht zu kollidieren. Das gibt den Verteidigern wertvolle Sekunden zum Ausrichten ihrer Flugabwehr. Vor Dover verlangt der Kanallotse: „Maschinen stopp!“ Werner Wiegand sieht das Mündungsfeuer der Küstenartillerie. Zehn Sekunden, dann Alliierte Beutestücke: Übrig gebliebene Zerstörer (links) und Torpedoboote der deutschen Kriegsmarine nach der Übergabe an die Alliierten am 10. Mai 1945 in Kiel. Fotos: privat/nh rauschen die mannsgroßen Projektile vor ihnen ins Wasser. Der Kanallotse ruft: „Jetzt Alle Kraft voraus Richtung Dover.“ Und wieder zurück. Und weiter. Und Maschinen stopp. Und Richtung Calais. Geschwindigkeit ändern. Entfernung ändern. Richtung ändern. Ohne Schäden, aber auch fast ohne verbliebene Munition erreicht T 28 Rotterdam, gerade noch rechtzeitig vor Eintreffen einer von England kommenden Staffel von Moskitos, schnellen Jagdbombern mit Bomben und Torpedos, von denen jeder einzelne T 28 tödlich treffen könnte. Das neue Ziel heißt nun Swinemünde. Immer wieder in Gefechte verwickelt, auch ein schweres vor Texel, erreicht das Torpedoboot nach Borkum und Cuxhaven durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostsee-Kanal), zunächst Kiel und dann Swinemünde. Jetzt, am 31. Juli 1944, wird so ein Ereignis noch mit Blasmusik, Blumensträußen, Ordensverleihungen und Flottenhelferinnen gefeiert. Wer- Truppen auf Kurland und Samland. Immer öfter werden mit den verbliebenen Booten nun Truppen und Flüchtlinge von Pillau nach Westen geschafft, auf die völlig überfüllte schmale Halbinsel Hela, nach Gotenhafen und weiter westwärts. A ls der schwere Kreuzer Lützow am 15. April 1945 bei Swinemünde von dem Volltreffer jener britischen Lancaster-Bomber versenkt wird, die angeblich auch schon die Edertalsperre in Nordhessen zerstörten, liegt T 28 daneben. Noch am Abend des 8. Mai 1945, die KapitulatiT 28 nach dem Durchbruch durch den Ärmelkanal. Unser Bild zeigt das on ist schon ausgesprovordere Geschütz. Es entstand auf dem Weg nach Borkum. chen, nimmt T 28 auf Hela 1250 deutsche Soldaner Wiegand hat Glück. Hans eingesetzt, versenkt kurz vor ten auf und fährt mit ihnen Temming, sein „Kaleu“, ver- Kriegsende südlich von Rönne nach Kiel. In Kiel-Eichhof, derhindert seine Abberufung zu sogar noch sechs russische selben Kaserne, wo er 1942 als den U-Booten. Schnellboote. Als die Ostfront Reserve-Offiziersanwärter anT 28 wird nun im gesamten heranrückt, beschießen T 28 gefangen hat, endet für WerOstseeraum, wie ursprünglich und andere Kriegsschiffe die ner Wiegand der Krieg - in kakonzipiert, als Geleitschutz heranrückenden russischen nadischer Gefangenschaft. DER WEG DES TORPEDOBOOTES T28 LETTLAND DÄNEMARK Nordsee Kopenhagen Kiel Borkum GROSSBRITANNIEN Texel London NIEDERLANDE Kurland SCHWEDEN Ostsee Bornholm Rönne LITAUEN Kurisches Halbinsel Haff Hela Pillau Samland Königsberg Gotenhafen NordOstseeCuxhaven Kanal Swinemünde Danzig Frisches Haff Berlin Rotterdam Dover Landung der Alliierten am 6.6.1944 al Ärmelkan Calais BELGIEN Boulogne Le Havre Cherbourg LUX. Normandie Hier nahm die Geschichte von Werner Wiegand auf T28 ihren Ausgang. Paris FRANKREICH POLEN DEUTSCHES REICH Prag TSC Riga HECH O S L O WA KEI Wien 200 km HINTERGRUND Kriegsmarine setzte auf U-Boote Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann schon bald die Wiederaufrüstung Deutschlands. Ein Flottenabkommen mit Großbritannien im Jahr 1935 erlaubte – unter Verstoß gegen Festlegungen im Versailler Vertrag – den Aufbau einer Flotte von 35 Prozent der britischen Überwassertonnage. Die jetzt Kriegsmarine genannten Streitkräfte sollten nach Hitlers Plan eine große Zahl neuer Schiffe erhalten, darunter Schlachtschiffe, Flugzeugträger und viele U-Boote. Als das Linienschiff Schleswig-Holstein am 1. September 1939 das Feuer auf die Danziger Westerplatte und damit den Zweiten Weltkrieg eröffnete, waren Hitlers Pläne bei weitem noch nicht umgesetzt. Da auch die Schlachtschiffe Graf Spee (1939 in der Mündung des Rio de la Plata), Blücher (1940 in Oslo-Fjord) und Bismarck (1941 im Nordatlantik) früh versenkt wurden, verlegte sich die deutsche Kriegsmarine vermehrt auf den U-BootKrieg, maßgeblich forciert durch Admiral Karl Dönitz. Trotz anfänglicher Erfolge, die Großbritannien zeitweise in eine Versorgungskrise brachten, gelang es aber nicht, den Gegner mit U-Booten in die Knie zu zwingen. In den letzten Kriegswochen beteiligte sich die Marine maßgeblich an der Rückführung deutscher Truppen und ziviler Flüchtlinge über die Ostsee. Zusammen mit der Handelsmarine und unter erheblichen Verlusten – allein die Versenkung der Wilhelm Gustloff kostete über 9000 Menschenleben – gelang es, über zwei Millionen Menschen vor der Roten Armee zu retten, die größte Evakuierung in der Geschichte der Menschheit. Die Deutsche Kriegsmarine verzeichnete im Zweiten Weltkrieg fast 50 000 Gefallene und 100 000 Vermisste. (Quelle: wikipedia, dhm) Nach dem Krieg ging’s in die Schule Werner Wiegand kam schnell zurück nach Hause W erner Wiegand (89) wurde 1924 in Kassel geboren und wuchs im Kreis Schmalkalden auf. Vor dem Krieg in der Lehrerbildungsanstalt in Großkrotzenburg (Main-Kinzig-Kreis, Hesssen) setzte Wiegand nach dem Krieg seine Laufbahn als Lehrer fort und baute schließlich ab 1963 die Gesamtschule im nordhessischen Immenhausen als Rektor mit auf. Wiegand, der nach dem Krieg heiratete und Vater zweier Kinder wurde, kam schon wenige Monate nach Kriegsende aus der Gefangenschaft in die nordhessische Heimat seiner Familie zurück. Von einem Zug im nordhessischen Hümme abgesprungen, wurde es ein letztes Mal im Reinhardswald für ihn brenzlig, als ihn am späten Abend vorbeifahrende US-Soldaten erspähten. „Nach Gottsbühren zu meiner Großmutter“, radebrechte der junge Leutnant zur See (sein letzter Dienst- Werner Wiegand lebt heute im nordhessischen Immenhausen. Foto: Pézsa rang), als ihn die Amerikaner nach seinem Ziel fragten. T 28 wurde nach dem Krieg der französischen Marine übergeben, wo das Boot bis 1952 unter dem Namen „Lorrain“ im Einsatz war. 1959 wurde es verschrottet. (tpa)