10.05.2004 10:45 Uhr Seite 2 Zwischenruf Umweltforschung für die politische Praxis Klima Naturschutz/ Biodiversität Nachwachsende Rohstoffe www.leibniz-gemeinschaft.de Jahresverzeichnis der Blindtexte und Musterheadlines. Heft 1/2004 00. ZWISCHENRUF KPLT. 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 4 Impressum Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft e.V. Geschäftsstelle Bonn Postfach 12 01 69 53043 Bonn Eduard-Pflüger-Str.55 53113 Bonn Tel.: 0228 / 308 15 – 0 Fax: 0228 / 308 15 – 255 E-Mail: [email protected] Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de Redaktionelle Koordination (ViSdP): Andrea Binder, Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft, Bonn Manfred Stock, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e. V., Potsdam Hubert Wiggering, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung e. V., Müncheberg Jürgen Zaske, Institut für Agrartechnik Bornim e. V., Potsdam Der Herausgeber und die Autoren übernehmen für die Richtigkeit von Angaben und Hinweisen sowie für eventuelle Druckfehler keine Haftung. Abdruck, auch von Teilen, oder sonstige Verwendung ist nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung der Leibniz-Gemeinschaft gestattet. Satz und Druck: Richard Thierbach Buch- und Offset-Druckerei GmbH 45478 Mülheim an der Ruhr Gestaltung: iserundschmidt Umsetzung: ziller design Impressum Bestellungen: Schriftlich an den Herausgeber Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Alle Formulierungen, Begriffe sowie Funktionsbezeichnungen dieser Broschüre bezeichnen Frauen und Männer in gleicher Weise. März 2004 www.leibniz-gemeinschaft.de 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 6 Vorwort Hans-Olaf Henkel, Präsident Wichtige Umweltthemen, die kurzfristig auf großes gesellschaftliches und mediales Interesse gestoßen sind, geraten leider schnell wieder in Vergessenheit. Beispiele sind die Elbe-Flutkatastrophe vor zwei Jahren oder die großen Waldbrände in Kalifornien, die im Oktober 2003 mehr als 2.400 Quadratkilometer Lebensraum für Pflanzen und Tiere zerstörten. Zwar sind die gravierendsten Spuren beider Naturereignisse inzwischen beseitigt, trotzdem bleiben viele offene Fragen. Wie kann es eigentlich zu derartigen Umweltkatastrophen kommen? Sind die Auslöser dafür naturgegeben oder spielen menschengemachte Ursachen vielleicht doch eine größere Rolle als bisher angenommen? Was kann der Mensch tun, um sich zukünftig besser gegen solche Phänomene zu wappnen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leibniz-Institute, die sich mit dem Thema Umweltforschung beschäftigen, gehen solchen Fragestellungen täglich in ihrer Arbeit nach. Dabei ist es wichtig, dass nicht nur die Ursachen für Umweltereignisse erforscht werden. Vielmehr müssen die gewonnenen Erkenntnisse ihren Eingang in eine konkrete Umweltpolitik finden. Der „Zwischenruf“ rückt hartnäckig bestehende Umweltprobleme immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit und unterbreitet wissenschaftliches Know-how, damit in der Politik zukunftsweisende Entscheidungen getroffen werden können, die unsere Umwelt nachhaltig schützen. Diese Initiative, die ihren Ausgang in der Sektion Umweltwissenschaften in der Leibniz-Gemeinschaft genommen hat, unterstütze ich sehr. 04 Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel 05 07 12 15 Der Klimawandel erfordert Anpassungsmaßnahmen Regionale Verwundbarkeit gegenüber dem Klimawandel Empfehlungen und Handlungsoptionen für die Politik Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften 16 19 22 24 26 Die zwei Seiten der Landnutzung für Tier- und Pflanzenarten Was hemmt die Koexistenz von wirtschaftlicher Landnutzung und erfolgreichem flächenhaftem Naturschutz? Wo besteht Handlungsbedarf? Empfehlungen und Handlungsoptionen für die Politik Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe 27 30 35 37 Vier Gründe für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe Stand der Technik Hemmnisse auf dem Weg in das Biorohstoff-Zeitalter Empfehlungen und Handlungsoptionen für die Politik 39 Literatur Hans-Olaf Henkel Inhalt 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 8 Vorwort Politik sollte stets die Gelegenheit wahrnehmen, ihr Handeln immer auch auf wissenschaftliche Erkenntnis zu stützen. Gerade eine Politik, die den Anspruch nachhaltiger Entwicklung vertritt (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU 1992, Umweltbundesamt, UBA 1997), benötigt eine verlässliche Fachexpertise zu Zuständen, Prozessen und Wechselwirkungen in natürlichen Systemen. Mit dem fortan regelmäßig erscheinenden „Zwischenruf“ unternehmen die umweltwissenschaftlich ausgerichteten Institute der Leibniz-Gemeinschaft einen Brückenschlag zur Politik, um neueste Forschungsergebnisse in den politischen Willensbildungsprozess einzuspeisen und den gesellschaftlich politischen Diskursen eine solide wissenschaftliche Basis zu geben. Die Texte der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bieten Analysen zu immer wiederkehrenden, persistenten Problemen aus dem Umweltkontext. Wichtige, bisher nicht genügend beachtete Teilprobleme werden herausgearbeitet. Daran schließt sich eine Defizitanalyse des Umgangs mit Umweltproblemen an, aus der Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Die Texte verharren nicht in reiner Kritik, sondern zeigen Optionen und neue Vorgehensweisen auf. Solange die angesprochenen Probleme nicht gelöst sind, wird der Zwischenruf sie immer wieder in Erinnerung bringen. Gleichzeitig sollen zwischenzeitlich ergriffene Maßnahmen bewertet werden. 2 Im ersten „Zwischenruf“ machen drei Leibniz-Institute aus der Sektion Umweltwissenschaften mit aktuellen Forschungsergebnissen rund um das Thema Nachhaltigkeit den Anfang: - Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Thema: Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel - Leibniz-Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung (ZALF) Thema: Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften - Institut für Agrartechnik Bornim (ATB) Thema: Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe Angezeigt wird, dass Nachhaltigkeit regionale Eigenheiten berücksichtigen sollte; regionale Vielfalt ist eine entscheidende Größe dieses Ansatzes. Die Politik ist herausgefordert, ein europäisches Umweltrecht zu gestalten, welches die Spielräume für regional- bzw. standortangepasstes nachhaltiges Wirtschaften bietet, ohne dabei übergeordnete Standards preiszugeben. Die Umweltforschung bleibt aufgerufen, einen interdisziplinären Zugang zu ihren Fragen und Problemen zu wählen. In diesem Sinn will der „Zwischenruf“ ein neues Instrument des Dialogs zwischen Wissenschaft und Politik sein. Er gibt der Politikberatung neue Impulse und formuliert umweltwissenschaftliche Expertise knapp, klar und kompetent. 3 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 10 Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel 4 Der Beitrag zur nachhaltigen regionalen Entwicklung im Klimawandel geht von einer nur im Ausmaß noch ungewissen, generell aber unabwendbaren Klimaänderung aus. Grund der Unsicherheiten sind die Entscheidungsspielräume bei Maßnahmen zur Senkung des globalen Ausstoßes klimarelevanter Gase und die großen Trägheiten des Klimasystems in der Reaktion darauf. Zudem sind diese Maßnahmen häufig nicht genügend zielgerichtet oder nicht ausreichend. In der Folge sind aber in einigen Regionen stärker oder häufiger auftretende Fluten, Hitzewellen, Waldbrände, Sturmschäden etc. zu erwarten. Zur Vorsorge kann mittels Erhebungen der erwartbaren Belastung seitens des Klimawandels, der Sensitivität der regionalen Systeme demgegenüber und dem Anpassungspotenzial die Verwundbarkeit der Region ermittelt werden. Die mutmaßliche Belastung aus der Klimaentwicklung kann die Wissenschaft bei kalkulierbarer Unsicherheit für einzelne Regionen berechnen. Die Kenntnis der Sensitivität beruht auf den ökologischen, aber auch sozioökonomischen Gegebenheiten der Region (u. a. Dichteverteilung von Bevölkerung und Sachwerten). Nach der Identifikation der Einflussfaktoren können die gesellschaftlichen Handlungsweisen durch gezielte Politiksteuerung verändert werden. Die Handlungsstrategien vorbeugender Anpassung reichen hier von der Verbesserung von Warnsystemen bis etwa zu veränderten Siedlungsstrukturen, Landnutzungsänderungen etc. Solche Anpassungsstrategien werden nicht zuletzt auch die öffentliche Wahrnehmung des Problems erhöhen und tragen dadurch zur Steigerung umweltbewussten Verhaltens bei. Der Klimawandel erfordert Anpassungsmaßnahmen G lobal ändert sich das Klima aufgrund verschiedener natürlicher Faktoren und vieler sich summierender anthropogener Ursachen, wie Treibhausgasemissionen und Landnutzung. Bild 1 skizziert die globale Erwärmung von 1900 bis 2100. Folgendes wird bei der Analyse des aktuellen Stands der Wissenschaft immer deutlicher: 1. Anthropogene Emissionen von Treibhausgasen haben am Klimawandel, im Vergleich zu natürlichen Ursachen, inzwischen einen Klassifizierung der farbig eingezeichneten Emissionsszenarien nach Struktur und Entwicklung der Weltwirtschaft: Eimssionsszenarien Global Regional ÖkonoA1 A2 misch ÖkoloB1 B2 gisch A1F1 Business as usual, BAU A1B etwas weniger fossile Anteile als BAU B1 Kyoto-Nachfolge IS92a aus dem IPCCBericht 1996 Bild 1: Änderung der langjährigen mittleren globalen Temperatur an der Erdoberfläche relativ zu 1990: links aus Beobachtungsdaten vor 1990, rechts ab 1990 bis 2100 aus Computersimulationen für verschiedene Emissionsszenarien (farbige Kurven) und Modelle (grauer Bereich). (IPCC; Climate Change 2001) 5 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 12 Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel wesentlichen Anteil, der weiter zunehmen wird. Am stärksten trägt die Freisetzung von Kohlendioxid aus Verbrennung fossiler Energieressourcen dazu bei. Einen wesentlichen Beitrag liefert aber auch die Ausweitung der Landnutzung für Ansiedlungen, Verkehrserschließungen und industrialisierte Landwirtschaft. 6 2. Maßnahmen zur Verminderung der Emissionen werden kaum oder nur zögerlich realisiert und führen dann, wegen der Trägheit des Klimasystems, auch nur mit großer zeitlicher Verzögerung zu einer abgeschwächten Zunahme der globalen Erwärmung. Dennoch unterscheiden sich langfristig die verschiedenen Szenarien ganz wesentlich hinsichtlich möglicher Risiken. 3. Selbst bei Umsetzung aller ins Auge gefassten Klimaschutzmaßnahmen wird der in den kommenden Jahrzehnten weiter gehende Klimawandel voraussichtlich an Ausprägung und Geschwindigkeit alles übersteigen, was in den zu- rückliegenden etwa 8000 Jahren Menschheitsgeschichte an Klimaänderungen auftrat. 4. In vielen Regionen der Erde zeigen sich heute bereits deutliche Auswirkungen, Verschiebungen der Klimazonen und andere signifikante Veränderungen von Umwelt- und Lebensbedingungen. Ereignisse wie Fluten, Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Sturmschäden scheinen ungewöhnliche Häufungen und extremere Ausprägungen zu entwickeln. Diese Entwicklung ist für die nächsten Jahrzehnte vermutlich kaum mehr aufzuhalten und wird sich wahrscheinlich noch verschärfen und beschleunigen. Den aktuellen Stand des Wissens findet man im letzten, 2001 erschienenen Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Regionale Verwundbarkeit gegenüber dem Klimawandel D ie Verwundbarkeit einer Region gegenüber dem Klimawandel hängt von verschiedenen Faktoren ab, die in Bild 2 skizziert sind. Verschiedene Regionen der Erde erfahren unterschiedliche Belastungen. Deren potenzielle Auswirkungen hängen davon ab, welche Wirtschaftsstrukturen, Öko- und Sozialsysteme bestehen und wie empfindlich diese reagieren. Die regionale Verwundbarkeit hängt dann wesentlich davon ab, wie heute die Anpassungspotenziale genutzt werden. Regional unterschiedliche Belastungen durch den Klimawandel Die konkret in Regionen zu erwartenden Folgen des Klimawandels werden aus globalen Szenarien zum Anstieg von Temperatur und CO2-Gehalt mit drei verschiedenen Methoden zur Berechnung regionaler Veränderungen ermittelt. Globale Klimamodelle liefern neben der mittleren Temperaturentwicklung nur relativ grobe, allenfalls richtungsweisende Ergebnisse. Niederschläge, Sonnenscheindauer und andere Bild 2: Verwundbarkeit von Regionen im Klimawandel. 7 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 14 einstimmung zwischen Simulation und Beobachtung mit Abweichungen unter 10 %. Für die anderen Verfahren ergeben sich wesentlich größere Fehler. Bild 3: Entwicklung der mittleren Jahresniederschläge in Berlin-Brandenburg von Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel den heutigen Bedingungen (links: 1951/2000) zum Zustand im Jahrzehnt um 2050 8 (Mitte) und in der Differenz (rechts). meteorologische Parameter werden nicht genau genug erfasst. Für Auswirkungen sind aber diese Parameter und ihre Variabilität wichtig und werden in hoher regionaler Auflösung benötigt. Die erste Methode zur Regionalisierung verwendet statistische Verfahren zur Herunterskalierung der Ergebnisse globaler Modelle, bei der aber auch deren Fehler übertragen werden. Die zweite Methode verwendet aufwendige regionale Klimamodelle, die aber noch einigen Entwicklungsbedarf haben, um die benötigten Anforderungen zu erfüllen. Eine dritte, am PIK entwickelte Methode zur Berechnung regionaler Klimaänderungen verwendet nur diejenigen vom globalen Kli- mamodell berechneten großräumigen Änderungen bestimmter meteorologische Größen einer Region, wie z. B. Temperatur, die im Mittel richtig wiedergegeben werden. Langjährige Beobachtungsreihen des Klimas der Region werden dann mit entsprechenden statistischen Methoden so aufbereitet, dass sie o. g. Änderungen in Form eines Szenariums wiedergeben. Alle relevanten meteorologischen Größen wie Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchte, Strahlung, Bewölkung und Windgeschwindigkeit werden auf Tageswertbasis dazu konsistent ermittelt. So können vorhandene Klimamodellfehler bei der Szenarienbildung deutlich reduziert werden. Umfangreiche Testrechnungen zeigten eine gute Über- Bild 3 zeigt als Beispiel den Rückgang der Jahresniederschläge für Brandenburg im Jahrzehnt um 2050 gegenüber heute. Das bereits heute niedrige Niederschlagsniveau von deutlich unter 600 mm sinkt weiter auf unter 450 mm. Beim zugrundegelegten Szenarium der globalen Erwärmung (A1B in Bild 1) beträgt die Zunahme der Jahresmitteltemperatur 1.4 °C zwischen 2001 und 2055. Für Brandenburg erhält man eine regionale Zunahme der Temperatur von im Mittel über 2 °C, mit der eine längere Sonnenscheindauer einhergeht. Das Zusammenwirken von zurückgehenden Niederschlägen, insbesondere im Sommerhalbjahr, steigenden Temperaturen und Sonnenschein verstärkt die Verdunstung überproportional und führt zu einer negativen klimatischen Wasserbilanz der Region. Hinzu kommen Verschiebungen in jahreszeitlicher Verteilung und Art des Niederschlags. Er fehlt hauptsächlich im Sommer und zur Wachstumszeit der Vegetation und Starkregenereignisse nehmen gegenüber Dauerregen zu. Spezifische Sensitivität von Regionen gegenüber Klimaänderungen In den Industrienationen hängen bereits heute bis zu 10 % des Bruttosozialprodukts direkt oder indirekt vom Wettergeschehen ab. Mit einem verstärkenden Trend durch die globale Erwärmung ist zu rechnen, da eine Zunahme unvorhergesehener extremer Witterungsbedingungen zu erwarten ist. Betroffen sind nahezu alle Wirtschafts- und Infrastrukturbereiche, wie Wasser-, Land- und Forstwirtschaft, Naturschutz, Elektrizitätsund Energiewirtschaft, Bauwirtschaft, industrielle Produktion, Verkehr, Tourismus, Verkehrswege- und Landnutzungsplanung. Die Sektoren reagieren unterschiedlich auf die Belastungen je nach Inventar und Standort. Die Sensitivität von Regionen gegenüber den Belastungen des Klimawandels kann sehr differenziert hinsichtlich der Effekte sein. An der Küste sind Meeresspiegelanstieg in Verbindung mit Sturmfluten zu beachten, in Gebirgsregionen sind Lawinen und Muren von Bedeutung und für Flusstäler und in Bachnähe sind Über- 9 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 16 Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel schwemmungen und Sturzfluten relevant. Die Dichteverteilung von Bevölkerung und Sachwerten, die ökonomischen, ökologischen, sozialen und administrativen Bedingungen spielen ebenso eine wesentliche Rolle, wie nichtklimatische Belastungen durch Weltmarkt, demographischer Entwicklung oder administrative Randbedingungen. 10 Im Fallbeispiel Brandenburg erhöhen trockene, sandige Böden, geringe Wasserzuflüsse von außen, ausgedehnte Wasserflächen und nicht angepasste Wasserhaltung in der Landschaft die Sensitivität der Region gegenüber dem klimabedingten Niederschlagsrückgang. Bild 4: Hochwasser in Meißen 15.08. 2002. (Mark Zebisch) Wahrnehmung von Verwundbarkeit und Nutzung von Anpassungspotenzialen von Verwundbarkeit und Anpassungspotenzial. Letztere umfasst die Fähigkeit der gesellschaftlichen Institutionen zum Erkennen klimabedingter Risiken, zur Wahrnehmung von Chancen, zu vorausschauender Planung und zur Entscheidungsfindung. Die Folgen des Klimawandels sind regional sehr unterschiedlich und hängen wesentlich davon ab, wie vorbereitet oder verwundbar eine Region ist. Neben den Maßnahmen zum Klimaschutz sind daher parallel zusätzliche, regional spezifische Maßnahmen zur vorbeugenden Anpassung an die zu erwartende Klimaänderung erforderlich. Diese orientieren sich an den Prioritäten der nachhaltigen Entwicklung der Region und an einer regional spezifischen Analyse Die Flutkatastrophen vom Sommer 1997 an der Oder und vom August 2002 an der Elbe (siehe Bild 4) haben die Wahrnehmung für regionale Verwundbarkeiten geschärft. Fehler bei Planung und Ausführung wasserbaulicher Maßnahmen, bei Ansiedlung von Wohn- und Gewerbegebieten in flutgefährdeten Zonen sowie mangelnde Reaktionsbereitschaft im Katastrophenfall wurden offenbar. Daraus ergeben sich wertvolle Hinweise für Anpassungsmaßnah- Bild 5: Schäden im Dresdener Hauptbahnhof als Folge des Hochwassers im August 2002. (Michler, Privatarchiv) men. Bereits ein rechtzeitig greifendes Warn- und Meldesystem im Katastrophenfall hätte z. B. die Schäden im Dresdener Hauptbahnhof (Bild 5) wesentlich vermindern können. Eine andere Extremwettersituation herrschte im heißen Sommer 2003 in Westeuropa mit Hitzetoten, ausbleibenden Niederschlägen und extremen Dürreschäden. Beim Fallbeispiel Brandenburg zeigt die Klimastudie ebenfalls eine Reihe möglicher Maßnahmen zur Anpassung an den bevorstehenden Rückgang der Niederschläge auf. In der Diskussion sind u. a.: - Abkehr von überkommenen Maßnahmen der Entwässerung zugunsten einer verbesserten Wasserhaltung in der Landschaft, - Formen angepasster Landbewirtschaftung in Abhängigkeit von der Gewässernähe, - Programm zum Waldumbau, naturnah und an die Klimaentwicklung angepasst, - funktionaler, nutzungsorientierter Naturschutz auf der gesamten Landesfläche, - an Nachhaltigkeit orientierte Wirtschaftsentwicklung mit Ausbau des Tourismus und Nutzung landeseigener Ressourcen. 11 Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel 00. ZWISCHENRUF KPLT. 12 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 18 Empfehlungen und Handlungsoptionen für die Politik G rundsätzlich sollte bei allen Entscheidungen, die weitreichende Regelungen oder bedeutende Investitionen mit einem langen Zeithorizont betreffen, wie z. B. Infrastrukturmaßnahmen, die Perspektive veränderter klimatischer Rahmenbedingungen stärker als bisher berücksichtigt werden. Nur so kann eine nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel sichergestellt werden, die Chancen und Risiken gleichermaßen berücksichtigt. Dieser Gesichtpunkt von Vorsorge und Anpassung sollte strategisch gleichrangig neben dem Klimaschutz stehen, der dadurch nichts an Bedeutung und Dringlichkeit verliert. Zur Einstellung auf die Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringen wird, lassen sich folgende allgemeine Handlungsempfehlungen geben: 1. Die regional spezifischen Sensitivitäten von Organisations-/Entscheidungsstrukturen, Wirtschafts- zweigen, Siedlungs- und Infrastrukturen gegenüber Klimaänderungen und Extremwetterereignissen sollten analysiert werden. Eine erste, vorläufige Einschätzung kann man sich auf der Basis vorhandener Daten und Erfahrungen mit Hilfe von Checklisten erarbeiten, z. B. durch Ausfüllen der Felder in Tabelle 1. 2. Ergeben sich aus der Analyse mögliche Betroffenheiten, so empfiehlt sich eine ressortübergreifende Zusammenarbeit zu Klimaschutz und Klimawandel, um Risiken und Chancen, mögliche weitere Aus- und Nebenwirkungen sowie den absehbaren Untersuchungs- und Entscheidungsbedarf einzugrenzen. 3. Zur konkreten Evaluierung bestehender Verwundbarkeiten und zur Setzung von Prioritäten im Kontext übergeordneter Zielvorstellungen und Entwicklungspläne wird die Hinzuziehung von Fachwissenschaftlern empfohlen, da die Regionen sehr unterschiedlich betroffen sind. Für bestimmte Gebiete, aber nicht für alle, ist Hoch- wasserschutz wesentlich, bei anderen, vor allem in Ostdeutschland, droht (z. T. außerdem) Wassermangel, was in Westdeutschland nur partiell eine Rolle spielt. Daraus ergeben sich Ansätze für Maßnahmen, einige Beispiele: - Aktualisierte Ausweisung von Risikozonen unter anderem für Hochwasser, Sturmfluten, Sturmfolgen, Lawinen und Muren für den internen Gebrauch, - Wissenschaftliche und rechtliche Absicherung im Falle veröffentlichter Ausweisung, - Kosten-Nutzen-Analysen zur effizienten Mittelverwendung bei Maßnahmenbündeln, wie Deichausbau- oder Verlagerung, Ausweitung von Retentionsflächen, Versicherungen gegen vertretbare Schäden oder Inkaufnahme seltener Extremereignisse, - Maßnahmen zur Verbesserung des Landschaftswasserhaushalts, Wiedervernässung von Moorund Luchgebieten, Stärkung kleinräumiger Wasser- und Stoffkreisläufe in der Landschaft durch Waldumbau sowie geeignete Bepflanzung und Bewirtschaftung, - Erhalt bestimmter bestehender Wasserwerke zur Vorsorge gegen zukünftig zunehmende Trockenheit, deren Stilllegung infolge Verbrauchsrückgang überlegt wird, - Berücksichtigung neuer Erkenntnisse zur Klimaentwicklung beim Ausbau von Wasserstraßen (Projekt 17) hinsichtlich Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit. 4. Es wird empfohlen, einen abgestuften Maßnahmenkatalog zu erstellen mit regionalem Monitoring, Ausweisung von Risikozonen, vorbeugendem Katastrophenschutz, Ertüchtigung der Warn- und Meldesysteme, weiterentwickelten und verbesserten Regelungen zu Landnutzung, Regionalplanung und Investitionsentscheidungen. 5. Gewarnt wird vor einer kurzatmigen Reaktion auf einzelne Extremwetterereignisse, wie das Hochwasser an Elbe, Donau und anderen Flüssen im Sommer 2002 oder der extremen Hitze- und Trockenperiode in Westeuropa im Sommer 2003. Solche Einzelereignisse helfen zwar dabei, Schwachstellen zu erkennen und abzustellen, sollten aber nicht zu Überreaktionen verleiten oder dazu, den klaren Überblick zur gesamten Risikosituation zu verlieren. 6. Eine breite öffentliche Diskussion mit potenziell Betroffenen erscheint angebracht, um die Wahrnehmung von Risiken und Chancen einer Klimaänderung und die Ermittlung vorhandener An- 13 Lawinen-, Murenabgänge Erosion, Degradation Eis *) Hagelereignisse Schneesicherheit Meeresspiegelanstieg, Sturmfluten Stürme Algenblüte, Infektionserreger, -überträger Hochwasser Starkregen Seite 20 Wald-, Torf-, Buschbrand Betroffene Sektoren und Wirtschaftszweige (unten) Trockenperioden Klimaentwicklung und Folgen (rechts) 10:45 Uhr Hitzewellen 10.05.2004 Temperaturanstieg 00. ZWISCHENRUF KPLT. Wasserver- und -entsorgung Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften Energieversorgung Industrie, Handel Raumplanung Siedlungen Verkehr, Infrastruktur Versicherungen Landwirtschaft speziell Weinbau Forstwirtschaft Landschaftswasserhaushalt, Gewässerschutz Naturschutz Gesundheit Nachhaltige regionale Entwicklung im Klimawandel Tourismus 14 Katastrophenschutz *) Unter „Eis“ fallen Glatteis, Eis- und Schneeglätte sowie Eisablagerungen Tabelle 1: Tabellarische Checkliste zur Ermittlung möglicher regionaler Brennpunkte im Klimawandel. Die Zeilen erfassen betroffene Themenfelder und wirtschaftliche Sektoren und die Spalten Stichworte zu Klimaentwicklung, Folgen und Extremereignissen. passungspotenziale auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen. Zur konkreten Gestaltung und Umsetzung dieser Empfehlungen und zur Verminderung der Gefahr von Fehleinschätzungen empfiehlt sich eine gezielte Einbeziehung wissenschaftlichen Sachverstands. Hier kann die Leibniz-Gemeinschaft auch über den Kreis eigener Experten hinaus Hinweise und Hilfestellungen geben und vermitteln. Ansprechpartner: Dr. Manfred Stock Leiter Regionalforschung Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Postfach 60 12 03 D 14412 Potsdam Tel: +49(0)331/288-2506 Fax: +49(0)331/288-2510 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.pik-potsdam.de Flächenverbrauch und stoffliche Belastungen aus Industrie, Straßenverkehr etc. verringern Biodiversität. Vielfalt geht aber auch dort verloren, wo die bisherige Landnutzung aus- und die Natur sich selbst überlassen bleibt. Beides müsste nicht so sein. Beim heutigen Stand der politischen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung wären Bewirtschaftungsweisen möglich, die Landnutzung und flächenhaften Naturschutz verbinden, z. B. durch teilflächenspezifische Land- und Forstwirtschaft oder schlaginterne Segregation. Deren Einsatz scheitert bislang am geringen öffentlichen Problembewusstsein, verhärteten Fronten der Akteure und dem Vorrang der Produktion in der Landwirtschaft vor Belangen des Naturschutzes. Wichtig wären daher Allianzen von Naturschützern und Landnutzern ebenso wie die Schaffung nationaler Honorierungssysteme und Zertifizierungsverfahren. Die Schule sollte ein besseres Verständnis von Lebensräumen vermitteln und bewusst machen, dass der Erhalt von Kulturlandschaft eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe ist. Ziel der agrar- und umweltpolitischen Bemühungen muss eine „Naturwirtschaft“ sein, in welcher der Gegensatz Naturschutz – Produktion aufgehoben ist. 15 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 22 Lösungen für einen jahrzehntelangen Gegensatz Die zwei Seiten der Landnutzung Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften für Tier- und Pflanzenarten 16 S eit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts nimmt die Zahl der wildlebenden Pflanzen- und Tierarten in den genutzten Landschaften von Mitteleuropa ab und dabei insbesondere in den intensiv besiedelten Regionen, wie Deutschland. Die Biodiversität als Summe aller Unterschiedlichkeit von genetischer Ausstattung, von Artenzahlen und von Lebensräumen sinkt. Seit ca. 1850 verschwanden beispielhaft im Mittel ca. 33 Pflanzenarten je 100 Jahre und erhebliche Anteile der heimischen Tier- und Pflanzenarten sind in ihrer Existenz bedroht. Die stärksten Rückgänge und Bedrohungen traten dabei erst in den letzten 50 Jahren auf. Nur in wenigen Fällen ist für einzelne Arten bekannt, welche unverzichtbare Rolle sie in den Ökosystemen ausüben. Auch ihre di- rekte Bedeutung für den Menschen kann nur selten definiert werden. Dennoch besteht eine ethische Verpflichtung der Menschen, typische Artenvorkommen zu fördern und zu erhalten. Das Vorkommen der Arten hängt wesentlich von den auf diese Arten wirkenden Lebensbedingungen, also dem Vorhandensein geeigneter Lebensräume, den Biotopen ab (Abb. 1). Die stärkste Wirkung auf die typischen Arten unserer Landschaften haben die irreversible Zerstörung, aber auch die Verkleinerung der Lebensräume dieser Arten sowie die Verringerung der Qualität dieser Lebensräume für die typischen Arten. So bewirkt insbesondere die weiterhin kontinuierlich ansteigende Flächeninanspruchnahme durch Siedlung und Verkehr in Deutschland von ca. 120 ha/Tag einen irreparablen Verlust an unter- Abb. 1: Der Ölkäfer benötigt spezifische Lebensbedingungen (vom Menschen unbeeinflusste wärmebegünstigte Trockenrasenhänge). (Foto: G. Berger, ZALF) schiedlichen Lebensräumen. Zusätzlich verursacht der Eintrag von anthropogenen Stoffen aus der Atmosphäre in die Biotope bei diesen meist eine ungünstige Entwicklung. Insbesondere die aus Verkehr, Industrie- und Hausbrand sowie der Landwirtschaft stammenden verschiedenen Stickstoffverbindungen führen zur Erhöhung des Grundernährungszustandes (Eutrophierung) dieser Biotope. Dadurch sinkt in der Regel ihre Qualität als vielfältiger Lebensraum für seltene Pflanzen- und damit auch Tierarten. In den Landschaften waren früher häufiger Unterschiede und Übergänge (Gradienten) im Feuchtigkeitsniveau und im Nährstoffangebot der Standorte, in kleinklimatischen Unterschieden einer Landschaft sowie in einer großen Zahl von Vegetationszuständen als jeweils passender Schutz bzw. als Nahrungsgrundlage für verschiedene Arten vorhanden. Viele dieser Unterschiede sind in den letzten 150 Jahren durch kulturbautechnische Maßnahmen und die Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit verringert worden (Abb. 2). 17 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 24 Was hemmt die Koexistenz von wirtschaftlicher Landnutzung und erfolgreichem flächenhaftem Naturschutz? Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften Aktuelle Situation 18 D Abb. 2: Agrarwirtschaftliche Monostrukturen als Resultat kulturbautechnischer Maßnahmen zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit. Diese Schritte waren allerdings wichtige Voraussetzungen zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. In gleicher Weise wie die produktionsorientierten Maßnahmen der Landnutzung auf die Zahl der Pflanzenarten wirken, gefährdet auch das Ausbleiben der bisherigen Nutzungen wichtige Pflanzenarten. Hierdurch gehen vorhandene Biotope wie extensiv genutzte Acker- oder Grünlandflächen, Brachen oder Waldlichtungen verloren. Die Landnutzung zeigt somit untrennbar die zwei dargelegten Seiten der Wirkung auf die wildlebenden Pflanzen- und Tierarten der genutzten Landschaften. Diese Wirkungen für die wirtschaftliche Landnutzung und gleichzeitig für den Naturschutz zu entwickeln, ist eine alte Forderung. Diese kann unter den aktuellen wirtschaftlichen, politischen und technologischen Rahmenbedingungen zielgerechter gestaltet werden als je zuvor. ie Bemühungen der letzten Jahrzehnte, den Arten- und Lebensraumschutz in der Nutzung von Landschaften zu berücksichtigen, zeigen bisher unterschiedlichen Erfolg. Die Raten der Artenverluste bzw. die der Gefährdung von Arten konnten nicht verringert werden. Durchaus sind aber Erfolge im Schutz einiger spezieller Tier- und Pflanzenarten zu verzeichnen, deren Bestände wieder zunehmen. Auch der Schutz von vielen kleineren lokalen aber auch großräumigen Biotopen (z. B. Niedermoore) konnte durch gezielte Maßnahmen und regulierende Eingriffe seitens Naturschützern, Landnutzern bzw. der Administration ermöglicht werden. Der auch auf Naturschutzqualitätsziele ausgerichtete ´ökologische Umbau´ von Wäldern ist in einigen Bundesländern begonnen worden. Alle diese Erfolge bewirken aber noch bei weitem keinen flächenhaft erfolgreichen Naturschutz. Dessen Realisierung wird u. a. gehemmt, da: - die ablaufenden Prozesse beim Bürger keine direkte Betroffenheit erzeugen, weil - der Schutz von Arten und Lebensräumen kein geläufiges Problem der Lebenserfahrung des Einzelnen ist; - die Prozesse sehr langsam und deshalb selten beobachtbar sowie in der Regel nicht auch direkt auffällig sind und sich erst sehr langfristig auswirken; - ein flächenhafter Naturschutz bis heute nicht gelingt, weil - die bisherigen Produktionstechnologien in der Landnutzung auf hohe wirtschaftliche Effektivität ausgerichtet sind und die Anpassung der Landnutzung an zusätzliche Ziele des Natur- und Umweltschutzes oft nicht leicht möglich ist und hierzu neue Alternativen fehlen; 19 Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 26 - das Wissen zur Bedeutung von Biodiversität und die Wirkung von Landnutzung auf diese sehr unvollständig ist; Dies erschwert, eindeutige Ziele und Handlungsoptionen zu setzen; - der gesellschaftliche Prozess konsensualer Zielfindung erst in Ansätzen begonnen wurde; - der erhebliche wirtschaftliche Druck für die Landnutzer aufgrund sehr niedriger Produktpreise zu deutlichen Abwehrreaktionen hinsichtlich zusätzlicher neuer Vorgaben führt; - objektive Verschlechterungen der wirtschaftlichen Situation bei den Landnutzern durch eine stärkere Berücksichtigung von Umwelt- und Naturschutzqualitätszielen in der Landnutzung die erforderlichen Änderungsprozesse hemmt. Überwindung bestehender Hemmnisse Die Landnutzung kann seitens der Landnutzer (Landwirte, Forstwirte, Wasserbauer etc.) mit den vorhandenen Kenntnissen und modernen Systemen der Landnutzung so gestaltet werden, dass wichtige Qualitätsziele des Naturschutzes erreicht werden können. So erlauben moderne Techniken in der landund forstlichen Produktion, von der bisher in der Fläche einheitlichen Boden- und Pflanzenbewirtschaftung abzuweichen. Die Technologie der Teilflächenwirtschaft (Precision Farming, Precision Fo- Abb. 3: Möglichkeit der Waldrandgestaltung durch kombinierte Bewirtschaftung Abb. 4: Anwendung der kleinflächigen Ackerstilllegung in einem Abb. 5: Schlaginterne Segregati- brandenburgischen Projektgebiet (Bearb.: G. Berger, H. Pfeffer; geför- on: Schematische Darstellung dert vom BfN mit Mitteln des BMU) zur möglichen Lage kleinflächiger Stilllegungen auf Acker- restry) ermöglicht es, produktionstechnische Maßnahmen an die immer vorhandenen Unterschiede in den Standorteigenschaften der Acker-, Grünland- und gelegentlich auch Waldflächen anzupassen (Abb. 3). Zudem kann die Landschaft in ihrer Zusammensetzung mit genutzten und ungenutzten Bereichen, ihrer Struktur und inneren Qualität für die dort typischerweise wildlebenden Pflanzen und Tiere auch „artgerecht“ gestaltet werden, wenn dies als zusätzliche Leistung seitens der Landnutzer erbracht werden soll. Dazu gehören der Schutz vorhandener Nichtkulturbiotope aber auch deren Neuanlage wo sinnvoll und nötig (Abb. 4). schlägen. (Bearb.: H. Schober, G. Berger, H. Pfeffer; gefördert vom BfN mit Mitteln des BMU) In einigen Fällen können dazu auch die vorhandenen Instrumente der Agrarpolitik (u. a. Flächenstilllegung) genutzt werden. Mit dem Konzept der „schlaginternen Segregation“ (Flächenausgrenzung) (Abb. 5) werden sogar Vorrangflächen für Naturschutz innerhalb von Schlägen geschaffen. Diese und andere Systeme der Landnutzung sind weiter zu entwickeln und günstige Rahmenbedingungen für ihre praktische Umsetzung zu schaffen. von Gras-Kraut-Saum und Ackerwildkrautstreifen. (Foto: G. Berger, ZALF) 20 21 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 28 Wo besteht Handlungsbedarf? Geeignete institutionelle Voraussetzungen schaffen Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften D 22 ie vorhandenen öffentlichen Institutionen sind in der Bearbeitung der komplexen Systeme von Landnutzung und Biodiversität aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer fachlichen Ausrichtung sowie der sachlichen Aufgabeneingrenzung oft überfordert. Häufig dominiert das abgrenzende, disziplinäre oder ressortspezifische Planen und Handeln für einzelne Nutzungsbereiche, Landschaftsfunktionen oder Schutzziele. Notwendig ist somit die Schaffung gemeinsamer, problemorientierter und ressortübergreifender Strukturen. Die Wissensbasis sukzessive verbessern Die Kenntnis über die Wirkung von Landnutzungssystemen bzw. -technologien auf Vorkommen und Verbreitung von (regionsspezifischen) Arten und den Lebensräumen ist noch erheblich zu gering. Insbesondere wird bisher wenig verstanden, wie die komplexen Systeme der Biosphäre und der sie beeinflussenden Triebkräfte bzw. wie die zahlreichen Einflussgrößen interagieren. Damit sind die Gestaltungs- und Handlungsoptionen äußerst beschränkt und sachgerechte Alternativen können nur begrenzt formuliert werden. Gezielt strategische Allianzen aufbauen Für die ähnlich ausgerichteten Handlungsfelder sollten zwischen den Gruppen der Naturschützer und der Landnutzer strategische Allianzen gebildet werden, um die Konfliktmenge zu reduzieren und zudem Synergieeffekte zu nutzen. Die Chance, mit solchen Allianzen auch große Erfolge für jeweils den einzelnen Allianzpartner zu erreichen werden bisher kaum gesehen und nicht genutzt. Angestrebt werden müssen deshalb gemeinsame Aktionen in der Landnutzungspraxis zur Förderung von Naturschutzqualitätszielen. Diese können zum Beispiel in Selbstver- pflichtungen der handelnden Partner bestehen, mit denen ein gemeinsames Verständnis über aufeinander abgestimmte, flächenbezogene Maßnahmen dargelegt wird. von Mindestanforderungen bei der Produktion führen. Grundvoraussetzung für eine in Deutschland erfolgreiche Umsetzung von Handlungskonzepten ist die Gewährleistung internationaler Handlungskapazitäten Das Verständnis zu Lebensräumen und ihren Arten und dem damit verbundenen Interesse für den Biotopschutz sollte als wesentliches Bildungs- und Kulturziel tradiert werden. Natur- und Landschaftsschutz sind als Grundelemente und Normen der eigenen nationalen Kultur zu entwickeln und ein entsprechendes Verständnis ist zu fördern. Dabei sind u. a. die besonderen Leistungen des Einzelnen bzw. der Gruppen im ehrenamtlichen Naturschutz herauszuheben und als Grundverständnis der gesellschaftlichen Kultur aufzubauen. Ebenso sind die bisher selbstverständlichen und kaum hervorgehobenen Leistungen der Landnutzer im Erhalt und der Weiterentwicklung der Kulturlandschaft in der Gesellschaft zu vermitteln bzw. die Konsequenzen des Ausbleibens dieser Leistungen zu erörtern und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Nationale Lösungsstrategien scheitern an ihrer Umsetzung, wenn sie zu Wettbewerbsverzerrungen für die betroffenen Wirtschaftbereiche im internationalen Bereich führen. Wichtigste Aufgabe der nationalen Politik bzw. der EU-Politik muss deshalb in diesem Zusammenhang darin bestehen, bei Verhandlungen zu internationalen Wirtschaftsabkommen (u. a. WTO) globale Anpassungen bei den Umwelt- und damit auch Naturschutzstandards zu bewirken. Zudem gilt es, die Entwicklung nationaler Honorierungssysteme, d. h. Märkte für Umweltleistungen, zuzulassen. Zu den möglichen ersten Schritten in diese Richtung gehören auch die freiwilligen Zertifizierungsverfahren, die zur Einhaltung Weiterentwicklung von gesellschaftlichem Konsens zum Artenund Lebensraumschutz 23 Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften Naturschutz und Biodiversität in genutzten Landschaften 00. ZWISCHENRUF KPLT. 24 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 30 Empfehlungen und Handlungsoptionen für die Politik Die richtigen Ziele setzen - Eine eindeutig ´ökologisch richtige´ Bewirtschaftungsweise der Landschaft gibt es nicht. Die politischen Kriterien für eine nachhaltige Entwicklung sind entsprechend anzupassen, indem die jeweiligen Funktionen der einzelnen Landschaftskompartimente bedacht sowie mehrere Nutzungen an einem Standort ermöglicht werden. - Für die landwirtschaftlichen und forstlichen Flächennutzer in Deutschland sind künftig Verschlechterungen der wirtschaftlichen Situation zu erwarten. Damit verbundene negative Effekte für Natur- bzw. Landschaftsschutz (z. B. Flächenstilllegungen in großem Maßstab) sind zu vermeiden. Vielmehr sind alternative Nutzungsmöglichkeiten wie etwa der Anbau nachwachsender Rohstoffe mit Schutzzielen in Einklang zu bringen. - Für eine ökonomisch und ökologisch effektive Landnutzung sind durch inhaltlich offene, unabhängige Forschung und Entwicklung technologisch günstige Voraussetzungen zu schaffen (z. B. Precision Agriculture). - Bei der aktuellen Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie sind Synergieeffekte zum Schutz der Arten und ihrer Lebensräume gezielt zu fordern und zu fördern. Meist begünstigen Schutzbestrebungen für Ökosysteme gleichzeitig die Zielerreichungen z. B. einer guten Gewässerqualität. - Als Pendant zur herkömmlichen Land-, Forst- oder Wasserwirtschaft wäre eine pragmatische ´Naturwirtschaft´ zu entwickeln. Die Instrumente zur Umsetzung von Lösungsansätzen richtig einsetzen - Die Agrarumweltprogramme der EU und die der Bundesländer müssen vorrangig auf die Erreichung von Qualitätsstandards aus naturschutzfachlicher Sicht entwickelt werden. - Die seitens der EU vorhandenen bzw. die nationalen Umweltund Naturschutzprogramme sind stärker darauf auszurichten, räumliche Besonderheiten zu berücksichtigen. - Qualitätsstandards der Produktion in der Landnutzung sind EU-weit einzuführen. - Die Vielzahl der Regularien, die auf die Landnutzung einwirken, sind zu verringern. - Aktivitäten in der Suche nach gemeinsam zwischen Landnutzung und Naturschutz getragenen Lösungen seitens Politik und Administration müssen gezielter gefördert werden. Vorhandene Vollzugsdefizite abstellen. Das novellierte Bundesnaturschutzgesetz muss in den Bundesländern mit einheitlichen Ansätzen, aber regionsspezifischen Kriterien untersetzt und umgesetzt werden - In der Landschaftsplanung ist die natürliche Dynamik der Flächen stärker zuzulassen (auch Erosion, Hangrutschung, Brachen, Auskolkung etc.). - Bildung und Ausbildung müssten stärker den komplexen Systemen der Landnutzung und deren Wechselwirkungen gelten und entsprechende Kompetenzen (beispielsweise in der Beratung) entwickeln. Ansprechpartner: Prof. Dr. Hubert Wiggering Direktor des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung (ZALF e. V.) Eberswalder Str. 84 D-15374 Berlin Tel.: +49 (0) 33432/82-200 Fax: +49 (0) 33432/82-223 E-Mail: [email protected] Internet: www.zalf.de - Die Netto-Versiegelung der Landschaften ist mit vorhandenen Rahmengesetzen mittelfristig auf Null zu senken. Weitere Zerschneidungen der Kulturlandschaften sind zu unterlassen. 25 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 32 Nachhaltige Entwicklung durch nachnach wachsende Rohstoffe Vier Gründe für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe M 26 Mit dem Beitrag „Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe“ wird deutlich, wie Schonung der Rohstoffreserven und Reduzierung der Umweltbelastung nicht nur mit einer Verbesserung der Beschäftigungssituation im ländlichen Raum, sondern ebenso mit dem Erhalt von Kulturlandschaften gekoppelt sein kann. Einer Revue des Standes der Technik zu nachwachsenden festen, flüssigen und gasförmigen Energieträgern sowie zur stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe folgt eine Analyse der Hemmnisse: Noch sind die Kosten der Nutzung einschließlich der Bereitstellung bei Rohstoffen und Energieträgern auf fossiler Basis niedriger als bei nachwachsenden Rohstoffen; die relative Vorzüglichkeit von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen ist häufig nicht zu erkennen, auch fehlen zu den ökologischen Vorteilen der Nutzung nachwachsender Rohstoffe und Energieträger belastbare Daten. Die Empfehlungen plädieren insbesondere für eine Beendigung der indirekten Wettbewerbsverzerrung zwischen nachwachsenden und fossilen Rohstoffen und regen bewusstseinsbildende Kampagnen an. Daneben wird ein größerer Beitrag seitens der Forschung zur Verfahrensentwicklung für die Gewinnung und Nutzung nachwachsender Rohstoffe bzw. Energieträger sowie zur Technikbewertung eingefordert. Die Umsetzung in die Praxis einschließlich Schaffung geeigneter Logistiksysteme hat in enger Kooperation von Wirtschaft, Verbrauchern und Wissenschaft zu erfolgen. Fördermaßnahmen der unterschiedlichsten Form sind dabei als Starthilfe unerlässlich. it dem Leitbild zur nachhaltigen Entwicklung wird die umfangreiche und weit verbreitete Nutzung nachwachsender Rohstoffe aus unterschiedlichen Gründen favorisiert: Nachwachsende Rohstoffe schonen begrenzte Rohstoffreserven Die Nachhaltigkeitsdebatte macht unter anderem die Endlichkeit natürlicher, insbesondere fossiler Ressourcen deutlich. Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Öffentlichkeit ist eine zunehmende Besorgnis über die in Zukunft erschwerte Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe zu spüren. Das gilt vor allem für die Energieträger Erdöl und Erdgas. Die Abhängigkeit einer modernen Gesellschaft von diesen Rohstoffen hat zu einem schonungslosen Konkurrenzkampf geführt, der nicht mehr durch positive Prognosekorrekturen über die Reichweite der Reserven gedämpft werden kann (Abb.1). Abb. 1: Reichweiten verschiedener fossiler Energieträger. (Quelle: Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen. Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe, 1998) Vielfach werden kurzfristig orientierte Handlungsstrategien verfolgt, die den Zugriff auf die fossilen Erdöl- bzw. Erdgasreserven sichern sollen. Langfristig jedoch erscheint die Notwendigkeit einer „Umkehr“, insbesondere in der Energieversorgung, unabdingbar. Eine forcierte Entwicklung im Be- 27 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 34 Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe reich der nachwachsenden Rohstoffe kann dabei einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Energiefrage leisten. So wird z. B. das Energiepotenzial aus Biomasse in Deutschland auf mehr als zehn Prozent des Primärenergieverbrauchs geschätzt. 28 Allerdings dürfen Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden. Die Abholzung ganzer Subkontinente zur Gewinnung von Baumaterial, z. B. für ambitionierte Flottenbauprogramme oder der großflächige Anbau von Monokulturen zur Fasergewinnung, haben gezeigt, dass die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen per se kein Synonym für nachhaltiges Wirtschaften ist. Eine standortgerechte, ökologisch wie ökonomisch sinnvolle Nutzung vorhandener Biomassepotenziale muss deshalb eng mit dem Einsatz effizienter und nachhaltiger Technologien verbunden sein, sowohl bei der Produktion als auch bei der Verwendung. Nachwachsende Rohstoffe reduzieren die Umweltbelastung Immer deutlicher spürbar sind die vom Menschen beeinflussten globalen und lokalen Klimaveränderungen. Als Ursache hierfür werden u. a. die Kohlendioxid- und Stickoxid-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Kraft- und Brennstoffe zur Energiegewinnung genannt. Durch den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen bleibt der Kohlenstoff in einem Kreislauf, so dass die Netto-Emissionen gegenüber fossilen Energieträgern auf ein Minimum reduziert werden können. Der gewünschte Einsparungseffekt wird jedoch wiederum nur beim Einsatz effizienter und nachhaltiger Verfahren sowohl bei der Produktion als auch bei der Nutzung nachwachsender Rohstoffe bzw. Energieträger erzielt. Nachwachsende Rohstoffe tragen zur Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Einkommensverhältnisse bei Der durch technischen Fortschritt vorangetriebene Strukturwandel hat einschneidende Veränderun- gen der Beschäftigungsverhältnisse ganzer Bevölkerungsgruppen zur Folge und führt dadurch häufig regional zu einer erheblichen Verschlechterung der Lebens- und Einkommensverhältnisse. Zudem werden wertvolle Ressourcen im Verlauf des Strukturanpassungsprozesses suboptimal genutzt, was zum Beispiel durch Flächenstilllegungen offenkundig wird. Sich etablierende, auf nachwachsenden Rohstoffen basierende Produktionszweige bieten neue Investitions-, Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die sozialen Strukturen. Dieser Ansatz ist – historisch gesehen – nicht neu. So haben die Erzeugung von Alkohol in Brennereien in landwirtschaftlichen Großbetrieben oder überbetrieblich, wie auch die Produktion von Zucker oder die Milchverarbeitung im ländlichen Raum eine lange Tradition. Durch die Verwendung heimischer Ressourcen bleibt die Wertschöpfung in der Region. Auf diese Weise können auch strukturschwächere Regionen von der Entwicklung profitieren. Nachwachsende Rohstoffe können einen Beitrag zum Erhalt von Kulturlandschaften leisten Die Nutzung gefährdeter Flächen für die Gewinnung von nachwachsenden Rohstoffen ist eine mögliche Strategie zur Vermeidung von Flächendegradierungen. Dadurch können gegenüber einer reinen Brache ökologische Vorteile erzielt werden, z. B. hinsichtlich Biodiversität und Landschaftsgestaltung. In Deutschland wird mittlerweile der Anbau nachwachsender Rohstoffe auf stillgelegten Flächen prämiert. In der Praxis werden allerdings überwiegend kritische, sogenannte „Grenzstandorte“ für die Stilllegung bzw. für die Produktion nachwachsender Rohstoffe genutzt. Die Nachhaltigkeit derartiger Nutzungsstrategien ist in erheblichem Maße von der Verfahrensgestaltung bei der Produktion von nachwachsenden Rohstoffen abhängig. 29 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 36 In der Landwirtschaft werden feste Bioenergieträger u. a. aus Feldholz gewonnen. Als Feldgehölze kommen in der Regel schnellwachsende Baumarten wie Weiden und Pappeln in Frage (Abb. 3). Stand der Technik Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe S innvollerweise unterscheidet man die Verfahren zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe nach dem jeweiligen Nutzungsziel, in Rohstoffe und Verfahren für die energetische Nutzung sowie in Rohstoffe und Verfahren für eine stoffliche Nutzung. Holzhackschnitzel lassen dabei eine bessere Automatisierung des Verbrennungsprozesses zu. Andere Bioenergieträger, z. B. Stroh, erfordern zur besseren Handhabung eine Pelletierung oder Brikettierung. Wegen des hohen spezifischen Energiegehalts werden zunehmend Getreide-Ganzpflanzen Nachwachsende Rohstoffe zur Energiegewinnung energetisch genutzt. Hier besteht allerdings noch akuter Bedarf an der Entwicklung emissionsmindernder Verbrennungstechnologien. Des Weiteren wird zurzeit die thermische Vergasung von Biofestbrennstoffen und die Synthese des Gases zu flüssigen Kraftstoffen für Verbrennungsmotoren nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren (FTDiesel/SUN FUEL) intensiv beforscht. Mit dem Weißbuch-Richtlinienvorschlag zur Steigerung des Biokraftstoffeinsatzes auf 5,75 % des Ver- Abb. 2: Derzeitiges Potenzial biogener Traditionellerweise wird ein Großteil der Bioenergie aus der Forstwirtschaft gewonnen. Außerdem werden feste, flüssige und gasförmige Bioenergieträger in erheblichem Umfang von der Landwirtschaft bereitgestellt (Abb. 2). Bis zu 2,5 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche könnten derzeit zum Anbau von Energiepflanzen genutzt werden (DBV, 2003). Damit ließen sich langfristig bis zu vier Prozent des deutschen Gesamtenergiebedarfs umweltfreundlich erzeugen. Rund 28 Millionen Tonnen KohlendioxidEmission (CO2) aus fossilen Ener- Energieträger für die Gewinnung von Brenn- und Kraftstoffen. (Quelle: Erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 2002) gieträgern könnten so vermieden werden. Diese Annahmen könnten noch günstiger ausfallen, da im Zuge der anstehenden EU-Osterweiterung ein Rückgang der in Deutschland für die Nahrungsmittelproduktion benötigten landwirtschaftlichen Fläche erwartet wird. Damit stünden zusätzliche Flächen für die alternative Nutzungsrichtung Rohstoffe für die Energiegewinnung zur Verfügung. Abb. 3: Rohstoffanbau am ATB in Potsdam-Bornim: Langjährige Versuche zu Anbaueignung und zum Nutzungspotenzial von Rohstoff- und Energiepflanzen; verschiedene Kulturarten werden nach vier Düngestrategien mit Nährstoffen versorgt, einschließlich Ascherückführung im Sinne des Stoffkreislauf-Gedankens. 30 31 Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe 00. ZWISCHENRUF KPLT. 32 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 38 brauchs im Jahre 2010 rückt die Europäische Kommission die flüssigen Bioenergieträger Biodiesel, Ethanol und FT-Diesel erneut ins Rampenlicht. Die erforderliche Verfahrenstechnik zur Herstellung flüssiger Bioenergieträger aus Pflanzenölen und Zuckerpflanzen ist weitgehend bekannt, bedarf aber einer weitergehenden Optimierung, um deren Wettbewerbsfähigkeit am Markt sicherzustellen. Dagegen befindet sich die verfahrenstechnische Entwicklung synthetischer Kraftstoffe noch in der Anfangsphase. Der bedeutendste gasförmige Bioenergieträger ist Biogas. Neben den traditionell verwendeten Ausgangsstoffen Gülle, Klärschlamm und sonstigen Reststoffen, z. B. Abfall aus der „Biotonne“, werden in Zukunft speziell für die Biogasgewinnung angebaute Energiepflanzen eine zunehmende Rolle spielen (Abb. 2). Energiepflanzen können sowohl in flüssiger Phase fermentiert als auch gemeinsam mit anderen Feststoffen, wie Festmist aus der tiergerechten Nutztierhaltung, in speziell entwickelten Verfahren zur Feststoffvergärung in Biogas umgewandelt werden. Diese Entwicklung muss noch durch anwendungsorientierte Forschung begleitet werden, um sowohl aus prozesstechnischer Sicht wie aus ökonomischer und ökologischer Sicht geeignete Energiepflanzen und Fruchtfolgen für die Biogasgewinnung zu definieren. Die mit Hilfe des „Energie-Einspeise-Gesetzes“ (EEG) zurzeit wirtschaftlich arbeitende Biogaserzeugung muss sich der Herausforderung stellen, die Produktionskosten bis zum Jahr 2020 etwa zu halbieren, um auf dem Strommarkt ohne weitere Förderung konkurrenzfähig zu bleiben. Besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang der Entwicklung von Nutzungs- und Speichermöglichkeiten für die in den üblichen Block-Heizkraftwerken (BHKW) anfallende Wärme. Darüber hinaus ist eine spürbare Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch den Handel mit CO2-Zertifikaten zu erwarten. Neueste Forschungsaktivitäten zielen darauf ab, Biogas zu „waschen“ und ins Gasnetz einzuspeisen bzw. über das Gas-Tankstellennetz zu vertreiben. Die Weiterentwicklung der Gasreinigungstechnik ist auch eine Voraussetzung für den Einsatz des „saube- Abb. 4: Schematische Darstellung der Strom- und Wärmeproduktion aus Biogas über eine Brennstoffzelle. (Biogas in der Landwirtschaft. Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg, 2003; verändert nach GEW Köln, http://www.brennstoffzelle-koeln.de) ren“ Biogases zur Stromerzeugung in Brennstoffzellen mit entsprechend höheren Wirkungsgraden, besseren Teillasteigenschaften und geringeren Emissionen (Abb. 4). Nachwachsende Rohstoffe zur stofflichen Nutzung Bei der stofflichen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen sind Naturfasern aus Flachs, Hanf und Öl-Lein traditionell am attraktivsten. Die Vorzüge von Naturfasern sind unter anderem die relativ hohe Festigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht und gute biologische Abbaubarkeit. Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von Naturfasern, zum Beispiel für die Herstellung von Isoliermaterialien, von Formteilen etwa für Fahrzeuginnenverkleidungen oder Radkastenauskleidungen, sowie von Industrie- und „Geotextilien“, führten in den letzten Jahren zur Entwicklung innovativer Faseraufschluss- und Konservierungstechniken, die bessere Faserqualitäten 33 00. ZWISCHENRUF KPLT. 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 40 Hemmnisse auf dem Weg in das Biorohstoff-Zeitalter Abb. 5: Pilotanlage zum Trockenaufschluss von Naturfasern am Institut für Agrartechnik Bornim (ATB), Potsdam-Bornim. Im Bild rechts ein Rundballen aus feldge- Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe trocknetem Hanfstroh; links die aufgeschlossenen und gereinigten Hanffasern. 34 und Kosteneinsparungen ermöglichen (Abb. 5). Darüber hinaus ist das Nebenprodukt aus der Fasergewinnung, die „Schäben“, am Markt als Füllmaterial oder Einstreugut in der Tierhaltung sehr gefragt. Durch Fortschritte in der Biochemie und Biotechnologie werden aktuell neue Nutzungsmöglichkeiten für nachwachsende Rohstoffe zur Erzeugung von Chemikalien für verschiedenste industrielle Anwendungen erschlossen. Als Ausgangsstoffe kommen stärke- bzw. zuckerhaltige Agrarrohstoffe in Frage. Wichtige Chemikalien für die chemische Industrie sind beispielsweise die Milchsäure und ihre Derivate. Milchsäure wird traditionell als Konservierungs- und Reinigungsmittel eingesetzt. In Zukunft wird jedoch die Herstellung von biologisch abbaubaren Kunststoffen durch Polymerisation von größerer wirtschaftlicher Bedeutung sein. Ebenso wird der Einsatz von „grünen“ Lösungsmitteln aus der Veresterung von Milchsäure mit Ethanol Einzug in die Farbenund Lackindustrie halten. Ein sehr anspruchsvoller Bereich der stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist die Gewinnung von Aromastoffen und medizinischen Wirkstoffen durch Extraktion oder durch biotechnologische Verfahren. Die anfallenden Reststoffe aus der Umwandlung von nachwachsenden Rohstoffen können darüber hinaus gewinnbringend genutzt werden, z. B. zur Energieerzeugung. Die komplexe Gewinnung und Umwandlung von Inhalts- und Reststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen wird in Zukunft in industriellem Maßstab, in sogenannten „Bioraffinerien“, stattfinden. T rotz der vielfachen Vorteile nachwachsender Rohstoffe gibt es für eine Markteinführung eine Reihe von Hemmnissen. - Noch sind Rohstoffe und Energieträger auf fossiler Basis sowie die Kernenergie billiger – aber nur, weil die sogenannten "externen Kosten" dieser Quellen, zum Beispiel die Folgen der CO2Emmission, die Beseitigung von Umweltverschmutzungen oder die Entsorgung von radioaktiven Rückständen nicht im Produktpreis enthalten sind. - Die auf die Nutzung speziell von Erdöl und Erdgas ausgerichteten Wirtschaftssektoren werden nicht ohne weiteres ihre Bezugsgewohnheiten ändern, es sei denn, dass sich die Rahmenbedingungen entscheidend verändern. - Die Wettbewerbsfähigkeit von nachwachsenden Rohstoffen wird sich allerdings erst längerfristig deutlich verbessern, insbe- sondere auf Grund der tendenziellen Verknappung fossiler Rohstoffe. - Häufig ist es für potenzielle Abnehmer schwierig, die relative Vorzüglichkeit von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen zu erkennen, vor allem wenn die chemischen und physikalischen Eigenschaften sowie die spezielle Nutzungseignung von nachwachsenden Rohstoffen nicht in ausreichendem Maße vermittelt werden. - Auch die ökologischen Vorteile der Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen sind nicht immer deutlich zu belegen, insbesondere wenn es zu einzelnen Verfahren noch keine Referenzanlagen im industriellen Maßstab gibt. - Viele der Technologien zur Bereitstellung und zur Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen bzw. Energieträgern befinden sich noch in der Entwicklung, so dass die theoretisch vorhandenen Potenziale noch mit Risiken behaftet sind. 35 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 42 Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe 00. ZWISCHENRUF KPLT. Empfehlungen und Handlungsoptionen für die Politik F Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe ür eine beschleunigte Markteinführung von nachwachsenden Rohstoffen sind vorbereitende Maßnahmen erfolgsentscheidend. 36 Abb. 6: .... - Genehmigungsschwierigkeiten – unter anderem durch BundesImmissionsschutzgesetz, Baurecht oder steigende Sicherheitsanforderungen – behindern in vielen Fällen den weiteren Ausbau der Nutzung nachwachsender Rohstoffe. - Für die Belieferung großer Abnehmer (Energieerzeuger, Verarbeitungsindustrie) gibt es noch keine etablierten Logistiksysteme für nachwachsende Rohstoffe. - Das bestehende Förderinstrumentarium ist zur Erreichung der vorgegebenen politischen Ausbauziele nicht ausreichend. Dabei muss der zeitliche Vorlauf eingeplant werden, der von der Entwicklung bis zur Marktreife neuer Technologien erforderlich ist. - Es sind Maßnahmen der Politik gefragt, die einen Ausgleich in der derzeitig verzerrten Wettbewerbssituation zwischen nachwachsenden und fossilen Energieträgern bzw. Rohstoffen schaffen. Dazu sind sowohl auf EU-Ebene als auch im Bundesund Länderkontext die entsprechenden Programme zu harmonisieren (z. B. Mineralölsteuer, Kohlensubventionierung, Stromund Gaseinspeisegesetzgebung). - Potenzielle Nutzer, sowohl Unternehmen als auch Haushalte, müssen die Vorteile von nachwachsenden Rohstoffen und deren Produkten für sich erkennen können. Das gilt auch für die ökologische Vorzüglichkeit. Hierzu muss die Wissenschaft die notwendigen Fakten liefern (z. B. Qualitätsstandards, ÖkoBilanzen). - Wirkungsvolle Kampagnen zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe und Energieträger sollten dann sowohl von Unternehmensspitzen aber auch von Verbraucherverbänden und von politischer Seite ausgehen (Werbespots, Großposter, Anzeigen). - Die Wissenschaft muss sich verstärkt der Entwicklung von Verfahren zur Gewinnung von nachwachsenden Rohstoffen einschließlich Qualitätssicherung sowie der Bewertung der Verfahren in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht widmen (Anbauempfehlungen, Kostenkalkulationsverfahren, Technikbewertungs-Modelle). - Das gleiche gilt für die Entwicklung von Technologien zur Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen und Energieträgern. 37 Nachhaltige Entwicklung durch nachwachsende Rohstoffe 00. ZWISCHENRUF KPLT. 38 10.05.2004 10:45 Uhr Seite 44 Neu entwickelte Produktionsverfahren aber auch die Erzeugung von Energie müssen im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens zu einer nachweislich besseren Produkt- und Umweltqualität führen, wirtschaftlich sein und neue Wertschöpfungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen (Emissionstabellen, Angaben zur biologischen Abbaubarkeit). - Die Forschung und Entwicklung, insbesondere aber auch die Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis, sollten in enger Zusammenarbeit von Wirtschaft, potenziellen Anwendern und der Wissenschaft erfolgen (gemeinsame Planungsrunden, „Runde Tische“). - Parallel zur Entwicklung von Erzeugungs- und Nutzungs-Technologien sind Logistiksysteme aufzubauen, die ähnlich wie in der Nahrungsmittelbereitstellung von der Produktionsmittelbeschaffung über Aufbereitung und Lagerung bis zur Anlieferung des aufbereiteten Rohstoffs reichen. Neben der Entwicklung von Vertriebsstrukturen ist begleitende Beratung Voraussetzung für den Erfolg (Nutzung der Erfahrungen bzw. der Struk- turen des bisher auf Nahrungsmittelerzeugung zielenden „AgriBusiness“, Raiffeisen-Genossenschaft etc.). - Aufgabe der Politik ist es, sowohl für die Forschung und Entwicklung als auch für die Einführung in die Praxis geeignete Fördermaßnahmen als Starthilfe vorzusehen und einen Rechtsrahmen zu schaffen, der für ein Engagement im Bereich nachwachsende Rohstoffe durch Investitionshilfen, Anschubfinanzierungen, Forschungsprogramme bzw. Gesetze und Vorschriften Anreiz bietet. Literatur BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (1992) Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro. Dokumente – Agenda 21. Informationen des Bundesumweltministeriums. Intergovernmental Panel of climate Change (2001) Climate Change. UBA – Umweltbundesamt (1997) Nachhaltiges Deutschland. Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung. Berlin. Ansprechpartner: Prof. Dr.-Ing. Jürgen Zaske Wissenschaftlicher Direktor Institut für Agrartechnik Bornim e.V. (ATB) Max-Eyth-Allee 100 D-14469 Potsdam Tel.: +49 (0) 0331/5699-100 Fax.: +49 (0) 0331/5699-849 E-Mail: [email protected] Internet: www.atb-potsdam.de 39