future Das Zukunftsmagazin der Die Zukunft des Klimas nPlanet unter Druck: Die Folgen der Erderwärmung drohen katastrophal zu werden. Kann die Kehrtwende noch gelingen? Nr. 10 24. April 2012 l www.wienerzeitung.at Jetzt im neuen Design. Tageszeitung für Fortgeschrittene. Schüller & Heise / science communications Bitte täglich füttern! Inhalt 3 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, 4 8 10 Planet unter Druck: Das Ende der Natur Klimawandel-Skepsis: Die Blüten des Zweifels Zukunft von Stromversorgung und Energieverbrauch: Die Wächter des Energienetzes 12 Hochgebirgspflanzen werden von neuen Arten verdrängt: Gipfelsturm ohne Happy End Die Solarenergie muss zum begehrten Konsumgut werden, ähnlich wie das Smartphone oder das Auto, erklärte jüngst Ökologiepionier und Träger des Alternativen Nobelpreises Huang Ming bei einem Besuch in Wien. Nur so könne man eine breite Masse von der grünen Energie aus der Sonne überzeugen. Gesetze zum Klimaschutz würden wenig helfen, sondern nur die Möglichkeit der Menschen einschränken, selbst Verantwortung für den Planeten zu übernehmen. Angesichts sämtlicher gescheiterter Weltklima-Gipfel ist Huang Mings Vision zumindest erfrischend. Immerhin erreichten 2011 die weltweiten Investitionen in saubere Energieformen mit 196 Milliarden Euro einen Rekordwert. Und dennoch sollen fossile Energien 2030 noch 81 Prozent des globalen Energiebedarfs decken und wenn wir so weiter machen wie bisher, dürften die CO2-Emissionen bis 2030 um 28 Prozent steigen. Das besagt der Klima-Bericht des Ölkonzerns BP – und der hat seine Sparte Solarenergie jüngst geschlossen. Es fällt also nicht leicht, an sehr viel Eigeninitiative zu Gunsten des Klimaschutzes zu glauben. Zudem muss das Produkt, das die Sonnenenergie zu einem KommerzErfolg machen könnte, noch erfunden werden. Das könnte dauern: Innerhalb eines Jahrhunderts kamen Telefon, Grammophon, Plattenspieler, CD-Spieler, Musikcassette, Walkman, Speicherformat MP3, Computer, Internet, Spielkonsole und Bankomatkarte auf den Markt, bevor deren Funktionen zum genialen iPhone zusammengesetzt werden konnten. Da die Welt kein Jahrhundert Zeit hat, sind international verbindliche Klimavereinbarungen ein Muss. Top-Forscher aus aller Welt forderten jüngst bei der Fachtagung „Planet Under Pressure“ (Planet unter Druck) in London von der Politik, rein gewinnorientierten Interessen eine Absage zu erteilen. Über die bedrohlichen Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels lesen Sie auf den Seiten 4 bis 7. Auf Seite 12 stellen wir Alpenpflanzen vor, die sich als seismografisch genauer Anzeiger für den Klimawandel entpuppen, wie Wissenschafter in einem globalen Projekt zeigen konnten. Auf Seite 14 nehmen wir schließlich das Reisen unter die Lupe. Wenn die Himmel weiterhin blau sein sollen und die Luft frisch, werden wir Kurzstreckenflüge in Zukunft wohl unterlassen müssen. Doch das klimafreundliche Reisen verspricht, mindestens genauso schön zu werden wie das Reisen bisher. Eine spannende Lektüre wünscht Eva Stanzl 14 Die Zukunft des Reisens: Sag niemals nie zur Bahn Impressum future Das gute alte, neue Fahrrad....................................................... 11 Parken, Aussteigen und Zusammenfalten................................... 11 Wind-Damm soll die Effektivität von Windkraftanlagen steigern..... 11 Der Tesla „Modul X“ soll Elektroautos zum Durchbruch helfen...... 11 Telegramm................................................................................ 16 erscheint als Verlagsbeilage der Wiener Zeitung. Medieneigentümer und Herausgeber: Wiener Zeitung GmbH, 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10, Tel.: 01/20699-0 Geschäftsführung: Mag. Karl Schiessl Marketingleitung: Wolfgang Renner, MSc. Anzeigenleitung: Harald Wegscheidler Redaktion: Eva Stanzl (Leitung), Cathren Müller, Helmut Ribarits Artdirection: Richard Kienzl Druck: Niederösterreichisches Pressehaus Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, Gutenbergstraße 12 A-3100 St. Pölten 4 Extreme Hitzewellen, eisige Stürme, versinkende Strände und Küstenstädte, anhaltende Dürren und Hungersnöte – die Folgen der globalen Erwärmung drohen katastrophal zu werden. Dennoch bläst die Menschheit immer mehr Treibhausgase in die Luft und wirft die Politik Warnungen in den Wind. Kann die Kehrtwende noch gelingen? Von Eva Stanzl Planet unter Druck: Das Ende der Natur R und 3000 führende Klimaexperten aus aller Welt trafen sich Ende März in London. Nach vier Tagen des Austausches kamen sie zu einer Abschlusserklärung von höchster Dringlichkeit. Die Zeiten, in denen in der Klimapolitik jeder sein eigenes Süppchen kocht, müssten ein Ende haben. Beim Klimaschutz-Gipfel Rio+20 in Rio de Janeiro müssen sich Politik auf verbindliche Ziele zum Klimaschutz, zur Einführung erneuerbarer Energien und zum Schutz der Biodiversität einigen. Entscheidungsträger dürfen dabei nicht gewinnorientierten, ökonomischen Eigeninteressen beugen, betonten die Teilnehmer der Fachkonferenz „Planet Under Pressure“ (Planet unter Druck). „Ohne umgehende Maßnahmen und bindende Richtlinien drohen Wasser- und Nahrungsengpässe, die Wirtschaftskrisen, Umweltschäden, soziale Probleme und eine humanitäre Krise von globalem Ausmaß zur Folge haben könnten“, mahnten die Konferenzvorsitzenden Lidia Brito und Mark Stafford Smith eine radikale Kehrtwende ein. Sie forderten eine globale Verpflichtung für menschen- und umweltgerechtes Wachstum. Die Forscher präsentierten Beweise, dass ein neues geologisches Zeitalter begonnen hat: das „Anthropozän“, in dem nicht die Natur, sondern der Mensch die Erde dominiert. „Seit den 1950er Jahren hat sich das Klima immer schneller verändert“, heißt es in der Erklärung. „Menschliche Handlung beherrscht jetzt das Erd- und Ökosystem.“ Die Veränderungen seien mit dem Ende der letzten Eiszeit vergleichbar – mit dem einzigen Unterschied, dass es nun noch wärmer werde. Untertan Erde Foto: Corbis Das weitgehend stabile Klima der vergangenen 11.700 Jahre – Geologen nennen diese Periode Holozän – gab dem Menschen die Freiheit zu planen, die Landwirtschaft zu erfinden, Städte zu bauen, Kommunikationsnetzwerke zu bilden und Formen der Energiegewinnung zu ersinnen. Diese Aktivität hat den Planeten irreversibel verändert. „Unser Planet funktioniert ganz einfach nicht mehr so, wie er es früher getan hat“, erklärt Jan Zalasiewicz, Geologe an der University of Leicester. Den Teilnehmern von „Planet Under Pressure“ zufolge nahm das Zeitalter des Menschen seine Anfänge vor 250 Jahren in England. Kohle und Öl ermöglichten Erfindungen und Technologien, die den Anstoß zur Industrierevolution gaben, die sich wie ein Buschfeuer in Europa, Nordamerika und Japan verbreitete. Eisenbahnen, Autos und Autobahnen brachten Millionen von Menschen näher zusammen. Medizinische Entdeckungen retteten tausende von Leben, Kunstdünger verbesserte die Ernährungslage. „In den vergangenen 50 Jahren hat allerdings der schnellste Wandel im Verhältnis des Menschen zur Natur stattgefunden“, betont Will Steffen, Klimaexperte der australischen National University. Marketing, Tourismus und Investitionen schufen enormes Wachstum und machten aus Städten Metropolen. Wohlstand, Gesundheit, Sicherheit 5 Foto: IGBP und Lebensspannen stiegen innerhalb von nur zwei Generationen sprunghaft an. Heute bewohnen sieben Milliarden Menschen die Erde. Eine Milliarde von ihnen hungert. „W ir sind eine phänomenale globale Kraft. Wir bewegen mehr Sedimente und Gesteinsmassen im Jahr als alle Prozesse der Natur. Wir bewirtschaften drei Viertel aller Landmassen. In einer Million Jahren war die Konzentration an Treibhausgasen nie so hoch wie heute“, ist auf der Homepage des International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP), ein vom internationalen Forschungsrat finanziertes Forschungsprogramm zum Globalen Wandel, zu erfahren. Die Atmosphäre, das Klima, die Ozeane und das Ökosystem – alles verhalte sich jenseits der Normen des vorangegangenen Holozän. Für Geologen wie Zalasiewicz stellt sich nun die Frage, ob der Mensch sich in seinem selbst geschaffenen Zeitalter nun auch selbst zerstören wird, oder ob er langfristig neue, stabile Lebensbedingungen schaffen kann. Schuld ist der Mensch Die Negativ-Auswirkungen menschlichen Handelns auf das Klima sind zahlreich belegt. In einer im Fachjournal „Nature“ veröffentlichten Studie berichten Professor Steffen und seine Kollegen von neun lebenserhaltenden Systemen, die für das Leben des Homo sapiens auf Erden erforderlich sind. Zwei davon – der Klima- und der Stickstoffkreislauf – würden Gefahr laufen zusammenzubrechen und ein dritter, die Artenvielfalt, sei am Verschwinden. Laut Steffen könnte das Anthropozän eines der sechs größten Artensterben der Erdgeschichte bringen, gleichzusetzen mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 70 Millionen Jahren. Dass von Menschen versursachte Klimagase auch an den noch nie da gewesenen Wetterextremen der letzten zehn Jahre schuld ist, können Dim Coumou und Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung belegen. Sie sehen „starke Indizien“, dass die Häufung von Wetterrekorden nicht mehr mit dem Zufall begründet werden kann. Zwar gab es Hitze- und Kältewellen schon immer. Doch die globale Erwärmung erhöhe die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens und ihre Heftigkeit, berichten sie in „Nature Climate Change“. Coumou vergleicht den menschlichen Einfluss auf das Klima mit einem Spiel mit gezinkten Würfeln: Man könne zwar nie wissen, wann genau eine Sechs falle. „Aber da wir die Würfel verändert haben, wird es sehr viel öfter passieren.“ A llein zwischen dem 13. und 19. März dieses Jahres gab es in Nordamerika an mehr als 1000 Orten Wärmerekorde. 2011 gab es in den USA 14 Wetterextreme, die jeweils Schäden in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar angerichtet haben. Australien, Japan und Korea verzeichneten Rekord-Regenfälle. 2003 erlebte Europa den heißesten Sommer seit mindestens 500 Jahren, die Hitzewelle im August 2003 forderte mehrere 10.000 Tote – sie war damit die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte des Kontinents. Internationale Klimaverhandlungen wie Rio+20 kommenden Juni sind ein zähes Geschäft. Die Klimagipfel von Kopenhagen, Cancun und Durban haben nicht den entscheidenden Durchbruch gebracht. Zwar setzten sie einen Verhandlungsprozess in Gang, der bis 2020 zu einem global verpflichtenden Klimaschutzabkommen führen soll. Doch noch ist die Staatengemeinschaft weit davon entfernt. Derzeit folgen die Staaten unterschiedlichen freiwilligen Selbstverpflichtungen. Wenn es dabei bleibt, wird bis 2099 die globale Mitteltemperatur um 3,5 Grad Celsius steigen. Niemand weiß, welche Folgen das hätte. Im Anthropozän verursacht der Mensch den Klimawandel: Die Metropolen Europas, vom All gesehen. Alternativen zur Klimapolitik Da sie kaum vom Fleck kommt, haben Experten mittlerweile nach Alternativen zu einer international verbindlichen Klimapolitik gesucht. Ein „grünes Wachstum“ könnte den Klimaschutz möglicherweise auch ohne internationale Verhandlungen vorwärts bringen, konstatiert das Umweltprogramms der Vereinten Nationen in einem Bericht. Demnach würden grüne Technologien das Wirtschaftswachstum nicht beeinträchtigen, sondern fördern. Das Klimaproblem würde ganz nebenbei ohne den Umweg über internationale Verhandlungen gelöst. Wenn jedes Land und Wie viel Energie verbraucht ein Mensch? Im Durchschnitt verbraucht ein mehrköpfiger Haushalt im deutschsprachigen Raum 3500 Kilowattstunden (kWh) Strom im Jahr. Ein Single-Haushalt benötigt 1500 Kilowattstunden, Großfamilien mit vielen Elektrogeräten spürbar mehr. Obwohl Strom die teuerste und nach wie vor am meisten umweltbelastende Energie ist, macht er nur ein Fünftel des Gesamt-Energieverbrauchs aus. Der überwiegende Teil entfällt auf Öl, Gas und Kohle. Je Quadratmeter Wohnfläche sind 100 bis 200 Kilowattstunden Heizenergie nötig. Das sind 10 bis 20 Liter Heizöl oder Kubikmeter Erdgas. Eine 100 Quadratmeter-Wohnung benötigt jährlich 1000 Liter Heizöl. Nach Berechnungen der Österreichischen Energieagentur stiegen die Energieausgaben heimischer Haushalte aufgrund von Preis- und Mengeneffekten um 11 Prozent auf mehr als 11,4 Milliarden Euro oder 262 Euro pro Monat und Haushalt. Rund 45 Prozent der Energierechnung entfielen auf den Verkehr (Benzin und Diesel), knapp 31 Prozent auf Raumwärme und Warmwasser und fast ein Viertel auf Strom. Sparsame neue Häuser verbrauchen statt 100 Kilowattstunden nur 30 Kilowattstunden pro Quadratmeter (Niedrigenergiehaus) und Jahr, oder sogar nur zehn Kilowattstunden (Passivhaus). Man könnte also Häuser mit einem Bruchteil der Energie beheizen, die man heute dafür aufwendet. Auch beim Strom könnte man mit zwei Dritteln des heutigen Verbrauchs auskommen. Allein für unnütze Bereitschaftsverluste verbraucht jeder Haushalt im Schnitt 400 kWh. Weitere700 kWh gehen für ineffiziente Heizungspumpen, Haushaltsgeräte und Computer verloren. Auf einem Hometrainer muss eine Person volle zehn Stunden lang strampeln, um eine Kilowattstunde zu erzeugen. Eine 100-Watt-Birne brennt mit einer Kilowattstunde Strom zehn Stunden lang. Eine Zehn-WattSparlampe brennt damit 100 Stunden, eine Herdplatte läuft eine halbe Stunde, ein elektrischer Durchlauferhitzer drei Minuten, ein Computer oder Fernseher sieben Stunden. Die Sonne liefert im Hochsommer auf einen Quadratmeter Boden während 45 Minuten eine Kilowattstunde Energie. (est) Quelle: www.energieverbraucher.de 6 Foto: Corbis jede Region auf erneuerbare Energien umsteigen würde, würden diese bald günstiger werden als die zur Neige gehenden fossilen Energieträger, so die Grundannahme. Dadurch könnten Verbesserungen in der Energieeffizienz zu geringeren Kosten erreicht werden. Der Umbau der Energieversorgung lohne sich somit auch ohne Klimaschutz. O tmar Edenhofer, Chefökonom und Vizerektor des Postdam-Instituts für Klimafolgenforschung, hält diese Annahmen für problematisch. „Es wäre fatal, würden diese Hypothesen Teil eines politischen Mantras, um den gewaltigen politischen Herausforderungen einer globalen Klimapolitik auszuweichen“, warnt er in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Grünes Wachstum könne zwar helfen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, es könne ihn jedoch nicht ersetzen. Denn wenn Öl knapper wird und der Ölpreis steigt, würden auch Investitionen in die Suche danach steigen. Womit sogar der Abbau der Ölsande oder die Verflüssigung von Kohle als Ersatz für Öl irgendwann rentabel würden. Zudem hat die Menschheit immer noch 15000 Milliarden Tonnen fossile Rohstoffe im Boden, insbesondere Kohle: „Ein Ordnungsrahmen, der die nötigen Anreize setzt, ist unverzichtbar – so mühsam dieser auch zu erreichen ist“, schreibt der Klimaexperte. Für eine nachhaltige Zukunft der Erde müssten bis 2050 zwischen 60 und 80 Prozent des Energiebedarfs aus Quellen mit niedrigem Kohlenstoff-Ausstoß kommen, halten die Teilnehmer von „Planet Under Pressure“ fest. Gegenwärtig kommen jedoch 80 Prozent der Energie aus fossilen Trägern. Ob der Appell der Wissenschaft von den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft dieses Mal gehört wird, oder Einzelinteressen einmal mehr den Sieg davontragen, bleibt abzuwarten. Entpuppt sich der Gipfel als Feigenblatt, das verdeckt, dass alle so weitermachen wie bisher, ohne dass der Eindruck entsteht, es geschieht nichts, dann bleibt nur ein Trost: In Zukunft werden die Fossilien des modernen Menschen in erstaunlichem Detail erhalten bleiben. „Als Resultat des steigenden Meeresspiegels werden Forscher, so es dann noch welche gibt, die Reliquien ganzer Städte untersuchen können, die im Schlamm begraben vortrefflich konserviert sein werden“, sagt Mike Ellis vom British Geological Survey in London. n www.planetunderpressure2012.net http://www.anthropocene.info/en/home http://www.igbp.net www.uncsd2012.org Die Zukunft der Wirtschaft ist nachhaltig: „Klimawandel benötigt eine Ökonomie des Teilens“ Eine nachhaltige grüne Entwicklung könnte langfristig eine gute Lebensqualität für alle bringen, sagt die Ökonomin Bina Agarwal im Gespräch mit Eva Stanzl. Future: Einerseits darf Wachstum nicht zu Lasten der Umwelt gehen, andererseits ist die Wirtschaft bestrebt, zu wachsen.Wie können wir Energie sparen und gleichzeitig gut leben? Bina Agarwal: Wichtig ist, dass wir unter einer nachhaltigen Wirtschaft eine nachhaltige grüne Entwicklung verstehen, die langfristig eine gute Lebensqualität für alle bringt. Man kann durchaus ein grünes Wirtschaftswachstum herstellen mit Hilfe von mit Technologien, die weniger Umweltverschmutzung verursachen und weniger CO2Ausstöße, jedoch einen hohen Grad an Ungleichheit und ungleich verteiltem Zugang zu Ressourcen aufrechterhalten. Damit wären wir weit entfernt ist von einem nachhaltigen Leben. Ernährungssicherheit für alle und eine nachhaltige grüne Entwicklung gehören zusammen. Die Wirtschaft misst Wachstum als Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. Natürlich gibt es auch die Idee des grünen BIP pro Kopf. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, der aber die Rechnung ohne die Ungleichheit macht. Diese Form des nachhaltigen Wirtschaftens ist also nur eine halbe Sache. Wir müssen auch dazu sehen, dass alle an- nähernd gleiche Chancen auf Ernährungssicherheit haben, während wir sorgsam mit den Rohstoffen umgehen. Wie errechnet sich das grüne BIP pro Kopf? Es ist Wirtschaftswachstum unter Berücksichtigung von Umweltfaktoren und Nachhaltigkeit. Allerdings handelt es sich um eine ungenügende Maßeinheit, da es den Verlust der Biodiversität und irreversible Umweltschäden nicht berücksichtigt. Wir kennen die Folgen des Artensterbens noch nicht. Wie können wir berücksichtigen, was wir tagtäglich verlieren? Wir können nur so viele Details wie möglich beachten, um ein grünes Wachstum zu erreichen, weil Ausmaß und Auswirkungen des Klimawandels noch nicht realistisch berechenbar sind. Wie schnell können wir die Wende zur klimaschonend lebenden Gesellschaft schaffen? Um das vorhersagen zu können, müssten wir Aspekte 7 Wie Kinder und Jugendliche über den Klimawandel lernen: Anleitungen, selbst zu denken Weil alle Theorie grau ist, lassen sich die komplexen Zusammenhänge des Klimawandels besser praktisch vermitteln. Science Center zeigen, wie das geht. Von Cathren Müller D ie Botschaft des Experiments verstehen die Schüler sofort: Sie haben zwei Plastikwannen mit Wasser aufgebaut. In die eine lassen sie einige Eiswürfel gleiten. In der anderen platzieren sie die Eiswürfel auf einem umgedrehten Unterteller oder Plastilin-Inseln im Wasser. Sie warten, was passiert. In der Schale mit den frei schwimmenden Eiswürfeln steigt der Wasserspiegel nicht, in der Schale mit dem Unterteller hingegen schon. Ein einfaches Experiment mit denkbar einfachen Mitteln. Es macht deutlich, was passiert, wenn durch den Klimawandel das Meereis schmilzt und die Eismassen Grönlands schmelzen. „Sie haben sofort verstanden, dass es ein ganz massives Problem ist, wenn die Meeresspiegel steigen.Wir hatten viele Diskussionen darüber, wo dann die Küstenbewohner leben sollen und was der Klimawandel vor allem für den Süden bedeutet“, berichtet der Polarforscher Günter Köck, der gemeinsam mit den Schülern experimentierte. Die einfache Anordnung ist typisch für die Aktivitäten von Science Centers, die vor allem naturwissenschaftliche Zusammenhänge auf spielerische Weise vermitteln. Bei Science Center-Aktivitäten gibt es keinen frontalen Unterricht, keine Vorträge. Die Versuchsanordnungen sind zum Mitmachen gedacht, Erkenntnisse muss man sich selbst erarbeiten, indem man spielt, ausprobiert, testet. Auch das geschilderte Experiment ist ein Science Center Projekt: Es war Teil von „Breaking the Ice“, eine umfassende Vermittlungsaktivität des Science Center-Netzwerks in Wien anlässlich des Polarjahres 2008. Österreichische Museen, Schulen, Universitätsinstitute und Einzelpersonen haben sich 2005 zum Science Center-Netzwerk zusammengeschlossen, um gemeinsam wissenschaftliche Themen populär und praktisch aufzubereiten und zu vermitteln. Eine besonders wichtige Rolle spielen Umweltthemen und der Klimawandel. Die Angebote des Netzwerks von 120 Partnern reichen von Workshops über Ausstellungen bis hin zu Klimaschulen und Bürgerbeteiligungsporjekten. Gegenwart. Zwar werden wir keine plötzliche Zäsur erleben, aber wir müssen uns an andere Bedingungen anpassen“, sagt er. Sind Science Center die besseren Vermittler, wenn es um sensible Themen wie den Klimawandel geht? Margit Fischer, die Vorsitzende des ScienceCenter Netzwerks, meint ja. Bei der Londoner Konferenz „Planet under Pressure“ im März sprach sie für alle 3000 Science Center und Museen weltweit. Weil Science Center auf die Fähigkeit des Menschen setzen, sich selbst Wissen anzueignen, geraten sie nicht in Gefahr „Fakten und Meinungen zu vermischen“. Science Center-Aktivitäten bauen den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess spielerisch nach: Teilnehmende gelangen von der Hypothese über das Experiment und die Überprüfung zu einem Urteil. Bei einem globalen Thema wie dem Klimwandel käme es gerade auf dieses Urteilsvermögen an, sagte Fischer in London: „Besucher von Science Centers werden zu besser informierten, verantwortungsvollen Bürgern, die aktiv Lösungen erarbeiten und die Beziehung von Wissenschaft und Gesellschaft verstehen.“ n Den Anstieg des Meeresspiegels verstehen: Schülerinnen des Gymnasiums Rahlgasse haben das arktische Meer und das Grönlandeis nachgebildet und warten auf die große Schmelze. Margit Fischer, Vorsitzende des ScienceCenter Netzwerks, und Polarforscher Günter Köck von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wollen durch solche Aktivitäten das Urteilsvermögen über den Klimawandel stärken. P olarforscher Günter Köck, der eigentlich in der Arktis die Auswirkungen des Klimawandels auf Seen untersucht, indem er den Schwermetallen in Fischen nachspürt, hat schon mehrere Projekte mit den Partnern des Science Center-Netzwerks gemacht. Das Thema Klimawandel hat für ihn eine besondere Relevanz: „Es geht darum, den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass ihre Zukunft nicht so sein wird wie ihre Foto: Science Center Netzwerk/Dragan Tatic menschlichen Verhaltens vorhersehen können. Wir können daher nur sagen, was grundsätzlich gemacht werden sollte in Form von Lösungen auf nationaler und internationaler Ebene, und dazu müsste es unbedingt ein internationales Verständnis geben, was jede Nation zum Klimaschutz tun muss. In Südamerika stehen weniger Felder für Nahrungsmittel zur Verfügung, weil auf ihnen Raps für den Biosprit von US-Autos wächst. Wie kann eine Klimawende geschafft und dabei Ernährungssicherheit garantiert werden? Diese Herausforderung ist enorm sogar ohne Klimawandel. 2050 werden neun Millionen Menschen auf der Erde leben, und der Klimawandel macht die Bewältigung des Hungers noch schwieriger. Steigende und schwankende Temperaturen werden sich enorm auf die Nahrungsmittel- Produktion auswirken, besonders in Afrika. Die Praxis der exportierenden Länder wird die Ernährungssicherheit stark beeinflussen: Die US-Landwirtschaft genießt hohe Förderungen, was sie exportiert, wirkt sich auf den globalen Lebensmittelmarkt aus. Reiche Länder sichern sich Zugang zu Nahrungsmitteln und Biosprit, indem sie Land in anderen Staaten aufkaufen. Diesbezügliche globale Vereinbarungen müssen also weit über den Klimawandel hinausgehen. Wir müssen Getreidesorten erfinden, die in warmen Regionen auf trockenem Land wachsen können, und Gendatenbanken betreiben, die für diese Zwecke ge- nutzt werden können. Arme Länder müssen Wasseranlagen und -pipelines teilen und der Bevölkerung verstärkt Rechte übertragen, den Fruchtgewinn des Landes zu teilen und zu managen, damit es sinnvoll bewirtschaftet wird. Was wäre der Preis einer nachhaltigen Wirtschaft für den Einzelnen? Der Einzelne muss vor allem beim Transport umdenken. Als ich als Mädchen in Indien zur Schule ging, haben die Eltern der Nachbarschaft immer alle Kinder in einem Auto zur Schule gebracht. Heute fahren alle Eltern nur ihre eigenen Kinder zur Schule, und Erwachsene fahren überall mit dem eigenen Auto hin. Wir haben uns von einem Gefüge des Teilens wegbewegt, das unsere Lebensqualität aber keineswegs geschmälert hat. Stattdessen essen wir zu viel und strampeln die zusätzlichen Kilos im Fitnessstudio ab, zu dem wir mit dem Auto fahren anstatt von vornherein das Fahrrad zu nehmen. Eine nachhaltige grüne Entwicklung wäre eine Ökonomie des Teilens. Es ist völlig ungerecht, dass manche Menschen alle Vorteile genießen, während andere diese Möglichkeit nicht haben. Die Lebensstil der oberen Mittelklasse und Reichen muss sich ändern. Sie müssen Opfer bringen anstatt sich dem Turbo-Konsum hinzugeben, und stattdessen mehr für all jene übrig lassen, die nicht so viel haben. Sie müssen etwa kurze Strecken mit der U-Bahn fahren und nicht mit dem Auto. Ein gutes Leben besteht nicht aus- schließlich aus Urlauben in fernen Ländern, sondern auch aus Spaziergängen im nahe gelegenen Wald oder einem schönen Abend zusammen. Haben wir das Recht, ein Mal im Jahr ans Meer zu fahren? Es ist keine Frage des Rechts, sondern des Umdenkens, was ein gutes Leben ausmacht. Schon allein wegen der Durchschlagskraft seiner Medien hat der Westen hier Vorbildwirkung. n Zur Person: Bina Agarwal ist Direktorin des Instituts für Wirtschaftswachstum der Universität Delhi, Indien. Sie studierte an den Universitäten von Cambridge und Delhi und hält weltweit Fachvorträge an Universitäten wie Harvard, Princeton und Michigan. 8 Klimawandel-Skepsis: Die Blüten des Zweifels Der Zusammenhang von menschengemachten Treibhausgas-Emissionen und globaler Erwärmung ist belegt – dennoch säen so genannte Klimawandel-Skeptiker immer wieder Zweifel. Die Blüten des Zweifels im Überblick, zusammengefasst von Cathren Müller. Sorte „Der Mensch kann nichts dafür“ CO2 ist unschuldig. Für den Tea Party-Anhänger Joe Barton oder den ehemaligen RWE-Vorstand Fritz Vahrenholt, Autor des umstrittenen Buchs „Die kalte Sonne“, ist dieses Argument verlockend, denn damit sind auch gleich die fossilen Brennstoffe aus dem Schneider: Weil es während des Übergangs von einer Eis- zu einer Warmzeit erst warm wird und dann das CO2-Niveau steigt, kann das Gas nicht die Ursache der Erwärmung sein. An der Idee stimmt allerdings nur die Reihenfolge: Forscher um Jeremy D. Shakun von der Harvard University konnten jüngst erneut zeigen, dass 90 Prozent des Temperaturanstiegs, der die letzte Eiszeit beendete, auf CO2 zurückgehen. Nur die ersten zehn Prozent der Erwärmung gehen auf andere Ursachen zurück, den Rest bewerkstelligt CO2. Der aktuelle menschengemachte Treibhauseffekt geht auf CO2 aus fossilen Quellen zurück, ein erster Nachweis wurde bereits 1955 von dem Atomphysiker Hans Suess erbracht. Die Sonne ist schuld. Die Sonnenaktivität hat seit dem 19. Jahrhundert zugenommen und die Erde erwärmt. So hatte es 1989 schon das von Exxon Mobil gesponsorte George C. Marshall Institute behauptet. 2012 wärmt Fritz Vahrenholt in „Die kalte Sonne“ die Behauptung auf. Klimaforscher konnten allerdings die Sonne als hauptsächliche KlimawandelVerursacherin bereits in den frühen 1980er Jahren ausschließen, denn ihre Aktivität erklärt die jetzige Erwärmung nicht. Die Natur war’s! Dafür finden Skeptiker gleich mehrere Indizien, etwa die kleine Warmzeit des Mittelalters oder die generelle Fähigkeit des Klimas, sich zu verändern. „Alles normal“, ist die Botschaft. Auch der Klimawandel folgt Naturgesetzen – insofern ist alles natürlich. Allerdings: Alle Verfahren zur Ursachenbestimmung weisen vom Menschen gemachte Treibhausgase als hauptsächliche Einflussgrößen der Erwärmung der letzten 30 Jahre aus. Alarmierend sind die Geschwindigkeit, mit der der Mensch das Klima verändert, und das Ausmaß: „Wir verursachen derzeit Bedingungen, mit denen der Mensch es noch nie zu tun hatte, seit er den aufrechten Gang gelernt hat“, schreibt der Klimaforscher Stefan Rahmsdorf in „Der Klimawandel“. Sorte: „Klimaforschung ist unwissenschaftlich“ Sorte „Alles Lüge“ Es gibt keinen Klimawandel. Zum Beweis greifen Skeptiker oft auf Einzeldaten zurück. So scheint der Meeresspiegel nicht anzusteigen, wenn man kurze Zeiträume betrachtet, da der Anstieg nicht linear verläuft sondern Schwankungen unterworfen ist. Je nach Datenwahl sieht es auch so aus, als sei es seit 1998 nicht mehr wärmer geworden. Der amerikanische Physiker Fred Singer versuchte auf ähnliche Weise 1996 für den Think Tank „Global Climate Coalition“ (GCC) zu zeigen, dass es keinen Klimawandel gibt. In den Jahren davor hatte er den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs im Auftrag der Tabakindustrie bestritten. Heute sagt er, die Erwärmung sei „ein Gewinn“. An den Klimawandel kann man glauben. Oder auch nicht. Fritz Vahrenholt spricht von „unterschiedlichen Auffassungen“ unter den Wissenschaftern; für den Journalisten Alexander Neubacher („Der Ökofimmel“) ähneln „Teile der Klimaforscher eher einer Sekte als einer Wissenschaftsgemeinde“. Wie die Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes und Erik M. Conwy zeigen, haben Skeptiker es mit dieser Strategie vermocht, die US-Klimapolitik auszubremsen, „indem sie jedes Mal den Konsens kategorisch in Frage stellten, auch wenn sie selbst die einzigen mit einer anderen Meinung waren.“ Zu ihrer abweichenden Meinung kommen die Skeptiker in der Regel ohne Forschung, wie jüngst das Beispiel von Fritz Vahrenholt zeigt. Klimaforscher fälschen Daten. Diskreditiert man die Klimaforscher als Lügner, muss man sich nicht mit den komplexen Methoden der Klimaforschung beschäftigen: Die Taktik ist nicht neu. US-Think Tanks wie das Heartland Institute oder das George C. Marshall Institute arbeiten seit den 1980er Jahren damit. Die Medien greifen die „Skandale“ sehr gern auf. Im Herbst 2009 erhielt die „Betrugstaktik“ neue Nahrung als über 1000 E-Mails der Climatic Research Unit (CRU) der University of East Anglia veröffentlicht wurden: Klimaforscher schienen sich in den 13 Jahren davor abgesprochen und Daten gefälscht zu haben. „Climategate“ war für die Medien eine tolle Sache. Dass die Vorwürfe sich in mehreren unabhängigen Untersuchungen als unhaltbar erwiesen, war gleich weniger interessant. 9 „Ich kann es mir ohne Klimawandel auch schöner vorstellen“ Diskussionen, ob es den Klimawandel gibt, sind nicht hilfreich: Der Politologe Carel Mohn sprach mit Cathren Müller über die Wirksamkeit der Klimaskeptiker. Future: Können Sie in der Vielzahl der skeptischen Behauptungen Muster erkennen? Carel Mohn: Grob gesagt gibt es vier Gruppen: Eine sagt, es gibt überhaupt keinen Klimawandel. Die andere führt ihn auf natürliche Ursachen zurück. Eine weitere Gruppe bestreitet das Zutun der Menschen am Klimawandel nicht, aber verharmlost die Folgen: Anstatt uns Sorgen zu machen, sollen wir uns auf Weintrauben aus Alaska freuen. Die vierte Gruppe stellt die Glaubwürdigkeit der Wissenschafter in Frage. Warum gibt es überhaupt diese Skepsis dem Klimawandel gegenüber? Der Klimawandel ist historisch ohne Beispiel, es ist eine enorme kognitive Zumutung: Wenn man akzeptiert, dass es diesen potenziell sehr gefährlichen Klimawandel gibt, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass unser Verhalten sich tiefgreifend ändern muss. Das möchte man gern erstmal verdrängen.Wenn wir heute über Klimapolitik reden, dann ist das nicht mehr so abstrakt wie in den 1980er Jahren, sondern es geht darum, welche Autos wir fahren, wie wir unsere Häuser bauen und welche Kraftwerke wir haben. Da sind handfeste Interessen im Spiel. Foto: Corbis Viele „Skeptiker“ stehen politisch eher rechts. Warum ist das so? Eine stringente Klimapolitik setzt voraus, dass man planvoll und systematisch gegensteuert. Wer wirtschaftsliberale Politikmodelle favorisiert, hat damit eher ein Problem. Ist die Skepsis mal mehr und mal weniger en vogue? Ja, das liegt auch an der Logik unseres Mediensystems. Medien sind an Konflikten interessiert, die einer bestimmten Dramaturgie folgen. Das führt dazu, dass klimaskeptische Argumente häufiger zu Wort kommen, als es ihrer wissenschaftlichen Relevanz entspricht. Wenn Medien seriös arbeiten, wollen sie auch Gegenstimmen zu Wort kommen lassen. Das macht auch in der Wissenschaft Sinn, stößt aber an Grenzen, sobald die Medien nicht beurteilen können, ob die vermeintlichen „Gegenstimmen“ begründet sind oder bloße Standpunkte und Hypothesen, die längst überholt sind. Wie wirksam sind Bücher wie „Die kalte Sonne“ von Fritz Vahrenholt? Das Buch von Vahrenholt wurde sehr professionell vermarktet und hat ein enormes Medienecho bekommen. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Menschen seine Einwände erstmal plausibel finden. Ich kann mir eine Welt ohne Klimawandel auch schöner vorstellen. Allerdings hat die Debatte auch gezeigt, dass das Wissen um die tatsächlichen Zusammenhänge zumindest im deutschsprachigen Raum sehr groß ist. Sorte „Alles nicht so schlimm“ In den USA scheinen die Skeptiker gerade wieder die Oberhand zu gewinnen. Die Journalistin Naomi Klein spricht in diesem Zusammenhang inzwischen von einen neuen Inhumanismus. Die Debatten in Europa und den USA unterscheiden sich sehr stark. In Deutschland und Österreich ist man Lichtjahre von der US-Debatte entfernt, auch wenn ähnliche Argumente genutzt werden. Beim Klimawandel sind die USA noch nicht so weit, die Skepsis als marginale Position einordnen zu können. CO2 ist nicht schädlich. Pflanzen wachsen besser, wenn man sie mit CO2 bestrahlt. Also: „No need to Panic about Climate Change“, wie 16 Wissenschafter, die Hälfte davon mit Verbindungen zur Ölindustrie, im „Wall Street Journal“ im Jänner dieses Jahres erklärten. Studien zeigen, dass die Wachstumseffekte wohl nur für das Gewächshaus gelten: „Im Freiland werden die negativen Effekte von wahrscheinlich zunehmenden Hitzewellen und Trockenheit überwiegen“, schreibt Urs Neu von der Schweizer Akademie der Wissenschaften auf klimafakten.de. Vermeiden ist zu teuer. Wird die Faktenlast erdrückend, greifen Skeptiker zur ökonomischen Keule: Es sei am besten, wenn man der Wirtschaft erlaube, noch weitere „50 Jahre zu wachsen, ohne Emissionsbeschränkungen“, wie der Ökonom William Nordhaus schreibt. Er hatte schon 1983 argumentiert, dass eine Reduktion der Emissionen sich nicht rechne. Die 16 Wissenschafter des „Wall Street Journal“ (siehe oben) setzen noch eines drauf: Gerade die Entwicklungsländer würden von weiterem Wachstum profitieren. Ihr Zynismus scheint den Skeptikern nicht bewusst zu sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat schon vor zehn Jahren festgestellt, dass jährlich mindestens 150.000 Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben. Welchen Einfluss haben die Skeptiker auf die europäische Klimapolitik? Die Politik hat im Prinzip verstanden, dass sie jetzt handeln muss. Wenn es aber um den Umbau unserer Energiesysteme geht, gibt es natürlich Widerstand. Letztendlich müssen wir eine Diskussion über die Grenzen des Wachstums führen, um andere Modelle zu finden. Was ist das Skeptiker-Argument, das Sie am meisten aufregt? Am schlimmsten finde ich die Versuche, die Wissenschaft zu diskreditieren. In dem so genannten ClimategateSkandal hat man sogar versucht, Wissenschaftern Manipulationsversuche nachzuweisen. Sie können nun 1000 Mal beweisen, dass das nicht so war und dennoch: Es wird immer wieder behauptet. n Foto: Carel Mohn Und wenn schon:Tiere und Pflanzen werden sich anpassen. Prominente Skeptiker wie der Däne Björn Lomborg oder der Amerikaner Fred Singer sind dazu übergegangen, auf die Anpassungsfähigkeit der Natur zu setzen. Der anthropogene Klimawandel geschieht jedoch viel zu schnell, als dass Tiere und Pflanzen mithalten könnten. Der Mensch bläst nicht nur zu viel CO2 und andere Treibhausgase in die Atmosphäre, er nimmt der Natur auch die Möglichkeit, dies auszugleichen, indem er Wälder vernichtet und Böden versiegelt. Die „Anpassung“ von Tieren und Pflanzen wird also vermutlich in ihrem Verschwinden bestehen: Bis 2050 könnten bis zu 37 Prozent der Fauna und Flora vom Aussterben bedroht sein, wie der Biologe Chris D. Thomas 2004 errechnete. Wissenschaftshistoriker wie Naomi Oreskes sagen, die Skeptiker hätten die Klimapolitik zum Stillstand gebracht. Ja, in den USA haben die Skeptiker einen sehr großen Einfluss auf die Klimapolitik. Das ist auch der Grund, warum wir uns engagieren: Wenn man sich die naturwissenschaftlichen Daten anschaut, weiß man, dass eine Debatte darüber, ob das alles stimmt und ob man sich das leisten kann, nicht hilfreich ist.Wir müssen unsere Energie für eine Wirtschaftsordnung einsetzen, die weitgehend ohne das Verbrennen fossiler Rohstoffe auskommt. „Diskussionen, ob es den Klimawandel gibt, sind nicht hilfreich“: Der Politologe Carel Mohn ist Kommunikationsdirektor der European Climate Foundation und koordiniert unter anderem die Website „klimafakten. de“, wo klimaskeptische Behauptungen wissenschaftlich dargestellt, überprüft und widerlegt werden. 10 Foto: Corbis Die Zukunft von Stromversorgung und Energieverbrauch Die Wächter des Energienetzes W enn heute das Internet nicht funktioniert, können wir so lange keine E-Mails schreiben, bis der Schaden behoben ist. „Wenn aber in zehn Jahren das Internet nicht funktioniert, steht das gesamte System“, sagt Helmut Leopold, Leiter der Abteilung „Safety and Security“ des Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien. Licht, Wasser, Herd, Heizung, Telefon – alles aus. Leopold wacht am AIT über die Sicherheit von computergesteuerten Systemen, die künftig jedes Rädchen der Energieversorgung am Laufen halten werden. Sein Forschungszweig wird getrieben vom steigenden Verbrauch. Weltweit erhöht sich die Spitzenbelastung beim Strom-, Wasser- und Gasverbrauch von Jahr zu Jahr. Egal, wie schnell es der Menschheit gelingt auf erneuerbare Energien umzusatteln, die Spitzen müssen ausgeglichen werden, damit das Netz nicht zusammenbricht. Eine Tatsache, die neue Visionen der Zukunft des Wohnens und des Zusammenlebens in Kommunen und Städten hervorgebracht hat. „In Zukunft könnte der Kühlschrank im Netz anfragen, ob genügend Energie da ist, als dass er sich sofort auf die Optimal-Temperatur hinunterkühlt, oder ob er damit noch ein bisschen warten soll. Oder die Waschmaschine könnte sich erst dann einschalten, wenn genug Energie vorrätig ist Foto: AIT Das Internet liegt der Energieversorgung zu Grunde: Smart Grids sollen durch den ständigen Informationsaustausch zwischen Erzeugern, Speichern und Verbrauchern einen energie- und kosteneffizienten Netzbetrieb ermöglichen. Foto: AIT Schon in der nahen Zukunft werden wir unsere Häuser mit einem Bruchteil der Energie beleuchten und beheizen, die wir heute verwenden. Mit Hilfe von Sonnenkollektoren auf den Dächern werden wir Strom für die Kommunen erzeugen und klug mit Energie haushalten. Zumindest ist das die Vision. Dahinter steht eine massive Veränderung der Infrastruktur. Von Eva Stanzl für das Wäschewaschen. Wir verteilen somit den Energieverbrauch so, dass das Wachstum im Verbrauch dem Klima nicht zusätzlich schadet“, erklärt Leopold. Das könnte zwar zur Folge haben, dass wir nicht zu allen Tageszeiten unsere Handtücher waschen können, aber wenigstens wäre diese Situation für alle gleich. Dann würde uns nämlich bewusst werden, dass Energie etwas ist, das wir teilen. D amit das System funktioniert, müssen auch neue Methoden ersonnen werden, um Energie zu speichern. Wenn alles zusammenspielt, könnten etwa die Batterien von Elektroautos ausschließlich nachts beladen werden, mit Energie aus tagsüber eingefangenen Sonnenstrahlen. Sonnenkollektoren auf Dächern könnten ihren Strom sammeln und erst zu den Spitzenzeiten ins Netz speisen. „Wenn das sehr viele Haushalte machen, wird das System wirtschaftlich“, sagt der AIT-Experte. Voraussetzung für diese „Smart Grids“ genannte Form der klimaschonenden Energieverteilung ist die Vollvernetzung. Wenn heute der Strom ausfällt, gibt es kein Licht, keine Heizung, kein Wasser. Das Stromnetzwerk ist die Infrastruktur, die allem zu Grunde liegt. In Zukunft wird ein Energie-Kommunikationsnetz allem zu Grunde liegen. Ein Dilemma liegt allerdings in der Diebstahlgefahr. „Bisher waren die Energienetze physischer Natur und geschlossen. Strom unerlaubt abzuzweigen war eine gefährliche Sache, man musste in Starkstrom-Zentralen einbrechen oder auf Masten klettern. Heute könnte hingegen jeder Mensch in allen Teilen der Welt Strom abzweigen, einfach indem er ein Computerprogramm knackt“, erklärt Leopold. Schon allein AIT-Forscher Helmut Leopold: „Wenn in zehn Jahren das Internet nicht funktioniert, steht das gesamte System“. aus Kostengründen verwenden die Netzwerk-Architekten die gleiche Soft- und Hardware wie andere Computerprogrammierer ein Kraftwerk benutzt die gleichen Typen von Internet-Router wie ein Computerspiel. Der wirtschaftliche Druck steigert das Risiko, während die Abhängigkeit von dem alles umspannenden Versorgungssystem zunimmt. G egen einen Ausbruch eines Energiekriegs in einer Welt, in der vier Meter dicke Betonwände keinen Schutz mehr bieten, kämpfen die Wächter des Energie-Netzwerks wie Helmut Leopold. Sie arbeiten daran, Kommunikationsnetze zu schaffen, die sich selbst vor Datenklau schützen. „Es handelt sich um Systeme, die sich in mehrere technische Teilnetze gliedern, die in der Regel gemeinsam funktionieren.Wenn sich jedoch an einer Stelle etwas ändert, gibt eine andere Stelle Acht, ob die Veränderung im Widerspruch zum System steht und es sich um einen Angriff handelt“, sagt er. Ein anderer Ansatz ist, jeden Router eine Validierung durchlaufen zu lassen, bevor er zu arbeiten beginnt. Die AIT-Forscher wollen mit ihren Erkenntnissen unter anderem Prozesse für Sicherheitsstandards für Unternehmen entwickeln, die Energie sparen wollen – und müssen. Die Voraussetzung für diese kluge, sparsame Form des Energieverbrauchs ist allerdings eine Standardisierung aller Geräte. Schon allein die Tatsache, dass die Handys mancher USMobilfunkgesellschaften heute noch in Europa unbenutzbar sind, zeigt, dass eine Mammutaufgabe bevorsteht, die heute nur schwer vorstellbar ist und bei der alle Industriebereiche zusammenspielen müssen. Denn Haushaltsgeräte, die nicht auf Signale des Stromnetzwerks reagieren, würden das Vorhaben stark erschweren. n 11 Das gute alte, neue Fahrrad Weltweit werden pro Jahr an die 250 Millionen Fahrräder erzeugt, ein Großteil davon wird in China an den Mann, die Frau oder das Kind gebracht. Von der Hightech-Rennmaschine bis hin zum gemütlichen City-Bike, das Fahrrad gibt es für alle Lebenslagen und in allen Preisklassen. Für viele ist es angesichts der explodierenden Treibstoffpreise das individuelle Fortbewegungsmittel schlechthin, für andere eine umweltbewusste Fortbewegung mit Positiv-Effekt auf die Gesundheit. Und dann gibt noch neue Fahrräder aus Holz. Das Holzfahrrad von Jan Gunneweg (1) besticht durch sein „Schutzblech“, die Gabel und die Laufräder aus Holz. Gefertigt wurde der Prototyp vollständig aus Ahorn. Lenker, Kette, Pedale und sonstige Gelenke sind allerdings noch aus Stahl gefertigt. Ob das Gefährt der Holzmanufaktur Zeidler (2) ein Tandem oder ein Kunstwerk ist, ist schwer zu sagen. Obwohl der handgefertigte Rahmen innen hohl und nach dem Fräsen verklebt ist, steht es in Sachen Alltagstauglichkeit und Wendigkeit einem herkömmlichen Tandem um nichts nach. Das Design von Jens Eichler hat aber eindeutig die Nase vorn. Nach strengsten Umweltschutzkriterien wird ein Waldmeister-Holzfahrrad (3) gebaut. Umweltschädliche Verarbeitungsmethoden oder Inhaltsstoffe werden durchwegs vermieden. Das Design unterstreicht einen umweltschonenden Lebensstil, so die Hersteller. Dann wäre da noch das Bambus-Fahrrad für Sportskanonen von Boo Bicycles (4), für dessen Rahmen allein 3000 Dollar zu berappen sind. (rib) 1 Parken, Aussteigen und Zusammenfalten 2 3 4 Faltbare Fahrräder, Behältnisse, vielleicht sogar die eine oder andere Hütte, ein Boot und natürlich ein Zelt – aber ein Auto? Hiriko-Cars ist dieses Kunststück gelungen: Der japanische Hersteller hat das Konzeptfahrzeug für den Stadtverkehr der Zukunft schlechthin entwickelt: Das ohnehin schon kleine, 2,5 Meter lange Elektroauto kann zum Parken auf unglaubliche 1,5 Meter zusammengeschoben werden. Somit kommen im Ruhezustand drei Hirikos auf einen herkömmlichen Pkw, so William Lark, Wissenschafter und Mitentwickler am Massachusetts Institute of Technology. Das Falten habe noch einen weiteren Vorteil, betont der Forscher: Die Sitze würden angehoben, was das Ein- und Aussteigen durch die Tür, die in der Front sitzt, erleichtert. Dadurch können Nutzer jeden Alters ganz einfach auf den Bürgersteig gelangen. Geradezu sensationell ist die Wendigkeit des Ministadtflitzers. Mit seinen 500 Kilo beschleunigt er in drei Sekunden auf 50 Stundenkilometer – und schneller fährt er nicht. Dafür sind alle vier Räder mit Radnabenmotoren angetrieben und lenkbar. Dadurch kann das Auto auf der Stelle wenden, oder sich sogar seitwärts in eine Parklücke drängen. Der Hiriko soll mit einer Akkuladung 120 Kilometer weit kommen, danach muss er für zwölf Minuten an die Steckdose. (rib) Der Tesla „Model X“ soll Elektroautos zum Durchbruch verhelfen Manche vergleichen ihn mit Apple-Gründer Steven Jobs, was seine visionäre Einstellung zu technischen Innovationen betrifft. Elon Musk, Chef des US-Unternehmens Tesla Motors, hat jüngst sein „Model X“ präseniert, das ihm zufolge den Durchbruch für Elektro-Autos bringen soll. Warum ist er davon so überzeugt? Weil es ihm nicht reicht, so gut wie die anderen zu sein, wie er sagt. „Wir müssen besser sein, um mit dem Elektroauto Erfolg zu haben“, lautet das Credo dieses Charismatikers, der ein Mittelding zwischen Großraumlimousine und Geländewagen geschaffen hat. Formschön, geradezu elegant, die Motorhaube mit einer Ahnung von Masarati, das Heck ähnlich dem eines 5er BMW, und in der Mitte Flügeltüren zum Hochklappen, wodurch man beinahe aufrecht ins Wageninnere und relativ bequem in die dritte Sitzreihe gelangt. Dazu kommen zwei Kofferräume vorne und hinten, brillante Instrumentengrafiken und ein riesiger Touchscreen im Cockpit. Wind-Damm soll die Effektivität von Windkraftanlagen steigern Dämme waren bisher der Nutzung durch die Wasserkraft vorbehalten. Wenn es nach dem Londoner Architekturbüro Chetwood Associates geht, soll es jedoch bald auch Dämme für Wind geben. Sie haben ein Windstauwerk konzipiert, das sie „Wind Dam“ nennen. An konventionellen Propellerwindrädern wird bemängelt, dass grundsätzlich mehr Wind die Turbinen ungenutzt passiert als die Rotoren antreiben würde. Dem wollen Laurie Chetwood und ihre Team Abhilfe schaffen, indem sie mit einem großen Segel aus Kevlarfasern – ähnlich einem SegelbootSpinnacker – den gesamten Wind, der durch ein Tal strömt, sammeln und auf die Rotoren einer Turbine lenken. Das Konzept für eine Anlage am Ladogasee nahe der Grenze zwischen Russland und Finnland würde laut Computersimulation 120 Megawatt pro Jahr erzeugen. Ob es denn wirklich so funktioniert, wie es sich die Architekten London vorstellen, müsste mittels Testanlage mit einem 2000 Quadratmeter großen Segel unter Beweis gestellt werden. Dazu müsste aber ein Investor mit fünf Millionen Dollar in die Tasche greifen. (rib) Und jetzt kommt es: Der Tesla ist nicht bloß ein Familienfahrzeug, sondern auch ein rein elektrisch angetriebener Sportwagen, der mit 4,4 Sekunden schneller auf 100 Stundenkilometer beschleunigt als ein Porsche 911. Das Höchsttempo liegt bei 200 Stundenkilometer. In den Sandwich-Boden passen genügend Akkus für mehr als 400 Kilometer Fahrt. Und wer einen Wagen mit Allrad-Antrieb bevorzugt, bekommt einen zweiten Elektromotor für die Vorderachse dazu. Mit dem „Model X“ steigen Elon Musk und sein Tesla vom Nischenanbieter (des ebenfalls elektrisch betriebenen Sportautos Roadster) zum Mitanbieter für Wagen der gehobenen Mittelklasse der Zukunft auf. In Europa wird „Model X“ wahrscheinlich erst in zwei Jahren zu haben sein. (rib) 12 Foto: Wiki Commons Hochgebirgspflanzen werden von neuen Arten verdrängt Gipfelsturm ohne Happy End Wissenschafter untersuchen die Veränderungen der Vegetation in den Alpen als Anzeiger für die Folgen des Klimawandels. Von Helmut Ribarits „G Foto: Felix Deprez loria“ ist ein Begriff mit vielen Bezugspunkten. Cineasten verbinden damit Kinofilme und deren Stars, Meteorologen einen tropischen Wirbelsturm aus dem Jahr 1999, Hausfrauen eventuell eine festkochende Kartoffelsorte. Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt hat Gloria auch in der Vegetationsökologie ihren festen Platz: Was aus dem Lateinischen übersetzt Ruhm bedeutet, ist für die Forscher das Kürzel für „Global Observation Research Initiative in Alpine Environments“. Das Monitoring-Programm beschäftigt sich allerdings mit dem eher unrühmlichen Phänomen des Klimawandels und dessen Auswirkungen auf hochalpine Vegetationszonen. Durch langjährige akribische Feldforschung beweisen Georg Grabherr, Direktor-Stellvertreter des Instituts für Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und seine Kollegen von der Universität Wien, Michael Gottfried und Harald Pauli, wie sensibel und rasch ganze Vegetationsgemeinschaften auf Klimaveränderungen reagieren. Konkurrenz von unten Gletscherhahnenfuß und Alpenmannsschild: Sie rücken immer weiter nach oben. Dass kälteliebende oder Kälte tolerierende Pflanzen und Tiere, die auf den Gipfeln der Hochgebirge leben und gedeihen, in ihrem unwirtlichen Refugium zunehmend „Konkurrenz von unten“ bekommen, machte die Herren stutzig. Ihr Fazit: Die Fähigkeit, in kalten Gebieten zu gedeíhen, hilft wenig, wenn die Temperaturen steigen. Die Forscher initiierten das Hochgebirgs-Monitoring-Programm, das sich mittlerweile zu einem globalen Forschungsnetzwerk ausgeweitet hat. Beobachtet und bewertet wird, wie sich die Vegetation oberhalb der Waldgrenze in Folge des Klimawandels verändert. Ein Forschungsgebiet umfasst üblicherweise vier Gipfel einer möglichst eng begrenzten, klimatisch einheitlichen Region. Die Gipfel bilden idealerweise den Höhengradienten von der Baumgrenze bis zum Übergang von der geschlossenen, alpinen Rasenvegetation zur offenen fels-, schuttund schneedominierten Vegetation. Nicht überall liegen die Gipfel hoch: Die Waldgrenze in Nordschweden liegt bei 300 Metern, in den Ostalpen 13 „Ich trenne konsequent Müll und kaufe regionale Produkte“ Zum Klimaschutz muss jeder Einzelne seinen Beitrag leisten, sagt Umweltminister Nikolaus Berlakovich zu Helmut Ribarits Neue Technologien sind kostenintensiv. Sollten Umwelt- und Klimaschutz, etwa durch Elektromobilität, auch für den Einzelnen nicht bald leistbar werden? Wie könnte man sich individuell in dieses globale Problem einbringen? bei 1900, in Südspanien bei 2800 und in den tropischen Anden Südamerikas in 4000 Metern Seehöhe. Grabherr und seine Kollegen erheben auch Daten zu den Temperaturen: Datenlogger messen die Temperatur im Wurzelbereich im Stundentakt. Der Trend ist eindeutig: Die Vielfalt der Flora in der großen Höhe nimmt zu. D er Trend zum Höherwandern führt zu einer Veränderung der Pflanzengesellschaften, da die Arten unterschiedliche Ausbreitungs- und Konkurrenzstrategien verfolgen. Die Hochgebirgsspezialisten sind typischerweise gut an ihre Umgebungsbedingungen angepasst, jedoch gegenüber Arten aus tieferen Lagen wenig konkurrenzfähig. Verbleibende Individuen einer spezialisierten Art werden durch die Invasion der neuen, robusteren Spezies zunehmend voneinander isoliert, erfolgreiche Befruchtung wird schwieriger und die genetische Diversität innerhalb der Art verringert sich. Es bleibt den alpinen Pflanzen also nur der Weg nach oben. Doch dieser Wanderung sind natürliche Grenzen gesetzt: Je näher die Grenze einer Population am Gipfel liegt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei der nächsten Stufe der Erwärmung ausstirbt. Die Wissenschafter haben unter der Federführung von Harald Pauli die Ergebnisse des Gloria-Langzeitprogramms im Wissenschaftsjournal „Nature Climate Change“ veröffentlicht. Dabei haben sie 17 europäische Gebiete je zwei Mal im Abstand von sieben Jahren untersucht. Da sich das Programm mittlerweile auf mehr als 100 Untersuchungsregionen weltweit ausgeweitet hat, verdichtet sich nach Auswertung der Langzeituntersuchungen der Verdacht, dass die Erwärmung bestimmend ist für die Zusammensetzung der Vegetation egal wo – ob im Süd-Ural, am Hochschwab Holzheizungen, insbesondere Pelletskessel, boomen in Österreich und auch die Solarthermie zur Warmwasserbereitung ist bereits eine verbreitete und leistbare Technologie. Auch Photovoltaikanlagen, deren Kosten in den letzten Jahren deutlich gesunken sind, werden am Markt bis 2020 voll konkurrenzfähig sein. Bei der alternativen Mobilität braucht es sicher noch größere Anstrengungen in Forschung und Entwicklung, jedoch gibt es auch hier bereits bei einspurigen Fahrzeugen, etwa bei Elektro-Fahrrädern oder E-Scootern, leistbare und umweltgerechte Alternativen zu kurzen Autofahrten. Wie leben Sie selbst im Alltag den Umwelt- und Klimaschutz? Zum Klimaschutz muss natürlich jede und jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Auf der Homepage des Lebensministeriums sind zahlreiche Informationen zu finden, wie Klimaschutz im Alltag aussehen kann, vom bewussten Einkauf bis zu ökologischem Bauen. Selbstverständlich setze ich unsere Tipps und Vorschläge auch selbst um: Ich fahre dienstlich ein Elektroauto oder auf längeren Strecken einen mit Bioethanol betriebenen Pkw. Darüber hinaus heize ich mit Holz, trenne konsequent Müll, kaufe regionale Produkte und spare Energie mit Energiesparlampen. Die bereits stattfindende Klimaänderung und ihre Auswirkungen auch auf Österreich, die sich speziell in der sensiblen Alpenregion zeigen, sind dramatisch. Daher ist es mir wichtig, mit Fördermaßnahmen und Beratungsangeboten zum Klimaschutz und zur Senkung der CO2-Emissionen dem Klimawandel gegenzusteuern. Sanfte Mobilität, nachhaltiges Umwelt- und Ressourcenmanagement, erneuerbare Energie, Regionalität und moderne Umwelttechnik sind wichtige Eckpfeiler für die Zukunft. n Foto: Rita Newman Future: Gerne heftet sich die Politik den Slogan: „Unsere Zukunft ist grün“ auf die Fahnen. Ist es jedoch möglich, moderne Standards auf klimafreundlichem Weg aufrechtzuerhalten? Immerhin scheint etliche Global Player der Klimaschutz kaum zu interessieren. Nikolaus Berlakovich: Klimaschutz bedeutet nicht Rückschritt, sondern Umdenken. Das muss noch stark in den Köpfen der Menschen verankert werden. Klimaschutz heißt intakte Lebensqualität jetzt und in Zukunft, saubere Luft, biologische Vielfalt, gute Wasser- und Bodenqualität, geringes Restmüllaufkommen, leistbare Energieversorgung, hochqualitative und regionale Lebensmittel und mehr Gesundheit – und zwar gekoppelt mit wirtschaftlichem Erfolg und mehr Arbeitsplätzen: Green Jobs. Tatsache ist aber, dass es international große Auffassungsunterschiede gibt, welche Maßnahmen zum Schutz des Klimas gesetzt werden sollen, denn manche der Global Player sehen dadurch ihre wirtschaftlichen Interessen bedroht. Österreich geht einen klaren Weg, denn wir haben erkannt, dass Klimaschutz eine große Chance bietet, Jobs in erneuerbaren Energien und in der Umwelttechnik zu schaffen oder mit regionalen Spezialitäten im Lebensmittelbereich international zu punkten. Österreich gilt als Bioland Nummer Eins und gehört weltweit zu den Spitzenreitern in der Umwelttechnik. Von 2008 bis 2010 sind in Österreich durch Fördermaßnahmen 16.500 Green Jobs entstanden, bis 2020 peilen wir 100.000 weitere an. Umweltminister Berlakovich: „Größere Anstrengungen bei alternativer Mobilität sind notwendig.“ oder in der Sierra Nevada. „Wir konnten dazu noch zeigen, dass sich Pflanzen aus wärmeren, tiefer gelegenen Regionen viel schneller nach oben hin ausbreiten, als zu Beginn des Monitoring-Prozesses vor elf Jahren angenommen“, sagt Pauli. „Messgeräte“ der Erwärmung Nun mag es sein, dass nur wenige Menschen den Gletscherhahnenfuß, das Alpen-Mannsschild oder das einblütige Hornkraut kennen, nd damit deren Verlust nicht unbedingt bedauern. Harald Pauli gibt dazu Folgendes zu bedenken: „Man sollte nicht vergessen, dass all diese unscheinbaren Pflänzchen oft mehr wissen als wir. Sie sind Anzeiger in einem komplexen System. Für uns Ökologen sind sie ein sehr sensibles und unabhängig von menschlichen Nutzungsinteressen platziertes ‚Messgerät‘ für die Folgen des Klimawandels, und das wird ohne Zweifel die Lebensgrundlage aller Menschen beeinflussen“, sagt er. Und er betont, dass es offensichtlich nicht möglich ist, selbst weitgehend unberührte Ökosysteme zu konservieren, oder besonders gefährdete Arten in ihrem Lebensraum zu erhalten. Der Schutz der Umwelt brauche deshalb neue Konzepte. Natürlich könne man einige Arten in botanischen Gärten kultivieren oder in Samenbanken aufbewahren. Allerdings müsse man sich für eine Strategie der Artenerhaltung entscheiden, um Erfolg zu haben. „Wir müssen uns aber einigen, was schützenswert ist: Natur an sich, genetische Diversität, Artenvielfalt oder Pflanzengesellschaften, die uns im weitesten Sinne dienen – wie etwa Schutzwald oder Almen“, sagt Pauli, und: „Die Ergebnisse unserer Forschungen sollten jeden von uns motivieren, sich für eine Verringern des Ausstoßes der Treibhausgase einzusetzen.“ n Wien forscht Dabei sein. Staunen. Forschen. hr 16:30 – 24:00 U 36 Standorte 240 Stationen Eintritt FREI! MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG VON UNTERSTÜTZT IN WIEN VON www.LNF2012.at/wien 14 Foto: Fotolia Die Zukunft des Reisens: Sag niemals nie zur Bahn Täglich starten und landen innerhalb von Europa 30.000 Flugzeuge. Damit hat sich das als Ultima Ratio gefeierte Transportmittel selbst überholt. Sollen unsere Himmel blau bleiben und die Stadtteile unweit der Flughäfen bewohnbar, müssen den Airlines kräftig die Flügel gestutzt werden. Damit behalten jene recht, die meinen: „Sag niemals nie zur Bahn“. Von Eva Stanzl E inmal Wien-Orvieto mit der Bahn. Zwei Wochen in einem gemieteten Sommerhaus in der Maremma, danach Freunde besuchen in Rom, auf dem Nachhauseweg Aussteigen in Velden am Wörther See, um noch schnell baden zu gehen, und dann mit dem nächsten Zug wieder zurück nach Wien. Ein Schnäppchen war das Bahnfahren zwar selbst in den Achtzigerjahren nicht, aber der Ticketpreis blieb doch halbwegs überschaubar. Außerdem entdeckten wir dabei die Welt. Gemächlich im Zug sitzend sahen wir, wie die Landschaft vorbeizog und sich veränderte, je weiter wir in den Süden kamen. Geflogen wurde in der Regel nur, wenn die Destination sehr weit entfernt war, denn Fliegen war teuer. Dafür gingen die Security Checks weniger unter die Haut, standen sich auf den Flughäfen die Warteschlangen nicht im Weg und trugen die dampfenden Gesichtstücher, die den Passagieren vor dem Abflug gereicht wurden, den Duft der weiten Welt. Natürlich jubelten alle, als das Fliegen kraft des Marktes billiger wurde, dachten wir doch, dass es in den Lüften so schön bleiben würde, wie es war. In der Praxis fahren wir aber nun von Wien eine Stunde mit dem Shuttlebus nach Bratislava, um von dort für 29 Euro nach Stanstead bei London zu fliegen, um kaum angekommen mit einem weiteren Shuttle in die Londoner Innenstadt zu tuckern, wo wir ausgehungert ins nächste Restaurant einfallen, weil alles, woran wir uns im Flieger laben konnten, ein Sandwich war in Textur und Geschmack gleich einem Schuhkarton. Der hohe Preis der Instant-Mobilität Das genussfreie Reisen habe seine Vorteile, könnte man argumentieren: Immerhin kann es sich nun jeder leisten, zu fliegen. Zugegebenermaßen ist das fantastisch. Wer sich jedoch vor Augen hält, dass unfassbare 30.000 Kurzstreckenflüge den Himmel allein über Europa täglich verpesten, dem leuchtet ein, dass der Preis für die Instant-Mobilität einfach zu hoch ist. Wir bewegen uns fort mit einer rückwärtsgewandten Technologie, die nach hinten losgeht anstatt den Weg nach vorne zu weisen. Ein einziger Mensch verursacht 360 Kilogramm an CO2-Ausstößen, wenn er in einer ausgelasteten Lufthansa-Maschine von Wien nach Frankfurt am Main fliegt und wieder zurück. Säße er den ganzen Weg alleine im Auto, wären es mit 370 Kilo noch mehr Emissionen. Würde er dieselbe Strecke mit der Bahn zurücklegen, würde er die Umwelt hingegen nur mit 36 Kilo Kohlendioxid belasten. (Im Vergleich dazu sondert ein Kühlschrank im Jahr 100 Kilo CO2 ab. Eine indische Person verursacht eine Jahresemission von 900 Kilo und ein europäischer Mittelklassewagen bei 12.000 gefahrenen Kilometern 2000 Kilo an Treibhausgasen im Jahr.) Klimafreundliches Reisen in die Wiege der Gartenkunst Die Klimaschutz-Organisation „Atmosfair“ mit Sitz in Bonn bietet auf ihrer Website an, die Treibhausgasemissionen von Reiseflügen auszugleichen. Experten nennen das Klimakompensation. Hervorgegangen ist die Idee aus einem Forschungsprojekt des deutschen Umweltministeriums und der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch. Atmosfair bietet einen Emissionsrechner zur Reise- und Urlaubsplanung und offeriert, die dabei erzeugten Schadstoffe durch Beiträge in Klimaschutzprojekte wettzumachen. Für einen Betrag von neun Euro können Geschäftsreisende der Strecke Wien-Frankfurt-Wien ihren Emissionsausstoß kompensieren. Bei einer sechstägigen Kreuzfahrt mit fünf Tagen auf See und Kohlenstoff-Emission von 1420 Kilo kostet das reine Gewissen schon 34 Euro. D och was bedeutet „klimafreundlich Reisen“? „Wer Spaß daran hat, neue Ziele und Reisearten auszuprobieren, wird feststellen, dass klimaverträgliches Reisen eher Bereicherung als Verzicht bedeutet“, schreiben die Experten der Reise-NGO. Atmosfair empfiehlt, was der Hausverstand weiß, aber die träge Gewohnheit nicht zulassen will: Möglichst kurze Anreisestrecken am besten mit Bus oder Bahn, vor Ort die Region mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu erkunden, Urlaubsgebiete mit guter Infrastruktur des öffentlichen Ver- 15 kehrs vorzuziehen und Car-SharingAngebote zu prüfen. Für die Klimaschützer ist klar: In Zukunft werden wir anders unterwegs sein als heute. Zu den Sonderangeboten im April der Partner-Reisebüros zählt ein VierSterne-Bade- und Aktivurlaub auf der Insel Rügen mit CO2-freier An- und Abreise mit der Bahn, für eine Entfernung ab 401 Kilometer zum Urlaubsziel zum Ticketpreis von 184 Euro pro Person. Weiters zur Auswahl steht eine Fahrt in einem Luxus-Reisebus – die weitaus Schadstoff-ärmste Variante des Transports – zu den Wasserschlössern und königlichen Gärten entlang der Loire, die Wiege der Gartenkunst. Ferienkurse aller Art gibt es in ganz Europa, immer unter Beachtung der guten Erreichbarkeit der Kurortes mit dem Bus oder der Bahn, ebenso wie sowie Bergwandern in Südtirol mit Tagestouren südlich des vergletscherten Zillertaler Hauptkammes. N un mag all das vielleicht nicht ganz dem Traum von der Südsee entsprechen. Es spricht allerdings nichts dagegen, in die Ferne zu fliegen, solange das nicht jeden Monat getan wird – und solange kurze Strecken eben mit umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln unternommen werden. „Bei vielen Reisen ist das Fliegen unvermeidbar, es gibt oft keine realistischen Alternativen“, betonen selbst die Klimaschützer von Atmosfair. Solange es allerdings 4,5 Stunden dauert, um 368 Bahnkilometer von Wien nach Villach zurückzulegen, darf es nicht wundern, wenn viele Menschen für den Kurzstreckenflug optieren, könnte man völlig zu Recht einwerfen. In Deutschland existiert allerdings ein Bahnnetz, das Züge wie Pfeile von München nach Berlin ziehen lässt. Dennoch legen derart viele Personen Kurzstrecken von Frankfurt nach Bonn oder von Bonn nach Stuttgart mit dem Flieger zurück, dass es die FlughafenAnrainer in der Nacht aus den Betten wirft. Keine Flüge unter 1000 Kilometer Bis endlich lautlos fliegende Maschinen erfunden sind, die auf der Basis umweltschonender Treibstoffe durch die Lüfte segeln, müsste das Fliegen für Strecken von unter 1000 Kilometer wohl per Gesetz verboten werden. Denn Fliegen ist immer billiger als alles andere, weil dafür keine Bahntrassen verlegt, keine Schienen herangekarrt und keine Tunnels gebohrt werden müssen. Ein Flugzeug braucht nur einen Hafen. Es braucht keine Grundstücke, keinen Umbau und keine Streckenerhaltung. Das Fliegen ist in gewissem Sinn die Leichtigkeit des Seins, und kein Mensch wird sich diese Leichtigkeit sich nehmen lassen wenn er nicht muss. Laut dem wissenschaftlichen Beirat der deutschen Regierung Globale Umweltveränderungen darf jeder einzelne Bürger nur eine bestimmte Menge an Klimagasen produzieren, um die globale Erwärmung in verträglichen Grenzen zu halten. Würde man allen Menschen weltweit die gleichen Emissionsrechte an der Gesamtmenge der klimaverträglichen Emissionen zugestehen, wären das zwischen 1,8 Tonnen und 2,7 Tonnen CO2 im Jahr. Von diesem Ziel sind die Industrieländer weit entfernt. Der Kohlendioxid-Ausstoß lag 2005 in den USA bei 20 Tonnen pro Kopf im Jahr, in Deutschland bei 10,5 Tonnen und in China bereits bei 3,6 Tonnen. Wir müssen dringend umkehren, um zu überleben, zu einem vielleicht langsameren, aber sicher schöneren Leben. Selbst wenn uns das Opfer auf den ersten Blick wie ein Freiheitsentzug erscheint. n Schadstoffe pro Verkehrsmittel Zug (Fernverkehr) Zug (Nahverkehr) Tram/Metro Linienbus Reisebus PKW Flugzeug 0 200 300 Gramm CO2 Person x Kilometer Quelle: Umweltbundesamt 2008:Vergleich der Emissionen einzelner Verkehrsträger im Personenverkehr Der Flug Wien-Frankfurt-Wien im Vergleich Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug* 360 kg CO2 Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug* 100 kg CO2 Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug* 900 kg CO2 * Emissionen des ganzen Flugzeugs geteilt durch die Anzahl der Passagiere an Bord. Flugzeugabgase bestehen nicht nur aus CO2. Die verschiedenen Emissionen sind hier umgerechnet auf die derzeitige Erwärmunswirkung der entsprechenden Menge an CO2Emissionen. Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug* 2000 kg CO2 Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug* 3000 kg CO2 Emissionsvergleich der Strecke Wien-Frankfurt/Main-Wien CO2 Emissionen Flug 360 kg Pkw Bahn 370 kg 36 kg Energieverbrauch (bei Flug und Bahn umgerechnet in Benzin) Flug 103 Liter Pkw 109 Liter Bahn 24 Liter Emission Feinstaub in Gramm pro Passagier Flug 16 Pkw http://www.wbgu.de/ http://www.atmosfair.de/ http://www.stiftungzukunft.de/ 100 Bahn 34 3 Quelle: www.atmosfair.de Foto: Corbis future Telegramm 16 Unterkiefer aus 3D-Drucker Mini-Max lässt grüßen Maxwell Smart, wer erinnert sich an den Serienhelden der Sechzigerjahre, der gerne mit seiner Schuhsohle telefonierte? Der GPS-Hersteller GTX Corp hat es auch mit dem Schuhabsatz – allerdings baut das Unternehmen einen GPS-Empfänger ein. Die Schuhe mit den speziellen Absätzen sollen vor allem bei abgängigen AlzheimerPatienten zur Anwendung kommen. Allein in den USA leiden mehr als fünf Millionen Menschen an der DemenzErkrankung. Mehr als die Hälfte von ihnen verlassen mindesten ein Mal ihr Zuhause, ohne zurückzufinden. Wenn sie nicht innerhalb eines Tages gefunden werden, könnten sie dehydrieren, erfrieren oder aber in Unfälle verwickelt werden. Die „unauffällige Überwachung“ im Schuh soll solche solche Risiken minimieren. Karies verschwindet Das Schweizer Unternehmen Credentis hat einen Wirkstoff entdeckt, der Kariesschäden rückgängig machen kann: Das Protein P11-4 regt den Zahn dazu an, neuen Schmelz zu erzeugen. Bereits im Versuch bildeten sich Karies-Schäden im Zahnschmelz teilweise wieder zurück. Das Medikament soll 2014 auf den Markt kommen. Bis dahin heißt es allerdings noch: durchbeißen! Belgische Chirurgen haben einer 83-jährigen Frau einen neuen Unterkiefer aus Titan und Keramik eingesetzt. Die Prothese wurde mit einem 3D-Drucker hergestellt – eine Technik aus der Industrie, die auch in der Medizin immer öfter zum Einsatz kommt. Verwendet werden Kunststoffe und Metallpulver, die mit einem Laserstrahl punktuell geschmolzen werden und sich so zu einem Objekt verbinden. Die Patientin litt unter einer chronischen Entzündung des Kiefers, die Mediziner haben daher das Knochengewebe durch eine Titankonstruktion ersetzt. Produziert wurde der Unterkiefer von der Firma Layerwise. Die Techniker erhitzen in diesem Fall Titanpulver mit dem Laserstrahl: Ein Millimeter Höhe des Materials besteht aus 33 feinen Schichten. Anschließend wurde der Titankörper mit einer Biokeramik überzogen. „Die Behandlungsmethode ist eine Weltpremiere“, erklärte Jules Poukens von der Universität Hasselt in Belgien. Nach seiner Aussage wurde erstmals der Unterkiefer eines Patienten vollständig durch ein Implantat ersetzt. Es enthält Hohlräume, an denen die Muskeln befestigt werden und Aussparungen für die Nerven. Eine Hose, die Leben rettet Nano-Techniker unter der Leitung von Joseph Wang haben an der Universiy of California eine Unterhose – jawohl, eine Unterhose – entwickelt, die Leben retten kann. Sie misst Blutdruck, Herzfrequenz und andere Vitalzeichen. Im Bund aufgedruckte Kohle-Elektroden wirken wie Biosensoren, die mittels Chip die Werte an eine Überwachungseinheit senden. Da dieses Projekt vom US-Militär finanziert wird, werden zunächst Soldaten die Spezialwäsche testen. Doch bald könnten auch chronisch Kranke mit Hilfe der schlauen Schlüpfer zu Hause überwacht werden, was ihnen Gesundheitschecks in Krankenhäusern ersparen würde. Wang möchte nun auch Enzym- und Laktatsensoren entwickeln, die etwa den Alkoholgehalt bei Autofahrern oder den Stresspegel bei Soldaten oder Sportlern messen. Roboter, der fühlen, hören und sehen kann Japanische Forscher wollen dem Traum, an einem anderen Ort sein zu können, als man ist, einen Schritt näher gekommen sein. Sie wollen eine Art „Avatar“Roboter entwickelt haben, bei dem der Nutzer über den ferngesteuerten Roboter fühlen, hören und sehen kann, selbst wenn er sich selbst an einem anderen Ort befindet. Mit Spezialhandschuhen kann der Nutzer die Hände des Roboters „Telesar V“ steuern – und im Gegenzug fühlen, was der Roboter anfasst. Die „Augen“ des Roboters sind Kameras, die das Gesehene dreidimensional auf Bildschirme vor dem Nutzer übertragen. Die „Ohren“ sind Mikrofone, die die Geräusche aus der Umgebung des Roboters aufnehmen. Und über Lautsprecher am Roboterkopf kann die Stimme seines „Meisters“ erklingen. Mit dem Gerät nähern sich die Forscher der Fiktion eines zweiten Ichs, wie sie im Hollywood-Film „Avatar“ von James Cameron zu sehen war. „Der Roboter kann als Ihr Alter ego benutzt werden“, sagt Professor Susumu Tachi von der Keio-Universität in Tokio. Als Einsatzgebiet schwebt den Forschern vor, dass er für Menschen unzugängliche Gebiete besucht – etwa in verstrahltes Gebiet nach einem Atomunglück. Fotodäumling So groß wie ein Daumen ist die weltkleinste Kamera, die auf einer Fingerkuppe Platz hat. Mit einer Auflösung von zwei Megapixel lassen sich Aufnahmen mit immerhin 1600 mal 1200 Bildpunkten machen und ruckelfreie Videos mit 640 mal 480 Bildpunkten anfertigen. Ein eingebauter Autofokus soll für scharfe Bilder sorgen. Selbst für eine USB-Buchse ist noch Platz, sodass der Fotoapparat an einen PC angeschlossen werden kann. Zum Mitführen ist keine Kameratasche nötig, sondern es reicht der Schlüsselbund. Die weltkleinste Kamera ist für 100 US-Dollar bei Hammacher Schlemmer zu haben.