PDF - Zoo Magdeburg

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ZOOLOGISCHER GARTEN
Zeitschrift für Besucher
Zoologischer Garten Magdeburg
MAGDEBURG
Ausgabe 6 | 2011
I SS N 1 8 6 2 - 6 2 9 7
VORWORT
Vorwort
Nach dem Jubiläumsjahr “60 Jahre Zoo Magdeburg“ und
dem Abschluss der ersten Großbauvorhaben gilt für unsere
Besucher in diesem Jahr erst einmal das Neue zu entdecken
und zu genießen. Mit Eröffnung unseres neuen Eingangs,
der Zoowelle, der Südamerika-Anlage für Tapire und Nasenbären sowie Africambo 1 für unsere Spitzmaulnashörner
und zahlreiche vergesellschaftete afrikanische Huftierarten, hat der Zoo heute bereits ein ganz anderes Gesicht
bekommen und erfreulicherweise ist der Zuspruch unserer
Besucher spürbar. Das Jahr 2010 hat uns, trotz schwerster
Wetterkapriolen, ein leichtes Besucherplus gegenüber 2009
beschert. Zufrieden können wir damit aber nicht sein, da
wir uns mehr erhofft hatten. Dieses ist nur zu verständlich,
denn wir haben ein ehrgeiziges Projekt, die Umsetzung der
„Visionen 2006+“ begonnen und wir wollen zeigen, dass die
Investitionen unserer Gesellschafter sowohl wirtschaftlich,
als auch unseren ideellen Zielen folgend gut angelegt sind.
Eine Besucherumfrage, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres durchgeführt wurde, zeigt sehr deutlich,
dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Gesamtzufriedenheit unserer Besucher rangiert auf einer Skala von 1
bis 10 bei 8, was einem „bin gut zufrieden“ entspricht.
Unsere Besucher stammen nach der Umfrage - wie zu
erwarten - zu rund 2/3 aus dem Großraum Magdeburg/
Sachsen-Anhalt. Jedoch bereits 16 % der Besucher kommen
aus dem östlichen Niedersachsen, was eindeutig auch auf
das tagestouristische Potential unseres Zoos hinweist.
In diesem Jahr werden wir uns mit den Bautätigkeiten
etwas zurückhalten, obwohl es nur kurz gilt, einmal
durchzuatmen um sich bereits den nächsten „großen“
Vorhaben intensiv zu widmen. Das Menschenaffenhaus
mit seinen Außenanlagen, der neue Besucherparkplatz,
eine große Zoogastronomie, ein Gebäude für unsere Mitarbeiter und Africambo 2 mit den Elefanten stehen in
diesem Jahr auf unserer Tagesordnung zur Bearbeitung.
Aber auch die kleineren Bauprojekte im Zoo werden Sie
begeistern. Besonders gespannt bin ich auf die neue, für
Besucher begehbare Voliere mit Sittichen im Nordbereich
des Zoos. Mit großzügiger Unterstützung des Zoofördervereins können wir dieses Highlight noch in diesem
Jahr realisieren. Eine Mitgliedschaft im Zooförderverein
ist mit die beste Möglichkeit seine enge Verbundenheit
zu unserem Zoo zu zeigen, sich einzubringen und uns
tatkräftig zu unterstützen.
Unser Tierbestand wächst zusehends. Neue Arten sind
eingezogen, die erstmalig in Magdeburg gehalten werden,
wie Streifenhyänen, Schopfhirsche (einen ersten Erfahrungsbericht erhalten Sie ab Seite 4), Siedleragamen, Spaltenschildkröten oder Langschnauzen-Kaninchenkängurus,
um nur einige zu nennen. In diesem Jahr werden z.B. mit
den Pennantsittichen in der für Besucher begehbaren
Voliere oder mit den dämmerungsaktiven Grabfröschen
im Nashornhaus wieder weitere neue Arten zu bewundern
2
sein, so dass nicht nur die Tieranzahl, sondern auch die
Artenvielfalt in unserem Zoo weiter zunimmt. Und sie
wird auch zukünftig immer weiter steigen, wenn die oben
beschriebenen Baumaßnahmen realisiert werden.
Die natürlich vorkommende Artenvielfalt war vor kurzem
Thema einer Jahreskonferenz der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP), die in
diesem Jahr bei uns in den Räumlichkeiten der Zoowelle
mit rund 100 Teilnehmern stattgefunden hat. Ich freue
mich besonders, dass der 1. Vorsitzende der ZGAP, Roland
Wirth, unseren Lesern seine Sichtweise zur derzeitigen
Situation des globalen Natur- und Artenschutzes offenbart.
Roland Wirth ist einer der anerkanntesten Artenschützer
Deutschlands, international hoch geachtet und ist u.a. Preisträger der Bruno H. Schubert Stiftung für herausragende
Leistungen auf dem Gebiet des praktischen Natur- und
Umweltschutzes. Sein Gastkommentar hat es sprichwörtlich in sich, wenn bedacht wird, dass die nackten Zahlen
zur Artenvielfalt weiterhin erschreckend sind. 21 % aller
bekannten Säugetier-, 30 % aller Amphibien und 70 %
der erfassten Pflanzenarten sind beispielsweise akut von
der Ausrottung bedroht. Entgegen der bisher anvisierten
Ziele der Weltgemeinschaft ist die Tendenz weiter steigend.
Nun muss sich beweisen, ob die auf der Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya 2010 nach einem äußerst zähen
und zeitweise dramatischen Verhandlungsmarathon
erzielten Ergebnisse für den Schutz der biologischen
Vielfalt tatsächlich greifen. Das Paket besteht aus einer insgesamt ambitionierten Naturschutzstrategie bis
2020, einer Einigung auf einen verbindlichen Vertrag
gegen Biopiraterie (ABS-Protokoll) und einem Plan zur
Bereitstellung von Finanzen für Entwicklungsländer.
INHALT
Umso wichtiger erscheint es uns daher, den Zoobesuchern
deutlich zu machen, wie unvernünftig der Mensch mit
der Artenvielfalt auf unserer Erde umgeht und dass es
(noch) nicht zu spät ist, das Steuer für unsere Kinder und
Enkelkinder zum Erhalt der Biodiversität herumzureißen.
Ein hoffnungsfrohes Beispiel stellen wir Ihnen in der
Mitte des Heftes vor – den erfolgreichen Kampf zweier
kleiner chilenischen Orte gegen drei geplante Kohlekraftwerke, deren Bau nicht nur die Lebensgrundlage
der freilebenden Humboldt-Pinguine, sondern auch der
Menschen in der Region auf`s Massivste bedroht hätte.
Wir werden nicht müde, nicht nur für einen interessanten
und erlebnisreichen Zoo zu arbeiten, sondern auch engagiert für die Artenvielfalt und deren Erhalt zu werben.
Es gibt noch viel zu tun, packen wir’s (gemeinsam) an!
Ihr
Kai Perret
Inhalt
TIERGESCHICHTEN
Seite 4
Ein neuer Hirsch am Platze – fernöstlicher Zuwachs
in der Huftiersammlung
Seite 6
Zum Bau von Baumnestern durch Nasenbären
im Zoologischen Garten Magdeburg
PORTRAIT
Seite 9
Die „Elefantenpflegerin“ – Sonja Kratzke
WISSENSCHAFT
Seite 12
Afrikanische Stromschnellenfrösche:
unbekannte Vielfalt im Sprühnebel
AKTION NATURSCHUTZ
Seite 15
David gegen Goliath auf chilenisch
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT
Seite 24
Der Japan-Serau – Ein geheimnisvoller Bergbewohner
GASTKOMMENTAR
Seite 27
Problemwölfe, Tierbabys in Zoos und die Folklore von
„Freiheit oder Tod“
In den Zoo zurückgekehrt: Der Jungfernkranich
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TIERGESCHICHTEN
Ein neuer Hirsch am
Platze – fernöstlicher
Zuwachs in der
Huftiersammlung
Konstantin Ruske
Um einen vielfältigen Tierbestand angemessen zu präsentieren, konzipieren Zoos bereits seit Längerem etwa
geographische oder lebensraumtypische Komplexe, in
denen sich dann sehr unterschiedliche Vertreter aus der
jeweils dargestellten Lebensgemeinschaft finden. So wird
durch Abwechslung und bewusst starken Unterschieden
zwischen Anlagennachbarn immer wieder neu die Aufmerksamkeit entfacht, die der einzelnen Tierart gebührt.
Dementsprechend wurde unser asiatischer Raubtierbereich auch durch Tiere wie chinesische Zwergmuntjaks,
Zwergmuntjak-Jungtier auf der heutigen Schopfhirschanlage
zeitweise Blauelstern und seit 2010 Landschildkröten
aufgelockert. In Zukunft soll dieses Prinzip verstärkt
werden. Gerade die Muntjaks, die für den angrenzenden
Sibirischen Tiger geruchlich und akustisch (die typischen
Lautäußerungen führten auch zu der Bezeichnung „Bellhirsch“) interessant waren, bildeten für den Besucher
einen Aufsehen erheischenden Kontrast zur größten
Katze der Welt. Wenn sich die Zwerghirsche allerdings
einmal nicht an Wassergraben oder Futterlaubplatz
aufhielten, waren sie auf der recht tiefen Anlage nur
recht schwer zu beobachten. Als im Norden des Zoos
eine der Größe der Tiere etwas angemessenere Anlage
frei wurde, entschlossen wir uns zum Umzug dieser in
4
Schopfhirsch mit Eckzähnen
Magdeburg traditionsreichen Art. Ersetzt werden sie
seit 26.10.2010 durch ein Paar der in Deutschland sonst
nur im Tierpark Berlin und im Tiergarten Heidelberg
gezeigten Ostchinesischen Schopfhirsche (Elaphodus
cephalophus michianus). Diese ebenfalls in die Familie der Muntjakhirsche gehörenden Paarhufer mit von
silbern bis schokoladenbraun changierendem Fell sind
deutlich größer (Schulterhöhe bis 70 cm) und durch signalhafte weiße Abzeichen an Ohren und Hinterteil auch
in der Entfernung besser auszumachen. Auch bei ihnen
trägt der Bock als Relikt ursprünglicher Verwandschaft
Eckzäne, die im Rivalenkampf zum Einsatz kommen.
Das sehr schwach entwickelte, eigentlich nur aus zwei
kurzen Stangen bestehende Geweih, das im namensgebenden Schopf verborgen ist, taugt dafür nicht. Im
Freiland in China und Burma schätzt man den Bestand
auf 300.000 bis 500.000 Tiere, allerdings ist von einer
steten Dezimierung der Art durch die in diesen Regionen aktuell massive Bejagung auszugehen. In Europa
beträgt der Zoobestand derzeit 15 Tiere, in den USA
etwas über 60 Exemplare, dort allerdings in der Nominatform. Die Haltung dieses Kleinhirsches in Europa
ist eng mit dem Zoo Rotterdam verknüpft, der Anfang
der 90er Jahre zwei Paare der Unterart michianus aus
dem Zoo Shanghai importierte. Dazu kamen 1997 noch
einmal 5,1 Tiere aus US-amerikanischer Zucht über den
Bronx-Zoo in den Tierpark Berlin (Dieser hatte 1985 mit
der Art die Welterstzucht außerhalb der Heimatländer,
als ein Paar für San Diego dort in Quarantäne stand.).
Aus dem „Re(h)“-Import gelangte auch ein Bock nach
Rotterdam, der zusammen mit den Shanghaier Tieren
dort die Basis für den heutigen Bestand in Europa bildete
TIERGESCHICHTEN
(POHLE 1989, 1995, 1996, 1998, 2005). So bezogen auch
wir unser Weibchen „Petra“ vom Zoo Rotterdam. Gemeinsam mit ihrem ihr zugedachten Partner, der im Zoo
Twycross (GB) geboren wurde, verbrachte sie zunächst
12 Tage im Stall, um mit ihm als Rückzugsort vertraut
zu werden. Bereits dabei zeigte sich ein deutlicher Unterschied im Charakter der beiden. Ist zwar auch „Petra“
mittlerweile ruhig und abwartend in Anwesenheit der
Pfleger, so reicht sie doch keinesfalls an die Zutraulich-
„Lebendes Stück Seife“ - Schopfhirsch im Sprung
keit des kleinen Briten heran. Schon der Transporteur
berichtete fasziniert beim Eintreffen in Magdeburg, wie
der sehr zahme Hirsch ohne Zwang und Druck von den
englischen Kollegen in die Kiste gestreichelt worden war.
Auch unseren Pflegern fraß er nach kurzer Zeit aus der
Hand, lässt sich berühren und unternimmt bei Reinigungsarbeiten kleine Spaziergänge auf dem Stallgang
(über ähnliche Zutraulichkeit berichten die Heidelberger
Pfleger von ihren Schopfhirschen). Ob seines neugierigen
und unerschrockenen Verhaltens lag es für uns nahe,
dass, sollte es beim Kennenlernen der Freianlage und
ihrer Grenzen in erster Exploration vielleicht zu einem
Ausbruch kommen, es sicherlich den Bock betreffen würde. Vorsorglich wurde der Wassergraben am tierseitigen
Ufer mit mehreren Flatterbändern markiert – die ersten
fünf Tage lang durchstreiften auch beide Schopfhirsche
komplikationslos ihr neues Revier. Am sechsten Tage
erreichte mich ein Anruf des Bereichsleiters während
eines Termins in der Stadt: „Im Gehege befindet sich nur
noch ein Schopfhirsch und Besucher haben im Vorpark
ein Reh gesehen!“ Schlimmste Vorstellungen taten sich
auf, und wir hofften, dass das Tier zumindest nicht aus
dem Zoogelände gelangt war. Am Schauplatz angekommen, war es immer noch auf freiem Fuß – und es war
das scheue Weibchen! Glücklicherweise sprengte es nicht
quer über die großen Wiesenflächen, sondern drückte
sich artgemäß in den dichten Rhododendronbüschen
herum. Versuche, es über Wirtschaftswege ins Gehege
zurück zu treiben, misslangen. Im hoppelnden Galopp
durchbrach es die Treiberkette Richtung neuem Nashornhaus, „fing“ sich erfreulicherweise jedoch selbst in einem
nach drei Seiten abgeschlossenen Pflanzstreifen hinter
dem Vogelhaus. Die kaum drei Meter breite offene Seite
wurde nun mit vier Kollegen „dicht gemacht“. Langsam
näherten sie sich durch die Büsche dem Hirsch. Je näher
sie kamen, umso unruhiger äugte das kleine Huftier nach
einem Ausweg. Wohl spähte es Richtung Oberkante der
umgebenden Zäune, aber ein Buschschlüpfer sucht nicht
sein Heil, indem er sprichwörtlich Wände hochgeht, wie
es zum Beispiel viele Antilopen in dieser Situation getan
hätten. Auf zwei Meter ließ es uns herankommen, dann
startete der vierbeinige Torpedo und schaffte es mit
Bravour, wie ein Aal zwischen den Fängern hindurchzugleiten. Allein die zweite Kette Treiber hatte es nicht
einkalkuliert. Ein Verzweiflungssprung nach vorn ließ
es zufällig auf eine Tierpflegerin prallen, die dadurch
zwar umgerissen wurde, aber beherzt das ob seines so
glatten Fells „lebende Stück Seife“ packte und sich mit
ihm auf dem Boden wälzte, es aber nicht los ließ! Zu Hilfe
eilende Kollegen sicherten dann Beine und Rumpf und
befreiten sie so von ihrer quicklebendigen Trophäe. Nach
Rückführung der Tiere in den Stall war auch schnell die
Ausbruchsstelle gefunden. Der vor Jahren zum Sumpfbeet umgestaltete Wassergraben hatte nur noch eine
Tiefe von rund 10 cm. Das Schopfhirschweibchen war
bequem durch den Schlick zur äußeren Grabenmauer
gelaufen und war über die Elektrodrähte gesprungen. In
mühevoller Arbeit wurde daraufhin der Schlamm aus
dem Becken herausgeholt und die maximale Grabentiefe
wieder hergestellt. Erneute Ausbrüche blieben bisher
aus, die Tiere sind nun tatsächlich eingewöhnt und wir
hoffen auf baldigen Nachwuchs.
Dank
Mein Dank gilt Herrn Harald Schmidt, Kurator am Zoo
Rotterdam, der mir für den Artikel freundlicherweise
die Bestandsdaten der dort gehaltenen Schopfhirsche
zukommen ließ.
Quellen:
POHLE, C. (1989): „Geburt eines Schopfhirsches im Tierpark Berlin sowie
Angaben zu Gewicht und Geweihwechsel von Elaphodus cephalophus“;
Der Zoologische Garten (NF) 59, S. 188-194.
(1995): „Huftierhaltung und -zucht im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde
in den ersten vier Jahrzehnten seines Bestehens“; Milu Bd.8, Heft 3/4,
S. 415-451.
(1996): „Jahreszeitliche Verteilung der Cerviden - Geburten im Tierpark
Berlin-Friedrichsfelde“; Milu Bd.8, Heft 6, S.698-705.
(1998): „Schopfhirsche im Tierpark Berlin- Friedrichsfelde“; Takin 7 , Heft 2,
S. 16-18.
(2005): „Zehn Jahre danach: Die Entwicklung des Huftierbestandes im
fünften Jahrzehnt des Tierparks Berlin“; Milu Bd. 11, Heft 4, S. 396-416.
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TIERGESCHICHTEN
Zum Bau von
Baumnestern durch
Nasenbären im
Zoologischen
Garten Magdeburg
René Driechciarz und Konstantin Ruske
Die Geschichte der Zoologischen Gärten ist von Anfang
an ein Prozess der steten Weiterentwicklung, des Gewinnens und Beachtens neuer Einsichten und Kenntnisse,
mithin ein ständiges Suchen nach Verbesserung in der
Haltung jeder Tierart. So ist auch die Planung und der
Bau neuer Tieranlagen eigentlich immer getragen von
dem Wunsch, nicht nur attraktivere Schaubereiche für
die Besucher zu schaffen, sondern auch für die Bewohner
den Lebensstandard weiter zu heben. Ein schönes, wenn
nicht wertvollstes Zeichen für den tiergärtnerischen
Erfolg einer neuen Anlage ist die Beobachtung von Verhaltensweisen, die unter den alten Haltungsbedingungen
nicht zu beobachten waren, obwohl sie von dieser Tierart
aus dem Freiland bekannt sind.
Dies ist bei unserer Gruppe Roter Nasenbären (Nasua
nasua) der Fall, die nach Bezug der neuen SüdamerikaAnlage mit dem Bau von Baumnestern begannen. Da
dieses Verhalten in der deutschsprachigen Literatur nur
wenig im Detail beschrieben ist, sollen im Folgenden
Einzelheiten aus der Saison 2010 geschildert werden.
In wechselnden, für Kleinraubtierhaltung typischen
Käfiganlagen werden Nasenbären seit 1970 (SCHRÖ-
Tapire und Nasenbären auf der Südamerika-Anlage
6
Nasenbären auf der Stieleiche
PEL, 2000) im Zoo Magdeburg gezeigt. Die robusten und
anspruchslosen Zootiere (Erstzucht 1972) entwickelten
sich auch unter diesen herkömmlichen Bedingungen
gut. Von der Befriedigung der Grundbedürfnisse kann
zweifelsohne ausgegangen werden. Am 14.9.2009 siedelte
die aus 5,1 Tieren bestehende Nasenbären-Gruppe in die
neu errichtete Anlage, die verschiedene südamerikanische Urwald- und Grasland-Bewohner in naturnahem
Lebensraum präsentieren will (PERRET & KÖGLER 2010).
Den Nasenbären stehen dabei zwei Innenkäfige a 16 qm
sowie die 2000 qm große, reich mit lebenden Bäumen
bestückte Außenanlage zur Verfügung. Sind auch einige
der besonders wertvollen Bäume (z. B. fruchtspendende
Mirabellen (Prunus domestica subsp. syriaca), gegen
das Beklettern durch die Nasenbären geschützt, bleiben
doch insgesamt 8 Starkbäume der Arten Sommerlinde
(Tilia platyphyllos), Weißdorn (Crataegus monogyna),
Spitzahorn (Acer platanoides), Hainbuche (Carpinus betulus), Birke (Betulaceae), Trauerweide (Salix babylonica),
Stieleiche (Quercus robur), Esche (Thymallus thymallus)
(wenn freistehend wegen glatter Rinde gemieden) als
Betätigungsfeld, Ausguck und eben auch Schlafplatz in
voller Höhe für die Kleinbären erreichbar. Da die Tiere
nur zu zwei Kontrollfütterungen täglich, die gleichzeitig ein regelmäßiges Einsperren trainieren, kurzfristig
ins Haus geholt werden, haben sie viele Stunden Zeit,
sich geeignete Astgabeln als Ruheplätze auszusuchen.
Dies geschieht auch bei nur wenigen Plusgraden und
bevorzugt im Sommer über Nacht. Und ist es bereits ein
Erlebnis, die oft erwähnte Behändigkeit der Nasenbären
beim Balancieren über dünne Äste in 16 m Höhe zu beobachten und sich über die wie Baumschmuck verteilten
Fellknäule in unterschiedlichen Etagen zu freuen, so
waren die ab Juni 2010 registrierten Nester eine wei-
TIERGESCHICHTEN
Kleines Nest auf der Hainbuche
tere Bestätigung der artgerechten Haltung in der neuen Südamerika-Anlage. Auch im lateinamerikanischen
Raum, in dem sich die natürlichen Verbreitungsgebiete
der Gattung Nasua befinden, ist bisher wenig zu diesem
für Kleinraubtiere außergewöhnlichen Verhalten publiziert worden. Umso interessanter sind für uns Vergleiche
mit Daten aus dem Freiland, die OLIFIERS et. al. (2009)
gewannen. Wie im brasilianischen Pantanal beobachtet,
werden die Nester auch bei uns für zwei Zwecke gebaut und genutzt. Zum einen sind es bloße Schlafnester,
zum anderen Zufluchts- und Aufzuchtsort für werfende
Mütter und ihre heranwachsenden Jungtiere. Während
andere Arten gleichen oder ähnlichen Ökotyps vor allem
bereits bestehende geschützte Schlafbereiche wie Baumoder Felsenhöhlen beziehen, bildete sich bei Nasenbären
die Verhaltensweise des freien Nestbaues heraus. Diese
alternativ opportunistische Verhaltensweise gibt den
Nasenbären die Möglichkeit, eine vagabundierende
Lebensweise innerhalb ihrer Territorien, die mehrere
Quadratkilometer groß sein können, auszuüben. Darüber hinaus werden dadurch Konkurrenzsituationen mit
anderen Raubsäugern wie z. B. dem Waschbär (Procyon
lotor) insbesondere im Hinblick auf geschützte Schlafbereiche wie Baum- und Felsenhöhlen vermieden. Prinzipiell kann eine Nutzung von Baumhöhlen aufgrund
der Gruppengrößen von bis zu 30 Weibchen sowie den
sehr großen Würfen und den zur Verfügung stehenden
Höhlen auch in den Regenwäldern Südamerikas und
insbesondere den Savannen und Galeriewäldern eher
ausgeschlossen werden. Aus den unterschiedlichen Nutzungen, die auch an die Geschlechter gebunden sind,
resultieren differierende Bauweisen, wie wir bei unseren
Tieren feststellen konnten. Unsere Männchen bogen als
Unterbau in einer Astgabel (Aststärke mindestens 1 cm)
dort wachsende Zweige zurecht. Auf diese wurde eine
Auflage abgebissener und zurechtgedrückter Äste aufgebracht. Während die Außenränder taubennestartig eher
liederlich ausgefranst waren, stellte sich der Innenteil mit
einem Durchmesser von 25 - 50 cm als deutlich fester
und kompakter dar. Die Nester werden, wenn möglich,
regelmäßig neu angelegt, ältere aktiv entfernt. So wurden etwa am 22.6.2010 zwei neue Nester vorgefunden,
zwei alte waren herunter geworfen. Am 27.6.2010 fand
sich erneut ein frisches Nest, gleichzeitig war ein altes
abgestoßen worden. Bereits am 8.7.2010 waren wiede-
rum zwei neue Nester gebaut worden. Über Gründe für
den häufigen Wechsel kann nur gemutmaßt werden. So
könnten „zu lang“ genutzte Nester stärker von Parasiten
befallen sein und/oder als Anlaufpunkt für potentielle
Fressfeinde als „zu bekannt“ erscheinen.
Das von unserem Weibchen zum Zwecke der Jungenaufzucht angelegte Nest wies demgegenüber wesentliche
Unterschiede auf. Aus Gründen des Populationsmanagements ist sie das einzige weibliche Tier der Gruppe. Um
die Belastbarkeitsgrenze unseres Weibchens nicht zu
überschreiten, sind vier der fünf Männchen frühzeitig
kastriert worden. Im Jahr 2010 war das Weibchen vom
2.4. bis 14.7.2010 von den Männchen getrennt im Innenstall, um dort in Ruhe zu werfen und ihre 5 Jungen
über die ersten Wochen zu bringen. Auch im Freiland
verbringen die Weibchen die erste Phase der Aufzucht
außerhalb ihrer Gruppe (EMMONS, 1997). Unserer Bärin
wurde am 14.7.2010 samt der Jungen wieder Zugang zur
Außenanlage in Anwesenheit der Männchen gewährt.
Am 20.7.2010 fiel ein sehr großes, von der Sonne gut
beschienenes Nest in einer Trauerweide auf, das sie mit
ihrem Wurf bezogen hatte. Das Konstruktionsprinzip
entspricht dem der Schlafnester der Männchen, allerdings ob der umfangreicheren Dimension mit erheblich
dickeren Astgabeln als Unterbau. Der Durchmesser dieses
Nestes betrug rund 1,30 m, das Gewicht wurde mit 10
kg bestimmt. Solange sich die Jungen auf der Anlage
befanden (Abgabe am 14.8.2010), war interessanterweise
Nest auf der Trauerweide
7
TIERGESCHICHTEN
Nasenbärin im Nest mit Jungtieren
nur der Vater einige Male auf diesem Nest zu beobachten,
nie jedoch die Kastraten. Dies spricht durchaus für individuelle Bindungen zwischen den Gruppenmitgliedern,
die durch den bei einzelnen Rüden bestehenden Fertilitätsstatus erklärt werden könnte, wenngleich sie außerhalb des Schlafnestes den gleichen Futterplatz nutzen.
Eventuell wurde auch durch das Fernhalten der Kastraten
mögliches agonistisches Verhalten der „Nichtväter“ gegenüber den Jungen von der Mutter im Nest vermieden.
Nach Abgabe der Jungen waren hin und wieder auch
die Kastraten auf dem Nest, hauptsächlich jedoch das
Zuchtpaar. Am 15.10.2010 wurde das Nest bei starkem
Sturm vom Baum geweht und anschließend vermessen.
Im Pantanal konnten OLIFIERS und Mitarbeiter (2009)
Weibchennester mit einer durchschnittlichen Grundfläche von 49x38 cm und 45x45 cm nachweisen. Somit war
unser Nest etwa doppelt so groß. Weißrüsselnasenbären
(Nasua narica), deren Junge durch Kapuzineraffen (Cebus
capucinus) bejagt werden (PERRY et. al. 1993), bauen
sogar geschlossene Kugelnester, gelegentlich/häufig mit
zwei Eingängen. Die Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen Gegebenheiten bezüglich vorhandener Bäume und
Nistmaterialien sowie Erfordernisse, die aus Feinddruck
resultieren, ist der gesamten opportunistischen Natur
der Nasenbären folgend also extrem hoch. Die durchschnittliche Höhe der Nistplätze in den Bäumen liegt im
8
Pantanal bei 4,4 - 9,3 m (und höher), unser Aufzuchtsnest in der Weide war 7,5 m hoch, die Schlafnester der
Männchen befanden sich in 8 - 12 m Höhe.
Insgesamt freuen wir uns, dass die Bedingungen auf
unserer neuen Anlage es den Tieren nun gestatten, dieses
besondere und gattungstypische Verhaltensmuster zu
zeigen, was ihren Komfort sicher erhöht. Mit Spannung
erwarten wir die kommende (Zucht-)Saison und haben
darüber hinaus wieder einen Anstoß erhalten, auch über
die Bedürfnisse unserer scheinbar weniger anspruchsvollen Pfleglinge nachzudenken.
Quellen:
EMMONS, L. (1997): „Neotropical rainforest mammals: a field guide“,
Chicago, The University of Chicago Press, S. XVI + 307 .
OLIFIERS, N., BIANCHI, R. d C., MOURAO, G. d M. und M.E. Gompper (2009):
“Construction of aboreal nests by brown-nosed coatis, Nasua nasua
(Carnivora: Procyonidae) in the Brazil Pantanal”, Zoologia 26 (3), S. 571-574.
PERRET, K. & KÖGLER J. (2010): „Tapir, Nasenbär und Co - eine „amazonische“ Wohngemeinschaft“, Felis News 2010, S. 11.
PERRY, S. & L. ROSE (1993): “Begging and transfer of coati meat by Whitefaced capuchin monkeys (Cebus capucinus)”, Primates 35 (4), S. 409-415.
SCHRÖPEL, M. (2000): „Im Zeichen des Luchses - 50 Jahre Zoo Magdeburg”, Chronik, Anlage XX.
PORTRAIT
Die „Elefantenpflegerin“ –
Sonja Kratzke
Björn Encke
Fast jedes Unternehmen mit Tradition verfügt in den
Reihen seiner Mitarbeiter über sogenannte Urgesteine –
Kollegen, die seit vielen Jahren dabei sind, den Aufbau
und die Entwicklung des Betriebes miterlebt und mitgeprägt haben. Sonja Kratzke ist das wohl bekannteste
aktive „Urgestein“ des Magdeburger Zoos – und eines
seiner markantesten obendrein.
Als gelernte Geflügelwirtin trat sie am 1.9.1966 ihren
Dienst als Tierpflegerin an, die Prüfung zum Zootierpfleger folgte einige Jahre später. Schon bald entdeckte
sie im Umgang mit den in Magdeburg geborenen Schimpansenmännern Robi, Gando und Demu ihre Liebe zu
den Menschenaffen, es sollte jedoch 20 Jahre dauern,
bis sie als dann verantwortliche Revierleiterin bei den
Menschenaffen ihre Erfüllung finden sollte. Zunächst
unterbrachen Schwangerschaft und Babypause ihre berufliche Laufbahn, ohne freilich die Nähe zum Zoo zu
verlieren – schließlich lebte sie mit ihrem Mann, dem
langjährigen Zootierinspektor Ortwin Kratzke bis 2010
direkt auf dem Gelände, nur einen Steinwurf weit entfernt
von „ihrem“ Revier im Norden des Zoos. Luchse, Adler
und auch die europäischen Wildkatzen gehörten dazu.
Als 1985 der Zoo einen Findlingswurf dieser seltenen
und äußerst scheuen einheimischen Raubkatze aus dem
Harz erhielt, war es Sonja Kratzke, die mit Hilfe einer
Katzenamme die fünf Welpen aufzog. Mit ihnen gelang
der Durchbruch bei der Zucht; zahlreiche Nachkommen
Die glücklichste Zeit. Sonja Kratzke mit der jungen Nana in ihrem „Fahrzeug“ beim Zoospaziergang, 1988
Sonja Kratzke mit jungen Wildkatzen, 1985
der Magdeburger Wildkatzen konnten im Laufe der Jahre
wieder ausgewildert werden.
Dieser Erfolg konnte Sonja Kratzke nicht davon abhalten,
ihren Traum von den Menschenaffen zu verwirklichen.
Die Gelegenheit bot sich 1987 – im Jahr zuvor waren
Robi, Gando und Demu abgegeben worden. Das völlig
überalterte Affenhaus war keine zumutbare Unterkunft
für erwachsene Schimpansenmänner. Die tiergärtnerische
Entscheidung, auf die Haltung von Menschenaffen zu
verzichten, wurde von der Öffentlichkeit jedoch keineswegs akzeptiert. Schließlich gab die Direktion dem
Druck nach und übernahm das im niederländischen
Rhenen geborene anderthalb-jährige Schimpansenweibchen Nana. Da sich die vormalige „Affenmutter“
Bärbel Engelhardt zu dieser Zeit selbst in Mutterschutz
befand, war der Weg frei für Sonja Kratzke. Nana war
noch ein Kind, nach drei Monaten bei der völlig überforderten Mutter hatten die holländischen Kollegen sie
in die Handaufzucht überführen müssen. Um der jungen
Schimpansendame eine möglichst gute Eingewöhnung
zuteil werden zu lassen, stellte der damalige Direktor
Wolfgang Puschmann Sonja Kratzke von allen übrigen
Aufgaben frei, einziger Auftrag: die Pflege von Nana.
Was folgte, war die glücklichste Zeit ihres Berufslebens.
Die Tage vergingen mit Spaziergängen und Spiel mit der
heranwachsenden Nana, am Abend wachte Sonja Kratzke
an ihrem Schlafplatz im alten Affenhaus, bis die Kleine
eingeschlafen war. „Kaum dachte man, jetzt schläft sie,
und wollte sich ganz leise zurückziehen, hob sie den
Kopf und protestierte. Wie bei einem Kleinkind am Bett
saß ich oft Stunden lang, bis ich nach Hause konnte.“
Zwei Jahre nach Nana kam Wubbo, ein 4-jähriger Schimpansenmann mit einer traumatischen Kindheit. „Wubbo kam aus der AIDS-Forschung, ohne Schneidezähne,
9
PORTRAIT
„Die Intelligenz dieser Tiere ist eine ständige Herausforderung. Einen guten Pfleger zeichnet aus, sich dieser
Herausforderung täglich zu stellen.“
Es gibt in den Zoos nur wenige Tiere, die ihre Pfleger
in dieser Beziehung so stark herausfordern, neben den
Menschenaffen sind dies vielleicht noch Delfine und
natürlich Elefanten. Und so wie der Mensch die Tiere
prägt, mit denen er eng zusammen ist, so prägen auch
die Tiere den Menschen. Nicht von ungefähr gibt es das
geflügelte Wort in der Zoowelt: „Es gibt nur eins, was
Doppelportrait einer inniglichen Beziehung. Sonja Kratzke und „ZiehTochter“ Nana, 1990
10
völlig verängstigt, ein gebrochener Affe.“ Sonja Kratzke
hat auch ihn unter ihre Fittiche genommen, hat ihn gepäppelt und versucht, ihm seine Ängste zu nehmen. Ein
souveräner Schimpansenmann ist Wubbo nie geworden,
Sonja Kratzke drückt es nur sehr viel schöner aus: „Er ist
ein Gentleman, er lässt Nana den Vortritt.“ Allein, wenn
er einen für Schimpansen typischen cholerischen Anfall
kriegt, geht sie ihm aus dem Weg, ansonsten ist Nana die
Chefin, die Schlauere von beiden. Einmal hat sie sogar
Sonja Kratzke ausgetrickst, es war der 1.5.2007. Sonja
Kratzke öffnete die Tür zum Absperrkäfig, wähnte Nana
auf der großen Anlage. Was sie nicht sah war, dass Nana
sich – vollkommen entgegen aller Gewohnheiten - an der
Decke hängend versteckt hatte. Erst als der Anruf kam,
Nana sitze auf einer Mauer an der Zookasse und lasse sich
fotografieren, fiel Sonja Kratzke auf, dass sie ausgebrochen
war. Unverzüglich eilte sie zum Ort des Geschehens. Tatsächlich ließ sich Nana in alter Gewohnheit an der Hand
zurück ins Menschaffenhaus führen, die Sache ging gut
aus. Das Herz ist Sonja Kratzke erst in die Hose gerutscht,
als Nana wieder in ihrer Anlage und eingesperrt war.
Kommunikation gehört zum Geschäft, am Besten mit einem Lächeln.
Sonja Kratzke klärt Besucher über den Sinn der Beschäftigung von Menschenaffen auf.
Spaß mit Nana: Mit der Meldung, Nana telefoniere gerne mit anderen
Schimpansen in den Zoos der Welt jagte der Zoo die Presse ins Bockshorn – nicht alle Pressevertreter fanden diesen Aprilscherz lustig, 1993
schwieriger ist als Elefanten, und das sind Elefantenpfleger.“ Dominanz, unbedingte Autorität und absolutes Selbstvertrauen sind hier – zumindest im direkten
Kontakt – überlebenswichtig. Selbiges gilt sicherlich
auch für Menschenaffenpfleger. Sowohl bei Elefanten
als auch bei Menschenaffen rücken die Zoos nach und
nach von einer Haltung im direkten Kontakt ab. Sonja
Kratzke gehört einer Generation an, bei welcher der
Ausdruck „ein Leben für und mit Menschenaffen“ noch
wörtlich zu verstehen ist, die Entschärfung eines Menschenaffenausbruchs durch An-die-Hand-Nehmen wird
es in Zukunft in Zoologischen Gärten kaum noch geben.
Diesen Wandel sieht auch Sonja Kratzke, und sie sieht
ihn mit Optimismus. „Wenn man sich heute ansieht,
welche Möglichkeiten es gibt, die Tiere intelligent zu
beschäftigen, sie zu fordern und zu fördern, dann ist
das schon enorm.“ Was sie sich wünscht für die zukünftige Pfleger-Generation? Mehr Offenheit zwischen den
Zoos, die Möglichkeit, in anderen Betrieben Erfahrung
zu sammeln und sich auszutauschen. Und für Wubbo
und Nana? Dass es ihnen gut geht, sie nach Möglichkeit
doch noch mit anderen Schimpansen zu einer intakten
Gruppe zusammengeführt werden, und wenn dies in
PORTRAIT
Für die artgerechte Haltung von hochintelligenten Tieren ist der regelmäßige Einsatz von Beschäftigungsmitteln unerlässlich. Wubbo beim
Werkzeuggebrauch - mit Hilfe eines Stöckchens pult er die im „Rosinenholz“ versteckten Leckereien heraus.
Magdeburg nicht möglich ist, vielleicht auch anderswo.
Es sind Tierpersönlichkeiten, und es sind menschliche
Persönlichkeiten, die das Schicksal und Geschick eines
Zoos prägen, für Nana und Wubbo und Sonja Kratzke
gilt dies in besonderem Maße, in guten wie in schlechten
Zeiten. Und auch diese gab es in all den Jahren ihrer
Tätigkeit, die Zeiten des Streites, der menschlichen Zerwürfnisse. Und wenn sie heute sagt „die Frage, was am
Ende wichtiger ist, Affen oder Freundschaft, dann ist
das für mich keine Frage: natürlich die Affen“, dann
zeugt dies zwar von eher vernarbten denn verheilten
Wunden, und doch wird es verständlicher, wenn man
versteht, woher es kommt.
„Sonja war immer eine sehr lebenslustige Frau“, erinnert
sich eine Kollegin, „hilfsbereit, gewissenhaft, manchmal
ein bisschen launisch oder auch ungeduldig. Wir haben
doch alle damals den Beruf ergriffen aus tiefster Überzeugung und mit großem Enthusiasmus. Unser Leben
war der Zoo.“
Durch Enthusiasmus befeuerter Idealismus bedingt
starke Überzeugungen und die Bereitschaft, für diese
zu streiten. Die Verbindung mit der Exklusivität des
Mensch-Tier-Verhältnisses, wie sie zwischen Pf leger
und hoch intelligentem Tier bestehen kann, bringt fast
zwangsläufig jenen archetypischen „Elefantenpfleger“
hervor. Niemand wird für Nana jemals die Rolle Sonja
Kratzkes einnehmen können, aber das muss auch nicht
schlimm sein. „Ich weiß meine Schimpansen bei den
Kollegen in guten Händen, wenn ich gehe“, es werden
nicht ihre Hände sein, genauso wenig, wie irgendwelche
Hände jemals Nana an der Hand mitten durch die Schar
der Zoobesucher werden lotsen können, aber das sollte
ohnehin besser nie mehr notwendig werden.
Ende 2011 wird Sonja Kratzke den Zoo nach über
45 Jahren verlassen. Was danach kommt und wie es sich
wohl anfühlen wird, darüber mag sie heute noch nicht
spekulieren, allein ihre Rückschau steht, und sie steht
für sie: „Ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben,
ob es immer das Beste war, weiß ich nicht.“
Allmorgendliche Routine, die Säuberung der 250 qm großen Innenanlage der Schimpansen. Im Vergleich zu den 30 qm des alten Affenhauses bedeutete die Eröffnung des neue Menschenaffenhauses 2000 einen Quantensprung. Die geplanten Außenanlagen jedoch konnten aus Kostengründen
nicht realisiert werden. Ihre Fertigstellung ist für 2013 geplant.
11
WISSENSCHAFT
Afrikanische Stromschnellenfrösche:
unbekannte Vielfalt
im Sprühnebel
Michael F. Barej & Mark-Oliver Rödel
Museum für Naturkunde, Leibniz Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung an der Humboldt Universität Berlin, Invalidenstr. 43,
D-10115 Berlin
P. parkeri Weibchen
In den Medien verweisen Schlagwörter wie „globaler
Diversitätsverlust“ oder „weltweites Amphibiensterben“
regelmäßig darauf, dass viele Tier- und Pflanzenarten
allgemein, ganz besonders aber Amphibien vom Aussterben bedroht sind. Die Ursachen hierfür sind vielfältig
und reichen von der Zerstörung oder Umwandlung von
Lebensräumen, der direkten Übernutzung (z.B. als Nahrungsmittel), über Krankheiten bis zum Klimawandel.
Dem offensichtlichen Verlust an Arten steht, für manche
Lebensraum der P. vulpiae in Kamerun
12
sicher überraschend, die stetig wachsende Zahl bekannter
Arten gegenüber. So wurden in den letzten drei Jahren
etwa 550 Amphibienarten wissenschaftlich neu, das
bedeutet zum ersten Mal, beschrieben. Bekannt sind
derzeit knapp 7000 Arten, vor 25 Jahren waren es 4500.
Weitere Arten werden fast wöchentlich neu entdeckt oder
sind bereits in den Sammlungen diverser Naturkundemuseen präsent und warten nun darauf, von den jeweiligen
Spezialisten einen Namen zu bekommen. Dieser stetige
Zuwachs an bekannten Arten liegt zum einen darin begründet, dass viele Gebiete bis heute wissenschaftlich nie
oder nur oberflächlich untersucht wurden, zum anderen
bieten moderne integrative Forschungsansätze durch die
Verknüpfung vieler Methoden bessere Möglichkeiten,
artspezifische Unterschiede überhaupt zu erkennen. So
werden heute die traditionellen Methoden der Morphologie und Anatomie durch molekulare (Genetik) und
bioakustische (Paarungsrufe der Frösche), aber auch
ökologische und verhaltenskundliche Methoden ergänzt.
Berücksichtigt werden auch nicht mehr nur die adulten,
ausgewachsenen Stadien, sondern oft auch die Larven
und deren Merkmale und Biologie.
Denkt man an die Vielfalt (Diversität) tropischer Frösche, hat man oft bunte Pfeilgift- oder Baumfrösche
vor Augen, dabei zeichnen sich aber gerade die weniger
auffällig gefärbten Arten häufig durch eine besonders
interessante Biologie aus. Insbesondere beeindruckt dabei bei den Amphibien die fast grenzenlose Vielfalt an
Fortpflanzungsstrategien. Zu den augenscheinlich „wenig attraktiven“ Fröschen gehören auch die Arten der
Gattung Petropedetes. Es handelt sich hierbei um recht
einheitlich, bräunlich gefärbte, mittelgroße Frösche (die
größten Vertreter erreichen bis zu 7,5 cm Körperlänge),
die entlang von Stromschnellen in den afrikanischen Regenwäldern leben. Bis vor kurzem glaubte man, dass sie
zur Familie der „Echten Frösche“ (Ranidae) gehören. In
diese Familie gehören z.B. auch unsere heimischen Grasund Wasserfrösche. Inzwischen weiß man aber, dass die
Stromschnellenfrösche in eine eigene Familie, die Petropedetidae, gehören. Der bekannteste Vertreter dieser Familie
ist der mit über 34 cm Körperlänge weltgrößte Frosch, der
WISSENSCHAFT
Femoraldrüsen an den Innenseiten der Oberschenkel bei P. johnstoni
(Männchen)
Goliathfrosch, Conraua goliath. Die Stromschnellenfrösche
sind hingegen meist nur Spezialisten bekannt. Bis vor
kurzem glaubte man, dass die Gattung Petropedetes nur
wenige Arten umfasst, die eindeutige Bestimmung der Tiere
deshalb auch nicht schwierig ist. Einige Unstimmigkeiten
zwischen unseren eigenen Beobachtungen und dem aus
der Literatur bekannten Wissen, veranlasste uns im Jahr
2010 allerdings dazu, mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung (Revision) - zunächst der zentralafrikanischen
Arten - zu beginnen. Allein für Kamerun konnten wir so
bereits drei neue Arten identifizieren und wissenschaftlich
beschreiben. Nach aktuellem Kenntnisstand sind nun 12
Arten wissenschaftlich beschrieben. Die größte Artenvielfalt liegt mit acht bekannten Arten in Zentralafrika
(Petropedetes cameronensis, P. euskircheni, P. johnstoni,
P. juliawurstnerae, P. palmipes, P. parkeri, P. perreti und
P. vulpiae). Kamerun ist dabei das Diversitätszentrum, das
all diese Arten beheimatet. Aus Ostafrika sind derzeit drei
Vertreter beschrieben (P. dutoiti, P. martiensseni und P.
yakusini). Westafrika scheint mit nur einer einzigen Art,
P. natator, am artenärmsten zu sein.
Hypertrophie der Arme, Tympanalpapille und Knochensporn bei P. vulpiae
Charakterisiert ist die Gattung durch T-förmige letzte
Zehenglieder (Endphalangen) und dreieckig verbreiterte
Haftscheiben an Zehen und Fingern, einen externen
Fortsatz im Trommelfell (Tympanalpapille), sowie Drüsen
an den Innenseiten der Oberschenkel (Femoraldrüsen).
Die Funktion dieser Femoraldrüsen ist unbekannt. Man
nimmt aber an, dass sie bei der Fortpflanzung eine Rolle
spielen. Ähnliche Drüsen findet man auch bei vielen
anderen Froschgruppen. Ein für die Gattung Petropedetes
einzigartiges Merkmal ist dagegen die Tympanalpapille,
die ausschließlich die Männchen einiger zentral- und
ostafrikanischer Arten besitzen, und die oft nur zur
Paarungszeit ausgebildet wird. Sie unterstützt die Aussendung von Lauten, verstärkt aber auch deren Wahrnehmung und ist auf den arttypischen Frequenzbereich
ausgelegt. Möglicherweise dienen die Fortsätze zudem
als visuelles Erkennungsmerkmal auf kurze Entfernung
und spielen eine Rolle beim Balzverhalten.
Gelege bewachendes Männchen (P. perreti) mit Tympanalpapille
Weitere rein saisonale sekundäre Geschlechtsmerkmale
der Männchen sind eine Zunahme des Armumfangs
(brachiale Hypertrophie) und ein stilettartiger Knochensporn, der am Daumen durch die Haut nach außen
dringt. Darüber hinaus bilden sich in unterschiedlichem
Umfang winzige Dornen in der Kehlregion, an Kopf und
Flanken, den Oberarmen und im Brustbereich aus. Eine
Zuordnung von Männchen zu einem Taxon ermöglicht
die Bestimmung der Ausprägung der Schwimmhäute, der Größe und Lage der Femoraldrüsen, der Größe
des Tympanums und der Position der Tympanalpapille.
Eine Artbestimmung bei Weibchen und Jungtieren fällt
dagegen deutlich schwerer. Diese Umstände führten sicherlich lange dazu, dass Unterschiede auf Artniveau
nicht erkannt wurden.
Generell sind diese Frösche zur Abenddämmerung oder
nachts aktiv, können aber bei ausreichender Luftfeuchtigkeit auch tagsüber entlang von Fliessgewässern angetroffen werden. Zur Biologie ist jedoch bis dato nur sehr wenig
bekannt, vieles geht auf anekdotische Beobachtungen oder
Vermutungen zurück. Vielfach finden sich bei den Arten,
13
WISSENSCHAFT
Petropedetes natator, Mt. Nimba 2008
deren Männchen größer werden als die artgleichen Weibchen (z.B. P. parkeri), Kratzer am Körper. Ein umgekehrtes
Größenverhältnis (Männchen größer als Weibchen) ist bei
Amphibien selten und wird sehr oft mit Brutpflege und
aggressivem Territorialverhalten sowie entsprechenden
körperlichen Merkmalen bei den Männchen (Sporne an
den Händen, Fangzähne und ähnliches) in Verbindung
gebracht. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Kratzern
der Männchen um verheilte Verletzungen, die sie sich in
Kämpfen mit den scharfen Dornenspornen zugefügt haben. Beobachtet hat dies allerdings noch niemand. Nach
erfolgreicher Partnerfindung über akustische und visuelle
Signale hat die Tympanalpapille eine weitere Funktion.
Weibchen berühren die Papille beim Amplexus mit ihren
Vorderextremitäten und es wird vermutet, dass sie so
eine Aussonderung durch die Femoraldrüsen der Männchen stimulieren. Zur Fortpflanzung, die am Anfang der
Regenzeit beginnt, platzieren Weibchen das Gelege auf
feuchten Felsblöcken in der Spritzwasserzone entlang von
Wasserläufen. Für verschiedene zentralafrikanische Arten
liegen Beobachtungen vor, dass Männchen das Gelege offensichtlich bewachen. Die Kaulquappen aller PetropedetesArten sind hervorragend an ihren Lebensraum angepasst.
Es gibt aber zwei ganz unterschiedliche Ökotypen. Die
Petropedetes natator Männchen, Mt. Nimba
14
zentralafrikanischen Kaulquappen leben auf Felsen in
der Spritzwasserzone. Sie haben einen sehr muskulösen
Schwanz mit nur geringem Flossensaum, den sie zum Klettern auf den vertikalen Felsflächen verwenden. Darüber
hinaus bilden sie sehr früh ihre Hinterextremitäten aus,
die ebenfalls als Hilfe bei der Fortbewegung dienen. Bei
Gefahr flüchten die Kaulquappen durch Sprünge über die
feuchte Oberfläche der Felsbrocken, stürzen sich aber nur
im äußersten Notfall ins Wasser. Für einige Arten wurde
aber auch eine Eiablage unter Blättern beobachtet und eine
terrestrische Lebensweise der Kaulquappe vermutet. Dies
geht auf Beobachtungen von Kaulquappen am Waldboden
abseits von Gewässern zurück.
Wie die zentralafrikanischen Arten ist auch der westafrikanische Petropedetes natator an schnell fließende Bäche
und Flüsse gebunden. Seine Kaulquappen leben aber
ganz anders als die zentralafrikanische Verwandtschaft.
Mittels eines riesigen, saugnapfartigen Mundfeldes kleben
sie sich an Steinen mitten in der stärksten Strömung von
Flussläufen fest. In den vergangenen Jahren haben wir
viele Fundorte von Stromschnellenfröschen in Guinea,
Sierra Leone, Liberia und der Elfenbeinküste gefunden
und so das bekannte Verbreitungsgebiet der Art deutlich
erweitern können. Wie viele andere tropische Amphibien
ist auch P. natator durch den Verlust geeigneter Lebensräume gefährdet. Gemäß der aktuellen Roten Liste der
IUCN (International Union for Conservation of Nature)
weist P. natator zwar einen abnehmenden Populationstrend auf, gilt jedoch als „gering gefährdet“, da die Art
weit verbreitet ist. Momentan analysieren wir die genetischen und morphologischen Merkmale von Fröschen
aus ganz Westafrika. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch,
dass die Vielfalt an Stromschnellenfröschen in Westafrika bisher unterschätzt wurde und dass sich die „Art“
P. natator aus mehreren Arten mit jeweils viel kleineren
Verbreitungsgebieten zusammensetzt. Der Gefährdungsgrad der bekannten und der neu zu beschreibenden Arten
wird so ein ganz anderer sein müssen.
Weiterhin konnten wir feststellen, dass sich Petropedetes
natator durch viele Merkmale von ihren zentral- und
ostafrikanischen Verwandten unterscheiden. Neben
den ganz unterschiedlichen Kaulquappen sind z.B. bei
P. natator für beide Geschlechter Fangzähne am Unterkiefer bekannt und die Männchen besitzen einen Schallapparat für die Lautgebung. Dies sind Merkmale, die sonst
bei keiner anderen Art der Gattung vertreten sind. In
Zusammenarbeit mit Wissenschaftler aus Genf und Basel
untersuchen wir deshalb, ob die westafrikanischen Frösche sogar in eine eigene, neue, Gattung zu stellen sind.
Um die biologische Diversität schützen zu können, ist
es zwingend erforderlich sie zu verstehen, das heißt u.a.
eine möglichst genaue Übersicht über die Arten und ihre
Verbreitung und Lebensweise zu erhalten. Die Gattung
Petropedetes war lange Zeit aus dem Fokus der Wissenschaft gerückt. Neben der bislang übersehenen taxonomisch/systematischen Vielfalt zeigen u.a. die zerkratzten
Männchen, dass hier möglicherweise noch viel mehr sehr
interessante Verhaltensweisen zu entdecken sind.
AKTION NATURSCHUTZ
David gegen Goliath
auf chilenisch
Wie die Humboldt-Pinguine einen historischen
Sieg über die Energiewirtschaft errangen
Björn Encke und Ulrike Weizsäcker
Ulrike Weizsäcker, Fotografin
(www.ulrike-weizsacker.com)
Ende August 2010 lief eine Meldung über die Nachrichtenticker, die bei Tier- und Artenschützern weltweit im
ersten Moment für ungläubiges Staunen und dann für
Jubel sorgte. Der französisch-belgische Energiekonzern
Suez Energy – hieß es da - zieht sein Projekt „Barrancones“ zurück – nur Tage zuvor hatte der Konzern seitens
der staatlichen Behörden grünes Licht für ebendieses
Projekt erhalten: den Bau eines riesigen Kohlekraftwerkes
an der nordchilenischen Küste – vis-a-vis des Schutzgebietes der Inseln Choros und Damas, einem der letzten
Refugien des bedrohten Humboldt-Pinguins. Was war
passiert? Spontan hatten sich im ganzen Land – zusammengetrommelt via Facebook, Twitter und Mobiltelefon,
aufgebrachte Bürger zu Protestkundgebungen versammelt, Stunden nach der Entscheidung beherrschte das
Thema die chilenischen Medien. Der öffentliche Druck
steigt rapide, schließlich lenkt Präsident Sebastián Piñera ein und stellt sich auf die Seite der Demonstranten.
Suez Energy zieht sein Projekt zurück – die Pinguine
haben gewonnen.
So weit die simple Nachricht, was aber ist die Geschichte
dahinter? Wie kann es sein, dass so viele Menschen
plötzlich Anteil am Schicksal eines Pinguins nehmen,
den die meisten von ihnen selbst niemals zu Gesicht
bekommen werden? Sind die Chilenen plötzlich alle Tiernarren wie die Deutschen im Fall von Eisbär Knut? Die
Mit einer Körpergröße von 45 cm und einem Gewicht von bis zu 4 kg
gehört der Humboldt-Pinguin zu den kleineren Arten seiner Familie.
Vermutung liegt nahe, dass die Antwort nein lautet, dass
es tiefere Beweggründe geben muss als die emotionale
Verbundenheit mit einem Tier, bzw. einer Art.
Um diese Geschichte zu erfahren, haben wir die in Santiago de Chile lebende deutsche Fotografin Ulrike Weizsäcker in den Norden Chiles geschickt, an den Ort des Geschehens. Ihr fotografischer Bericht mag uns optimistisch
stimmen, er erzählt uns die Geschichte des Sieges der
Vernunft - und zwar sowohl der ökologischen, als auch
der ökonomischen und sozialen Vernunft – mit einem
kleinen, schwarz-weißen Frackträger als Galionsfigur.
Hintergrund
Das nationale Schutzgebiet für Humboldt-Pinguine beheimatet rund
zwei Drittel der insgesamt geschätzten 25.000 verbliebenen Exemplare
dieser Art, die ausschließlich an der chilenischen und peruanischen Küste
vorkommt.
Im Jahr 2008 gründete das Ehepaar Gabriele und Werner
Knauf in Landau in der Pfalz den Verein Sphenisco. Sein
Ziel: Die Rettung der südamerikanischen HumboldtPinguine. Als Teilnehmer des Europäischen Erhaltungs-
15
AKTION NATURSCHUTZ
Chilenisch-Deutsches Duo: Rosa Rojas und Gabriele Knauf, die Speerspitzen ihrer Vereine, auf Pinguin-Exkursion, und bei der Besprechung anstehender
Aktionen. Die Arbeitsteilung: MODEMA organisiert den Protest vor Ort, Sphenisco sorgt für internationales Gehör und Unterstützung aus Europa.
zuchtsprogramms für Humboldt-Pinguine lag es dem Zoo
Magdeburg nahe, im Rahmen seiner Aktion Naturschutz
Sphenisco als kooperatives Mitglied zu unterstützen.
Zu den Gründungsmitgliedern von Sphenisco zählte
auch Rosa Rojas, die Vorsitzende der chilenischen Umweltschutzinitiative MODEMA (Movimiento de Defensa
del Medio Ambiente), die sich ebenfalls für die Belange
der Humboldt-Pinguine einsetzt.
MODEMA selbst hatte sich gegründet, als 2007 Pläne
bekannt wurden, an der Küste der Gemeinde La Higuera
im Norden Chiles drei Kohlekraftwerke zu errichten - in
unmittelbarer Nähe zum nationalen Schutzgebiet der
Humboldt-Pinguine.
Die Kraftwerke sollten helfen, den enormen Energiebedarf
des Bergbaus in den nahe gelegenen Anden zu befriedigen - befeuert durch Importkohle, die in entsprechenden
neuen Häfen direkt an die Kraftwerke herangeführt
werden sollte.
Wie alle Pinguine ernährt sich auch der Humboldt-Pinguin in erster
Linie von kleineren schwarmbildenden Fischen, aber auch Tintenfische
werden gerne genommen.
16
Der Bau der Kraftwerke hätte durch die damit einhergehende Umweltverschmutzung nicht nur die Pinguine
bedroht, sondern auch die Existenzgrundlage der dort
ansässigen Bevölkerung, die fast ausschließlich von Fischerei, Tourismus und – im Rahmen der klimatischen
Möglichkeiten - Landwirtschaft lebt. Die Gewässer dieses
Küstenabschnittes zählen zu den artenreichsten und
produktivsten Gebieten Chiles. Hauptgrund dafür sind
die Meeresströmungen, die genau hier Eier und Larven
von Fischen und anderen Meerestieren anschwemmen.
Ein 500 MW-Kohlekraftwerk benötigt rund 80.000 Kubikmeter Kühlwasser pro Stunde, welches durch große
Turbinen direkt aus dem Meer angesaugt wird – mit
Chlor versetzt und um bis zu 10 Grad Celsius erhitzt,
wird dieses Wasser zurück ins Meer geleitet.
Die Folgen für die Meeresfauna wären entsprechend
katastrophal. Gleichzeitig würde die Luftverschmutzung
durch den täglichen Ausstoß von tonnenweise Kohlendioxid und anderen Schadstoffen rapide ansteigen, zumal aufwändige Filterungssysteme bei den geplanten
Projekten nicht vorgesehen waren. Die Konsequenzen
für die Landwirtschaft, die zudem stark auf Öko-Anbau
ausgerichtet ist, wie für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung liegen auf der Hand. Und auch die Auswirkungen auf den Tourismus lassen sich angesichts dieser
Szenarien leicht abschätzen.
Die Küstenstadt La Serena, 500 Kilometer nördlich der
Hauptstadt Santiago, bildet das Tor zum Norden, hier
beginnt der Übergang zur Atacama, der trockensten
Wüste der Erde.
Von der Küste geht es steil hinauf in die Anden. Hier
findet sich das Herz der chilenischen Bergbauindustrie, in
der Region Coquimbo maßgeblich die Minen El Indio und
Pascua Lama, in denen vor allem Gold gefördert wird.
AKTION NATURSCHUTZ
10
20
30
40
km
Chronologie der Ereignisse
Schon kurz nach ihrer Gründung 2007 erkennen die
MODEMA-Aktivisten um Rosa Rojas das Potenzial der
Pinguine als Symbolfigur ihres Anliegens. Wer interessiert sich schon für die ökonomischen und sozialen
Sorgen von ein paar Hundert-Seelen-Dörfern in NordChile? MODEMA erklärt die Humboldt-Pinguine zu ihrer
„Flaggschiffart“, zum Symbol für ihr Ringen um eine
nachhaltige Politik im Sinne sowohl der Biodiversität
als auch der Zukunftschancen der Region.
2008 kommt es zu Expertenanhörungen vor der Regionalverwaltung in Coquimbo und zu ersten größeren
Demonstrationen auch in La Serena. Im November zieht
mit der halbstaatlichen Codelco das erste Unternehmen
sein Projekt zurück.
„Flaggschiffart“ Humboldt-Pinguin: Botschafter nicht nur für die anderen
Tiere ihres Lebensraumes, sondern auch für die Menschen der Region.
2009 werden die Kraftwerksprojekte an der Küste von
La Higuera – unterstützt durch eine Medienkampagne
und einen Dokumentarfilm – zunehmend zum nationalen
Politikum. Und auch auf internationaler Ebene erheben
sich – dank Sphenisco – mehr und mehr Stimmen.
Ende August 2010 überschlagen sich die Ereignisse. Am
Dienstag, den 24. August erklärt das regionale Entscheidungsgremium die Kraftwerks-Pläne des französischbelgischen Konzerns Suez Energy für umweltverträglich,
mit Mehrheit der 15 Regierungsvertreter gegen 4 Gegenstimmen der externen Berater. Am Tag darauf übergeben die Aktivisten öffentlichkeitswirksam tausende
Protestschreiben aus aller Welt, allein 17.000 davon hatte
Sphenisco gesammelt. Während dieser Veranstaltung
wird eine Regierungsvertreterin beim Schreiben einer
17
AKTION NATURSCHUTZ
Im Juli 2009 erhalten zwei der führenden Umweltaktivisten Morddrohungen per SMS.
Bootsname als Motto der Fischer in diesem Streit: „Todo o nada“ – „Alles
oder nichts.“
SMS gefilmt: „27.000 Unterschriften haben sie gesammelt, diese Scheiß-Hippies, mir stinkt’s.“ Ein politischer
Skandal droht, die Frau wird entlassen, und Präsident
Piñera, der selbst gerne zum Tauchen an die Küste von
La Higuera reist, sieht sich genötigt, einzulenken und
damit sein eigenes Wahlkampf-Versprechen einzulösen.
Am Donnerstag stellt er sich öffentlich auf die Seite des
Protestes. Suez Energy zieht sein Projekt zurück.
Der Wind hat endgültig zugunsten der Bürgerbewegung
gedreht. Im März 2011 gibt mit CMP (Compania Minera
del Pacifico) auch der letzte verbliebene Energiekonzern
auf.
Kormorane auf Felsen - Auch sie gehören zu den Siegern im „Windschatten“ der Humboldt-Pinguine.
18
Die komplette Ausstellung
AKTION NATURSCHUTZ
ist bis zum 28. September 2011 in der Zoowelle (Zooeingang) zu besichtigen.
Der Eintritt ist kostenfrei.
Nach 75 Kilometern auf der Panamericana von La Serena in nördliche
Richtung zweigt die Straße ab nach
Punta de Choros, 42 Kilometer durch
die Bergketten der Küstenkordillere
hinunter Richtung Pazifik. Am Wegesrand, ein erstes Ausrufezeichen
der aufbegehrenden Zivilgesellschaft:
Graffiti „No a las Termo“ – Kraftwerk
nein danke!
Die karge, steinige Landschaft hat bereits Wüstencharakter, gerade noch
um die 100 mm Niederschlag fallen
hier pro Jahr, in Deutschland liegt dieser Wert über 600 mm. Wer hier lebt,
muss von Natur aus genügsam sein,
wie Kakteen, oder auch Guanakos.
Die raue Pazifikküste ist erreicht – in
der Gemeinde La Higuera ein wahres
Touristen-Paradies, felsige Küsten
wechseln sich ab mit weißen Sandstränden an kleinen Buchten, ideale
Bedingungen für Taucher, Sportangler
und Sonnenanbeter.
19
AKTION NATURSCHUTZ
Rosa Rojas vor ihren Ferienhäusern,
die sie im Sommer an Touristen vermietet. Sie ist Vorsitzende, Motor,
Herz und Stimme der Bürgerinitiative MODEMA. Die Pinochet-Ära
überdauerte sie im kanadischen Exil,
nach dem Ende der Diktatur kehrte
die Lehrerin in ihre Heimat zurück
und ließ sich in Punta de Choros
nieder.
Hauptstraße am Ortseingang des 300
Seelen-Dorfes Punta de Choros
Silvia Gutierrez, als ehemalige Bankangestellte prädestiniert für den Job
des Kassenwarts von MODEMA. Die
Pinguin-T-Shirts hat Rosa Rojas
Sohn in Kanada drucken lassen,
durch deren Verkauf kamen einige
Pesos in die MODEMA-Kasse. Dieses
Exemplar freilich ist das letzte und
unverkäuflich.
20
AKTION NATURSCHUTZ
Cristian Cortez, der Alcalde del Mar,
der „Meeresbürgermeister“ – als
Zivilbeamter der Marine ist er der
Chef des Hafens und legt fest, ob die
Boote auslaufen dürfen oder nicht.
Für ihn ging es bei dem Kampf gegen die Kraftwerke um die Zukunft
seiner Zunft.
Der Strand auf der Isla Damas. Im
Jahr besuchen fast 40.000 Touristen
die Ortschaften und Schutzgebiete,
mit der Fischerei die wichtigste Einnahmequelle.
Yvonne Ronc kam mit ihrem Mann
Anfang der 90er Jahre nach Punta
de Choros. Als „Pioniere“ haben sie
ihr Gästehaus mit der inzwischen bekanntesten Tauchschule am Ort aufgebaut. Das Meer, so sagt sie, bedeute
alles für sie: Leben und Frieden.
21
AKTION NATURSCHUTZ
Lita Piñones, die Grundschullehrerin
von Punta de Choros. Sie unterrichtet
18 Kinder der 1. bis 6. Klasse zusammen in einem Raum. Ihr Theaterstück über die Pinguine und die
Bedrohung deren Lebensraumes, alles
mit selbstgebastelten Kostümen, war
ein Großereignis im Ort.
Kinder auf dem Schulhof von Punta
de Choros
Jan van Dijk, ein holländischer Aussteiger, Fischer, Landwirt und neben
Rosa Rojas die treibende Kraft von
MODEMA. Er sah durch die Kraftwerkspläne sein persönliches Paradies bedroht. Um den sommerlichen
Touristen zu entgehen, lebt er in Los
Choros und nicht in Punta de Choros
– außerdem ist dort der Boden fruchtbarer, gedeihen seine Oliven besser.
22
AKTION NATURSCHUTZ
Das Tier als bester Freund des Menschen - ohne die Pinguine wäre diese
Geschichte sicher anders ausgegangen, da sind sich José Ter Horst und
Rosa Rojas einig. Stoffpinguin „Alex“
wurde, ausgestattet mit Infomaterial,
von Sphenisco nach Chile geschickt,
wo er in aufklärerischer Mission von
Schule zu Schule reiste.
Er steht noch nicht lange in Punta
de Choros, der heilige San Pedro,
Schutzpatron der Fischer. Der Kult
um die Schutzheiligen wird hier
sehr ernst genommen – und er hat
gewirkt, sehr zum Unglück seines
„uneigennützigen“ Spenders: Suez
Energy.
Diese Foto-Reportage wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung
des LVM-Servicebüros Carsten Decker und Oliver Leiding Magdeburg
Wir bedanken uns bei Sphenisco, namentlich Gabriele und Werner Knauf,
für die Überlassung der Pinguin-Fotos und wertvolle Hinweise.
Spenden für die Aktion Naturschutz unter Spendenkonto:
ZOOLOGISCHER GARTEN MAGDEBURG gGmbH
Stichwort: „Aktion Naturschutz“
Konto Nummer: 1385119
Bankleitzahl: 810 932 74 (Volksbank Magdeburg eG)
23
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT
Der Japan-Serau –
Ein geheimnisvoller
Bergbewohner
Ellen Driechciarz
Die Gebirgsregionen der Erde sind Lebensraum für viele
interessante und hoch spezialisierte Tierarten. Und es
finden sich dort, obwohl auf unterschiedlichen Kontinenten, vergleichbare Arten, die sich von ihrem Körperbau, der Ernährung sowie ihrer Lebensweise her an
das Hochlandklima, das unwegsame Gelände und die
dort wachsenden Pflanzen angepasst haben.
So erheben sich, in Anlehnung an die europäischen
Alpen, auf der Insel Honshu die japanischen Alpen. Das
gewaltige und schroffe Gebirge mit hohen Berggipfeln
und aktiven Vulkanen durchzieht die gesamte Insel.
Ein Bewohner dieser Hochgebirgswelt ist der „Nihonkamoshika“, der Japan-Serau (Capricornis crispus). Seine
Verbreitung erstreckt sich neben Honshu auf die japanischen Inseln Shikoku und Kyushu sowie auf Taiwan.
1999 erhielt unser Zoo ein Pärchen aus dem Tiergarten
Schönbrunn in Wien. Seitdem kann der Zoo Magdeburg
große Erfolge bei der Haltung und Zucht von JapanSeraus aufweisen. Magdeburg war die dritte zoologische
Einrichtung in Europa, die einen Zuchterfolg verbuchen
konnte.
Ein typisches Zootier, das der Zoobesucher bei seinem
Rundgang erwartet, ist der Japan-Serau also nicht. Er
ist weder auffällig gefärbt, noch hat er eine außergewöhnliche Gestalt, er gibt kaum Geräusche von sich und
bewegt sich eher bedächtig in seinem Terrain. So erkennen viele Zoobesucher diese Tierart auf den ersten Blick
nicht und laufen einfach weiter. Kinder rufen dagegen
häufig interessiert: „Mama, guck mal!“
Besonders wenn sie zusammengekauert auf einem ihrer
Liegeplätze liegen und als einzige Regung das Spiel der
Ohren ihre Aufmerksamkeit verrät, sind sie vom Besucher
Weil ihr Fell und Fleisch sehr begehrt waren, wurden
die Tiere jahrhundertelang stark bejagt. Das führte zu
einem starken Rückgang der Bestände, sodass der Serau
Anfang des 20. Jahrhunderts als bedroht eingestuft wurde. Gerade noch rechtzeitig setzte ein Umdenken ein und
erste Schutzmaßnahmen wurden ergriffen, 1955 wurde
der Japan-Serau sogar zum „Naturdenkmal“ erklärt.
Inzwischen haben sich die Bestände wieder erholt und
das Überleben dieser interessanten Tierart kann derzeit
als gesichert angesehen werden.
Erst spät gelangten auch Tiere nach Amerika und Europa.
Bis heute werden diese seltenen Vertreter der Gämsenartigen außerhalb Japans in nur wenigen Tiergärten
gezeigt.
24
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT
nur schwer zuzuordnen. Und so kann man hier Zeuge
der amüsantesten Vermutungen werden.
So teilte ein Kind seiner Mutter aufgeregt mit: „Guck
mal da oben, da oben auf dem Berg. Siehst du es? Ein
Wildschwein.“ Komischerweise denken das auch andere
Zoobesucher, denn wir hörten auch diesen Ausspruch:
„Die sehen aus wie aus dem Gruselfilm. Schweine mit
Hörnern.“ Ein anderes Kind erklärte seinen Eltern mit
voller Überzeugung: „Ich guck mir jetzt die Bären an!“,
und hüpfte damit vergnügt an die Anlage heran.
Im Winterhalbjahr haben Japan-Seraus immer ein sehr
dichtes und plüschig wirkendes Fell. Da sie einen kurzen
Schwanz haben, wirkt ihr Hinterteil recht rund und dick.
Seltsam war dagegen die Bezeichnung der Tiere als
„Luchs!“ Jedoch wurde dieser Besucher von seiner Begleitung gleich aufgeklärt: „Nein, ein Luchs ist rot.“ Eine
weitere Tierart, mit der die Japan-Seraus oft verwechselt
werden, ist der Wolf. Denn wenn man dem Serau nur
ins Gesicht schaut, fällt vielleicht wirklich eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem Wolf auf. Möglicherweise erinnert
die Fellfärbung an einen Wolf und auch Japan-Seraus
haben einen intensiven, durchdringenden Blick aus hellen
Augen. So hörten wir den erfreuten Ausruf: „Oh, gucke
mal, da sind noch Wölfe!“ Andere meinen zu erkennen:
„Die sehen aus wie eine Mischung aus Ziege und Wolf.“
Zumindest die Ziegen-Vermutung ist durchaus berechtigt,
denn nicht nur in ihrem Äußeren ähneln Japan-Seraus
den Ziegen.
Tatsächlich erwies sich die systematische Verwandtschaft lange als rätselhaft. Wissenschaftlich gehören
sie gemeinsam mit den Goralen, den Schneeziegen und
den Gämsen zu den Gämsenartigen. Das nehmen auch
einige Besucher an und äußern sich dementsprechend:
„Sieht aus wie eine Gämse!“
Seraus scheinen nicht anspruchsvoll zu sein, dennoch
stellen sie höchste Ansprüche an ihr Futter und an die
Haltungsbedingungen. In Japan sind sie an niedrige
Temperaturen und Schnee angepasst und so brauchen
sie auch in unseren Breiten keinen beheizbaren Stall.
Überhaupt halten sich Japan-Seraus sehr gern nur auf
ihrer Außenanlage auf und sind damit für die Zoobesucher äußerst präsent.
Einmal auf die Japan-Seraus aufmerksam geworden,
suchen und lesen die Besucher grundsätzlich das Tierschild, um sich über diese anscheinend mysteriösen Tiere,
die sie jetzt noch nicht einordnen können, Klarheit zu
verschaffen. Oftmals lesen Zoobesucher den Text des
Tierschildes sogar für alle laut vor. Sofort, nachdem
der Tiername „Japan-Serau“ gefallen ist, werden immer
wieder folgende Äußerungen eingeworfen: „Das kommt
aus Japan!“, oder „Japan-Serau, der wohnt in Japan.“
sowie auch „Japan-Serau. Der sieht ja richtig komisch
aus.“ Es stellt sich dabei die Frage, wie sollte denn ein
Japan-Serau aussehen?
Männchen und Weibchen sehen fast gleich aus und
beide Geschlechter tragen Hörner. Dass die Seraus zur
Familie der Hornträger gehören wird ebenfalls auf dem
Tierschild beschrieben und viele Zoobesucher schauen
daher näher hin. „Ja, da sind ja die Hörner!“ erkennen
dann viele auch dieses Merkmal an den Tieren. Im dichten
Winterfell dagegen sind die Hörner fast verborgen und
damit schwer zu erkennen.
Tritt der Besucher an die Anlage heran, erhebt sich vor
ihm ein beinahe 2,50 m hoher Berg. Ausgestattet mit
Geröllflächen, großen Steinen und liegenden Stämmen
soll er einen kleinen Ausschnitt aus der Bergwelt Japans imitieren. Die Umzäunung ist wegen der Klettergewandtheit und der Sprungfähigkeit der Japan-Seraus
fast drei Meter hoch. Am Besucherweg öffnen zwei große
überdachte Sichtfenster weit den Blick auf die Anlage.
Durch diese Scheibenantritte gewinnt der Besucher den
Eindruck, den Tieren und ihrem Lebensraum besonders
nahe zu sein. Die Japan-Seraus stören sich daran in keiner Weise und halten sich nicht selten im Fensterbereich
und damit in unmittelbarer Nähe zu den Besuchern auf.
Natürlich nutzen sie außerdem je nach Aktivitätsphase
im Laufe des Tages die gesamte Anlage und entschwinden
dadurch auch schon mal den Blicken des Betrachters.
Japan-Seraus fressen Gräser und Kräuter, daneben Blätter, Knospen und Triebe von Laub- und Nadelbäumen.
In unserem Zoo erhalten sie täglich Laub zur Fütterung,
im Sommer frisch, im Winter getrocknet. Bekommen
sie Laub, reagieren sie sofort und lassen sich gut in den
Sichtbereich der Besucher lenken. Wenn unser Weibchen
ein Jungtier hat, bringt sie es dann auch ganz ohne
Scheu mit.
25
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT
bauenden Wildvögeln sehr beliebt. Sie brauchen sich
hier nur zu bedienen. Eine weitere Möglichkeit, das
Winterfell loszuwerden, bieten die vorwitzigen Krähen. Diese setzen sich sogar auf den Rücken unserer
Seraus und zupfen ganz aktiv die Unterwolle heraus.
Den Seraus scheint es zu gefallen, denn sie lassen die
Krähen gewähren.
Abgefressene Äste verbleiben teilweise auf der Anlage
und werden zu einem Asthaufen aufgestapelt. Oftmals
steigen die Tiere auf dieses Astgewirr und zeigen damit
ihre gute Klettergewandtheit und Trittsicherheit. Gleichzeitig werden die Hufe abgenutzt und es bringt auch ganz
nebenbei Abwechslung für die Tiere. Viele Zoobesucher
schreiben diesen Asthaufen, besonders während der
Osterzeit, noch eine ganz andere Funktion zu. So hören
wir immer wieder: „Guck mal, die haben ein Osterfeuer.“
Die Asthaufen werden von den Japan-Seraus ebenfalls
zum Durchschlüpfen und Schubbeln genutzt. Ihr im
Frühjahr noch anhaftendes und dichtes Winterfell können sie auf diese angenehme Weise besser abstreifen
und an den hängengebliebenen Fellfetzen erkennen
wir den Erfolg. Diese Fellfetzen sind dann bei Nester
26
Viele Zoobesucher finden die Japan-Seraus wenigstens
so bemerkenswert, dass sie die Tiere doch eingehender
betrachten und sich natürlich auch gern ihre Informationen vom Tierschild holen möchten. Hier zeigt sich
wieder einmal der hohe Stellenwert dieser Informationsmöglichkeit. Die geschickte Vermittlung von Wissen
über Wildtiere und über die Wechselbeziehungen in der
Natur beeinflusst natürlich auch die Einstellung der
Menschen unserer Zeit zum Wildtier und zur Natur.
Nicht zuletzt möchte ein Zoo auch mit unscheinbaren
Tieren, die aber doch zoologische Kostbarkeiten sind, das
besondere Interesse und vielleicht sogar Begeisterung
bei den Zoobesuchern wecken.
Durch seine Seltenheit ist der Japan-Serau wahrscheinlich auch künftig bei den Zoobesuchern kaum bekannt.
Allein Stammbesucher unseres Zoos konnten in den
Jahren seit 1999 die Anwesenheit der Japan-Seraus und
ihre geborenen Jungtiere im Auge behalten. Jedoch horchen Fachleute auf, wenn sie von der Haltung im Zoo
Magdeburg erfahren und wissen die Zuchterfolge der
vergangenen Jahre sehr zu schätzen.
GASTKOMMENTAR
Problemwölfe,
Tierbabys in Zoos
und die Folklore von
„Freiheit oder Tod“
Wie mit falschen Argumenten
der Niedergang der biologischen
Vielfalt beschleunigt wird
Roland Wirth
Roland Wirth
Wie war das noch mit Braunbär „Bruno“?
Oder neuerdings dem Wolf, der da im bayerischen Mangfall-Tal herum schleicht?
„Wartet nur, ihr Naturschützer, bis das erste Kind getötet
wird!“ hört man vor allem von Vertretern der Jägergilde.
Wobei keineswegs alle Jäger über einen Kamm geschoren werden sollen. Es gibt selbstverständlich auch die
seriös und ökologisch arbeitenden, aber die „kinderlieben Warner vor dem Wolf“ gehören eher nicht in diese
Gruppe.
Einige Jäger geben sich auch besonders tierlieb und
werfen den Naturschützern vor, einfach nicht einsehen
zu wollen, dass nicht nur der Wolf, sondern auch das
Reh ein Lebensrecht habe. Ein eigenwilliges Argument
angesichts von ca. 3,2 Millionen Säugetieren und 2,3
Millionen Vögeln, die alljährlich in Deutschland weidmännisch zur Strecke gebracht werden. Nicht, dass gegen
die Jagd grundsätzlich etwas einzuwenden wäre – Artenschützer können damit durchaus leben, solange die
bejagten Arten in ihrem Bestand gesichert bleiben. Aber
in Anbetracht dieser Zahlen ist das Lamentieren um
die schlimmstenfalls einige hundert Rehe, Hirsche und
Wildschweine, die selbst mehrere Wolfsrudel im Laufe
eines Jahres töten und fressen, nicht sehr glaubwürdig.
Es geht doch wohl eher darum, dass da ein natürlicher
Jagdkonkurrent (der Wolf eben) im teuer gepachteten
Revier Beute macht.
Und trotzdem findet der Ruf „der Wolf muss zur Strecke
gebracht werden“ durchaus Widerhall in weiten Teilen der
ansonsten tierliebenden Bevölkerung. Aber aufgepasst!
Wie anders wäre die Reaktion, wenn im Rahmen eines
Erhaltungszuchtprogramms in Zoos und Wildgehegen ein
überzähliger Wolf, der absolut in keiner anderen seriösen
Tierhaltung untergebracht werden kann, eingeschläfert
werden würde. Spätestens jetzt würden den „Wolfstötern“
Roland Wirth, Jahrgang 1954 und schon seit seiner
Kindheit interessiert an Arten- und Naturschutz,
ist Mitbegründer und 1. Vorsitzender der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP). Ihr erklärtes Ziel: Der Schutz von
weniger bekannten bedrohten Tierarten und deren
Lebensräumen. Betrachtet man den Werdegang Roland
Wirths, die zahlreiche ehrenamtliche Mitwirkung an
den verschiedensten Artenschutzprojekten oder die
Mitarbeit in unterschiedlichen Spezialistengruppen
der International Union for Conservation of Nature
(IUCN), so wird klar, dass Artenschutz hier nicht nur
eine Herzensangelegenheit, sondern auch Lebensinhalt und -ziel ist. Emotionen fließen daher ebenso
in seine Arbeit ein wie Fachwissen, Unmut ebenso
wie der Wunsch nach Einsicht und Aufklärung. Der
Kommentar ist ein beherzter „Zwischenruf“ und zeigt,
dass Natur- und Artenschutz des Öfteren bedeutet,
gegen Windmühlen zu kämpfen.
in den Medien und durch eine breite Öffentlichkeit niedere Beweggründe unterstellt, und der Vorwurf geäußert,
die Betreiber des Wildgeheges züchteten den Wolf ja nur,
um mit dem niedlichen Jungtier Besucher zu locken.
Wenn das denn nur so einfach wäre. Schlichte Feindbilder
sind wunderbar – außerhalb eines Gehegezaunes ist es
der Wolf selbst, befindet er sich innerhalb des Zaunes,
ist es dann die Zoodirektion oder der Zootierarzt. Differenzierte Betrachtungen tun sich schwer in diesem Land.
Kein Platz für Sumatratiger
Hier trotzdem der Versuch an einem weiteren Beispiel:
Der Sumatratiger (Panthera tigris sumatrae) ist eine der
beiden bedrohtesten noch überlebenden Unterarten des
27
GASTKOMMENTAR
Tigers. Ob er auf Sumatra die nächsten 20 Jahre überdauern wird, ist nicht sicher. Wie beruhigend deshalb,
dass rund 220 Sumatratiger in weltweit koordinierten
Zoo-Erhaltungszuchtprogrammen leben. Aber 220 Tiere
sind letztlich zu wenig, um das angestrebte Ziel zu erreichen, für die kommenden Jahrzehnte möglichst über
90 % der genetischen Vielfalt zu erhalten. Notwendig
wären mindestens 300 oder noch besser 400 Sumatratiger
in menschlicher Obhut. Tatsächlich gibt es aber Jahr
für Jahr eher weniger, denn mehr Haltungsplätze für
Sumatratiger. Ein Zoo nach dem anderen baut, häufig
bedingt durch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit,
neue und vermeintlich bessere Anlagen. Bei Großkatzen in Zoos bedeutet das meist, eine vor allem aus dem
Besucherblickwinkel „natürlich“ wirkende, möglichst
große Freianlage statt zwei oder drei kleinerer Gehege.
Entsprechend muss der Arten- und Tierbestand ausgedünnt werden. Statt Sibirischer und Sumatratiger und
vielleicht noch Persischer Leoparden werden zukünftig
nur noch Sibirische Tiger gehalten – die sind die größten
und daher attraktivsten für die Besucher, und winterhart
sind sie auch noch. Da freut sich der zuständige Stadtrat
oder Aufsichtsrat des Zoos, der auf das Geld schaut, denn
für Sumatratiger hätte man zumindest in den kühleren
Klimazonen auch noch geheizte Innenräume benötigt.
Außerdem wird in Zeiten knapper werdender finanzieller
Mittel ohnehin verstärkt auf die „Wirtschaftlichkeit“
geschaut (die von der Politik formulierten hehren Ziele
zum Schutz der biologischen Vielfalt hin oder her). Also
bekommt der engagierte Artenschutz-Zoodirektor auch
keine Extragehege hinter den Kulissen genehmigt, um
eine größere Population an Tigern artgerecht halten zu
können.
Vor diesem Hintergrund ist jeder einzelner Zooplatz für
einen Sumatratiger von allerhöchster Wichtigkeit. Jedes
Tier, das einen solchen knappen Platz zur Verfügung hat,
muss seinen Beitrag für den Erhalt der Population leisten,
damit diese auch noch in 20, 40 oder 60 Jahren vital
und genetisch gesund bleibt – als „Lebensversicherung“,
solange sich die Schutzsituation für Tiger auf Sumatra
nicht dramatisch bessert.
Damit stehen die Internationalen Erhaltungszuchtprogramme vor ihrem vielleicht größten Problem. Einmal
angenommen, es herrscht ein momentaner „Männerüberschuss“ in der Sumatratiger-Population der Zoos
(ungleiches Geschlechterverhältnis ist leider Alltagsgeschehen in kleinen Zuchtbeständen) und man benötigt
dringend (und hat Platz für) drei junge nicht miteinander verwandte Weibchen, um damit neue Paare für die
nächste Generation zusammen zu stellen. Also sollen
drei sorgfältig nach genetischen Gründen ausgewählte
Paare nun züchten. Aber die Tigermütter gebären nun
nicht eines (was auch vorkommt), sondern jeweils drei
bis vier Jungtiere, fast allesamt Männer. Schon steht
der Zuchtbuchkoordinator vor dem Problem, nicht nur
28
ein oder zwei der dringend benötigten Weibchen verfügbar zu haben, sondern auch an die zehn männliche
Sumatratiger, die theoretisch gut gebraucht werden
könnten (idealerweise sollte die Population ja nicht
220, sondern aus genetischen Gründen 300 - 400 Tiere
umfassen), für die aber absolut kein Platz ist. Würden
diese Männchen in der Population verbleiben, blockieren sie für ihre gesamte Lebenszeit (20 - 25 Jahre) den
Platz für mehrere der benötigten Zuchtpaare, womit die
„effektive Zuchtpopulation“ der Sumatratiger (also der
Teil der Population, der tatsächlich Gene an die nächste
Generation weiter gibt) schon wieder kleiner wird. Dies
bedeutet nichts anderes als mehr Inzucht und Verlust
an genetischer Variabilität in den Folgegenerationen,
als bei dem vorhandenen Platz sein müsste und somit
eine wachsendes Risiko für das Überleben der gesamten
Population (und bei einer in Freiheit bereits ausgerotteten Art natürlich für das Überleben der Art an sich).
Entweder müssen die überzähligen Männchen also weg
(an irgendeine Haltung in Asien zum Beispiel, die ggf.
nicht den Pflegestandard hat, wie der abgebende Zoo in
Europa) oder man schläfert sie im Interesse einer intakten Gesamtpopulation ein. Letzteres ist die eigentlich
„natürlichste“ Option, denn auch in der Wildbahn hat
ein Tigerweibchen im Idealfall in ihrem Leben bis zu 20
Nachkommen, von denen aber in einer stabilen Population statistisch nur zwei überleben werden.
Nur Wunschkinder bei Zootieren?
Korrekterweise sind Zoos zunehmend durch gesetzliche
Vorgaben etwa der EU verpflichtet, Artenschutz (auch
durch die ex situ-Erhaltung bedrohter Arten) zu leisten.
Bei den dann aber unabdingbar anfallenden Entscheidungen zum Management einer genetisch gesunden
Population handelt sich der Zoo, wie eben geschildert,
jedoch schnell potentiellen Ärger ein - in Deutschland
bis hin zur Strafverfolgung. Es ist jedenfalls Unsinn,
wenn die, die zwar von Populationsmanagement nichts
verstehen, es aber trotzdem immer besser wissen, den
Zoos unterstellen, Tiere ja nur zu züchten, damit, solange
sie niedlich und klein sind, die Kasse klingelt.
Die Alternative (leider zunehmend aus Angst vor Medienschelte oder vor Prozessandrohungen aus dem Kreis
der Zoogegner in den US-Zoos praktiziert) ist, wirklich
nur dann zu züchten, wenn schon im Vorfeld absolut
sicher ist, dass eine artgerechte Unterbringung aller
Nachzuchttiere garantiert ist, auch wenn bezogen auf
das hier angeführte Beispiel anstatt der drei benötigten Weibchen z. B. eben 12 Männchen geboren werden. Da das zumindest bei Arten mit aufwändigeren
Haltungsansprüchen kaum gewährleistet ist, züchten
US-Zoos mit vielen Arten fast gar nicht mehr. Wenn
dann die Bestände überaltern und zusammen brechen
und dadurch plötzlich Platz frei wird, versucht man
noch schnell, die Lücken aufzufüllen. Das klappt dann
häufig nicht mehr. Viele Tiere sind durch die jahrelang
GASTKOMMENTAR
verwendeten Langzeitverhütungsdepots unfruchtbar
geworden, es fehlt ihnen an Aufzuchterfahrung oder
sie sind inzwischen schlicht zu alt. Noch vor 20 - 30
Jahren intakte US-Zuchtgruppen von bedrohten Arten
wie Bartaffen (Macaca silenus) oder Przewalskipferden
(Equus przewalskii) und viele andere wurden durch ein
solches vermeintlich tierschutzkonformes Management
inzwischen zugrunde gerichtet.
Calamianhirsch droht auch in Erhaltungszucht
das Ende
Übrigens auch ein von der ZGAP vor knapp 20 Jahren mit
initiiertes Erhaltungsprojekt für den hoch bedrohten Calamianhirsch (Axis calamianensis) droht nun durch diese
falsche Strategie zu scheitern. Zwölf dieser Hirsche hatte,
durch den engagierten Artenschützer William Oliver mit
viel Mühe und Verhandlungsgeschick eingefädelt und
organisiert, der Zoo San Diego als „Reservepopulation“ aus den Philippinen bekommen. Diese vermehrten
sich gut und schnell auf bald 60 Tiere. Andere US-Zoos
zeigten aber, auch vor dem Hintergrund der möglicherweise nicht platzierbaren Nachzucht, wenig Interesse an
diesen „kleinen braunen Hirschen“, und der damalige
Generalkurator Jim Dolan, der ein Herz für auch weniger
spektakuläre bedrohte Arten hatte, ging in Ruhestand.
Umgehend wurde die Zucht gestoppt. Inzwischen versucht
eine kleine Gruppe von amerikanischen Zooleuten den
auf nur 20 Tiere geschrumpften Bestand noch zu retten.
Doch die Hoffnung, von den überalterten und durch
jahrelangen Zuchtstopp möglicherweise unfruchtbar
gewordenen Weibchen noch Jungtiere zu erhalten, ist
gering. Zoogegner, die der Meinung sind, das „Problem
Zoo“ sollte durch das „würdevolle“ Aussterben der jetzigen Zooinsassen gelöst werden, wird es freuen.
Aber eine immer größer werdende Zahl von Arten, die
nur Dank Erhaltungszucht überleben, wie etwa die Socorrotaube (Zenaida graysoni) oder andere wie das Przewalskipferd oder der Kalifornische Kondor (Gymnogyps
californianus), die vor ihrer erfolgreichen Auswilderung
zeitweise nur in Zoos überlebt haben, gäbe es nach dem
Willen dieser Tierschützer schon längst nicht mehr.
In Würde aussterben?
Mal abgesehen davon, dass dieses „würdevolle“ Aussterben ja nur funktioniert, wenn man alle Tiere in
Menschenobhut an der Fortpf lanzung hindert. Fortpflanzung ist aber nun mal der biologische Zweck einer jeden Generation von Lebewesen. Deshalb haben
Hirsche Geweihe und Wildschafe Hörner und deshalb
kämpfen die Männchen dieser Arten in der Brunftzeit
bis zur totalen Erschöpfung um die Weibchen. Und nur
deshalb erfreuen uns Vögel mit buntem Gefieder oder
millionenfach im Frühjahr mit ihrem Gesang, um damit
Weibchen anzulocken und das Revier für die erfolgreiche
Aufzucht der Jungen abzustecken. Ob ein geschlechts-
loses Leben bis zum Tod, das manche Tierschützer so
pathetisch „würdevoll“ nennen, wirklich im Interesse
der Tiere ist, darf bezweifelt werden.
Zudem, da die Gegner von Wildtieren in Menschenobhut üblicherweise moralische Gründe für ihre Sicht der
Dinge anführen, sei die Gegenfrage erlaubt: Vorausgesetzt, Tiere in einer guten Gehegehaltung leiden weder
physisch noch psychisch, ist dann die Forderung, Arten
besser aussterben zu lassen, als sie durch Gehegezucht
über die Zeit zu retten, tatsächlich moralisch vertretbar?
Wie verträgt sich diese Forderung mit der Achtung vor
der Vielfalt der Schöpfung? Und der Verantwortung,
zukünftigen Generationen möglichst viel Artenvielfalt
zu hinterlassen?
Ob Tiere in Menschenobhut nicht nur körperlich, sondern
auch psychisch gesund sind, lässt sich jedenfalls immer
besser (z.B. durch Messung von Stresshormonen im Urin)
nachweisen. Wenn also alle objektiven Kriterien darauf
hindeuten, dass in einer guten Tierhaltung Individuen
weder körperlich noch psychisch leiden, reduziert sich
eine generelle Ablehnung von Wildtieren in Gehegen
letztlich auf eine persönliche Weltanschauung. Die ist
selbstverständlich Jedermann zugestanden, nur als moralische Begründung dafür, ein bewährtes Instrument
zur Artenrettung generell nicht einzusetzen und somit
gegen die Interessen zukünftiger Generationen zu handeln, ist das zu wenig.
Bleibt zu guter letzt die ebenfalls von Zoogegner öfters
geäußerte Forderung, Zootiere doch in die Freiheit zu
entlassen:
Raus mit euch in die Freiheit!
Da gäbe es durchaus Raum für Kooperation, wenn, und
das ist ein großes WENN, nicht einfach nach dem Motto
„Raus mit euch!“ ein paar Gehegetüren geöffnet werden
sollen, sondern die Aussetzungen den international akzeptieren IUCN-Richtlinien entsprechen.
Das bedeutet etwa, dass auszuwildernde Tiere der ursprünglich am Aussetzungsort vorkommenden Unterart
oder Population entsprechen oder dieser möglichst nahe
stehen, damit sie mit spezifischem Klima, Krankheitskeimen usw. vor Ort auch einigermaßen zurechtkommen.
Die tierischen Neusiedler müssen im Rahmen eines ‚soft
release’ das Leben im ursprünglichen Lebensraum Schritt
für Schritt erlernen und nach der Auswilderung (per
Telemetrie usw.) überwacht werden, um bei Problemen
ggf. steuernd eingreifen zu können. Und es muss neben
vielen andere Aspekten (a) natürlich intakter Habitat
vorhanden sein, in dem es (b) keinen zu erwartenden
größeren Konflikt mit den ansässigen Menschen gibt, (c)
in dem auch wirklich Platz für die tierischen Neusiedler vorhanden ist – also nicht alle geeigneten Reviere
bereits von Tieren derselben Art besetzt sind, was als
29
GASTKOMMENTAR
nächsten Punkt automatisch einschließt, dass (d) die
Ursachen, derentwegen die Art dort ausgerottet oder
selten wurde, bekannt und beseitigt sind. Außer vielleicht Medienrummel für den, der das fordert, bringt es
also nichts, die Rückführung von Zootigern nach Asien
zu verlangen, wenn nahezu überall dort, wo Tiger noch
leben, die Wilderei nicht unter Kontrolle ist.
Und um dem Einwand vorzubeugen, das Geld für die
Haltung von Zootigern wäre somit besser vor Ort investiert, sei angefügt, dass durch Zoos und über von
Zoos organisierte Sammelaktionen (etwa die europaweite
EAZA Tigerkampagne) in den letzten Jahren rund ein
Viertel aller Finanzen aufgebracht wurden, die für den
Schutz der letzten wild lebenden Tigerpopulation zur
Verfügung standen.
Seriöse Wiederansiedlung von bedrohten Arten unter
Berücksichtigung der erwähnten Aspekte existieren
bereits vielfach, nicht nur für Przewalskipferde, oder
Kalifornische Kondore, sondern z.B. auch für Addaxantilopen (Addax nasomaculatus), Säbelantilopen (Oryx
dammah), Feldhamster (Cricetus cricetus), Schwarzfußiltisse (Mustela nigripes) und Europäische Nerze (Mustela lutreola) bis hin zu Lord-Howe-Stabheuschrecken
(Dryococelus australis) und vielen anderen Arten. Zoos
und verwandte Einrichtungen spielen in vielen dieser
Projekte nicht nur durch das Bereitstellen von Tieren,
sondern auch durch fachliche und finanzielle Hilfe eine
Rolle. Jene Tierrechtsorganisationen, die so vehement
„das Ende der Tiere hinter Gittern fordern“, glänzen
aber bisher mit Abwesenheit, wenn es darum geht, dann
wirklich Leistungen zu erbringen, um wissenschaftlich
korrekt und unter Berücksichtigung des ökologischen
und sozialen Umfeldes im Aussetzungsgebiet solche
Tierpopulationen in Freiheit neu aufzubauen.
ferenz in Nagoya nicht nur im leeren Gerede der Politik,
sondern nach wie vor auch im fundamentalistischen
Streit selbst jener Interessengruppen wie Jäger, Angler,
Landwirte und Tierschützer, die eigentlich wegen ihres
Bezuges zur belebten Natur alle mit den Natur- und
Artenschützern am selben Strang ziehen sollten.
Dank
Mein Dank gilt Jens-Ove Heckel für viele wichtige Anmerkungen zu einer früheren Version dieses Manuskripts.
Quellen
BMT (2008): Schicksal überzähliger Zootiere – bmt fordert Zoos auf, auf
Nachzucht zu verzichten, 3/2008, S. 11.
Dickinson, P. (2010): The Good Zoo and Euthanasia. http://zoonewsdigest.
blogspot.com/ 2010/11/ good-zoo-and-euthanasia.html.
EAZA (2010): Statement on behalf of the European Association of Zoos
and Aquaria (EAZA) and the EAZA conservation breeding programme
for tigers (the Tiger EEP) in reference to the recent conviction of staff of
Zoo Magdeburg for the management euthanasia of three hybrid tigers.
Etzold, S. (2008): Sterbehilfe im Tierpark, Die Zeit, 11.09.2008, S. 41-42.
IUCN/SSC (2002): IUCN TECHNICAL GUIDELINES ON THE MANAGEMENT
OF EX SITU POPULATIONS FOR CONSERVATION.
IUCN/SSC/CRSG (2010): Global Re-Introduction Perspectives: 2010’ zum
downloaden von www.iucnsscrsg.org
Natura 2000 Newsletter (2010): Haltung der Europäer zur Biodiversität,
28/2010, S. 12-13.
VDZ (2008): Leitlinien zur Regulierung von Tierpopulationen in deutschsprachigen Zoos. S. 82.
WAZA (2010): Statement on behalf of the World Association of Zoos
and Aquariums (WAZA) in reference to the recent conviction of staff of
Zoo Magdeburg for the management euthanasia of three hybrid tigers.
Realitätstest für Tierschützer
Großes aus einer ja oft durchaus idealistischen Weltsicht
zu fordern, ist einfach. Dieses dann aber dem Realitätstest zu unterziehen oder gar seriös umzusetzen, ist
eine andere Sache. Geld, Wissen, jahrelanges Durchhaltevermögen, Kompromissbereitschaft, diplomatisches
Geschick, eine hohe Frust-Toleranz und Enthusiasmus
sind gefragt. Heraus kommt dann für den Arten- und
Naturschützer zermürbende tägliche Kleinarbeit, die oft
auch noch wenig medienwirksam ist.
Da sind dann die simplen Feindbilder bequemer – und
auch für den Sensationsberichterstatter interessanter: Die
Wölfe (oder die Tiger oder Biber), wenn sie in der Wildbahn menschlichen Interessen in die Quere kommen, der
Zoodirektor, wenn die Tiere in Gehegen leben, oder der
Zootierarzt, wenn es um Populationsmanagement geht.
So verpuffen die Bemühungen zur Rettung der Artenvielfalt auch im Jahr eins nach der großen Biodiversitätskon-
30
IMPRESSUM
Herausgeber:
ZOOLOGISCHER GARTEN MAGDEBURG gGmbH
Zooallee 1, 39124 Magdeburg
Tel.: 0391 280900, Fax: 0391 280905100
www.zoo-magdeburg.de
Geschäftsführer: Dr. Kai Perret
Aufsichtsratsvorsitzender: Dr. Lutz Trümper
Handelsregister: Amtsgericht Stendal, HRB 5885
USt.-IdNr.: DE251537548
Steuer-Nr.: 102/105/90205
Redaktion: Björn Encke, Regina Jembere, Andreas Krauss
Fotos: Werner Knauf, Wilfried Kaufmann, René Driechciarz,
Mark-Oliver Rödel, Laura Sandberger, Björn Encke, Andreas
Krauss, Ellen Driechciarz, Ulrike Weizsäcker, Thiemo
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