140 Johanniskraut, Echtes Hypericum perforatum allem der äußerliche Einsatz des Johanniskrautöls zur Wundheilung, so finden sich in Paracelsus Schriften (16. Jh.) erste Berichte über die antidepressive Wirkung, dass nur in dieser Arznei die Kraft und Stärke gegen die Melancholie sei: „... und das soll ietlicher Arzt wissen, das got ein gross arcanum in das Kraut gelegt hat, allein von wegen der Geister und dollen fantaseien, die den Menschen in verzweiflung bringen“. Die stimmungsaufhellende Wirkung von Johanniskraut wurde im frühen 19. Jahrhundert schon genau dokumentiert, und doch dauerte es noch ein weiteres Jahrhundert, bis Johanniskraut seinen heutigen Stellenwert in der „Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen“ erlangte. An Johanni, dem Tag der Sommersonnenwende (21. Juni), wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, sollten Pflanzen besondere Kräfte in sich bergen: Die lebensspendende Kraft der Sonne. Diesen Tag feierten unsere Vorfahren mit großen Feuern; die Frauen trugen Kränze mit der „Sonnenpflanze“, dem Johanniskraut, auf dem Kopf und tanzten um das Feuer als Zeichen der Verbundenheit mit den Lichtkräften. Botanisches Geschichte „Arnika der Nerven“, „Hexenkraut“ und „Teufelsflucht“: Was solche Namen trägt, muss eine starke Pflanze sein! Paracelsus (1493– 1541), Arzt, Alchemist und Naturforscher, pries einst das Hypericum: „Ihre Tugend kann gar nicht genug beschrieben werden. Es ist nicht möglich, dass eine bessere Arznei für Wunden in allen Ländern gefunden wird. Das ist ein Arcanum, ein Universalmittel mit höchster Wirkkraft, der sich alle beugen müssen“. War es in der Antike vor Johanniskraut gehört zur Familie der Johanniskrautgewächse (Hypericaceae) mit weltweit etwa 400 Johanniskrautarten – ungefähr 60 davon sind in Europa heimisch, 11 Arten allein in Deutschland. Als lichtliebende Pflanze ist das Echte Johanniskraut, auch Tüpfel-Johanniskraut genannt, auf sonnendurchfluteten Wiesen und Waldlichtungen zu finden. Typische Johanniskraut 141 Merkmale sind sein zweikantiger Stängel und etwas ganz Besonderes: Die Blättchen, gegen Licht gehalten, sehen aus wie mit einer Nadelspitze durchstochen, wie perforiert, daher der Artname „perforatum“. In Wirklichkeit sehen Sie winzige Drüsen mit Harz und ätherischem Öl im Blattgewebe eingelagert, die lichtdurchlässig sind. Die dunklen Pünktchen auf dem Blatt enthalten den roten Farbstoff Hypericin. Das Echte Johanniskraut wird 50– 90 cm hoch, mit im oberen Teil reich verzweigten Stängeln. Die gegenständig angeordneten, 1,5– 3 cm großen Blätter der ausdauernden Staude sind eiförmig, ganzrandig, kahl und besetzt mit kleinen hellen und dunklen Pünktchen. Von Juni bis September stehen die Blüten in einem trugdoldigen Blütenstand, 5-zählig, und besetzt mit schwarzroten Drüsen, aus denen beim Zerreiben der heilkräftige rote Wirkstoff Hypericin austritt – neben kantigem Stängel und getüpfelten Blättern das dritte Merkmal des echten Johanniskrauts. Die Kapselfrucht springt bei Reife auf und enthält dunkelbraune, zylindrisch geformte Samen. Anbau und Ernte Johanniskraut ist robust, winterhart und genügsam, es sät sich auch gerne selbst aus, nur einen sonnigen Standort und einen gut durchlässigen Boden benötigt es. Die Samen sind Lichtkeimer, sie dürfen bei der Aussaat nur mit ganz wenig oder keiner Erde bedeckt werden. Setzen Sie vorgezogene Pflänzchen mit einem Abstand von 30–40 cm in die mit etwas Algenkalk vorbereitete Erde. Jeder warme Standort mit geringem Kadmiumgehalt im Boden ist gut geeignet: Denn Johanniskraut nimmt als „Akkumulatorpflanze“ Kadmium aus dem Erdreich auf und speichert es. Sobald das Johanniskraut voll erblüht ist, ernten Sie bei sonnigem Wetter kurz vor der Mittagszeit. Schneiden Sie nur die oberen blühenden Triebe ab (max. 10–20 cm), und trocknen Sie das Kraut unzerkleinert im Schatten. Eine Ernte der oberen 15 cm des blühenden Krautes während der Vollblüte verspricht Ihnen den höchsten Hypericingehalt (der einhergeht mit einem hohen Hyperforingehalt), er ist am höchsten in den Blüten und nimmt über die Blätter zum Stängel hin ab. Für das Johanniskrautöl verwenden Sie Blüten, Knospen und junge Früchte (ohne Stängel), die besonders hyperforinreich sind. Wirkungen Johanniskraut verbessert im Organismus die Lichtaufnahme und wirkt dadurch stimmungsaufhellend, quasi als „Lichttherapie von innen“ oder Sonne für die Seele. Seit Jahren wird es deshalb nicht nur als nebenwirkungsfreies Antidepressivum bei leichten und mittleren Depressionen empfohlen, sondern auch bei der so genannten „Winterdepression“. 142 Heilpflanzen im Porträt Medizinische Anwendung, innerlich: Hyperici herba; äußerlich: Hyperici oleum Inhaltsstoffe: 01–0,3 % Gesamthypericine, 2–4 % Phloroglucinderivate (u. a. Hyperforin), 2–4 % Flavonoide, Biflavonoide, 6–15 % Gerbstoffe, wenig Xanthone und ätherisches Öl. Anwendung, innerlich: Depressive Verstimmungszustände, Ängste, nervöse Unruhe, Erschöpfung, Schlafstörungen, Wetterfühligkeit, Wechseljahresbeschwerden, Migräne und Reizblase. Äußerlich: Schnitt- und Schürfwunden, Prellungen, Verstauchungen und Verrenkungen, Verbrennungen 1. Grades, Sonnenbrand, Nervenschmerzen und Hexenschuss. Bei verspannter Muskulatur, Gürtelrose, zur Vorbeugung gegen Wundliegen im Krankenbett, bei alten Narben und Amputationsbeschwerden und rheumatischen Beschwerden. Ebenfalls gut geeignet zur Pflege spröder und trockener Haut. Kommission E, innerlich: Psychovegetative Störungen, depressive Verstimmungszustände, Angst und/oder nervöse Unruhe. Ölige Zubereitung: Dyspeptische Beschwerden (Verdauungsbeschwerden). Äußerlich: Ölige Zubereitungen zur Behandlung und Nachbehandlung von scharfen und stumpfen Johanniskraut gehört zu den Heilpflanzen, bei denen die Gesamtheit der Inhaltsstoffe für die Wirkung verantwortlich ist. Die auffälligste Substanzgruppe, die Hypericine, verleihen dem Extrakt ihre rote Färbung und intensive Fluoreszenz. Sie wirken antiviral, außerdem können sie photosensibilisierend wirken, das heißt eine Überempfindlichkeit gegenüber Licht auslösen. Die Hyperforine sind für die antidepressiven, entzündungshemmenden und antibakteriellen Eigenschaften wichtig. Die Flavonoide wirken entzündungshemmend und das ätherische Öl gilt als das „beruhigende Prinzip“, dem Hopfen ähnlich. Johanniskraut verfügt über ähnliche molekulare Wirkmechanismen wie synthetische Antidepressiva, die die Wiederaufnahme von Nervenbotenstoffen wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin hemmen, es treten jedoch Verletzungen, Verbrennungen 1. Grades, Behandlung und Nachbehandlung von Myalgien (Muskelschmerzen). Tagesdosis: 2–4 g Droge oder 0,2–1,0 mg Gesamthypericin. Bei einer diagnostizierten Depression 900 mg Gesamtextrakt pro Tag, bei leichteren depressiven Verstimmungen oder Winterdepression 300–600 mg 3–6 Monate lang einnehmen und im Winter möglichst nicht absetzen (Lichtmangel !). Nebenwirkungen: Photosensibilisierung ist möglich (aber äußerst selten !), insbesondere bei hellhäutigen Personen. Intensive Sonnenbestrahlung sollte während der Anwendungszeit unterlassen werden, erhöhter Sonnenschutz ist erforderlich. Wechselwirkungen: Bei gleichzeitiger Anwendung von blutgerinnungshemmenden Mitteln oder bestimmten Antibiotika (ärztlich abklären !). Das gilt für standardisierte Fertigpräparate bei einer Tagesdosis von 900 mg Gesamtextrakt. Neue Studien weisen darauf hin, dass Wechselwirkungen dosisabhängig sind und daher bei den traditionell relativ niedrigen Dosierungen nicht beobachtet werden konnten. Gegenanzeigen: Keinesfalls anwenden bei schweren, körperlich ausgelösten (endogenen) Depressionen. kaum Nebenwirkungen dabei auf. Praxisstudien haben auch ergeben, dass Johanniskraut nicht nur die psychischen Symptome, sondern auch die körperlichen Begleitsymptome deutlich reduziert, zum Beispiel chronische Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Magenoder Herzbeschwerden. In der Volksheilkunde wird Johanniskrauttee neben der Behandlung von Stimmungsschwankungen schon lange als Tonikum zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit und als Stärkungsmittel bei Schwächezuständen und in der Rekonvaleszenz empfohlen. Außerdem verwendet man es bei leichteren Durchfallerkrankungen, bei Bettnässen und zur Mundspülung bei Mundschleimhautentzündung. Dass es traditionell bei äußerlicher Anwendung ein hervorragendes Wundheilmittel ist, beschrieb schon Paracelsus: „Kein Kraut ist in allen Ländern zu finden, das in Heilung der Wunden diesem beykomme“. Johanniskraut ist in jeder Hinsicht ein „Nervenmittel“, sowohl innerlich bei Depressionen als auch äußerlich bei Nervenreizungen wie Hexenschuss, Schmerzen im Bereich des Ischias-Nerven (Ischialgie), Rheuma und Gicht, und zwar als Einreibungen mit Johanniskrautöl; es lindert mit überraschendem Erfolg die Schmerzen. Für die Wirkung werden die wundheilungsfördernden Gerbstoffe sowie das antibakteriell wirkende Hyperforin im Johanniskraut verantwortlich gemacht, aufgrund seines hohen Flavonoidgehaltes hemmt es Entzündungen. Johanniskrautöl, wegen seiner rubinroten Farbe auch „Rotöl“ genannt wirkt durchblutungsfördernd, schmerzlindernd und entspannend. Äußerlich wird das „Rotöl“ bei Gürtelrose, Verlet- Johanniskraut zungen, Muskelverspannungen und Verbrennungen 1. Grades eingesetzt, innerlich bei Reizmagen und zur Ausheilung von MagenDarm-Geschwüren. Tee & mehr Johanniskrauttee 1–2 TL (2–4 g) Johanniskraut mit 150 ml kochendem Wasser übergießen und 7 Minuten ziehen lassen. 2–5 Monate lang 2- bis 3-mal täglich 1–2 Tassen trinken. Teemischungen Tee gegen Wetterfühligkeit (Aufguss) Je 20 g Johannis-, Schafgarbenund Passionsblumenkraut, Melissenblätter und Lavendelblüten. 7 Minuten ziehen lassen. Bei Bedarf 3-mal täglich 1 Tasse trinken. Tee gegen Wechseljahresbeschwerden (Aufguss) Je 20 g Kraut von Johanniskraut, Weißdorn und Schafgarbe, Blätter von Löwenzahn, Melisse und Salbei, sowie Hopfenzapfen. 7 Minuten ziehen lassen. 6 Wochen lang 3-mal täglich 1 Tasse lauwarm trin- 143 ken; nach einer 6- bis 12-wöchigen Pause erneut. Weitere Zubereitungen Johanniskrautöl (Rotöl) Füllen Sie ein sauberes Glas locker mit frisch geöffneten Blüten, Knospen und jungen Früchten und übergießen Sie sie mit einem guten, kalt gepressten Olivenöl. Setzen Sie die Mischung eine Woche lang unverschlossen der Sonne aus, nur mit einer Kompresse bedeckt, damit die Feuchtigkeit entweichen kann. Danach verschließen Sie das Glas und lassen es weitere 5 Wochen in der Sonne stehen, wenn möglich draußen, bis der Inhalt eine rubinrot leuchtende Farbe angenommen hat. Das rote Öl gießen Sie vorsichtig durch einen Teefilter oder Stoffsieb ab; nehmen Sie kein grobes Sieb, das die Staubgefäße durchlässt; diese kratzen auf der Haut ! Füllen Sie das Öl in kleine dunkle Fläschchen (100– 200 ml) und bewahren Sie es kühl auf. Es ist 1 Jahr haltbar und kann äußerlich und innerlich angewendet werden: Bei Gürtelrose können Sie ein mit Johanniskrautöl getränktes Läppchen auflegen oder die betroffenen Stellen behutsam damit abtupfen. Innerlich angewendet hilft „Rotöl“ bei Reizmagen oder zur Ausheilung von Magen-Darm-Geschwüren (mehrere Wochen lang 3-mal täglich 1 TL einnehmen). Johanniskrauttinktur Blühende Triebspitzen in ein helles Schraubglas geben und mit Alkohol (45%) übergießen. 4 Wochen an der Sonne stehen lassen, abgießen und in dunkle Tropffläschchen füllen. 2–3 Monate lang 3-mal täglich 20 Tropfen vor den Mahlzeiten einnehmen. Schlafkissen Eine Baumwollhülle (15 × 15 cm für etwa 150 g Kräuter) innen mit Rohwolle auskleiden und mit einer Kräutermischung aus getrockneten Pflanzen mit beruhigender Wirkung auffüllen: Je 3 Teile Johanniskraut, Melissenblätter, Hopfenzapfen und je 1 Teil Honigklee- und Beifußkraut und Lavendelblüten. Neues Wissen Hyperforin ähnelt in gewissen Anteilen bekannten Antibiotika. In Studien wurde der Einfluss von Hyperforin auf das Wachstum verschiedener Bakterien untersucht. Während bei bestimmten Bakterien und dem Pilz Candida albicans kein nachweisbarer Effekt festgestellt wurde, wurden andere Bakteriengruppen, darunter der gefährliche Staphylokokkus aureus, deutlich in ihrem Wachstum gehemmt.