Die Entwicklung eines Indischen Parteiensystems und die Cleavage

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Nr. 30
Die Entwicklung eines Indischen Parteiensystems und die
Cleavage-Theorie – eine Theorie nur für Europa?
Sarah Starck
1
Heidelberg Student Papers
South Asian Series
Editorial Staff
Senior (Executiv) Editor
Siegfried O. Wolf, M.A.
Editor
Siegfried O. Wolf, M.A.
Deputy Editor
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Editorial Board
Bashir Ahmed, MSS.
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Malte Pehl, M.A.
Editorial Advisary Board
Prof. Subrata K. Mitra, PhD (Rochester)
Dr. Clemens Spieß
2
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Veröffentlicht im Ortner Verlag, Dresden, November 2007
Copyright © 2007 by Ortner Verlag, Dresden, Heidelberg
Alle Rechte Vorbehalten
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Druck und Bindung: Alinea, Dresden
Printed in Germany
ISBN 978-3-86801-051-0 (PDF)
ISBN 978-3-86801-069-5 (Broschur)
3
Über Heidelberg Student Papers
Die Serien der HSP bieten eine einzigartige Plattform für Studenten, um diese zum schreiben
anzuregen, ihnen die Möglichkeit zu bieten ihre Erfahrungen mit den Bereichen Herausgeben
und Publizieren zu erweitern und Bestätigung für das erarbeitete zu erhalten.
Über die Serie Südasien Studien
Heidelberg Student Papers (HSP) - Südasien ist eine Serie von Arbeiten im Bereich der
Südasien Studien, die primär von Studenten der Universität Heidelberg und Akademischen
Institutionen, welche in Kooperation mit dem Südasien Institut stehen, angefertigt wurden.
Es handelt sich hierbei um ein verifiziertes Journal, welches unter der Aufsicht der Abteilung
der Politischen Wissenschaft am Südasien Institut, sowie der des redaktionellen Ausschusses
der Heidelberg Papers in South Asian and Comparative Politics (HPSACP), unter der
Aufsicht von Professor Subrata K. Mitra, PhD (Rochester) stehen.
Die HSP – Südasien Serie zielt darauf ab die besten Arbeiten von Studenten in den Bereichen
Politik, Ökonomie, Geschichte, Sprachen, Kultur, Religion und Sozialen Angelegenheiten mit
Bezug zur Region Südasien hervorzuheben. Die Einbringung aller disziplinären Perspektiven
wird begrüßt. Die in den Serien dargestellten Meinungen sind ausschließlich die der Autoren
und müssen nicht mit der Meinung der Universität oder der Redaktion übereinstimmen, es sei
denn dieses ist ausdrücklich vermerkt.
4
About Heidelberg Student Papers
The HSP series offers a unique platform for students to promote their work. It will, at the
same time, encourage them in their writing, give them recognition and the chance to gain
experience in the process of editing and publishing. Authors from different levels, beginners
as well as advanced students, will be selected by the Editorial Board, based on their academic
performance.
About the Series “South Asian Studies”
Heidelberg Student Papers (HSP) is a working paper series in South Asian Studies by students
primarily at the University of Heidelberg and academic institutions associated with the South
Asia Institute (SAI).
It is a verified journal, under the responsibility of the department of Political Science at the
South Asia Institute as well as the editorial board of the Heidelberg Papers in South Asian
and Comparative Politics (HPSACP) under the patronage of Professor Subrata K. Mitra, PhD
(Rochester).
The HSP - South Asian Series aims to highlight the very best work by students in the fields of
politics, economics, history, language, culture, religious and social issues within the region.
Submissions from all disciplinary perspectives are welcomed. The opinions expressed in the
series are those of the authors of the articles concerned, and do not represent the views of the
university or the editorial staff unless otherwise indicated.
5
Sarah Starck
[email protected]
Der Autor studiert an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Politische Wissenschaft,
Politische Wissenschaft Südasiens und Öffentliches Recht.
The author is studying Political Science, Political Science of South Asia and Public Law at
the Ruprecht-Karls-Universität of Heidelberg.
Heidelberg Student Papers (HSP) begrüßt das Einbringen von Arbeiten jedes Fachbereiches
mit Bezug auf die verschiedenen Serien von HSP. Alle Arbeiten werden vom redaktionellen
Ausschuß geprüft. Der Autor ist dazu verpflichtet seine Arbeit vor der Veröffentlichung
selbstständig auf Fehler und Vollständigkeit zu überprüfen. Der Herausgeber behält sich das
Recht vor Arbeiten abzulehnen.
Heidelberg Student Papers (HSP) welcomes submissions of papers in all fields related to the
different series of HSP. All papers will be verified by the editorial board. The author is
obliged to review his paper and to ensure its completeness and authenticity before publication.
The editor reserves himself the right to reject papers.
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6
Die Entwicklung eines Indischen Parteiensystems und die
Cleavage-Theorie – eine Theorie nur für Europa?
Sarah Starck
7
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ........................................................................................................... 9
2 Die Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan................................................ 10
3 Entwicklungsphasen des Deutschen Parteiensystems ab 1945........................ 11
4 Die Entwicklung eines Indischen Parteiensystems seit der Unabhängigkeit .. 14
5 Anwendbarkeit der Cleavage-Theorie auf das Indische Parteiensystem......... 18
6 Fazit .................................................................................................................. 19
7 Literaturverzeichnis.......................................................................................... 21
7.1 Internetquellen ....................................................................................... 22
7.2 Zeitschriften........................................................................................... 22
8
1 Einleitung
In den meisten parlamentarischen Demokratien spielen politische Parteien eine zentrale Rolle
innerhalb
des
politischen
Lebens.
Parteien
sind
nach
Schmidt
„organisierte
Zusammenschlüsse gleichgesinnter Staatsbürger zur Förderung gemeinsamer politischer
Anliegen in Willens- und Entscheidungsprozessen über öffentliche Angelegenheiten, vor
allem
durch
Meinungsäußerung,
Regierungspolitik,
Ämtererwerb
direkte
und
oder
politische
indirekte
Einflussnahme
Gestaltung“.1
Folglich
auf
die
wird
das
Zusammenspiel politischer Parteien untereinander, innerhalb parlamentarischer Demokratien,
als Parteiensystem bezeichnet, in dem die Parteien untereinander agieren und versuchen ihre
Interessen umzusetzen.
Deutschland kann bereits auf eine lange Tradition politischdemokratischer Parteien blicken.
Aber auch Indien, kann als einer der ganz wenigen Staaten in der Dritten Welt, seit seiner
Unabhängigkeit 1947 auf eine durchgängige demokratische Tradition zurückschauen. Die
Vielfältigkeit der indischen Bevölkerung spiegelt sich auch im Parteiensystem wider. So ist es
nicht verwunderlich, dass es Anfang 1998 bereits 654 registrierte Parteien gab.2 Hier stellt
sich die Frage, auf welcher Basis sich diese Parteien bildeten, bzw. wie sich das Indische
Parteiensystem ausdifferenzieren konnte. Sieht man sich dieses einmal genauer an, wird klar,
dass seit der Unabhängigkeit in den ersten Jahren eine One-Party-Dominance des Indian
National Congress (INC) vorherrschte. Dennoch hat sich das Indische Parteiensystem im
Laufe der Jahre als relativ konsolidiert erwiesen. Aber auch das Parteiensystem der
Bundesrepublik Deutschland erwies sich seit Beginn der 60er Jahre als insgesamt sehr stabil.
Doch warum entstehen Parteien überhaupt und wie bildet sich ein stabiles Parteiensystem
heraus? Auf dieser Basis versucht die vorliegende Arbeit anhand der Cleavage-Theorie von
Seymour M. Lipset und Stein Rokkan zu analysieren, inwieweit dieses „westliche“ Modell
auf das Parteiensystem Indiens anwendbar ist. Als Vergleich wird die Entwicklung des
bundesdeutschen Parteiensystems nach 1945 hinzugezogen.
In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, inwiefern die Cleavage-Theorie geeignet
ist, die Entwicklung des Parteiensystems Indiens zu analysieren. Die Arbeit erläutert zunächst
1
2
Siehe: Schmidt, Manfred G. (2004): Wörterbuch zur Politik, 2. vollständig überarbeitete und erweiterte
Auflage, Stuttgart; S. 514-516
Anzahl der registrierten Parteien in Indien entnommen von „Indien: Staat und Politik“
http://www.suedasien.net/laender/indien/staat.htm (letzter Zugriff am 19.09.06)
9
die Cleavage-Theorie näher, bevor dann ein Überblick über die Entwicklung des
bundesdeutschen Parteiensystems seit 1945 sowie die des Indischen Parteiensystems seit der
Unabhängigkeit
gegeben
wird.
Anschließend werden die Cleavage-Strukturen im
Zusammenhang mit der Entwicklung des Indischen Parteiensystems seit der Unabhängigkeit
betrachtet. In diesem letzten Punkt wird versucht aufzuzeigen, wie sich diese Konfliktlinien
möglicherweise
auf das Indische Parteiensystem umsetzen lassen oder ob sie im
Wesentlichen nur auf „westliche“ Systeme ihre Anwendbarkeit finden.
2 Die Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan
Bei der Entwicklung von Parteiensystemen lassen sich zwei Erklärungsansätze erkennen, zum
einen historisch-soziologische Ansätze und zum anderen institutionelle Ansätze. Die
institutionellen Ansätze wurden meistens mit dem Namen Maurice Duverger in Verbindung
gebracht. Er führte bereits in den 50er Jahren das Feld der Forscher an, die das Wahlsystem
in den Mittelpunkt von Erklärungen stellten, um
die Struktur und Entwicklung von
Parteiensystemen zu erklären. Aber schon bald wurde Duverger von Vertretern des
sozialstrukturellen Ansatzes widersprochen. Bei den historisch-soziologischen Ansätzen wird
vor allem immer wieder die Cleavage-Theorie nach Seymour M. Lipset und Stein Rokkan in
den Vordergrund gestellt.3 Dieser makrosoziologische Ansatz versucht anhand von
bestimmten gesellschaftlichen Konfliktlinien (eng. cleavages), die innerhalb einer
Gesellschaft entstehen, die Entwicklung von Parteiensystemen in Europa zu erklären.
Das Modell der Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan wurde auf der Grundlage der
Systemtheorie von Talcott Parsons entwickelt, das die Entstehung und die Grundstrukturen
der Parteiensysteme Europas auf vier grundlegende sozio-ökonomische und sozio-kulturelle
Konflikte zurückführt.4 Mit der im Jahr 1967 entwickelten Cleavage-Theorie steht somit ein
sozialwissenschaftliches Instrument zur Verfügung, um „auf empirischer Basis die
historischen Entwicklungen und sozialstrukturellen Bezüge unterschiedlicher nationaler
Parteiensysteme vergleichend untersuchen zu können“5. Cleavages sind demzufolge
institutionalisierte in der Sozialstruktur verankerte politische Konfliktlinien, sie sind gemäß
Lipset und Rokkan auf Probleme zurückzuführen, die Folge zweier Prozesse sind, des
3
4
5
Vgl.: Nohlen, Dieter (2000): Wahlrecht und Parteiensystem, 3. Auflage, Opladen; S. 66-69
Siehe: Mielke, Gerd (2001): Gesellschaftliche Konflikte und ihre Repräsentation im deutschen Parteiensystem.
Anmerkungen zum Cleavage-Modell von Lipset und Rokkan, in: Ulrich Eith/Gerd Mielke: Gesellschaftliche Konflikte
und Parteiensysteme, Wiesbaden, S. 78
Siehe hierzu: Ulrich Eith/Gerd Mielke (Hrsg.) (2001): Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme,
Wiesbaden; S. 11
10
Nationswerdens (nationale Revolution) einerseits und der Industrialisierung (industrielle
Revolution) andererseits.6 Parteien entstehen demzufolge dadurch, dass sich die Individuen
innerhalb eines gesellschaftlichen Konflikts zu Gruppen mit gemeinsamen Interessen
zusammenschließen, um dann ihre Interessen im politischen Entscheidungsprozess zu
artikulieren und versuchen durchzusetzen.
Lipset und Rokkan gehen dabei von vier
Konfliktlinien aus, die sich am Beispiel des
europäischen Demokratisierungsprozesses7 herausbildeten – Zentrum vs. Peripherie, Kirche
vs. Staat (Kulturkonflikt), ländlich-agrarische vs. städtisch-handwerkliche Interessen sowie
Kapital vs. Arbeit (Industriekonflikt). Die ersten beiden entwickelten sich durch Bildung von
Nationalstaaten
und
der
Säkularisierung,
wobei
die
beiden
letzten
durch
den
Industrialisierungsprozess hervorgerufen wurden.
Diese Spaltungen bildeten somit die Grundlage für die Entstehung nationaler Parteiensysteme,
die grundsätzlich in allen Gesellschaften Europas zu finden waren, allerdings in
unterschiedlicher Weise und Kombination.8
Im ersten Teil der Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan werden die vier Konfliktlinien
aufgezeigt, im zweiten Teil dieses Modells wird davon ausgegangen, dass es nur dann zur
Ausbildung von dauerhaft institutionalisierter Cleavages kommt, wenn politische Eliten diese
gesellschaftlichen und sozialen Konflikte aufgreifen und innerhalb der Rahmenbedingungen
des politischen Systems parteipolitisch umsetzen.9 Die Cleavage-Theorie stellt somit eine der
wichtigsten Theorien zur Erklärung nationaler Parteiensysteme dar. Aber auf Grund der
politischen Umbrüche der letzten 20 Jahre sind viele Wissenschaftler der Meinung, dass ihre
Erklärungskraft in heutigen Situationen nur noch bedingt gilt. Die langfristigen Bindungen an
bestimmte Parteien, wie auch die sinkende Wahlbeteiligung und Protestwahl können nicht
erklärt werden.
3 Entwicklungsphasen des Deutschen Parteiensystems ab 1945
Die Geschichte der deutschen Parteienentwicklung ist von vielen Umbrüchen innerhalb des
politischen Systems gekennzeichnet.
„Der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer
Republik mit seinem Regimewechsel und dem Wechsel des Wahlsystems, die zwölfjährige
6
7
8
9
So: Nohlen, Dieter (2000); S. 69-70
Vgl.: Ulrich Eith/Gerd Mielke (2001); S. 11
Ebenso Roth, Dieter (1998): Empirische Wahlforschung, Opladen; S. 28
Vgl.: Ulrich Eith/Gerd Mielke (2001); S. 11
11
Unterbrechung des demokratischen
Parteienwettbewerbs durch die nationalsozialistische
Diktatur, die deutsche Teilung im Gefolge des Zweiten Weltkrieges“10 und der bis dato letzte
Umbruch, die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1990, haben die Struktur des deutschen
Parteiensystem erheblich geprägt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen die deutschen Parteien vor nichts als dem
Scherbenhaufen der Vergangenheit. Die „Stunde Null“. Aber das bundesdeutsche
Parteiensystem sollte sich neu formieren. Mit der Potsdamer Regierungskonferenz, die im
Zeitraum vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 stattfand, sollte Nachkriegsdeutschland die
Chance bekommen. Die Siegermächte USA, UdSSR und Großbritannien beschlossen
demokratische Parteien in Deutschland zuzulassen. Die Legitimation demokratischer Parteien
für die politische Willensbildung wurde aber erst mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24.
Mai 1949 verfassungsrechtlich verankert. Die verfassungsrechtliche Legitimation der
politischen Parteien ist vor allem darauf zurückzuführen, die Wiederholung in der
Vergangenheit begangener Fehler, möglichst auszuschließen. Zum einen sollte im Gegensatz
zur Weimarer Verfassung die Möglichkeit eines Verbots von Parteien, die gegen die
demokratische Grundordnung verstoßen, gegeben sein. Zum anderen erschien es den Vätern
der
Verfassung
notwendig,
Parteien
als
Organe
der
politischen
Willensbildung
verfassungsrechtlich zu legitimieren.
Bis heute lässt sich das bundesdeutsche Parteiensystem in fünf Entwicklungsphasen einteilen.
Die Jahre 1945-1951 waren von Kontinuität und Neubeginn11 geprägt. Zum einen entstand
eine Gruppe, bestehend aus vier überregionalen Parteien, zu dieser zählten die
„Sozialdemokratische
Partei
Deutschlands“
(SPD),
die
„Kommunistische
Partei
Deutschlands“ (KPD), die „Freie Demokratische Partei“ (FDP) und die „ChristlichDemokratische Union“ (CDU) und in Bayern „Christlich-Soziale Union“ (CSU). Auf der
anderen Seite standen kleinere Parteien, deren Existenz deutlich machte, dass zahlreiche
politisch-gesellschaftliche Trennlinien selbst nach der Weltwirtschaftskrise und dem Dritten
Reich noch immer Parteigründungspotential hatten.12
10
11
12
Vgl.: hierzu: Mielke, Gerd (2001); S. 81
Im Folgenden werde ich mich für dem Zeitraum von 1945-1990 bei der Benennung der einzelnen
Entwicklungsphasen des Parteiensystems und deren zeitlichen Verlauf auf die Formulierung von Wolfgang Rudzio
beziehen, da diese von Literatur zu Literatur variieren können.
Ausführlicher Rudzio, Wolfgang (2003): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland,
6. überarbeitete Auflage, Oplanden; S. 139-141
12
In der zweiten Phase, der Konzentration des Parteiensystems, im Zeitraum von 1952-1961,
sind drei Wandlungsprozesse erkennbar, die den Übergang zu einem anderen Parteiensystem
bewirkten. Kleinere Parteien wurden durch die CDU/CSU aufgesaugt, ein Anwachsen der
Sozialdemokratie wurde verzeichnet und ein Positionswechsel der FDP vollzog sich bis Ende
der 60er Jahre. Besonders kleineren Parteien wurde durch die 1953 eingeführte Fünf-ProzentSperrklausel das Leben erschwert, sie gingen sang- und klanglos unter.
Außerdem
verblassten die bisher als parteibegründend angesehenen Konfliktlinien. Die voranschreitende
Säkularisierung katholisch-protestantischer Differenzen entzog dem Zentrum die Grundlage.
Auch Parteien, die noch den Konflikt der 50er Jahre über die außenpolitische Positionierung
der Bundesrepublik als Sprungbrett für eine Parteigründung nutzen, scheiterten.
13
Mit dem
Godesberger Programm ereignete sich ein Imagewandel der SPD, der die Partei für
Angestellte und Freiberufler attraktiv machte.14 Die SPD zeigte sich als eine Partei für
Jedermann und versuchte alle Bürger anzusprechen. Durch die Freiburger Thesen, in denen
die FDP einen sozialen Liberalismus propagierten, wurde die unselbstständige Mittelschicht
zur Adressatengruppe.
Zu der Neuorientierung der FDP kam es in der darauf folgenden Entwicklungsphase, in der
sich während 1961 und 1983 ein eingespieltes Zweieinhalb-Parteiensystem etablierte, in dem
die FDP die Position eines „Züngleins“ an der Waage einnahm. Die FDP war
multikoalitionsfähig und konnte sowohl mit der SPD wie auch mit der CDU/CSU koalieren.
Innerhalb dieser Phase lassen sich zwei Konfliktdimensionen erkennen. Zum einen den
sozial-ökonomischen Konflikt zwischen CDU/CSU und FDP vs. SPD und zum anderen den
zwischen traditionell-religiösen und individuell-säkularen Werteorientierungen bei SPD und
FDP vs. CDU/CSU. Außerdem gab es so gut wie keine Kluft mehr zwischen den beiden
großen Volksparteien, die diesen Titel beide für sich beanspruchten.15 Die drei Parteien
agierten
alleine
und
miteinander
innerhalb
diesem
geschlossenen
Zweieinhalb-
Parteiensystem.
Mit dem Einzug der Grünen in den Deutschen Bundestag 1983 wurde die nächste Phase
eingeläutet. Es bildete sich ein Zwei-Parteigruppen-System heraus, mit der CDU/CSU und
FDP auf der einen und der SPD und den Grünen auf der anderen Seite. Das System wurde
nicht nur um eine Partei erweitert, sondern auch um eine Konfliktdimension reicher, nämlich
13
14
15
Siehe Rudzio, Wolfgang (2003); S. 145-147
Vgl.: Alemann, Ulrich von (2001): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, 2. durchgesehene
Auflage, Opladen; S. 59
Siehe: Rudzio, Wolfgang (2003); S. 150-151
13
der ökologisch-ökonomischen. Auch mit der Deutschen Wiedervereinigung 1990 unterzog
sich das Parteiensystem einer Transformation. Die Erscheinung neuer Parteien durch die
Einheit blieb jedoch weitestgehend aus, da fast alle Parteien der Deutschen Demokratischen
Republik (DDR) mit den entsprechenden westdeutschen Parteien fusionierten.16 Dennoch
wurden die bis dahin etablierten Strukturen doch erheblich durchgeschüttelt.
An dieser Stelle finden die Ausführungen Rudzios ihr Ende. Da die Entwicklungsgeschichte
des deutschen Parteiensystems aber noch nicht zu Ende ist, sondern sich ab 1990 eine weitere
Ausdifferenzierung des Parteiensystems stattfand, wie von Alemann es aufzeigt, werde ich
mich hauptsächlich auf seine Ausführungen berufen. Diese, bis heute letzte gemäß von
Alemann zentripetale Phase, hebt die Absorptionsfähigkeit des Parteiensystems auf, aber auch
die verbreitete Politikverdrossenheit hervor. Mit der Etablierung der PDS waren fünf Parteien
im Parteiensystem involviert.17 Das Parteiensystem an sich ist pluralistischer geworden, kleine
Parteien wie die Grünen oder die PDS konnten sich etablieren und stabilisieren und die
großen Parteien kämpfen um die Mitte. PDS wie auch Grüne haben nur eine
Koalitionsmöglichkeit, nämlich die mit der SPD. Was noch zu Zeiten der Weimarer Republik
ein zerklüftetes Vielparteiensystem war, ist nun in Folge einiger Transformationsprozesse,
wenn man davon sprechen kann, zu einem zweigeteilten Fünf-Parteiensystem mit
zentripetaler Tendenz geworden.
4 Die Entwicklung eines Indischen Parteiensystems seit der Unabhängigkeit
Indien ist mit einer Milliarde Menschen, von denen 620 Millionen wahlberechtigt18 sind, mit
Abstand die größte Demokratie der Welt. Die Gründung des Indian National Congress (INC)
im Dezember 1885, aus dem 1920 die spätere Congress Party hervorging, wurde zentrales
Sprachrohr des aufkommenden indischen Nationalismus und später die entscheidende und
prägende Kraft des unabhängigen Staates Indiens.19
In der indischen Verfassung werden Parteien nicht ausdrücklich genannt, aber wie in allen
anderen Demokratien auch, sind Parteien in Indien die Institutionen zur Durchsetzung
politischer Ziele. Im Gegensatz zu anderen Demokratien konnte Indien sehr lange Zeit nur
16
17
18
19
Vgl. ebenso: Rudizio, Wolfgang (2003); S. 153-154
So: Alemann, Ulrich von (2001); S. 68-73
Vgl.: Jakob Rösel/Clemens Jürgenmeyer (2001): Die Entstehung eines Parteiensystems in der Indischen Union, in:
Ulrich Eith/Gerd Mielke (Hrsg.) (2001): Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme, Wiesbaden; S. 295
Siehe Betz, Joachim (1997): Geschichtliche Entwicklung, in: Informationen zur politischen Bildung – Indien, Nr.
257/1997, Bonn; S. 7
14
eine einzige nationale Partei vorweisen. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit Indiens im Jahr
1947 ist der Congress die einzige „landesweit anerkannte, bürokratisch organisierte und zur
Massenmobilisierung befähigte“ politische Partei.20 Die Parteienlandschaft Indiens kann in
vier Gruppen eingeteilt werden. Die erste bilden die All-India political parties, die Parteien
auf der nationalen Ebene, wie der INC oder auch die Bharatiya Janata Party (BJP). Unter die
zweite Gruppe fallen alle Parteien auf regionaler Ebene, welche hauptsächlich ihre
gemeinsame Sprache sowie die Kultur und Geschichte ihrer Region repräsentieren. Parteien
der dritten Gruppe akzeptieren nur Mitglieder aus ganz bestimmten religiösen oder ethnischen
Gesellschaften. Die Parteien der vierten Gruppe organisieren sich um eine machtvolle
Persönlichkeit oder lokale wie auch staatliche Belange, wobei hier gesagt werden muss, dass
diese Zusammenschlüsse keine lange Lebensdauer haben.21
Bis heute lassen sich drei
Entwicklungsstufen des indischen Parteiensystems erkennen. Die erste Phase kann als Phase
der One-Party-Dominance des Indian National Congress, in die Jahre zwischen 1952 bis
1967, eingeordnet werden. In der darauf folgenden Phase der Bipolarization of State Party
System22 zwischen 1967 und 1989 kam es zu einem Machtverlust des INCs bis sich dann mit
der dritten Phase ab 1989, die bis dato letzte Phase, ein Segmented Pluralism vollzog.
Von der Unabhängigkeit bis mindestens Mitte der achtziger Jahre konnte man in Indien
dementsprechend von einem dominanten Einparteiensystem mit der Fähigkeit zur Bildung
einer stabilen Regierung sprechen. Der durch den Unabhängigkeitskampf bekannte Indian
National Congress (INC) dominierte die politische Landschaft. Er stellte nicht nur, von
kurzen Ausnahmen abgesehen, die Bundesregierungen, sondern fast immer auch die
Regierungen der jeweiligen Länder. Bei den ersten drei Lok Sabha-Wahlen (1952,
1957,1961), die Wahlen zum indischen Unterhaus, konnte der INC immer mehr als eine 2/3
Mehrheit der Sitze erreichen.23 Nach der Unabhängigkeit wurde Jawaharlal Nehru erster
Premierminister Indiens, mit seinem festen Glauben, dass die Demokratie die einzig mögliche
Regierungsform ist, die Indien zusammen halten kann und auch den erhofften sozialen
Fortschritt bringt, war er der unbestrittene Führer des INC. Nach seinem Tod im Jahr 1964
hatte die Partei erhebliche Probleme einen Nachfolger zu finden. Seine Nachfolge trat Lal
Bahadur Shastri an, um nur zwei Jahre später von Nehrus Tochter Indira Gandhi abgelöst zu
20
21
22
23
Vgl.: Jakob Rösel/Clemens Jürgenmeyer (2001); S. 297
Vgl. hierzu: Baxter, Craig/Malik, Yogendra K. (2002): Government and Politics in South Asia, 5. Auflage,
Boulder/Colorado; S. 101-102
Nach Sridharan, E.: The Fragmentation of the Indian Party System, 1952-1999: Seven Competing Explanations, in:
Hasan, Zoya (2002), Parties and party politics in India, New Delhi, S. 475
Siehe: Sridharan, E. (2002); S. 477
15
werden.24
In dieser ersten Phase gab es keine Regierungswechsel und der politische
Wettbewerb fand innerhalb des INCs statt.
In den Jahren 1967 und 1971 verfehlte die Partei unter Führung Indira Gandhis eine klare
Mehrheit, was als Beginn der zweiten Entwicklungsphase gewertet werden kann. Sie regierte
das Land von 1975 bis 1977 mittels Notverordnungen und verlängerte so ihre Amtszeit. Die
Zeit der Notstandsregierung brachte die Janata Party (Volkspartei) hervor, die sich aus
mehren Parteien zusammensetzte und die Opposition bildete. Hauptsächlich war sie ein
Auffangbecken von Abtrünnigen der Congress party. Obwohl sie ganze zwei Mal an der
Regierung war, stellt sie lediglich ein Sammelbecken dieser ehrgeizigen politischen Führer
dar.25 Seit 1977 hat die Lok Sabha immer wieder mit Schwierigkeiten zu kämpfen eine stabile
Regierungsmehrheit zu bilden, da das Parteiensystem auf der Mandatsebene zunehmend
fragmentierter wurde.
1980 errang der Congress erneut die Mehrheit und verfehlte die 2/3-Mehrheit um nur 9 Sitze.
Im selben Jahr wurde die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) als
Nachfolgepartei der Bharatiya Jana Sangh (BJS) gegründet. Die steht für die natürliche
politische Dominanz der Hindumehrheit und will Indien in eine moderne und starke Nation
verwandeln.26 Der direkte Vorläufer der Bharatiya Jana Sangh, die seit 1952 zu den Wahlen
zum indischen Bundesparlament antrat, war der Verband der Nationalen Freiwilligen
Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), der 1925 von Keshav Baliram Hedgewar gegründet
wurde. Unter seiner Führung wuchs der RSS sehr schnell. Der RSS lehnte das säkulare
Prinzip der Congress Party ab und strebte die Gründung eines Hindu-Staates an, in dem sich
Anhänger anderer Religionen, die auf Grund ihrer anderen Religion keine Inder sein konnten,
sich entweder zu assimilieren hatten oder auswandern sollten.27 Die RSS wurde mit dem Mord
an Mahatma Gandhi in Verbindung gebracht, worauf sie von 1948 bis 1951 verboten wurde.
In den darauf folgenden Wahlen nach der Ermordung Indira Gandhis im Jahr 1984 gewann
der Congress unter ihrem Sohn Rajiv Gandhi erneut die 2/3-Mehrheit. Die mit
Korruptionsvorwürfen belastete Congress Party verfehlte 1989 erneut eine deutliche
24
25
26
27
Vgl.: Betz, Joachim (1997); S. 9
Siehe Betz, Joachim (1997): „Staatsaufbau und Politik“, in Informationen zur politischen Bildung,
Nr. 257/1997, Bonn; S. 33
Vgl. hierzu: Betz, Joachim (1997); S. 32
„Bharatiya Janata Party“, http://www.suedasien.net/laender/indien/staat_politik/bjp.htm
(letzter Zugriff am 25.09.06)
16
Mehrheit, während die Nationale Front und die BJP deutliche Gewinne verbuchen konnten. 28
Diese zweite Phase ist gekennzeichnet durch den sich immer mehr abzeichnenden
Machtverlust auf Seiten des INC, dies kann darauf zurückgeführt werden, dass der INC eine
Politik betrieb, die nicht in allen gesellschaftlichen Ebenen auf Zustimmung traf, wie auch,
dass sich aus ihm immer mehr Parteien abspalteten, die ihn politisch herausforderten, was in
der ersten Phase nicht der Fall war. Aber trotz dieser angeführten Punkte blieb der INC noch
der dominierende politische Akteur innerhalb des Indischen Parteiensystems.
Mit den Verlusten von 1989 wird die bisher letzte Phase eingeläutet. Bei den Neuwahlen 1991
konnte die Congress Party immerhin noch 227 der 511 Sitze im Unterhaus erlangen, was aber
viel mehr auf die ausgelöste Symphatiewelle durch den Tod Rajiv Gandhis zurückzuführen
ist, der einem Selbstmordattentäter zum Opfer fiel.29 Doch der reformunfähige Congress
konnte seine Zentrumsposition nicht halten, was den Weg für die BJP frei machte. Die
Strategie der BJP, die so genannte „neue Mittelschicht“, zu der Unternehmer, Landbesitzer,
Angestellte sowie Arbeiter und Studenten gezählt wurden, auf ihre Seite zu bringen, konnte
auf Grund ihres innen- wie außenpolitischen Handelns nicht umgesetzten werden. Die Folge
dessen war die Erstürmung und Zerstörung der Moschee in Ayodhya im Dezember 1992.
Durch zahlreiche Korruptionsskandale verlor der Congress weiterhin an Stimmen, was die
Wahlniederlage 1996 zur Folge hatte.30 Die BJP war in der Lage ihre angesammelten 20 % zu
halten und wurde erstmals stärkste Partei bei Unterhauswahlen, scheiterte aber mit der
Regierungsbildung, da sie keinen Koalitionspartner finden konnte.31
Nach den Lok Sabha-Wahlen im Frühjahr 1998, wurde der Ende der 80er Jahre einsetzende
Trend bestätigt. Die BJP gewann mit ihrer Vielparteien-Koalition National Democratic
Alliance (NDA) die Wahlen. Sie stellte mit Atal Bihari Vajpayee den ersten
hindunationalistischen Premierminister Indiens, zu dessen ersten Amtshandlungen die
Atomtests vom Mai 1998 gehörten.32 In dieser Phase werden vor allem die starken Verluste
seitens des Congress deutlich und dem gegenüberstehend der Aufstieg der BJP als hindunationalistischer
politischer
Akteur.
Außerdem
findet
eine
Dezentralisierung
des
Parteienwettbewerbs statt. Den beiden großen Parteien stehen viele kleine regionale Parteien
28
29
30
31
32
Vgl.: Betz, Joachim (1997); S. 12
Siehe ebenso: Betz, Joachim (1997); S. 12
Siehe: „Indien: Staat und Politik“ , http://www.suedasien.net/laender/indien/staat.htm
(letzter Zugriff am 25.09.06)
So auch: Betz, Joachim (1997); S. 13
Vgl.: „Indien: Staat und Politik“, http://www.suedasien.net/laender/indien/staat.htm (letzter Zugriff am 25.09.06)
17
gegenüber, die prinzipiell mit beiden koalieren können und so in der Lage sind, weit über
ihren prozentualen Anteil am Wahlergebnis hinaus, Macht zu erlangen.
5 Anwendbarkeit der Cleavage-Theorie auf das Indische Parteiensystem
Das Forschungsinteresse von Lipset und Rokkan liegt bei der Entstehung und Erklärung von
verschiedenen Parteiensystemen. Die Grundannahme ist, dass die Gesellschaft von
bestimmten, historisch bedingten Konfliktlinien durchzogen ist, auf deren Basis sich Parteien
gründen.
Während die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert in Europa sich über Jahrzehnte
hinweg entfalten konnte, wurde sie in den Entwicklungsländern unter Kolonialherrschaft
verhindert.33 So auch in Indien. In den Jahren nach der Unabhängigkeit machte der Congress
eine Politik, indem er am Prinzip des Laizismus festhielt. Auf diese Weise konnte es
benachteiligte Minderheiten, wie Muslime und Unberührbare an sich binden. Nach dem Tod
Nehrus geht die Mittelpunktstellung des Congress verloren und entlang der von Lipset und
Rokkan genannten Konfliktlinien formieren sich neue Parteien, die
verbünden.
Die
Territorialkontrolle,
vier
(Modernisierungs-)
Errichtung
eines
Prozesse,
laizistischen
nämlich
Staates
sowie
sich letztendlich
die
zunehmende
einer
langsamen
Urbanisierung wie auch Industrialisierung, die vom Congress angestoßen wurden
verselbstständigten sich und verstärkten somit die entsprechenden Konfliktlinien.
Der Congress, der als einzige Kraft, die vielen unterschiedlichen regionalen, ethnischen,
religiösen wie auch sozialen Bevölkerungsgruppen und Interessengruppen mobilisiert,
verschafft ihnen so den Zugang zum Congress. Auf diese Weise tritt, laut Rösel und
Jürgenmeyer, der Congress in seine eigene Erfolgsfalle, seine Integrationskraft versagt.34 Er
förderte im Grunde genommen das Aufkommen und die Intensität der Konfliktlinien.
Indische Unternehmer sehen keinen Vorteil darin, eine eigene Partei zu gründen. Dies zeigt
sich vor allem darin, dass es nur einmal in der Geschichte nach der Unabhängigkeit vorkam,
dass sich eine Unternehmerpartei gründete, die aber schon bald wieder von der Bildfläche
verschwand. 35 Der Industrialisierungsprozess löste nicht nur den Konflikt zwischen Industrie
und Landwirtschaft, sondern auch den zwischen Industriekapital und Industriearbeit aus.
33
34
35
Ebenso: Rüland, Jürgen (2001): Politische Parteien, Zivilgesellschaft der Dritten Welt, in: Ulrich Eith/Gerd
Mielke (Hrsg.) (2001): Gesellschaftliche
Konflikte und Parteiensysteme, Wiesbaden; S. 50
Vgl.: hierzu: Jakob Rösel/Clemens Jürgenmeyer (2001); S. 299-300
So auch: Jakob Rösel/Clemens Jürgenmeyer (2001); S. 314-315
18
Dennoch scheint der Industrialisierungsprozess relativ belanglos, da es zu keinerlei
Entstehung von geeigneten und breitenwirksamen sozialistischen oder kommunistischen
Parteien kam.36
Es zeigt sich also, dass die besonderen Rahmenbedingungen, wie die Größe und Heterogenität
Indiens, die Prozesse der Urbanisierung und Industrialisierung
versetzt und langsam
einsetzen lassen. Demnach ist laut Rösel und Jürgenmeyer ein Parteiensystem sui generis
entstanden, in dem einzelne Parteien aber in erster Linie durch die Rahmenbedingungen
entstanden und erst in zweiter Linie aus den von Lipset und Rokkan angenommenen vier
Konfliktlinien. Somit kann die Entwicklung des Parteiensystems in Indien auf die
spezifischen Rahmenbedingungen, die Struktur des Congress und die vier genannten
Konfliktlinien zurückgeführt werden.
37
An dieser Stelle kann die Cleavage-Theorie nicht
eindeutig die Entstehung des Indischen Parteiensystems erklären, was sich eindeutig auf die
oben angeführten Prozesse zurückführen lässt.
6 Fazit
Am Anfang dieser Arbeit stellte sich die zentrale Frage nach der Anwendbarkeit der
Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan auf die Herausbildung eines Indischen
Parteiensystems. Der Vergleich von europäischen Parteiensystemen, hier im Speziellen dem
der Bundesrepublik Deutschland, und dem indischen Parteiensystem zeigt, dass die von
Lipset und Rokkan entwickelten Konfliktlinien in Indien nicht so intensiv wie in Europa
bestehen. So wurden die wesentlichen Konfliktlinien zum Teil erst durch die indischen
Parteien geschaffen. Erst durch eine verstärkte Regionalisierung wurde die Konfliktlinie
zwischen Zentrum und Peripherie geschaffen. Religion vs. Staat wurde erst durch die Politik
gefördert, vor allem mit Blick auf den Kaschmir-Konflikt. Eine Spaltung zwischen Stadt und
Land ist noch nicht richtig entstanden, die Verstädterung schreitet zwar voran, aber die
Wahlen werden immer noch von der Landbevölkerung entschieden. Auch ein Konflikt
zwischen Arbeit und Kapital ist noch nicht wirklich erkennbar, da die Wirtschaft immer noch
stark vom Staat dominiert wird. Aber wie schon in Punkt fünf festgestellt, ist die
Herausbildung
des
Indischen
Parteiensystems
primär
auf
die
spezifischen
Rahmenbedingungen zurückzuführen und erst danach durch die Konfliktlinien zu erklären. Es
zeigte sich, dass die Konfliktlinien in Demokratien der Dritten Welt einem anderen
36
37
Zitiert nach R. Hardgrave, in: Jakob Rösel/Clemens Jürgenmeyer (2001); S. 316
Jakob Rösel/Clemens Jürgenmeyer (2001); S. 319
19
Phasenverlauf unterliegen, als die in westlichen Demokratien. Die zum größten Teil nicht
nacheinander ablaufen, sondern auch gleichzeitig ablaufen können.38
Mit Blick auf Deutschland sieht man, so Schmidt, dass das Parteiensystem im vereinigten
Deutschland durch drei vorherrschende Konfliktlinien geprägt ist. Zum einen die religiöse, die
den laizistischen vom religiösen Wähler trennt, die ökonomisch-klassenpolitische, die eine
Trennung zwischen der gewerkschaftlich organisierten Wählerschaft und den zu bürgerlichen
Parteien tendierenden Selbstständigen ist. Des Weiteren ist nach der Wiedervereinigung eine
neue Konfliktlinie entstanden, nämlich die regionale, die die Wählerschaft der neuen
Bundesländer von der, der alten Bundesländer abspaltet. Diese Abspaltung zeigt sich vor
allem in der Wahl der PDS bzw. der Linkspartei. Ohne die Konfliktlinien, so Schmidt weiter,
kann das Parteiensystem der Bundesrepublik nicht verstanden werden.39 So zeigt sich, dass
die beiden Volksparteien noch immer auf eine sozialstrukturelle Wählerschaft bauen können,
deren Anteil aber besonders im Bereich der wirtschaftlichen wie auch religiösen Konfliktlinie
langsam schmilzt.
Insgesamt zeigt sich, dass sich westliche Parteiensysteme anhand des Cleavage-Modells
wesentlich besser erklären lassen, wie die Parteiensysteme der Dritten Welt, wie am hier
genannten Beispiel Indiens gezeigt wurde.
38
39
So: Rüland, Jürgen (2001); S. 49
Vgl.: Schmidt, Manfred G. (2005): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, München; S. 45
20
7 Literaturverzeichnis
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2. durchgesehene Auflage, Opladen
Baxter, Craig/Malik, Yogendra K. (2002): Government and Politics in South Asia,
5. Auflage, Boulder/Colorado; S. 99-128
Ulrich Eith/Gerd Mielke (Hrsg.) (2001): Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme,
Wiesbaden, S. 11-15
Mielke, Gerd (2001): Gesellschaftliche Konflikte und ihre Repräsentation im deutschen
Parteiensystem. Anmerkungen zum Cleavage-Modell von Lipset und Rokkan, in: Ulrich
Eith/Gerd Mielke: Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme, Wiesbaden, S. 78-95
Nohlen, Dieter (2000): Wahlrecht und Parteiensystem, 3. Auflage, Opladen
Roth, Dieter (1998): Empirische Wahlforschung, Opladen; S. 28
Jakob Rösel/Clemens Jürgenmeyer: Die Entstehung eines Parteiensystems in der Indischen
Union, in: Ulrich Eith/Gerd Mielke (Hrsg.) (2001): Gesellschaftliche Konflikte und
Parteiensysteme, Wiesbaden; S. 295-321
Rudzio, Wolfgang (2003):Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 6.
überarbeitete Auflage, Opladen
Rüland, Jürgen (2001): Politische Parteien, Zivilgesellschaft der Dritten Welt, in: Ulrich
Eith/Gerd Mielke (Hrsg.) (2001): Gesellschaftliche Konflikte und Parteiensysteme,
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Schmidt, Manfred G. (2004): Wörterbuch zur Politik, 2. vollständig überarbeitete und
erweiterte Auflage, Stuttgart
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Schmidt, Manfred G. (2005): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland,
München; S. 45
Sridharan, E.: The Fragmentation of the Indian Party System, 1952-1999: Seven Competing
Explanations, in: Hasan, Zoya (2002), Parties and party politics in India, New Delhi; S. 475503
7.1 Internetquellen
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http://www.suedasien.net/laender/indien/staat.htm (letzter Zugriff am 25.09.06)
„Bharatiya Janata Party“, http://www.suedasien.net/laender/indien/staat_politik/bjp.htm
(letzter Zugriff am 25.09.06)
7.2 Zeitschriften
Betz, Joachim (1997): Geschichtliche Entwicklung, in: Informationen zur politischen Bildung
– Indien, Nr. 257/1997, Bonn; S. 4-13
Betz, Joachim (1997), „Staatsaufbau und Politik“, in: Informationen zur politischen Bildung –
Indien, Nr. 257/1997, Bonn; S. 27-43
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