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Liebe Eltern und Lehrer, sehr geehrter Herr Wiegand und – natürlich- liebe Freunde und
Mitabiturienten!
Zuallererst muss ich ein Geständnis ablegen: Meine Begeisterung hielt sich doch sehr in
Grenzen, als ich erfuhr, wem die diesjährige Abirede vergönnt ist. Mein erster Gedanke war:
warum habe ausgerechnet ich diesen Preis bekommen? Aber mein nächster Gedanke war
noch um einiges beunruhigender: Oh nein, ich muss eine Rede halten, die allen Ansprüchen
der hier Anwesenden gerecht wird.
Zum einen ist da Herr Wiegand, der wohl mit nichts zufriedener wäre, als möglichst viele
lateinische Zitate in meiner Rede zu hören. Dann die Lehrer, die sich eventuell – rückblickend
an die zwei vergangenen Jahre – über ein paar nette Geschichten aus dem Schulalltag freuen
und sich so vergewissern können, dass aus uns doch noch was geworden ist. Den Eltern –
und vor allem meinen Eltern - unterstelle ich jetzt einfach mal, dass sie mit fast allem
zufriedengestellt sind, was hier oben gesagt wird, da sie sowieso stolz auf uns sind. Und
meine Mitschüler kann ich vermutlich am ehesten damit beglücken, wenn ich ihnen sage,
dass ich keineswegs vorhabe, für allzu lange Zeit hier oben zu verbleiben, sondern mich
möglichst schnell wieder unten in die Menge setzen will.
Ich werde es kaum schaffen, all dies zu berücksichtigen, also musste ich mir einen neuen
Plan ausdenken: Von der Scheffelpreisträgerin oder dem Scheffelpreisträger wird allgemein
erwartet, dass er oder sie Bezug zu etwas Literarischem nimmt. Ich hatte mich von dieser
Angabe distanziert, aus Angst, dass dies meine Rede versteift oder in die Länge zieht. Aber
durch Zufall bin ich auf eine Geschichte gestoßen. Es ist meine Lieblingsgeschichte, sie ist ein
bisschen kitschig und vielleicht auch zu schön, um wahr zu sein, aber ich muss sie einfach
erzählen. Sie heißt „Das Mädchen im Wunderland“.
Es war einmal ein Mädchen – so um die 13 Jahre alt – das in einer Welt lebte, die eigentlich
ganz schön war. Doch irgendwie fühlte sich das Mädchen nicht wohl in dieser Welt. Das
Mädchen kannte außerdem ein paar Mädchen, die aus einer anderen Welt stammten, und
diese Mädchen waren ihm die aller aller Liebsten. Als diese vorschlugen: Komm doch zu
uns!, da konnte das Mädchen an nichts anderes mehr denken, als an dieses Land, das ihm
wie ein Wunderland vorkam.
Zum Glück gab es in dem Wunderland eine gute Fee, die von dem kleinen Mädchen hörte
und eine Audienz bei dem großen und mächtigen König, der das Land regierte, erreichte.
Zusammen mit den Eltern des Mädchens versuchten sie den König zu überzeugen. Aber der
König war sich nicht sicher, ob er das Mädchen in seinem Land aufnehmen konnte, denn es
gab ein Problem: das Mädchen sprach die Sprache des Landes nicht, denn man sprach
Latein. Schließlich stellte der König eine Aufgabe: lerne in den nächsten drei Wochen die
Sprache und komme anschließend wieder zu mir.
Und das Mädchen lernte, weil es tief in seinem Herzen wusste, dass es die richtige
Entscheidung sein wird. Und tatsächlich: der König erlaubte den Wechsel ins Wunderland.
Die gute Fee lehrte dem Mädchen zweimal die Woche Latein, damit es mit den anderen
mithalten konnte und die anderen Mädchen gaben ihm alle wichtigen Unterlagen, die es
auch noch können musste.
Das Leben im Wunderland hätte sich das Mädchen nicht schöner vorstellen können, auch
wenn es zu Anfang ein bisschen überfordert war. Zum Beispiel waren die Toiletten im
Wunderland genau andersherum angeordnet wie in ihrem alten Land. So fand sich das
Mädchen des Öfteren im Jungsklo wieder. Und außerdem gab es ja so viele neue Menschen.
Immer wieder hatte das Mädchen Angst, auch in diese Welt nicht hineinzupassen. Aber die
Jahre gingen ins Land und irgendwann merkte niemand mehr, dass das Mädchen nicht von
Anfang an zu ihnen gehört hatte.
Das kleine Mädchen erlebte die schönsten Jahre seines Lebens und jetzt, da es selbst und
alle seine Mitschüler in eine noch größere und unbekannte Welt entlassen werden; weiß es
eines sicher: egal was die Zukunft auch bringt, diese fünf unglaublichen Jahre mit den vielen
tollen Menschen ist das Beste, was mir je passiert ist.
Ich denke an diese Geschichte, wenn es mir gut geht, aber auch, wenn ich mal am
Verzweifeln bin. Sie zeigt mir vor allem eines: Wenn du etwas wirklich willst und es
Menschen gibt, die dich dabei unterstützen, dann gibt es einen Weg, dein Ziel zu erreichen.
Das hört sich jetzt wahrscheinlich eher nach einem Spruch aus einem Motivationsbuch oder
– noch viel schlimmer- wie einer der gut gemeinten Ratschläge unserer Eltern an. Aber mich
hat diese Erkenntnis die letzten Jahre begleitet und ich wünsche es wirklich jedem, dass auch
er einmal dieses Gefühl erleben kann: Zu wissen, dass es die richtige Entscheidung war, sich
für etwas einzusetzen und dafür zu kämpfen.
Mittlerweile bin ich froh, diese Rede halten zu dürfen, denn sie hat mir die Möglichkeit
gegeben, wirklich alle zu erreichen, denen ich auch etwas zu erzählen habe. Seien es meine
Lehrer, mein Schulleiter, meine Eltern oder meine Mitabiturienten.
Ich bin in den letzten 5 Jahren und genau 4 Monaten immer gern in diese Schule gegangen:
es war relativ oft wegen der Lehrer, seltener wegen des Unterrichts und dem Wissen, für die
nächsten 45 Minuten Matheaufgaben zu rechnen, lateinische Texte zu übersetzen oder den
Coopertest zu laufen, und wirklich nie wegen der Arbeiten, Tests und Klausuren. Der einzige
Grund, warum ich jeden Tag in dieser Schule genossen habe, waren meine Freunde und
Mitschüler. Mit manchen haben wir schon seit vielen Jahren zusammen die Schulbank
gedrückt, über lange Schultage und unangekündigte Tests gestöhnt, uns gegenseitig
motiviert und unterstützt. Andere sind uns erst in den zwei letzten Jahren richtig ans Herz
gewachsen.
Vielleicht bin ich nicht allen Ansprüchen an diese Rede gerecht geworden, aber mein
Anspruch hat sich mehr als erfüllt. Denn in Wahrheit hätte ich das Gesagte in genau einem
Wort zusammenfassen können. Ein Wort hätte für mich völlig ausgereicht: DANKE
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