Die Nutria (Myocastor coypus, MOLINA 1782) auf dem Vormarsch

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Caroline Biela
Die Nutria (Myocastor coypus MOLINA 1782) in Deutschland –
Ökologische Ursachen und Folgen der Ausbreitung
einer invasiven Art
Diplomarbeit
am Lehrstuhl für Landschaftsökologie
der Technischen Universität München,
Wissenschaftszentrum Weihenstephan
Betreuung: Prof. Dr. Ludwig Trepl
Dr. Tina Heger
Dezember 2008
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt habe; die
aus fremden Quellen übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.
München, den 22.12.2008
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung........................................................................................................................................1
2. Definitionen und Begriffsklärungen.............................................................................................4
3. Morphologie und Lebensweise......................................................................................................5
3.1 Systematische Einordnung.............................................................................................................5
3.2 Körperbau und Aussehen ..............................................................................................................6
3.3 Sinne...............................................................................................................................................7
3.4 Nahrung..........................................................................................................................................8
3.5 Habitat............................................................................................................................................9
3.6 Baue und Nester...........................................................................................................................10
3.7 Größe des home range und Mobilität...........................................................................................11
3.8 Fortpflanzung...............................................................................................................................13
3.9 Populationsstruktur.......................................................................................................................16
3.10 Krankheiten und Mortalität........................................................................................................20
3.11 Verhalten....................................................................................................................................23
3.12 Spuren.........................................................................................................................................25
3.13 Genetische Veränderungen durch Zucht und Anpassungen an das Invasionsgebiet..................26
4. Einwanderung und Ausbreitung.................................................................................................29
4.1 Herkunft........................................................................................................................................29
4.2 Ursachen der Verwilderung außerhalb des Heimatareals............................................................31
4.3 Geschichte der Einwanderung und Einbürgerung in Deutschland ..............................................31
4.4 Aktuelle Verbreitung in Deutschland...........................................................................................35
4.5 Weltweite Einwanderung und Ausbreitung..................................................................................36
5. Ökologische Auswirkungen der Nutria......................................................................................42
5.1 Auswirkungen auf die Vegetation................................................................................................43
5.2 Auswirkungen auf die Fauna........................................................................................................46
5.3 Auswirkungen auf abiotische Standortbedingungen....................................................................48
6. Analyse des Invasionsprozesses...................................................................................................52
6.1 Das Modell der Invasionsstufen und -schritte..............................................................................52
6.2 Übertragung des INVASS-Modells auf Säugetiere......................................................................53
6.3 Anwendung des Modells auf die Invasion der Nutria in Deutschland.........................................54
6.4 Fazit: Entscheidende Faktoren für die Invasion der Nutria in Deutschland.................................67
7. Prognose der Bestandsentwicklung und Ausbreitung..............................................................69
7.1 Bestandsentwicklung....................................................................................................................69
7.2 Mögliche Ausbreitung unter den derzeitigen klimatischen Verhältnissen...................................70
7.3 Mögliche Bestandsentwicklung unter Berücksichtigung des Klimawandels...............................75
8. Fazit und Ausblick........................................................................................................................78
9. Zusammenfassung........................................................................................................................79
10. Literaturverzeichnis...................................................................................................................80
11. Abbildungsverzeichnis...............................................................................................................85
12. Tabellenverzeichnis....................................................................................................................87
13. Anhang.........................................................................................................................................88
1. Einleitung
Im Zuge einer immer weiter voranschreitenden Globalisierung kommt es insbesondere seit dem 19.
Jahrhundert zu einem verstärkten Austausch zwischen Floren und Faunen der verschiedenen Kontinente. Dies hat ökologische Auswirkungen, die wiederum Folgen für Gesundheit und Wirtschaft
haben.
Eine Tierart, die im Zuge der Globalisierung als Pelztier nach Europa und auch auf andere Kontinente transportiert wurde, ist die aus Südamerika stammende Nutria (Myocastor coypus Molina
1782), die zu der Familie der Biberratten (Capromyidae Smith 1842) gehört (STUBBE & KRAPP
1982).
Die erste Nutriazucht in Deutschland wurde 1926 aufgebaut (WALTHER 1940). In den folgenden Jahren fand die Nutriazucht immer stärkere Verbreitung. Einzelnen Tieren gelang es zu entweichen
und freilebende Populationen zu gründen (WENZEL 1985, NIETHAMMER 1963, MÜLLER-USING 1965).
Spätestens seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wird immer wieder von freilebenden Nutriapopulationen berichtet (NIETHAMMER 1963). Da Nutrias empfindlich auf sehr kalte, lange Winter reagieren, erlitten freilebende Populationen wiederholt starke Einbußen (NIETHAMMER 1963). Aufgrund
dessen und wegen der Tatsache, dass Nutrias bis heute in Deutschland nur inselartig verbreitet sind
(ZAHNER 2004), vermuten mehrere Autoren, dass keine starke Ausbreitung der Art, wie es beispielsweise beim Bisam der Fall ist, stattfinden wird (NIETHAMMER 1963, MÜLLER-USING 1965, STUBBE
1978, KINZELBACH 2002, WENZEL 1985).
Unklar ist jedoch, ob dies auch so bleibt, wenn es zu einer Klimaerwärmung kommt, da Nutrias nur
milde Winter ohne Probleme überstehen (STUBBE 1982) und darum möglicherweise durch die Winterkälte bisher an stärkerer Ausbreitung gehindert wurden. Dieser Faktor verliert aber in Zukunft bei
einer Klimaerwärmung vermutlich an Bedeutung. Nutrias sind in der Lage, witterungsbedingte Verluste durch ihre hohe Reproduktionsrate auszugleichen (MEYER 2001, REGGIANI ET AL. 1993). Im Jahr
2006 wurden bereits aus allen Bundesländern mit Ausnahme von Brandenburg, Schleswig-Holstein
und Bremen Nutriavorkommen gemeldet (BARTEL ET AL. 2007). Insbesondere in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wird eine starke Ausbreitung beobachtet (BARTEL ET AL. 2007). Die Jagdstrecke in Niedersachsen hat sich in den Jahren von 2001 bis 2005 von ca. 550 Tieren auf über 1600
fast verdreifacht. Für das Jahr 2005 ist eine Steigerung um 23 % gegenüber 2004 erkennbar
(JOHANSHON & STRAUSS 2006).
Schon 1958 behauptet ELTON (1958, 73), dass die Nutria in vielen Ländern, in denen sie eingeführt
wurde, die „explosivste“ invasive Art sei. REGGIANI ET AL. (1993) schreiben, dass die Nutriapopulationen zwar in Teilen ihres natürlichen Areals durch Jagd stark reduziert wurden, aber in den Gebieten der Nordhemisphäre, in die sie eingebracht wurden, oft eine hohe Dichte erreichen. Aufgrund
dieser Beobachtung ist es von Bedeutung, die ökologischen Folgen, die eine Etablierung und Ausbreitung mit sich bringt oder schon gebracht hat, näher zu untersuchen.
1
VITOUSEK ET AL. (1997) behaupten, dass invasive Arten, welche Ökosystemprozesse wie Primärproduktion, Zersetzung und Nährstoffkreisläufe, oder das Störungsregime und abiotische Standortbedingungen wie die Hydrologie und die Geomorphologie verändern, nicht einfach nur mit heimischen Arten konkurrieren oder heimische Arten konsumieren, sondern die „Regeln der Existenz“
für alle heimischen Arten verändern. Nutrias beeinflussen und verändern die Ökosysteme, in denen
sie sich etablieren, relativ stark. In der vorliegenden Arbeit wird unter anderem untersucht, welche
ökologischen Veränderungen durch die Nutria hervorgerufen werden. Es wird ebenfalls diskutiert,
wie sie zu einem erfolgreichen Einwanderer werden und sich in Europa etablieren konnte. Darauf
aufbauend wird eine Prognose für die noch folgende Ausbreitung der Art erarbeitet.
Das folgenden zweite Kapitel definiert zunächst die Begriffe „gebietsfremde Tierart“, „invasive
Tierart“ und „biologische Invasion“. In Kapitel drei werden dann die Morphologie und die Lebensweise der Nutria dargestellt. Mehrere Unterkapitel geben einen Überblick über die Ökologie der
Art, der eine Diskussionsgrundlage für die nachfolgenden Kapitel bietet. Dabei werden auch Widersprüche in der Literatur aufgezeigt. Es wird außerdem diskutiert, ob genetische Veränderungen der
Nutriapopulationen in Europa stattgefunden haben. Das Kapitel vier widmet sich der Einwanderungs- und Ausbreitungsgeschichte sowie der derzeitigen Verbreitung. Zunächst wird dabei das
Herkunftsgebiet mit seinen klimatischen Gegebenheiten beschrieben. Anschließend wird die Geschichte der Einwanderung in Deutschland dargestellt. Bezüglich der aktuellen Verbreitung wird
aus Gründen der Datenlage ein Schwerpunkt auf Deutschland gelegt, da in der Literatur häufig nur
die Verbreitung innerhalb von Staatsgrenzen aufgeführt wird und Untersuchungen auf dieser Ebene
stattfinden. Ergänzend wird skizzenhaft die weltweite Verbreitung dargestellt und anhand von einigen Beispielen genauer beschrieben. Das fünfte Kapitel behandelt die bisher beobachteten ökologischen Auswirkungen. Erläutert werden Auswirkungen auf Flora, Fauna und Habitate. Im sechsten
Kapitel findet eine Diskussion der Ursachen für den Invasionserfolg statt. Zunächst werden die soziokulturellen Ursachen für die Ausbreitung der Nutria in groben Zügen dargestellt. Die Frage, wie
sich Nutrias etablieren konnten und welche Eigenschaften der Art und welche äußeren Bedingungen
dafür nötig waren, wird hierbei diskutiert. Diese Analyse geschieht auf der Grundlage des INVASSModells von HEGER (2004). Anhand des Modells wird erläutert, auf welche Probleme die Nutria als
fremde Art im Etablierungsprozess in einer neuen Umgebung treffen kann. Die Analyse ist in vier
Schritte eingeteilt (Transport, Ausbrechen aus der Zucht und erste Fortpflanzung außerhalb der
Zucht, Populationsaufbau und Ausbreitung). Es wird dargestellt, wie Eigenschaften der Nutria, Eigenschaften des invadierten Gebietes und Einführungsbedingungen sich auf die Wahrscheinlichkeit
des Invasionserfolgs auswirken. Hierbei wird ebenfalls diskutiert, ob Nutrias diese Eigenschaften
zur Überwindung der Probleme besitzen, oder ob die Bedingungen im neuen Gebiet bzw. während
der Einführung eine Vermeidung oder Überwindung der Probleme ermöglichten. Am Ende des Kapitels steht ein Fazit, das auflistet, welche Faktoren zur Etablierung führten und welche für die Etablierung problematisch sind oder waren. Im siebten Kapitel folgt eine Prognose für die weitere Entwicklung der Population insbesondere in Deutschland. Diese basiert auf den Erkenntnissen über die
Biologie der Nutria und ihre bisherige Ausbreitung zusammen mit den Erkenntnissen aus dem INVASS-Modell sowie auf der Basis aktueller Klimadaten und klimatischer Szenarien. Es wird darge2
stellt, in welchen Gebieten eine Ausbreitung der Nutria wahrscheinlich ist oder zumindest noch
möglich erscheint. Am Schluss der Arbeit steht ein Fazit. Darin werden auch offene Fragen aufgelistet, und aufgezeigt, wo es noch Forschungsbedarf gibt.
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2. Definitionen und Begriffsklärungen
Im Folgenden werden zunächst die Begriffe „gebietsfremde Tierart“, „invasive Tierart“ und „biologische Invasion“ definiert. Hierzu stütze ich mich auf die entsprechenden Definitionen in HEGER
(2004, 12):
„Als biologische Invasionen werden alle hemerogenen oder auch natürlich bedingten Prozesse der Arealerweiterung bezeichnet, in denen eine Ausbreitungsbarriere überwunden wurde.
Als Ausbreitungsbarriere wird dabei ein Gebiet verstanden, welches von der betrachteten Art nur mit einer
Wahrscheinlichkeit, die gegen Null geht, überwunden werden kann. Das Gebiet, in das die Art nach der Barrierenüberwindung gelangt, war für sie vorher bereits ökologisch geeignet, doch wegen der Barriere von ihr
für eine aus ihrer Sicht evolutionär relevante Zeit unbesiedelt; sie ist deshalb in diesem Gebiet ökologisch
fremd." (HEGER 2004, 12, Hervorh. i. O.)
Gebietsfremde Tierarten sind in Anlehnung an die Definition von HEGER (2004, 12) Arten, „die in
einem Gebiet spontan auftreten, das außerhalb ihres bisherigen Areals liegt“, wobei das vorherige
Auftreten der Art in diesem Gebiet bisher durch eine Ausbreitungsbarriere und nicht durch die dort
herrschenden Standortbedingungen verhindert wurde 1.
Wenn sich eine gebietsfremde Tierart außerhalb ihres Heimatareals ausbreitet, ist sie invasiv, unabhängig vom Ausmaß und der Geschwindigkeit ihrer Ausbreitung und unabhängig vom Einfluss auf
heimische Biozönosen oder kulturellen oder ökonomischen Auswirkungen. Sie kann dann als invasive Tierart bezeichnet werden (nach HEGER 2004)2.
Im Falle der Ausbreitung der Nutria in Deutschland treffen alle drei Definitionen zu: Es handelt
sich (1) um eine biologische Invasion, da eine (in diesem Fall) hemerogene Arealerweiterung durch
die Besiedlung von anderen Kontinenten, wie Nordamerika und Europa, stattgefunden hat. Dies geschah durch beabsichtigten Transport über eine Ausbreitungsbarriere, nämlich den Ozean, den die
Art nicht alleine hätte überwinden können. Die Nutria ist (2) außerhalb Südamerikas gebietsfremd,
und zwar deshalb, weil ihr vorheriges Auftreten in diesen Gebieten durch eine Ausbreitungsbarriere
verhindert wurde. Da sie sich vielerorts ausbreitet, ist sie (3) außerdem eine invasive Art.
1
Die Definition von HEGER (2004, 12) bezieht sich auf Pflanzenarten: „Gebietsfremde Pflanzenarten sind all jene, die in
einem Gebiet spontan auftreten, das außerhalb ihres bisherigen Areals liegt. Dabei muss das Auftreten der Art im
Gebiet bisher durch eine Ausbreitungsbarriere verhindert worden sein, nicht durch die Standortbedingungen des neuen
Gebietes." (HEGER 2004, 12, Hervorh. i. O.)
2
Diese Definition von HEGER (2004, 12) bezieht sich ebenfalls auf Pflanzenarten: „Invasive Pflanzenarten sind
gebietsfremde Arten, die sich im neuen Gebiet ausbreiten. Es spielt dabei keine Rolle, in welchem Ausmaß und welcher
Geschwindigkeit diese Ausbreitung geschieht, auch ist irrelevant, ob dabei ein kulturell oder ökonomisch als negativ zu
bezeichnender Einfluss auf die heimischen Biozönosen ausgeübt wird oder nicht." (HEGER 2004, 12, Hervorh. i. O.)
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3. Morphologie und Lebensweise
Ziel des Kapitels ist es, einen Überblick über Morphologie und Lebensweise der Nutria zu geben
und dabei besonders auf die Aspekte einzugehen, die in den folgenden Kapiteln bedeutsam sein
werden. Daher werden einige Punkte ausführlicher besprochen, wie z. B. die Populationsbiologie,
die für die Gründung von Populationen bedeutsam ist, und die Nahrung, da dieses Kapitel eine
Grundlage nicht nur für die Untersuchung der Ursachen der Etablierung, sondern auch für die der
ökologischen Auswirkungen der Nutria darstellt. Andere Aspekte werden weniger ausführlich besprochen, wie die Morphologie, die Sinnesleistungen und die Verhaltensweisen. Da es keine umfangreiche Literatur über die Nutria in ihrem Heimatgebiet gibt, sondern die meisten und ausführlichsten Forschungen außerhalb ihres Heimatareals durchgeführt wurden, z. B. in England, den
USA oder in Frankreich, muss vor allem auf diese Quellen zurückgegriffen werden. Es wird außerdem diskutiert, ob es genetische Veränderungen durch die Zucht bei Nutrias gibt, die sich auf die
Lebensweise und das Verhalten auswirken und ob es bereits Anpassungen an die Umweltverhältnisse des Invasionsgebiets (z. B. die Kälte) gibt. Diese beiden Punkte waren allerdings schwer zu unterscheiden. Die zugrundeliegende Frage ist, ob man von dem Verhalten der freilebenden Nutrias in
Südamerika oder auch dem der ersten Nutrias in Gefangenschaft auf die freilebenden in Europa
schließen kann. Schließlich wird diskutiert, ob die Realisierung bestimmter züchterischer Ziele sich
positiv auf die Etablierung der Nutria in Europa auswirken und welche unterschiedlichen Folgen die
Einführung von verschiedenen Unterarten der Nutria haben kann.
3.1 Systematische Einordnung
Die Nutria gehört innerhalb der Ordnung der Nagetiere (Rodentia) zur Familie der Biberratten (Capromyidae). Die Gattung Myocastor enthält nur eine Art (STUBBE & KRAPP 1982). OSGOOD (1943) berichtet von fünf verschiedenen Unterarten, die sich in ihrem Äußeren und ihrer Herkunft unterscheiden, nämlich Myocastor coypus coypus MOLINA, (heimisch in Zentralchile), M. c. melanops OSGOOD
(Südchile), M. c. santacruzae HOLLISTER (Südwest-Argentinien), M. c. bonariensis GEOFFROY (Nordost-Argentinien und Uruguay) und M. c. popelairi WESMAEL (Südost-Bolivien). Nach DENNLER
(1931) gibt es außerdem verschiedene Standortvarietäten, die verschiedene Fellfarben und -beschaffenheiten aufweisen.
Erste Berichte von Nutrias stammen von dem Chilenen Johannes Ignaz Molina und dem spanischen
Offizier Felix D'Azara aus den Jahren 1780 bzw. 1783. D'Azara nannte das Tier wegen seines Felles „Nutria“ (spanisch: Fischotter) (WENZEL 1985). Insbesondere in der älteren deutschsprachigen
Literatur verwendete Synonyme sind Sumpfbiber, Biberratte und Schweifbiber (WEBER 1927 zit. n.
5
EHRLICH 1969). „Nutria“ bezeichnete in Deutschland zunächst das Fell, später hat sich dieser Name
jedoch als Bezeichnung des lebenden Tieres immer mehr durchgesetzt (EHRLICH 1969).
3.2 Körperbau und Aussehen
STUBBE (1982) gibt eine Kopf-Rumpf-Länge von 45 bis 65 cm und eine Schwanzlänge von 30 bis 45
cm an, wobei ein Geschlechtsdimorphismus vorliegt und die männlichen Tiere etwas größer und
schwerer sind als die weiblichen. Das Gewicht liegt zwischen 4 und 8 kg, in seltenen Fällen bis 12
kg (ebd.). GOSLING UND BAKER (1996) geben für ausgewachsene Männchen in England (älter als 100
Wochen) ein Durchschnittsgewicht von 6,47 kg und eine Kopf-Rumpf-Länge von 60,3 cm an, für
Weibchen ein Durchschnittsgewicht von 6,02 kg und eine durchschnittliche Kopf-Rumpf-Länge
von 59,3 cm. DONCASTER UND MICOL (1989) fingen in Frankreich Tiere, die bis zu 8,7 kg wogen.
MEYER (2001) untersuchte Nutrias in Thüringen und gibt als Durchschnittsgewicht für Weibchen
5,49 (±1,48) kg und für Männchen 5,94 (±1,16) kg an.
Die Vorderpfoten sind mit starken Krallen versehen, die sich zum Graben eignen (GOSLING &
SKINNER 1984). Der Daumen ist reduziert (STUBBE 1982). Die Vorderbeine sind im Vergleich zu den
Hinterbeinen kurz. Vorder- und Hinterfüße sind nicht behaart (WENZEL 1985).
Der Schwanz ist lang, rund und spärlich behaart (WILLNER 1982). Die Schnauze ist stumpf und die
Oberlippe gespalten (STUBBE 1982). Die Ohren sind mit 2,5 bis 3,0 cm Länge (ebd.) verhältnismäßig
klein. Nutrias haben 20 Zähne (STUBBE 1982). Die Nagezähne sind groß und orangefarben; ihre Färbung wird durch Eiseneinlagerungen hervorgerufen, die sie vor Abnutzung schützen (ZAHNER 2004).
Die Farbe der Schneidezähne ist auch ein Indikator für die sexuelle Reife: Neugeborene Nutrias haben hellgelbe Schneidezähne, im Wachstum werden sie dunkelgelb und wenn die sexuelle Reife erreicht ist, färben sie sich orange bis hellrot (Abb. 4). Bei alten und kranken Tieren werden sie wieder gelb. (EHRLICH 1966) Hinter den Nagezähnen ist die Mundhöhle verschließbar (WILLNER 1982).
Bei weiblichen Nutrias befinden sich vier bis fünf Paar Zitzen an der seitlichen Bauchwand
(WILLNER 1982). Die Männchen haben große, die Weibchen kleinere Analdrüsen, die ein Sekret produzieren, das dazu dient, das Revier zu markieren (GOSLING & BAKER 1996).
Das Fell besteht aus einer dichten grau-braunen Unterwolle und langen, festen Grannen. Diese können verschieden gefärbt sein, die Variationen reichen von gelbgrau bis schwarz. (STUBBE 1982) Die
Farben sind durch Zucht verändert worden, aber auch bei wilden Nutrias treten unterschiedliche
Färbungen auf. OSGOOD (1943) beschreibt die Unterart M. c. popelairi als besonders groß und dunkel gefärbt, die Körperoberseite ist schwarz-braun. Die Unterart M. c. melanops beschreibt er als
ähnlich wie M. c. coypus aussehend, aber dunkler und reicher gefärbt. Die Oberseite des Kopfes
und die Seiten des Gesichtes sind hauptsächlich schwarz-braun, die Vorderbeine sind dunkelbraun,
der Körper ist hell und an den Nackenseiten haselnussbraun bis zimtfarben behaart (ebd.).
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Abbildung 1: Wenige Tage altes Nutriajunges
Abbildung 3: Erwachsene Nutria
Abbildung 2: Erwachsene Nutria mit nassem Fell
Abbildung 4: Erwachsene Nutria mit orangefarbenen
Schneidezähnen
3.3 Sinne
Über die Sinnesorgane der Nutria ist in der Literatur nur wenig zu finden, jedoch berichtet WALTHER
(1940), dass das Sehvermögen am wenigsten entwickelt sei und die Tiere oft nicht einmal Futterbrocken sähen, „die man in ihre unmittelbare Nähe geworfen hat“ (WALTHER 1940, 65). Der Geruchssinn ist stärker ausgebildet, das am besten ausgeprägte Sinnesorgan ist aber das Gehör; die
Tiere reagieren sehr stark auf Geräusche (ebd.).
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3.4 Nahrung
Nutrias ernähren sich vorwiegend herbivor, jedoch berichten verschiedene Autoren, dass sie gelegentlich auch Muscheln (EHRLICH & JEDYNAK 1962, DAVIS & JENSON 1960), Käfer und Würmer
(FREISE 1931) und in Gefangenschaft sogar Fische (STUBBE 1982) fressen. Ihr Magen-Darm-Kanal ist
für schwer verdauliche Nahrung ausgerichtet. Pflanzliche Rohfaser wird im Blinddarm der Tiere
durch zellulosespaltende Bakterien aufgeschlossen und für den Körper verwendbar gemacht.
(WENZEL 1990)
LEBLANC (1994) gibt an, dass Nutrias täglich ungefähr ¼ ihres Körpergewichtes fressen und viele
kleine anstelle von wenigen großen Mahlzeiten bevorzugen. Das Futter nehmen sie mit den Vorderpfoten auf und führen es zum Maul (WENZEL 1985). Nutrias suchen zum Verzehr ihrer Nahrung häufig Fraßplätze auf. Diese sind zum Teil zu diesem Zweck angelegte Nester aus abgebissenen Pflanzenteilen, auf denen sie ihr Futter verspeisen (EHRLICH 1962). EHRLICH (1969) beobachtete, dass Nutrias in der Lage sind, die Pflanzen am Grund der Gewässer auszuwurzeln. Hierbei schieben sie die
unteren Nagezähne unter den Wurzelstock und reißen ihn ohne ihn durchzubeißen aus. Den Unterkiefer nutzen sie als Hebelarm. (Ebd.) Im Winter, wenn die restliche Vegetation weggefressen ist,
suchen Nutrias nach Rhizomen, wobei sie viele kleine Löcher graben (EHRLICH 1962).
WILLNER ET AL. (1979) fanden bei Untersuchungen der Mageninhalte von Nutrias in Maryland
(USA) heraus, dass Wurzeln den Hauptanteil der Nahrung ausmachten. Die einzige Ausnahme war
im Frühjahr, dort bestand die in den Mägen gefundene Nahrung zu 90 % aus Pflanzenstängeln.
Blätter wurden den Sommer über gefressen, allerdings stieg ihr Anteil nie über 20 % der Nahrung
(WILLNER ET AL. 1979). Diese Autoren geben für Maryland als am meisten gefressene Pflanzenart die
Amerikanische Teichsimse (Schoenoplectum pungens) mit fast 80 % (45,7 % bis 96,8 %) an. Die
einzigen anderen in größeren Mengen gefressenen Pflanzenarten waren Phragmites communis und
Panicum spec., je nach Jahreszeit. Insgesamt machten in dieser Studie semiaquatische Pflanzen
(Scirpus olneyi, Phragmites communis, Spartina cynosuroides, Distichlis spictata, Eleocharis palustris und Typha angustifolia) mehr als 88 % der Nahrung aus, andere Gräser und Stauden (Panicum sp. und Allium sp.) ca. 6 % und Algen ebenfalls 6 %. In 94,4 % aller untersuchten Mägen wurde die Amerikanische Teichsimse (Schoenoplectum pungens), in 25 % Phragmites communis, in
17 % Panicum spec. und in 25 % aller Mägen wurden Algen gefunden. (Ebd.)
ELLIS (1963) beobachtete in England (Surlingham, Wheatfen, Rockland Broads und den Sümpfen
und Auen der Flüsse Bure, Ant, Thurne und Waveney) von 1940 bis 1960 ein breites Nahrungsspektrum, das in Tabelle I im Anhang wiedergegeben ist. PRIGIONI ET AL. (2005) untersuchten, welche Pflanzenarten Nutrias in Nord-West Italien fressen. Sie fanden heraus, dass Phragmites australis und Elodea spp. dort die Hauptkomponenten der Nahrung sind, gefolgt von Callitriche stagnalis,
Myriophyllum spictatum und Robinia pseudoacacia, von der die Nutria jedoch nur die Blätter frisst.
Zusätzlich wurden häufig Wasserpflanzen wie Nuphar lutea und Lemna spp. verspeist sowie die
Rinde von Salix spp. und Populus spp. Weitere Arten, die von der Nutria gefressen wurden, sind
ebenfalls in Tabelle I im Anhang aufgelistet.
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Nutrias wurden kurz nach dem Verzehr von Blättern von Hedera canariensis tot aufgefunden (ELLIS
1963), die Rhizome des für den Menschen hochgiftigen Wasserschierlings (Cicuta virosa) (STUBBE
1982) werden hingegen offensichtlich ohne Folgen gefressen (ELLIS 1963).
Die Tiere verzehren außerdem Feld- und Gartenfrüchte, wie Zucker- und Futterrüben (MÜLLERUSING 1965), Kartoffeln, Mais und Getreide (KINZELBACH 2002). Dies scheint allerdings eher selten
der Fall zu sein. In Argentinien fanden D'ADAMO ET AL. (2002) heraus, dass trotz der Behauptung einiger Landwirte, Nutrias seien eine potentielle Bedrohung für Getreidefelder, die von ihnen untersuchten Tiere nur gelegentlich Getreidefelder aufsuchten. Ähnliches berichten REGGIANI ET AL.
(1993): In Italien suchten Nutrias nur im Winter Getreidefelder auf, vermutlich um ihr Energiedefizit aufgrund der mangelnden sonstigen Vegetation während der kalten Jahreszeit auszugleichen.
WILLNER ET AL. (1979) fanden in ihren Untersuchungen der Nutriamägen Getreide nur in geringen
Mengen, und das auch nur bei Tieren, die direkt an einem Getreidefeld im Sommer gefangen wurden. SWANK UND PETRIDES (1954) berichten, dass die Nutrias in Louisiana auch Reispflanzen fressen.
EHRLICH (1969) beobachtete, dass Nutrias Schilfbestände schnell zerstören. Sie verbeißen sie systematisch, ohne gleichzeitig in Nachbarbeständen zu fressen. Diese Form der Nutzung der Vegetation, die dem Prinzip der Wechselweide entspricht, dient dem Autor zufolge dazu, Weidereserven zu
erhalten, in die die Tiere später, bei Futter- und Schutzmangel, umsiedeln können. SWANK UND
PETRIDES (1954) berichten das gleiche Verhalten von Nutrias aus Texas. Diese fraßen die Triebe und
Wurzeln von Typha latifolia zunächst in einem kleinen Gebiet komplett auf, bevor sie an anderer
Stelle weiter fraßen (ebd.). Diese kahlgefressenen Stellen werden in der Literatur wiederholt als 'eat
outs' bezeichnet (EHRLICH 1962, FORD & GRACE 1998).
EHRLICH (1962) beschreibt außerdem noch ein Selektieren der Pflanzenteile. Zunächst wurden die
tieferen Teile der abgebissenen Triebe gefressen, dann, während einer Zeitspanne von mehreren Tagen, die Internodien. Zum Schluss wurden die Spitzen der Triebe geschält und die geschützten Blätter verspeist (ebd.).
In zwei von EHRLICH (1962) durchgeführten Versuchen führten eine intensive Aktivität und eine
hohe Reproduktion der Nutrias zu einer auffälligen Form der Zerstörung der Teichvegetation: Als
erstes fraßen die Tiere die Gattungen Sparganium und Sagittaria, dann Rohrkolben und zum
Schluss Schilf. Dieses war am Anfang des Versuchs zunächst unberührt geblieben (ebd.).
3.5 Habitat
Nutrias leben semiaquatisch und sind an Gewässer gebunden, jedoch kaum an bestimmte Gewässertypen und Güteklassen. Sie können sowohl im Salz- als auch im Süßwasser leben. Obwohl die Nutria an nahezu allen Gewässern vorkommen kann, bevorzugt sie doch bestimmte Bedingungen. So
scheint sie lieber Gewässer in offenen Landschaften zu besiedeln und geschlossene Waldgebiete
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eher zu meiden (HEIDECKE & RIECKMANN 1998). Dies berichten WILLNER ET AL. (1979) aus Maryland:
In den Jahren 1975-76 stellten sie an verschiedenen Orten unterschiedliche Nutriadichten fest. Diese schwankten zwischen 0,5 und 16,0 Tieren pro Hektar. Am dichtesten waren offene Marschen mit
Beständen von Scirpus olney mit Brackwasser besiedelt. Eher wenige (3-8 Nutrias pro ha) kamen
an halb offenen Standorten vor. Am wenigsten Tiere lebten in einem Gebiet, das durch zwei bewaldete Deiche getrennt wurde. REGGIANI ET AL. (1993) berichten über Nutrias in Italien, dass sie zu über
75 % Phragmites- Bestände besiedelten.
Nach HEIDECKE UND RIECKMANN (1998) tritt die Nutria besonders konzentriert an Gewässerabschnitten
in Siedlungsnähe auf, auch in großen Städten. Ursachen hierfür sind ein günstiges Mikroklima, Fütterungen und Schutz durch Anwohner (ebd.). BAROCH UND HAFNER (2002) berichten, dass Nutrias
entlang der Golfküste in den USA meistens im Süßwasser vorkommen und Gebiete mit dichten Beständen von Schoenoplectus americanus zu bevorzugen scheinen.
Gewässertypen, die die Nutria nach STUBBE (1982, 619) bewohnt, sind „ruhige Altarme, vegetationsreiche Buchten und Lagunen, stehende Gewässer (Seen und Teiche) mit Rohr- und Binsengürteln,
sowie einer ausgeprägten submersen Hydroflora und guter Sichttiefe. Grabenreiche Sumpf- und
Marschgebiete im gemäßigten Klimabereich werden sehr gerne besiedelt, daneben auch große und
kleine Fließgewässer mit angrenzenden Wiesen oder Agrokulturen.“ Nach ZALBA ET AL. (2001) kann
sie in stark veränderten Landschaften leben und sich reproduzieren, wie z. B. in landwirtschaftlich
geprägten Gebieten mit intensiver Produktion und Bewässerung. LEBLANC (1994) berichtet, dass sie
sogar in Drainagekanälen vorkommt.
Obwohl zahlreiche Autoren von der Kälteempfindlichkeit der Nutria berichten (NEWSON 1966,
DONCASTER & MICOL 1990, GOSLING & BAKER 1989A,B, WILLNER ET AL. 1979), scheint dies zumindest
in Gewässern im Heimatgebiet laut WALTHER (1940) für die Tiere kein Problem darzustellen: Dort
kommt die Nutria in den Subtropen in sehr warmen Lagunen vor, im temperaten Süden aber auch in
Gewässern, die alljährlich zeitweise zugefroren sind (ebd.). Hierbei handelt es sich aber vermutlich
um verschiedene Unterarten (s. Kap. 3.1).
3.6 Baue und Nester
Nutrias leben sowohl in Bauen als auch auf Schilfnestern. Baue werden meistens an Böschungen
mit einer Steigung zwischen 45-90° angelegt (PELOQUIN 1969 zit. n. BAROCH & HAFNER 2002). Sie
graben Tunnelsysteme, zum Teil bis 6 m tief ins Ufer, die eine runde Nestkammer enthalten, welche
mit Pflanzenmaterial ausgepolstert ist (GOSLING & SKINNER 1984). Oft haben diese Baue auch mehrere Eingänge. Diese liegen immer über der Wasserlinie (LAURIE 1946). Der Durchmesser der Röhren
beträgt ca. 20 cm (LAURIE 1946). Die Baue dienen als Wohn- und Wurfräume sowie außerhalb der
Fortpflanzungszeit als Schutz vor Prädatoren und als Temperaturpuffer. Eine Studie in Argentinien
10
von DESORIANO (1960 zit. n. BAROCH & HAFNER 2002) zeigte, dass die Innentemperaturen in Nutriabauen zwischen 8°C und 10°C lagen, während die Außentemperaturen zwischen -4°C und +24°C
schwankten. Zum Teil legen Nutrias Baue in dichten Vegetationsmatten an (EHRLICH & JEDYNAK
1962). Sie übernehmen auch Bisambaue und erweitern diese. Nach STUBBE (1982) sind der Bisam
und auch das Wildkaninchen sogar manchmal Mitbewohner.
Nutrias legen Nester aus der vorhandenen Vegetation an, entweder in den Vegetationsbeständen
selbst oder aber im flachen Wasser, wo sie von der Unterwasservegetation gestützt werden (GOSLING
& SKINNER 1984). Sie nutzen diese als Futter-, Putz- und Rastflächen (BAROCH & HAFNER 2002).
Nach WILLNER (1982) variieren die Nester in ihrer Größe und reichen von kleinen flachen Plätzen
bis zu großen Plattformen, die bis zu 1 m hoch sein können.
Darüber, ob Nester eher im Sommer und Baue eher im Winter genutzt werden, gibt es in der Literatur keine einheitliche Meinung. EHRLICH (1962) berichtet, dass die großen Nester in Vegetationsbeständen den winterlichen Bedingungen trotzen und den Nutrias erlauben, Schilfrhizome zu fressen,
während LEBLANC (1994) behauptet, dass Nutrias sich nur im Sommer am Boden von dichter Vegetation aufhalten und sonst in Bauen leben. HEIDECKE UND RIECKMANN (1998) behaupten sogar, dass
das Graben von Erdbauen eine Anpassung an die europäischen Winterbedingungen sei, was allerdings als falsch anzusehen ist, da Nutrias überall, wo sie vorkommen, auch in ihrem Heimatgebiet,
Baue graben (BAROCH & HAFNER 2002, ZALBA ET AL. 2001).
3.7 Größe des home range und Mobilität
Home range
Über die Größe des home range3 von Nutrias, Größenunterschiede zwischen home range weiblicher
und männlicher Tiere sowie die Mobilität und das Wanderverhalten der Art gibt es unterschiedliche
Aussagen. Einig sind sich aber fast alle Autoren, dass die Nutria ein sehr standorttreues Tier ist.
Nach LEBLANC (1994) beträgt das home range eines Tieres in Louisiana ca. 13 ha. DONCASTER UND
MICOL (1989) geben dagegen für Männchen in Frankreich ein gemitteltes home range von 5,68 ha
an, mit einem Minimum von 1,79 ha und einem Maximum von 14 ha. Weibchen besitzen kleinere
home range mit einem Durchschnitt von 2,47 ha, bei einem Minimum von 0,6 ha und einem Maximum von 7,34 ha (ebd.). MEYER (2001) spricht nicht von home ranges, sondern von Revieren und
gibt für Weibchen in Thüringen eine geschätzte Reviergröße von durchschnittlich 1,17 ha an und
für Männchen 2,3 ha. Die durchschnittliche Größe des home range liegt also zwischen 1,17 ha bei
3
Home range ist die englische Bezeichnung für Heimatgebiet. Hiermit bezeichnet man den Raum, in dem sich ein
Individuum normalerweise aufhält.(TREPL 2007, 221) Es wird im folgenden immer der englische Begriff verwendet um
eine Verwechselung mit dem Begriff 'Heimatgebiet' im Sinne von 'Heimatareal' also dem Ursprungsgebiet der Art
auszuschließen. Der Begriff 'Aktionsraum' lässt sich in diesem Fall nicht verwenden, da er „für den gesamten
geographischen Raum, in dem die Aktivitäten des Organismus stattfinden“ steht (TREPL 2007, 221) gebraucht wird.
11
Weibchen in Thüringen (MEYER 2001) und bei 13 ha in Louisiana (LEBLANC 1994).
Nach REGGIANI ET AL. (1993) verändert sich (zumindest in Italien) die Größe des home range, und
zwar je nach Jahreszeit. Im Winter sind die Aktionsradien wesentlich kleiner als im Frühling, wobei
im Frühling aber auch in dieser Untersuchung die home range der Männchen größer waren als die
der Weibchen. (Ebd.) Die Autoren führen das größere home range der Männchen auf das polygame
Familiensystem zurück. Die Weibchen leben einzeln oder in kleinen Gruppen und die Männchen,
deren home range mehrere home range von verschiedenen Weibchen umfassen kann, wandern zwischen den Weibchen hin und her. Dies führt auch dazu, dass sie häufiger und weiter wandern als die
Weibchen. (Ebd.)
EHRLICH (1966) gibt an, dass Mütter, wenn ihre Jungen nicht mehr gesäugt werden, normalerweise
in neue Vegetationsbestände ziehen, wohin die Jungen ihnen nicht folgen. Er ist allerdings der einzige Autor, der diese Verhaltensweise beschreibt.
Mobilität
Normalerweise scheint die Nutria keine weiteren Distanzen zurückzulegen, jedoch gibt es vereinzelt
auch andere Angaben. LE BLANC (1994) berichtet, dass in seinen Untersuchungen die täglich zurückgelegten Distanzen weniger als 183 m betrugen. Nutrias bleiben auch immer in der Nähe eines
Gewässers. Für Argentinien geben D'ADAMO ET AL. (2000) an, dass Nutrias sich nicht weiter als 10
m von dem Teich, an dem sie lebten, entfernt haben. Sie besuchten auch nicht die Weide mit Lolium sp., die etwa 30 m vom Teich entfernt war. Gegenteiliges berichten EHRLICH UND JEDYNAK (1962)
über Nutrias in Polen, die sie dabei beobachteten, wie sie bis zu 1 km auf einer Wiese ins Land hinein liefen. Sogar die Tiere, die jünger als einen Monat waren, liefen mehr als 200 m, um die Wiesen
zu erreichen (ebd.). DONCASTER UND MICOL (1989) behaupten hingegen ebenfalls, dass Nutrias dicht
am Ufer bleiben, Männchen sich allerdings weiter entfernen als Weibchen. REGGIANI ET AL. (1993)
berichten von Nutrias am Tiber, dass sie nie weiter als 100 m vom Flussufer entfernt vorkommen.
Nutrias sind so standorttreu, dass sie auch Nachteile hinnehmen, um in ihrer gewohnten Umgebung
zu bleiben. WALTHER (1940) berichtet, dass ausgebrochene Tiere sogar versuchten, wieder ins Gehege hineinzukommen. EHRLICH (1969) führte Untersuchungen an freigelassenen Nutrias am AgrasStausee in Griechenland durch. Dort beobachtete er, dass sie an einem Standort blieben, der für sie
ungünstige Bedingungen aufwies. Dies ging soweit, dass die Tiere sich in der Nähe einer belebten
Straße aufhielten und tägliche Störungen durch eine vorbeiziehende Schafherde und Hunde hinnahmen. Wenn die Tiere ihren Standort verlassen mussten, weil der See zufror, kehrten sie im Frühling
immer wieder zurück, auch wenn es andere Standorte mit günstigeren Bedingungen an dem See
gab. Die Tiere konzentrierten sich so stark, dass das Habitat Zeichen von Übervölkerung zeigte, wie
die vollständige Zerstörung der Futter- und Schutzpflanzen. Der Autor gibt als mögliche Erklärung
für dieses Verhalten die Herkunft der Tiere aus einem Betrieb mit Gehegehaltung an (ebd.).
In einem weiteren Versuch von EHRLICH (1962), in dem man Nutrias an eingezäunten Teichen aus12
setzte und ein Tor im Zaun öffnete, verließ zunächst kein Tier die Umzäunung. Als sie dann gefangen und ausgesetzt wurden, kehrten die Tiere zunächst wieder in die Umzäunung zurück. Erst nach
und nach steigerte sich die Anzahl derer, die freiwillig den Zaun verließen (ebd.).
Es gibt allerdings auch Berichte, dass Nutrias weitere Strecken, zumindest über einen längeren Zeitraum betrachtet, wandern. So berichtet MEYER (2001), der eine Nutriapopulation an der Saale in und
um Saalfeld (Thüringen) untersucht hat, dass von 140 Wiederfunden fast ein Drittel der Tiere mindestens Entfernungen von 200 m zurückgelegt hatte. Das Maximum, das ein erwachsenes Männchen gewandert war, war eine Distanz von 41 km in 305 Tagen (ebd.). Allerdings scheint dies ein
Einzelfall zu sein, jedenfalls ist in der mir bekannten Literatur keine ähnliche Angabe zu finden.
Die durchschnittlichen Entfernungen betrugen nach MEYER (2001) für 40 Tiere 1,4 km in 124,7 Tagen, mit einem Minimum von 0,2 km in 2 Tagen und einem Maximum (abgesehen von dem eben
erwähnten Männchen) von 12 km in 393 Tagen. MEYER (2001) wies auch nach, dass einzelne Tiere
entlang kleinerer Bergbäche bis auf die Höhenlagen des Thüringer Schiefergebirges gelangten und
sich somit mehr als 5 km von der Saale entfernten. Generell konnte der Autor keine signifikanten
Unterschiede beim Wanderverhalten zwischen Männchen und Weibchen feststellen.
GOSLING UND BAKER (1996) berichten von 61 Männchen und 36 Weibchen, die mehr als 6 Monate beobachtet wurden. Davon legten über 25% der Männchen, allerdings nur 6 % der Weibchen, Entfernungen von mehr als 4 km zurück. Der höchste Wert lag bei 9 km für ein Männchen und bei 7 km
für ein Weibchen.
Die Werte aus den unterschiedlichen Quellen zeigen insgesamt, dass Nutrias, auch wenn einzelne
Tiere weiter wandern, nicht weit von ihrem Standort fortbewegen.
3.8 Fortpflanzung
Zunächst werden allgemeine Informationen über die Fortpflanzung der Nutria gegeben, nämlich
über die Geschlechtsreife, die Reproduktionsphase und die Wurfgröße. Dann werden noch ausführlich die Aborte der Weibchen beschrieben, da diese bedeutsam für das spätere Gelingen der Invasion sind (s. Kap. 6). Zum Schluss wird noch die Entwicklung der Jungen dargestellt.
Geschlechtsreife
Die Geschlechtsreife tritt, je nach Umweltbedingungen, mit drei bis fünfzehn Monaten ein, wobei
letzteres bei weiblichen Tieren in Käfighaltung beobachtet wurde (EHRLICH 1966). EHRLICH (1966)
berichtet, dass die Geschlechtsreife am schnellsten bei Tieren erreicht ist, die in Kolonien in großen
13
Teichen oder Sümpfen leben. Nach GOSLING ET AL. (1981) sind weibliche Nutrias früher geschlechtsreif als männliche. Es gibt aber auch andere Aussagen. So erreichen nach WILLNER ET AL. (1979) in
Maryland sowohl männliche als auch weibliche Nutrias die Geschlechtsreife mit ca. 6 Monaten.
Nutrias können fortpflanzungsfähig sein, obwohl sie noch nicht ausgewachsen sind. So gibt NEWSON
(1966) für England ein Körpergewicht von 1,5 – 2,5 kg für den Zeitpunkt der Geschlechtsreife an.
Dies erreichen Tiere, die im Sommer geboren werden, mit durchschnittlich 3-4 Monaten und Tiere,
die im Herbst geboren werden, mit durchschnittlich 6-7 Monaten (ebd.). GUICHÓN ET AL. (2003) geben für Argentinien eine Geschlechtsreife mit 8-11 Monaten für Männchen und 5-10 Monaten für
Weibchen an.
Reproduktionsphase
Der Reproduktionszyklus der Nutria ist polyöstrisch (STUBBE 1982). Nutrias pflanzen sich das ganze
Jahr über fort, allerdings werden hierbei Schwerpunkte beobachtet, die auf klimatische Gegebenheiten zurückzuführen sind. Reproduktionsschwerpunkte liegen nach LEBLANC (1994) im späten Winter, im frühen Sommer und im Herbst. REGGIANI ET AL. (1993) beobachteten in Italien, dass nach kalten Wintern die Anzahl der nichtträchtigen Weibchen in einem Jahr bei 88 % und im nächsten Jahr
bei 55 % lag. Die klimatischen Bedingungen wirken sich auch insofern auf die Reproduktion aus,
als dass anhaltende Kälte- und Hitzeperioden die Brunst der Weibchen und die Decklust der Männchen beeinträchtigen (WENZEL 1990).
Die Brunst (Oestrus) dauert ein bis drei Tage und tritt, wenn ein Weibchen nicht gedeckt wird, nach
3 bis 19 Tagen wieder ein (WENZEL 1985). Die Paarung findet im oder außerhalb vom Wasser statt
(STUBBE 1982).
Die Trächtigkeitsdauer beträgt im Mittel 128 bis 135 Tage, kann aber zwischen 110 und 155 Tagen
schwanken, wobei kleinere Würfe länger getragen werden als große (WENZEL 1985).
Nutrias haben einen post-natalen Oestrus (GOSLING & BAKER 1996). NEWSON (1966) berichtet, dass
78 % aller von ihm untersuchten säugenden Weibchen bereits wieder tragend waren.
Wurfgröße
Die Wurfgröße hängt vom Alter der Weibchen und von den Umweltbedingungen ab und liegt in der
Regel zwischen 1 und 9 Jungen. NEWSON (1966) gibt für Nutrias in England als durchschnittliche
Wurfgröße nach dem Winter mit 4,97 Jungen im April an und ein Maximum mit durchschnittlich
6,76 Jungen im Juli. Nach WENZEL (1985) liegt der Richtwert für erstgebärende Weibchen bei 4 und
für spätere Würfe bei 5,5 Jungen. Dass die Wurfgröße mit dem Alter der Weibchen korreliert und
erste Würfe wesentlich kleiner sind als spätere, berichten auch WILLNER ET AL. (1979) und NEWSON
(1966). Die ältesten von WILLNER ET AL. (1979) untersuchten Weibchen waren 3 Jahre alt und hatten
die größten Würfe. ZALBA ET AL. (2001) geben für Südargentinien eine durchschnittliche Wurfgröße
14
von nur 2,09 Jungtieren an, was sie mit den Umweltbedingungen erklären, da die Untersuchungen
im für die Tiere südlichsten Verbreitungsgebiet durchgeführt wurden. WILLNER ET AL. (1979) berechneten, dass die Weibchen in Maryland im Schnitt 8-10 Junge pro Jahr bekommen. In dieser Rechnung wurden sowohl Aborte als auch nichtträchtige Weibchen (35 % aller Weibchen) berücksichtigt. Zwischen dem Monat des Werfens und der Wurfgröße, gibt es nach WILLNER ET AL. (1979) keine signifikante Beziehung, wobei in dieser Rechnung nur Würfe mit mindestens einem lebensfähigen Embryo betrachtet und Aborte nicht einbezogen wurden. Würden diese mit berechnet, ergäbe
sich ein Absinken der mittleren Wurfgröße im Winter (Dezember und Januar) (ebd.).
Aborte
Nach EHRLICH (1966) liegt die Anzahl von Embryos im Uterus, wenn sie die Größe einer Bohne haben, bei 12-20, meistens zwischen 16 bis 18 Embryos. Die Anzahl der lebendigen Jungen im Wurf
ist allerdings wesentlich geringer und liegt bei 1-9. Der Autor folgert daraus, dass das Absterben
von Embryos ein normaler Prozess sei. (EHRLICH 1966) Dass oft einige der Embryos sterben, berichtet auch NEWSON (1966). Er gibt die Anzahl der toten Embryos in Würfen, in denen außerdem gesunde und lebendige Embryos vorkommen, mit eins bis sechs an, die oft im unterschiedlichen Alter
gestorben sind. Dabei nimmt die Anzahl der toten Embryos mit der Wurfgröße zu (ebd.). Insgesamt
schätzt NEWSON (1966) die embryonalen Verluste auf 50-60 %. WILLNER ET AL. (1979) geben an, dass
während ihrer Studie 9,8 % der Embryos resorbiert wurden. Die höchste Anzahl lag im Dezember
und Januar (fast 50 % aller Embryos im Januar 1977) nach einem sehr kalten Winter, was die Autoren daher auf die schlechten klimatischen Bedingungen zurückführen. Generell ist also die embryonale Sterblichkeit verhältnismäßig hoch. Ursachen dafür gibt es mehrere. REGGIANI ET AL. (1993) vermuten, dass Nutrias fast ganzjährig trächtig sind, und Würfe abortieren, wenn die Umweltbedingungen nicht günstig sind. Ein Auslöser hierfür könnte sein, dass aufgrund des Verbrauchs von Fettreserven bei kaltem Wetter und fehlendem Nachschub an Nahrung die Konzentration eines oder mehrerer Nährstoffe im Blut des Weibchens einen kritischen Punkt unterschreitet (GOSLING 1981).
Als eine andere Ursache für die Aborte gibt GOSLING (1986) die aktive Beeinflussung des Geschlechterverhältnisses durch die Weibchen an. So stellte der Autor in einer zwölf Jahre dauernden
Untersuchung fest, dass junge Weibchen mit einer guten Verfassung, die im Sommer werfen sollten, kleine und vorwiegend weibliche Würfe um die 13.-14. Trächtigkeitswoche abortierten. Große
und kleine, vorwiegend männliche, Würfe wurden ausgetragen. Nach dem Abort wurden die Weibchen schnell wieder neu trächtig und die Würfe waren signifikant größer (5,82 ± 2,07 anstelle von
4,17 ± 1,74). Eine Erklärung für dieses Verhalten ist, dass die Körpergröße der Jungtiere positiv mit
der Konstitution der Weibchen korreliert ist (ebd.). Die Weibchen versuchen vorwiegend große
männliche Nachkommen zu produzieren, da diese in einem polygamen Familiensystem benötigt
werden, um folgende Würfe zu sichern. TRIVERS UND WILLARD (zit. n. GOSLING 1986) argumentieren,
dass überdurchschnittlich große männliche Nachkommen größere Chancen haben sich fortzupflanzen, da sie überdurchschnittlich konkurrenzfähig sind. Die Aborte erfolgen also deshalb, weil die
kräftigen Weibchen versuchen, Reserven zu sparen, die ihnen in den letzten Wochen der Trächtig15
keit und der Säugezeit verloren gehen würden, und diese statt dessen in größere, bzw. männlich dominierte Würfe zu investieren (GOSLING 1986).
Entwicklung der Jungen
Die Jungtiere kommen fast fertig entwickelt zur Welt. Sie können sehen, sind behaart, haben Nagezähne und zwei Backenzähne. Sie sind in der Lage zu laufen und zu schwimmen und besitzen Reflexe wie das Verstecken bei Gefahr und das Zurückfinden zur Mutter (EHRLICH 1969). Die Jungen
haben nach NEWSON (1966) in England ein durchschnittliches Gewicht von 225 g, bei Variationen
zwischen 175 und 332 g. Die männlichen Jungtiere sind nach WENZEL (1985) schwerer als die weiblichen (Männchen 216 g, Weibchen 198 g). Die Jungen können sofort feste Nahrung zu sich nehmen und bereits nach fünf Tagen ohne die Mutter überleben (NEWSON UNVERÖFFENTLICHT, zit. nach
NEWSON 1966), jedoch werden sie unter normalen Umständen bis zu acht Wochen gesäugt (NEWSON
1966).
Nach WENZEL (1985) haben die Jungtiere nach 16 Tagen ihre Geburtsmasse verdoppelt. Zwischen
der vierten und achten Lebenswoche verläuft die Körpermassezunahme langsam und steigt dann
zwischen dem dritten und fünften Monat wieder stärker an (ebd.).
3.9 Populationsstruktur
Über die Populationsstruktur der Nutria gibt es teilweise widersprüchliche Aussagen von verschiedenen Autoren. Sie verwenden sowohl unterschiedliche Begriffe als auch verschiedene Beobachtungsmethoden. In der Regel wird der Begriff "Kolonie" in gleicher Bedeutung verwendet wie der
Begriff "Population". Eine Kolonie oder Population kann aus mehreren Gruppen bestehen. Jeder
dieser Untereinheiten gehört eine gewisse Anzahl an Individuen an, die zu einem Familienverband
gehören können, aber nicht müssen. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Beobachtungen
dargestellt und zum Teil diskutiert.
Familiensystem
Nach WENZEL (1985) und WALTHER (1940) leben Nutrias in monogamen Kleinfamilien. Diese beiden
Autoren sind allerdings die einzigen, die dies behaupten. Es wird nicht deutlich, woher sie diese Information beziehen, da sie sich nicht mit freilebenden Nutrias, sondern nur mit Käfigtieren beschäftigt haben. Daher ist diese Aussage zu hinterfragen. Alle Autoren, die Beobachtungen im Freiland
durchführten, sprechen von polygamen Familiensystemen. REGGIANI ET AL. (1993) berichten, dass die
Weibchen alleine oder in kleinen Familiengruppen leben. GOSLING UND BAKER (1989b) und GOSLING
16
(1986) zufolge bleiben Töchter oft bei ihren Müttern. Die Männchen versuchen, mehrere Weibchen
für sich zu beanspruchen (REGGIANI ET AL. 1993). Sie besitzen aufgrund dieser Lebensweise ein größeres home range als Weibchen und wandern schneller und weiter als diese (s. Kapitel 3.7). Nach
GOSLING UND BAKER (1989b) überlappen die home ranges der Männchen entweder die einer Gruppe
von Weibchen, oder, bei einer geringeren Dichte, die home ranges von mehreren isolierten Weibchen.
Geschlechterverhältnis
Da Nutrias in polygamen Familiensystemen leben, könnte man vermuten, dass mehr Weibchen als
Männchen geboren werden. Das Geschlechterverhältnis in den Populationen der Nutria variiert je
nach Alter der Tiere. Es scheint eine generelle Tendenz zu geben, dass mehr männliche Tiere geboren werden (s. Kapitel 3.8), bei erwachsenen Tieren ist jedoch der Anteil der adulten Weibchen höher, wie GOSLING ET AL. (1981) feststellten. Die Autoren fanden heraus, dass die Anzahl der männlichen Jungtiere zum Teil bis zu vier mal höher ist als die Anzahl der weiblichen. Einen höheren Anteil an männlichen Jungtieren gibt auch WENZEL (1985) an (vgl. Kap. 3.8). Jedoch gibt es auch Untersuchungen, die diesen Ergebnissen widersprechen. Nach REGGIANI ET AL. (1995) lag das Geschlechterverhältnis bei Nutrias in Italien nie signifikant anders als bei 1:1. Für gefangene adulte
Nutrias in Maryland lag das Verhältnis sogar bei 111 Männchen pro 100 Weibchen, während die fötale Geschlechterverteilung bei 80 Männchen pro 100 Weibchen lag (WILLNER ET AL. 1979). Als
mögliche Ursache hierfür geben die Autoren an, dass entweder die Weibchen mobiler sind oder
dass Männchen leichter zu jagen sind und daher mehr Männchen gefangen wurden. Letzteres berichten auch andere Autoren. So liegt nach GOSLING UND BAKER (1989 b) die Ursache für ein höheres
Vorkommen an adulten Weibchen darin, dass die Mortalität durch Jagd und kalte Winter bei männlichen Tieren höher ist. Dies sei auf die größeren Reviere der Männchen zurückzuführen, die somit
durch Wanderungen stärker der Jagd und der Kälte ausgesetzt sind (ebd.).
Gruppenbildung
In der Literatur wird immer wieder von einer Gruppenbildung innerhalb von größeren Populationen
(Kolonien) berichtet. EHRLICH (1969) beobachtete eine Gruppengröße von durchschnittlich drei Tieren, während GUICHÓN ET AL. (2003) eine höhere Anzahl an Individuen pro Gruppe angeben. Letztere
definierten Gruppen danach, dass sie gemeinsam eine Gruppe von Bauen nutzten. Hierbei handelt
es sich um Baue, deren Öffnungen weniger als fünf Meter voneinander entfernt sind (ebd.) Die Autoren definierten ebenfalls „Nebengruppen“ (subgroups), die eigentlich ein bestimmtes Cluster nutzen, also einer Gruppe angehören, sich aber gelegentlich auch in einer anderen Gruppe und deren
Bauen aufhielten. Die Gruppen bestanden im Mittel aus 11 ± 1, 5 Tieren (Spanne von 3-25). Die
durchschnittliche Zusammensetzung bestand aus 5 ± 1 Juvenilen, aus 0,9 ± 0,3 subadulten und aus
3,2 ± 0,4 adulten Weibchen, aus 0,6 ± 0,2 subadulten und aus 1,9 ± 0,3 adulten Männchen. Drei von
sieben Gruppen besaßen Nebengruppen, die zu über der Hälfte aus Jungtieren bestanden, und ein
17
Drittel waren kleine adulte Männchen (Körpergewicht <4 kg). Von 15 Fällen, in denen zwei adulte
Männchen in einer Gruppe vorkamen, war in 14 ein Männchen signifikant größer als das andere.
(GUICHÓN ET AL. 2003)
EHRLICH (1969) beobachtete, dass sich innerhalb einer Nutriapopulation Wurfgemeinschaften bildeten, in denen sich die Jungtiere frei bewegen konnten, jedoch eine gewisse Distanz von Weibchen
und fremden Jungtieren bestand. Ähnliches stellten GUICHÓN ET AL. (2003) bei einer Population in
Argentinien fest. Dort beobachteten sie sechs adulte und subadulte Weibchen mit mehreren Jungtieren, die sich in einem Nest aufhielten. Die beiden größten Weibchen kümmerten sich um die Jungtiere und säugten diese, es war in diesem Fall aber offensichtlich keine Distanz zu fremden Jungen
zu beobachten. (Ebd.)
Populationsdichte
Die Populationsdichte variiert stark, je nach Jahreszeit und Lebensraum (s. Tab. 1). DONCASTER UND
MICOL (1989) schätzen, dass die Anzahl an Tieren, die sich ein durchschnittliches home range einer
erwachsenen Nutria teilen (3,82 ha), bei 10 Tieren im Frühling und 30 Tieren im Herbst liegt.
Tabelle 1: Verschiedene Populationsdichten der Nutria, sowie Ort und Zeit der Schätzungen
Dichte (Anzahl/ ha)
Ort
Monat, Jahr
Autor
4,27
Frankreich
November 1986
DONCASTER & MICOL 1989
0,5-21,4
Maryland, USA
1975-1977
WILLNER ET AL. 1979
0,72-3,65
Italien
Juli 1989/November 1990
REGGIANI ET AL. 1995
10,5
Argentinien
o.A.
D'ADAMO ET AL. 2000
47,1*
Griechenland
o.A.
EHRLICH 1969
24
Louisiana, USA
1977
LINSCOMBE ET AL. 1981
*Der Autor führte Untersuchungen zur Siedlungsdichte durch und lockte die Nutria zum Teil mit Futter an. Er vermutet,
dass bei gleichbleibenden Bedingungen die Siedlungsdichte auf bis zu 163 Tiere/ ha ansteigen kann (EHRLICH 1969,
106).
Regulierende und fördernde Faktoren
Die Populationsgröße und -struktur kann zum einen durch externe Faktoren reguliert werden, zum
anderen findet eine Regulation auch durch interne Mechanismen statt, die z. B. auf Rangordnung,
Ausbreitungsintensität und Fortpflanzungsverhalten basieren (EHRLICH 1969).
EHRLICH (1969) ist der Auffassung, dass die Veränderungen der Individuendichte sowie der Aufund Abbau von Ballungsräumen entscheidende Faktoren der Selbstregulation der Population sind.
Eine Verringerung der Konzentration von Tieren führt zu einer Verringerung der Vermehrungsrate
(EHRLICH 1966; 1969). So fördern Ballungszentren zunächst die Vermehrung. Tritt allerdings eine
18
Übervölkerung ein, wird die Fortpflanzung gehemmt, bis sich die Ballungszentren an neue Standorte verlagern (EHRLICH 1969). Somit wirkt die ständige Schwankung zwischen Wachstumsförderung und Wachstumshemmung, bedingt durch den Trieb zur Konzentration, selbstregulierend
(ebd.). EHRLICH (1966) beobachtete, dass dann, wenn lediglich wenige Nutrias ausbrachen und sich
in Sümpfen oder Teichen ansiedelten, sie sich passiv verhielten und keine Nester bauten. Wurden
hingegen Gruppen von 10-50 Tieren ausgesetzt, so fingen sie an, Nester zu bauen. Setzte man viele
Weibchen aus, so bauten sie in der ersten Nacht bereits mehr als ein Nest pro Tier (ebd). Ferner beobachtete EHRLICH (1966), dass die Reproduktion mit dem Nestbau korreliert ist. Trächtigkeit stimuliert den Nestbau und dieser stimuliert die Reproduktion (ebd.). Er stellte fest, dass hochträchtige
Weibchen in die am dichtesten besiedelten Standorte umzogen, was er damit erklärte, dass sie dort
den Schutz der Gemeinschaft suchten. EHRLICH (1969) beobachtete außerdem, dass der Verbiss der
Vegetation sich nicht negativ auf das Populationswachstum auswirkte, solange neue besiedelbare
Standorte zur Verfügung standen.
Populationswachstum
Nutriapopulationen können sich in sehr kurzer Zeit vervielfachen. EHRLICH (1962) gibt an, dass in
einem eingezäunten Gebiet, das mit 1000 Nutrias besetzt wurde, innerhalb von einem Jahr die Anzahl auf 5000 Tiere angestiegen war. In einem anderen Versuch, in dem 500 Tiere ausgesetzt worden waren, wurden innerhalb von sechs Monaten 300 Nutrias geboren (ebd.). Im Sommer und
Herbst ist das Wachstum einer Nutriapopulation am höchsten (REGGIANI ET AL. 1993).
Territorialität
Nutriapopulationen sind zum einen territorial und zum anderen nach Rangordnung (Dominanz)
strukturiert (EHRLICH 1966). Die territoriale Struktur besteht in einer Aufteilung der Population in
Gruppen, denen eine variierende Anzahl an Individuen angehört. Jede dieser Gruppen besitzt ihr eigenes Territorium, das verteidigt wird. Lediglich einige Männchen wandern in das Territorium anderer Kolonien (ebd.).
Eine solche enge Bindung von Gruppen an ein Territorium beobachteten auch GUICHÓN ET AL. (2003)
bei einer Nutriapopulation in Argentinien: Es gab nur wenige Wanderungen von Individuen zwischen den einzelnen Gruppen. Lediglich subadulte Weibchen und Männchen wechselten von einer
Gruppe in die andere.
Rangordnung
EHRLICH (1969) beobachtete, dass in Kolonien Mutter- und Jungtiere eine Vorrangstellung gegenüber erwachsenen Einzelgängern haben. Der Autor legte Futtertische für die Nutrias an und beobachtete dort ihr Rangordnungsverhalten. Erwachsene Einzelgänger blieben im Wasser, wenn Jung19
tiere fraßen, unabhängig davon, ob die Mutter dabei war oder nicht (ebd.). Dieses Verhalten stellte
EHRLICH (1969) jedoch nur in Ballungszentren fest. Außerhalb dieser Gebiete ordneten sich die
Jungtiere den Erwachsenen unter, hier dominierten die Einzeltiere. Er beobachtete, dass Nutrias ihre
Reviergrenzen frei überschreiten konnten. Allerdings fand dabei eine Umkehrung der Rangordnung
statt. Eine Rückkehr an den ehemaligen Standort stellte die vorherige Rangordnung wieder her
(ebd.).
Trächtige Weibchen (EHRLICH 1966) und die größten Männchen sind in der Regel die dominanten
Tiere einer Gruppe, wobei letztere tolerant auf kleinere Weibchen und Männchen reagieren
(GUICHÓN ET AL. 2003). Die Rangordnungen werden nach EHRLICH (1969) durch Ereignisse wie eine
ungünstige Witterung (kalte Winde, zugefrorener See) abgebaut, da dann die Tiere die Gemeinschaft suchen.
Diskussion der unterschiedlichen Beobachtungen
Die unterschiedlichen Beobachtungen bezüglich der Populationsstruktur der Tiere (Gruppenbildung, einzeln lebende Tiere, ein Männchen, das mehrere Weibchen beansprucht) scheinen mit unterschiedlichen Dichten der untersuchten Populationen zusammenzuhängen. Die von EHRLICH
(1969) untersuchte Population, bei der Gruppenbildung innerhalb einer Kolonie beobachtet wurde,
hatte eine sehr hohe Dichte von bis zu 47,1 Tiere pro ha (s. Tab. 1). In anderen Gebieten mit wesentlich geringerer Dichte konnte keine Gruppenbildung beobachtet werden. Auswirkungen auf die
Beobachtungen haben sicherlich auch die Beobachtungsmethoden. Während Ehrlich viele Untersuchungen mit Tieren in Freilandhaltung (mit Einzäunung) oder Auswilderungsversuchen durchführte, handelt es sich bei den von den anderen Autoren untersuchten Nutrias immer um freilebende
Tiere und das zum Teil seit mehreren Generationen. Dennoch decken sich die Angaben von EHRLICH
(1969) im wesentlichen mit denen von GUICHÓN ET AL. (2003), die Untersuchungen im Heimatgebiet
der Tiere durchführten. Möglich wäre daher auch, dass es keine einheitliche Verhaltensweise der
Tiere im Hinblick auf die Bildung von Gruppen gibt, sondern diese immer von den äußeren Gegebenheiten, der Populationsgröße und dem Geschlecht und Alter der Tiere oder der „Verhaltenstradition“ einer Gruppe von Tieren abhängt.
3.10 Krankheiten und Mortalität
Zunächst wird auf die Mortalität durch Kälte ausführlich eingegangen, da sie ein wesentlicher die
Ausbreitung der Art limitierender Faktor ist (s. Kap. 6). Dann werden durch Parasiten und anders
hervorgerufene Krankheiten der Nutria ausführlich beschrieben, auch, weil diese auf andere Tierarten und Menschen übertragen werden können und somit für die Analyse möglicher ökologischer
Auswirkungen der Nutria relevant sind.
20
Die Lebenserwartung der Nutria liegt in freier Wildbahn bei höchstens drei Jahren, während die
Tiere in Gefangenschaft 15-20 Jahre alt werden können (LEBLANC 1994). Ursachen für die Mortalität können je nach Lebensraum Kälte, Wasserspiegeländerungen, Verkehrsunfälle, Vergiftungen,
Parasiten (Infektionskrankheiten), Verhungern, Prädation und Jagd sein (LEBLANC 1994, MARTINO ET
AL. 2007). Nach LEBLANC (1994) liegt die jährliche Mortalitätsrate zwischen 60 und 80 Prozent.
Kälte
Frost ist ein Faktor, der sehr hohe Mortalitätsraten mit sich bringt. NEWSON (1966) berichtet, dass in
England in dem strengen Winter 1962/63 vermutlich 80 % der gesamten Nutriapopulation vernichtet wurden, GOSLING UND BAKER (1989a) schätzen den Verlust sogar auf 90 %. Eben so hohe Werte
für Populationseinbrüche durch Kälte (90 %) geben WILLNER ET AL. (1979) für den Winter 1976/77
in Maryland an. In Deutschland waren im Winter 1962/63 zum Teil hohe Populationseinbußen
durch Kälte zu verzeichnen. MÜLLER-USING (1965) berichtet, dass in Hessen ein Bestand, der im Jahr
1959 300 Tiere umfasste, bis zum Sommer 1964 vollkommen ausgestorben war. In Frankreich wurden im Winter 1986/87 hohe Verluste (71 %) beobachtet (DONCASTER & MICOL 1990).
GOSLING UND BAKER (1989a) schätzen, dass in England die Jagd und kalte Winter zusammen 82 %
der Schwankung von Nutriabestandszahlen ausmachen. Die Populationen erfahren Einbußen, weil
zum einen die Mortalitäts- und Abortrate ansteigt und zum anderen die Geburtenrate und die Überlebenswahrscheinlichkeit der Jungtiere drastisch sinkt. Hohe Verluste in allen Altersklassen gibt es
nur in sehr strengen Wintern, während eine niedrigere Geburtenrate und eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit der Jungtiere generell im Winter auftreten (GOSLING & BAKER 1989a). Nach
DONCASTER UND MICOL (1990) erfrieren Nutrias manchmal, weil ihre Schwänze am Eis festfrieren. In
anderen Fällen verlieren sie Körperteile durch Frost oder erleiden Erfrierungen an den Gliedmaßen,
ohne daran zu sterben. Die Autoren fanden auch erfrorene Nutrias in ihren Bauen, was zeigt, dass
der Aufenthalt in diesen nicht unbedingt das Überleben sichert. Zahlreiche andere Autoren berichten ebenfalls von Erfrierungen an den Gliedmaßen nach kalten Wintern (MÜLLER-USING 1965,
WILLNER ET AL. 1979) Selbst im mediterranen Raum können extreme Winter zu Einbrüchen in den
Nutriapopulationen führen (REGGIANI ET AL. 1993).
Hinzu kommt, dass Nutrias unter dem Nahrungsengpass in der kalten Jahreszeit leiden. DONCASTER
UND MICOL (1990) beobachteten, dass sie im Winter an Gewicht verloren und WILLNER ET AL. (1979)
kamen zu dem Ergebnis, dass ihre körperliche Verfassung signifikant mit frostfreien Tagen und der
Temperatur korreliert ist. EHRLICH UND JEDYNAK (1962) berichten, dass die Tiere in Polen im Winter
unter der Schneedecke weder Futter noch Zuflucht fanden und viele verhungerten. Durch den gefrorenen Boden können sie nicht mehr Rhizome und Wurzeln, ihre Hauptnahrungsquelle im Winter
(ELLIS 1963), ausgraben und leiden so unter Nährstoffmangel. Gleichzeitig benötigen sie aber mehr
Energie, um die Kälte auszugleichen. Dies führt zu einem erhöhten Fettverbrauch während des
Winters (vgl. GOSLING 1981) bei sinkendem Nahrungsangebot, worunter insbesondere die Jungtiere
leiden (GOSLING & BAKER 1996).
21
Parasiten- und anders hervorgerufene Krankheiten
Im Folgenden wird lediglich auf Infektionskrankheiten und andere parasitäre Erkrankungen näher
eingegangen, da diese für die ökologischen Auswirkungen und auch für den Invasionserfolg der
Nutria von Bedeutung sein können.
In Argentinien stellten MARTINO ET AL. (2007) folgende bakterielle Infektionskrankheiten fest: Infektionen, die durch Streptococcus zooepidemicus hervorgerufen werden (und auch in Kombination
mit Klebsiella pneumoniae and Staphylococcus aureus vorgekommen sind), Pseudotuberkulose
(auch Rodentiose genannt, WENZEL 1985), die durch Yersenia pseudotuberculosis hervorgerufen
wird, Eneritis durch Escherichia coli, Clostridium perfringens oder Salmonella spp. ausgelöst,
Milzbrand und Nephritis, wobei letztere durch Leptospira sp. und Pseudomonas aeruginosa verursacht wird. Vereinzelt kamen Septikämie durch Pasteurella multiocida, Peritonitis durch Actinomyces pyogenes hervorgerufen, Myokarditis durch E. coli und eiternde Meningoencephalitis durch
Staphylococcus aureus vor. Fast alle diese Bakterien können auch bei anderen Säugetieren, darunter
auch beim Menschen, schadhafte Wirkungen hervorrufen.
WENZEL (1985, 1990) berichtet auch von Infektionen mit Tuberkulose, was allerdings sehr selten sei.
Leptospirose, die durch den Erreger Leptospira interrogans hervorgerufen wird und auf andere Säugetiere, darunter Menschen, übertragbar ist, kommt bei der Nutria ebenfalls vor (MICHEL ET AL.
2001). In Lousiana wurden Nutrias von HOWERTH ET AL. (1994) positiv auf Antikörper von Toxoplasma gondii, Chlamydia psittaci und Leptospira-Serogruppen getestet.
WENDLAND (1985) untersuchte in der DDR 205 verendete Nutrias aus 13 Farmbeständen zwischen
1978 und 1982. 129 dieser Tiere starben an bakteriell bedingten Infektionskrankheiten (s. Tab. 2)
Tabelle 2: Übersicht über die Anzahl und den Anteil bakteriell bedingter Infektionskrankheiten nach einer Untersuchung von WENDLAND (1985, 31) von 205 verendeten Nutrias aus 13 Farmbeständen in der DDR zwischen 1978 und
1982.
Todesursache
Anzahl (n) Anteil (%)
Salmonella-typhi-murium-Infektionen
48
23,5
Streptokokken-Infektionen
45
21,9
Erysipelothrix-rhusiophathiae-Infektionen
18
8,9
Clostridium-perfringens-Enterotoxämien
5
2,4
Escherichia-coli-Infektionen
4
1,9
Aeromonas-Infektionen
4
1,9
Aktinobazillus-Infektionen
3
1,5
Staphylococcus-aureus-Infektionen
2
0,9
Infektionskrankheiten
129
62,9
Untersuchungen mit negativem bakteriellen Ergebnis
76
37,1
Zahl der untersuchten Tiere
205
100,0
22
Als nicht-bakterielle Parasiten kommen vor allem Kokzidien, Leberegel, Bandwürmer und Rundwürmer vor (WENZEL 1985).
Es können Darmkokzidien, die ausschließlich Parasiten des Dünndarmes sind, auftreten (WENZEL
1985). Ein Befall verläuft bei Jungtieren tödlich (ebd.). LEWIS UND BALL (1984) stellten bei Untersuchungen an freilebenden Nutrias in England fünf verschiedene Arten von Kokzidien der Gattung
Eimeria fest: Eimeria myopotami, E. nutriae, E. coypi, E. seideli und E. fluviatilis n. sp. (ebd.).
Der Große Leberegel (Fasciola hepatica) kommt häufig vor, während der Kleine Leberegel (Dicrocoelium lanceolatum) nur gelegentlich auftritt (WENZEL 1985).
Bandwürmer, die bei der Nutria vorkommen, sind Hymenolepis octocoronata und eine Anoplocephala-Art, die jedoch nur bei Importtieren festgestellt wurde (WENZEL 1990). Außerdem können
Finnen des Kurzgliedrigen Hundebandwurmes vorkommen (WENZEL 1985).
Nutrias können mit Strongyloides myopotami befallen sein, der zu den Rundwürmern gehört
(WENZEL 1985). Selten kommt der Haarknäulwurm Heligmosomum sprebni vor (WENZEL 1990).
Peitschenwürmer (Trichocephalus myocastoris) werden ab und zu in größeren Mengen festgestellt
(WENZEL 1985). Trichinenbefall (Trichinella spiralis) ist in der Muskulatur von Nutrias in der
Schweiz aufgetreten (ebd.).
Die von MARTINO ET AL. (2007) am häufigsten festgestellten Parasiten des Magen-Darm-Traktes bei
Nutrias in Argentinien waren Strongyloides myopotami, Trichostrongillus retortaeformis und Tricuris myocastoris.
Giardien kommen ebenfalls vor. Bei Untersuchungen von 30 Nutrias in Texas wurden 22 (73 %)
positiv auf Giardia sp. getestet (DUNLAP & THIES 2002).
Als Ektoparasiten treten Zecken, Läuse und Flöhe auf (KINZELBACH 2002).
Prädatoren im engeren Sinne
In Mitteleuropa hat die Nutria, abgesehen vom Fuchs und großen Greifvögeln, die hauptsächlich
Jungtiere jagen (LUDWIG & KOTTER 2001), kaum Prädatoren im engeren Sinne. Es wäre allerdings
möglich, dass die Jungen von Mardern gejagt werden. Da die Nutria in ihrer Heimat auch von Hunden und Hauskatzen gejagt wird (WENZEL 1990) ist davon auszugehen, dass dies auch hier, wenn
auch seltener, der Fall ist. In ihrer Heimat sind außerdem Puma, Mähnenwolf, Jaguar, Adler und
Geier ihre Prädatoren (WENZEL 1990) .
3.11 Verhalten
Die Nutria ist ein Dämmerungstier, kann sich aber in Gefangenschaft oder unter anderen besonderen Umständen daran gewöhnen, tagaktiv zu sein (WALTHER 1940). ZALBA ET AL. (2001) fanden heraus, dass die Aktivität der wildlebenden Nutrias in Argentinien während der Abenddämmerung
23
(18:00-21:00 h) am höchsten ist. Nach REGGIANI ET AL. (1993) gibt es saisonbedingte Unterschiede in
der Aktivität der Tiere. Die Aktivität ist am höchsten zwischen Sommer und Herbst und am niedrigsten zwischen Herbst und Winter sowie Frühling und Sommer (ebd.).
Die meiste Zeit (ca. 80 – 90 %, D'ADAMO ET AL. 2000 beobachteten die Tiere zwischen 6:00 und
23:00 h, GUICHÓN ET AL. 2003 beobachteten sie Tag und Nacht) verbringen Nutrias mit Futtersuche,
die restliche Zeit schwimmen sie, laufen herum, putzen sich oder ruhen sich aus (D'ADAMO ET AL.
2000, GUICHÓN ET AL. 2003). Beim Putzen streichen sie sich immer wieder mit den Vorderpfoten
über das Gesicht, um mit Sekret der Mundwinkeldrüsen ihr Fell einzufetten (STUBBE 1982). Das Fell
wird auch mit Sekret aus der Analdrüse eingerieben, vermutlich als individuelle Duftnote (ebd.).
Die Männchen urinieren, um ihr Revier zu markieren. Dabei heben sie ihr Hinterteil hoch, so dass
sie auf den Vorderpfoten stehen, und spritzen den Urin in wiederholten kurzen Stößen, unter Ausstülpung ihrer Analdrüse, bis zu einem Meter weit aus (sog. Handstandmarkierung, WALTHER 1940;
Abb. 5). Die Tiere markieren sowohl Eingänge von Bauen als auch andere Tiere, sogar andere,
schwächere Männchen (GUICHÓN ET AL. 2003).
Abbildung 5: Handstandmarkierung der Nutria (STUBBE 1982, 626)
24
In der Literatur wird immer wieder berichtet, dass Nutrias sehr leicht zu zähmen seien (EHRLICH
1969, WALTHER 1940). Weibchen, selbst zahme, die Junge haben, können jedoch sehr aggressiv sein
und freilebende Nutrias werden oft schon nach kurzer Zeit scheu (WALTHER 1940).
WALTHER (1940) beobachtete, dass Nutrias (zumindest in Gefangenschaft) teilweise heftig miteinander kämpften, so dass einige sogar Vorderpfoten oder ein Auge verloren. Dabei spielen Alter und
Geschlecht kaum eine Rolle (ebd.) GUICHÓN ET AL. (2003) beobachteten ebenfalls ein aggressives
Verhalten der Nutrias untereinander.
3.12 Spuren
Die Erkennungsmerkmale der Nutria sind zum einen ihre Losung, die bohnenförmig-zylindrisch, 35 cm lang und ca. 1 cm dick ist und im Wasser schwimmt oder an Fraßplätzen liegt. Zum anderen
kann man sie an ihrem Trittsiegel erkennen. (ELLIGER 1997) An den Hinterfüßen befinden sich zwischen der 1. und 4. Zehe Schwimmhäute, die 5. Zehe ist frei (Abb. 6). Die Länge der Hinterfüße beträgt 12 bis 14 cm (STUBBE 1982). Der Abdruck des Hinterfußes mit den Schwimmhäuten ist wesentlich größer als der der Vorderpfoten. (ELLIGER 1997)
Abbildung 6: Trittsiegel der Nutria (aus: DEUTSCHER VERBAND FÜR WASSERWIRTSCHAFT UND KULTURBAU 1997, 13)
Außerdem kann je nach Bodenbeschaffenheit die Schleifspur des Schwanzes erkennbar sein. Entlang des Ufers befinden sich etwa 15 cm breite Ausstiegsstellen mit niedergetretener Vegetation,
die auf die Anwesenheit der Nutria hinweisen. Auch Nagespuren, die paarig und etwa 1,7 cm breit
sind, können die Anwesenheit von Nutrias zeigen. (ELLIGER 1997)
25
3.13 Genetische Veränderungen durch Zucht und Anpassungen an das
Invasionsgebiet
Im folgenden wird diskutiert, ob die in Europa lebenden Nutriapopulationen den in Südamerika lebenden gleichen oder ob Anpassungen phänotypischer oder genotypischer Art stattgefunden haben.
Genetische Anpassungen könnten unter anderem deshalb stattgefunden haben, weil oft nur wenige
Tiere aus der Zucht ausgebrochen und in die Freiheit gelangt sind. Dies kann zu schnellen Veränderungen im Erbmaterial führen („genetische Revolution“, „Gründereffekt“, MAYR 1963, s. auch
EBENHARD 1988, 18). Eine andere Ursache für genetische Unterschiede können züchterische Veränderungen sein, da die Nutrias, die in Europa in die Freiheit gelangten, durch zum Teil jahrzehntelange züchterische Bemühungen verändert sind.
Betrachtet man zunächst das „Ausgangsmaterial“, also die Nutrias, die zur Zucht nach Europa gebracht wurden, so berichtet WALTHER (1940, 113), dass es praktisch keine Auslese, „weder nach der
guten noch nach der schlechten Seite“ (ebd.), der nach Europa gebrachten Tiere gab und auch die,
die schon auf südamerikanischen Farmen lebten, kaum züchterisch in ihrem Erbbestand verändert
waren. Die europäische Zucht begann sozusagen mit Wildbeständen (ebd.).
Bedeutsam für das Überleben in Europa und die Möglichkeit der Etablierung von freilebenden Populationen ist auch die Frage nach den Unterarten, die nach Europa gebracht wurden und nach deren genauen Herkünften. Dies kann Auswirkungen auf die Kälteempfindlichkeit der Tiere haben, da
es Unterarten in warmen Gebieten gibt (die also vermutlich empfindlich auf Kälte reagieren), eine
Unterart aber bis sehr weit in den Süden Südamerikas vorkommt und somit an Kälte gewöhnt ist.
Die Unterart, die (soweit bekannt) am häufigsten in Europa eingebracht wurde, ist M.c. bonariensis
(STUBBE 1982, GOSLING & SKINNER 1984). Ihr natürliches Heimatgebiet liegt in den Subtropen, und
zwar in Nordargentinien, Uruguay, Paraguay und Südbrasilien (STUBBE 1982). Nach GOSLING UND
SKINNER (1984) kann diese Unterart kaltes Wetter nicht vertragen, und wenn sie in temperates Klima
gebracht wird, führt das zu Erfrierungen an den Gliedmaßen und manchmal zu einer hohen Mortalität im Winter, was auch Untersuchungen in Europa und den USA belegen (vgl. Kap. 3.10). Dafür
toleriert sie Salzwasser, und zwar sowohl in Südamerika als auch in Europa (GOSLING & SKINNER
1984).
Die Ziele der Zucht haben zum einen Auswirkungen optischer Art (Fellfarbe und -beschaffenheit)
und zum anderen Auswirkungen auf die Konstitution der Tiere. Folgende Zuchtziele wurden nach
WALTHER (1940, 116 ff.) angestrebt:
„1. Güte des Pelzes,(...)
2. Größe der Tiere und ihre Frohwüchsigkeit,(...)
3. Zahl der Jungen im Wurf und Regelmäßigkeit der Würfe (...)
4. Anspruchslosigkeit an Fütterung und Haltung (...)
5. Verträglichkeit und andere wichtige Charaktereigenschaften (...)
6. Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, Fernhalten aller schädlichen Erbanlagen (...)“
26
Zu Punkt drei gibt er als Kriterien eine große Anzahl von Jungen im Wurf, die Fähigkeit der Mutter,
die Jungen gut aufzuziehen, die Regelmäßigkeit der Trächtigkeit unabhängig von Witterung und
Jahreszeit und eine lange Verwendbarkeit als Zuchttier an (ebd.).
WENZEL (1985) gibt ähnliche Zuchtziele an. Für ihn sind Gesundheit, Widerstandsfähigkeit, Fruchtbarkeit, Aufzuchtleistung (Anzahl der Tiere, die pro Jahr aufgezogen werden), Futteraufnahme und
-verwertung, Frohwüchsigkeit (schnelles, starkes Wachstum) und Anpassungsfähigkeit, die Nachzuchtleistung („Qualität“ der Nachkommen) und die Verträglichkeit der Tiere untereinander von
Bedeutung.
Betrachtet man diese Zuchtziele und geht davon aus, dass die Tiere, die zur Zucht verwendet wurden, nach diesen Kriterien ausgesucht wurden, so bildet die Zucht viele Eigenschaften heraus, die
sich positiv auf eine Etablierung der Nutria in Europa auswirken können. Es ist für die Gründung
freilebender Populationen bedeutsam, wenn die Tiere möglichst widerstandsfähig gegen Krankheiten sind und sich durch eine hohe Fruchtbarkeit auszeichnen. Ebenfalls positiv für freilebende Tiere
ist Anspruchslosigkeit hinsichtlich Fütterung und Haltung, die sie befähigt, in verschiedenen Lebensräumen und unter verschiedenen Verfügbarkeiten von Nahrungspflanzen zu überleben.
Darüber, inwieweit die Zuchtziele verwirklicht wurden, gibt es keine Untersuchungen und Belege.
Lediglich Veränderungen der Fellfarbe sind dokumentiert. WENZEL (1990) nennt elf verschiedene
Farbmutationen, die von drei verschiedenen Weißtönen über beige und braun bis schwarz reichen.
Ebenfalls bedeutsam sind Anpassungen an den neuen Lebensraum. Darüber, ob Änderungen im
Verhalten der Tiere in Europa stattgefunden haben, gibt es nur wenige Aussagen, die oft nicht einmal belegt werden. So behaupten HEIDECKE UND RIECKMANN (1998), dass sich bei den aus der Zucht
ausgebrochenen Nutrias Anpassungen erkennen lassen, da sie sich zunehmend zu „dämmerungsund nachtaktiven Tieren mit höherer Fluchtdistanz“ entwickeln (ebd.). Damit ist vermutlich gemeint, dass die Tiere auswildern und sich wieder ihr für die Art natürliches Verhalten angewöhnen.
Die Tiere verändern sich also nicht gegenüber ihren Artgenossen im Heimatgebiet, sondern gegenüber den Tieren in Gefangenschaft. MEYER (2001) fand jedoch heraus, dass Tiere im Stadtgebiet von
Saalfeld (Thüringen) andere Aktivitätsmuster als ihre Artgenossen im Heimatgebiet haben und
tagaktiv werden oder bleiben, da sie so die Futtergaben von Spaziergängern und Anwohnern besser
nutzen können, obwohl sie in Südamerika ursprünglich nachtaktiv sind. Dieses Beispiel zeigt, dass
es sich bei der Nutria um ein sehr anpassungsfähiges Tier handelt, das für es vorteilhafte Situationen rasch nutzen kann. Eine andere Vermutung über eine Verhaltensänderung der Nutria in den Gebieten außerhalb ihres Heimatareals formulieren D'ADAMO ET AL. (2000). Sie stellten fest, dass die
Nutrias in Argentinien so gut wie nie Feldfrüchte fressen. Berichte aus Nordamerika und Europa
besagen aber, dass sie dies hier häufig täten. Sie vermuten, dass Nutrias in den für sie fremden Gebieten ihre ursprünglichen Futterpflanzen fehlen und sie deshalb Getreide fressen. Das Fressen von
Feldfrüchten sei damit ein Hinweis auf neue ökologische Interaktionen im fremden Gebiet. Allerdings frisst die Nutria auch in Europa vorwiegend andere Vegetation und nur in wenigen Fällen
Feldfrüchte (s. Kap. 3. 4).
27
Die beschriebenen Beispiele zeigen vermutlich keine wirklichen Veränderungen (sei es geno-, sei
es pänotypisch bedingte) im Verhalten, sondern scheinen lediglich auf die (schon im Heimatgebiet
vorhandene und ausgeübte) Fähigkeit hinzuweisen, sich an unterschiedliche Gegebenheiten anzupassen und diese zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Körpergewicht (kg)
GUICHÓN UND DONCASTER ET AL. (2003) fanden dagegen signifikante Unterschiede zwischen Nutrias in
ihrem Heimatareal und im neuen Areal in Europa und Nordamerika. Die Autoren untersuchten das
Wachstum, die Gewichtszunahme sowie die Geschlechtsreife von Populationen in Argentinien und
die Informationen anderer Autoren über das Wachstum, die Gewichtszunahme und die Geschlechtsreife von Populationen in England, Frankreich und den USA. Sie stellten fest, dass die Nutrias im
Heimatgebiet langsamer wachsen, ein niedrigeres Gewicht und eine langsamere Gewichtszunahme
haben (Abb. 7) und dadurch später geschlechtsreif sind als im neuen Gebiet. Das könnte daran liegen, dass die Realisierung des Zuchtziels „Frohwüchsigkeit“ erfolgreich war. Auch wenn dies noch
nicht untersucht wurde, ist wohl davon auszugehen, dass andere Ziele ebenfalls erfolgreich verwirklicht wurden.
Alter (Monate)
Abbildung 7: Verhältnis von Körpergewicht und Alter für Nutria in verschiedenen Ländern (aus GUICHÓN & DONCASTER
ET AL. 2003, 269) Die gestrichelten Linien kennzeichnen einen 95 %-Konfidenzbereich der Werte im Heimatgebiet
28
4. Einwanderung und Ausbreitung
Im folgenden Kapitel werden die Ursachen für die Verwilderung der Tiere in Gebieten außerhalb
ihres Heimatareals genannt und die Geschichte der Einwanderung und Ausbreitung in Deutschland
beschrieben. Dann wird ein Überblick über die derzeitige Verbreitung in Deutschland gegeben.
Zum Abschluss wird die weltweite Verbreitung der Tiere dargestellt und beispielhaft die Ausbreitung in einzelnen Ländern skizziert. Ziel des Kapitels ist es, die Ausbreitung und derzeitige Verbreitung der Nutria darzustellen und für Deutschland einen Überblick über die Schwankungen der Ansiedlungen zu geben. Um ein Verständnis für die Ausbreitung der Nutria zu bekommen, wird zunächst auf das Heimatgebiet und insbesondere auf dessen klimatischen Gegebenheiten eingegangen.
4.1 Herkunft
Kenntnisse über das ursprüngliche Areal der Art sowie dessen klimatische Gegebenheiten stellen
eine Grundlage für die Diskussion für den Invasionserfolg (Kap. 6) und die zukünftige Verbreitung
der Nutria (Kap. 7) dar und werden daher im folgenden beschrieben.
Die Nutria stammt, wie bereits oben in den Kapiteln 2 und 3 kurz erwähnt, aus der subtropischen
und gemäßigten Zone Südamerikas (NIETHAMMER 1963). Über das genaue Verbreitungsgebiet gibt es
unterschiedliche Aussagen. Nach WENZEL (1985) ist sie von Südbrasilen und Paraguay bis nach Patagonien, und zwar auf beiden Seiten der Kordilleren und im Gesamtgebiet von Feuerland, verbreitet, also in Chile und Argentinien, aber auch in Uruguay. Nach OSGOOD (1943) kommt sie außerdem
noch in Bolivien vor. Dies widerspricht den Angaben von STUBBE (1982, 612, s. Abb. 8). Demnach
sind nur noch kleine Gebiete Südamerikas besiedelt und auch ursprünglich waren Gebiete wie Feuerland nicht von Nutrias bewohnt.
Betrachtet man die Klimakarte von Südamerika und vergleicht diese mit der Verbreitung der Nutria
(Abb. 9), so wird deutlich, dass die Nutria sowohl im warmgemäßigten Klima ohne Trockenzeit, als
auch im warmgemäßigten Klima mit trockenem Winter vorkommt. Außerdem lebt sie im Trockenklima, sowohl in semi-ariden als auch in ariden Gebieten. Sie kommt sogar im polaren Klima
von Feuerland vor.
29
Abbildung 8: Das ehemalige und gegenwärtige Areal der Nutria in Südamerika (aus STUBBE 1982, 612). Der
Arealverlust ist kreuzschraffiert (dunkler) dargestellt
Abbildung 9: Lage und Ausprägung verschiedener Klimate in Südamerika (aus MICROSOFT COOPERATION 2008 ©
MICROSOFT CORPORATION.). Das Verbreitungsgebiet der Nutria nach WENZEL (1985) und OSGOOD (1943) ist rot schraffiert
eingezeichnet.
30
Im Zuge der steigenden Bedeutung als Pelztier wurde die Nutria in Südamerika immer stärker bejagt, so dass sie zeitweise in einigen Gebieten sehr selten wurde. Nach WENZEL (1985) erjagte man
um 1900 noch fast zehn Millionen Nutriafelle, während es 1930 nur noch 150.000 bis 200.000 waren. Der Export von lebenden Tieren stieg ebenfalls sehr stark an, so dass 1930 in Argentinien ein
Gesetz zum Schutz der noch freilebenden Nutrias erlassen wurde (ebd.). Bereits 1922 fing man in
Südamerika an, Nutrias in Farmen zu züchten und gleichzeitig Zuchttiere zu exportieren, insbesondere in die USA, die UdSSR und nach Europa (NIETHAMMER 1963).
4.2 Ursachen der Verwilderung außerhalb des Heimatareals
Die Verwilderung von Nutrias in Europa und Nordamerika hat mehrere Ursachen. Zunächst wurden
die Tiere, wie schon beschrieben, zur Gründung von Zuchten nach Europa, Asien, Afrika und Nordamerika gebracht (LEBLANC 1994). Anschließend konnten Tiere aus der Zucht entweichen; teilweise
wurden sie absichtlich freigelassen. Gründe hierfür gab es unterschiedliche. Zum einen erfolgten
Freilassungen, um bejagbare Populationen aufzubauen (KINZELBACH 2002), zum anderen sah die
Binnenwasserwirtschaft im Einsatz von Nutrias ein Mittel zur biologischen Bekämpfung des Schilfwachstums (EHRLICH 1969). Sie wurden daher in Teichwirtschaften, wenngleich illegal, zur Schilfbeseitigung ausgesetzt, was aber nicht immer erfolgreich war (MÜLLER-USING 1965). Ferner wurden
unrentable Bestände freigelassen (ebd). In Südwest-Louisiana konnten Tiere während eines Hurrikans im Jahr 1940 entweichen und so freilebende Bestände aufbauen (FORD & GRACE 1998). In der
Sowjetunion versuchte man die Nutria einzubürgern, was aber nicht überall Erfolg hatte
(NIETHAMMER 1963).
4.3 Geschichte der Einwanderung und Einbürgerung in Deutschland
Die ersten Nutrias in Deutschland waren aus Farmen im Elsass entlaufene Tiere, die zwischen 1880
und 1890 am Oberrhein auftauchten (KINZELBACH 2002). Im Jahr 1926 wurden dann die ersten Nutrias nach Deutschland importiert (NIETHAMMER 1963). Bis zum Kriegsende 1945 gab es einen festen
Züchterkreis, der durchschnittlich 100.000 Felle im Jahr produzierte, wobei die Anzahl produzierter
Felle während des Krieges zurückging. Immer wieder entwichen Nutrias aus der Zucht und bildeten
Kolonien, die jedoch nur kurz überlebten (ebd.).
Schon vor dem Krieg gab es an der Siegmündung bei Bonn freilebende Nutrias (KRAMER &
NIETHAMMER4), die allerdings später wieder verschwanden (NIETHAMMER 1963). Am Krickenbecker
4
Alle Angaben in diesem Absatz zit. bei NIETHAMMER 1963
31
See bei Hinsbeck am Niederrhein gab es eine Population, die 1955 entdeckt wurde (STRÄFER mdl.)
und im folgenden Winter aufgrund der Kälte verschwand. Weitere, wenn auch nicht dauerhafte Ansiedlungen, die NIETHAMMER (1963) auflistet, gab es an einem Weiher im Kreis Düsseldorf-Mettmann, an der Rur bei Randerath und Hilfrath im Bezirk Aachen, am Neckar (GEBHARDT briefl) und
in der Pfalz bei Harxheim an der Pfrimm (QUEDNAU briefl). Der Autor listet weitere Vorkommen
auf: In Schleswig-Holstein (QUEDENAU 1953), bei Aschaffenburg (ANON. 1934), Euskirchen (HARDT
1934), am Laacher See in der Eifel (GORION 1936), bei Göppingen in Württemberg (COMBE 1935)
und an der Leine in Niedersachsen (KAUFMANN 1951/52 und TENIUS 1954). Nutrias kamen auch an
der Lahn bei Diez vor und es gab Einzelfänge an der Weser bei Calshafen und der Fulda im Kreis
Fulda (ZIMMERMANN briefl. 1960). MILDENBERGER UND EBERHARD (mdl.) vermuten, dass ein Bestand in
den Altwässern an der Lippemündung über zehn Jahre existierte.
Eine weitere Kolonie, die nach NIETHAMMER (1963) über zehn Jahre ungestört Bestand hatte, war
eine von ungefähr 300 Tieren, die 20 Kilometer der Schwalm in Hessen besiedelte (bis 1963).
MÜLLER-USING (1965) schätzt den Höchststand in Westdeutschland bis 1965 auf etwa 5000 Tiere,
und zwar im Jahr 1960. Nach TEMPEL (mdl. zit. n. MÜLLER-USING 1965) gab es ein Nutriavorkommen
am Lauf des Glan in Rheinland-Pfalz von 250 Familien und im Altrheingebiet zwischen Wörth und
Speyer von 50 Familien, sowie zahlreiche Einzelvorkommen. MÜLLER-USING (1965) schätzt, dass somit in der Pfalz schon über 4000 Tiere lebten. In Nordrhein-Westfalen waren die größten Vorkommen im westfälisch-lippischen Raum sowie in der Münsterschen Bucht. MÜLLER-USING (1965)
schätzt dort die Bestände auf insgesamt 400-500 Tiere, die an Nethe, Emmer, Diemel, Lippe, sowie
Rhein, Ruhr, Erft, Sieg, Issel und Niers lebten. Bei Jülich und Brachelen an der linksrheinischen
Rur gab es ebenfalls größere Kolonien. Im Saarland gab es 1960 eine Population mit über 150 Tieren an Saar und Nied (ebd.). In Bayern kamen nur wenige freilebende Nutrias vor. Dort gab es nach
MÜLLER-USING (1965) lediglich Bestände an der Isar bei Moosburg und Marzling und an der Dorfen
bei Gaden sowie an der Singold bei Schwabmünchen, an der Osgünz bei Obergünzburg und in der
Memminger Ach, wobei die letzten drei Ansiedlungen bereits 1965 erloschen waren. Auch in Baden-Württemberg war die Nutria bis 1965 sehr wenig verbreitet; dort gab es lediglich ein kleines
Vorkommen bei Freiburg (ebd.).
Zur Zeit der Untersuchung von MÜLLER-USING (1965) gab es in Niedersachsen, Schleswig-Holstein,
Hamburg und Bremen keine Nutriavorkommen, obwohl einige Zeit vor seiner Untersuchung in
Niedersachsen noch von acht kleinen Beständen und einigen Einzelvorkommen berichtet worden
war. Ursache hierfür ist wohl – zumindest in Niedersachsen und Schleswig-Holstein – eine starke
Bejagung.
Eine Zusammenstellung der Vorkommen in einzelnen Bezirken in Ostdeutschland zwischen 1949
und 1973 gibt STUBBE (1978). Auch dort entkam eine große Anzahl Nutrias in die Freiheit, und auch
dies führte häufig nur zu kurzlebigen Ansiedlungen (STUBBE 1982). In Ostdeutschland betrug im
Jahr 1949 die Anzahl der Nutriafarmen 2744 (HOFMANN 19525), stieg dann bis 1952 auf 7415 an und
sank bis 1964 auf weniger als 1700 (BORRMEISTER 1966). Zwischen 1949 und 1964 gelangten min5
Alle Angaben für die DDR zit. bei STUBBE 1978
32
destens 1266 Nutrias in der DDR in die Freiheit (ebd.) So gut wie alle Ansiedlungen in der DDR,
die von STUBBE (1978) aufgelistet wurden, lassen sich auf entkommene Farmtiere zurückführen, lediglich im Plothener Teichgebiet wurden Tiere ausgesetzt, um den Wasserpflanzenbestand zu reduzieren (ebd.).
Im Bezirk Rostock gab es im Stadtgebiet Zepelin ein (LEHMANN) und bei Klockenhagen zwei Tiere
(WESTPHAl). Im Bezirk Schwerin wurden bei Barnin in der Warnow jährlich Nutrias mit Jungen gesichtet (ZACHARIAS). Weitere Einzelvorkommen in diesem Bezirk waren in einem Sumpfgebiet am
Rande des Landschaftsschutzgebietes Lewitz (WULF), am Pinnower See bei Godern (DITRICH) und in
Lenzen im Kreis Ludwigslust (SADEK). Im Bezirk Neubrandenburg wurde am Dolgner See
(MATTERN) ein Tier gesehen. Ferner gab es noch weitere Einzelvorkommen in diesem Bezirk
(STUBBE 1978). Im Bezirk Frankfurt / Oder wurden in Oderberg mehrfach in verschiedenen Jahren
Nutrias gefangen (LOTTMANN). Am alten Flussbett der Welse konnten sich in dem Bezirk Nutrias
fortpflanzen, die allerdings mit ihren Jungen erbeutet wurden (FIELN). In den Seen bei Fürstenwalde
und Strausberg wurden in den 60er Jahren immer wieder Tiere gesichtet (BORRMEISTER 1966). Auch
in Atlandsberg und Kupferhammer wurden Jungtiere gefangen (STUBBE 1978). Im Bezirk Potsdam
fing man bis Mitte der 60er Jahre wiederholt Nutrias bei Bestensee (SCHÖN). Ferner gab es immer
wieder einzelne freilebende Tiere. Eine Nutriafamilie mit 13 Tieren wurde am Trebelsee von
CONRAD gefangen, allerdings gab es seitdem keine Beobachtungen mehr (STUBBE 1978). In den Havelnebenarmen zwischen Premnitz und Döberitz gab es Ansiedlungen mit 10 Nutriapaaren
(SEIFFERT). Auch an der Havel selbst wurden seit 1962 gelegentlich Tiere gesichtet, an einem HavelAltarm bei Lehnitz seit 1975 (RHODE). Weitere Einzelvorkommen gab es im Rhin bei Stölln
(LIETZAU) und im Mellensee im Kreis Zossen (RICHTER). Der Neuruppiner See und der Beetzsee bei
Brandenburg waren in den 60er Jahren ständig besiedelt (BORRMEISTER 1966). In Berlin gab es ein
Pärchen mit jährlich mindestens einem Jungtier im Teltow-Kanal in Adlershof (BAIER). Außerdem
wurden ab und zu Tiere in den Klarwassergräben der Berliner Rieselfelder gesichtet (BORRMEISTER
1966). Im Bezirk Magdeburg fing man immer wieder einzelne Tiere, jedoch gab es keine größeren
Bestände (STUBBE 1978). Auch im Bezirk Halle wurden mehrere einzelne und teilweise auch mehrere Tiere auf einmal gefangen, allerdings gab es keine Angaben über Ansiedlungen (ebd). Im Bezirk
Leipzig stellte man wiederholt Tiere im Revier Leipzig-Süd (FISCHER) sowie am gesamten Muldelauf im Kreis Eilenburg (UHLIG) fest. Außerdem gab es noch verschiedene Einzelfänge, nämlich in
der Elster bei Prödel, in der Weißen Elster bei Zwenkau, bei Prödel in einer Lehmgrube (SEIDE), am
Hammerbach bei Bad Düben (ZEISSLER), im Groß-Teich bei Torgau (HÖFIG), im Zadlitzbruch (Dübener Heide) bei Pressel (KÖRNER), bei Elsnig im Kreis Torgau (ebd.). In der Nähe von Welsau bei
Torgau wurden 1950 ein erwachsenes und sechs Jungtiere gefangen (ebd.). 1952 fing man am Welsauer Loch wieder ein erwachsenes Tier, diesmal mit sieben Jungen (ebd.). Ein Nutriaweibchen verursachte im Kreis Grimma einen Verkehrsunfall auf der Straße zwischen Klinga und Naunhof, an
der Mulde im gleichen Kreis wurden Nutrias gefangen (SEIDE). Ferner wurden Nutrias mehrfach bei
Wermsdorf, Kreis Oschatz gefangen (HENTSCH). Wiederholte Sichtungen gab es bei Altenburg
(MÜNCH). Bei Brösen im Kreis Döbeln tötete man eine Nutria und bei der Mulde bei Köbeln wurden
neun Nutrias erbeutet (SEIDE). Im Bezirk Erfurt sichtete man neben einigen einzelnen Tieren wieder33
holt Nutrias an der Wipper bei Sondershausen (MÖLLER). An der Nesse bei Eisenach, insbesondere
am Warmwasserzufluß bei Großlugnitz gab es bis Anfang der 60er Jahre größere Bestände
(BORRMEISTER 1966), deren Anzahl sich auf 30 bis 35 Tiere belaufen sollte, welche aber bereits in
den 60er Jahren vollkommen erloschen (STUBBE 1978). Im Bezirk Suhl fing man ebenfalls einzelne
Tiere und auch an den Teichen von Untermaßfeld im Kreis Meiningen traten ab 1971 vereinzelt
Nutrias auf (ebd.). Im Bezirk Gera wurden einzelne Tiere gesichtet, und zwar an einem Bach zwischen Schöna, Saara, Geißen und Windischenbernsdorf (ALBRECHT). In diesem Bezirk lagen auch
die Plothener Teiche, in denen der oben genannte Ansiedlungsversuch stattfand. Dieser misslang allerdings, so dass schon nach einem Jahr keine Tiere mehr vorhanden waren (STUBBE 1978). Nach
BORRMEISTER (1966) existierte bis 1964 über zehn Jahre lang eine Nutriakolonie an der Saale bei
Camburg. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurden wiederholt einzelne Tiere gesichtet, allerdings handelte es sich hierbei nicht um langfristige Ansiedlungen (STUBBE 1978). Im Bezirk Dresden kamen
ebenfalls einzelne adulte Tiere vor, in den Flussgebieten Wesnitz und Polenz sichtete man auch
Jungtiere (PETERMANN). Im Bezirk Cottbus gab es auch Ansiedlungen von Einzelexemplaren. Außerdem wurden an der Spree über mehrere Jahre Tiere beobachtet und zum Teil erbeutet (SEIDE).
Im Jahr 1962/63 gab es einen sehr strengen Winter, dem viele von NIETHAMMER (1963) und MÜLLERUSING (1965) beschriebenen Nutriapopulationen zum Opfer fielen (MÜLLER-USING 1965). Einzelne
Kolonien überlebten, wurden jedoch stark geschwächt. Dies waren die Kolonien in Jülich und Brachelen, im Saarland an Saar und Nied und die in Bayern an der Isar sowie in Baden-Württemberg in
Freiburg. An der Schwalm konnte sich eine Nutriakolonie halten. Als Ursache gibt MÜLLER-USING
(1965) das Kraftwerk Borken an, da ein Zufluss warmen Wassers den Flusslauf offen hielt. (Ebd.)
Angaben für Nutriavorkommen in Westdeutschland zwischen 1965 und 1978 bzw. für Gesamtdeutschland zwischen 1978 bis 2000 gibt es nur wenige. In den Jahren 1968 bis 1973 wurden im
Flussgebiet der Rur (Nordrhein) 3349 Nutrias gejagt (V. ACKEN 1973, 1974 zit. n. STUBBE 1982 ). In
der Eifel waren die Hauptvorkommen in den Flüssen Rur, Wurm, Niers und Erft (EGGERS 1971 zit.
n. STUBBE 1982 ).
In der DDR vergrößerte sich nach der Untersuchung von STUBBE (1978) die Nutriazucht wieder so,
dass WENZEL (1985) für das Jahr 1981 einen Bestand von 188.353 Farmtieren angibt. Nach der Wiedervereinigung wurde die Nutriazucht in Ostdeutschland unrentabel, so dass viele Bestände einfach
freigelassen wurden (KINZELBACH 2002). Was mit unrentablen Beständen in Westdeutschland geschah, ist in der Literatur nicht beschrieben.
Die Abbildungen 10 und 11 zeigen die Verbreitung in Deutschland zwischen 1974 und 1984 sowie
zwischen 1989 und 1996. Es ist zu sehen, dass die Anzahl der freilebenden Nutrias in Deutschland
zugenommen hat, insbesondere in Ostdeutschland, wo auch schon zwischen 1974 und 1984 mehr
freilebende Nutrias existierten als in Westdeutschland. Der starke Anstieg in Ostdeutschland zwischen 1989 und 1996 ist vermutlich auf Freilassungen von unrentablen Beständen nach der Wende
zurückzuführen, allerdings nimmt in diesem Zeitraum auch in Westdeutschland die Nutriavorkommen zu, insbesondere in Baden-Württemberg entlang der französischen Grenze und in NordrheinWestfalen.
34
Abbildung 10: Nutria-Nachweise in Deutschland 19741984 (aus: DEUTSCHER VERBAND FÜR WASSERWIRTSCHAFT UND
KULTURBAU 1997, 5)
Abbildung 11: Nutria-Nachweise in Deutschland 19891996 (aus: DEUTSCHER VERBAND FÜR WASSERWIRTSCHAFT UND
KULTURBAU 1997, 5)
4.4 Aktuelle Verbreitung in Deutschland
Die derzeitige Verbreitung der Nutria in Deutschland wurde ausführlich von BARTEL ET AL. (2007)
untersucht. Die Ergebnisse sind in der Karte in Abbildung 23 wiedergegeben. Die Untersuchung erfolgte auf Gemeindeebene, wobei für Brandenburg und Schleswig-Holstein keine Daten vorlagen
(ebd.), weshalb die Karte nicht vollständig ist. Nach dieser Untersuchung befinden sich die stärksten Nutriavorkommen im nördlichen Teil Deutschlands in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen,
insbesondere entlang der niederländischen Grenze, im mittleren Teil Deutschlands in Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen, in Süddeutschland in Baden-Württemberg besonders im Grenzgebiet
zu Frankreich. Lediglich in Bayern gibt es nur wenige Nutriavorkommen (ebd.), und zwar an den
Ismaninger Speicherseen, an der Isarmündung in die Donau und in Dingolfing an der Isar (ZAHNER
2004). Obwohl von Brandenburg keine aktuellen Daten vorliegen, ist davon auszugehen, dass es
dort ebenfalls umfangreiche Ansiedlungen gibt, da es zwischen 1989-1996, wie in Abbildung 11 zu
sehen ist, zahlreiche Nutria-Nachweise gab und die Tiere sich generell in den letzten Jahren in
Norddeutschland stark vermehrt haben. Außerdem berichten HEIDECKE UND RIECKMANN (1998), dass
es im Spree- und Haveleinzugsgebiet zum Teil sehr große, mehrere hundert Tiere umfassende Bestände gibt. Für Schleswig-Holstein lässt sich vermuten, dass es derzeit nur wenige Ansiedlungen
35
von Nutrias gibt, da die Nutria-Nachweise dort zwischen 1989 und 1996 nur gering waren. In anderen Bundesländern haben sich nach HEIDECKE UND RIECKMANN (1998) zum Teil sehr große Populationen mit mehreren hundert Tieren gebildet, die weiter zunehmen und sich ausbreiten. Diese Populationen finden sich in der Oberrheinebene, an der Rur, im Ruhrgebiet und im Emsland,im Gebiet der
mittleren Elbe, an der Saale und Mulde und an den Gewässern der Altmark. Entlang des Rheins
zwischen Mainz und Freiburg und zwischen Bonn und der niederländischen Grenze werden nach
BARTEL ET AL. (2007) auch die Nebenflüsse weiträumig besiedelt.
Im östlichen Niedersachsen und in Sachsen-Anhalt sind nach BARTEL ET AL. (2007) bereits nahezu
alle geeigneten Lebensräume bewohnt. Nach Berichten von JOHANSHON UND STRAUSS (2006) wurden
im Jahr 2005 in Niedersachsen 1527 Nutrias erlegt, was eine Steigerung von 23 % gegenüber dem
Vorjahr war. Fast die Hälfte der Tiere erlegte man im Emsland, viele aber auch im Landkreis
Lüchow-Dannenberg und im Landkreis Grafschaft Bentheim (ebd.). Nach MEYER (2001) existiert
im Stadtgebiet von Saalfeld in Thüringen eine Kolonie, die etwa 80 Tiere umfasst. In Baden-Württemberg werden neben dem Oberrhein und seinen Zuflüssen noch aus dem Kraichgau und vom Bodensee Nutrias gemeldet, und es gibt Einzelbeobachtungen vom Neckar und seinen Zuflüssen Jagst,
Kocher, Enz und Murr, vom Tauber und aus dem Donauraum (ELLIGER 1997).
Obwohl die ersten Nutriapopulationen in Deutschland häufig wieder erloschen, haben sich also inzwischen viele Populationen stabil etabliert und reproduzieren sich seit mehreren Jahren ohne stützende Maßnahmen (HEIDECKE & RIECKMANN 1998), und insbesondere in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird eine Ausweitung der Vorkommen beobachtet (BARTEL ET AL. 2007).
4.5 Weltweite Einwanderung und Ausbreitung
Im folgenden Kapitel wird die Geschichte der weltweiten Ausbreitung der Nutria skizziert und, soweit bekannt, die derzeitige Verbreitung weltweit aufgezeigt. Hierfür werden die einzelnen Kontinente, auf denen Nutrias eingebracht wurden, aufgelistet und beispielhaft die Vorkommen einzelner
Länder dargestellt. Ferner ist in Tabelle 3 und auf den Karten aus Abbildung 12 eine ausführlichere
Übersicht der Verbreitung von Nutrias außerhalb ihres Heimatareals gegeben. Die Tabelle wurde
aus CARTER UND LEONARD (2002) entnommen, die die weltweite Verbreitung der Nutria außerhalb ihres Heimatareals, deren Geschichte, sowie Bemühungen um eine Kontrolle oder Ausrottung zusammengestellt haben.
Die Nutria wurde auf jeden Kontinent exportiert, abgesehen von Australien und der Antarktis
(ebd.). Vielerorts ist sie nach CARTER UND LEONARD (2002) immer noch präsent. Allerdings sind einige Aussagen der Autoren als fragwürdig anzusehen. So stammen fast alle Angaben zu Zentralasien
und dem Mittleren Osten aus dem Jahr 1967 und sind somit über vierzig Jahre alt. Sie entsprechen
mit großer Wahrscheinlichkeit nicht der aktuellen Lage. Ferner ist es verwunderlich, dass REGGIANI
36
(1999), der für alle Nutriavorkommen in Europa von LEONARD UND CARTER (2002) zitiert wird, angibt, dass es Bestände in Weißrussland gibt, da es dort eigentlich für langfristige Ansiedlungen von
Nutrias zu kalt sein müsste. Ob die Angaben stimmen, ist nicht gesichert, da es sich bei der Quelle
von REGGIANI (1999) um eine Karte handelt und der Autor keine weiteren Informationen zu den Ansiedlungen gibt, bzw. darlegt, woher seine Informationen genau stammen und aus welcher Zeit sie
sind. Die Aussagen werden aber trotzdem wiedergegeben.
Europa
Europäische Länder, in denen sich dauerhafte freilebende Populationen bilden konnten, die untersucht wurden, sind Großbritannien, Frankreich und Italien.
Frankreich
Die ersten kleineren Nutriafarmen in Europa entstanden in Frankreich (WENZEL 1985). Dort sollen
nach NIETHAMMER (1963) Nutrias bereits mehrfach zwischen 1880 und 1890 entlaufen sein. In der
Camargue in Südfrankreich wurden Nutrias ausgesetzt, um Fischteiche vom Pflanzenwachstum zu
befreien. Diese vermehrten sich so stark, dass die Anzahl der Tiere in den 70er Jahren auf ungefähr
30 000 anstieg (ZAHNER 2004). Nach REGGIANI (1999) sind Nutrias mittlerweile fast in ganz Frankreich zu finden, insbesondere im Westen und in Zentralfrankreich.
Italien
In Italien wurde die Nutria 1928 als Pelztier eingeführt (COCCHI & RIGA 2001 zit. n. BERTOLINO ET AL.
2005). Inzwischen kommen die Tiere fast im ganzen Land freilebend vor, sowohl in Teilen des
Nordens als auch auf Sizilien (REGGIANI 1999). Ausnahmen bilden lediglich einige Stellen im Norden und im Südosten des Landes.
Großbritannien
Die ersten Nutrias gelangten 1929 nach Großbritannien (WILLIAMS 1934, zit. n. LAURIE 1946). Dort
befanden sich die meisten Farmen im Süden und Südosten von England, außerdem gab es zwei Farmen in Schottland (LAURIE 1946). Sie lagen größtenteils nahe an Flussläufen, da Wasser für die Haltung benötigt wurde, was ein Entkommen der Tiere erleichterte (ebd.). So wurde immer wieder von
Ausbrüchen und Etablierungen berichtet, insbesondere in Norfolk und Buckinghamshire (ebd.). In
Norfolk kolonisierten Nutrias mehr als 60 Kilometer verschiedener Flüsse, was auf die Ausbrüche
aus lediglich drei Farmen zurückzuführen war (ebd.). Bis Ende der 50er Jahre nahm die Anzahl der
freilebenden Tiere so stark zu, dass Bekämpfungsmaßnahmen eingeleitet wurden (GOSLING & BAKER
1989A). Im Jahr 1981 begann dann eine Ausrottungskampagne, die erfolgreich war, so dass die Nu37
tria in Großbritannien seit 1989 als ausgerottet gilt (ebd.).
Weitere europäische Vorkommen
Die Nutria kommt sowohl in den Niederlanden als auch in Belgien nahezu im ganzen Land vor.
Vorkommen gibt es auch an einigen Stellen in der Schweiz und Österreich. In Polen leben Nutrias
an der deutschen Grenze, an zwei Stellen im Landesinneren und an der Grenze zu Weißrussland. In
Ungarn, Tschechien, Kroatien, Slowenien Bulgarien, Rumänien, Makedonien und Griechenland sowie in Albanien und im europäischen Teil der Türkei gibt es ebenfalls Bestände. Nutriafrei sind derzeit Norwegen, Finnland und Dänemark, sowie Estland, Lettland und Litauen, Jugoslawien, Bosnien-Herzegowina und Spanien und Portugal. (REGGIANI 1999)
Afrika
Nutrias wurden zwar in Kenia, Simbabwe, Sambia und Botswana eingeführt, jedoch gibt es derzeit
keine freilebenden Populationen, da sich die Tiere entweder nicht etablieren konnten oder ausgestorben sind (CARTER & LEONARD 2002).
Ostasien
In Ostasien gibt es Nutrias in China, wo sie als eine Plage betrachtet werden (XIE & LI 1999 zit. n.
CARTER & LEONARD 2002). Nach Japan wurden Nutrias 1910 gebracht. Sie konnten aus der Zucht
entweichen oder wurden freigelassen. Die größten Vorkommen sind nahe der Stadt Okayama zu
finden. (MIURA 1976 zit. n. CARTER & LEONARD 2002) In Thailand gibt es ebenfalls Vorkommen.
(CARTER & LEONARD 2002).
Zenralasien und Naher Osten
In der Sowjetunion versuchte man Nutrias einzubürgern, was nur südlich des Kaukasus Erfolg hatte. Dort wurden in Aserbaidschan, im Jahr 1931, zunächst 400 Tiere ausgesetzt, zehn Jahre später
noch einmal 100. Bereits 1945 erlegte man 4500 Tiere. In Armenien wurden 50 Tiere ausgesetzt;
die Anzahl stieg in sieben Jahren auf 5000. (NIETHAMMER 1963) Der derzeitige Stand der Vorkommen ist unbekannt, letzte Berichte stammen aus dem Jahr 1967 (CARTER & LEONARD 2002). Ebenso
veraltet sind die Berichte von freilebenden Nutrias aus Georgien, Israel, Kasachstan, Russland, Tadschikistan und Turkmenistan (ebd.). Daher ist nicht einmal sicher, ob es dort heute noch Populationen gibt.
38
Nordamerika
USA
In den USA wurden Nutrias zwischen 1899 und 1940 in Kalifornien, Washington, Oregon, Michigan, Neumexiko, Louisiana, Ohio und Utah als Pelztiere eingeführt (LEBLANC 1994). Viele dieser
Tiere wurden bis Ende der 1940er Jahre freigelassen, da die Zucht unrentabel wurde (ebd.), aber
auch als „weed cutters“ ausgesetzt, um unerwünschte Schilfbestände zu dezimieren (WILLNER 1982).
In zahlreichen anderen Bundesstaaten gab und gibt es ebenfalls Nutrias (LEBLANC 1994). Insbesondere in den Staaten entlang der Golfküste, wie Louisiana und Texas, konnten sich große freilebende
Populationen bilden (ebd.). Die Bestände vermehrten sich in den USA insgesamt so stark, dass nach
WENZEL (1985) in den Jahren 1980/81 über zwei Millionen freilebende Nutrias erlegt wurden. Es
gibt derzeit in vielen Bundesstaaten zum Teil große Vorkommen (Abb. 12). Eine Ausrottungskampagne in Maryland von 2002 bis 2004, wo die Nutria als Plage angesehen wurde, führte dazu, dass
die Tiere dort inzwischen nicht mehr vorkommen (JOJOLA ET AL. 2005). In Kalifornien ist die Nutria
ebenfalls ausgerottet (CARTER & LEONARD 2002).
Weitere Vorkommen
In Nordamerika gibt es außerdem in Kanada Populationen, wo allerdings nur in wenigen Gebieten
Nutrias leben, und in Mexiko entlang der amerikanischen Grenze (CARTER & LEONARD 2002).
Tabelle 3: Übersicht über die Länder, in denen die Nutria eingebracht wurde, sowie der derzeitige Status (leicht
verändert aus CARTER & LEONARD 2002, 163)
Region/Land
Datum der Einführung Methode der Einführung
derzeitiger Status
Belgien
1930er
ausgebrochen
präsent
Bulgarien
unbekannt
unbekannt
präsent
Dänemark
1930er und 1940er
ausgebrochen
ausgestorben
Großbritannien
1929
ausgebrochen
1989 ausgerottet
Finnland
vor 1967
ausgebrochen in den 1990ern
ausgestorben
Frankreich
1882
ausgebrochen
präsent
Griechenland
vor 1948
ausgebrochen
präsent
Irland
vor 1967
unbekannt
ausgestorben
Italien
1928
ausgebrochen um 1960
präsent
Niederlande
1930
ausgebrochen um 1940
präsent
Norwegen
vor 1946
unbekannt
ausgestorben
Österreich
1935
ausgebrochen
präsent
Polen
unbekannt
1948 ausgebrochen
präsent
Europa
39
Region/Land
Datum der
Einführung
Methode der Einführung
derzeitiger Status
Rumänien
unbekannt
unbekannt
präsent
Spanien
vor 1967
ausgebrochen
ausgestorben
Schweden
vor 1967
unbekannt
ausgestorben
Schweiz
nach 1967
unbekannt
präsent
Tschechien und Slowakei
vor 1950er
ausgebrochen
präsent
Ungarn
unbekannt
ausgebrochen
präsent
ehemaliges Jugoslawien
vor 1967
ausgebrochen
präsent
Kenia
1950
ausgebrochen, ausgesetzt
ausgestorben
Simbabwe, Sambia, Botswana
vor 1958
unbekannt
niemals etabliert
China
1960
ausgebrochen, ausgesetzt
präsent
Japan
1910
ausgebrochen
präsent
Süd-Korea
unbekannt
unbekannt
präsent
Thailand
1993
ausgebrochen
niemals etabliert
Armenien
1940
ausgesetzt
präsent (1967)
Aserbaidschan
1930-1932
ausgesetzt
präsent (1967)
Georgien
1930-1932
ausgesetzt
präsent (1967)
Israel
1948-1966
ausgebrochen, ausgesetzt
präsent (1967)
Russland
1926
ausgesetzt
präsent
Tadschikistan
1949
ausgesetzt
präsent (1967)
Türkei
vor 1984
ausgesetzt
präsent (1967)
Turkmenistan
1930 und 1932
ausgesetzt
präsent (1967)
USA
1899-1940
ausgebrochen, ausgesetzt
präsent
Kanada
nach 1927
ausgebrochen
präsent
Mexiko
vor 1980
Arealerweiterung
präsent
Europa
Afrika
Ostasien
Zentralasien u. Naher Osten
Nordamerika
Fortsetzung von Tabelle 3
40
Abbildung 12: Übersichtskarten über die Verbreitung der Nutria außerhalb ihres Heimatareals (aus CARTER
2002). Die Jahreszahlen stehen für das Jahr der Einführung der Nutria.
41
5. Ökologische Auswirkungen der Nutria
Die ökologischen Auswirkungen können wirtschaftliche oder medizinische Folgen haben, die an
dieser Stelle aber nicht näher beschrieben werden sollen. Ziel dieses Kapitels ist es, mögliche sowie
bereits beobachtete ökologische Auswirkungen von Nutrias darzustellen und zu untersuchen, welche ökologischen Folgen es haben kann, wenn sie sich in Lebensräumen außerhalb ihres Heimatareals ausbreiten. Hierfür werden in den folgenden Unterkapiteln die Auswirkungen auf die Vegetation, auf die Fauna und auf die abiotischen Standortfaktoren beschrieben und diskutiert.
Die Etablierung einer neuen Art hat immer Auswirkungen auf ein Ökosystem. Arten leben in
Wechselwirkung mit anderen Arten sowie mit den abiotischen Umweltfaktoren. Kommt die Nutria
also in eine neue Umgebung, so tritt sie mit den Arten der dortigen Lebensgemeinschaft in Beziehung. Diese kann in Form von Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen bestehen, im Prädationsdruck auf verschiedene Pflanzenarten und darin resultieren, dass Ökosysteme und somit die Lebensbedingungen einer Vielzahl von dort vorkommenden Arten verändert werden. Generell können
invasive Arten die Prozesse in Ökosystemen in vielerlei Hinsicht beeinflussen. Sie können unter anderem die Primärproduktion, Zersetzungsprozesse, Hydrologie, Geomorphologie, den Nährstoffkreislauf oder das Störungsregime verändern (VITOUSEK ET AL. 1997).
Nach KOWARIK (2003) werden die Auswirkungen von gebietsfremden Arten oft erst eine gewisse,
teils sehr lange Zeit nach der Ansiedlung sichtbar. Manchmal sind diese aber auch zuerst stark spürbar und werden bei einer langfristigen Etablierung später wieder geringer (ebd.). Bedeutsam ist
hierbei die Abundanz der Art (EBENHARD 1988).
PARKER ET AL. (1999) unterscheiden fünf verschiedenen Ebenen, auf denen die Auswirkungen invasiver Arten gemessen werden können. Diese sind: (1) Auswirkungen auf Individuen (inklusive demographischer Variablen, wie Mortalität und Wachstum), (2) genetische Effekte (inklusive Hybridisierung), (3) Auswirkungen auf die Populationsdynamik (Abundanz, Populationswachstum, usw.), (4)
Auswirkungen auf die Lebensgemeinschaft (Artenreichtum, Diversität, trophische Struktur) und (5)
Auswirkungen auf Ökosystemprozesse (Nährstoffverfügbarkeit, Primärproduktion, etc.). KOWARIK
(2003) unterteilt hingegen die Wirkungsebenen invasiver Arten etwas anders, nämlich in (1) Individuen und Populationen, (2) Arten/Taxa, (3) Lebensgemeinschaften und (4) Ökosysteme.
Im Folgenden wird unterschieden in Auswirkungen auf Vegetation, Fauna und abiotische Standortbedingungen; innerhalb der ersten zwei Gruppen wird danach unterschieden, ob sich die jeweilige
Wirkung auf Populationen oder Lebensgemeinschaften bezieht. Am Ende des Kapitels werden sie,
aufgeschlüsselt in mögliche Auswirkungen der Nutria und deren Ursachen, in Tabelle 4 zusammengefasst.
Auswirkungen auf abiotische Standortbedingungen beeinflussen Stoff- und Energieflüsse innerhalb
der besiedelten Ökosysteme. Sie beeinflussen zudem auch indirekt Vegetation und Fauna, und auch
42
umgekehrt wirken sich Veränderungen in Populationen und Lebensgemeinschaften auf abiotische
Standortbedingungen, und somit auf Stoff- und Energieflüsse aus. Auf solche Wechselwirkungen
wird nur im Einzelfall näher eingegangen.
Der Aspekt der genetischen Effekte, den PARKER ET AL. (1999) noch erwähnen, ist für den Fall der
Nutria nicht relevant, da sie die einzige Art der Gattung Myocastor ist und somit keine Hybridisierung stattfinden kann.
5.1 Auswirkungen auf die Vegetation
Wirkungsebene der Populationen
Nutrias beeinflussen Pflanzen auf der Wirkungsebene der Populationen durch Herbivorie d. h. eine
Form der Prädation im weiteren Sinne. Herbivorie durch Nutria kann in verschiedener Weise wirken:
1. Durch Verbiss kann bei Individuen der Übergang von einem Entwicklungsstadium ins nächste
verzögert werden. Bei einem Experiment in Griechenland vernichteten Nutrias innerhalb von zwei
Jahren die Rohrkolbenbestände des gesamten Untersuchungsgebiets (EHRLICH 1969). Anschließend
konzentrierten sich die Tiere auf die Schilfbestände. Diese werden im Sommer normalerweise nicht
gefressen, da sie ab Juni verholzen. Durch den Verbiss im vorherigen Frühjahr und Herbst verzögerte sich das Sprießen der Triebe und somit auch das Verholzen (EHRLICH 1969).
2. Die Populationsgröße von Pflanzenarten kann durch Herbivorie vermindert werden. BERTOLINO ET
AL. (2005) berichten aus Italien von drei Seen, die, bevor Nutrias sie besiedelten, großflächig mit
der gelben Teichrose (Nuphar lutea) bedeckt waren. Durch die Futteraktivität der Tiere verschwand
an einem der Teiche die Teichrose völlig, am zweiten Teich reduzierte sich die von der Teichrose
bedeckte Fläche auf die Hälfte und am dritten Teich auf ungefähr ein Fünftel der Ausgangsfläche.
Nachdem die Anzahl der Nutrias dezimiert wurde, wuchsen die Bestände wieder. (Ebd.) Aus Polen
berichten EHRLICH UND JEDYNAK (1962), dass im Wyszewka-Fluss Nuphar lutea und Sagittaria sagittifolia großflächig wuchsen; durch Nutrias wurden sie stark reduziert.
In England beobachtete ELLIS (1963) unterschiedliche Folgen von Herbivorie durch Nutrias. Eine
offensichtliche Folge war die Reduzierung der Biomasse einiger Pflanzenarten, so die der weißen
Seerose (Nymphaea alba) und von Rohrkolben- und Schilfbeständen, die das Ufer säumten. In zwei
Gebieten fraßen Nutrias große Mengen an Wasserschierling (Cicuta virosa), legten großflächig
Binsen (Juncus spec.) nieder und verzehrten auch Flussampfer (Rumex hydrolapathum). In den
Sümpfen fraßen die Tiere im Winter die Rhizome von Sumpfbinsen (Eleocharis palustris) und Mädesüß (Filipendula ulmaria), wodurch sie diese so zerstörten, dass der Boden frei lag. (Ebd.) ELLIS
(1963) beobachtete außerdem, dass Nutrias auch zum Absterben von Bäumen beitragen können. So
43
schälten die Tiere in manchen Wintern in Ostengland Weiden der Arten Salix alba, S. cinerea, S.
purpurea, S. triandra und S. viminalis und gruben auch deren Wurzeln aus, wodurch die Bäume oft
abstarben (ebd.) und somit die Populationsgröße reduziert wurde.
3. Das Areal von Pflanzenpopulationen kann durch Kahlfraß verkleinert werden. Verschiedene Autoren beobachteten, dass Nutrias 'eat-outs' (Flächen, wo die meiste überirdische Biomasse entfernt
ist, also vegetationsfreie Flächen, „Kahlfraß“) fressen (EHRLICH 1962, FORD & GRACE 1998). Diese
Flächen liegen oft inmitten von unangetasteter Vegetation (EHRLICH 1962, 1969, vgl. Kap 3.4). Nach
PRIGIONI ET AL. (2005) sind solche Flächen 5-10 m² groß, können jedoch, wie in den Abbildungen 13
bis 16 zu sehen ist, auch wesentlich größer sein. Es wird aber nicht gesagt, ob es sich hierbei um
eine einzelne Pflanzenart handelt, die flächendeckend wächst, wie z. B. Schilf, oder ob auf den Flächen, bevor diese kahl gefressen wurden, mehrere Pflanzenarten wuchsen.
Abbildung 13: Durch Nutrias abgefressene Vegetation (Kahlfraß) (U.S. FISH & WILDLIFE SERVICE 2008).
Abbildung 15: Einzäunung von ungestörter Marsch innerhalb
eines von Nutrias gefressenen Kahlfraß (LOUISIANA DEPARTMENT
OF WILDLIFE AND FISHERIES 2007)
Abbildung 14: Von Nutrias abgefressene Marsch in
Louisiana (LOUISIANA DEPARTMENT OF WILDLIFE AND
FISHERIES 2007)
Abbildung 16: Vergrößerte Darstellung der Einzäunung von ungestörter Marsch (LOUISIANA DEPARTMENT
OF WILDLIFE AND FISHERIES 2007)
4. Manche Pflanzenpopulationen können sich durch selektiven Fraß stärker ausbreiten, wenn verschmähte Arten die freigewordenen Flächen beliebter Futterpflanzen besiedeln. EHRLICH (1962) beobachtete, dass Kahlfraße, die in Rohrkolben- und Schilfbeständen lagen, anstelle von Rohrkolben
44
und Schilf durch Salvinia besiedelt wurden, was dann ebenfalls als Futter für die Tiere diente. ELLIS
(1963) beobachtete, dass Nutrias in den Sümpfen von Ostengland viele Pflanzen mieden, die dann
die Lücken füllten und so in ihrer Abundanz zunahmen. In einem Fall gedieh Blutweiderich (Lythrum salicaria) auf großen frisch abgefressenen Flächen. ELLIS (1963) berichtet außerdem, dass
Bestände der Sumpfschwertlilie (Iris pseudocarpus) zunächst wuchsen, nachdem die sie umgebenden Pflanzen von Nutrias gefressen worden waren. Dann allerdings begannen die Nutrias, auch die
Blätter der Sumpfschwertlilie zu fressen, jedoch nur in geringem Maße (ebd.).
5. Die Nutria könnte dazu beitragen, dass Samen ausgebreitet werden; in der Literatur finden sich
hierzu jedoch keine Angaben.
Wirkungsebene der Lebensgemeinschaften
Auf der Wirkungsebene der Lebensgemeinschaften sind die Einflüsse häufig indirekt und teilweise
eine Folge von den Auswirkungen auf der Ebene der Populationen. Diese Einflüsse können folgende sein:
1. Durch selektiven Fraß können sich nicht nur Arten ausbreiten, sondern kann langfristig auch die
Artenzusammensetzung verändert werden. ELLIS (1963) beobachtete beispielsweise, dass Brennesseln (Urtica dioica) das Behaarte Weidenröschen (Epilobium hirsutum) ersetzten, das Nutrias auf
den Flussbänken verzehrten. Glyceria maxima ersetzte nach Aussagen des Autors in Teilen des
Yare-Tales in Norfolk als Folge von Nutriafraß Phragmites communis, obwohl jene Art ebenfalls
häufig von den Tieren als Futterpflanze genutzt wurde. Nutrias verschmähten Orchideen, auch Farne beeinträchtigten sie im Grunde nicht, außer dass sie einige Baue unter dem Königsfarn, Osmunda regalis, anlegten (ebd.). Ob eine Zunahme dieser Arten erfolgte ist allerdings nicht bekannt.
Weitere Arten, die von Nutrias gefressen oder verschmäht werden, sind in Tabelle I im Anhang aufgelistet.
2. Die Vegetationsstruktur kann durch Verbiss und Kahlfraß verändert werden. ELLIS (1963) berichtet, dass in einigen Sumpfgebieten das Weiße Straußgras (Agrostis stolonifera) als Folge des Verbisses von höherwüchsigen Pflanzen spross. Von der Veränderung der Vegetationsstruktur durch
Kahlfraß berichten unter anderem EHRLICH (1962) und FORD UND GRACE (1998) (s. o.).
3. Nutrias können ebenfalls die Vegetationsdynamik verändern, indem sie die Sukzession hemmen.
JOJOLA ET AL. (2005) berichten, dass Nutrias in den Küstengebieten von Nordamerika permanent offene Wasserflächen schaffen und somit die Sukzession hemmen (s. Kap. 5.3)
45
5.2 Auswirkungen auf die Fauna
Wirkungsebene der Populationen
Die Nutria kann andere Tiere auf der Ebene der Populationen auf verschiedene Weise beeinflussen:
1. Abundanzen verwandter oder ökologisch ähnlicher Arten können abnehmen. Dies sind andere semiaquatische Säugetiere, nämlich der Bisam (Ondatra zibethicus) und der Biber (Castor fiber). Die
Nutria beeinflusst diese im wesentlichen durch Konkurrenz. Konkurrenz, allgemein betrachtet, tritt
in zwei verschiedenen Formen auf (TREPL 2007, 86). Bei indirekter Konkurrenz werden „Individuen
dadurch geschädigt, dass ihnen konkurrierende Individuen Ressourcen entziehen“ (ebd.). Bei direkter Konkurrenz werden Individuen vom Konsum der Ressource durch andere Individuen abgehalten. Die Schädigung der Individuen findet vor der Ressourcennutzung statt, nämlich beim Kämpfen
um diese (ebd., 87). In der Literatur finden sich zahlreiche Hinweise auf eine direkte Konkurrenz
der Nutria zu Bisam und Biber. Allerdings sind die Aussagen hierzu zum Teil widersprüchlich.
Einig sind sich alle Autoren, dass die Nutria sich dem Bisam gegenüber aggressiv verhält und auch
ein Rückgang desselben in Gebieten mit Nutriapopulationen zu verzeichnen ist (KINZELBACH 2002,
JOHANSHON & STRAUSS 2006, ZAHNER 2004). Es handelt sich jedoch bei keiner der Arbeiten um eine
empirische Studie, so dass die Belege für die genannte Behauptung fehlen. Nach ZAHNER (2004)
konkurrieren die Tiere ebenfalls um Nahrung (z. B. um Schilf oder Glanzgras); es gibt also auch
eine indirekte Konkurrenz zwischen dem Bisam und der Nutria.
Bezüglich der Frage, ob die Nutria in Konkurrenz zum Biber steht, widersprechen sich die Autoren.
KINZELBACH (2002) und JOHANSHON UND STRAUSS (2006) behaupten, dass Biber durch Nutrias beunruhigt werden, bzw. eine Konkurrenzsituation stattfindet, und dass die Nutria gelegentlich Biberbauten besetzt. ZAHNER (2004) argumentiert hingegen, dass der Biber, obwohl die Nutria den unteren
Isarabschnitt bereits besiedelt hat, sich mit 18 Revieren etablieren konnte, ohne dass sich dies auf
die Nutriapopulation ausgewirkt hätte.
2. Die Abundanz von Arten im gleichen Habitat kann vermindert werden. Dies ist auf die Veränderung von Lebensräumen zurückzuführen. EBENHARD (1988, 23) berichtet, dass die Auflichtung der
Überwasservegetation zunächst Schwimmenten förderte. Wenn die Vegetation jedoch komplett entfernt wird, so wirkt sich dies negativ auf die Enten aus (DANELL 1977 b, 1979, zit. n. EBENHARD 1988,
23). Da Nutrias jedoch dazu neigen, Kahlfraße zu fressen (s. Kap. 3.4 und 5.1), müsste insbesondere
eine hohe Populationsdichte von Nutrias zumindest auf Enten einen hemmenden Einfluss haben,
während eine geringere Dichte, wenn nicht die gesamte Vegetation kahlgefressen wird, einen fördernden Einfluss haben kann.
3. (Teil-)Populationen anderer Tierarten können aufgrund von Konkurrenz oder Lebensraumveränderungen erlöschen. EHRLICH (1969) stellte in Griechenland fest, dass die Nutria die Ostschermaus
(Arvicola amphibius) verdrängte. Nach dem man Nutrias in dem Gebiet aussetzte, nahm die Anzahl
der Ostschermäuse allerdings zunächst stark zu. Sie begannen die Futtertische, die für die Nutria
46
aufgestellt wurden, zu besiedeln. Als die Nutriapopulation sich vergrößerte und die Tiere die Überwasservegetation stark verbissen, verschwanden die Ostschermäuse aber nach und nach vollständig.
Der Autor vermutet, dass dies auf die Veränderungen des Lebensraumes durch die Nutrias zurückzuführen ist. Diese Reaktion der Ostschermäuse wurde nach EHRLICH (ebd.) bereits in Untersuchungen der Nutria an anderen Standorten sichtbar (EHRLICH 1956b, 1962 zit. n. EHRLICH 1969). Für das
Erlöschen von Populationen anderer Tierarten aufgrund von Konkurrenz gibt es keine Beispiele in
der Literatur.
4. Es kann ein Prädationsdruck auf andere Tierarten durch die Nutria stattfinden. Obwohl sie eigentlich ein Herbivor ist, frisst sie doch gelegentlich Muscheln, Käfer, Würmer und zumindest in Gefangenschaft auch Fische (s. Kap. 3.4). Dennoch dürfte der Prädationsdruck auf diese Tiere nicht
besonders hoch sein. Lediglich bei EHRLICH UND JEDYNAK (1962) findet sich ein Hinweis darauf, dass
Nutrias in einem Fall Muscheln in großen Mengen fraßen.
5. Populationen anderer Tierarten können durch die Veränderung von Lebensräumen gefördert werden. Nach EHRLICH (1969) wirkt sich die Anwesenheit von Nutrias positiv auf die Anwesenheit verschiedener Vogelarten aus. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Nutrias Lebensräume der Vögel verändern, z. B. indem sie die Überwasservegetation auflockern. So beringte ein Ornithologe
am Agras-See in Griechenland in der 2,25 ha großen Nutriakolonie mehr Vögel als auf den restlichen 1000 ha des Sees (Ebd.). EHRLICH (1964) beobachetete in Polen, dass der Karpfenertrag in Teichen, an denen Nutrias ausgesetzt worden waren, bis zum Sechsfachen anstieg. Für die Ursache hält
er, dass die Nutrias die Bestände der Überwasservegetation verbissen haben und so den Lebensraum
der Karpfen veränderten. EHRLICH UND JEDYNAK (1962) beobachteten ebenfalls einen Anstieg der
Fischpopulation in einem Teich in Polen, der mit Nutrias besetzt worden war. Hierbei handelte es
sich um Barsche (Perca fluviatilis), Rotaugen (Rutilus rutilus), Hechte (Esox lucius) und Schleien
(Tinca tinca). In diesem Fall war die Ursache nach Meinung der Autoren ebenfalls der Verbiss der
Überwasservegetation (ebd.). EHRLICH (1969) berichtet vom Agras-See in Griechenland, dass durch
das intensive Wachstum der Überwasservegetation und die Zersetzung der Pflanzenreste der Sauerstoffverbrauch im See so hoch war, dass die Fortpflanzung der Fische, insbesondere die der Karpfen, beeinträchtigt war. Die ausgesetzten Nutrias zerstörten die Schilfbestände im seichten Wasser
und befreiten die entstehenden Lichtungen von Pflanzenresten und Wurzelwerk. In den Lichtungen
beobachtete der Autor eine dichte Anhäufung von Chironomiden-Larven und Zooplankton, die einerseits ein Nachweis für günstige Sauerstoffverhältnisse sind und andererseits als Nahrungsquelle
für Fische dienen. In diesem Fall förderten die Nutrias Fische, indem sie günstige Lebensbedingungen wie ein erhöhtes Nahrungsangebot für diese schufen. (Ebd.) EHRLICH (1969) beobachtete außerdem, dass die Fische in der Laichzeit in das seichte Wasser der Sumpfbiberkolonien zogen. Er
schloss daraus, dass Nutrias einen fördernden Einfluss auf die Fischwelt im Agras-See ausüben
(ebd.).
6. Nutrias können einen Prädator fördern, indem sie eine neue Beute für diesen darstellen und somit
dessen Nahrungsangebot vergrößern. In der Literatur gibt es allerdings keine Hinweise darauf.
7. Heimische Beutetiere können durch Nutrias gefördert werden, da diese als neue Nahrung für den
47
Prädator dienen. Hierdurch könnte der Prädationsdruck auf die vorherige Beute vermindert werden,
die sich somit ausbreiten kann. Auch hierzu ist nichts in der Literatur zu finden. Da sich vermutlich
aber auch die Abundanz des Prädators erhöhen würde und somit der Prädationsdruck auf die Beute
nicht abnähme, ist dieses Szenario eher unwahrscheinlich.
8. Die Verbreitung von Parasiten und anders hervorgerufenen Krankheiten kann gefördert werden,
da mit der Nutria ein neuer Wirt auftaucht. Auch hierzu gibt es kaum Angaben in der Literatur. Allerdings ist dies sehr wahrscheinlich, da Nutrias eine Vielzahl von Parasiten und anders hervorgerufenen Krankheiten übertragen können (s. Kap. 3.10).
Wirkungsebene der Lebensgemeinschaften
Die Auswirkungen der Nutria auf Tiere auf der Ebene von Lebensgemeinschaften können folgende
sein:
1. Heimische Tierarten können durch die Nutria ersetzt werden. Dies kann auf eine höhere Konkurrenzfähigkeit zurückzuführen sein. Beim Bisam wird dies von mehreren Autoren behauptet, beim
Biber hingegen umstritten (s. o.).
2. Es kann zu einer Veränderung der Ressourcenverfügbarkeit kommen. Diese entsteht durch eine
Veränderung des Lebensraumes. EHRLICH (1969) beobachtete, dass die Fressaktivität der Nutrias indirekt das Nahrungsangebot von Fischen vergrößerte, indem die Lebensbedingungen ihrer Nahrung,
nämlich von Chironomiden-Larven und Zooplankton, gefördert wurden (s. o.).
3. Neue Parasiten und anders hervorgerufene Krankheiten können ausgebreitet werden, indem Nutrias diese mit einschleppen. WALTHER (1940) argumentiert allerdings, dass sie fast ausschließlich
solche Parasiten und anders hervorgerufene Krankheiten überträgt, die in Europa bereits bei anderen Tieren, insbesondere bei Nagetieren auftreten. So sind die in Kap. 3.10 genannten Krankheiten
bereits alle im Zusammenhang mit anderen Überträgern bekannt.
5.3 Auswirkungen auf abiotische Standortbedingungen
Auswirkungen auf abiotische Standortbedingungen finden auf der Wirkungsebene der Stoff- und
Energieflüsse statt. Im Folgenden werden mögliche Auswirkungen der Nutria aufgeschlüsselt.
1. Es kann eine Veränderung des Strahlungshaushalts stattfinden. Frisst ein Herbivor kahle Stellen
in die Vegetation, so ändern sich die Lichtverhältnisse. Es kann mehr Licht den Boden erreichen,
was diesen erwärmt. Dies beeinflusst die Bodenfeuchte und auch andere Bodenfaktoren. (EBENHARD
1988, 23) Da Nutrias generell die Vegetation öffnen, sind dies Folgen, welche die Anwesenheit der
Art in jedem Fall mit sich bringt. FORD UND GRACE (1998) untersuchten mit Hilfe von Umzäunungen
48
in Brackwasser-Feuchtgebieten in Louisiana, wie Wildschweine (Sus scrofa) und Nutrias sich auf
diesen Lebensraum auswirken. Die Autoren vermuteten, dass insbesondere die Nutria aufgrund ihrer Eigenschaft, Kahlfraße zu fressen, der Herbivor ist, dessen Anwesenheit sich am stärksten auf
die Brackwasser-Marschen in der Region auswirkt. Die Autoren beobachteten, dass Herbivorie
durch Nutrias die vorhandene oberirdische Biomasse stark reduzieren kann. Dies veränderte den
Lichteinfluss: Nahezu 75 % des Lichts erreichte den Boden, während auf den umzäunten Flächen,
die für die Tiere unzugänglich waren, nicht einmal 20 % des Lichts den Boden erreichte (ebd.).
2. Die chemische Wasserqualität kann verändert werden. Dies kann z. B. durch die Erhöhung des
Sauerstoffgehalts im Wasser durch den Verbiss der Vegetation geschehen, was EHRLICH (1969) für
den Agras-See beschreibt (s. Kap. 5.2).
3. Wasser kann durch den Kot der Tiere eutrophiert werden. Dies wird in der Literatur nicht beschrieben, ist aber sehr wahrscheinlich, da die Tiere ihren Kot im Wasser absetzen (s. Kap. 3.12).
4. Die vertikale Entwicklung eines Sees kann unter dem Einfluss der Nutria einen anderen Verlauf
nehmen. Nach EHRLICH UND JEDYNAK (1962), die Nutrias an einem See in Polen untersuchten, erodierte - nachdem die Nutrias die schützende Vegetation aufgefressen hatten - durch Aufwühlen und
Wasserbewegungen der Boden des Sees, bis sich eine Balance zwischen der Schlamm-Akkumulation und dem Wegtransport einstellte (ebd.).
5. Die ober- und unterirdische Biomasse kann durch Verbiss reduziert werden. FORD UND GRACE
(1998) beobachteten, dass sich auf den von ihnen untersuchten offenen Flächen nach einem Jahr die
oberirdische Biomasse auf 25 % gegenüber einer umzäunten Fläche, auf die die Nutrias nicht gelangen konnten, vermindert hatte. Es gab außerdem signifikante Unterschiede in der Wurzelbildung
zwischen den beiden Untersuchungsflächen. Nach einem Jahr bildete sich nur ungefähr die Hälfte
an unterirdischer Biomasse in den offenen Flächen, verglichen mit der der umzäunten. Die Autoren
beobachteten, dass in einer dreimonatigen Zeitspanne zwischen März und Juni 1994 die Wurzelzonendicke in den offenen Flächen nur wenig anwuchs, während in den umzäunten das Wachstum
mehr als dreieinhalb mal so stark war.
6. Es kann zur Veränderung der Bodenbildung durch eine erhöhte Streuproduktion kommen. FORD
UND GRACE (1998) berichten, dass auf den für die Nutrias zugänglichen Flächen 85 % mehr Nekromasse gesammelt wurde, als innerhalb der unzugänglichen. Dies führten die Autoren auf das Fressverhalten der Nutrias zurück, da sie viele Pflanzenteile verschmähen und liegen lassen (vgl. Kap.
3.4). Die vertikale Bodenbildung variierte stark zwischen eingezäunten und offenen Flächen. Auf
den offenen Flächen wuchs der Boden fast um ein Drittel mehr als in den eingezäunten. Der Boden
sank allerdings in den offenen Flächen mehr als doppelt so stark ab, verglichen mit den geschlossenen. Einerseits wurde mehr Streu produziert und es fand somit eine verstärkte Bodenbildung statt,
andererseits sank der Boden durch Erosion stärker ab. So glichen sich diese Prozesse weitgehend
aus. Die vertikale Bodenbildung war auf beiden Flächen ausreichend, um das Absinken des Bodens
auszugleichen, obwohl die gesamte Bodenhebung (Bodenzuwachs minus Absinken) geringer auf
den offenen Flächen als in den eingezäunten war. (Ebd.)
49
7. Es kann zur Veränderung der organischen Substanz im Boden kommen. FORD UND GRACE (1998)
die auch dies untersuchten, berichten jedoch, dass die Herbivorie keinen signifikanten Effekt auf die
organische Substanz im Boden hatte. Die Autoren führten dies darauf zurück, dass die Prozesse, die
sie bilden, lange dauern und die Untersuchungszeit zu kurz war, um Unterschiede festzustellen.
8. Es kann Erosion stattfinden. Dies wird durch Kahlfraß und Wühltätigkeiten der Nutria hervorgerufen. So legten Nutrias in den Küstengebieten Nordamerikas den Boden frei, indem sie die Vegetation fraßen (JOJOLA ET AL. 2005). JOJOLA ET AL. (2005) berichten, dass dies zu Erosion führte, die
durch Strömungen und die Wellenbewegung des Wassers gefördert wurde. Die Marschoberfläche
sank ab, die Flächen wurden überflutet, und die ehemals dort wachsende Vegetation verschwand
ganz. Die Autoren geben an, dass diese durch die Nutrias veränderten Flächen zu permanent offenen Wasserflächen wurden. Der Verlust an Marschflächen bedeutet für viele dort heimische Tierarten wie Wasservögel, Wattvögel und den Bisam einen Verlust des Lebensraumes. (Ebd.)
Tabelle 4: Schematische Aufstellung möglicher Auswirkungen der Nutria in Deutschland, sowie deren Ursachen. Auswirkungen die nicht beobachtet, aber möglich sind, sind grau hinterlegt.
Vegetation
Wirkungs- Mögliche Auswirkungen der
ebene
Nutria
Ursachen
Für die Nutria beobachtet?
(Quelle)
Populatio- Verzögerung des Übergangs
nen
von einem Entwicklungsstadium ins nächste
Verbiss
ja (EHRLICH 1969)
Verringerung der Populations- Herbivorie
größe von Pflanzenarten
ja (BERTOLINO ET AL. 2005,
EHRLICH & JEDYNAK 1962)
Reduzierung des Areals von
Pflanzenarten
ja (EHRLICH 1962, FORD &
GRACE 1998)
Kahlfraß
Förderung des Wachstums von selektiver Fraß
Pflanzenpopulationen durch
Schaffen von freien Wuchsorten
ja (ELLIS 1963)
Verbreitung von Samen
nicht bekannt
Fress- und Wanderverhalten
Lebensge- Veränderung der Artenzusam- selektiver Fraß
meinmensetzung
schaften
Veränderung der Vegetationss- Verbiss, Kahlfraß
truktur
Veränderung der Vegetationsdynamik
Hemmung der Sukzession
durch Herbivorie
50
ja (ELLIS 1963)
ja (ELLIS 1963, EHRLICH 1962,
FORD UND GRACE 1998
ja (JOJOLA ET AL. 2005)
Wirkungs- Mögliche Auswirkungen der
ebene
Nutria
Tiere
Ursachen
Populatio- Abundanzverminderungenver- Konkurrenz
nen
wandter oder ökologisch ähnlicher Arten
teilweise (Bisam ja, Biber umstritten, KINZELBACH 2002,
JOHANSHON & STRAUSS 2006,
ZAHNER 2004)
Abundanzverminderung von
Arten im gleichen Habitat
Veränderung des Lebensraumes
teilweise (Enten, DANELL 1977b
zit. n. EBENHARD 1988, 23)
Erlöschen von (Teil-) Populationen anderer Tierarten
Konkurrenz
nicht bekannt
Lebensraumveränderungen
ja (Ostschermaus, EHRLICH
1969)
Prädationsdruck auf andere
Tierarten
Prädation
in seltenen Fällen Prädation
von Muscheln und Schnecken
(anderes könnte man aus
EHRLICH & JEDYNAK 1962 ableiten)
Förderung von Populationen
anderer Tierarten
Veränderung des Lebensraumes durch Fressverhalten
ja (Vögel, Fische, Chironomiden-Larven und Zooplankton:
EHRLICH 1969, Fische: EHRLICH
1964, EHRLICH & JEDYNAK 1962)
Förderung eines Prädators
Nutria als neue Beute
nicht bekannt (unwahrscheinlich)
Förderung heimischer Beutetiere
Darstellen einer neuen Beute
für den Prädator
nicht bekannt (unwahrscheinlich)
Förderung der Verbreitung von Nutria als neuer Wirt
Parasiten und anders hervorgerufenen Krankheiten
Lebensge- Ersetzen von heimischen Arten höhere Konkurrenzfähigkeit
meinschaften
abioti- Stoff- und
sche
EnergiefStand- lüsse
ortbedingungen
Für die Nutria beobachtet?
(Quelle)
sehr wahrscheinlich
ja (Bisam, Biber umstritten,
KINZELBACH 2002, JOHANSHON &
STRAUSS 2006, ZAHNER 2004)
Veränderung der Ressourcenverfügbarkeit
Veränderung des Lebensraumes
ja (Fische, EHRLICH 1969)
Ausbreitung neuer Parasiten
und anderes hervorgerufene
Krankheiten
Nutria schleppen neue Parasiten und anders hervorgerufene
Krankheiten ein
nein (WALTHER 1940)
Veränderung des Strahlungshaushalts
Kahlfraß
ja (FORD & GRACE 1998)
Veränderung der chemischen
Wasserqualität
Erhöhung der Sauerstoffmenge ja (EHRLICH 1969)
durch Verbiss von Pflanzen
Eutrophierung des Wassers
Kot
nicht bekannt, sehr wahrscheinlich
Veränderung der vertikalen
Entwicklung eines Sees
Aufwühlen und Kahlfraß
ja (EHRLICH & JEDYNAK 1962)
Reduzierung der ober- und un- Verbiss
terirdischen Biomasse
ja (FORD & GRACE 1998)
Veränderung der Bodenbildungsrate
Fressverhalten führt zu erhöhter Streuproduktion
ja (FORD & GRACE 1998)
Veränderung der organischen
Substanz im Boden
Erhöhung der Streuproduktion nein (FORD & GRACE 1998)
Erosion
Kahlfraß und Wühltätigkeit
51
ja (JOJOLA ET AL. 2005)
6. Analyse des Invasionsprozesses
Im folgenden Kapitel wird der Invasionsprozess der Nutria anhand des Modells der Invasionsstufen
und -schritte (INVASS-Modell) von HEGER (2004) diskutiert. Ziel ist es erstens, zu untersuchen, in
welchem Stadium des Invasionsprozesses die Nutria sich in Deutschland befindet. Zweitens sollen
die Probleme, die im Verlauf der Invasion aufgetreten sind, analysiert werden, und es soll drittens
dargestellt werden, welche Faktoren für den Verlauf des Invasionsprozesses bedeutsam waren und
sind.
6.1 Das Modell der Invasionsstufen und -schritte
Das INVASS-Modell wurde für invasive Pflanzenarten entwickelt. Eine Besonderheit des Modells
ist, dass es aus der Perspektive der invadierenden Art den Invasionsprozess analysiert und somit organismenzentriert ist (HEGER 2004). Es wird für die Analyse des Invasionsprozesses der Nutria herangezogen, da die Faktoren, die Invasionsprozesse beeinflussen können, in dem Modell systematisch zusammenstellt sind. Man kann somit Schritt für Schritt überprüfen, welche Rolle die entsprechenden Faktoren bei der Invasion spielen. Da sich der Invasionsprozess von Säugetieren jedoch in
einigen Aspekten von dem Invasionsprozess von Pflanzenarten unterscheidet, muss das Modell auf
erstere angepasst werden.
In dem Modell wird nach einzelnen „Invasionsschritten“ und „Invasionsstufen“ unterschieden: Im
Verlauf einer Invasion können verschiedene Stadien (Stufen) erreicht werden; um diese zu erreichen, sind bestimmte Prozesse (Schritte) nötig. In jedem Schritt wird gefragt, mit welchen potentiellen Problemen die Art im neuen Gebiet konfrontiert ist, welche Arteigenschaften günstig zur Vermeidung oder Überwindung dieser Probleme sind und welche sonstigen Gegebenheiten positiv für
die Etablierung sein können (HEGER 2004).
Folgende Invasionsstufen und Invasionsschritte werden unterschieden (HEGER 2004, 29f):
Stufe 0: Anwesenheit im Ursprungsgebiet
Schritt 1: Transport über die Ausbreitungsbarriere
Stufe 1: Anwesenheit im neuen Gebiet
Schritt 2: Selbständiges Wachstum und Fortpflanzung eines Individuums
Stufe 2: Spontanes Vorkommen
Schritt 3: Populationswachstum bis zur Mindestgröße einer überlebensfähigen Population
Stufe 3: Dauerhafte Etablierung
Schritt 4: Ausbreitung zu neuen Standorten
Stufe 4: Abgeschlossene Ausbreitung im neuen Gebiet
52
Die Invasion kann nur gelingen, wenn alle Invasionsstufen erreicht werden und somit alle Schritte
gelingen (HEGER 2004).
6.2 Übertragung des INVASS-Modells auf Säugetiere
Das INVASS-Modell wurde zur Analyse von Invasionen von Pflanzenarten entwickelt und musste
erst an den Fall sich ausbreitender gebietsfremder Säuger angepasst werden. Im Folgenden werden
die Veränderungen dargestellt und diskutiert. Eine Übersicht über die Ergebnisse der Anpassung
findet sich in den Tabellen II bis V im Anhang.
Für den ersten Schritt (Transport) wurde nur der Fall „absichtlicher Transport“ betrachtet. Eine Anwendung des Modells auf invadierende Säuger ist für diesen Schritt ohne Veränderungen möglich.
Da sich Säuger im neuen Gebiet häufig zunächst noch in Gefangenschaft befinden, wird Schritt 2
im Gegensatz zur ursprünglichen Form des Modells unterteilt, nämlich in (a) das Ausbrechen aus
der Gefangenschaft und das Finden eines geeigneten home range und (b) das selbständige Wachstum und die Fortpflanzung eines Individuums außerhalb der Gefangenschaft. Schritt 2a ist nicht in
dem Modell für Pflanzen enthalten.
Schritt 2b entspricht dem Schritt 2 des ursprünglichen Modells. Teilschritt (I), ursprünglich Dormanz und Keimung, wird für Säugetiere in Tragezeit und Säugezeit umbenannt. Die Reihenfolge
der Teilschritte I bis III wird umgestellt. Während bei Pflanzen, die sich meist mit Hilfe von Samen
ausbreiten, Dormanz und Keimung in vielen Fällen die erste kritische Phase darstellt, ist bei Säugetieren die Trag- und Säugezeit eine erst später auftretende kritische Phase.
Auch im Detail wurden einige Veränderungen vorgenommen. Bei Teilschritt 2b (I) (Wachstum bis
zur Fortpflanzungsreife) entfällt beispielsweise die Möglichkeit der vegetativen Fortpflanzung.
Auch können Pflanzen nur mit Hilfe der passiven Ausbreitung von Diasporen andere Gebiete erreichen, während Säugetiere sich selbständig fortbewegen und auf diese Weise ausbreiten und auch
ungünstigen Standortbedingungen entkommen können. Weitere Veränderungen können den Tabellen II bis V im Anhang entnommen werden.
Die Invasionsstufen können zum größten Teil unverändert übernommen werden, allerdings wird
Stufe 1 in a (Anwesenheit im neuen Gebiet in Gefangenschaft) und b (Anwesenheit im neuen Gebiet in Freiheit) aufgeteilt.
53
Abbildung 17: Schematische Untergliederung des Invasionsprozesses eines Säugers in Stufen und Schritte. (Auf der
Grundlage von Heger 2004, 29) Änderungen gegenüber dem Modell für Pflanzen sind blau gekennzeichnet.
6.3 Anwendung des Modells auf die Invasion der Nutria in Deutschland
Dadurch, dass die Nutria in vielen Gebieten außerhalb ihres Heimatareals in die Freiheit gelangte,
traf sie auf eine Reihe von Problemen, die sie aus ihrer Heimat nicht kannte. Sie ist an die neuen
Bedingungen nicht (oder falls doch, nur zufällig) angepasst, da sie „eine evolutionär relevante Zeitspanne nur außerhalb dieses Gebiets verbreitet war“ (HEGER 2004, 8, Hervorh. i. O.) und somit ökologisch fremd ist (HEGER 2004). Im Folgenden werden die einzelnen Stufen und Schritte für den
speziellen Fall der sich in Deutschland ausbreitenden Nutria diskutiert.
Stufe 0: Anwesenheit im Ursprungsgebiet
Das Ursprungsgebiet der Nutria ist Südamerika (s. Kap. 4.1).
Schritt 1: Transport über die Ausbreitungsbarriere
Die Nutria wurde absichtlich von ihrem Ursprungsgebiet nach Europa transportiert. Die Transportbedingungen wurden deshalb den Bedürfnissen der Art angepasst. Daher waren auch keine besonderen Arteigenschaften für das Überleben des Transports erforderlich. Welche Eigenschaften Arten
54
attraktiv machen und damit den Transport verursachen, ist abhängig von soziokulturellen Umständen (Heger 2004). Im Fall der Nutria war es ihre Fähigkeit, ein dichtes Fell zu bilden.
Tabelle 5: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 1 (Transport über die Ausbreitungsbarriere)
bestimmen, aufgeschlüsselt nach potenziellen Problemen, günstigen Arteigenschaften und günstigen Umwelt- und
Transportbedingungen. (Auf Grundlage von HEGER 2004, 44)
Schritt 1
Transport
Entscheidende Faktoren
Potenzielle Probleme für den Invasor
Absicht- Durch die Absicht vom Menschen
licher
werden potenzielle Probleme wähTrans- rend des Transports ausgeschaltet.
port
Günstige Arteigenschaften
Günstige Transportbedingungen
Arteigenschaften, die den Trans- Transportbedingungen werden den
port erleichtern, sind nicht erfor- Ansprüchen der Art angepasst.
derlich.
Arteigenschaften die die Art für
Menschen attraktiv machen, hängen von soziokulturellen Umständen ab
Stufe 1a: Anwesenheit im neuen Gebiet in Gefangenschaft
Nachdem die Nutria erfolgreich über die Ausbreitungsbarriere gelangt ist, ist sie im neuen Gebiet
anwesend. Sie befindet sich zunächst in Pelztierfarmen. Ungünstige Standortbedingungen spielen
an dieser Stelle noch keine Rolle, da das Überleben der Tiere erwünscht ist und daher die Lebensbedingungen an deren Bedürfnisse angepasst werden.
Schritt 2a: Entkommen aus der Gefangenschaft und Finden eines home range
I) Entkommen aus der Gefangenschaft
Um freilebende Populationen aufbauen zu können, muss den Tieren zunächst die Flucht aus den
Gehegen gelingen oder sie müssen freigelassen werden. Probleme, die bei der Flucht auftreten können, sind, dass ein Entkommen aus den Käfigen nicht möglich ist, z.B. weil diese stark gesichert
sind. Arteigenschaften, die die Überwindung dieses Problems ermöglichen, sind die Fähigkeit zu
graben, zu klettern, Absperrungen zu zerbeißen oder anderweitig zu zerstören. Außerdem ist es
günstig, wenn die Art einen starken Wandertrieb hat. Sind die Käfige nicht besonders gesichert, so
ist das von Vorteil, ebenfalls, wenn es Befreiungsaktionen oder beabsichtigte illegale Einbürgerungsversuche gibt. Im Fall der Nutria lässt sich sagen, dass sie häufig aus der Käfighaltung entweichen konnte, da sie viel gräbt und nagt. Negativ wirkt sich allerdings ihre Standorttreue aus, die vielerorts wahrscheinlich ein Ausbrechen verhindert hat oder zu einem leichten Einfangen der Tiere
geführt hat (s. Kap. 3.7). Die Nutria profitierte zudem davon, dass es an manchen Orten Befreiungsaktionen von Tierschützern gab. Auch waren viele Zuchten unrentabel und die Tiere wurden freigelassen (s. Kap. 4.3). Verschiedentlich gab es auch gezielte Einbürgerungsversuche (s. Kap. 4.3). So
konnten an verschiedenen Orten eine größere Anzahl an Individuen in Freiheit gelangen.
55
II) Finden eines geeigneten home range
Ist die Art nun aus der Zucht entkommen, muss sie ein geeignetes home range finden. Probleme,
auf die sie hierbei treffen kann, sind, dass kein geeigneter Lebensraum in der Umgebung vorhanden
ist, oder dass Ausbreitungsbarrieren das Erschließen eines neuen home range verhindern. Um diese
Probleme zu überwinden, ist es günstig, wenn die Art die Fähigkeit besitzt, weit zu wandern
und/oder anpassungsfähig an eine Vielzahl von Lebensraumtypen ist. Im Fall der Nutria ist zwar die
Fähigkeit, weit zu wandern, nur sehr bedingt gegeben (s. Kap. 3.7), allerdings wurden häufig die
Nutriafarmen in der Nähe eines Gewässers angesiedelt (LAURIE 1946), da für die Nutriazucht Wasser benötigt wird. Hierdurch wird auch die Anwesenheit von Ausbreitungsbarrieren vermindert, da
sich die Tiere entlang des Flusses ein home range suchen können. Insbesondere an Flüssen war es
so für die Tiere einfach, geeignete home ranges zu finden. Hinzu kommt, dass sie anpassungsfähig
an eine Vielzahl von Gewässertypen sind, was das Finden eines geeigneten Lebensraumes zusätzlich erleichtert.
III) Überleben ohne Pflege
Die Art hat ein geeignetes home range gefunden. Nun muss sie ohne Pflege überleben. Hinderlich
hierbei können Prädatoren sein, aber auch, dass die Nahrungssuche nicht erfolgreich ist, oder dass
sie an abiotische Faktoren nicht gut genug angepasst ist. Eine Ursache hierfür könnte sein, dass die
Art züchterisch zu stark in eine für die Freilandbedingungen ungünstige Richtung verändert („verzüchtet“) wurde, aber auch, dass keine geeignete Nahrung vorhanden ist oder ihre Strategie Nahrung zu beschaffen, in der neuen Umwelt nicht funktioniert. Günstig für die Überwindung dieser
Probleme ist, wenn die Art über Abwehrmechanismen gegenüber Prädatoren im engeren Sinne verfügt und eine breite ökologische Amplitude hat. Ersteres ist insofern gegeben, als Nutrias scharfe
Schneidezähne haben und mit diesen Angreifer abwehren können. WALTHER (1940) berichtet, dass
Nutrias auch große Hunde angreifen. Der Autor ist überzeugt, dass insbesondere Weibchen ihre
Jungen gegen viel größere Tiere verteidigen können. Ferner ist die Nutria bezüglich Futterpflanzen
sehr anspruchslos, so dass es keine Probleme bei der Futtersuche geben dürfte. Es wurde beobachtet, dass sie eine Vielzahl der hier vorkommenden Pflanzenarten frisst (s. Kap. 3.4 und Tab. I im
Anhang). Die Nutria ist allerdings bisher nicht an ungünstige klimatische Bedingungen anpassungsfähig, wobei sie eventuell zukünftig ein dickeres Fell bilden könnte. Bisher setzt Kälte ihr aber stark
zu (s. Kap. 3.10).
Günstig zur Überwindung der Probleme ist außerdem, dass in Deutschland nur wenige Prädatoren
vorhanden sind, die erwachsene Nutrias als Beute annehmen könnten; es werden lediglich vereinzelt Jungtiere angegriffen (s. Kap. 3.10).
Die Zucht von Nutrias findet erst seit dem 20. Jhd. statt, so dass es nicht zu gravierenden Veränderungen hinsichtlich des Verhaltens und von biologischen Eigenschaften kommen konnte. Zudem
sind die Ziele, die bei der Zucht der Art verfolgt wurden, für ein Überleben der Art in der Freiheit
förderlich (s. Kap. 3.13).
56
Hinweise darauf, dass aus der Zucht entkommene Nutrias aufgrund züchterischer Veränderungen
nicht mehr in der Lage seien ohne Pflege zu überleben, sind in der Literatur nirgendwo zu finden.
Der Invasionsschritt des Entkommens aus der Gefangenschaft und Finden eines geeigneten home
range konnte in Deutschland an verschiedenen Orten verwirklicht werden.
Tabelle 6: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 2a (Entkommen aus der Zucht und Finden eines
geeigneten home range) bestimmen, aufgeschlüsselt nach potentiellen Problemen, günstigen Arteigenschaften und
sonstigen Bedingungen.
Schritt 2a
Entscheidende Faktoren
Ausbrechen Potentielle Probleme
und Finden für den Invasor
eines geeigneten home
range
aufgetreten?
Günstige Arteigenschaften
gegeben?
I) Entkom- Entkommen aus den
an vielen Fähigkeit zu graben, zu ja
men aus
Käfigen nicht möglich Orten
klettern, oder Absperder Gefanrungen zu zerbeißen
genschaft
Wandertrieb
nein
Sonstige günstige Be- gegeben
dingungen
?
Käfige nicht sicher
nicht bekannt
Befreiungsaktionen
ja
Absichtliche Einbürge- ja
rungsversuche
II) Finden
eines geeigneten home
range
Kein geeigneter Lenorma- Fähigkeit, weit zu
bensraum in der nähe- lerweise wandern
ren Umgebung vorhan- nicht
den
Anpassungsfähigkeit
an eine Vielzahl von
Ausbreitungsbarrieren nicht be- unterschiedlichen Leverhindern die Erkannt
bensräumen
schließung eines home
range
III) Überle- Prädatoren
ben ohne
Pflege
Nahrungssuche nicht
erfolgreich
abiotische Bedingungen (Klima) ungeeignet
nur für
Abwehrmechanismen
die Jung- gegen Prädatoren
tiere
Anspruchslosigkeit bezüglich Futterpflanzen
nein
Anpassungsfähig an
ungünstige klimatische
teilweise Bedingungen
nur bedingt
Vorhandensein eines
häufig
geeigneten Lebensraumes nahe der Farm
teilweise
wenig Ausbreitungsbarrieren vorhanden
häufig
teilwei- Abwesenheit von Präd- teilweise
se
atoren
ja
Zucht findet noch nicht ja
lange statt
nein
Zuchtziele begünstigen ja
Überleben in Freiheit
Stufe 1b: Anwesenheit im neuen Gebiet in Freiheit
Diese Stufe ist dadurch gekennzeichnet, dass einzelnen oder mehreren Individuen die Flucht aus der
Gefangenschaft gelungen ist. Es wurde noch keine neue Generation gebildet. Dies realisierte die
Nutria an vielen Stellen in Deutschland.
57
Schritt 2b: Selbständiges Wachstum und Fortpflanzung eines Individuums
I) Wachstum bis zur Fortpflanzungsreife
Ist das Ausbrechen und das Finden eines geeigneten home range geglückt, muss eine erste Fortpflanzung außerhalb der Zucht stattfinden. Hierfür muss das Individuum zunächst selbst die Geschlechtsreife erreichen. Konkurrenten, Prädatoren, ungünstige abiotische Konditionalfaktoren und
ein Mangel an Ressourcen könnten dies verhindern.
Konkurrenz kann durch die Fähigkeit, in neue Lebensräume zu wandern, vermindert werden. Außerdem ist es vorteilhaft, dass die Nutria die Eigenschaft zur Konkurrenzfähigkeit besitzt. So
scheint sie dem Bisam überlegen zu sein (s. Kap. 5.2). Eine Konkurrenz zum Biber wurde bisher
nicht belegt. Über Konkurrenz zu anderen Tieren, die die gleichen Futterpflanzen wie die Nutria haben, finden sich in der Literatur keine Angaben. Prädation könnte insbesondere in diesem Schritt
eine Rolle spielen, da besonders die Jungtiere durch Prädatoren bedroht sind (s. Kap. 3.10). Allerdings finden sich auch hier zu den genauen Auswirkungen von Prädatoren auf junge Nutrias in Europa keine Angaben in der Literatur. Günstig ist es jedenfalls, wenn sie Prädatoren abwehren kann,
was der Fall ist (s. Schritt 2a, III).
Ungünstige abiotische Konditionalfaktoren können ebenfalls zu kritischen Situationen führen. Für
Nutrias sind in Deutschland die niedrigen Temperaturen im Winter ein besonderes Problem. Liegt
Schnee und sind die Böden gefroren, können die Tiere nicht mehr nach Rhizomen graben, was
einen Ressourcenmangel zur Folge hat (s. Kap. 3.10). Günstige Arteigenschaften zur Überwindung
dieser Probleme sind die Fähigkeiten, Biomasseverlust zu ertragen, temporär ungünstigen Bedingungen durch das Sammeln von Nahrung zu begegnen sowie die Unabhängigkeit von bestimmten
Futterpflanzen. Biomasseverlust zu ertragen, ist Nutrias bedingt möglich. Die Tiere können im
Winter an Gewicht verlieren, allerdings nur in Grenzen, und es verhungerten bereits vielerorts Tiere
(s. Kapitel 3.10). Es ist hierbei zu bedenken, dass junge Nutrias gefährdeter sind, an Unterernährung
zu sterben, als erwachsene Tiere (s. Kap. 3.10). Da Nutrias keine Nahrung sammeln, wird der Gewichtsverlust weiter gefördert und die Überlebenswahrscheinlichkeit nimmt insbesondere in Wintern mit langen Frostperioden stark ab. Dies war in Deutschland beispielsweise im Winter 1962/63
der Fall, was zu hohen Populationseinbußen führte. Die Tiere können in manchen Fällen weiterleben, obwohl ihnen Teile des Schwanzes erfroren sind oder Gliedmaße Erfrierungen aufweisen (s.
Kap. 3.10).
Nutrias sind nicht auf bestimmte Futterpflanzen angewiesen. Allerdings nützt ihnen diese Fähigkeit
im Winter nicht viel, wenn der Boden gefroren ist, sie keine Rhizome oder Wurzeln ausgraben können und keine anderen Futterpflanzen vorhanden sind. In kalten Gebieten scheitert die Invasion an
diesem Punkt. In Regionen, in denen es nur wenige Tage im Jahr gibt, an denen die Temperatur unter dem Gefrierpunkt liegt, wie z. B. in Norddeutschland, gelingt dieser Schritt. Nutrias legen zwar
keine speziellen Überwinterungsorte an, sind aber in der Lage Rückzugsorte, wie Baue und Nester
anzulegen (s. Kap. 3.6)
Sonstige günstige Bedingungen zur Überwindung der genannten Probleme sind die Abwesenheit
58
von Prädatoren, die Ähnlichkeit vom Heimatgebiet und dem neuen Lebensraum hinsichtlich der klimatischen Gegebenheiten und der Ressourcen, aber auch die Abwesenheit verwandter Arten, da
diese mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Konkurrenten sind.
Die Abwesenheit von Prädatoren ist nicht gegeben. Das Heimatgebiet und der neuen Lebensraum
unterscheiden sich insbesondere im Winter bezüglich der klimatischen Bedingungen von einander.
Es wird davon ausgegangen, dass in Europa die Unterart M.c. bonariensis eingebracht wurde
(STUBBE 1982, GOSLING & SKINNER 1984). Deren Heimatgebiet liegt in den Subtropen, in Argentinien,
Uruguay, Paraguay und Südbrasilien (STUBBE 1982) (s. auch Kap. 3.13). Das Klima in Europa entspricht in weiten Teilen nicht dem des Heimatareals der Tiere, was insbesondere für Tiere, die im
Winter ausbrechen, problematisch ist. Es ist außerdem zu bedenken, dass die Nutria von der Südhalbkugel stammt und sich nun auf der Nordhalbkugel befindet, was dazu führt, dass sie mit vertauschten Jahreszeiten konfrontiert ist. Das kann allerdings vermutlich vernachlässigt werden, da
sich die Nutria schon länger in Gefangenschaft befunden hat, also eine Akklimatisierung stattgefunden haben kann. Die Ressourcen sind im neuen Gebiet ähnlich wie im Heimatgebiet, da sich die
Nutria von semiaquatischen Pflanzen und Wasserpflanzen ernährt und hierbei sehr anspruchslos ist.
II) Selbständige Fortpflanzung
Ist das Individuum nun geschlechtsreif, muss eine erste selbständige Fortpflanzung erfolgen. Hierbei ist ein mögliches Problem, dass die Fortpflanzung unter den Bedingungen der neuen Umgebung
nicht möglich ist. Günstig zur Überwindung des Problems ist es, wenn die Art keine besonderen
Bedingungen für die Fortpflanzung benötigt, wie es bei der Nutria der Fall ist. Außerdem muss ein
geeigneter Fortpflanzungspartner vorhanden sein. Es muss also zumindest ein Weibchen und ein
Männchen in dem selben Gebiet aus der Zucht entkommen sein und die Geschlechtsreife erlangt haben. Möglich wäre aber auch, dass ein trächtiges Weibchen aus der Zucht entkommt. Ist dies nicht
der Fall, könnte die Eigenschaft, aktiv einen Fortpflanzungspartner suchen zu können (durch Wanderungen, Gerüche, Laute) die Chance erhöhen, einen geeigneten Fortpflanzungspartner zu finden.
Diese ist für Nutrias nur bedingt gegeben. Zwar besitzen die Tiere grundsätzlich die Fähigkeit, weit
zu wandern, jedoch tun sie es fast nie. Günstig für die Invasion ist aber, dass insbesondere durch absichtliche Freilassungen meist mehrere Individuen gleichzeitig in die Freiheit gelangten und so in
mehreren Fällen geeignete Fortpflanzungspartner vorhanden waren, es also eine große Anfangspopulation gab. Dies war bei der Nutria häufig der Fall. Für die Fortpflanzung günstig ist auch, wenn
die Art die Fähigkeit besitzt, sich das ganze Jahr über fortzupflanzen, oder eine ausgedehnte Reproduktionsphase hat. Auch dies ist für die Nutria gegeben, allerdings darf es nicht zu kalt sein, damit
eine Reproduktion stattfinden kann. Daher ist es günstig, wenn das neue Gebiet dem Heimatgebiet
klimatisch ähnlich (also mild) ist. Dies ist beispielsweise in Nord- und Westdeutschland gegeben.
59
III) Trag- und Säugezeit
Ist nun die Paarung geglückt, gilt es für die Nachkommen bzw. Embryonen, die Trächtigkeit und
die Säugezeit zu überleben. Probleme, die hierbei auftreten können, sind Prädatoren (die die Mutter
fressen, bzw. später die Jungtiere oder Krankheiten), intraspezifische Konkurrenz (zu großer Wurf)
Ressourcenmangel (zu wenig Futter für die Mutter oder die Mutter gibt zu wenig Milch) und ungünstige abiotische Faktoren. Ungünstige abiotische Faktoren könnten insofern ein Problem sein,
dass die Jungen unter den herrschenden Bedingungen (Klima, Ressourcen, usw.) nicht heranwachsen können. Das würde bedeuten, dass die klimatischen Bedingungen und die Nährstoffverfügbarkeit so ungünstig sind, dass immer wieder Aborte stattfinden, um das Überleben des Muttertieres zu
sichern (s. Kap. 3.8).
Günstige Arteigenschaften zur Überwindung dieser Probleme sind eine breite ökologische Amplitude der Mutter und auch der Jungen bezüglich der Ansprüche an Ressourcen und abiotische Faktoren. Dies ist bei Nutrias nur begrenzt der Fall, da kalte Winter ihnen schaden (s. Kap. 3.10 und
Schritt 2b, I).
Zur Überwindung des Problems mit Prädatoren im engeren Sinne ist es günstig, wenn die Mutter
die Eigenschaft besitzt ihre Jungen zu verteidigen, was der Fall ist (s. Schritt 2a, III). Die Mutter
selbst wird wahrscheinlich nicht gefressen, da hauptsächlich Jungtiere durch Prädatoren bedroht
sind (s. Schritt 2b, I.). Allerdings können sowohl die Mutter, als auch die Jungen von einer Vielzahl
von Krankheiten befallen werden (s. Kap. 3.10). Stirbt die Mutter während der Säugezeit, ist es
günstig, wenn die Jungtiere schon nach wenigen Tagen unabhängig von ihrer Mutter überleben
können, was bei Nutrias der Fall ist. Es ist ebenfalls vorteilhaft, wenn die Mutter Rückzugsorte für
ihre Jungen schaffen kann. Dies ist bei Nutrias der Fall. Die Weibchen bauen Nester für ihre Jungen
(s. Kap. 3.9). Eine weitere günstige Bedingung ist die Abwesenheit von spezialisierten Prädatoren,
was in Europa gegeben ist. Es gibt noch keine Prädatoren, die sich auf die Nutria spezialisiert haben.
Es lässt sich sagen, dass auch dieser Schritt, nämlich das selbständige Wachstum und die Fortpflanzung eines Individuums für die Nutria an verschiedenen Stellen zu verwirklichen war.
60
Tabelle 7: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 2 (Selbständiges Wachstum und Fortpflanzung
mindestens eines Individuums) bestimmen, aufgeschlüsselt nach potenziellen Problemen, günstigen Arteigenschaften
und sonstigen Bedingungen (Auf Grundlage von HEGER 2004, 68-69)
Schritt 2b
Wachstum
und Fortpflanzung
Entscheidende Faktoren
Potenzielle Probleme
für den Invasor
I) Wachs- Konkurrenten
tum bis zur
Fortpflan- Prädatoren
zungsreife
aufgetreten?
Günstige Arteigenschaften
ja
Fähigkeit zur Konkur- vermutrenzstärke
lich ja
Abwesenheit von Präd- nein
atoren
Fähigkeit in neue Lebensräume abzuwandern und so der Konkurrenz zu entgehen
ja, wird
aber selten realisiert
Ähnlichkeit von Heimatgebiet und neuem
Lebensraum hinsichtlich der klimatischen
Gegebenheiten
Abwehrmechanismus
gegen Prädatoren
ja
theoretisch ja,
ist jedoch unbekannt
Ungünstige abiotische
Konditionalfaktoren
nur im
Winter
Ressourcenmangel
nur im
Winter
Fähigkeit Biomasseverlust zu ertragen
gegeben?
Ähnlichkeit von Heimatgebiet und neuem
teilweise Lebensraum im Hinblick auf Ressourcen
Fähigkeit temporär un- nein
günstigen Bedingungen zu begegnen
keine Abhängigkeitvon bestimmten Futterpflanzen
Sonstige günstige Be- gegedingungen
ben?
teilweise (im
Winter
nicht)
ja
Abwesenheit naher
verwandten Arten
ja
Ähnlichkeit zwischen
Heimatgebiet und neuem Gebiet hinsichtlich
der klimatischen Bedingungen die für die
Fortpflanzung nötig
sind
teilweise (im
Winter
meistensnicht)
ja
Fähigkeit Rückzugsor- ja
te anzulegen
II) Selbständige
Fortpflanzung
Fortpflanzung ist unter nein
den Bedingungen der
neuen Umgebung nicht
möglich
Keine besonderen Bedingungen für die
Fortpflanzung nötig
ja
Möglichkeit der akti- ja
Keine Fortpflanzungs- teilweise ven Suche nach einem
partner vorhanden
Fortpflanzungspartner
Fähigkeit sich das gan- ja
ze Jahr über fortzupflanzen (bzw. ausgedehnte Reproduktionsphase)
61
Große Anfangspopula- teilweition
se
Schritt 2b
Entscheidende Faktoren
Wachstum
und Fortpflanzung
Potenzielle Probleme
für den Invasor
aufgetreten?
Günstige Arteigenschaften
III)Tragezeit und
Säugezeit
Prädatoren (der Mutter teilweise Abwehrmechanismen
oder der Jungtiere, Prägegen Prädatoren
datoren i.e.S. oder
Krankheiten )
Frühe Unabhängigkeit
von der Mutter
intraspezifische Kon- ja (viele
kurrenz (zu großer
Aborte) Fähigkeit der Mutter
Wurf)
Rückzugsorte zu
schaffen
Ressourcenmangel
eventuell
(zu wenig Futter für
im Win- Breite ökologische
die Mutter oder die
ter
Amplitude der Mutter
Mutter gibt zu wenig
und der Jungen (bzgl.
Milch)
der Ansprüche an Ressourcen u. Klima)
gegeben?
Sonstige günstige Be- gegedingungen
ben?
ja
Abwesenheit von spezialisierten Prädatoren
ja
ja
günstige abiotische
Umweltbedingungen
(z.B. mildes Klima)
teilweise
Ressourcenverfügbarkeit
teilweise (im
Winter
nicht)
ja
teilweise
Fortsetzung Tabelle 7
Stufe 2: Spontanes Vorkommen
Diese Stufe ist erreicht, wenn im Gebiet mindestens einmal selbständig eine neue Generation produziert wurde (HEGER 2004). Das trifft vielerorts zu (s. Kap. 4.3). An mehreren Orten aber wurde die
Stufe aber nicht erreicht, z. B. an einigen Stellen in Ostdeutschland, wo es häufig nur Einzelfunde
gab (STUBBE 1978). An diesen Stellen scheiterte die Invasion also am 2. Schritt.
Schritt 3: Populationswachstum bis zur Mindestgröße einer überlebensfähigen Population
Wenn die erste Fortpflanzung in Freiheit in dem neuen Gebiet stattgefunden hat, gilt es, eine überlebensfähige Population aufzubauen. Hierbei lassen sich die Probleme des Populationswachstums unterteilen in
1. „Probleme, die sich auf der Ebene des Einzelorganismus in einer wachsenden Population
stellen
2. Probleme, die sich auf der Ebene der Population stellen“.
(HEGER 2004, 70)
Die potentiellen Probleme, die in diesem Schritt für die invadierende Art auftreten, sind, dass ein
Populationswachstum nicht möglich ist, weil die Erstansiedlung nur ein „Glücksfall“ war, dass Prädatoren auftreten, die durch eine größere Anzahl von Individuen gleicher Art angelockt werden, intraspezifische Konkurrenz, dass Nachkommen der Anfangspopulation in der Umgebung der Elterntiere kein geeignetes home range finden und dass die geringe Größe der Anfangspopulation zu Problemen durch demographische, genetische und Umweltstochastizität führt.
62
Es ist sicher, dass die Erstansiedlung vielerorts nur ein „Glücksfall“ war und die Tiere bereits nach
dem ersten Winter wieder verschwanden (MÜLLER-USING 1965, NIETHAMMER 1963). An anderen Orten konnten sich jedoch längerfristig Populationen bilden (ebd.). Als Ursache hierfür ist im wesentlichen das Klima zu nennen.
Prädatoren spielen eine Rolle, wenn sie viele Jungtiere jagen. Intraspezifische Konkurrenz kann außer Acht gelassen werden, da die Nutrias in andere Gebiete abwandern könnten. Weil Nutrias häufig in der Nähe ihrer Eltern bleiben und Weibchen in kleinen Kolonien leben, ist es unwahrscheinlich, dass das fehlen eines home range in der Nähe der Elterntiere ein Problem darstellt.
Das Problem der demographischen Stochastizität, also der Summierung von Einzelschicksalen
(HEGER 2004), spielt bei der Populationsgründung eine Rolle. Dies ist insbesondere bei kleinen Populationen bedeutsam, da Einzelschicksale eine größere Bedeutung haben. Eine hohe Reproduktionsfähigkeit vermindert allerdings die Auswirkungen von Einzelschicksalen auf die Population.
Nutrias haben eine hohe Reproduktionsfähigkeit, allerdings müssen hierfür die klimatischen Bedingungen günstig sein (s. Kap. 3.8). Eine weitere Möglichkeit, die es nicht dazu kommen lässt, dass
sich das Problem der demographischen Stochastizität stellt, ist, dass viele Tiere auf einmal in die
Freiheit gelangen und somit eine hinreichend große Anfangspopulation gegeben ist. Dadurch würden Einzelschicksale nicht mehr stark ins Gewicht fallen. Dies war zumindest manchmal, vor allem
nach Farmauflösungen, der Fall.
Ebenfalls als kritisch anzusehen ist die genetische Stochastizität, also genetische Drift und Inzucht
(HEGER 2004). Im Fall der genetischen Drift gehen Allele in zufälliger Auswahl von einer Generation zur nächsten verloren, so dass eine genetische Verarmung stattfindet. Dies ist insbesondere bei
kleinen Populationen wahrscheinlich, die sowieso nur wenig genetisches „Ausgangsmaterial“ besitzen. Ein Problem hierbei ist, dass nachteilige Allele fixiert werden können und die Populationen
nicht mehr so flexibel auf Umweltschwankungen reagieren können. (HEGER 2004) Inzucht führt bei
der Nachkommensgeneration zu einem höheren Anteil homozygoter Genotypen, so dass nachteilige
rezessive Gene fixiert werden können (HEGER 2004).
In beiden Fällen ist eine hohe genetische Anpassungsfähigkeit und eine hohe genetische Vielfalt der
Anfangspopulation günstig. Jedoch lassen sich darüber, ob das bei Nutrias der Fall ist, nur schwer
Aussagen treffen. Untersuchungen an 100 Nutrias in Maryland ergaben, dass die Tiere eine hohe
genetische Ähnlichkeit besaßen6 (MORGAN ET AL. 1981). Dies ist wahrscheinlich auch bei Zuchtauflösungen der Fall, da viele der Tiere miteinander verwandt sind. In Maryland war diese genetische
Ähnlichkeit auf den Gründer-Effekt zurückzuführen, da nur wenige Tiere in die Freiheit gelangten
und eine Population aufbauten (ebd.). Hiermit ist also auch in Europa zu rechnen. Zur Überwindung
dieses Problems ist es günstig, wenn immer wieder neue Ausbrüche stattfinden und neue Gene in
die Ausgangspopulationen gelangen. Dass dies geschehen ist, ist für Ansiedlungen nahe einer Nutriafarm sehr wahrscheinlich. Jedoch ist auch in diesem Fall nicht gewährleistet, dass die ausgebrochenen Tiere nicht bereits in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu den Tieren der freilebenden
6
Sowohl die Enzyme von 100 untersuchten Tieren waren alle monomorph als auch die Serumproteine. Lediglich die
Esterasen der Leber und die Laktat-Dehydrogenase waren poloymorph. (MORGAN ET AL. 1981)
63
Population stehen und daher genetisch ähnlich sind, insbesondere wenn sie von dem gleichen Betrieb stammen, da davon auszugehen ist, dass Nutriazuchten mit nur wenigen Elterntieren aufgebaut
wurden. Inzucht ist auch ein sehr wahrscheinlicher Faktor, der allerdings schon in der Farmhaltung
auftritt. So empfiehlt WALTHER (1940, 127), um eine gewünschte Fellfarbe zu erzielen oder „schädliche Erbanlagen“ auszumerzen, Inzucht anzuwenden, was vermutlich auch getan wurde.
Mit Umweltstochastizität ist die Veränderung eines Umweltfaktors gemeint, die gleichzeitig negative Auswirkungen auf die Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit zahlreicher Individuen hat
(HEGER 2004). Um dieses Problem zu umgehen, ist es von Vorteil, wenn die Population groß ist, so
dass die Wahrscheinlichkeit, dass alle Individuen von der Veränderung des Umweltfaktors betroffen sind, sinkt. Im Fall der Nutria ist dieser Umweltfaktor die Temperatur. Würde sich das Klima
dauerhaft abkühlen, so würde sich dies negativ auf das Überleben von Individuen und die Reproduktion auswirken (s. Kap. 3.8 und 3.10). Dies ist allerdings nicht der Fall.
Katastrophen sind ebenfalls ein externes Problem, auf das eine invadierende Art treffen kann. Hierbei handelt es sich um die Veränderung von Umweltfaktoren, die alle Individuen der Population
gleichermaßen trifft und zum Tod der Individuen führt, unabhängig von der Populationsgröße und
der Beschaffenheit der Individuen (HEGER 2004). Ein Beispiel für solch eine Katastrophe war der
Winter 1962/63, der zum Tod von einer Vielzahl von Individuen und zum Aussterben ganzer Populationen geführt hat (s. Kap. 4.3).
Es wird deutlich, dass die invadierende Art in diesem Schritt auf eine Vielzahl von Problemen trifft,
deren Überwindung von für die Art günstigen Bedingungen und Zufällen abhängen. Dennoch besitzt die Nutria Arteigenschaften, die unter bestimmten Bedingungen vorteilhaft für den Aufbau einer Population sind. Sie ist grundsätzlich in der Lage, unter günstigen klimatischen Bedingungen
zahlreiche Nachkommen zu produzieren. Ferner kann sie das Geschlecht ihrer Nachkommen aktiv
beeinflussen, was bedeutsam für das Fortbestehen und das Wachstum der Population ist (s. Kap.
3.8). Auch die Möglichkeit, weit zu wandern, um ein neues home range ausfindig zu machen, ist
gegeben, doch wird das selten von den Tieren realisiert (s. Kap. 3.7).
Negativ wirkt sich auf den Aufbau einer Population die relativ lange Generationszeit der Tiere aus.
Positive äußere Bedingungen, die den Populationsaufbau erleichtern, sind das Fehlen von spezialisierten Prädatoren trotz längerer Anwesenheit und die Abwesenheit nahe verwandter Arten, was
beides gegeben ist. Außerdem ist es günstig, wenn geeignete Lebensräume häufig sind und es vielerorts eine große Anfangspopulation gibt. Diese beiden Punkte sind ebenfalls gegeben. Letzterer
dadurch, dass häufig eine wiederholte Einbringung bzw. mehrere Ausbrüche hintereinander stattgefunden haben.
64
Tabelle 8: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 3 (Populationswachstum bis zur Mindestgröße
einer überlebensfähigen Population) bestimmen, aufgeschlüsselt nach potenziellen Problemen, günstigen
Arteigenschaften und sonstigen günstigen Bedingungen (Auf Grundlage von HEGER 2004, 80)
Schritt 3
Populationswachstum
Entscheidende Faktoren
Potenzielle Probleme
für den Invasor
aufgetreten?
Günstige Arteigenschaften
Populationswachstum in kalten Genetische Anpassungsist nicht möglich, weil Gebieten fähigkeit
Erstansiedlung nur ein
„Glücksfall“ war
Fähigkeit der Produktion
zahlreicher Nachkommen
Prädatoren treten auf, nein
die durch eine größere
Anzahl gleicher Individuen angelockt werden
Intraspezifische Konkurrenz
gegeben?
Sonstige günstige Be- gegedingungen
ben?
unbekannt
Fehlen von spezialija
sierten Prädatoren trotz
längerer Anwesenheit
nur bei
günstigen klimatischen
Bedingungen
Abwesenheit verwand- ja
ter Arten
Geeignete Lebensräume im neuen Gebiet
häufig
ja
nein
Nachkommen der An- nein
fangspopulation finden
in der Umgebung der
Elterntiere kein geeignetes home range
Geringe Größe der An- theorefangspopulation führt tisch
zu Problemen durch
demographische, genetische und Umweltstochastizität
Kurze Generationszeit
nein
Große Anfangspopula- teilweitionen
se
Hohe genetische Vielfalt vermutder Population
lich
Wiederholte Einnicht
schleppung und Ausbrüche
Fähigkeit weit zu wanja
dern um ein neues home
range ausfindig zu machen
ja
Stufe 3: Dauerhafte Etablierung
Die Stufe der dauerhaften Etablierung ist erreicht, wenn mindestens eine „überlebensfähige Population“ im Sinne einer „minimum viable population“ im neuen Gebiet existiert (HEGER 2004). Die Nutria konnte trotz vieler Probleme Populationen gründen, die zwar oft wieder verschwanden (s. Kap.
4.3), jedoch waren die Impfungen im neuen Gebiet so groß und häufig, dass sich einige Populationen halten und vergrößern konnten. Die Stufe der dauerhaften Etablierung hat die Nutria in
Deutschland also an verschiedenen Stellen erreicht. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, dass, auch
wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, diese Populationen aufgrund von sehr ungünstigen
Umweltbedingungen wieder aussterben können, also dass sich die Nutria auf dieser Stufe langfristig
nicht hält. In der Tat verschwanden vielerorts nach dieser Definition dauerhaft etablierte Populationen wieder, wie beispielsweise an der Schwalm in Hessen, wo eine auf 300 Tiere geschätzte Population durch einen strengen Winter geschwächt wurde und anderthalb Jahre später völlig verschwunden war (MÜLLER-USING 1965). In manchen Gebieten war das Erreichen dieser Stufe auch
nicht möglich, wie die Angaben von NIETHAMMER (1963) und MÜLLER-USING (1965) zeigen (s. Kap.
65
4.3). In diesen Fällen gab es zwar Ausbrüche und einzelne Ansiedlungen, aber es konnte keine dauerhafte Etablierung stattfinden.
Schritt 4: Ausbreitung zu neuen Standorten
Im letzten Schritt muss sich die Population nun ausbreiten. Das Problem hierbei ist, dass es an jedem Standorttyp eine neue Kombination an möglichen kritischen Situationen gibt. Es müssen wieder an jedem Standort die Probleme, die in den Invasionsschritten 2b bis 3 auftreten, also beim
Wachstum, der Entwicklung und der Fortpflanzung sowie beim Populationswachstum, gelöst werden. (HEGER 2004)
Potentielle Probleme, die auch in diesem Schritt auftreten können, sind, dass nicht genügend Nachkommen vorhanden sind, dass keine weiteren geeigneten Habitate erreichbar sind und, dass Wanderungen aufgrund von Ausbreitungsbarrieren nicht möglich sind. Insbesondere als schwierig könnte
sich das Problem der mangelnden Anzahl an Nachkommen herausstellen, da Nutrias zwar viele
Nachkommen produzieren können, was prinzipiell vorteilhaft ist, allerdings ist ihnen dies nur möglich, wenn die klimatischen Gegebenheiten günstig sind (s. Kap. 3.8). Dass keine geeigneten Habitate erreichbar sind, ist eher unwahrscheinlich, da die Nutria an verschiedenen Gewässern leben
kann (s. Kap. 3.5) und daher nur in erreichbarer Nähe ein Habitat mit Gewässer sein muss. Auch
Ausbreitungsbarrieren sind in den meisten Fällen nicht zu erwarten, da sich Nutrias entlang von
Flussläufen ausbreiten und diese nicht unterbrochen sind. Problematisch könnten aber Hochgebirge
sein, da ein Vorkommen von Nutrias in Gebirgsbächen eher unwahrscheinlich ist, ebenso, dass Nutrias über hohe Gebirge wandern würden. Ungünstig könnten daher auch Wasserscheiden sein, da
sie aufgrund großer Gebiete ohne Flüsse, für die Tiere nicht durchwanderbar sein könnten. MEYER
(2001) berichtet allerdings, dass eine Überwindung von Wasserscheiden anscheinend nicht unmöglich ist.
Weitere günstige Arteigenschaften sind eine hohe genetische Anpassungsfähigkeit der Population,
was unbekannt ist, und eine hohe genetische Vielfalt der Gesamtpopulation im neuen Gebiet, die
wahrscheinlich nicht gegeben ist (s. Schritt 3). Negativ ist, dass die Nutria ein sehr standorttreues
Tier ist, wobei sie theoretisch in der Lage ist zu wandern.
Eine Ähnlichkeit des Klimas mit dem vom Heimatareal ist von Vorteil für die Ausbreitung, weil
dann die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass genügend geeignete Habitate vorhanden sind. Dies ist
in Deutschland für die Nutria nur bedingt gegeben. Dafür gibt es aber keine Ausbreitungsbarrieren,
die Relevanz für die Tiere besitzen. Positiv wirkt sich ebenfalls ein Nachschub von Farmflüchtlingen aus, was zumindest bis Ende der 80er Jahre gegeben war. Außerdem ist günstig, dass es viele
Gewässer und somit geeignete Lebensräume im neuen Gebiet gibt.
66
Tabelle 9: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 4 (Ausbreitung zu neuen Standorten) bestimmen,
aufgeschlüsselt nach potenziellen Problemen, günstigen Arteigenschaften und sonstigen günstigen Bedingungen. (Auf
Grundlage von HEGER 2004, 90)
Schritt 4
Entscheidende Faktoren
Ausbreitung
Potenzielle Probleme
für den Invasor
aufgetreten?
Günstige Arteigenschaften
gegeben?
Sonstige günstige Be- gegedingungen
ben?
Nicht genügend Nachkommen vorhanden
nein
Fähigkeit eine hohe
Anzahl von Nachkommen zu produzieren
Klimatische Ähnlich- nein
keit von Heimatgebiet
und neuem Gebiet
Keine weiteren geeigneten Habitate (in erreichbarer Nähe) vorhanden
nein
nur bei
milden
Temperaturen
Wanderung aufgrund
von Ausbreitungsbarrieren nicht möglich
nein
Wenige oder keine
Fähigkeit der Individu- teilweise Ausbreitungsbarrieren
en viele Standorte zu
besiedeln
Ständiger Nachschub
von Farmflüchtlingen
Genetische Anpasnicht besungsfähigkeit der Indi- kannt
Viele geeignete Leviduen
bensräume im neuen
Gebiet vorhanden
Genetische Vielfalt der nein
Gesamtpopulation im
neuen Gebiet
Fähigkeit weit zu wandern
ja
nicht
mehr
ja
ja
Stufe 4: Abgeschlossene Ausbreitung im neuen Gebiet
Diese Stufe wurde noch nicht erreicht, auch wenn regional, zum Beispiel im östlichen Niedersachsen und in Sachsen-Anhalt, bereits alle geeigneten Lebensräume bewohnt zu sein scheinen (BARTEL
ET AL. 2007). Inwieweit sich die Nutria in Deutschland noch ausbreiten kann, wird in Kapitel 7 diskutiert.
6.4 Fazit: Entscheidende Faktoren für die Invasion der Nutria in Deutschland
In Deutschland befindet sich die Nutria derzeit an vielen Orten im vierten Invasionsschritt. Es hat
schon eine starke Ausbreitung insbesondere in Norddeutschland stattgefunden. Allerdings ist davon
auszugehen, dass noch nicht alle geeigneten Habitate tatsächlich von den Tieren besiedelt wurden.
Eine Erhöhung der Dichte ist sicherlich ebenfalls noch in vielen bereits besiedelten Gebieten möglich. Betrachtet man die Tabellen 6 bis 9, so erkennt man, dass nicht viele der Probleme, die sich einem invadierenden Säugetier stellen können, tatsächlich aufgetreten sind. Es gibt viele geeignete
Lebensräume und keine Ausbreitungsbarrieren. Die einzige Art, die mit der Nutria in Konkurrenz
zu stehen scheint, ist der Bisam, wobei die Nutria überlegen scheint. Über die Konkurrenz zum Biber gibt es unterschiedliche Aussagen (s. Kap. 5.2.1). Inwieweit pflanzenfressende Wasservögel
eine Konkurrenz darstellen, ist nicht bekannt. Weitere günstige Bedingungen sind ein jahrelanger
67
Nachschub von Farmflüchtlingen, Freilassungen einer hohen Anzahl an Tieren, Ansiedlung von
Farmen an geeigneten Lebensräumen für die Tiere und Ausbrüche an verschiedenen Standorten, die
die Gründung mehrerer Populationen erlaubten. Entgegen kamen der Nutria auch eine hohe Variabilität in der Wahl der Futterpflanzen sowie ihre Anspruchslosigkeit gegenüber dem Gewässertyp,
der Gewässergüte und der sonstigen Beschaffenheit des Lebensraumes. Hinzu kommen die Fähigkeiten, sich das ganze Jahr über fortzupflanzen, das Geschlechterverhältnis der Nachkommen zu bestimmen und eine relativ hohe Anzahl an Nachkommen zu produzieren sowie deren frühe Unabhängigkeit von der Mutter.
Die Bedingungen für eine Invasion der Nutria in Deutschland sind also sehr gut, wenn man vom Risikofaktor Klima absieht. Kalte Winter sind, insbesondere mit dem Ressourcenmangel der als Folge
von gefrorenen Böden und hohem Schnee auftaucht, in einigen Teilen Deutschlands Begrenzungsfaktoren (s. Kap. 7). Ebenfalls ungünstig ist die Standorttreue der Tiere; sie wandern nur im Notfall
und suchen sich neue Lebensräume (s. Kapitel 3.7). Problematisch könnten auch Prädatoren im engeren Sinne, wie Füchse und Marder sein, wenn sie viele Jungtiere fressen und somit das Populationswachstum verhindern. Auch Parasiten und anders hervorgerufene Krankheiten könnten ein Problem darstellen. Ungünstig könnte ebenfalls eine mangelnde genetische Vielfalt der Population sein
sowie die Tatsache, dass es vielerorts nur kleine Anfangspopulationen gab und somit Probleme
durch demographische, genetische und Umweltstochastizität gegeben sind.
Außer Acht gelassen wurde bisher die Jagd. Diese erscheint zwar nicht im Modell, darf jedoch nicht
ignoriert werden, wenn man beurteilen will, ob Nutrias in Deutschland dauerhaft etabliert sind. Viele Ansiedlungen wurden nur festgestellt, weil Tiere erlegt und anschließend gemeldet wurden (z. B.
einige Nutriavorkommen bei STUBBE 1978). Es ist möglich, dass es sich bei solchen Vorkommen
nur um einzelne Tiere handelte, die durch die Bejagung wieder erloschen sind.
Eine Besonderheit im Fall der Nutria ist, dass die Stufe drei momentan zwar erreicht ist, wenn man
von üblicherweise zugrundegelegten Werten einer „mimal viable population“ ausgeht, man aber
trotzdem nicht von dauerhaft gesicherten Vorkommen sprechen kann. Zwar schreitet die Invasion
weiter voran, kann aber doch noch scheitern, da starke Temperaturschwankungen zum totalen Einbruch sämtlicher Populationen führen oder die Invasion zumindest auf Schritt drei zurückwerfen
könnten. Diese Art der Unsicherheit hinsichtlich des dauerhaften Vorkommens trotz Erreichen der
Stufe 'Dauerhafte Etablierung' ist eine Gegebenheit, die im Modell nicht vorgesehen ist, die aber im
Fall der Nutria von Bedeutung ist. Das liegt daran, dass die Unsicherheit von einem Faktor abhängt,
dessen Wahrscheinlichkeit kaum einzuschätzen ist.
Fraglich ist aber, ob heute noch eine komplette Vernichtung von Populationen, oder der ganzen
Mitteleuropäischen Population, in extrem kalten Wintern möglich ist, da sich die Tiere in den vorherigen Jahren so stark vermehren konnten, dass ein Aussterben als unwahrscheinlich zu betrachten
ist. Beispiele aus England und Maryland zeigen zwar, dass große Populationseinbußen stattfinden
können, jedoch sind nicht diese die Ausrottungsursachen gewesen, sondern die Tiere wurden dort
trotz der starken Einbußen als „Plage“ angesehen und zumindest in England ausgerottet (GOSLING &
BAKER 1989a).
68
7. Prognose der Bestandsentwicklung und Ausbreitung
In diesem Kapitel soll anhand der vorher gewonnenen Erkenntnisse eine Prognose der Bestandsentwicklung, und, basierend auf Klimadaten, eine Vorhersage für die weitere Ausbreitung der Nutria in
Deutschland gegeben werden. Letzteres geschieht in einem ersten Schritt auf der Grundlage aktueller Klimawerte und wird in einem zweiten Schritt auch für zukünftige Szenarien des Klimawandels
diskutiert.
Vorhersagen über die weitere Ausbreitung einer Art sind schwierig, da alle relevanten Bedingungen
in ihrer Variabilität bekannt sein müssten, um eine einigermaßen exakte und detaillierte Vorhersage
über den Verlauf einer Invasion zu machen; sie können selbstverständlich nie bekannt sein (HEGER
2004). Es ist daher nur möglich, aufgrund bekannter Variablen, in diesem Fall der Biologie der Nutria, sowie der klimatischen und geographischen Bedingungen des invadierten Gebiets, Aussagen zu
treffen. Da die Nutria in vielen für sie fremden Gebieten, die klimatisch nicht identisch mit ihrem
Heimatareal sind, untersucht wurde, ist in diesem Fall auch die ökologische Fremdheit kein völlig
unkalkulierbarer Faktor mehr, wie das nach HEGER (2004) bei anderen Arten der Fall sein kann.
7.1 Bestandsentwicklung
Die Nutria besitzt viele Eigenschaften, die für eine gelingende Invasion günstig sind. Sie befindet
sich inzwischen im vierten Schritt ihrer Invasion in Deutschland und es ist sehr wahrscheinlich,
dass sie sich noch weiter ausbreitet. In Kapitel 6.4 wurde erläutert, dass der wesentliche limitierende Faktor das Klima ist. Dieser Ansicht sind auch andere Autoren (NIETHAMMER 1963, MÜLLER-USING
1965, KINZELBACH 2002, MEYER 2001). Gäbe es nicht tiefe Wintertemperaturen als Begrenzung, so
würden sich die Bestände vermutlich noch stark erweitern, wie das in anderen klimatisch günstigeren Gebieten außerhalb ihres Heimatareals (z. B. in Louisiana) der Fall war und weiterhin ist.
Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass die Nutria selbst in Gebieten, die sich klimatisch von ihrem Heimatgebiet in Südbrasilien und Nordargentinien stark unterscheiden (z. B. Maryland und
England), große überlebensfähige Populationen aufbauen konnte (s. Kap. 4.5). Sie hat somit eine
weite Amplitude im Hinblick auf bestimmte klimatische Faktoren – viel weiter, als es von ihrer
Verbreitung im Heimatgebiet aus zu vermuten ist – oder sie ist als sehr anpassungsfähig in genotypischer Hinsicht anzusehen, d. h. es haben Anpassungsprozesse auf genetischer Ebene stattgefunden. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich die Bestände trotz der vergleichsweise kalten klimatischen Bedingungen in Deutschland noch vergrößern werden, zumindest wenn sie nicht bejagt
und dadurch kontrolliert werden und es keine extrem kalten Winter gibt. Diese Ausbreitung wird
wohl zunächst in Gebieten mit milderem Klima geschehen, die in Nord- und Westdeutschland liegen, wo es auch jetzt schon viele, zum Teil große, Nutriapopulationen gibt. Welche Gebiete dies genau sind, wird im folgenden Kapitel beschrieben.
69
7.2 Mögliche Ausbreitung unter den derzeitigen klimatischen Verhältnissen
Wie stark niedrige Wintertemperaturen die Ausbreitung der Nutria begrenzen, unterscheidet sich innerhalb Deutschlands nach Regionen. Dies wird auch in Vergleichen mit Klimadiagrammen aus
Gebieten, in denen die Nutria eine invasive Art war7, wie England und Maryland (Abb. 18 und 19),
deutlich. Man erkennt, dass die Wintertemperaturen von Nordhorn (Abb. 20) in Westdeutschland
denen von Baltimore in Maryland ähneln. Die winterlichen Temperaturen in England sind hingegen
etwas höher, wobei nicht bekannt ist, ob es der Art dadurch besser erging als in Maryland. In Straubing (Abb. 21) in Südostdeutschland liegt die durchschnittliche Temperatur im Januar deutlich unter 0 °C, was sich von den anderen Gebieten mit Nutriavorkommen unterscheidet. Der Vergleich
der Klimadiagramme zeigt, dass es in Deutschland Gebiete gibt, in denen mit einer weiteren Ausbreitung der Art zu rechnen ist, nämlich überall dort, wo die durchschnittlichen Temperaturen ganzjährig über 0 °C liegen. In anderen Gebieten hingegen, wo die durchschnittliche Temperatur in einem oder mehreren Monaten unter 0 °C liegt, ist nicht mit einer weiteren Verbreitung der Art zu
rechnen. Dies liegt daran, dass die Tiere bei gefrorenem Boden nicht nach Nahrung suchen können
und sie somit lange Zeiten mit Schnee und gefrorenem Boden nicht überstehen können (s. Kap.
3.10). Es lässt sich also sagen, dass einige Gebiete in Deutschland aufgrund tiefer Wintertemperaturen ungeeignet oder zumindest sehr ungünstig für die Ansiedlung von Nutrias erscheinen, andere
hingegen nicht.
Viele Autoren gehen davon aus, dass keine starke Ausbreitung der Art in Deutschland zu erwarten
ist, oder die Bestände zumindest aufgrund der Kälteempfindlichkeit der Tiere einfach durch Jagd regulierbar sind (NIETHAMMER 1963, MÜLLER-USING 1965, KINZELBACH 2002, WENZEL 1985). Dem widerspricht MEYER (2001), der argumentiert, dass die Nutria in der Lage sei, ihre witterungsbedingten
Verluste durch starke Reproduktion wieder auszugleichen. Außerdem beobachtete der Autor, dass
die Nutria sogar auf Höhenlagen über 600 m NN regelmäßig auftaucht und wies Wanderungen bis
zu 41 Kilometer nach (s. Kap. 3.7). Er geht daher von einer Expansion der Vorkommen in Ostthüringen aus. Ferner sei eine Überwindung von Wasserscheiden anscheinend nicht unmöglich und daher auch mit einer Ausbreitung in den Raum Oberfranken zu rechnen (ebd.)
7
In diesen Gebieten wurde die Nutria ausgerottet (s. Kap. 4.5).
70
Abbildung 18: Klimadiagramm Manston, Süd-OstEngland (MÜHR 2007a)*
Abbildung 20: Klimadiagramm Nordhorn,
Westdeutschland (MÜHR 2007c)*
Abbildung 19: Klimadiagramm Baltimore, Maryland, USA
(MÜHR 2007b)*
Abbildung 21: Klimadiagramm Straubing, Süd-OstDeutschland (MÜHR 2007c)*
* Angaben in der Kopfzeile: Meter über NN, jährliche Durchschnittstemperatur, durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge
71
Vergleicht man die Karte des derzeitigen Vorkommens der Nutria in Deutschland mit der Karte der
winterlichen Temperatur (gemessen 2 m über dem Erdboden) für die Klimaperiode von 1961-19908
(Abb. 22 und 23), erkennt man, dass ein Schwerpunkt des Nutriavorkommens in den wärmeren Gebieten mit einer durchschnittlichen winterlichen Temperatur von 1-3 °C liegt. Allerdings gibt es
auch in diesen Regionen oft nur fleckige Vorkommen, so dass mit einer Verringerung der Lücken
im Verbreitungsgebiet zu rechnen ist. Auf Grundlage der Klimadaten lässt sich vermuten, dass sich
die Art noch weiter im Saarland ausbreiten kann, da dieses nach der Karte von BARTEL ET AL. (2007)
fast noch gar nicht besiedelt ist, aber in einem klimatisch günstigen Gebiet liegt (s. Abb. 23) und es
dort früher auch schon Ansiedlungen gab (s. Kap. 4.4). Auch in Niedersachsen gibt es noch viele
Stellen, die noch nicht besiedelt sind, aber von den klimatischen Bedingungen her besiedelt werden
könnten (s. Abb. 23). Hier lässt sich ebenfalls vermuten, dass sich die Lücken im Verbreitungsgebiet noch schließen werden. Über den derzeitigen Stand der Verbreitung in Schleswig-Holstein gibt
es keine Angaben, allerdings ist auch hier wegen des milden Klimas davon auszugehen, dass die
Nutria entweder schon weit verbreitet ist oder das Gebiet noch, und zwar vollständig, besiedeln
wird. Letzteres gilt auch für Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere entlang der Ostseeküste. In
diesen Gebieten dürfte es auch nicht an geeigneten Lebensräumen mangeln, da es eine hohe Anzahl
an Seen und Flüssen gibt. Da Nutrias tolerant gegenüber Salzwasser sind (s. Kap. 3.5), können auch
Küstengebiete besiedelt werden. Erstaunlicherweise gibt es dort aber zur Zeit nur wenige Bestände
und auch in der Vergangenheit gab es nur wenige Ansiedlungen (s. Abb. 10 und 11). Für Brandenburg fehlen zwar aktuelle Angaben, allerdings gab es in der Vergangenheit viele Bestände (s.
Abb. 11). Ob sich diese halten konnten, ist fragwürdig, da zumindest in Ostbrandenburg die Wintertemperaturen sehr niedrig sind (s. Abb. 22). In Berlin gibt es Ansiedlungen, obwohl die Stadt in einem kälteren Gebiet liegt. Gründe hierfür könnten ein milderes Stadtklima und Fütterungen sein,
die ein Verhungern im Winter verhindern. Dass es fast keine Bestände in Rheinland-Pfalz gibt, ist
verwunderlich, da es viele Ansiedlungen in den benachbarten Ländern Nordrhein-Westfalen und
Baden-Württemberg gibt und die klimatischen Gegebenheiten relativ günstig sind (s. Abb. 22).
Auch gab es dort in der Vergangenheit bereits größere Ansiedlungen (s. Kap. 4.3). Langfristig ist
hier mit weiteren Ansiedlungen zu rechnen, wenn sich die Bestände der benachbarten Bundesländer
ausbreiten.
Nur wenige Bestände gibt es in Gebieten mit einer durchschnittlichen 2-m-Wintertemperatur von -1
bis 1 °C. Diese liegen in Bayern, wobei es auch dort einzelne Ansiedlungen gibt. Eine davon ist in
München, was ähnliche Ursachen wie in Berlin haben könnte. Die anderen liegen hingegen in kalten Gebieten. Ursachen hierfür sind nicht bekannt. In Hessen, Thüringen und im südlichen Teil von
Sachsen gibt es zwar einzelne Bestände, jedoch liegen diese viel verstreuter als die in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die meisten dieser Ansiedlungen liegen in klimatisch günstigeren
Teilen der Bundesländer.
8
Die verwendete Karte stammt aus einer Modellierung von JACOB ET AL. (2008), die das Ziel hatte, zukünftige Szenarien
zu berechnen. Der Kontrolllauf für die Jahre 1961-1990 diente dazu, das Modell zu testen.
72
Abbildung 22: Kartendarstellung der winterlichen 2m-Temperatur [°C] für die Klimaperiode von 19611990 (aus Jacob et al. 2008, 104)
73
Abbildung 23: Nutriavorkommen in Deutschland, Frühjahr 2006 (Gemeindeebene) (aus BARTEL ET AL. 2007)
74
7.3 Mögliche Bestandsentwicklung unter Berücksichtigung des Klimawandels
Für die Nutria sind die klimatischen Bedingungen in einigen Teilen Deutschlands gerade noch tolerierbar, in anderen Teilen des Landes ist eine Besiedlung derzeit nicht möglich. Erhöhen sich jedoch
die Wintertemperaturen nur um wenige Grad Celsius, so erweitert sich auch das besiedelbare Areal
der Art sehr stark. Außerdem wird das Überleben in den bereits besiedelten Gebieten sicherer, da
auch dort die Winter milder werden und somit die negativen Auswirkungen auf die Population geringer sind.
In den Abbildungen 25 bis 27 sind verschiedene Prognosen der winterlichen 2m-Temperaturen für
die Jahre 2071-2100 abgebildet. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde Abbildung 22 (die winterliche 2m-Temperatur für die Klimaperiode 1961-1990) nochmals abgedruckt (Abb.24). Die Unterschiede in den Abbildungen 25 bis 27 (den Szenarien B1, A1B, A29) ergeben sich aus Berechnungen mit eher niedrigen, mittleren und hohen Emissionsraten von Treibhausgasen (JACOB ET AL.
2008). Im A1B-Szenario ist der Anstieg der Temperaturen mit mehr als 4 °C im Deutschlandmittel
am höchsten (ebd.). Die Anzahl der Tage mit Schneebedeckung nimmt in allen Szenarien stark ab,
in einzelnen Teilen Deutschlands sogar um 20 bis mehr als 40 Tage (ebd.). Betrachtet man die Abbildungen 25 bis 27, so ist bei jedem Szenario eine erhebliche Erwärmung festzustellen. Fast überall
in Deutschland (außer in einigen Gebieten im B1-Szenario) werden durchschnittliche Wintertemperaturen prognostiziert, die höher sind als die derzeitigen Temperaturen in den Gebieten, in denen
Nutrias vorkommen; sie betragen dann durchschnittlich 3 bis 7 °C. Das bedeutet, dass sich die Nutria, was das Klima anbelangt, ohne Probleme in ganz Deutschland ausbreiten könnte, mit Ausnahme der Alpen und den Hochlagen der Mittelgebirge. Bedingung hierfür ist natürlich ein geeigneter
Lebensraum, in dem Wasser in Form von Bächen, Flüssen, Teichen oder Seen vorhanden sein muss
(s. Kap. 3.5). Dies ist im Grunde in ganz Deutschland gegeben, mit Ausnahme einiger Mittlelgebirge und dem Alpenraum. Die Ausbreitung der Nutria wird daher in Zukunft nicht mehr durch klimatische Bedingungen begrenzt, sondern durch Prädatoren und durch Parasiten und anders hervorgerufene Krankheiten.
Eine Voraussetzung für die zukünftige Ausbreitung ist, dass sich Nutriapopulationen über die
nächsten 60 Jahre halten können. Dies ist sehr wahrscheinlich, da die Jahresmitteltemperatur bereits
seit Anfang der 1990er Jahre langsam ansteigt (Abb. 28) und es somit, falls dieser Trend anhält, immer leichter für die Tiere wird, zu überleben. Zudem wird mit einer zunehmenden Ausbreitung die
Wahrscheinlichkeit geringer, dass extreme winterliche Ereignisse alle Populationen gleichzeitig
treffen. Es wird vermutlich immer überlebende Populationen geben, die sich dann wieder ausbreiten
können.
Generell ist anzunehmen, dass die Ausbreitung der Nutria langsam stattfinden wird, da sie sehr
standorttreu ist. Zunächst wird sich vermutlich die Bestandsdichte in den derzeitig besiedelten Gebieten erhöhen, bevor weitere Gebiete besiedelt werden. Dies wird voraussichtlich erst als Folge
9
Die Benennung der Szenarien wurde von JACOB ET AL. (2008) übernommen und zur besseren Vergleichbarkeit mit der
Quelle beibehalten.
75
von Überbevölkerung, und das bedeutet Ressourcen- und Lebensraummangel der Tiere eines Gebietes, stattfinden.
Abbildung 24: Kartendarstellung der winterlichen
2m-Temperatur [°C] für die Klimaperiode (KNP)
von 1961-1990 für den Kontrolllauf (ohne
Veränderung der Temperatur) (JACOB ET AL. 2008,
104)
Abbildung 26: Kartendarstellung der winterlichen
Mittel der 2m-Temperatur [°C] für die Zeit von 20712100 für das A2 Szenario (mittlere Veränderung)
(JACOB ET AL. 2008, 110)
Abbildung 25: Kartendarstellung der winterlichen
Mittel der 2m-Temperatur [°C] für die Zeit von 20712100 für das B1 Szenario (geringe Veränderung)
(JACOB ET AL. 2008, 108)
Abbildung 27: Kartendarstellung der winterlichen 2mTemperatur [°C] für die Zeit von 2071-2100 für das A1B
Szenario (stärkste Veränderung) (JACOB ET AL. 2008, 106)
76
Abbildung 28: Zeitlicher Verlauf der Änderung des Wintermittels der 2m-Temperatur [°C] (Gebietsmittel Deutschland,
gleitendes 10-Jahresmittel) in Bezug auf die KNP (1961-1990) für den Kontrolllauf (schwarz), sowie die Szenarien
A1B (grün), B1 (blau), und A2 (orange) (JACOB ET AL. 2008, 93)
77
8. Fazit und Ausblick
Im Folgenden wird ein Fazit über die Ausbreitung und die ökologischen Auswirkungen der Nutria
gezogen. Ferner werden offene Forschungsfragen aufgezeigt. Die Nutria befindet sich derzeit in
Deutschland im Prozess der Ausbreitung. Dieser wird verstärkt, wenn es zu einer Klimaerwärmung
kommt, da niedrige Wintertemperaturen derzeit der hauptsächliche Begrenzungsfaktor der Ausbreitung sind. Die Ausbreitung der Nutria hat zum einen eine Reihe von ökologischen Folgen, wie die
direkte Beeinflussung von Pflanzen- und Tierarten durch Herbivorie und interspezifische Konkurrenz. auch die Stoff- und Energieflüsse in Ökosystemen werden verändert. Es gibt aber nicht nur
ökologische Auswirkungen, sondern es werden auch gesellschaftliche Interessen, z. B. wirtschaftliche, beeinflusst. Z. B. beschädigt die Nutria durch ihre Wühltätigkeit Deiche und Dämme und es
kann so zu Überflutungen kommen. Um dem entgegenzuwirken, hat der DEUTSCHE VERBAND FÜR
WASSERWIRTSCHAFT UND KULTURBAU (1997) ein Heft herausgegeben, das Anleitungen zur Sicherung
und Gestaltung von durch Bisam, Biber und Nutrias gefährdeter Ufer enthält. Es müsste im Einzelfall untersucht werden, wie hoch die Kosten für die Sicherung von Ufern und zur Behebung von
Schäden sind und gegebenenfalls Kontroll- und Bekämpfungsmaßnahmen in die Wege geleitet werden.
Da Nutrias eine Vielzahl an Krankheiten und Parasiten übertragen können, sollten Gefährdungen
für Menschen und Nutzvieh untersucht werden. Zwar gibt es fast alle Parasiten und Krankheiten bereits bei heimischen Nagern, jedoch taucht durch die Nutria ein zusätzlicher Überträger auf.
Anhand der Zusammenstellung der ökologischen Auswirkungen der Nutria in der vorliegenden Arbeit und mit Hilfe der Tabelle I im Anhang, die die Futterpflanzen der Nutria auflistet, sollte für unter Naturschutzgesichtspunkten schützenswerte Gebiete, in die Nutrias einwandern, überlegt werden, ob die Anwesenheit der Tiere mit den Schutzzielen zu vereinbaren ist, oder ob Kontrollmaßnahmen nötig sind, um eine Beeinträchtigung von schützenswerten Pflanzen- oder Tierarten zu vermeiden. Dies müsste im Einzelfall untersucht werden, da die Stärke der Auswirkungen auch von der
Dichte der Tiere abhängt. Dass es grundsätzlich, wenn auch mit viel Aufwand, möglich ist, die Nutria zu kontrollieren, zeigen die erfolgreichen Ausrottungskampagnen in England und Maryland (s.
Kap. 4.5).
78
9. Zusammenfassung
Die Nutria wurde als Pelztier auf fast allen Kontinenten eingeführt. Es gelang immer wieder einzelnen oder mehreren Tieren zu entkommen, oder sie wurden freigelassen, so dass es inzwischen in
Nordamerika, Europa und Asien freilebende Populationen gibt. Aufgrund der raschen Vermehrung
der Art wird sie vielerorts als „Plage“ betrachtet. In England und einigen Gebieten der USA wurde
sie daher wieder ausgerottet.
In Deutschland befindet sich die Nutria gerade in dem Zustand der Arealerweiterung. Es gibt bereits
viele Populationen, die sich über mehrere Generationen halten, obwohl einzelne Populationen auch
starke Einbußen erlebten. Die Nutria besiedelt jedoch noch längst nicht alle für sie bewohnbaren
Lebensräume.
Die Art erreicht in Deutschland die Grenze ihrer Verbreitung, und zwar deshalb, weil das Klima für
sie nicht günstig ist. Dies ist, so scheint es, der bei weitem wichtigste regulierende Faktor der Ausbreitung, weshalb in der Vergangenheit vermutet wurde, dass sie sich nicht stark ausbreiten wird,
bzw. die Bestände leicht kontrollierbar seien. Dem kann widersprochen werden, da die Nutria sich
in den letzten Jahren im Westen und Norden des Landes sehr stark vermehrte und ausbreitete. Sie
besitzt viele Arteigenschaften, die sich günstig auf das Gelingen einer Invasion auswirken. Im Verlauf der Klimaerwärmung ist mit weiterer Ausbreitung, und zwar über ganz Deutschland, zu rechnen. Dies gilt auch für Teile, die derzeit aufgrund des Klimas noch nicht, oder zumindest nicht langfristig, besiedelbar sind.
Die Ausbreitung der Nutria hat zahlreiche ökologische Auswirkungen, besonders durch Habitatveränderungen, die sich aus dem Fress- und Siedlungsverhalten der Art ergeben. Diese Habitatveränderungen treten am stärksten bei einer hohen Populationsdichte auf und bestehen vor allem in der fast
völligen Zerstörung der Vegetation. Hierdurch werden sowohl Ökosystemprozesse verändert als
auch Individuen von verschiedenen Tier- und Pflanzenarten beeinflusst.
79
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84
11. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Wenige Tage altes Nutriajunges (eigene Aufnahme)....................................................7
Abbildung 2: Erwachsene Nutria mit nassem Fell (eigene Aufnahme)...............................................7
Abbildung 3: Erwachsene Nutria (eigene Aufnahme).........................................................................7
Abbildung 4:Erwachsene Nutria mit orangefarbenen Schneidezähnen (eigene Aufnahme)...............7
Abbildung 5: Handstandmarkierung der Nutria (STUBBE 1982, 626).................................................24
Abbildung 6: Trittsiegel der Nutria (aus: DEUTSCHER VERBAND FÜR WASSERWIRTSCHAFT UND KULTURBAU
1997, Zeichnungen Müller, F. & Heidecke, D.).................................................................................25
Abbildung 7: Verhältnis von Körpergewicht und Alter der Nutria in verschiedenen Ländern (aus
GUICHÓN & DONCASTER et al. 2003, 269) .............................................................................................28
Abbildung 8: Das ehemalige und gegenwärtige Areal der Nutria in Südamerika (aus STUBBE 1982,
612, nach G. Dennler de la Tour.). ....................................................................................................30
Abbildung 9: Lage und Ausprägung verschiedener Klimate in Südamerika (aus MICROSOFT
COOPERATION 2008 © Microsoft Corporation.) ...................................................................................30
Abbildung 10: Nutria-Nachweise in Deutschland 1974-1984 (DEUTSCHER VERBAND FÜR
WASSERWIRTSCHAFT UND KULTURBAU 1997, 5. Zeichnung: W. Rieckmann, A. Fründ-Schmitd, D.
Heidecke)............................................................................................................................................35
Abbildung 11: Nutria-Nachweise in Deutschland 1989-1996 (DEUTSCHER VERBAND FÜR
WASSERWIRTSCHAFT UND KULTURBAU 1997, 5. Zeichnung: W. Rieckmann, A. Fründ-Schmitd, D.
Heidecke)............................................................................................................................................35
Abbildung 12: Übersichtskarten über die Verbreitung der Nutria außerhalb ihres Heimatareals (aus
CARTER 2002)......................................................................................................................................41
Abbildung 13: Durch Nutrias abgefressene Vegetation (Kahlfraß) (U.S. FISH & WILDLIFE SERVICE
2008)...................................................................................................................................................44
Abbildung 14: Von Nutrias abgefressene Marsch in Louisiana (LOUISIANA DEPARTMENT OF WILDLIFE
AND FISHERIES 2007).............................................................................................................................44
Abbildung 15: Einzäunung von ungestörter Marsch innerhalb eines von Nutrias gefressenen
Kahlfraß (LOUISIANA DEPARTMENT OF WILDLIFE AND FISHERIES 2007)......................................................44
Abbildung 16: Vergrößerte Darstellung der Einzäunung von ungestörter Marsch (LOUISIANA
DEPARTMENT OF WILDLIFE AND FISHERIES 2007)......................................................................................44
Abbildung 17: Schematische Untergliederung des Invasionsprozesses eines Säugers in Stufen und
Schritte. (Auf Grundlage von HEGER 2004, 29) .................................................................................54
Abbildung 18: Klimadiagramm Manston, Süd-Ost-England (MÜHR 2007a).....................................71
85
Abbildung 19: Klimadiagramm Baltimore, Maryland, USA (MÜHR 2007b).....................................71
Abbildung 20: Klimadiagramm Nordhorn, Westdeutschland (MÜHR 2007c)....................................71
Abbildung 21: Klimakarte Straubing, Süd-Ost-Deutschland (MÜHR 2007c).....................................71
Abbildung 22: Kartendarstellung der winterlichen 2m-Temperatur [°C] für die Klimaperiode von
1961-1990 (JACOB ET AL. 2008, 104)....................................................................................................73
Abbildung 23: Nutriavorkommen in Deutschland, Frühjahr 2006 (Gemeindeebene) (aus BARTEL ET
AL. 2007, Datenquellen: ESRI Data & Maps 2000, 2005 & Gemeindegrenzen 2001 & GTOPO 30,
U.S. Geological Survey 1998, Projektion: Transverse Mercator, Ellipsoid Bessel, Entwurf: B.
Heyen 2007) ......................................................................................................................................74
Abbildung 24: Kartendarstellung der winterlichen 2m-Temperatur [°C] für die Klimaperiode (KNP)
von 1961-1990 für den Kontrolllauf (ohne Veränderung der Temperatur) (JACOB ET AL. 2008, 104) 76
Abbildung 25: Kartendarstellung der winterlichen Mittel der 2m-Temperatur [°C] für die
Zukunftsperiode von 2071-2100 für das B1 Szenario (geringe Veränderung) (JACOB ET AL. 2008,
108).....................................................................................................................................................76
Abbildung 26: Kartendarstellung der winterlichen 2m-Temperatur [°C] für die Zukunftsperiode von
2071-2100 für das A1B Szenario (stärkste Veränderung) (JACOB ET AL. 2008, 106)..........................76
Abbildung 27: Kartendarstellung der winterlichen Mittel der 2m-Temperatur [°C] für die
Zukunftsperiode von 2071-2100 für das A2 Szenario (mittlere Veränderung) (JACOB ET Al. 2008,
110).....................................................................................................................................................76
Abbildung 28: Zeitlicher Verlauf der Änderung des Wintermittels der 2m-Temperatur [°C]
(Gebietsmittel Deutschland, gleitendes 10-Jahresmittel) in Bezug auf die KNP (1961-1990) für den
Kontrolllauf, sowie die Szenarien A1B , B1, und A2 (JACOB ET AL. 2008, 93)...................................77
86
12. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Verschiedene Populationsdichten der Nutria, sowie Ort und Zeit der Schätzungen.........18
Tabelle 2: Übersicht über die Anzahl und den Anteil bakteriell bedingter Infektionskrankheiten
nach einer Untersuchung von WENDLAND (1985, 31) von 205 verendeten Nutrias aus 13
Farmbeständen in der DDR zwischen 1978 und 1982.......................................................................22
Tabelle 3: Übersicht über die Länder, in denen die Nutria eingebracht wurde, sowie der derzeitige
Status, mit Ausnahme von Nordamerika (leicht verändert aus CARTER & LEONARD 2002, 163).........39
Tabelle 4: Schematische Aufstellung möglicher Auswirkungen der Nutria in Deutschland, sowie
ihrer Ursachen....................................................................................................................................50
Tabelle 5: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 1 (Transport über die
Ausbreitungsbarriere) bestimmen, aufgeschlüsselt nach potenziellen Problemen, günstigen
Arteigenschaften und günstigen Umwelt- und Transportbedingungen. (Auf Grundlage von HEGER
2004, 44).............................................................................................................................................55
Tabelle 6: Zusammstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 2a (Entkommen aus der Zucht
und finden eines geeigneten home range) bestimmen, aufgeschlüsselt nach potentiellen Problemen,
günstigen Arteigenschaften und sonstigen Bedingungen...................................................................57
Tabelle 7: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 2 (Selbständiges Wachstumund
Fortpflanzung mindestens eines Individuums) bestimmen, aufgeschlüsselt nach potenziellen
Problemen, günstigen Arteigenschaften und sonstigen Bedingungen (Auf Grundlage von HEGER
2004, 68-69).......................................................................................................................................61
Tabelle 8: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 3 (Populationswachstum bis
zur Mindestgröße einer überlebensfähigen Population) bestimmen, aufgeschlüsselt nach
potenziellen Problemen, günstigen Arteigenschaften und sonstigen günstigen Bedingungen (Auf
Grundlage von HEGER 2004, 80).........................................................................................................65
Tabelle 9: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 4 (Ausbreitung zu neuen
Wuchsorten und neuen Standorten) bestimmen, aufgeschlüsselt nach potenziellen Problemen,
günstigen Arteigenschaften und sonstigen günstigen Bedingungen. (Auf Grundlage von HEGER
2004, 90).............................................................................................................................................67
87
13. Anhang
Tabelle I: Pflanzenarten und deren Verwendung durch die Nutria nach ELLIS (1963) und PRIGIONI ET
AL. (2005)...............................................................................................................................................I
Tabelle II: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 2a (Entkommen aus der
Gefangenschaft und Finden eines geeigneten home range) eines Säugetiers bestimmen,
aufgeschlüsselt nach potentiellen Problemen, günstigen Arteigenschaften und sonstigen
Bedingungen........................................................................................................................................V
Tabelle III:Vergleich der Faktoren bei Säugetieren und Pflanzen die den Invasionsschritt 2 (b)
bestimmen. Die Faktoren für Pflanzen wurden von HEGER (2004, 68 f.) übernommen. ...................VI
Tabelle IV: Vergleich der Faktoren bei Säugetieren und Pflanzen die den Invasionsschritt 3
bestimmen. Die Faktoren für Pflanzen wurden von HEGER (2004, 80) übernommen......................VIII
Tabelle V: Vergleich der Faktoren bei Säugetieren und Pflanzen die den Invasionsschritt 4
bestimmen. Die Faktoren für Pflanzen wurden von HEGER (2004, 90)..............................................IX
Tabelle I: Pflanzenarten und deren Verwendung durch die Nutria nach ELLIS (1963) und PRIGIONI ET AL. (2005)
Pflanzenart
Nahrungspflanze der
Nutria?
Verwendung (nach ELLIS 1963, kann anderen Autoren
widersprechen)
ELLIS
(1963)
PRIGIONI ET
AL. (2005)
Acorus calamus
nein
-
Nahm in England zahlenmäßig zu, da sie dort nicht gefressen wurde
Agropyron repens
ja
-
Rhizome werden im Winter ausgegraben
Agrostis stolonifera
ja
-
Wird abgegrast
Agrostis tenuis
ja
-
Wird abgegrast
Alnus glutinosa
ja
-
Rinde wird manchmal im Winter geschält
Alisma plantago-aquatica
-
nein
-
Angelica sylvestris
ja
Apium nodiflorum
ja
Azolla filiculoides
ja
Azolla caroliniana
-
nein
-
Baldellia ranunculoides
ja
-
Wird abgegrast
Berula erecta
ja
-
Stängel u. Wurzelstöcke werden gefressen
Bidens cernua, B. trepartia
nein
-
Wird verschmäht
Caltha palustris
ja
-
Blätter werden im Frühling gefressen
Calystegia sepium
ja
-
Rhizome werden im Winter ausgegraben
Callitriche stagnalis
nein
ja
Wird verschmäht
Cardamine amara
nein
-
Wird verschmäht
Carex acutiformis, C. appropin- ja
quata, C. disticha,
C. nigra, C. otrubae ,
C. paniculata, C. remota, C. riparia, C. rostrata
-
Rhizome werden (hauptsächlich) im Winter ausgegraben,
Blätter werden (hauptsächlich) im Frühling gefressen
Carex spp.
-
ja
-
Catabrosa aquatica
ja
-
Ganze Pflanze wird im Sommer gefressen
Centaurea nemoralis
ja
-
Wurzelstöcke werden ausgegraben
Ceratophyllum demersum
Wurzeln werden im Winter ausgegraben
nein
Zweimal geringe Schäden gesichtet
Wird von Wasseroberfläche abgeschöpft
nein
Cicuta virosa
ja
-
Rhizome werden im Winter ausgegraben
Cirsium arvense,
C. palustre, C. vulgare
ja
-
Wurzelstöcke werden ausgegraben
Cladium mariscus
ja
-
Rhizome und junge Schösslinge werden extensiv, hauptsächlich im Winter, gefressen.
Crataegus monogyna
ja
-
Rinde wird im Winter geschält (selten)
Dactylis glomerata
ja
-
Wird im Winter ausgegraben; abgegrast
Eleocharis palutstris
ja
-
Rhizome werden ausgegraben; Stängel abgegrast
Elodea canadensis
ja
ja
Ganze Pflanze wird gefressen
Elodea densa
-
ja
-
Equisetum fluviatile,
E. palustris
nein
-
Wird verschmäht
I
Pflanzenart
Nahrungspflanze der
Nutria?
Verwendung (nach ELLIS 1963, kann anderen Autoren
widersprechen)
ELLIS
(1963)
PRIGIONI ET
AL. (2005)
Epilobium hirsutum
ja
-
Wurzelstöcke werden extensiv im Herbst und Winter ausgegraben
Eriophorum angustifolium
ja
-
Rhizome werden im Winter ausgegraben; wird abgegrast
Eupatoruim cannabinum
ja
-
Ab und zu im Winter ausgegraben, aber meistens verschmäht
Festuca arundinacea,
F. pratensis, F. rubra
ja
-
Wird abgegrast
Filipendula ulmaria
ja
-
Wurzelstöcke werden im Winter gefressen; Pflanzen werden selten im Sommer gefressen
Frangula alnus
nein
-
Wird verschmäht
Fraxinus excelsior
nein
-
Wird verschmäht
Galeopsis tetrahit
nein
-
Wird verschmäht
Galium palustre, G. uliginosum nein
-
Wird verschmäht
Glyceria maxima
ja
ja
Rhizome, Schösslinge und junge Blätter werden ganzjährig
gefressen; Art ist aber sehr widerstandsfähig und hat daher
zum Teil sogar Phragmites an einigen Stellen ersetzt.
Gratiola officinalis
-
nein
-
Hedera helix
ja
-
Extensiv im Winter verbissen
Hippuris vulgaris
ja
-
Wird gelegentlich im Winter gefressen
Holcus lanatus
ja
-
Wird abgegrast
Humulus lupulus
nein
-
Wird verschmäht
Hydrocharis morsus- ranae,
ja
Hydrocotyle vulgaris
nein
Impatiens capensis
ja
Iris pseudocarpus
ja
ja
Rhizome werden gelegentlich im Winter gefressen; Junge
Blätter werden von jungen Nutrias im Frühling gefressen.
Abundanz stieg zunächst an, jedoch fingen Nutrias plötzlich an die Blätter in großen Mengen zu fressen.
Juncus acutiflorus,
J. gerardi, J. inflexus,
J. subnodulosus
ja
-
Rhizome werden im Winter ausgegraben; einige werden
abgegrast
Juncus effusus
ja
nein
s.o.
Lathyrus palustris, L. pratensis
nein
-
Wird verschmäht
Lemna gibba, L. minor,
L. polyrhiza, L. triscula
ja
-
Werden von Wasseroberfläche abgeschöpft
Lemna spp.
-
ja
-
Lolium perenne
ja
-
Wird abgegrast
Lysimachia vulgaris
-
ja
-
Lythrum salicaria
nein
nein
Wird verschmäht
Mentha aquatica
nein
-
Wird verschmäht
Ganze Pflanze wird gefressen
-
Wird verschmäht
Normalerweise verschmäht, in einem Fall (in Surlingham
1962) jedoch gefressen
II
Pflanzenart
Nahrungspflanze der
Nutria?
Verwendung (nach ELLIS 1963, kann anderen Autoren
widersprechen)
ELLIS
(1963)
PRIGIONI ET
AL. (2005)
Menyanthes trifoliata,
M. verticillatum
ja
-
Rhizome werden im Winter gefressen
Myosotis scorpioides
nein
nein
Wird verschmäht
Myosotis cespitosa
nein
-
Wird verschmäht
Myrica gale
nein
-
Wird verschmäht
Myriophyllum spicatum;
ja
ja
Ganze Pflanze wird gefressen
Myriophyllum verticillatum
ja
-
Ganze Pflanze wird gefressen
Nasturtium officinale
-
ja
-
Nuphar lutea
ja
ja
Rhizome und junge Blätter werden verbissen
Nymphaea alba
ja
Nymphoides peltata
-
ja
-
Oenanthe fistulosa
nein
-
Wird verschmäht
Oenothera biennis
-
nein
-
Peucedanum palustre
nein
-
Wird verschmäht
Phalaris arundinacea
ja
-
Rhizome werden im Winter ausgegraben
Phragmites australis /communis ja
ja
Rhizome werden extensiv im Winter gefressen, junge
Schösslinge im Frühling und Blätter im Sommer. Viele Bestände werden komplett ausgerottet
Phytolacca americana
-
ja
-
Plantago major
-
nein
-
Poa trivialis
ja
-
Wird abgegrast
Polygonum amphibium,
P. hydropiper, P. persicaria
nein
-
Wird verschmäht
Polygonum spp.
-
nein
-
Potamogeton lucens,
P. pectinatus
ja
Potamogeton natans,
P. pectinatus
Rhizome und junge Blätter werden verbissen
Rhizome und Blätter werden gefressen
nein
-
Potentilla palustris
ja
Pteridium aquilinum
-
nein
-
Ranunculus spp.
nein
ja
Wird verschmäht
Rhamnus catharticus
nein
-
Wird verschmäht
Ribes nigrum
nein
-
Wird verschmäht
Robinia pseudoacacia
-
ja
-
Rorippa amphibia
-
nein
-
Rorippa nasturtium-aquaticum
ja
-
Ganze Pflanze wird im Herbst gefressen
Rubus caesius, R. fruticosus
ja
-
Wurzelstöcke werden im Winter gefressen
ja
-
-
Wurzelstöcke werden im Winter ausgegraben
Rubus spp.
Rumex conglomeratus, R. cris-
ja
Wird im Winter ausgegraben
III
Pflanzenart
Nahrungspflanze der
Nutria?
Verwendung (nach ELLIS 1963, kann anderen Autoren
widersprechen)
ELLIS
(1963)
PRIGIONI ET
AL. (2005)
Rumex spp.
-
ja
-
Sagittaria sagittifolia
-
nein
-
Salix alba, S. cinerea,
S. purpurea, S. triandra,
S. viminalis
ja
-
Werden in besonders strengen Wintern verbissen. Wurzeln
werden ebenfalls ausgegraben, was zum Absterben der
Bäume führen kann. Sämlinge von S. cinerea werden im
Sommer gefressen
Salix spp.
-
ja
-
Salvinia natans
-
nein
-
Schoenoplectus lacustris
-
nein
-
Scirpus lacustris, S. maritimus,
S. tabernaemontani
ja
-
Rhizome und junge Schösslinge werden gefressen
Scirpus sylvaticus
-
ja
-
Scrophularia aquatica
nein
-
Wird verschmäht
Scutellaria galericulata
nein
-
Wird verschmäht
Sium latifolium
ja
-
Wurzelstöcke und junge Schösslinge werden gefressen
Solanum dulcamara
nein
-
Wird verschmäht
Sonchus palustris
ja
-
Junge Schösslinge werden im Frühjahr abgebissen
Sparganium erectum
-
nein
-
Sparganium ramosum
ja
Stachys palustris
ja
nein
Fleischige unterirdische Triebe werden im Winter ausgegraben
Stratiotes aloides
ja
-
Winterknospen werden gefressen
Thalictrum flavum
nein
-
Wird verschmäht
Trifolium spp.
-
ja
-
Typha angustifolia
ja
-
Rhizome werden im Winter extensiv ausgegraben
Typha latifolia
ja
nein
Rhizome werden im Winter extensiv ausgegraben
Urtica dioica
nein
ja
Wird verschmäht
Valeriana dioica,
V. officinalis
nein
-
Wird verschmäht
Vallisneria spiralis
-
ja
-
Veronica anagallis-aquatica
-
nein
-
Veronica beccabunga,
V. catenata
nein
-
Wird verschmäht
Viburnum opulus
nein
-
Wird verschmäht
Vicia cracca
nein
-
Wird verschmäht
Vitis vinifera
-
ja
-
pus, R. hydrolapathum
Rhizome und junge Schösslinge werden gefressen
IV
Tabelle II: Zusammenstellung der Faktoren, die den Invasionsschritt 2a (Entkommen aus der Gefangenschaft und
Finden eines geeigneten home range) eines Säugetieres bestimmen, aufgeschlüsselt nach potentiellen Problemen,
günstigen Arteigenschaften und sonstigen Bedingungen (Dieser Schritt ist bei HEGER 2004 nicht enthalten und ist daher
grau hinterlegt).
Schritt 2a
Entscheidende Faktoren
Ausbrechen
und Finden
eines home
range
Potentielle Probleme für den Invasor
Günstige Arteigenschaften
Sonstige günstige Bedingungen
I) Entkommen
aus der Gefangenschaft
• Entkommen aus den Käfigen
nicht möglich
• Fähigkeit zu graben, zu klettern,
oder Absperrungen zu zerbeißen
• Käfige nicht sicher
II) Finden eines geeigneten home
range
• Wandertrieb
• Kein geeigneter Lebensraum in
der näheren Umgebung vorhanden
• Ausbreitungsbarrieren verhin-
• Fähigkeit weit zu wandern
• Anpassungsfähigkeit an eine
Vielzahl von Lebensräumen
• Befreiungsaktionen
• Bewusste Einbürgerungsversuche
• Vorhandensein eines geeigneten
Lebensraumes nahe der Farm
• wenig Ausbreitungsbarrieren vorhanden
dern die Erschließung eines
home range
III) Überleben
ohne Pflege
• Prädatoren
• Nahrungssuche nicht erfolgreich
• abiotische Bedingungen (Klima)
ungeeignet
• Abwehrmechanismen gegen Prädatoren
• Anpruchslosigkeit bezüglich Futterpflanzen
• Anpassungsfähig an ungünstige
klimatische Bedingungen
V
• Abwesenheit von Prädatoren
• Zucht findet noch nicht lange statt
• Zuchtziele begünstigen Überleben
in Freiheit
Tabelle III: Vergleich der Faktoren, die bei Säugetieren und Pflanzen den Invasionsschritt 2 (b) bestimmen. Die Faktoren für Pflanzen wurden von HEGER (2004, 68 f.) übernommen. Wesentliche inhaltliche Unterschiede sind grau hinterlegt.
Schritt 2
(b)
Wachstum und
Fortpflanzung
Entscheidende Faktoren
Potentielle Probleme für eine
Pflanze als Invasor
Potenzielle
Probleme für
ein Säugetier
als Invasor
I)
• Konkurrenten
• Konkurrenten
Wachs• Prädatoren
• Prädatoren
tum bis
zur Fort• Erforderliche
• Ungünstige
pflanMutualisten fehabiotische
zungsreilen
Konditionalfe
faktoren
• Ungünstige
abiotische Kon- • Ressourcenditionalfaktoren
mangel
• Ressourcenmangel
II) Selbständige
Fortpflanzung
Günstige Arteigenschaften
einer Pflanze
Günstige Arteigenschaften
eines Säugetiers
• Fähigkeit zu
Konkurrenzstärke
• Fähigkeit zur
Konkurrenzstärke
Sonstige
Günstige Bedingungen für
eine Pflanze
Sonstige günstige Bedingungen
für ein Säugetier
• Vorhandensein • Abwesenheit
von Schutzvon spezialisierstellen
ten Prädatoren
• Abwehrme• Fähigkeit in
• Ähnlichkeit
• Ähnlichkeit von
chanismus geneue Lebensvon Heimat
Heimatgebiet
gen Prädatoren
räume abzuund Mikround neuem Lewandern und
standort im
bensraum hin• Fähigkeit Bioso der Konkurneuen Gebiet
sichtlich der klimasseverlust
renz zu entgehinsichtlich
matischen Gegezu ertragen
hen
der klimatibenheiten
schen Ansprü• Wenig spezifi- • Abwehrme• Ähnlichkeit von
che
scher Mutuachanismus geHeimatgebiet
lismus
gen Prädatoren • Abwesenheit
und neuem Levon spezialibensraum im
• Mutualismus
• Fähigkeit Biosierten FeinHinblick auf
mit kosmopomasseverlust
den
Ressourcen
litischen Partzu ertragen
(Futterpflanzen)
nern
• Abwesenheit
• Fähigkeit tem• Abwesenheit
verwandter
• Fähigkeit zur
porären unArten
nahe verwandter
Verbreitung
günstigen BeArten
des mutulaisti• Vorhandensein
dingungen zu
schen Partners
begegnen
potentieller
mit der DiaMutualisten
• keine Abhänspore
gigkeit von be- • Herkunft aus
• Breite ökolostimmten Futeinem Gebiet
gische Ampliterpflanzen
mit ähnlichem
tude
Störungsre• Fähigkeit
gime
Rückzugsorte
anzulegen
• Blütenbildung
• Fortpflanzung • Fähigkeit zur
ist unter den Beist unter den
vegetativen
dingungen der
Bedingungen
Fortpflanzung
neuen Umgeder neuen Um• Keine spezielbung nicht möggebung nicht
len Anfordelich
möglich
rungen hin• keine Partner
• Keine Fortsichtlich der
zur sexuellen
pflanzungsBlütenbildung,
Reproduktion
partner vorBlühbeginn
vorhanden
handen
nicht festgelegt
• Keine Bestäuber
verfügbar
• Fähigkeit zu
Autogamie,
• Frucht- oder Saoder Agamomenreife unter
spermie,
den BedingunSelbstfertilität,
gen der neuen
Einhäusigkeit,
Umgebung nicht
VI
• Keine besonderen Bedingungen für die
Fortpflanzung
nötig
• Ähnlichkeit
• Ähnlichkeit zwizwischen Heischen Heimatgematgebiet und
biet und neuem
neuem Gebiet
Gebiet hinsichthinsichtlich
lich der klimatider klimatischen Bedingun• Möglichkeit
schen Bedingen die für die
der aktiven
gungen, die für
Fortpflanzung
Suche nach eidie Bildung
nötig sind
nem Fortpflanvon Blüten,
zungspartner
• Große AnfangsSamen und
population
Früchten nötig
• Fähigkeit sich
sind
das ganze Jahr
über fortzu• Große Anpflanzen (bzw.
fangspopulatiausgedehnte
on
Reprodukti• Generalistionsperiode)
Schritt 2
(b)
Wachstum und
Fortpflanzung
Entscheidende Faktoren
Potentielle Probleme für eine
Pflanze als Invasor
Potenzielle
Probleme für
ein Säugetier
als Invasor
möglich
Günstige Arteigenschaften
einer Pflanze
Günstige Arteigenschaften
eines Säugetiers
Zwittrigkeit
Sonstige
Günstige Bedingungen für
eine Pflanze
Sonstige günstige Bedingungen
für ein Säugetier
sche Bestäuber
• Fähikeit zur
Erzeugung einer großen
Anfangspopulation
• Bestäubung
durch unspezifische Bestäuber
• Hohe Attraktivität für Bestäuber
• Ausgedehnte
Reproduktionsperiode
• Keine speziellen Anforderungen bezüglich Samenbildung und
Fruchtreife
III) Dor- • Diasporenpräda- • Prädatoren
manz
toren
(der Mutter
und Keioder der Jung• Mechanismen
mung
tiere, Prädatozur Brechung
(Pflanren i.e.S. oder
der Dormanz
zen)TraKrankheiten)
sind nicht vergezeit
fügbar
• intraspezifiund Säusche Konkurgezeit
• Abiotische Umrenz (zu
(Säugeweltbedingungroßer Wurf)
tiere)
gen sind ungünstig zum
• RessourcenÜberleben der
mangel verhinPhase der Dordert Heranmanz oder für
wachsen der
die Keimung
Jungtiere im
Mutterleib
oder nach der
Geburt
• Abwehrmechanismus gegen Diasporenprädatoren
• Fähigkeit zur
Produktion vegetativer Propagulen
• Breite ökologische Amplitude der Diasporen
• Leicht aufhebbare Dormanz
• Breite ökologische Amplitude bezüglich
der Keimungsbedinugnen
• Fähgkeit zur
Konkurrenzstärke im
Keimlingsstadium
VII
• Abwehrme• Abwesenheit
chanismen gespezialisierter
gen Prädatoren
Diasporenprädatoren
• frühe Unabhängigkeit von • Günsige abioder Mutter
tische Umweltbedingun• Fähigkeit der
gen
Mutter Rückzugsorte zu
schaffen
• Breite ökologische Amplitude der Mutter
und der Jungen (bzgl. der
Ansprüche an
Ressourcen u.
Klima)
• Abwesenheit
von spezialisierten Prädatoren
• günstige abiotische Umweltbedingungen (z.B.
mildes Klima)
Tabelle IV: Vergleich der Faktoren bei Säugetieren und Pflanzen die den Invasionsschritt 3 bestimmen. Die Faktoren
für Pflanzen wurden von HEGER (2004, 80) übernommen. Wesentliche inhaltliche Unterschiede sind grau hinterlegt.
Schritt 3
Populationswachstum
Entscheidende Faktoren
Potentielle
Probleme
für eine
Pflanze als
Invasor
Potenzielle
Probleme
für ein Säugetier als Invasor
Günstige
Arteigenschaften einer Pflanze
Günstige
Arteigenschaften eines Säugetiers
• Populationswachstum ist
nicht möglich,
weil Erstansiedlung nur
ein „Glücksfall“ war
• Populationswachstum ist
nicht möglich,
weil Erstansiedlung nur
ein „Glücksfall“ war
• Genetische
Anpassungsfähigkeit
• Genetische
Anpassungsfähigkeit
• Prädatoren
treten auf, die
durch eine
größere Anzahl gleicher
Diasporen
oder Individuuen angelockt
werden
• Prädatoren
treten auf, die
durch eine
größere Anzahl gleicher
Individuuen
angelockt
werden
• Angepasstheit
an gerichteten
Transport
über kurze
Distanz
• Fähigkeit der
Produktion
zahlreicher
Nachkommen
• Fähigkeit zur
Ausbildung
einer Samenbank
• Fähigkeit zur
Produktion
zahlreicher
Nachkommen
• Intraspezifi• Nachkommen
sche Konkurder Anfangsrenz
• Kurze Genepopulation
rationszeit
• Nachkommen
finden in der
der AnfangsUmgebung
• Hohe genetipopulation
der Elternsche Vielfalt
finden
in
der
pflanzen keine
der PopulatiUmgebung
Keimungson
der
Elterntiere
und Eabliekein geeignerungsschutztes home ran- • Selbstfertilität
stellen
ge
• Geringe Grö• Geringe Größe der Anße der Anfangspopulatifangspopulation führt zu
on führt zu
Problemen
Problemen
durch demodurch demographische,
graphische,
genetische
genetische
und Umweltund Umweltstochastizität
stochastizität
VIII
Sonstige
günstige Bedingungen
für eine
Pflanze
Sonstige günstige Bedingungen für ein
Säugetier
• Fehlen spezia- • Fehlen von spelisierter Prädzialisieten Prädatoren trotz
atoren trotz länlängerer Angerer Anwesenwesenheit
heit
• Abwesenheit
verwandter
Arten
• Kurze Generationszeit
• Geeignete
Wuchsorte im
• Hohe genetineuen Gebiet
sche Vielfalt
häufig
der Population
• Generalisti• Fähigkeit weit
sche Ausbreizu wandern
ter vorhanden
um ein neues
• Große Anhome range
ausfindig zu
fangspopulamachen
tionen aufgrund günstiger Transportbedingungen
• Wiederholte
Einschleppung oder
Ausbringung
von Diasporen
• Abwesenheit
verwandter Arten
• Geeignete Lebensräume im
neuen Gebiet
häufig
• Große Anfangspopulationen
• Wiederholte
Einschleppung
oder Ausbrüche
Tabelle V: Vergleich der Faktoren, die bei Säugetieren und Pflanzen den Invasionsschritt 4 bestimmen. Die Faktoren
für Pflanzen wurden von HEGER (2004, 90) übernommen. Wesentliche inhaltliche Unterschiede sind grau hinterlegt.
Schritt 4
Ausbreitung
Entscheidende Faktoren
Potentielle
Probleme
für eine
Pflanze als
Invasor
• Nicht genügend Nachkommen vorhanden
• Ausbreitungsmedium nicht
verfügbar
Potenzielle
Probleme
für ein Säugetier als Invasor
Günstige
Arteigenschaften einer Pflanze
• Nicht genügend Nachkommen vorhanden
• Fähigkeit zur
Produktion
zahlreicher
Samen oder
vegetativer
Propagulen
Günstige
Arteigenschaften eines Säugetiers
• Fähigkeit eine
hohe Anzahl
von Nachkommen zu
produzieren
• Keine weite• Fähigkeit der
ren geeigneten
Habitate (in
• Angepasstheit
Individuen
erreichbarer
an Hydrochoviele Stand• AusbreitungsNähe) vorhanrie
orte zu besiemedium erden
deln
• Angepasstheit
möglicht keinen effektiven • Wanderung
an Ausbrei• Genetische
Transport
aufgrund von
tung durch geAnspassungsAusbreitungsneralistische
fähigkeit der
• Keine weitebarrieren nicht
Tiere
Individuen
ren geeigneten
möglich
Wuchsorte
• Breite ökolo• Genetische
verfügbar
gische AmpliVielfalt der
tude der IndiGesamtpopuviduen
lation im neuen Gebiet
• Genetische
Anassungsfä- • Fähigkeit,
hikeit der Inweit zu wandividuen
dern
• Genetische
Vielfalt der
Gesamtpopulation im neuen Gebiet
IX
Sonstige
günstige Bedingungen
für eine
Pflanze
Sonstige günstige Bedingungen für ein
Säugetier
• Möglichkeit
zu hemerochorer Ausbreitung innerhalb des
Gebietes
• Klimatische
Ähnlichkeit von
Heimatgebiet
und neuem Gebiet
• Wiederholte
Einführung
und Ausbringung von Diasporen
• Anwesenheit
generalistischer Verbreiter
• Klimatische
Ähnlichkeit
von Heimatgebiet und
neuem Gebiet
• Standortveränderungen,
die geeignete
Wuchsorte
schaffen
• Wenige oder
keine Ausbreitungsbarrieren
• Ständiger Nachschub von
Farmflüchtlingen
• Viele Geeignete
Lebensräume im
neuen Gebiet
vorhanden
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