ZOOLOGISCHER GARTEN Zeitschrift für Besucher Zoologischer Garten Magdeburg MAGDEBURG Ausgabe 6 | 2011 I SS N 1 8 6 2 - 6 2 9 7 VORWORT Vorwort Nach dem Jubiläumsjahr “60 Jahre Zoo Magdeburg“ und dem Abschluss der ersten Großbauvorhaben gilt für unsere Besucher in diesem Jahr erst einmal das Neue zu entdecken und zu genießen. Mit Eröffnung unseres neuen Eingangs, der Zoowelle, der Südamerika-Anlage für Tapire und Nasenbären sowie Africambo 1 für unsere Spitzmaulnashörner und zahlreiche vergesellschaftete afrikanische Huftierarten, hat der Zoo heute bereits ein ganz anderes Gesicht bekommen und erfreulicherweise ist der Zuspruch unserer Besucher spürbar. Das Jahr 2010 hat uns, trotz schwerster Wetterkapriolen, ein leichtes Besucherplus gegenüber 2009 beschert. Zufrieden können wir damit aber nicht sein, da wir uns mehr erhofft hatten. Dieses ist nur zu verständlich, denn wir haben ein ehrgeiziges Projekt, die Umsetzung der „Visionen 2006+“ begonnen und wir wollen zeigen, dass die Investitionen unserer Gesellschafter sowohl wirtschaftlich, als auch unseren ideellen Zielen folgend gut angelegt sind. Eine Besucherumfrage, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres durchgeführt wurde, zeigt sehr deutlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Gesamtzufriedenheit unserer Besucher rangiert auf einer Skala von 1 bis 10 bei 8, was einem „bin gut zufrieden“ entspricht. Unsere Besucher stammen nach der Umfrage - wie zu erwarten - zu rund 2/3 aus dem Großraum Magdeburg/ Sachsen-Anhalt. Jedoch bereits 16 % der Besucher kommen aus dem östlichen Niedersachsen, was eindeutig auch auf das tagestouristische Potential unseres Zoos hinweist. In diesem Jahr werden wir uns mit den Bautätigkeiten etwas zurückhalten, obwohl es nur kurz gilt, einmal durchzuatmen um sich bereits den nächsten „großen“ Vorhaben intensiv zu widmen. Das Menschenaffenhaus mit seinen Außenanlagen, der neue Besucherparkplatz, eine große Zoogastronomie, ein Gebäude für unsere Mitarbeiter und Africambo 2 mit den Elefanten stehen in diesem Jahr auf unserer Tagesordnung zur Bearbeitung. Aber auch die kleineren Bauprojekte im Zoo werden Sie begeistern. Besonders gespannt bin ich auf die neue, für Besucher begehbare Voliere mit Sittichen im Nordbereich des Zoos. Mit großzügiger Unterstützung des Zoofördervereins können wir dieses Highlight noch in diesem Jahr realisieren. Eine Mitgliedschaft im Zooförderverein ist mit die beste Möglichkeit seine enge Verbundenheit zu unserem Zoo zu zeigen, sich einzubringen und uns tatkräftig zu unterstützen. Unser Tierbestand wächst zusehends. Neue Arten sind eingezogen, die erstmalig in Magdeburg gehalten werden, wie Streifenhyänen, Schopfhirsche (einen ersten Erfahrungsbericht erhalten Sie ab Seite 4), Siedleragamen, Spaltenschildkröten oder Langschnauzen-Kaninchenkängurus, um nur einige zu nennen. In diesem Jahr werden z.B. mit den Pennantsittichen in der für Besucher begehbaren Voliere oder mit den dämmerungsaktiven Grabfröschen im Nashornhaus wieder weitere neue Arten zu bewundern 2 sein, so dass nicht nur die Tieranzahl, sondern auch die Artenvielfalt in unserem Zoo weiter zunimmt. Und sie wird auch zukünftig immer weiter steigen, wenn die oben beschriebenen Baumaßnahmen realisiert werden. Die natürlich vorkommende Artenvielfalt war vor kurzem Thema einer Jahreskonferenz der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP), die in diesem Jahr bei uns in den Räumlichkeiten der Zoowelle mit rund 100 Teilnehmern stattgefunden hat. Ich freue mich besonders, dass der 1. Vorsitzende der ZGAP, Roland Wirth, unseren Lesern seine Sichtweise zur derzeitigen Situation des globalen Natur- und Artenschutzes offenbart. Roland Wirth ist einer der anerkanntesten Artenschützer Deutschlands, international hoch geachtet und ist u.a. Preisträger der Bruno H. Schubert Stiftung für herausragende Leistungen auf dem Gebiet des praktischen Natur- und Umweltschutzes. Sein Gastkommentar hat es sprichwörtlich in sich, wenn bedacht wird, dass die nackten Zahlen zur Artenvielfalt weiterhin erschreckend sind. 21 % aller bekannten Säugetier-, 30 % aller Amphibien und 70 % der erfassten Pflanzenarten sind beispielsweise akut von der Ausrottung bedroht. Entgegen der bisher anvisierten Ziele der Weltgemeinschaft ist die Tendenz weiter steigend. Nun muss sich beweisen, ob die auf der Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya 2010 nach einem äußerst zähen und zeitweise dramatischen Verhandlungsmarathon erzielten Ergebnisse für den Schutz der biologischen Vielfalt tatsächlich greifen. Das Paket besteht aus einer insgesamt ambitionierten Naturschutzstrategie bis 2020, einer Einigung auf einen verbindlichen Vertrag gegen Biopiraterie (ABS-Protokoll) und einem Plan zur Bereitstellung von Finanzen für Entwicklungsländer. INHALT Umso wichtiger erscheint es uns daher, den Zoobesuchern deutlich zu machen, wie unvernünftig der Mensch mit der Artenvielfalt auf unserer Erde umgeht und dass es (noch) nicht zu spät ist, das Steuer für unsere Kinder und Enkelkinder zum Erhalt der Biodiversität herumzureißen. Ein hoffnungsfrohes Beispiel stellen wir Ihnen in der Mitte des Heftes vor – den erfolgreichen Kampf zweier kleiner chilenischen Orte gegen drei geplante Kohlekraftwerke, deren Bau nicht nur die Lebensgrundlage der freilebenden Humboldt-Pinguine, sondern auch der Menschen in der Region auf`s Massivste bedroht hätte. Wir werden nicht müde, nicht nur für einen interessanten und erlebnisreichen Zoo zu arbeiten, sondern auch engagiert für die Artenvielfalt und deren Erhalt zu werben. Es gibt noch viel zu tun, packen wir’s (gemeinsam) an! Ihr Kai Perret Inhalt TIERGESCHICHTEN Seite 4 Ein neuer Hirsch am Platze – fernöstlicher Zuwachs in der Huftiersammlung Seite 6 Zum Bau von Baumnestern durch Nasenbären im Zoologischen Garten Magdeburg PORTRAIT Seite 9 Die „Elefantenpflegerin“ – Sonja Kratzke WISSENSCHAFT Seite 12 Afrikanische Stromschnellenfrösche: unbekannte Vielfalt im Sprühnebel AKTION NATURSCHUTZ Seite 15 David gegen Goliath auf chilenisch DEM BESUCHER ABGELAUSCHT Seite 24 Der Japan-Serau – Ein geheimnisvoller Bergbewohner GASTKOMMENTAR Seite 27 Problemwölfe, Tierbabys in Zoos und die Folklore von „Freiheit oder Tod“ In den Zoo zurückgekehrt: Der Jungfernkranich 3 TIERGESCHICHTEN Ein neuer Hirsch am Platze – fernöstlicher Zuwachs in der Huftiersammlung Konstantin Ruske Um einen vielfältigen Tierbestand angemessen zu präsentieren, konzipieren Zoos bereits seit Längerem etwa geographische oder lebensraumtypische Komplexe, in denen sich dann sehr unterschiedliche Vertreter aus der jeweils dargestellten Lebensgemeinschaft finden. So wird durch Abwechslung und bewusst starken Unterschieden zwischen Anlagennachbarn immer wieder neu die Aufmerksamkeit entfacht, die der einzelnen Tierart gebührt. Dementsprechend wurde unser asiatischer Raubtierbereich auch durch Tiere wie chinesische Zwergmuntjaks, Zwergmuntjak-Jungtier auf der heutigen Schopfhirschanlage zeitweise Blauelstern und seit 2010 Landschildkröten aufgelockert. In Zukunft soll dieses Prinzip verstärkt werden. Gerade die Muntjaks, die für den angrenzenden Sibirischen Tiger geruchlich und akustisch (die typischen Lautäußerungen führten auch zu der Bezeichnung „Bellhirsch“) interessant waren, bildeten für den Besucher einen Aufsehen erheischenden Kontrast zur größten Katze der Welt. Wenn sich die Zwerghirsche allerdings einmal nicht an Wassergraben oder Futterlaubplatz aufhielten, waren sie auf der recht tiefen Anlage nur recht schwer zu beobachten. Als im Norden des Zoos eine der Größe der Tiere etwas angemessenere Anlage frei wurde, entschlossen wir uns zum Umzug dieser in 4 Schopfhirsch mit Eckzähnen Magdeburg traditionsreichen Art. Ersetzt werden sie seit 26.10.2010 durch ein Paar der in Deutschland sonst nur im Tierpark Berlin und im Tiergarten Heidelberg gezeigten Ostchinesischen Schopfhirsche (Elaphodus cephalophus michianus). Diese ebenfalls in die Familie der Muntjakhirsche gehörenden Paarhufer mit von silbern bis schokoladenbraun changierendem Fell sind deutlich größer (Schulterhöhe bis 70 cm) und durch signalhafte weiße Abzeichen an Ohren und Hinterteil auch in der Entfernung besser auszumachen. Auch bei ihnen trägt der Bock als Relikt ursprünglicher Verwandschaft Eckzäne, die im Rivalenkampf zum Einsatz kommen. Das sehr schwach entwickelte, eigentlich nur aus zwei kurzen Stangen bestehende Geweih, das im namensgebenden Schopf verborgen ist, taugt dafür nicht. Im Freiland in China und Burma schätzt man den Bestand auf 300.000 bis 500.000 Tiere, allerdings ist von einer steten Dezimierung der Art durch die in diesen Regionen aktuell massive Bejagung auszugehen. In Europa beträgt der Zoobestand derzeit 15 Tiere, in den USA etwas über 60 Exemplare, dort allerdings in der Nominatform. Die Haltung dieses Kleinhirsches in Europa ist eng mit dem Zoo Rotterdam verknüpft, der Anfang der 90er Jahre zwei Paare der Unterart michianus aus dem Zoo Shanghai importierte. Dazu kamen 1997 noch einmal 5,1 Tiere aus US-amerikanischer Zucht über den Bronx-Zoo in den Tierpark Berlin (Dieser hatte 1985 mit der Art die Welterstzucht außerhalb der Heimatländer, als ein Paar für San Diego dort in Quarantäne stand.). Aus dem „Re(h)“-Import gelangte auch ein Bock nach Rotterdam, der zusammen mit den Shanghaier Tieren dort die Basis für den heutigen Bestand in Europa bildete TIERGESCHICHTEN (POHLE 1989, 1995, 1996, 1998, 2005). So bezogen auch wir unser Weibchen „Petra“ vom Zoo Rotterdam. Gemeinsam mit ihrem ihr zugedachten Partner, der im Zoo Twycross (GB) geboren wurde, verbrachte sie zunächst 12 Tage im Stall, um mit ihm als Rückzugsort vertraut zu werden. Bereits dabei zeigte sich ein deutlicher Unterschied im Charakter der beiden. Ist zwar auch „Petra“ mittlerweile ruhig und abwartend in Anwesenheit der Pfleger, so reicht sie doch keinesfalls an die Zutraulich- „Lebendes Stück Seife“ - Schopfhirsch im Sprung keit des kleinen Briten heran. Schon der Transporteur berichtete fasziniert beim Eintreffen in Magdeburg, wie der sehr zahme Hirsch ohne Zwang und Druck von den englischen Kollegen in die Kiste gestreichelt worden war. Auch unseren Pflegern fraß er nach kurzer Zeit aus der Hand, lässt sich berühren und unternimmt bei Reinigungsarbeiten kleine Spaziergänge auf dem Stallgang (über ähnliche Zutraulichkeit berichten die Heidelberger Pfleger von ihren Schopfhirschen). Ob seines neugierigen und unerschrockenen Verhaltens lag es für uns nahe, dass, sollte es beim Kennenlernen der Freianlage und ihrer Grenzen in erster Exploration vielleicht zu einem Ausbruch kommen, es sicherlich den Bock betreffen würde. Vorsorglich wurde der Wassergraben am tierseitigen Ufer mit mehreren Flatterbändern markiert – die ersten fünf Tage lang durchstreiften auch beide Schopfhirsche komplikationslos ihr neues Revier. Am sechsten Tage erreichte mich ein Anruf des Bereichsleiters während eines Termins in der Stadt: „Im Gehege befindet sich nur noch ein Schopfhirsch und Besucher haben im Vorpark ein Reh gesehen!“ Schlimmste Vorstellungen taten sich auf, und wir hofften, dass das Tier zumindest nicht aus dem Zoogelände gelangt war. Am Schauplatz angekommen, war es immer noch auf freiem Fuß – und es war das scheue Weibchen! Glücklicherweise sprengte es nicht quer über die großen Wiesenflächen, sondern drückte sich artgemäß in den dichten Rhododendronbüschen herum. Versuche, es über Wirtschaftswege ins Gehege zurück zu treiben, misslangen. Im hoppelnden Galopp durchbrach es die Treiberkette Richtung neuem Nashornhaus, „fing“ sich erfreulicherweise jedoch selbst in einem nach drei Seiten abgeschlossenen Pflanzstreifen hinter dem Vogelhaus. Die kaum drei Meter breite offene Seite wurde nun mit vier Kollegen „dicht gemacht“. Langsam näherten sie sich durch die Büsche dem Hirsch. Je näher sie kamen, umso unruhiger äugte das kleine Huftier nach einem Ausweg. Wohl spähte es Richtung Oberkante der umgebenden Zäune, aber ein Buschschlüpfer sucht nicht sein Heil, indem er sprichwörtlich Wände hochgeht, wie es zum Beispiel viele Antilopen in dieser Situation getan hätten. Auf zwei Meter ließ es uns herankommen, dann startete der vierbeinige Torpedo und schaffte es mit Bravour, wie ein Aal zwischen den Fängern hindurchzugleiten. Allein die zweite Kette Treiber hatte es nicht einkalkuliert. Ein Verzweiflungssprung nach vorn ließ es zufällig auf eine Tierpflegerin prallen, die dadurch zwar umgerissen wurde, aber beherzt das ob seines so glatten Fells „lebende Stück Seife“ packte und sich mit ihm auf dem Boden wälzte, es aber nicht los ließ! Zu Hilfe eilende Kollegen sicherten dann Beine und Rumpf und befreiten sie so von ihrer quicklebendigen Trophäe. Nach Rückführung der Tiere in den Stall war auch schnell die Ausbruchsstelle gefunden. Der vor Jahren zum Sumpfbeet umgestaltete Wassergraben hatte nur noch eine Tiefe von rund 10 cm. Das Schopfhirschweibchen war bequem durch den Schlick zur äußeren Grabenmauer gelaufen und war über die Elektrodrähte gesprungen. In mühevoller Arbeit wurde daraufhin der Schlamm aus dem Becken herausgeholt und die maximale Grabentiefe wieder hergestellt. Erneute Ausbrüche blieben bisher aus, die Tiere sind nun tatsächlich eingewöhnt und wir hoffen auf baldigen Nachwuchs. Dank Mein Dank gilt Herrn Harald Schmidt, Kurator am Zoo Rotterdam, der mir für den Artikel freundlicherweise die Bestandsdaten der dort gehaltenen Schopfhirsche zukommen ließ. Quellen: POHLE, C. (1989): „Geburt eines Schopfhirsches im Tierpark Berlin sowie Angaben zu Gewicht und Geweihwechsel von Elaphodus cephalophus“; Der Zoologische Garten (NF) 59, S. 188-194. (1995): „Huftierhaltung und -zucht im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde in den ersten vier Jahrzehnten seines Bestehens“; Milu Bd.8, Heft 3/4, S. 415-451. (1996): „Jahreszeitliche Verteilung der Cerviden - Geburten im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde“; Milu Bd.8, Heft 6, S.698-705. (1998): „Schopfhirsche im Tierpark Berlin- Friedrichsfelde“; Takin 7 , Heft 2, S. 16-18. (2005): „Zehn Jahre danach: Die Entwicklung des Huftierbestandes im fünften Jahrzehnt des Tierparks Berlin“; Milu Bd. 11, Heft 4, S. 396-416. 5 TIERGESCHICHTEN Zum Bau von Baumnestern durch Nasenbären im Zoologischen Garten Magdeburg René Driechciarz und Konstantin Ruske Die Geschichte der Zoologischen Gärten ist von Anfang an ein Prozess der steten Weiterentwicklung, des Gewinnens und Beachtens neuer Einsichten und Kenntnisse, mithin ein ständiges Suchen nach Verbesserung in der Haltung jeder Tierart. So ist auch die Planung und der Bau neuer Tieranlagen eigentlich immer getragen von dem Wunsch, nicht nur attraktivere Schaubereiche für die Besucher zu schaffen, sondern auch für die Bewohner den Lebensstandard weiter zu heben. Ein schönes, wenn nicht wertvollstes Zeichen für den tiergärtnerischen Erfolg einer neuen Anlage ist die Beobachtung von Verhaltensweisen, die unter den alten Haltungsbedingungen nicht zu beobachten waren, obwohl sie von dieser Tierart aus dem Freiland bekannt sind. Dies ist bei unserer Gruppe Roter Nasenbären (Nasua nasua) der Fall, die nach Bezug der neuen SüdamerikaAnlage mit dem Bau von Baumnestern begannen. Da dieses Verhalten in der deutschsprachigen Literatur nur wenig im Detail beschrieben ist, sollen im Folgenden Einzelheiten aus der Saison 2010 geschildert werden. In wechselnden, für Kleinraubtierhaltung typischen Käfiganlagen werden Nasenbären seit 1970 (SCHRÖ- Tapire und Nasenbären auf der Südamerika-Anlage 6 Nasenbären auf der Stieleiche PEL, 2000) im Zoo Magdeburg gezeigt. Die robusten und anspruchslosen Zootiere (Erstzucht 1972) entwickelten sich auch unter diesen herkömmlichen Bedingungen gut. Von der Befriedigung der Grundbedürfnisse kann zweifelsohne ausgegangen werden. Am 14.9.2009 siedelte die aus 5,1 Tieren bestehende Nasenbären-Gruppe in die neu errichtete Anlage, die verschiedene südamerikanische Urwald- und Grasland-Bewohner in naturnahem Lebensraum präsentieren will (PERRET & KÖGLER 2010). Den Nasenbären stehen dabei zwei Innenkäfige a 16 qm sowie die 2000 qm große, reich mit lebenden Bäumen bestückte Außenanlage zur Verfügung. Sind auch einige der besonders wertvollen Bäume (z. B. fruchtspendende Mirabellen (Prunus domestica subsp. syriaca), gegen das Beklettern durch die Nasenbären geschützt, bleiben doch insgesamt 8 Starkbäume der Arten Sommerlinde (Tilia platyphyllos), Weißdorn (Crataegus monogyna), Spitzahorn (Acer platanoides), Hainbuche (Carpinus betulus), Birke (Betulaceae), Trauerweide (Salix babylonica), Stieleiche (Quercus robur), Esche (Thymallus thymallus) (wenn freistehend wegen glatter Rinde gemieden) als Betätigungsfeld, Ausguck und eben auch Schlafplatz in voller Höhe für die Kleinbären erreichbar. Da die Tiere nur zu zwei Kontrollfütterungen täglich, die gleichzeitig ein regelmäßiges Einsperren trainieren, kurzfristig ins Haus geholt werden, haben sie viele Stunden Zeit, sich geeignete Astgabeln als Ruheplätze auszusuchen. Dies geschieht auch bei nur wenigen Plusgraden und bevorzugt im Sommer über Nacht. Und ist es bereits ein Erlebnis, die oft erwähnte Behändigkeit der Nasenbären beim Balancieren über dünne Äste in 16 m Höhe zu beobachten und sich über die wie Baumschmuck verteilten Fellknäule in unterschiedlichen Etagen zu freuen, so waren die ab Juni 2010 registrierten Nester eine wei- TIERGESCHICHTEN Kleines Nest auf der Hainbuche tere Bestätigung der artgerechten Haltung in der neuen Südamerika-Anlage. Auch im lateinamerikanischen Raum, in dem sich die natürlichen Verbreitungsgebiete der Gattung Nasua befinden, ist bisher wenig zu diesem für Kleinraubtiere außergewöhnlichen Verhalten publiziert worden. Umso interessanter sind für uns Vergleiche mit Daten aus dem Freiland, die OLIFIERS et. al. (2009) gewannen. Wie im brasilianischen Pantanal beobachtet, werden die Nester auch bei uns für zwei Zwecke gebaut und genutzt. Zum einen sind es bloße Schlafnester, zum anderen Zufluchts- und Aufzuchtsort für werfende Mütter und ihre heranwachsenden Jungtiere. Während andere Arten gleichen oder ähnlichen Ökotyps vor allem bereits bestehende geschützte Schlafbereiche wie Baumoder Felsenhöhlen beziehen, bildete sich bei Nasenbären die Verhaltensweise des freien Nestbaues heraus. Diese alternativ opportunistische Verhaltensweise gibt den Nasenbären die Möglichkeit, eine vagabundierende Lebensweise innerhalb ihrer Territorien, die mehrere Quadratkilometer groß sein können, auszuüben. Darüber hinaus werden dadurch Konkurrenzsituationen mit anderen Raubsäugern wie z. B. dem Waschbär (Procyon lotor) insbesondere im Hinblick auf geschützte Schlafbereiche wie Baum- und Felsenhöhlen vermieden. Prinzipiell kann eine Nutzung von Baumhöhlen aufgrund der Gruppengrößen von bis zu 30 Weibchen sowie den sehr großen Würfen und den zur Verfügung stehenden Höhlen auch in den Regenwäldern Südamerikas und insbesondere den Savannen und Galeriewäldern eher ausgeschlossen werden. Aus den unterschiedlichen Nutzungen, die auch an die Geschlechter gebunden sind, resultieren differierende Bauweisen, wie wir bei unseren Tieren feststellen konnten. Unsere Männchen bogen als Unterbau in einer Astgabel (Aststärke mindestens 1 cm) dort wachsende Zweige zurecht. Auf diese wurde eine Auflage abgebissener und zurechtgedrückter Äste aufgebracht. Während die Außenränder taubennestartig eher liederlich ausgefranst waren, stellte sich der Innenteil mit einem Durchmesser von 25 - 50 cm als deutlich fester und kompakter dar. Die Nester werden, wenn möglich, regelmäßig neu angelegt, ältere aktiv entfernt. So wurden etwa am 22.6.2010 zwei neue Nester vorgefunden, zwei alte waren herunter geworfen. Am 27.6.2010 fand sich erneut ein frisches Nest, gleichzeitig war ein altes abgestoßen worden. Bereits am 8.7.2010 waren wiede- rum zwei neue Nester gebaut worden. Über Gründe für den häufigen Wechsel kann nur gemutmaßt werden. So könnten „zu lang“ genutzte Nester stärker von Parasiten befallen sein und/oder als Anlaufpunkt für potentielle Fressfeinde als „zu bekannt“ erscheinen. Das von unserem Weibchen zum Zwecke der Jungenaufzucht angelegte Nest wies demgegenüber wesentliche Unterschiede auf. Aus Gründen des Populationsmanagements ist sie das einzige weibliche Tier der Gruppe. Um die Belastbarkeitsgrenze unseres Weibchens nicht zu überschreiten, sind vier der fünf Männchen frühzeitig kastriert worden. Im Jahr 2010 war das Weibchen vom 2.4. bis 14.7.2010 von den Männchen getrennt im Innenstall, um dort in Ruhe zu werfen und ihre 5 Jungen über die ersten Wochen zu bringen. Auch im Freiland verbringen die Weibchen die erste Phase der Aufzucht außerhalb ihrer Gruppe (EMMONS, 1997). Unserer Bärin wurde am 14.7.2010 samt der Jungen wieder Zugang zur Außenanlage in Anwesenheit der Männchen gewährt. Am 20.7.2010 fiel ein sehr großes, von der Sonne gut beschienenes Nest in einer Trauerweide auf, das sie mit ihrem Wurf bezogen hatte. Das Konstruktionsprinzip entspricht dem der Schlafnester der Männchen, allerdings ob der umfangreicheren Dimension mit erheblich dickeren Astgabeln als Unterbau. Der Durchmesser dieses Nestes betrug rund 1,30 m, das Gewicht wurde mit 10 kg bestimmt. Solange sich die Jungen auf der Anlage befanden (Abgabe am 14.8.2010), war interessanterweise Nest auf der Trauerweide 7 TIERGESCHICHTEN Nasenbärin im Nest mit Jungtieren nur der Vater einige Male auf diesem Nest zu beobachten, nie jedoch die Kastraten. Dies spricht durchaus für individuelle Bindungen zwischen den Gruppenmitgliedern, die durch den bei einzelnen Rüden bestehenden Fertilitätsstatus erklärt werden könnte, wenngleich sie außerhalb des Schlafnestes den gleichen Futterplatz nutzen. Eventuell wurde auch durch das Fernhalten der Kastraten mögliches agonistisches Verhalten der „Nichtväter“ gegenüber den Jungen von der Mutter im Nest vermieden. Nach Abgabe der Jungen waren hin und wieder auch die Kastraten auf dem Nest, hauptsächlich jedoch das Zuchtpaar. Am 15.10.2010 wurde das Nest bei starkem Sturm vom Baum geweht und anschließend vermessen. Im Pantanal konnten OLIFIERS und Mitarbeiter (2009) Weibchennester mit einer durchschnittlichen Grundfläche von 49x38 cm und 45x45 cm nachweisen. Somit war unser Nest etwa doppelt so groß. Weißrüsselnasenbären (Nasua narica), deren Junge durch Kapuzineraffen (Cebus capucinus) bejagt werden (PERRY et. al. 1993), bauen sogar geschlossene Kugelnester, gelegentlich/häufig mit zwei Eingängen. Die Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen Gegebenheiten bezüglich vorhandener Bäume und Nistmaterialien sowie Erfordernisse, die aus Feinddruck resultieren, ist der gesamten opportunistischen Natur der Nasenbären folgend also extrem hoch. Die durchschnittliche Höhe der Nistplätze in den Bäumen liegt im 8 Pantanal bei 4,4 - 9,3 m (und höher), unser Aufzuchtsnest in der Weide war 7,5 m hoch, die Schlafnester der Männchen befanden sich in 8 - 12 m Höhe. Insgesamt freuen wir uns, dass die Bedingungen auf unserer neuen Anlage es den Tieren nun gestatten, dieses besondere und gattungstypische Verhaltensmuster zu zeigen, was ihren Komfort sicher erhöht. Mit Spannung erwarten wir die kommende (Zucht-)Saison und haben darüber hinaus wieder einen Anstoß erhalten, auch über die Bedürfnisse unserer scheinbar weniger anspruchsvollen Pfleglinge nachzudenken. Quellen: EMMONS, L. (1997): „Neotropical rainforest mammals: a field guide“, Chicago, The University of Chicago Press, S. XVI + 307 . OLIFIERS, N., BIANCHI, R. d C., MOURAO, G. d M. und M.E. Gompper (2009): “Construction of aboreal nests by brown-nosed coatis, Nasua nasua (Carnivora: Procyonidae) in the Brazil Pantanal”, Zoologia 26 (3), S. 571-574. PERRET, K. & KÖGLER J. (2010): „Tapir, Nasenbär und Co - eine „amazonische“ Wohngemeinschaft“, Felis News 2010, S. 11. PERRY, S. & L. ROSE (1993): “Begging and transfer of coati meat by Whitefaced capuchin monkeys (Cebus capucinus)”, Primates 35 (4), S. 409-415. SCHRÖPEL, M. (2000): „Im Zeichen des Luchses - 50 Jahre Zoo Magdeburg”, Chronik, Anlage XX. PORTRAIT Die „Elefantenpflegerin“ – Sonja Kratzke Björn Encke Fast jedes Unternehmen mit Tradition verfügt in den Reihen seiner Mitarbeiter über sogenannte Urgesteine – Kollegen, die seit vielen Jahren dabei sind, den Aufbau und die Entwicklung des Betriebes miterlebt und mitgeprägt haben. Sonja Kratzke ist das wohl bekannteste aktive „Urgestein“ des Magdeburger Zoos – und eines seiner markantesten obendrein. Als gelernte Geflügelwirtin trat sie am 1.9.1966 ihren Dienst als Tierpflegerin an, die Prüfung zum Zootierpfleger folgte einige Jahre später. Schon bald entdeckte sie im Umgang mit den in Magdeburg geborenen Schimpansenmännern Robi, Gando und Demu ihre Liebe zu den Menschenaffen, es sollte jedoch 20 Jahre dauern, bis sie als dann verantwortliche Revierleiterin bei den Menschenaffen ihre Erfüllung finden sollte. Zunächst unterbrachen Schwangerschaft und Babypause ihre berufliche Laufbahn, ohne freilich die Nähe zum Zoo zu verlieren – schließlich lebte sie mit ihrem Mann, dem langjährigen Zootierinspektor Ortwin Kratzke bis 2010 direkt auf dem Gelände, nur einen Steinwurf weit entfernt von „ihrem“ Revier im Norden des Zoos. Luchse, Adler und auch die europäischen Wildkatzen gehörten dazu. Als 1985 der Zoo einen Findlingswurf dieser seltenen und äußerst scheuen einheimischen Raubkatze aus dem Harz erhielt, war es Sonja Kratzke, die mit Hilfe einer Katzenamme die fünf Welpen aufzog. Mit ihnen gelang der Durchbruch bei der Zucht; zahlreiche Nachkommen Die glücklichste Zeit. Sonja Kratzke mit der jungen Nana in ihrem „Fahrzeug“ beim Zoospaziergang, 1988 Sonja Kratzke mit jungen Wildkatzen, 1985 der Magdeburger Wildkatzen konnten im Laufe der Jahre wieder ausgewildert werden. Dieser Erfolg konnte Sonja Kratzke nicht davon abhalten, ihren Traum von den Menschenaffen zu verwirklichen. Die Gelegenheit bot sich 1987 – im Jahr zuvor waren Robi, Gando und Demu abgegeben worden. Das völlig überalterte Affenhaus war keine zumutbare Unterkunft für erwachsene Schimpansenmänner. Die tiergärtnerische Entscheidung, auf die Haltung von Menschenaffen zu verzichten, wurde von der Öffentlichkeit jedoch keineswegs akzeptiert. Schließlich gab die Direktion dem Druck nach und übernahm das im niederländischen Rhenen geborene anderthalb-jährige Schimpansenweibchen Nana. Da sich die vormalige „Affenmutter“ Bärbel Engelhardt zu dieser Zeit selbst in Mutterschutz befand, war der Weg frei für Sonja Kratzke. Nana war noch ein Kind, nach drei Monaten bei der völlig überforderten Mutter hatten die holländischen Kollegen sie in die Handaufzucht überführen müssen. Um der jungen Schimpansendame eine möglichst gute Eingewöhnung zuteil werden zu lassen, stellte der damalige Direktor Wolfgang Puschmann Sonja Kratzke von allen übrigen Aufgaben frei, einziger Auftrag: die Pflege von Nana. Was folgte, war die glücklichste Zeit ihres Berufslebens. Die Tage vergingen mit Spaziergängen und Spiel mit der heranwachsenden Nana, am Abend wachte Sonja Kratzke an ihrem Schlafplatz im alten Affenhaus, bis die Kleine eingeschlafen war. „Kaum dachte man, jetzt schläft sie, und wollte sich ganz leise zurückziehen, hob sie den Kopf und protestierte. Wie bei einem Kleinkind am Bett saß ich oft Stunden lang, bis ich nach Hause konnte.“ Zwei Jahre nach Nana kam Wubbo, ein 4-jähriger Schimpansenmann mit einer traumatischen Kindheit. „Wubbo kam aus der AIDS-Forschung, ohne Schneidezähne, 9 PORTRAIT „Die Intelligenz dieser Tiere ist eine ständige Herausforderung. Einen guten Pfleger zeichnet aus, sich dieser Herausforderung täglich zu stellen.“ Es gibt in den Zoos nur wenige Tiere, die ihre Pfleger in dieser Beziehung so stark herausfordern, neben den Menschenaffen sind dies vielleicht noch Delfine und natürlich Elefanten. Und so wie der Mensch die Tiere prägt, mit denen er eng zusammen ist, so prägen auch die Tiere den Menschen. Nicht von ungefähr gibt es das geflügelte Wort in der Zoowelt: „Es gibt nur eins, was Doppelportrait einer inniglichen Beziehung. Sonja Kratzke und „ZiehTochter“ Nana, 1990 10 völlig verängstigt, ein gebrochener Affe.“ Sonja Kratzke hat auch ihn unter ihre Fittiche genommen, hat ihn gepäppelt und versucht, ihm seine Ängste zu nehmen. Ein souveräner Schimpansenmann ist Wubbo nie geworden, Sonja Kratzke drückt es nur sehr viel schöner aus: „Er ist ein Gentleman, er lässt Nana den Vortritt.“ Allein, wenn er einen für Schimpansen typischen cholerischen Anfall kriegt, geht sie ihm aus dem Weg, ansonsten ist Nana die Chefin, die Schlauere von beiden. Einmal hat sie sogar Sonja Kratzke ausgetrickst, es war der 1.5.2007. Sonja Kratzke öffnete die Tür zum Absperrkäfig, wähnte Nana auf der großen Anlage. Was sie nicht sah war, dass Nana sich – vollkommen entgegen aller Gewohnheiten - an der Decke hängend versteckt hatte. Erst als der Anruf kam, Nana sitze auf einer Mauer an der Zookasse und lasse sich fotografieren, fiel Sonja Kratzke auf, dass sie ausgebrochen war. Unverzüglich eilte sie zum Ort des Geschehens. Tatsächlich ließ sich Nana in alter Gewohnheit an der Hand zurück ins Menschaffenhaus führen, die Sache ging gut aus. Das Herz ist Sonja Kratzke erst in die Hose gerutscht, als Nana wieder in ihrer Anlage und eingesperrt war. Kommunikation gehört zum Geschäft, am Besten mit einem Lächeln. Sonja Kratzke klärt Besucher über den Sinn der Beschäftigung von Menschenaffen auf. Spaß mit Nana: Mit der Meldung, Nana telefoniere gerne mit anderen Schimpansen in den Zoos der Welt jagte der Zoo die Presse ins Bockshorn – nicht alle Pressevertreter fanden diesen Aprilscherz lustig, 1993 schwieriger ist als Elefanten, und das sind Elefantenpfleger.“ Dominanz, unbedingte Autorität und absolutes Selbstvertrauen sind hier – zumindest im direkten Kontakt – überlebenswichtig. Selbiges gilt sicherlich auch für Menschenaffenpfleger. Sowohl bei Elefanten als auch bei Menschenaffen rücken die Zoos nach und nach von einer Haltung im direkten Kontakt ab. Sonja Kratzke gehört einer Generation an, bei welcher der Ausdruck „ein Leben für und mit Menschenaffen“ noch wörtlich zu verstehen ist, die Entschärfung eines Menschenaffenausbruchs durch An-die-Hand-Nehmen wird es in Zukunft in Zoologischen Gärten kaum noch geben. Diesen Wandel sieht auch Sonja Kratzke, und sie sieht ihn mit Optimismus. „Wenn man sich heute ansieht, welche Möglichkeiten es gibt, die Tiere intelligent zu beschäftigen, sie zu fordern und zu fördern, dann ist das schon enorm.“ Was sie sich wünscht für die zukünftige Pfleger-Generation? Mehr Offenheit zwischen den Zoos, die Möglichkeit, in anderen Betrieben Erfahrung zu sammeln und sich auszutauschen. Und für Wubbo und Nana? Dass es ihnen gut geht, sie nach Möglichkeit doch noch mit anderen Schimpansen zu einer intakten Gruppe zusammengeführt werden, und wenn dies in PORTRAIT Für die artgerechte Haltung von hochintelligenten Tieren ist der regelmäßige Einsatz von Beschäftigungsmitteln unerlässlich. Wubbo beim Werkzeuggebrauch - mit Hilfe eines Stöckchens pult er die im „Rosinenholz“ versteckten Leckereien heraus. Magdeburg nicht möglich ist, vielleicht auch anderswo. Es sind Tierpersönlichkeiten, und es sind menschliche Persönlichkeiten, die das Schicksal und Geschick eines Zoos prägen, für Nana und Wubbo und Sonja Kratzke gilt dies in besonderem Maße, in guten wie in schlechten Zeiten. Und auch diese gab es in all den Jahren ihrer Tätigkeit, die Zeiten des Streites, der menschlichen Zerwürfnisse. Und wenn sie heute sagt „die Frage, was am Ende wichtiger ist, Affen oder Freundschaft, dann ist das für mich keine Frage: natürlich die Affen“, dann zeugt dies zwar von eher vernarbten denn verheilten Wunden, und doch wird es verständlicher, wenn man versteht, woher es kommt. „Sonja war immer eine sehr lebenslustige Frau“, erinnert sich eine Kollegin, „hilfsbereit, gewissenhaft, manchmal ein bisschen launisch oder auch ungeduldig. Wir haben doch alle damals den Beruf ergriffen aus tiefster Überzeugung und mit großem Enthusiasmus. Unser Leben war der Zoo.“ Durch Enthusiasmus befeuerter Idealismus bedingt starke Überzeugungen und die Bereitschaft, für diese zu streiten. Die Verbindung mit der Exklusivität des Mensch-Tier-Verhältnisses, wie sie zwischen Pf leger und hoch intelligentem Tier bestehen kann, bringt fast zwangsläufig jenen archetypischen „Elefantenpfleger“ hervor. Niemand wird für Nana jemals die Rolle Sonja Kratzkes einnehmen können, aber das muss auch nicht schlimm sein. „Ich weiß meine Schimpansen bei den Kollegen in guten Händen, wenn ich gehe“, es werden nicht ihre Hände sein, genauso wenig, wie irgendwelche Hände jemals Nana an der Hand mitten durch die Schar der Zoobesucher werden lotsen können, aber das sollte ohnehin besser nie mehr notwendig werden. Ende 2011 wird Sonja Kratzke den Zoo nach über 45 Jahren verlassen. Was danach kommt und wie es sich wohl anfühlen wird, darüber mag sie heute noch nicht spekulieren, allein ihre Rückschau steht, und sie steht für sie: „Ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben, ob es immer das Beste war, weiß ich nicht.“ Allmorgendliche Routine, die Säuberung der 250 qm großen Innenanlage der Schimpansen. Im Vergleich zu den 30 qm des alten Affenhauses bedeutete die Eröffnung des neue Menschenaffenhauses 2000 einen Quantensprung. Die geplanten Außenanlagen jedoch konnten aus Kostengründen nicht realisiert werden. Ihre Fertigstellung ist für 2013 geplant. 11 WISSENSCHAFT Afrikanische Stromschnellenfrösche: unbekannte Vielfalt im Sprühnebel Michael F. Barej & Mark-Oliver Rödel Museum für Naturkunde, Leibniz Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung an der Humboldt Universität Berlin, Invalidenstr. 43, D-10115 Berlin P. parkeri Weibchen In den Medien verweisen Schlagwörter wie „globaler Diversitätsverlust“ oder „weltweites Amphibiensterben“ regelmäßig darauf, dass viele Tier- und Pflanzenarten allgemein, ganz besonders aber Amphibien vom Aussterben bedroht sind. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen von der Zerstörung oder Umwandlung von Lebensräumen, der direkten Übernutzung (z.B. als Nahrungsmittel), über Krankheiten bis zum Klimawandel. Dem offensichtlichen Verlust an Arten steht, für manche Lebensraum der P. vulpiae in Kamerun 12 sicher überraschend, die stetig wachsende Zahl bekannter Arten gegenüber. So wurden in den letzten drei Jahren etwa 550 Amphibienarten wissenschaftlich neu, das bedeutet zum ersten Mal, beschrieben. Bekannt sind derzeit knapp 7000 Arten, vor 25 Jahren waren es 4500. Weitere Arten werden fast wöchentlich neu entdeckt oder sind bereits in den Sammlungen diverser Naturkundemuseen präsent und warten nun darauf, von den jeweiligen Spezialisten einen Namen zu bekommen. Dieser stetige Zuwachs an bekannten Arten liegt zum einen darin begründet, dass viele Gebiete bis heute wissenschaftlich nie oder nur oberflächlich untersucht wurden, zum anderen bieten moderne integrative Forschungsansätze durch die Verknüpfung vieler Methoden bessere Möglichkeiten, artspezifische Unterschiede überhaupt zu erkennen. So werden heute die traditionellen Methoden der Morphologie und Anatomie durch molekulare (Genetik) und bioakustische (Paarungsrufe der Frösche), aber auch ökologische und verhaltenskundliche Methoden ergänzt. Berücksichtigt werden auch nicht mehr nur die adulten, ausgewachsenen Stadien, sondern oft auch die Larven und deren Merkmale und Biologie. Denkt man an die Vielfalt (Diversität) tropischer Frösche, hat man oft bunte Pfeilgift- oder Baumfrösche vor Augen, dabei zeichnen sich aber gerade die weniger auffällig gefärbten Arten häufig durch eine besonders interessante Biologie aus. Insbesondere beeindruckt dabei bei den Amphibien die fast grenzenlose Vielfalt an Fortpflanzungsstrategien. Zu den augenscheinlich „wenig attraktiven“ Fröschen gehören auch die Arten der Gattung Petropedetes. Es handelt sich hierbei um recht einheitlich, bräunlich gefärbte, mittelgroße Frösche (die größten Vertreter erreichen bis zu 7,5 cm Körperlänge), die entlang von Stromschnellen in den afrikanischen Regenwäldern leben. Bis vor kurzem glaubte man, dass sie zur Familie der „Echten Frösche“ (Ranidae) gehören. In diese Familie gehören z.B. auch unsere heimischen Grasund Wasserfrösche. Inzwischen weiß man aber, dass die Stromschnellenfrösche in eine eigene Familie, die Petropedetidae, gehören. Der bekannteste Vertreter dieser Familie ist der mit über 34 cm Körperlänge weltgrößte Frosch, der WISSENSCHAFT Femoraldrüsen an den Innenseiten der Oberschenkel bei P. johnstoni (Männchen) Goliathfrosch, Conraua goliath. Die Stromschnellenfrösche sind hingegen meist nur Spezialisten bekannt. Bis vor kurzem glaubte man, dass die Gattung Petropedetes nur wenige Arten umfasst, die eindeutige Bestimmung der Tiere deshalb auch nicht schwierig ist. Einige Unstimmigkeiten zwischen unseren eigenen Beobachtungen und dem aus der Literatur bekannten Wissen, veranlasste uns im Jahr 2010 allerdings dazu, mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung (Revision) - zunächst der zentralafrikanischen Arten - zu beginnen. Allein für Kamerun konnten wir so bereits drei neue Arten identifizieren und wissenschaftlich beschreiben. Nach aktuellem Kenntnisstand sind nun 12 Arten wissenschaftlich beschrieben. Die größte Artenvielfalt liegt mit acht bekannten Arten in Zentralafrika (Petropedetes cameronensis, P. euskircheni, P. johnstoni, P. juliawurstnerae, P. palmipes, P. parkeri, P. perreti und P. vulpiae). Kamerun ist dabei das Diversitätszentrum, das all diese Arten beheimatet. Aus Ostafrika sind derzeit drei Vertreter beschrieben (P. dutoiti, P. martiensseni und P. yakusini). Westafrika scheint mit nur einer einzigen Art, P. natator, am artenärmsten zu sein. Hypertrophie der Arme, Tympanalpapille und Knochensporn bei P. vulpiae Charakterisiert ist die Gattung durch T-förmige letzte Zehenglieder (Endphalangen) und dreieckig verbreiterte Haftscheiben an Zehen und Fingern, einen externen Fortsatz im Trommelfell (Tympanalpapille), sowie Drüsen an den Innenseiten der Oberschenkel (Femoraldrüsen). Die Funktion dieser Femoraldrüsen ist unbekannt. Man nimmt aber an, dass sie bei der Fortpflanzung eine Rolle spielen. Ähnliche Drüsen findet man auch bei vielen anderen Froschgruppen. Ein für die Gattung Petropedetes einzigartiges Merkmal ist dagegen die Tympanalpapille, die ausschließlich die Männchen einiger zentral- und ostafrikanischer Arten besitzen, und die oft nur zur Paarungszeit ausgebildet wird. Sie unterstützt die Aussendung von Lauten, verstärkt aber auch deren Wahrnehmung und ist auf den arttypischen Frequenzbereich ausgelegt. Möglicherweise dienen die Fortsätze zudem als visuelles Erkennungsmerkmal auf kurze Entfernung und spielen eine Rolle beim Balzverhalten. Gelege bewachendes Männchen (P. perreti) mit Tympanalpapille Weitere rein saisonale sekundäre Geschlechtsmerkmale der Männchen sind eine Zunahme des Armumfangs (brachiale Hypertrophie) und ein stilettartiger Knochensporn, der am Daumen durch die Haut nach außen dringt. Darüber hinaus bilden sich in unterschiedlichem Umfang winzige Dornen in der Kehlregion, an Kopf und Flanken, den Oberarmen und im Brustbereich aus. Eine Zuordnung von Männchen zu einem Taxon ermöglicht die Bestimmung der Ausprägung der Schwimmhäute, der Größe und Lage der Femoraldrüsen, der Größe des Tympanums und der Position der Tympanalpapille. Eine Artbestimmung bei Weibchen und Jungtieren fällt dagegen deutlich schwerer. Diese Umstände führten sicherlich lange dazu, dass Unterschiede auf Artniveau nicht erkannt wurden. Generell sind diese Frösche zur Abenddämmerung oder nachts aktiv, können aber bei ausreichender Luftfeuchtigkeit auch tagsüber entlang von Fliessgewässern angetroffen werden. Zur Biologie ist jedoch bis dato nur sehr wenig bekannt, vieles geht auf anekdotische Beobachtungen oder Vermutungen zurück. Vielfach finden sich bei den Arten, 13 WISSENSCHAFT Petropedetes natator, Mt. Nimba 2008 deren Männchen größer werden als die artgleichen Weibchen (z.B. P. parkeri), Kratzer am Körper. Ein umgekehrtes Größenverhältnis (Männchen größer als Weibchen) ist bei Amphibien selten und wird sehr oft mit Brutpflege und aggressivem Territorialverhalten sowie entsprechenden körperlichen Merkmalen bei den Männchen (Sporne an den Händen, Fangzähne und ähnliches) in Verbindung gebracht. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Kratzern der Männchen um verheilte Verletzungen, die sie sich in Kämpfen mit den scharfen Dornenspornen zugefügt haben. Beobachtet hat dies allerdings noch niemand. Nach erfolgreicher Partnerfindung über akustische und visuelle Signale hat die Tympanalpapille eine weitere Funktion. Weibchen berühren die Papille beim Amplexus mit ihren Vorderextremitäten und es wird vermutet, dass sie so eine Aussonderung durch die Femoraldrüsen der Männchen stimulieren. Zur Fortpflanzung, die am Anfang der Regenzeit beginnt, platzieren Weibchen das Gelege auf feuchten Felsblöcken in der Spritzwasserzone entlang von Wasserläufen. Für verschiedene zentralafrikanische Arten liegen Beobachtungen vor, dass Männchen das Gelege offensichtlich bewachen. Die Kaulquappen aller PetropedetesArten sind hervorragend an ihren Lebensraum angepasst. Es gibt aber zwei ganz unterschiedliche Ökotypen. Die Petropedetes natator Männchen, Mt. Nimba 14 zentralafrikanischen Kaulquappen leben auf Felsen in der Spritzwasserzone. Sie haben einen sehr muskulösen Schwanz mit nur geringem Flossensaum, den sie zum Klettern auf den vertikalen Felsflächen verwenden. Darüber hinaus bilden sie sehr früh ihre Hinterextremitäten aus, die ebenfalls als Hilfe bei der Fortbewegung dienen. Bei Gefahr flüchten die Kaulquappen durch Sprünge über die feuchte Oberfläche der Felsbrocken, stürzen sich aber nur im äußersten Notfall ins Wasser. Für einige Arten wurde aber auch eine Eiablage unter Blättern beobachtet und eine terrestrische Lebensweise der Kaulquappe vermutet. Dies geht auf Beobachtungen von Kaulquappen am Waldboden abseits von Gewässern zurück. Wie die zentralafrikanischen Arten ist auch der westafrikanische Petropedetes natator an schnell fließende Bäche und Flüsse gebunden. Seine Kaulquappen leben aber ganz anders als die zentralafrikanische Verwandtschaft. Mittels eines riesigen, saugnapfartigen Mundfeldes kleben sie sich an Steinen mitten in der stärksten Strömung von Flussläufen fest. In den vergangenen Jahren haben wir viele Fundorte von Stromschnellenfröschen in Guinea, Sierra Leone, Liberia und der Elfenbeinküste gefunden und so das bekannte Verbreitungsgebiet der Art deutlich erweitern können. Wie viele andere tropische Amphibien ist auch P. natator durch den Verlust geeigneter Lebensräume gefährdet. Gemäß der aktuellen Roten Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature) weist P. natator zwar einen abnehmenden Populationstrend auf, gilt jedoch als „gering gefährdet“, da die Art weit verbreitet ist. Momentan analysieren wir die genetischen und morphologischen Merkmale von Fröschen aus ganz Westafrika. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Vielfalt an Stromschnellenfröschen in Westafrika bisher unterschätzt wurde und dass sich die „Art“ P. natator aus mehreren Arten mit jeweils viel kleineren Verbreitungsgebieten zusammensetzt. Der Gefährdungsgrad der bekannten und der neu zu beschreibenden Arten wird so ein ganz anderer sein müssen. Weiterhin konnten wir feststellen, dass sich Petropedetes natator durch viele Merkmale von ihren zentral- und ostafrikanischen Verwandten unterscheiden. Neben den ganz unterschiedlichen Kaulquappen sind z.B. bei P. natator für beide Geschlechter Fangzähne am Unterkiefer bekannt und die Männchen besitzen einen Schallapparat für die Lautgebung. Dies sind Merkmale, die sonst bei keiner anderen Art der Gattung vertreten sind. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler aus Genf und Basel untersuchen wir deshalb, ob die westafrikanischen Frösche sogar in eine eigene, neue, Gattung zu stellen sind. Um die biologische Diversität schützen zu können, ist es zwingend erforderlich sie zu verstehen, das heißt u.a. eine möglichst genaue Übersicht über die Arten und ihre Verbreitung und Lebensweise zu erhalten. Die Gattung Petropedetes war lange Zeit aus dem Fokus der Wissenschaft gerückt. Neben der bislang übersehenen taxonomisch/systematischen Vielfalt zeigen u.a. die zerkratzten Männchen, dass hier möglicherweise noch viel mehr sehr interessante Verhaltensweisen zu entdecken sind. AKTION NATURSCHUTZ David gegen Goliath auf chilenisch Wie die Humboldt-Pinguine einen historischen Sieg über die Energiewirtschaft errangen Björn Encke und Ulrike Weizsäcker Ulrike Weizsäcker, Fotografin (www.ulrike-weizsacker.com) Ende August 2010 lief eine Meldung über die Nachrichtenticker, die bei Tier- und Artenschützern weltweit im ersten Moment für ungläubiges Staunen und dann für Jubel sorgte. Der französisch-belgische Energiekonzern Suez Energy – hieß es da - zieht sein Projekt „Barrancones“ zurück – nur Tage zuvor hatte der Konzern seitens der staatlichen Behörden grünes Licht für ebendieses Projekt erhalten: den Bau eines riesigen Kohlekraftwerkes an der nordchilenischen Küste – vis-a-vis des Schutzgebietes der Inseln Choros und Damas, einem der letzten Refugien des bedrohten Humboldt-Pinguins. Was war passiert? Spontan hatten sich im ganzen Land – zusammengetrommelt via Facebook, Twitter und Mobiltelefon, aufgebrachte Bürger zu Protestkundgebungen versammelt, Stunden nach der Entscheidung beherrschte das Thema die chilenischen Medien. Der öffentliche Druck steigt rapide, schließlich lenkt Präsident Sebastián Piñera ein und stellt sich auf die Seite der Demonstranten. Suez Energy zieht sein Projekt zurück – die Pinguine haben gewonnen. So weit die simple Nachricht, was aber ist die Geschichte dahinter? Wie kann es sein, dass so viele Menschen plötzlich Anteil am Schicksal eines Pinguins nehmen, den die meisten von ihnen selbst niemals zu Gesicht bekommen werden? Sind die Chilenen plötzlich alle Tiernarren wie die Deutschen im Fall von Eisbär Knut? Die Mit einer Körpergröße von 45 cm und einem Gewicht von bis zu 4 kg gehört der Humboldt-Pinguin zu den kleineren Arten seiner Familie. Vermutung liegt nahe, dass die Antwort nein lautet, dass es tiefere Beweggründe geben muss als die emotionale Verbundenheit mit einem Tier, bzw. einer Art. Um diese Geschichte zu erfahren, haben wir die in Santiago de Chile lebende deutsche Fotografin Ulrike Weizsäcker in den Norden Chiles geschickt, an den Ort des Geschehens. Ihr fotografischer Bericht mag uns optimistisch stimmen, er erzählt uns die Geschichte des Sieges der Vernunft - und zwar sowohl der ökologischen, als auch der ökonomischen und sozialen Vernunft – mit einem kleinen, schwarz-weißen Frackträger als Galionsfigur. Hintergrund Das nationale Schutzgebiet für Humboldt-Pinguine beheimatet rund zwei Drittel der insgesamt geschätzten 25.000 verbliebenen Exemplare dieser Art, die ausschließlich an der chilenischen und peruanischen Küste vorkommt. Im Jahr 2008 gründete das Ehepaar Gabriele und Werner Knauf in Landau in der Pfalz den Verein Sphenisco. Sein Ziel: Die Rettung der südamerikanischen HumboldtPinguine. Als Teilnehmer des Europäischen Erhaltungs- 15 AKTION NATURSCHUTZ Chilenisch-Deutsches Duo: Rosa Rojas und Gabriele Knauf, die Speerspitzen ihrer Vereine, auf Pinguin-Exkursion, und bei der Besprechung anstehender Aktionen. Die Arbeitsteilung: MODEMA organisiert den Protest vor Ort, Sphenisco sorgt für internationales Gehör und Unterstützung aus Europa. zuchtsprogramms für Humboldt-Pinguine lag es dem Zoo Magdeburg nahe, im Rahmen seiner Aktion Naturschutz Sphenisco als kooperatives Mitglied zu unterstützen. Zu den Gründungsmitgliedern von Sphenisco zählte auch Rosa Rojas, die Vorsitzende der chilenischen Umweltschutzinitiative MODEMA (Movimiento de Defensa del Medio Ambiente), die sich ebenfalls für die Belange der Humboldt-Pinguine einsetzt. MODEMA selbst hatte sich gegründet, als 2007 Pläne bekannt wurden, an der Küste der Gemeinde La Higuera im Norden Chiles drei Kohlekraftwerke zu errichten - in unmittelbarer Nähe zum nationalen Schutzgebiet der Humboldt-Pinguine. Die Kraftwerke sollten helfen, den enormen Energiebedarf des Bergbaus in den nahe gelegenen Anden zu befriedigen - befeuert durch Importkohle, die in entsprechenden neuen Häfen direkt an die Kraftwerke herangeführt werden sollte. Wie alle Pinguine ernährt sich auch der Humboldt-Pinguin in erster Linie von kleineren schwarmbildenden Fischen, aber auch Tintenfische werden gerne genommen. 16 Der Bau der Kraftwerke hätte durch die damit einhergehende Umweltverschmutzung nicht nur die Pinguine bedroht, sondern auch die Existenzgrundlage der dort ansässigen Bevölkerung, die fast ausschließlich von Fischerei, Tourismus und – im Rahmen der klimatischen Möglichkeiten - Landwirtschaft lebt. Die Gewässer dieses Küstenabschnittes zählen zu den artenreichsten und produktivsten Gebieten Chiles. Hauptgrund dafür sind die Meeresströmungen, die genau hier Eier und Larven von Fischen und anderen Meerestieren anschwemmen. Ein 500 MW-Kohlekraftwerk benötigt rund 80.000 Kubikmeter Kühlwasser pro Stunde, welches durch große Turbinen direkt aus dem Meer angesaugt wird – mit Chlor versetzt und um bis zu 10 Grad Celsius erhitzt, wird dieses Wasser zurück ins Meer geleitet. Die Folgen für die Meeresfauna wären entsprechend katastrophal. Gleichzeitig würde die Luftverschmutzung durch den täglichen Ausstoß von tonnenweise Kohlendioxid und anderen Schadstoffen rapide ansteigen, zumal aufwändige Filterungssysteme bei den geplanten Projekten nicht vorgesehen waren. Die Konsequenzen für die Landwirtschaft, die zudem stark auf Öko-Anbau ausgerichtet ist, wie für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung liegen auf der Hand. Und auch die Auswirkungen auf den Tourismus lassen sich angesichts dieser Szenarien leicht abschätzen. Die Küstenstadt La Serena, 500 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago, bildet das Tor zum Norden, hier beginnt der Übergang zur Atacama, der trockensten Wüste der Erde. Von der Küste geht es steil hinauf in die Anden. Hier findet sich das Herz der chilenischen Bergbauindustrie, in der Region Coquimbo maßgeblich die Minen El Indio und Pascua Lama, in denen vor allem Gold gefördert wird. AKTION NATURSCHUTZ 10 20 30 40 km Chronologie der Ereignisse Schon kurz nach ihrer Gründung 2007 erkennen die MODEMA-Aktivisten um Rosa Rojas das Potenzial der Pinguine als Symbolfigur ihres Anliegens. Wer interessiert sich schon für die ökonomischen und sozialen Sorgen von ein paar Hundert-Seelen-Dörfern in NordChile? MODEMA erklärt die Humboldt-Pinguine zu ihrer „Flaggschiffart“, zum Symbol für ihr Ringen um eine nachhaltige Politik im Sinne sowohl der Biodiversität als auch der Zukunftschancen der Region. 2008 kommt es zu Expertenanhörungen vor der Regionalverwaltung in Coquimbo und zu ersten größeren Demonstrationen auch in La Serena. Im November zieht mit der halbstaatlichen Codelco das erste Unternehmen sein Projekt zurück. „Flaggschiffart“ Humboldt-Pinguin: Botschafter nicht nur für die anderen Tiere ihres Lebensraumes, sondern auch für die Menschen der Region. 2009 werden die Kraftwerksprojekte an der Küste von La Higuera – unterstützt durch eine Medienkampagne und einen Dokumentarfilm – zunehmend zum nationalen Politikum. Und auch auf internationaler Ebene erheben sich – dank Sphenisco – mehr und mehr Stimmen. Ende August 2010 überschlagen sich die Ereignisse. Am Dienstag, den 24. August erklärt das regionale Entscheidungsgremium die Kraftwerks-Pläne des französischbelgischen Konzerns Suez Energy für umweltverträglich, mit Mehrheit der 15 Regierungsvertreter gegen 4 Gegenstimmen der externen Berater. Am Tag darauf übergeben die Aktivisten öffentlichkeitswirksam tausende Protestschreiben aus aller Welt, allein 17.000 davon hatte Sphenisco gesammelt. Während dieser Veranstaltung wird eine Regierungsvertreterin beim Schreiben einer 17 AKTION NATURSCHUTZ Im Juli 2009 erhalten zwei der führenden Umweltaktivisten Morddrohungen per SMS. Bootsname als Motto der Fischer in diesem Streit: „Todo o nada“ – „Alles oder nichts.“ SMS gefilmt: „27.000 Unterschriften haben sie gesammelt, diese Scheiß-Hippies, mir stinkt’s.“ Ein politischer Skandal droht, die Frau wird entlassen, und Präsident Piñera, der selbst gerne zum Tauchen an die Küste von La Higuera reist, sieht sich genötigt, einzulenken und damit sein eigenes Wahlkampf-Versprechen einzulösen. Am Donnerstag stellt er sich öffentlich auf die Seite des Protestes. Suez Energy zieht sein Projekt zurück. Der Wind hat endgültig zugunsten der Bürgerbewegung gedreht. Im März 2011 gibt mit CMP (Compania Minera del Pacifico) auch der letzte verbliebene Energiekonzern auf. Kormorane auf Felsen - Auch sie gehören zu den Siegern im „Windschatten“ der Humboldt-Pinguine. 18 Die komplette Ausstellung AKTION NATURSCHUTZ ist bis zum 28. September 2011 in der Zoowelle (Zooeingang) zu besichtigen. Der Eintritt ist kostenfrei. Nach 75 Kilometern auf der Panamericana von La Serena in nördliche Richtung zweigt die Straße ab nach Punta de Choros, 42 Kilometer durch die Bergketten der Küstenkordillere hinunter Richtung Pazifik. Am Wegesrand, ein erstes Ausrufezeichen der aufbegehrenden Zivilgesellschaft: Graffiti „No a las Termo“ – Kraftwerk nein danke! Die karge, steinige Landschaft hat bereits Wüstencharakter, gerade noch um die 100 mm Niederschlag fallen hier pro Jahr, in Deutschland liegt dieser Wert über 600 mm. Wer hier lebt, muss von Natur aus genügsam sein, wie Kakteen, oder auch Guanakos. Die raue Pazifikküste ist erreicht – in der Gemeinde La Higuera ein wahres Touristen-Paradies, felsige Küsten wechseln sich ab mit weißen Sandstränden an kleinen Buchten, ideale Bedingungen für Taucher, Sportangler und Sonnenanbeter. 19 AKTION NATURSCHUTZ Rosa Rojas vor ihren Ferienhäusern, die sie im Sommer an Touristen vermietet. Sie ist Vorsitzende, Motor, Herz und Stimme der Bürgerinitiative MODEMA. Die Pinochet-Ära überdauerte sie im kanadischen Exil, nach dem Ende der Diktatur kehrte die Lehrerin in ihre Heimat zurück und ließ sich in Punta de Choros nieder. Hauptstraße am Ortseingang des 300 Seelen-Dorfes Punta de Choros Silvia Gutierrez, als ehemalige Bankangestellte prädestiniert für den Job des Kassenwarts von MODEMA. Die Pinguin-T-Shirts hat Rosa Rojas Sohn in Kanada drucken lassen, durch deren Verkauf kamen einige Pesos in die MODEMA-Kasse. Dieses Exemplar freilich ist das letzte und unverkäuflich. 20 AKTION NATURSCHUTZ Cristian Cortez, der Alcalde del Mar, der „Meeresbürgermeister“ – als Zivilbeamter der Marine ist er der Chef des Hafens und legt fest, ob die Boote auslaufen dürfen oder nicht. Für ihn ging es bei dem Kampf gegen die Kraftwerke um die Zukunft seiner Zunft. Der Strand auf der Isla Damas. Im Jahr besuchen fast 40.000 Touristen die Ortschaften und Schutzgebiete, mit der Fischerei die wichtigste Einnahmequelle. Yvonne Ronc kam mit ihrem Mann Anfang der 90er Jahre nach Punta de Choros. Als „Pioniere“ haben sie ihr Gästehaus mit der inzwischen bekanntesten Tauchschule am Ort aufgebaut. Das Meer, so sagt sie, bedeute alles für sie: Leben und Frieden. 21 AKTION NATURSCHUTZ Lita Piñones, die Grundschullehrerin von Punta de Choros. Sie unterrichtet 18 Kinder der 1. bis 6. Klasse zusammen in einem Raum. Ihr Theaterstück über die Pinguine und die Bedrohung deren Lebensraumes, alles mit selbstgebastelten Kostümen, war ein Großereignis im Ort. Kinder auf dem Schulhof von Punta de Choros Jan van Dijk, ein holländischer Aussteiger, Fischer, Landwirt und neben Rosa Rojas die treibende Kraft von MODEMA. Er sah durch die Kraftwerkspläne sein persönliches Paradies bedroht. Um den sommerlichen Touristen zu entgehen, lebt er in Los Choros und nicht in Punta de Choros – außerdem ist dort der Boden fruchtbarer, gedeihen seine Oliven besser. 22 AKTION NATURSCHUTZ Das Tier als bester Freund des Menschen - ohne die Pinguine wäre diese Geschichte sicher anders ausgegangen, da sind sich José Ter Horst und Rosa Rojas einig. Stoffpinguin „Alex“ wurde, ausgestattet mit Infomaterial, von Sphenisco nach Chile geschickt, wo er in aufklärerischer Mission von Schule zu Schule reiste. Er steht noch nicht lange in Punta de Choros, der heilige San Pedro, Schutzpatron der Fischer. Der Kult um die Schutzheiligen wird hier sehr ernst genommen – und er hat gewirkt, sehr zum Unglück seines „uneigennützigen“ Spenders: Suez Energy. Diese Foto-Reportage wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung des LVM-Servicebüros Carsten Decker und Oliver Leiding Magdeburg Wir bedanken uns bei Sphenisco, namentlich Gabriele und Werner Knauf, für die Überlassung der Pinguin-Fotos und wertvolle Hinweise. Spenden für die Aktion Naturschutz unter Spendenkonto: ZOOLOGISCHER GARTEN MAGDEBURG gGmbH Stichwort: „Aktion Naturschutz“ Konto Nummer: 1385119 Bankleitzahl: 810 932 74 (Volksbank Magdeburg eG) 23 DEM BESUCHER ABGELAUSCHT Der Japan-Serau – Ein geheimnisvoller Bergbewohner Ellen Driechciarz Die Gebirgsregionen der Erde sind Lebensraum für viele interessante und hoch spezialisierte Tierarten. Und es finden sich dort, obwohl auf unterschiedlichen Kontinenten, vergleichbare Arten, die sich von ihrem Körperbau, der Ernährung sowie ihrer Lebensweise her an das Hochlandklima, das unwegsame Gelände und die dort wachsenden Pflanzen angepasst haben. So erheben sich, in Anlehnung an die europäischen Alpen, auf der Insel Honshu die japanischen Alpen. Das gewaltige und schroffe Gebirge mit hohen Berggipfeln und aktiven Vulkanen durchzieht die gesamte Insel. Ein Bewohner dieser Hochgebirgswelt ist der „Nihonkamoshika“, der Japan-Serau (Capricornis crispus). Seine Verbreitung erstreckt sich neben Honshu auf die japanischen Inseln Shikoku und Kyushu sowie auf Taiwan. 1999 erhielt unser Zoo ein Pärchen aus dem Tiergarten Schönbrunn in Wien. Seitdem kann der Zoo Magdeburg große Erfolge bei der Haltung und Zucht von JapanSeraus aufweisen. Magdeburg war die dritte zoologische Einrichtung in Europa, die einen Zuchterfolg verbuchen konnte. Ein typisches Zootier, das der Zoobesucher bei seinem Rundgang erwartet, ist der Japan-Serau also nicht. Er ist weder auffällig gefärbt, noch hat er eine außergewöhnliche Gestalt, er gibt kaum Geräusche von sich und bewegt sich eher bedächtig in seinem Terrain. So erkennen viele Zoobesucher diese Tierart auf den ersten Blick nicht und laufen einfach weiter. Kinder rufen dagegen häufig interessiert: „Mama, guck mal!“ Besonders wenn sie zusammengekauert auf einem ihrer Liegeplätze liegen und als einzige Regung das Spiel der Ohren ihre Aufmerksamkeit verrät, sind sie vom Besucher Weil ihr Fell und Fleisch sehr begehrt waren, wurden die Tiere jahrhundertelang stark bejagt. Das führte zu einem starken Rückgang der Bestände, sodass der Serau Anfang des 20. Jahrhunderts als bedroht eingestuft wurde. Gerade noch rechtzeitig setzte ein Umdenken ein und erste Schutzmaßnahmen wurden ergriffen, 1955 wurde der Japan-Serau sogar zum „Naturdenkmal“ erklärt. Inzwischen haben sich die Bestände wieder erholt und das Überleben dieser interessanten Tierart kann derzeit als gesichert angesehen werden. Erst spät gelangten auch Tiere nach Amerika und Europa. Bis heute werden diese seltenen Vertreter der Gämsenartigen außerhalb Japans in nur wenigen Tiergärten gezeigt. 24 DEM BESUCHER ABGELAUSCHT nur schwer zuzuordnen. Und so kann man hier Zeuge der amüsantesten Vermutungen werden. So teilte ein Kind seiner Mutter aufgeregt mit: „Guck mal da oben, da oben auf dem Berg. Siehst du es? Ein Wildschwein.“ Komischerweise denken das auch andere Zoobesucher, denn wir hörten auch diesen Ausspruch: „Die sehen aus wie aus dem Gruselfilm. Schweine mit Hörnern.“ Ein anderes Kind erklärte seinen Eltern mit voller Überzeugung: „Ich guck mir jetzt die Bären an!“, und hüpfte damit vergnügt an die Anlage heran. Im Winterhalbjahr haben Japan-Seraus immer ein sehr dichtes und plüschig wirkendes Fell. Da sie einen kurzen Schwanz haben, wirkt ihr Hinterteil recht rund und dick. Seltsam war dagegen die Bezeichnung der Tiere als „Luchs!“ Jedoch wurde dieser Besucher von seiner Begleitung gleich aufgeklärt: „Nein, ein Luchs ist rot.“ Eine weitere Tierart, mit der die Japan-Seraus oft verwechselt werden, ist der Wolf. Denn wenn man dem Serau nur ins Gesicht schaut, fällt vielleicht wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Wolf auf. Möglicherweise erinnert die Fellfärbung an einen Wolf und auch Japan-Seraus haben einen intensiven, durchdringenden Blick aus hellen Augen. So hörten wir den erfreuten Ausruf: „Oh, gucke mal, da sind noch Wölfe!“ Andere meinen zu erkennen: „Die sehen aus wie eine Mischung aus Ziege und Wolf.“ Zumindest die Ziegen-Vermutung ist durchaus berechtigt, denn nicht nur in ihrem Äußeren ähneln Japan-Seraus den Ziegen. Tatsächlich erwies sich die systematische Verwandtschaft lange als rätselhaft. Wissenschaftlich gehören sie gemeinsam mit den Goralen, den Schneeziegen und den Gämsen zu den Gämsenartigen. Das nehmen auch einige Besucher an und äußern sich dementsprechend: „Sieht aus wie eine Gämse!“ Seraus scheinen nicht anspruchsvoll zu sein, dennoch stellen sie höchste Ansprüche an ihr Futter und an die Haltungsbedingungen. In Japan sind sie an niedrige Temperaturen und Schnee angepasst und so brauchen sie auch in unseren Breiten keinen beheizbaren Stall. Überhaupt halten sich Japan-Seraus sehr gern nur auf ihrer Außenanlage auf und sind damit für die Zoobesucher äußerst präsent. Einmal auf die Japan-Seraus aufmerksam geworden, suchen und lesen die Besucher grundsätzlich das Tierschild, um sich über diese anscheinend mysteriösen Tiere, die sie jetzt noch nicht einordnen können, Klarheit zu verschaffen. Oftmals lesen Zoobesucher den Text des Tierschildes sogar für alle laut vor. Sofort, nachdem der Tiername „Japan-Serau“ gefallen ist, werden immer wieder folgende Äußerungen eingeworfen: „Das kommt aus Japan!“, oder „Japan-Serau, der wohnt in Japan.“ sowie auch „Japan-Serau. Der sieht ja richtig komisch aus.“ Es stellt sich dabei die Frage, wie sollte denn ein Japan-Serau aussehen? Männchen und Weibchen sehen fast gleich aus und beide Geschlechter tragen Hörner. Dass die Seraus zur Familie der Hornträger gehören wird ebenfalls auf dem Tierschild beschrieben und viele Zoobesucher schauen daher näher hin. „Ja, da sind ja die Hörner!“ erkennen dann viele auch dieses Merkmal an den Tieren. Im dichten Winterfell dagegen sind die Hörner fast verborgen und damit schwer zu erkennen. Tritt der Besucher an die Anlage heran, erhebt sich vor ihm ein beinahe 2,50 m hoher Berg. Ausgestattet mit Geröllflächen, großen Steinen und liegenden Stämmen soll er einen kleinen Ausschnitt aus der Bergwelt Japans imitieren. Die Umzäunung ist wegen der Klettergewandtheit und der Sprungfähigkeit der Japan-Seraus fast drei Meter hoch. Am Besucherweg öffnen zwei große überdachte Sichtfenster weit den Blick auf die Anlage. Durch diese Scheibenantritte gewinnt der Besucher den Eindruck, den Tieren und ihrem Lebensraum besonders nahe zu sein. Die Japan-Seraus stören sich daran in keiner Weise und halten sich nicht selten im Fensterbereich und damit in unmittelbarer Nähe zu den Besuchern auf. Natürlich nutzen sie außerdem je nach Aktivitätsphase im Laufe des Tages die gesamte Anlage und entschwinden dadurch auch schon mal den Blicken des Betrachters. Japan-Seraus fressen Gräser und Kräuter, daneben Blätter, Knospen und Triebe von Laub- und Nadelbäumen. In unserem Zoo erhalten sie täglich Laub zur Fütterung, im Sommer frisch, im Winter getrocknet. Bekommen sie Laub, reagieren sie sofort und lassen sich gut in den Sichtbereich der Besucher lenken. Wenn unser Weibchen ein Jungtier hat, bringt sie es dann auch ganz ohne Scheu mit. 25 DEM BESUCHER ABGELAUSCHT bauenden Wildvögeln sehr beliebt. Sie brauchen sich hier nur zu bedienen. Eine weitere Möglichkeit, das Winterfell loszuwerden, bieten die vorwitzigen Krähen. Diese setzen sich sogar auf den Rücken unserer Seraus und zupfen ganz aktiv die Unterwolle heraus. Den Seraus scheint es zu gefallen, denn sie lassen die Krähen gewähren. Abgefressene Äste verbleiben teilweise auf der Anlage und werden zu einem Asthaufen aufgestapelt. Oftmals steigen die Tiere auf dieses Astgewirr und zeigen damit ihre gute Klettergewandtheit und Trittsicherheit. Gleichzeitig werden die Hufe abgenutzt und es bringt auch ganz nebenbei Abwechslung für die Tiere. Viele Zoobesucher schreiben diesen Asthaufen, besonders während der Osterzeit, noch eine ganz andere Funktion zu. So hören wir immer wieder: „Guck mal, die haben ein Osterfeuer.“ Die Asthaufen werden von den Japan-Seraus ebenfalls zum Durchschlüpfen und Schubbeln genutzt. Ihr im Frühjahr noch anhaftendes und dichtes Winterfell können sie auf diese angenehme Weise besser abstreifen und an den hängengebliebenen Fellfetzen erkennen wir den Erfolg. Diese Fellfetzen sind dann bei Nester 26 Viele Zoobesucher finden die Japan-Seraus wenigstens so bemerkenswert, dass sie die Tiere doch eingehender betrachten und sich natürlich auch gern ihre Informationen vom Tierschild holen möchten. Hier zeigt sich wieder einmal der hohe Stellenwert dieser Informationsmöglichkeit. Die geschickte Vermittlung von Wissen über Wildtiere und über die Wechselbeziehungen in der Natur beeinflusst natürlich auch die Einstellung der Menschen unserer Zeit zum Wildtier und zur Natur. Nicht zuletzt möchte ein Zoo auch mit unscheinbaren Tieren, die aber doch zoologische Kostbarkeiten sind, das besondere Interesse und vielleicht sogar Begeisterung bei den Zoobesuchern wecken. Durch seine Seltenheit ist der Japan-Serau wahrscheinlich auch künftig bei den Zoobesuchern kaum bekannt. Allein Stammbesucher unseres Zoos konnten in den Jahren seit 1999 die Anwesenheit der Japan-Seraus und ihre geborenen Jungtiere im Auge behalten. Jedoch horchen Fachleute auf, wenn sie von der Haltung im Zoo Magdeburg erfahren und wissen die Zuchterfolge der vergangenen Jahre sehr zu schätzen. GASTKOMMENTAR Problemwölfe, Tierbabys in Zoos und die Folklore von „Freiheit oder Tod“ Wie mit falschen Argumenten der Niedergang der biologischen Vielfalt beschleunigt wird Roland Wirth Roland Wirth Wie war das noch mit Braunbär „Bruno“? Oder neuerdings dem Wolf, der da im bayerischen Mangfall-Tal herum schleicht? „Wartet nur, ihr Naturschützer, bis das erste Kind getötet wird!“ hört man vor allem von Vertretern der Jägergilde. Wobei keineswegs alle Jäger über einen Kamm geschoren werden sollen. Es gibt selbstverständlich auch die seriös und ökologisch arbeitenden, aber die „kinderlieben Warner vor dem Wolf“ gehören eher nicht in diese Gruppe. Einige Jäger geben sich auch besonders tierlieb und werfen den Naturschützern vor, einfach nicht einsehen zu wollen, dass nicht nur der Wolf, sondern auch das Reh ein Lebensrecht habe. Ein eigenwilliges Argument angesichts von ca. 3,2 Millionen Säugetieren und 2,3 Millionen Vögeln, die alljährlich in Deutschland weidmännisch zur Strecke gebracht werden. Nicht, dass gegen die Jagd grundsätzlich etwas einzuwenden wäre – Artenschützer können damit durchaus leben, solange die bejagten Arten in ihrem Bestand gesichert bleiben. Aber in Anbetracht dieser Zahlen ist das Lamentieren um die schlimmstenfalls einige hundert Rehe, Hirsche und Wildschweine, die selbst mehrere Wolfsrudel im Laufe eines Jahres töten und fressen, nicht sehr glaubwürdig. Es geht doch wohl eher darum, dass da ein natürlicher Jagdkonkurrent (der Wolf eben) im teuer gepachteten Revier Beute macht. Und trotzdem findet der Ruf „der Wolf muss zur Strecke gebracht werden“ durchaus Widerhall in weiten Teilen der ansonsten tierliebenden Bevölkerung. Aber aufgepasst! Wie anders wäre die Reaktion, wenn im Rahmen eines Erhaltungszuchtprogramms in Zoos und Wildgehegen ein überzähliger Wolf, der absolut in keiner anderen seriösen Tierhaltung untergebracht werden kann, eingeschläfert werden würde. Spätestens jetzt würden den „Wolfstötern“ Roland Wirth, Jahrgang 1954 und schon seit seiner Kindheit interessiert an Arten- und Naturschutz, ist Mitbegründer und 1. Vorsitzender der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP). Ihr erklärtes Ziel: Der Schutz von weniger bekannten bedrohten Tierarten und deren Lebensräumen. Betrachtet man den Werdegang Roland Wirths, die zahlreiche ehrenamtliche Mitwirkung an den verschiedensten Artenschutzprojekten oder die Mitarbeit in unterschiedlichen Spezialistengruppen der International Union for Conservation of Nature (IUCN), so wird klar, dass Artenschutz hier nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch Lebensinhalt und -ziel ist. Emotionen fließen daher ebenso in seine Arbeit ein wie Fachwissen, Unmut ebenso wie der Wunsch nach Einsicht und Aufklärung. Der Kommentar ist ein beherzter „Zwischenruf“ und zeigt, dass Natur- und Artenschutz des Öfteren bedeutet, gegen Windmühlen zu kämpfen. in den Medien und durch eine breite Öffentlichkeit niedere Beweggründe unterstellt, und der Vorwurf geäußert, die Betreiber des Wildgeheges züchteten den Wolf ja nur, um mit dem niedlichen Jungtier Besucher zu locken. Wenn das denn nur so einfach wäre. Schlichte Feindbilder sind wunderbar – außerhalb eines Gehegezaunes ist es der Wolf selbst, befindet er sich innerhalb des Zaunes, ist es dann die Zoodirektion oder der Zootierarzt. Differenzierte Betrachtungen tun sich schwer in diesem Land. Kein Platz für Sumatratiger Hier trotzdem der Versuch an einem weiteren Beispiel: Der Sumatratiger (Panthera tigris sumatrae) ist eine der beiden bedrohtesten noch überlebenden Unterarten des 27 GASTKOMMENTAR Tigers. Ob er auf Sumatra die nächsten 20 Jahre überdauern wird, ist nicht sicher. Wie beruhigend deshalb, dass rund 220 Sumatratiger in weltweit koordinierten Zoo-Erhaltungszuchtprogrammen leben. Aber 220 Tiere sind letztlich zu wenig, um das angestrebte Ziel zu erreichen, für die kommenden Jahrzehnte möglichst über 90 % der genetischen Vielfalt zu erhalten. Notwendig wären mindestens 300 oder noch besser 400 Sumatratiger in menschlicher Obhut. Tatsächlich gibt es aber Jahr für Jahr eher weniger, denn mehr Haltungsplätze für Sumatratiger. Ein Zoo nach dem anderen baut, häufig bedingt durch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, neue und vermeintlich bessere Anlagen. Bei Großkatzen in Zoos bedeutet das meist, eine vor allem aus dem Besucherblickwinkel „natürlich“ wirkende, möglichst große Freianlage statt zwei oder drei kleinerer Gehege. Entsprechend muss der Arten- und Tierbestand ausgedünnt werden. Statt Sibirischer und Sumatratiger und vielleicht noch Persischer Leoparden werden zukünftig nur noch Sibirische Tiger gehalten – die sind die größten und daher attraktivsten für die Besucher, und winterhart sind sie auch noch. Da freut sich der zuständige Stadtrat oder Aufsichtsrat des Zoos, der auf das Geld schaut, denn für Sumatratiger hätte man zumindest in den kühleren Klimazonen auch noch geheizte Innenräume benötigt. Außerdem wird in Zeiten knapper werdender finanzieller Mittel ohnehin verstärkt auf die „Wirtschaftlichkeit“ geschaut (die von der Politik formulierten hehren Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt hin oder her). Also bekommt der engagierte Artenschutz-Zoodirektor auch keine Extragehege hinter den Kulissen genehmigt, um eine größere Population an Tigern artgerecht halten zu können. Vor diesem Hintergrund ist jeder einzelner Zooplatz für einen Sumatratiger von allerhöchster Wichtigkeit. Jedes Tier, das einen solchen knappen Platz zur Verfügung hat, muss seinen Beitrag für den Erhalt der Population leisten, damit diese auch noch in 20, 40 oder 60 Jahren vital und genetisch gesund bleibt – als „Lebensversicherung“, solange sich die Schutzsituation für Tiger auf Sumatra nicht dramatisch bessert. Damit stehen die Internationalen Erhaltungszuchtprogramme vor ihrem vielleicht größten Problem. Einmal angenommen, es herrscht ein momentaner „Männerüberschuss“ in der Sumatratiger-Population der Zoos (ungleiches Geschlechterverhältnis ist leider Alltagsgeschehen in kleinen Zuchtbeständen) und man benötigt dringend (und hat Platz für) drei junge nicht miteinander verwandte Weibchen, um damit neue Paare für die nächste Generation zusammen zu stellen. Also sollen drei sorgfältig nach genetischen Gründen ausgewählte Paare nun züchten. Aber die Tigermütter gebären nun nicht eines (was auch vorkommt), sondern jeweils drei bis vier Jungtiere, fast allesamt Männer. Schon steht der Zuchtbuchkoordinator vor dem Problem, nicht nur 28 ein oder zwei der dringend benötigten Weibchen verfügbar zu haben, sondern auch an die zehn männliche Sumatratiger, die theoretisch gut gebraucht werden könnten (idealerweise sollte die Population ja nicht 220, sondern aus genetischen Gründen 300 - 400 Tiere umfassen), für die aber absolut kein Platz ist. Würden diese Männchen in der Population verbleiben, blockieren sie für ihre gesamte Lebenszeit (20 - 25 Jahre) den Platz für mehrere der benötigten Zuchtpaare, womit die „effektive Zuchtpopulation“ der Sumatratiger (also der Teil der Population, der tatsächlich Gene an die nächste Generation weiter gibt) schon wieder kleiner wird. Dies bedeutet nichts anderes als mehr Inzucht und Verlust an genetischer Variabilität in den Folgegenerationen, als bei dem vorhandenen Platz sein müsste und somit eine wachsendes Risiko für das Überleben der gesamten Population (und bei einer in Freiheit bereits ausgerotteten Art natürlich für das Überleben der Art an sich). Entweder müssen die überzähligen Männchen also weg (an irgendeine Haltung in Asien zum Beispiel, die ggf. nicht den Pflegestandard hat, wie der abgebende Zoo in Europa) oder man schläfert sie im Interesse einer intakten Gesamtpopulation ein. Letzteres ist die eigentlich „natürlichste“ Option, denn auch in der Wildbahn hat ein Tigerweibchen im Idealfall in ihrem Leben bis zu 20 Nachkommen, von denen aber in einer stabilen Population statistisch nur zwei überleben werden. Nur Wunschkinder bei Zootieren? Korrekterweise sind Zoos zunehmend durch gesetzliche Vorgaben etwa der EU verpflichtet, Artenschutz (auch durch die ex situ-Erhaltung bedrohter Arten) zu leisten. Bei den dann aber unabdingbar anfallenden Entscheidungen zum Management einer genetisch gesunden Population handelt sich der Zoo, wie eben geschildert, jedoch schnell potentiellen Ärger ein - in Deutschland bis hin zur Strafverfolgung. Es ist jedenfalls Unsinn, wenn die, die zwar von Populationsmanagement nichts verstehen, es aber trotzdem immer besser wissen, den Zoos unterstellen, Tiere ja nur zu züchten, damit, solange sie niedlich und klein sind, die Kasse klingelt. Die Alternative (leider zunehmend aus Angst vor Medienschelte oder vor Prozessandrohungen aus dem Kreis der Zoogegner in den US-Zoos praktiziert) ist, wirklich nur dann zu züchten, wenn schon im Vorfeld absolut sicher ist, dass eine artgerechte Unterbringung aller Nachzuchttiere garantiert ist, auch wenn bezogen auf das hier angeführte Beispiel anstatt der drei benötigten Weibchen z. B. eben 12 Männchen geboren werden. Da das zumindest bei Arten mit aufwändigeren Haltungsansprüchen kaum gewährleistet ist, züchten US-Zoos mit vielen Arten fast gar nicht mehr. Wenn dann die Bestände überaltern und zusammen brechen und dadurch plötzlich Platz frei wird, versucht man noch schnell, die Lücken aufzufüllen. Das klappt dann häufig nicht mehr. Viele Tiere sind durch die jahrelang GASTKOMMENTAR verwendeten Langzeitverhütungsdepots unfruchtbar geworden, es fehlt ihnen an Aufzuchterfahrung oder sie sind inzwischen schlicht zu alt. Noch vor 20 - 30 Jahren intakte US-Zuchtgruppen von bedrohten Arten wie Bartaffen (Macaca silenus) oder Przewalskipferden (Equus przewalskii) und viele andere wurden durch ein solches vermeintlich tierschutzkonformes Management inzwischen zugrunde gerichtet. Calamianhirsch droht auch in Erhaltungszucht das Ende Übrigens auch ein von der ZGAP vor knapp 20 Jahren mit initiiertes Erhaltungsprojekt für den hoch bedrohten Calamianhirsch (Axis calamianensis) droht nun durch diese falsche Strategie zu scheitern. Zwölf dieser Hirsche hatte, durch den engagierten Artenschützer William Oliver mit viel Mühe und Verhandlungsgeschick eingefädelt und organisiert, der Zoo San Diego als „Reservepopulation“ aus den Philippinen bekommen. Diese vermehrten sich gut und schnell auf bald 60 Tiere. Andere US-Zoos zeigten aber, auch vor dem Hintergrund der möglicherweise nicht platzierbaren Nachzucht, wenig Interesse an diesen „kleinen braunen Hirschen“, und der damalige Generalkurator Jim Dolan, der ein Herz für auch weniger spektakuläre bedrohte Arten hatte, ging in Ruhestand. Umgehend wurde die Zucht gestoppt. Inzwischen versucht eine kleine Gruppe von amerikanischen Zooleuten den auf nur 20 Tiere geschrumpften Bestand noch zu retten. Doch die Hoffnung, von den überalterten und durch jahrelangen Zuchtstopp möglicherweise unfruchtbar gewordenen Weibchen noch Jungtiere zu erhalten, ist gering. Zoogegner, die der Meinung sind, das „Problem Zoo“ sollte durch das „würdevolle“ Aussterben der jetzigen Zooinsassen gelöst werden, wird es freuen. Aber eine immer größer werdende Zahl von Arten, die nur Dank Erhaltungszucht überleben, wie etwa die Socorrotaube (Zenaida graysoni) oder andere wie das Przewalskipferd oder der Kalifornische Kondor (Gymnogyps californianus), die vor ihrer erfolgreichen Auswilderung zeitweise nur in Zoos überlebt haben, gäbe es nach dem Willen dieser Tierschützer schon längst nicht mehr. In Würde aussterben? Mal abgesehen davon, dass dieses „würdevolle“ Aussterben ja nur funktioniert, wenn man alle Tiere in Menschenobhut an der Fortpf lanzung hindert. Fortpflanzung ist aber nun mal der biologische Zweck einer jeden Generation von Lebewesen. Deshalb haben Hirsche Geweihe und Wildschafe Hörner und deshalb kämpfen die Männchen dieser Arten in der Brunftzeit bis zur totalen Erschöpfung um die Weibchen. Und nur deshalb erfreuen uns Vögel mit buntem Gefieder oder millionenfach im Frühjahr mit ihrem Gesang, um damit Weibchen anzulocken und das Revier für die erfolgreiche Aufzucht der Jungen abzustecken. Ob ein geschlechts- loses Leben bis zum Tod, das manche Tierschützer so pathetisch „würdevoll“ nennen, wirklich im Interesse der Tiere ist, darf bezweifelt werden. Zudem, da die Gegner von Wildtieren in Menschenobhut üblicherweise moralische Gründe für ihre Sicht der Dinge anführen, sei die Gegenfrage erlaubt: Vorausgesetzt, Tiere in einer guten Gehegehaltung leiden weder physisch noch psychisch, ist dann die Forderung, Arten besser aussterben zu lassen, als sie durch Gehegezucht über die Zeit zu retten, tatsächlich moralisch vertretbar? Wie verträgt sich diese Forderung mit der Achtung vor der Vielfalt der Schöpfung? Und der Verantwortung, zukünftigen Generationen möglichst viel Artenvielfalt zu hinterlassen? Ob Tiere in Menschenobhut nicht nur körperlich, sondern auch psychisch gesund sind, lässt sich jedenfalls immer besser (z.B. durch Messung von Stresshormonen im Urin) nachweisen. Wenn also alle objektiven Kriterien darauf hindeuten, dass in einer guten Tierhaltung Individuen weder körperlich noch psychisch leiden, reduziert sich eine generelle Ablehnung von Wildtieren in Gehegen letztlich auf eine persönliche Weltanschauung. Die ist selbstverständlich Jedermann zugestanden, nur als moralische Begründung dafür, ein bewährtes Instrument zur Artenrettung generell nicht einzusetzen und somit gegen die Interessen zukünftiger Generationen zu handeln, ist das zu wenig. Bleibt zu guter letzt die ebenfalls von Zoogegner öfters geäußerte Forderung, Zootiere doch in die Freiheit zu entlassen: Raus mit euch in die Freiheit! Da gäbe es durchaus Raum für Kooperation, wenn, und das ist ein großes WENN, nicht einfach nach dem Motto „Raus mit euch!“ ein paar Gehegetüren geöffnet werden sollen, sondern die Aussetzungen den international akzeptieren IUCN-Richtlinien entsprechen. Das bedeutet etwa, dass auszuwildernde Tiere der ursprünglich am Aussetzungsort vorkommenden Unterart oder Population entsprechen oder dieser möglichst nahe stehen, damit sie mit spezifischem Klima, Krankheitskeimen usw. vor Ort auch einigermaßen zurechtkommen. Die tierischen Neusiedler müssen im Rahmen eines ‚soft release’ das Leben im ursprünglichen Lebensraum Schritt für Schritt erlernen und nach der Auswilderung (per Telemetrie usw.) überwacht werden, um bei Problemen ggf. steuernd eingreifen zu können. Und es muss neben vielen andere Aspekten (a) natürlich intakter Habitat vorhanden sein, in dem es (b) keinen zu erwartenden größeren Konflikt mit den ansässigen Menschen gibt, (c) in dem auch wirklich Platz für die tierischen Neusiedler vorhanden ist – also nicht alle geeigneten Reviere bereits von Tieren derselben Art besetzt sind, was als 29 GASTKOMMENTAR nächsten Punkt automatisch einschließt, dass (d) die Ursachen, derentwegen die Art dort ausgerottet oder selten wurde, bekannt und beseitigt sind. Außer vielleicht Medienrummel für den, der das fordert, bringt es also nichts, die Rückführung von Zootigern nach Asien zu verlangen, wenn nahezu überall dort, wo Tiger noch leben, die Wilderei nicht unter Kontrolle ist. Und um dem Einwand vorzubeugen, das Geld für die Haltung von Zootigern wäre somit besser vor Ort investiert, sei angefügt, dass durch Zoos und über von Zoos organisierte Sammelaktionen (etwa die europaweite EAZA Tigerkampagne) in den letzten Jahren rund ein Viertel aller Finanzen aufgebracht wurden, die für den Schutz der letzten wild lebenden Tigerpopulation zur Verfügung standen. Seriöse Wiederansiedlung von bedrohten Arten unter Berücksichtigung der erwähnten Aspekte existieren bereits vielfach, nicht nur für Przewalskipferde, oder Kalifornische Kondore, sondern z.B. auch für Addaxantilopen (Addax nasomaculatus), Säbelantilopen (Oryx dammah), Feldhamster (Cricetus cricetus), Schwarzfußiltisse (Mustela nigripes) und Europäische Nerze (Mustela lutreola) bis hin zu Lord-Howe-Stabheuschrecken (Dryococelus australis) und vielen anderen Arten. Zoos und verwandte Einrichtungen spielen in vielen dieser Projekte nicht nur durch das Bereitstellen von Tieren, sondern auch durch fachliche und finanzielle Hilfe eine Rolle. Jene Tierrechtsorganisationen, die so vehement „das Ende der Tiere hinter Gittern fordern“, glänzen aber bisher mit Abwesenheit, wenn es darum geht, dann wirklich Leistungen zu erbringen, um wissenschaftlich korrekt und unter Berücksichtigung des ökologischen und sozialen Umfeldes im Aussetzungsgebiet solche Tierpopulationen in Freiheit neu aufzubauen. ferenz in Nagoya nicht nur im leeren Gerede der Politik, sondern nach wie vor auch im fundamentalistischen Streit selbst jener Interessengruppen wie Jäger, Angler, Landwirte und Tierschützer, die eigentlich wegen ihres Bezuges zur belebten Natur alle mit den Natur- und Artenschützern am selben Strang ziehen sollten. Dank Mein Dank gilt Jens-Ove Heckel für viele wichtige Anmerkungen zu einer früheren Version dieses Manuskripts. Quellen BMT (2008): Schicksal überzähliger Zootiere – bmt fordert Zoos auf, auf Nachzucht zu verzichten, 3/2008, S. 11. Dickinson, P. (2010): The Good Zoo and Euthanasia. http://zoonewsdigest. blogspot.com/ 2010/11/ good-zoo-and-euthanasia.html. EAZA (2010): Statement on behalf of the European Association of Zoos and Aquaria (EAZA) and the EAZA conservation breeding programme for tigers (the Tiger EEP) in reference to the recent conviction of staff of Zoo Magdeburg for the management euthanasia of three hybrid tigers. Etzold, S. (2008): Sterbehilfe im Tierpark, Die Zeit, 11.09.2008, S. 41-42. IUCN/SSC (2002): IUCN TECHNICAL GUIDELINES ON THE MANAGEMENT OF EX SITU POPULATIONS FOR CONSERVATION. IUCN/SSC/CRSG (2010): Global Re-Introduction Perspectives: 2010’ zum downloaden von www.iucnsscrsg.org Natura 2000 Newsletter (2010): Haltung der Europäer zur Biodiversität, 28/2010, S. 12-13. VDZ (2008): Leitlinien zur Regulierung von Tierpopulationen in deutschsprachigen Zoos. S. 82. WAZA (2010): Statement on behalf of the World Association of Zoos and Aquariums (WAZA) in reference to the recent conviction of staff of Zoo Magdeburg for the management euthanasia of three hybrid tigers. Realitätstest für Tierschützer Großes aus einer ja oft durchaus idealistischen Weltsicht zu fordern, ist einfach. Dieses dann aber dem Realitätstest zu unterziehen oder gar seriös umzusetzen, ist eine andere Sache. Geld, Wissen, jahrelanges Durchhaltevermögen, Kompromissbereitschaft, diplomatisches Geschick, eine hohe Frust-Toleranz und Enthusiasmus sind gefragt. Heraus kommt dann für den Arten- und Naturschützer zermürbende tägliche Kleinarbeit, die oft auch noch wenig medienwirksam ist. Da sind dann die simplen Feindbilder bequemer – und auch für den Sensationsberichterstatter interessanter: Die Wölfe (oder die Tiger oder Biber), wenn sie in der Wildbahn menschlichen Interessen in die Quere kommen, der Zoodirektor, wenn die Tiere in Gehegen leben, oder der Zootierarzt, wenn es um Populationsmanagement geht. So verpuffen die Bemühungen zur Rettung der Artenvielfalt auch im Jahr eins nach der großen Biodiversitätskon- 30 IMPRESSUM Herausgeber: ZOOLOGISCHER GARTEN MAGDEBURG gGmbH Zooallee 1, 39124 Magdeburg Tel.: 0391 280900, Fax: 0391 280905100 www.zoo-magdeburg.de Geschäftsführer: Dr. Kai Perret Aufsichtsratsvorsitzender: Dr. Lutz Trümper Handelsregister: Amtsgericht Stendal, HRB 5885 USt.-IdNr.: DE251537548 Steuer-Nr.: 102/105/90205 Redaktion: Björn Encke, Regina Jembere, Andreas Krauss Fotos: Werner Knauf, Wilfried Kaufmann, René Driechciarz, Mark-Oliver Rödel, Laura Sandberger, Björn Encke, Andreas Krauss, Ellen Driechciarz, Ulrike Weizsäcker, Thiemo Braasch, Zooarchiv ISSN 1862-6297 SWM Natur Strom Ich bin ein NaturTalent. Dank grüner Energie. Werden auch Sie Magdeburger NaturTalent. Steigen Sie um auf 100 % CO2-freien SWM Natur Strom mit 10 % Windenergie aus unserem Windrad in Magdeburg-Schilfbreite. 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