Future 10 - Die Zukunft des Klimas

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future
Das Zukunftsmagazin der
Die Zukunft
des Klimas
nPlanet unter Druck:
Die Folgen der Erderwärmung
drohen katastrophal zu werden.
Kann die Kehrtwende noch gelingen?
Nr. 10 24. April 2012
l
www.wienerzeitung.at
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Tageszeitung für Fortgeschrittene.
Schüller & Heise / science communications
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füttern!
Inhalt
3
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
4
8
10
Planet unter Druck:
Das Ende
der Natur
Klimawandel-Skepsis:
Die Blüten
des Zweifels
Zukunft von
Stromversorgung
und Energieverbrauch:
Die Wächter des Energienetzes
12
Hochgebirgspflanzen werden
von neuen Arten verdrängt:
Gipfelsturm ohne
Happy End
Die Solarenergie muss zum begehrten Konsumgut werden,
ähnlich wie das Smartphone oder das Auto, erklärte jüngst
Ökologiepionier und Träger des Alternativen Nobelpreises
Huang Ming bei einem Besuch in Wien. Nur so könne man
eine breite Masse von der grünen Energie aus der Sonne
überzeugen. Gesetze zum Klimaschutz würden wenig helfen,
sondern nur die Möglichkeit der Menschen einschränken,
selbst Verantwortung für den Planeten zu übernehmen.
Angesichts sämtlicher gescheiterter Weltklima-Gipfel
ist Huang Mings Vision zumindest erfrischend. Immerhin
erreichten 2011 die weltweiten Investitionen in saubere
Energieformen mit 196 Milliarden Euro einen Rekordwert.
Und dennoch sollen fossile Energien 2030 noch 81 Prozent
des globalen Energiebedarfs decken und wenn wir so weiter
machen wie bisher, dürften die CO2-Emissionen bis 2030 um
28 Prozent steigen. Das besagt der Klima-Bericht des Ölkonzerns BP – und der hat seine Sparte Solarenergie jüngst
geschlossen. Es fällt also nicht leicht, an sehr viel Eigeninitiative zu Gunsten des Klimaschutzes zu glauben. Zudem muss
das Produkt, das die Sonnenenergie zu einem KommerzErfolg machen könnte, noch erfunden werden. Das könnte
dauern: Innerhalb eines Jahrhunderts kamen Telefon, Grammophon, Plattenspieler, CD-Spieler, Musikcassette, Walkman,
Speicherformat MP3, Computer, Internet, Spielkonsole und
Bankomatkarte auf den Markt, bevor deren Funktionen zum
genialen iPhone zusammengesetzt werden konnten.
Da die Welt kein Jahrhundert Zeit hat, sind international
verbindliche Klimavereinbarungen ein Muss. Top-Forscher
aus aller Welt forderten jüngst bei der Fachtagung „Planet
Under Pressure“ (Planet unter Druck) in London von der
Politik, rein gewinnorientierten Interessen eine Absage zu
erteilen. Über die bedrohlichen Auswirkungen des vom
Menschen verursachten Klimawandels lesen Sie auf den
Seiten 4 bis 7.
Auf Seite 12 stellen wir Alpenpflanzen vor, die sich als seismografisch genauer Anzeiger für den Klimawandel entpuppen, wie Wissenschafter in einem globalen Projekt zeigen
konnten. Auf Seite 14 nehmen wir schließlich das Reisen
unter die Lupe. Wenn die Himmel weiterhin blau sein sollen
und die Luft frisch, werden wir Kurzstreckenflüge in Zukunft
wohl unterlassen müssen. Doch das klimafreundliche Reisen
verspricht, mindestens genauso schön zu werden wie das
Reisen bisher.
Eine spannende Lektüre
wünscht
Eva Stanzl
14
Die Zukunft des Reisens:
Sag niemals
nie zur Bahn
Impressum
future
Das gute alte, neue Fahrrad....................................................... 11
Parken, Aussteigen und Zusammenfalten................................... 11
Wind-Damm soll die Effektivität von Windkraftanlagen steigern..... 11
Der Tesla „Modul X“ soll Elektroautos zum Durchbruch helfen...... 11
Telegramm................................................................................ 16
erscheint als Verlagsbeilage
der Wiener Zeitung.
Medieneigentümer und Herausgeber:
Wiener Zeitung GmbH, 1040 Wien,
Wiedner Gürtel 10, Tel.: 01/20699-0
Geschäftsführung: Mag. Karl Schiessl
Marketingleitung: Wolfgang Renner, MSc.
Anzeigenleitung: Harald Wegscheidler
Redaktion: Eva Stanzl (Leitung), Cathren Müller, Helmut Ribarits
Artdirection: Richard Kienzl
Druck: Niederösterreichisches Pressehaus
Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, Gutenbergstraße 12
A-3100 St. Pölten
4
Extreme Hitzewellen, eisige Stürme,
versinkende Strände und Küstenstädte, anhaltende Dürren und
Hungersnöte – die Folgen der
globalen Erwärmung drohen
katastrophal zu werden.
Dennoch bläst die Menschheit
immer mehr Treibhausgase in die
Luft und wirft die Politik Warnungen
in den Wind. Kann die Kehrtwende
noch gelingen?
Von Eva Stanzl
Planet unter Druck:
Das Ende
der Natur
R
und 3000 führende Klimaexperten aus aller
Welt trafen sich Ende März in London. Nach
vier Tagen des Austausches kamen sie zu einer Abschlusserklärung von höchster Dringlichkeit. Die
Zeiten, in denen in der Klimapolitik jeder sein eigenes Süppchen kocht, müssten ein Ende haben.
Beim Klimaschutz-Gipfel Rio+20 in Rio de Janeiro
müssen sich Politik auf verbindliche Ziele zum Klimaschutz, zur Einführung erneuerbarer Energien
und zum Schutz der Biodiversität einigen. Entscheidungsträger dürfen dabei nicht gewinnorientierten,
ökonomischen Eigeninteressen beugen, betonten
die Teilnehmer der Fachkonferenz „Planet Under
Pressure“ (Planet unter Druck). „Ohne umgehende
Maßnahmen und bindende Richtlinien drohen Wasser- und Nahrungsengpässe, die Wirtschaftskrisen,
Umweltschäden, soziale Probleme und eine humanitäre Krise von globalem Ausmaß zur Folge haben
könnten“, mahnten die Konferenzvorsitzenden Lidia
Brito und Mark Stafford Smith eine radikale Kehrtwende ein. Sie forderten eine globale Verpflichtung
für menschen- und umweltgerechtes Wachstum.
Die Forscher präsentierten Beweise, dass ein neues
geologisches Zeitalter begonnen hat: das „Anthropozän“, in dem nicht die Natur, sondern der Mensch
die Erde dominiert. „Seit den 1950er Jahren hat sich
das Klima immer schneller verändert“, heißt es in
der Erklärung. „Menschliche Handlung beherrscht
jetzt das Erd- und Ökosystem.“ Die Veränderungen
seien mit dem Ende der letzten Eiszeit vergleichbar
– mit dem einzigen Unterschied, dass es nun noch
wärmer werde.
Untertan Erde
Foto: Corbis
Das weitgehend stabile Klima der vergangenen
11.700 Jahre – Geologen nennen diese Periode Holozän – gab dem Menschen die Freiheit zu planen,
die Landwirtschaft zu erfinden, Städte zu bauen,
Kommunikationsnetzwerke zu bilden und Formen
der Energiegewinnung zu ersinnen. Diese Aktivität
hat den Planeten irreversibel verändert. „Unser Planet funktioniert ganz einfach nicht mehr so, wie er
es früher getan hat“, erklärt Jan Zalasiewicz, Geologe an der University of Leicester.
Den Teilnehmern von „Planet Under Pressure“
zufolge nahm das Zeitalter des Menschen seine
Anfänge vor 250 Jahren in England. Kohle und Öl
ermöglichten Erfindungen und Technologien, die
den Anstoß zur Industrierevolution gaben, die sich
wie ein Buschfeuer in Europa, Nordamerika und
Japan verbreitete. Eisenbahnen, Autos und Autobahnen brachten Millionen von Menschen näher
zusammen. Medizinische Entdeckungen retteten
tausende von Leben, Kunstdünger verbesserte die
Ernährungslage. „In den vergangenen 50 Jahren hat
allerdings der schnellste Wandel im Verhältnis des
Menschen zur Natur stattgefunden“, betont Will
Steffen, Klimaexperte der australischen National
University. Marketing, Tourismus und Investitionen
schufen enormes Wachstum und machten aus Städten Metropolen. Wohlstand, Gesundheit, Sicherheit
5
Foto: IGBP
und Lebensspannen stiegen innerhalb von nur zwei
Generationen sprunghaft an. Heute bewohnen sieben
Milliarden Menschen die Erde. Eine Milliarde von ihnen hungert.
„W
ir sind eine phänomenale globale Kraft. Wir
bewegen mehr Sedimente und Gesteinsmassen im Jahr als alle Prozesse der Natur. Wir bewirtschaften drei Viertel aller Landmassen. In einer
Million Jahren war die Konzentration an Treibhausgasen nie so hoch wie heute“, ist auf der Homepage
des International Geosphere-Biosphere Programme
(IGBP), ein vom internationalen Forschungsrat finanziertes Forschungsprogramm zum Globalen Wandel,
zu erfahren. Die Atmosphäre, das Klima, die Ozeane
und das Ökosystem – alles verhalte sich jenseits der
Normen des vorangegangenen Holozän. Für Geologen wie Zalasiewicz stellt sich nun die Frage, ob der
Mensch sich in seinem selbst geschaffenen Zeitalter
nun auch selbst zerstören wird, oder ob er langfristig
neue, stabile Lebensbedingungen schaffen kann.
Schuld ist der Mensch
Die Negativ-Auswirkungen menschlichen Handelns
auf das Klima sind zahlreich belegt. In einer im Fachjournal „Nature“ veröffentlichten Studie berichten
Professor Steffen und seine Kollegen von neun lebenserhaltenden Systemen, die für das Leben des Homo
sapiens auf Erden erforderlich sind. Zwei davon – der
Klima- und der Stickstoffkreislauf – würden Gefahr
laufen zusammenzubrechen und ein dritter, die Artenvielfalt, sei am Verschwinden. Laut Steffen könnte das
Anthropozän eines der sechs größten Artensterben
der Erdgeschichte bringen, gleichzusetzen mit dem
Aussterben der Dinosaurier vor 70 Millionen Jahren.
Dass von Menschen versursachte Klimagase auch
an den noch nie da gewesenen Wetterextremen der
letzten zehn Jahre schuld ist, können Dim Coumou
und Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung belegen. Sie sehen „starke Indizien“, dass die Häufung von Wetterrekorden nicht
mehr mit dem Zufall begründet werden kann. Zwar
gab es Hitze- und Kältewellen schon immer. Doch die
globale Erwärmung erhöhe die Wahrscheinlichkeit
ihres Auftretens und ihre Heftigkeit, berichten sie in
„Nature Climate Change“. Coumou vergleicht den
menschlichen Einfluss auf das Klima mit einem Spiel
mit gezinkten Würfeln: Man könne zwar nie wissen,
wann genau eine Sechs falle. „Aber da wir die Würfel
verändert haben, wird es sehr viel öfter passieren.“
A
llein zwischen dem 13. und 19. März dieses Jahres
gab es in Nordamerika an mehr als 1000 Orten
Wärmerekorde. 2011 gab es in den USA 14 Wetterextreme, die jeweils Schäden in Höhe von mehr als
einer Milliarde Dollar angerichtet haben. Australien,
Japan und Korea verzeichneten Rekord-Regenfälle.
2003 erlebte Europa den heißesten Sommer seit mindestens 500 Jahren, die Hitzewelle im August 2003
forderte mehrere 10.000 Tote – sie war damit die
schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte des
Kontinents.
Internationale Klimaverhandlungen wie Rio+20 kommenden Juni sind ein zähes Geschäft. Die Klimagipfel
von Kopenhagen, Cancun und Durban haben nicht den
entscheidenden Durchbruch gebracht. Zwar setzten
sie einen Verhandlungsprozess in Gang, der bis 2020
zu einem global verpflichtenden Klimaschutzabkommen führen soll. Doch noch ist die Staatengemeinschaft weit davon entfernt. Derzeit folgen die Staaten
unterschiedlichen freiwilligen Selbstverpflichtungen.
Wenn es dabei bleibt, wird bis 2099 die globale Mitteltemperatur um 3,5 Grad Celsius steigen. Niemand
weiß, welche Folgen das hätte.
Im Anthropozän verursacht der Mensch
den Klimawandel: Die Metropolen Europas, vom All gesehen.
Alternativen zur Klimapolitik
Da sie kaum vom Fleck kommt, haben Experten
mittlerweile nach Alternativen zu einer international verbindlichen Klimapolitik gesucht. Ein „grünes
Wachstum“ könnte den Klimaschutz möglicherweise auch ohne internationale Verhandlungen vorwärts
bringen, konstatiert das Umweltprogramms der Vereinten Nationen in einem Bericht. Demnach würden
grüne Technologien das Wirtschaftswachstum nicht
beeinträchtigen, sondern fördern. Das Klimaproblem
würde ganz nebenbei ohne den Umweg über internationale Verhandlungen gelöst. Wenn jedes Land und
Wie viel Energie verbraucht ein Mensch?
Im Durchschnitt verbraucht ein mehrköpfiger Haushalt im deutschsprachigen Raum 3500 Kilowattstunden
(kWh) Strom im Jahr. Ein Single-Haushalt benötigt 1500
Kilowattstunden, Großfamilien mit vielen Elektrogeräten spürbar mehr.
Obwohl Strom die teuerste und nach wie vor am meisten umweltbelastende Energie ist, macht er nur ein
Fünftel des Gesamt-Energieverbrauchs aus. Der überwiegende Teil entfällt auf Öl, Gas und Kohle. Je Quadratmeter Wohnfläche sind 100 bis 200 Kilowattstunden
Heizenergie nötig. Das sind 10 bis 20 Liter Heizöl oder
Kubikmeter Erdgas. Eine 100 Quadratmeter-Wohnung
benötigt jährlich 1000 Liter Heizöl.
Nach Berechnungen der Österreichischen Energieagentur stiegen die Energieausgaben heimischer Haushalte
aufgrund von Preis- und Mengeneffekten um 11 Prozent auf mehr als 11,4 Milliarden Euro oder 262 Euro
pro Monat und Haushalt. Rund 45 Prozent der Energierechnung entfielen auf den Verkehr (Benzin und Diesel),
knapp 31 Prozent auf Raumwärme und Warmwasser
und fast ein Viertel auf Strom.
Sparsame neue Häuser verbrauchen statt 100 Kilowattstunden nur 30 Kilowattstunden pro Quadratmeter (Niedrigenergiehaus) und Jahr, oder sogar nur zehn
Kilowattstunden (Passivhaus). Man könnte also Häuser
mit einem Bruchteil der Energie beheizen, die man heute dafür aufwendet. Auch beim Strom könnte man mit
zwei Dritteln des heutigen Verbrauchs auskommen. Allein für unnütze Bereitschaftsverluste verbraucht jeder
Haushalt im Schnitt 400 kWh. Weitere700 kWh gehen
für ineffiziente Heizungspumpen, Haushaltsgeräte und
Computer verloren.
Auf einem Hometrainer muss eine Person volle zehn
Stunden lang strampeln, um eine Kilowattstunde zu
erzeugen. Eine 100-Watt-Birne brennt mit einer Kilowattstunde Strom zehn Stunden lang. Eine Zehn-WattSparlampe brennt damit 100 Stunden, eine Herdplatte
läuft eine halbe Stunde, ein elektrischer Durchlauferhitzer drei Minuten, ein Computer oder Fernseher sieben
Stunden. Die Sonne liefert im Hochsommer auf einen
Quadratmeter Boden während 45 Minuten eine Kilowattstunde Energie. (est)
Quelle: www.energieverbraucher.de
6
Foto: Corbis
jede Region auf erneuerbare Energien umsteigen würde,
würden diese bald günstiger werden als die zur Neige
gehenden fossilen Energieträger, so die Grundannahme.
Dadurch könnten Verbesserungen in der Energieeffizienz zu geringeren Kosten erreicht werden. Der Umbau
der Energieversorgung lohne sich somit auch ohne Klimaschutz.
O
tmar Edenhofer, Chefökonom und Vizerektor des
Postdam-Instituts für Klimafolgenforschung, hält
diese Annahmen für problematisch. „Es wäre fatal, würden diese Hypothesen Teil eines politischen Mantras, um
den gewaltigen politischen Herausforderungen einer
globalen Klimapolitik auszuweichen“, warnt er in einem
Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Grünes Wachstum könne zwar helfen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, es könne ihn jedoch nicht ersetzen.
Denn wenn Öl knapper wird und der Ölpreis steigt,
würden auch Investitionen in die Suche danach steigen.
Womit sogar der Abbau der Ölsande oder die Verflüssigung von Kohle als Ersatz für Öl irgendwann rentabel
würden. Zudem hat die Menschheit immer noch 15000
Milliarden Tonnen fossile Rohstoffe im Boden, insbesondere Kohle: „Ein Ordnungsrahmen, der die nötigen Anreize setzt, ist unverzichtbar – so mühsam dieser auch zu
erreichen ist“, schreibt der Klimaexperte.
Für eine nachhaltige Zukunft der Erde müssten bis 2050
zwischen 60 und 80 Prozent des Energiebedarfs aus
Quellen mit niedrigem Kohlenstoff-Ausstoß kommen,
halten die Teilnehmer von „Planet Under Pressure“ fest.
Gegenwärtig kommen jedoch 80 Prozent der Energie
aus fossilen Trägern. Ob der Appell der Wissenschaft
von den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft dieses Mal gehört wird, oder Einzelinteressen einmal mehr
den Sieg davontragen, bleibt abzuwarten. Entpuppt sich
der Gipfel als Feigenblatt, das verdeckt, dass alle so
weitermachen wie bisher, ohne dass der Eindruck entsteht, es geschieht nichts, dann bleibt nur ein Trost: In
Zukunft werden die Fossilien des modernen Menschen
in erstaunlichem Detail erhalten bleiben. „Als Resultat
des steigenden Meeresspiegels werden Forscher, so es
dann noch welche gibt, die Reliquien ganzer Städte untersuchen können, die im Schlamm begraben vortrefflich
konserviert sein werden“, sagt Mike Ellis vom British Geological Survey in London. n
www.planetunderpressure2012.net
http://www.anthropocene.info/en/home
http://www.igbp.net
www.uncsd2012.org
Die Zukunft der Wirtschaft ist nachhaltig:
„Klimawandel benötigt eine Ökonomie des Teilens“
Eine nachhaltige grüne Entwicklung
könnte langfristig eine gute
Lebensqualität für alle bringen,
sagt die Ökonomin Bina Agarwal
im Gespräch mit Eva Stanzl.
Future: Einerseits darf Wachstum nicht zu Lasten
der Umwelt gehen, andererseits ist die Wirtschaft
bestrebt, zu wachsen.Wie können wir Energie sparen und gleichzeitig gut leben?
Bina Agarwal: Wichtig ist, dass wir unter einer nachhaltigen Wirtschaft eine nachhaltige grüne Entwicklung
verstehen, die langfristig eine gute Lebensqualität für alle
bringt. Man kann durchaus ein grünes Wirtschaftswachstum herstellen mit Hilfe von mit Technologien, die weniger
Umweltverschmutzung verursachen und weniger CO2Ausstöße, jedoch einen hohen Grad an Ungleichheit und
ungleich verteiltem Zugang zu Ressourcen aufrechterhalten. Damit wären wir weit entfernt ist von einem nachhaltigen Leben. Ernährungssicherheit für alle und eine nachhaltige grüne Entwicklung gehören zusammen.
Die Wirtschaft misst Wachstum als Bruttoinlandsprodukt
(BIP) pro Kopf. Natürlich gibt es auch die Idee des grünen
BIP pro Kopf. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung,
der aber die Rechnung ohne die Ungleichheit macht. Diese Form des nachhaltigen Wirtschaftens ist also nur eine
halbe Sache. Wir müssen auch dazu sehen, dass alle an-
nähernd gleiche Chancen auf Ernährungssicherheit haben,
während wir sorgsam mit den Rohstoffen umgehen.
Wie errechnet sich das grüne BIP pro Kopf?
Es ist Wirtschaftswachstum unter Berücksichtigung von
Umweltfaktoren und Nachhaltigkeit. Allerdings handelt
es sich um eine ungenügende Maßeinheit, da es den Verlust der Biodiversität und irreversible Umweltschäden
nicht berücksichtigt.
Wir kennen die Folgen des Artensterbens noch
nicht. Wie können wir berücksichtigen, was wir
tagtäglich verlieren?
Wir können nur so viele Details wie möglich beachten,
um ein grünes Wachstum zu erreichen, weil Ausmaß und
Auswirkungen des Klimawandels noch nicht realistisch
berechenbar sind.
Wie schnell können wir die Wende zur klimaschonend lebenden Gesellschaft schaffen?
Um das vorhersagen zu können, müssten wir Aspekte
7
Wie Kinder und Jugendliche über den Klimawandel lernen:
Anleitungen, selbst zu denken
Weil alle Theorie grau ist, lassen sich die komplexen
Zusammenhänge des Klimawandels besser praktisch
vermitteln. Science Center zeigen, wie das geht.
Von Cathren Müller
D
ie Botschaft des Experiments verstehen die Schüler sofort: Sie haben
zwei Plastikwannen mit Wasser aufgebaut. In die eine lassen sie einige Eiswürfel gleiten. In der anderen platzieren sie die Eiswürfel auf einem
umgedrehten Unterteller oder Plastilin-Inseln im Wasser. Sie warten, was
passiert. In der Schale mit den frei schwimmenden Eiswürfeln steigt der
Wasserspiegel nicht, in der Schale mit dem Unterteller hingegen schon.
Ein einfaches Experiment mit denkbar einfachen Mitteln. Es macht deutlich,
was passiert, wenn durch den Klimawandel das Meereis schmilzt und die
Eismassen Grönlands schmelzen. „Sie haben sofort verstanden, dass es ein
ganz massives Problem ist, wenn die Meeresspiegel steigen.Wir hatten viele
Diskussionen darüber, wo dann die Küstenbewohner leben sollen und was
der Klimawandel vor allem für den Süden bedeutet“, berichtet der Polarforscher Günter Köck, der gemeinsam mit den Schülern experimentierte.
Die einfache Anordnung ist typisch für die Aktivitäten von Science Centers, die vor allem naturwissenschaftliche Zusammenhänge auf spielerische
Weise vermitteln. Bei Science Center-Aktivitäten gibt es keinen frontalen
Unterricht, keine Vorträge. Die Versuchsanordnungen sind zum Mitmachen gedacht, Erkenntnisse muss man sich selbst erarbeiten, indem man
spielt, ausprobiert, testet. Auch das geschilderte Experiment ist ein Science Center Projekt: Es war Teil von „Breaking the Ice“, eine umfassende
Vermittlungsaktivität des Science Center-Netzwerks in Wien anlässlich
des Polarjahres 2008. Österreichische Museen, Schulen, Universitätsinstitute und Einzelpersonen haben sich 2005 zum Science Center-Netzwerk
zusammengeschlossen, um gemeinsam wissenschaftliche Themen populär
und praktisch aufzubereiten und zu vermitteln. Eine besonders wichtige
Rolle spielen Umweltthemen und der Klimawandel. Die Angebote des
Netzwerks von 120 Partnern reichen von Workshops über Ausstellungen
bis hin zu Klimaschulen und Bürgerbeteiligungsporjekten.
Gegenwart. Zwar werden wir keine plötzliche Zäsur erleben, aber wir
müssen uns an andere Bedingungen anpassen“, sagt er.
Sind Science Center die besseren Vermittler, wenn es um sensible Themen
wie den Klimawandel geht? Margit Fischer, die Vorsitzende des ScienceCenter Netzwerks, meint ja. Bei der Londoner Konferenz „Planet under
Pressure“ im März sprach sie für alle 3000 Science Center und Museen
weltweit. Weil Science Center auf die Fähigkeit des Menschen setzen, sich
selbst Wissen anzueignen, geraten sie nicht in Gefahr „Fakten und Meinungen zu vermischen“. Science Center-Aktivitäten bauen den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess spielerisch nach: Teilnehmende gelangen von der
Hypothese über das Experiment und die Überprüfung zu einem Urteil.
Bei einem globalen Thema wie dem Klimwandel käme es gerade auf dieses Urteilsvermögen an, sagte Fischer in London: „Besucher von Science
Centers werden zu besser informierten, verantwortungsvollen Bürgern,
die aktiv Lösungen erarbeiten und die Beziehung von Wissenschaft und
Gesellschaft verstehen.“ n
Den Anstieg des Meeresspiegels
verstehen: Schülerinnen des
Gymnasiums Rahlgasse haben
das arktische Meer und das
Grönlandeis nachgebildet und
warten auf die große Schmelze.
Margit Fischer, Vorsitzende des
ScienceCenter Netzwerks, und
Polarforscher Günter Köck von
der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften wollen
durch solche Aktivitäten das
Urteilsvermögen über den
Klimawandel stärken.
P
olarforscher Günter Köck, der eigentlich in der Arktis die Auswirkungen des Klimawandels auf Seen untersucht, indem er den Schwermetallen in Fischen nachspürt, hat schon mehrere Projekte mit den Partnern des Science Center-Netzwerks gemacht. Das Thema Klimawandel
hat für ihn eine besondere Relevanz: „Es geht darum, den Kindern und
Jugendlichen zu vermitteln, dass ihre Zukunft nicht so sein wird wie ihre
Foto: Science Center Netzwerk/Dragan Tatic
menschlichen Verhaltens vorhersehen können. Wir können daher nur sagen, was grundsätzlich gemacht werden
sollte in Form von Lösungen auf nationaler und internationaler Ebene, und dazu müsste es unbedingt ein internationales Verständnis geben, was jede Nation zum Klimaschutz tun muss.
In Südamerika stehen weniger Felder für Nahrungsmittel zur Verfügung, weil auf ihnen Raps für
den Biosprit von US-Autos wächst. Wie kann eine
Klimawende geschafft und dabei Ernährungssicherheit garantiert werden?
Diese Herausforderung ist enorm sogar ohne Klimawandel. 2050 werden neun Millionen Menschen auf der Erde
leben, und der Klimawandel macht die Bewältigung des
Hungers noch schwieriger. Steigende und schwankende
Temperaturen werden sich enorm auf die Nahrungsmittel- Produktion auswirken, besonders in Afrika. Die Praxis
der exportierenden Länder wird die Ernährungssicherheit stark beeinflussen: Die US-Landwirtschaft genießt
hohe Förderungen, was sie exportiert, wirkt sich auf den
globalen Lebensmittelmarkt aus. Reiche Länder sichern
sich Zugang zu Nahrungsmitteln und Biosprit, indem sie
Land in anderen Staaten aufkaufen. Diesbezügliche globale
Vereinbarungen müssen also weit über den Klimawandel
hinausgehen. Wir müssen Getreidesorten erfinden, die in
warmen Regionen auf trockenem Land wachsen können,
und Gendatenbanken betreiben, die für diese Zwecke ge-
nutzt werden können. Arme Länder müssen Wasseranlagen und -pipelines teilen und der Bevölkerung verstärkt
Rechte übertragen, den Fruchtgewinn des Landes zu teilen und zu managen, damit es sinnvoll bewirtschaftet wird.
Was wäre der Preis einer nachhaltigen Wirtschaft
für den Einzelnen?
Der Einzelne muss vor allem beim Transport umdenken.
Als ich als Mädchen in Indien zur Schule ging, haben die Eltern der Nachbarschaft immer alle Kinder in einem Auto
zur Schule gebracht. Heute fahren alle Eltern nur ihre eigenen Kinder zur Schule, und Erwachsene fahren überall mit dem eigenen Auto hin. Wir haben uns von einem
Gefüge des Teilens wegbewegt, das unsere Lebensqualität
aber keineswegs geschmälert hat. Stattdessen essen wir
zu viel und strampeln die zusätzlichen Kilos im Fitnessstudio ab, zu dem wir mit dem Auto fahren anstatt von
vornherein das Fahrrad zu nehmen.
Eine nachhaltige grüne Entwicklung wäre eine Ökonomie
des Teilens. Es ist völlig ungerecht, dass manche Menschen
alle Vorteile genießen, während andere diese Möglichkeit
nicht haben. Die Lebensstil der oberen Mittelklasse und
Reichen muss sich ändern. Sie müssen Opfer bringen anstatt sich dem Turbo-Konsum hinzugeben, und stattdessen
mehr für all jene übrig lassen, die nicht so viel haben. Sie
müssen etwa kurze Strecken mit der U-Bahn fahren und
nicht mit dem Auto. Ein gutes Leben besteht nicht aus-
schließlich aus Urlauben in fernen Ländern, sondern auch
aus Spaziergängen im nahe gelegenen Wald oder einem
schönen Abend zusammen.
Haben wir das Recht, ein Mal im Jahr ans Meer zu
fahren?
Es ist keine Frage des Rechts, sondern des Umdenkens,
was ein gutes Leben ausmacht. Schon allein wegen der
Durchschlagskraft seiner Medien hat der Westen hier Vorbildwirkung. n
Zur Person:
Bina Agarwal ist Direktorin des Instituts für
Wirtschaftswachstum der
Universität Delhi, Indien.
Sie studierte an den Universitäten von Cambridge
und Delhi und hält weltweit Fachvorträge an Universitäten wie Harvard,
Princeton und Michigan.
8
Klimawandel-Skepsis:
Die Blüten des Zweifels
Der Zusammenhang von menschengemachten Treibhausgas-Emissionen und globaler Erwärmung
ist belegt – dennoch säen so genannte Klimawandel-Skeptiker immer wieder Zweifel.
Die Blüten des Zweifels im Überblick, zusammengefasst von Cathren Müller.
Sorte „Der Mensch kann nichts dafür“
CO2 ist unschuldig.
Für den Tea Party-Anhänger Joe Barton oder den ehemaligen RWE-Vorstand
Fritz Vahrenholt, Autor des umstrittenen Buchs „Die kalte Sonne“, ist dieses
Argument verlockend, denn damit sind auch gleich die fossilen Brennstoffe aus
dem Schneider: Weil es während des Übergangs von einer Eis- zu einer Warmzeit erst warm wird und dann das CO2-Niveau steigt, kann das Gas nicht die
Ursache der Erwärmung sein.
An der Idee stimmt allerdings nur die Reihenfolge: Forscher um Jeremy D. Shakun von der Harvard University konnten jüngst erneut zeigen, dass 90 Prozent
des Temperaturanstiegs, der die letzte Eiszeit beendete, auf CO2 zurückgehen.
Nur die ersten zehn Prozent der Erwärmung gehen auf andere Ursachen zurück, den Rest bewerkstelligt CO2. Der aktuelle menschengemachte Treibhauseffekt geht auf CO2 aus fossilen Quellen zurück, ein erster Nachweis wurde
bereits 1955 von dem Atomphysiker Hans Suess erbracht.
Die Sonne ist schuld.
Die Sonnenaktivität hat seit dem 19. Jahrhundert zugenommen und die Erde
erwärmt. So hatte es 1989 schon das von Exxon Mobil gesponsorte George C.
Marshall Institute behauptet. 2012 wärmt Fritz Vahrenholt in „Die kalte Sonne“
die Behauptung auf.
Klimaforscher konnten allerdings die Sonne als hauptsächliche KlimawandelVerursacherin bereits in den frühen 1980er Jahren ausschließen, denn ihre Aktivität erklärt die jetzige Erwärmung nicht.
Die Natur war’s!
Dafür finden Skeptiker gleich mehrere Indizien, etwa die kleine Warmzeit des
Mittelalters oder die generelle Fähigkeit des Klimas, sich zu verändern. „Alles
normal“, ist die Botschaft.
Auch der Klimawandel folgt Naturgesetzen – insofern ist alles natürlich. Allerdings: Alle Verfahren zur Ursachenbestimmung weisen vom Menschen gemachte
Treibhausgase als hauptsächliche Einflussgrößen der Erwärmung der letzten 30
Jahre aus. Alarmierend sind die Geschwindigkeit, mit der der Mensch das Klima
verändert, und das Ausmaß: „Wir verursachen derzeit Bedingungen, mit denen
der Mensch es noch nie zu tun hatte, seit er den aufrechten Gang gelernt hat“,
schreibt der Klimaforscher Stefan Rahmsdorf in „Der Klimawandel“.
Sorte: „Klimaforschung ist
unwissenschaftlich“
Sorte „Alles Lüge“
Es gibt keinen Klimawandel.
Zum Beweis greifen Skeptiker oft auf
Einzeldaten zurück. So scheint der
Meeresspiegel nicht anzusteigen, wenn
man kurze Zeiträume betrachtet, da
der Anstieg nicht linear verläuft sondern Schwankungen unterworfen ist. Je
nach Datenwahl sieht es auch so aus,
als sei es seit 1998 nicht mehr wärmer
geworden. Der amerikanische Physiker Fred Singer versuchte auf ähnliche
Weise 1996 für den Think Tank „Global
Climate Coalition“ (GCC) zu zeigen,
dass es keinen Klimawandel gibt. In den
Jahren davor hatte er den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs im
Auftrag der Tabakindustrie bestritten.
Heute sagt er, die Erwärmung sei „ein
Gewinn“.
An den Klimawandel kann man glauben.
Oder auch nicht.
Fritz Vahrenholt spricht von „unterschiedlichen Auffassungen“ unter den Wissenschaftern; für den Journalisten Alexander Neubacher („Der Ökofimmel“)
ähneln „Teile der Klimaforscher eher einer Sekte als
einer Wissenschaftsgemeinde“.
Wie die Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes und
Erik M. Conwy zeigen, haben Skeptiker es mit dieser
Strategie vermocht, die US-Klimapolitik auszubremsen,
„indem sie jedes Mal den Konsens kategorisch in Frage stellten, auch wenn sie selbst die einzigen mit einer anderen Meinung waren.“ Zu ihrer abweichenden
Meinung kommen die Skeptiker in der Regel ohne
Forschung, wie jüngst das Beispiel von Fritz Vahrenholt
zeigt.
Klimaforscher fälschen Daten.
Diskreditiert man die Klimaforscher als Lügner, muss
man sich nicht mit den komplexen Methoden der
Klimaforschung beschäftigen: Die Taktik ist nicht neu.
US-Think Tanks wie das Heartland Institute oder das
George C. Marshall Institute arbeiten seit den 1980er
Jahren damit. Die Medien greifen die „Skandale“ sehr
gern auf. Im Herbst 2009 erhielt die „Betrugstaktik“
neue Nahrung als über 1000 E-Mails der Climatic Research Unit (CRU) der University of East Anglia veröffentlicht wurden: Klimaforscher schienen sich in den
13 Jahren davor abgesprochen und Daten gefälscht zu
haben. „Climategate“ war für die Medien eine tolle Sache. Dass die Vorwürfe sich in mehreren unabhängigen
Untersuchungen als unhaltbar erwiesen, war gleich weniger interessant.
9
„Ich kann es mir ohne Klimawandel
auch schöner vorstellen“
Diskussionen, ob es den Klimawandel gibt, sind nicht hilfreich:
Der Politologe Carel Mohn sprach mit Cathren Müller über die
Wirksamkeit der Klimaskeptiker.
Future: Können Sie in der Vielzahl der skeptischen Behauptungen Muster erkennen?
Carel Mohn: Grob gesagt gibt es vier Gruppen: Eine sagt, es gibt überhaupt keinen Klimawandel. Die andere
führt ihn auf natürliche Ursachen zurück. Eine weitere Gruppe bestreitet das Zutun der Menschen am Klimawandel nicht, aber verharmlost die Folgen: Anstatt uns Sorgen zu machen, sollen wir uns auf Weintrauben aus Alaska
freuen. Die vierte Gruppe stellt die Glaubwürdigkeit der Wissenschafter in Frage.
Warum gibt es überhaupt diese Skepsis dem Klimawandel gegenüber?
Der Klimawandel ist historisch ohne Beispiel, es ist eine enorme kognitive Zumutung: Wenn man akzeptiert, dass
es diesen potenziell sehr gefährlichen Klimawandel gibt, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass unser Verhalten sich tiefgreifend ändern muss. Das möchte man gern erstmal verdrängen.Wenn wir heute über Klimapolitik
reden, dann ist das nicht mehr so abstrakt wie in den 1980er Jahren, sondern es geht darum, welche Autos wir
fahren, wie wir unsere Häuser bauen und welche Kraftwerke wir haben. Da sind handfeste Interessen im Spiel.
Foto: Corbis
Viele „Skeptiker“ stehen politisch eher rechts. Warum ist das so?
Eine stringente Klimapolitik setzt voraus, dass man planvoll und systematisch gegensteuert. Wer wirtschaftsliberale Politikmodelle favorisiert, hat damit eher ein Problem.
Ist die Skepsis mal mehr und mal weniger en vogue?
Ja, das liegt auch an der Logik unseres Mediensystems. Medien sind an Konflikten interessiert, die einer bestimmten Dramaturgie folgen. Das führt dazu, dass klimaskeptische Argumente häufiger zu Wort kommen, als es ihrer
wissenschaftlichen Relevanz entspricht. Wenn Medien seriös arbeiten, wollen sie auch Gegenstimmen zu Wort
kommen lassen. Das macht auch in der Wissenschaft Sinn, stößt aber an Grenzen, sobald die Medien nicht beurteilen können, ob die vermeintlichen „Gegenstimmen“ begründet sind oder bloße Standpunkte und Hypothesen,
die längst überholt sind.
Wie wirksam sind Bücher wie „Die kalte Sonne“ von Fritz Vahrenholt?
Das Buch von Vahrenholt wurde sehr professionell vermarktet und hat ein enormes Medienecho bekommen. Es
ist nicht verwunderlich, dass viele Menschen seine Einwände erstmal plausibel finden. Ich kann mir eine Welt ohne
Klimawandel auch schöner vorstellen. Allerdings hat die Debatte auch gezeigt, dass das Wissen um die tatsächlichen Zusammenhänge zumindest im deutschsprachigen Raum sehr groß ist.
Sorte „Alles nicht so schlimm“
In den USA scheinen die Skeptiker gerade wieder die Oberhand zu gewinnen. Die Journalistin Naomi Klein spricht in diesem Zusammenhang inzwischen von einen neuen Inhumanismus.
Die Debatten in Europa und den USA unterscheiden sich sehr stark. In Deutschland und Österreich ist man
Lichtjahre von der US-Debatte entfernt, auch wenn ähnliche Argumente genutzt werden. Beim Klimawandel sind
die USA noch nicht so weit, die Skepsis als marginale Position einordnen zu können.
CO2 ist nicht schädlich.
Pflanzen wachsen besser, wenn man sie mit CO2 bestrahlt. Also:
„No need to Panic about Climate Change“, wie 16 Wissenschafter, die Hälfte davon mit Verbindungen zur Ölindustrie, im
„Wall Street Journal“ im Jänner dieses Jahres erklärten.
Studien zeigen, dass die Wachstumseffekte wohl nur für das Gewächshaus gelten: „Im Freiland werden die negativen Effekte
von wahrscheinlich zunehmenden Hitzewellen und Trockenheit
überwiegen“, schreibt Urs Neu von der Schweizer Akademie
der Wissenschaften auf klimafakten.de.
Vermeiden ist zu teuer.
Wird die Faktenlast erdrückend, greifen Skeptiker zur ökonomischen Keule: Es sei am besten, wenn man der Wirtschaft erlaube, noch weitere „50 Jahre zu wachsen, ohne Emissionsbeschränkungen“, wie der Ökonom William Nordhaus schreibt. Er
hatte schon 1983 argumentiert, dass eine Reduktion der Emissionen sich nicht rechne. Die 16 Wissenschafter des „Wall Street
Journal“ (siehe oben) setzen noch eines drauf: Gerade die Entwicklungsländer würden von weiterem Wachstum profitieren.
Ihr Zynismus scheint den Skeptikern nicht bewusst zu sein. Die
Weltgesundheitsorganisation WHO hat schon vor zehn Jahren
festgestellt, dass jährlich mindestens 150.000 Menschen an den
Folgen des Klimawandels sterben.
Welchen Einfluss haben die Skeptiker auf die europäische Klimapolitik?
Die Politik hat im Prinzip verstanden, dass sie jetzt handeln muss. Wenn es aber um den Umbau unserer Energiesysteme geht, gibt es natürlich Widerstand. Letztendlich müssen wir eine Diskussion über die Grenzen des
Wachstums führen, um andere Modelle zu finden.
Was ist das Skeptiker-Argument, das Sie am meisten aufregt?
Am schlimmsten finde ich die Versuche, die Wissenschaft zu diskreditieren. In dem so genannten ClimategateSkandal hat man sogar versucht, Wissenschaftern Manipulationsversuche nachzuweisen. Sie können nun 1000 Mal
beweisen, dass das nicht so war und dennoch: Es wird immer wieder behauptet. n
Foto: Carel Mohn
Und wenn schon:Tiere und Pflanzen
werden sich anpassen.
Prominente Skeptiker wie der Däne Björn Lomborg oder der
Amerikaner Fred Singer sind dazu übergegangen, auf die Anpassungsfähigkeit der Natur zu setzen.
Der anthropogene Klimawandel geschieht jedoch viel zu schnell,
als dass Tiere und Pflanzen mithalten könnten. Der Mensch
bläst nicht nur zu viel CO2 und andere Treibhausgase in die Atmosphäre, er nimmt der Natur auch die Möglichkeit, dies auszugleichen, indem er Wälder vernichtet und Böden versiegelt.
Die „Anpassung“ von Tieren und Pflanzen wird also vermutlich
in ihrem Verschwinden bestehen: Bis 2050 könnten bis zu 37
Prozent der Fauna und Flora vom Aussterben bedroht sein, wie
der Biologe Chris D. Thomas 2004 errechnete.
Wissenschaftshistoriker wie Naomi Oreskes sagen, die Skeptiker hätten die Klimapolitik zum Stillstand gebracht.
Ja, in den USA haben die Skeptiker einen sehr großen Einfluss auf die Klimapolitik. Das ist auch der Grund, warum
wir uns engagieren: Wenn man sich die naturwissenschaftlichen Daten anschaut, weiß man, dass eine Debatte darüber, ob das alles stimmt und ob man sich das leisten kann, nicht hilfreich ist.Wir müssen unsere Energie für eine
Wirtschaftsordnung einsetzen, die weitgehend ohne das Verbrennen fossiler Rohstoffe auskommt.
„Diskussionen, ob es den Klimawandel gibt, sind nicht
hilfreich“: Der Politologe Carel Mohn ist Kommunikationsdirektor der European Climate Foundation und
koordiniert unter anderem die Website „klimafakten.
de“, wo klimaskeptische Behauptungen wissenschaftlich
dargestellt, überprüft und widerlegt werden.
10
Foto: Corbis
Die Zukunft von Stromversorgung und Energieverbrauch
Die Wächter des Energienetzes
W
enn heute das Internet nicht funktioniert, können
wir so lange keine E-Mails schreiben, bis der Schaden
behoben ist. „Wenn aber in zehn Jahren das Internet nicht
funktioniert, steht das gesamte System“, sagt Helmut Leopold, Leiter der Abteilung „Safety and Security“ des Austrian
Institute of Technology (AIT) in Wien. Licht, Wasser, Herd,
Heizung, Telefon – alles aus.
Leopold wacht am AIT über die Sicherheit von computergesteuerten Systemen, die künftig jedes Rädchen der Energieversorgung am Laufen halten werden. Sein Forschungszweig
wird getrieben vom steigenden Verbrauch. Weltweit erhöht
sich die Spitzenbelastung beim Strom-, Wasser- und Gasverbrauch von Jahr zu Jahr. Egal, wie schnell es der Menschheit
gelingt auf erneuerbare Energien umzusatteln, die Spitzen
müssen ausgeglichen werden, damit das Netz nicht zusammenbricht. Eine Tatsache, die neue Visionen der Zukunft
des Wohnens und des Zusammenlebens in Kommunen und
Städten hervorgebracht hat.
„In Zukunft könnte der Kühlschrank im Netz anfragen,
ob genügend Energie da ist, als dass er sich sofort auf die
Optimal-Temperatur hinunterkühlt, oder ob er damit noch
ein bisschen warten soll. Oder die Waschmaschine könnte
sich erst dann einschalten, wenn genug Energie vorrätig ist
Foto: AIT
Das Internet liegt der Energieversorgung zu Grunde: Smart
Grids sollen durch den ständigen Informationsaustausch
zwischen Erzeugern, Speichern und Verbrauchern einen
energie- und kosteneffizienten Netzbetrieb ermöglichen.
Foto: AIT
Schon in der nahen Zukunft werden wir unsere Häuser mit einem Bruchteil der Energie beleuchten und
beheizen, die wir heute verwenden. Mit Hilfe von Sonnenkollektoren auf den Dächern werden wir Strom
für die Kommunen erzeugen und klug mit Energie haushalten. Zumindest ist das die Vision. Dahinter
steht eine massive Veränderung der Infrastruktur. Von Eva Stanzl
für das Wäschewaschen. Wir verteilen somit den Energieverbrauch so, dass das Wachstum im Verbrauch dem Klima
nicht zusätzlich schadet“, erklärt Leopold. Das könnte zwar
zur Folge haben, dass wir nicht zu allen Tageszeiten unsere
Handtücher waschen können, aber wenigstens wäre diese
Situation für alle gleich. Dann würde uns nämlich bewusst
werden, dass Energie etwas ist, das wir teilen.
D
amit das System funktioniert, müssen auch neue Methoden ersonnen werden, um Energie zu speichern.
Wenn alles zusammenspielt, könnten etwa die Batterien
von Elektroautos ausschließlich nachts beladen werden, mit
Energie aus tagsüber eingefangenen Sonnenstrahlen. Sonnenkollektoren auf Dächern könnten ihren Strom sammeln
und erst zu den Spitzenzeiten ins Netz speisen. „Wenn das
sehr viele Haushalte machen, wird das System wirtschaftlich“, sagt der AIT-Experte.
Voraussetzung für diese „Smart Grids“ genannte Form der
klimaschonenden Energieverteilung ist die Vollvernetzung.
Wenn heute der Strom ausfällt, gibt es kein Licht, keine Heizung, kein Wasser. Das Stromnetzwerk ist die Infrastruktur,
die allem zu Grunde liegt. In Zukunft wird ein Energie-Kommunikationsnetz allem zu Grunde liegen.
Ein Dilemma liegt allerdings in der Diebstahlgefahr. „Bisher
waren die Energienetze physischer Natur und geschlossen.
Strom unerlaubt abzuzweigen war eine gefährliche Sache,
man musste in Starkstrom-Zentralen einbrechen oder auf
Masten klettern. Heute könnte hingegen jeder Mensch in
allen Teilen der Welt Strom abzweigen, einfach indem er ein
Computerprogramm knackt“, erklärt Leopold. Schon allein
AIT-Forscher Helmut Leopold: „Wenn in zehn Jahren das
Internet nicht funktioniert, steht das gesamte System“.
aus Kostengründen verwenden die Netzwerk-Architekten
die gleiche Soft- und Hardware wie andere Computerprogrammierer ein Kraftwerk benutzt die gleichen Typen von
Internet-Router wie ein Computerspiel. Der wirtschaftliche
Druck steigert das Risiko, während die Abhängigkeit von
dem alles umspannenden Versorgungssystem zunimmt.
G
egen einen Ausbruch eines Energiekriegs in einer Welt,
in der vier Meter dicke Betonwände keinen Schutz
mehr bieten, kämpfen die Wächter des Energie-Netzwerks
wie Helmut Leopold. Sie arbeiten daran, Kommunikationsnetze zu schaffen, die sich selbst vor Datenklau schützen.
„Es handelt sich um Systeme, die sich in mehrere technische
Teilnetze gliedern, die in der Regel gemeinsam funktionieren.Wenn sich jedoch an einer Stelle etwas ändert, gibt eine
andere Stelle Acht, ob die Veränderung im Widerspruch zum
System steht und es sich um einen Angriff handelt“, sagt er.
Ein anderer Ansatz ist, jeden Router eine Validierung durchlaufen zu lassen, bevor er zu arbeiten beginnt. Die AIT-Forscher wollen mit ihren Erkenntnissen unter anderem Prozesse für Sicherheitsstandards für Unternehmen entwickeln,
die Energie sparen wollen – und müssen.
Die Voraussetzung für diese kluge, sparsame Form des Energieverbrauchs ist allerdings eine Standardisierung aller Geräte. Schon allein die Tatsache, dass die Handys mancher USMobilfunkgesellschaften heute noch in Europa unbenutzbar
sind, zeigt, dass eine Mammutaufgabe bevorsteht, die heute
nur schwer vorstellbar ist und bei der alle Industriebereiche
zusammenspielen müssen. Denn Haushaltsgeräte, die nicht
auf Signale des Stromnetzwerks reagieren, würden das Vorhaben stark erschweren. n
11
Das gute alte,
neue Fahrrad
Weltweit werden pro Jahr an die 250 Millionen
Fahrräder erzeugt, ein Großteil davon wird in
China an den Mann, die Frau oder das Kind gebracht. Von der Hightech-Rennmaschine bis hin
zum gemütlichen City-Bike, das Fahrrad gibt es
für alle Lebenslagen und in allen Preisklassen.
Für viele ist es angesichts der explodierenden
Treibstoffpreise das individuelle Fortbewegungsmittel schlechthin, für andere eine umweltbewusste Fortbewegung mit Positiv-Effekt
auf die Gesundheit. Und dann gibt noch neue
Fahrräder aus Holz.
Das Holzfahrrad von Jan Gunneweg (1) besticht durch sein „Schutzblech“, die Gabel und
die Laufräder aus Holz. Gefertigt wurde der
Prototyp vollständig aus Ahorn. Lenker, Kette,
Pedale und sonstige Gelenke sind allerdings
noch aus Stahl gefertigt.
Ob das Gefährt der Holzmanufaktur Zeidler (2) ein Tandem oder ein Kunstwerk ist, ist
schwer zu sagen. Obwohl der handgefertigte
Rahmen innen hohl und nach dem Fräsen verklebt ist, steht es in Sachen Alltagstauglichkeit
und Wendigkeit einem herkömmlichen Tandem
um nichts nach. Das Design von Jens Eichler hat
aber eindeutig die Nase vorn.
Nach strengsten Umweltschutzkriterien wird
ein Waldmeister-Holzfahrrad (3) gebaut. Umweltschädliche Verarbeitungsmethoden oder
Inhaltsstoffe werden durchwegs vermieden. Das
Design unterstreicht einen umweltschonenden
Lebensstil, so die Hersteller.
Dann wäre da noch das Bambus-Fahrrad für
Sportskanonen von Boo Bicycles (4), für dessen
Rahmen allein 3000 Dollar zu berappen sind.
(rib)
1
Parken, Aussteigen
und Zusammenfalten
2
3
4
Faltbare Fahrräder, Behältnisse, vielleicht sogar die eine oder andere Hütte,
ein Boot und natürlich ein Zelt – aber ein Auto? Hiriko-Cars ist dieses
Kunststück gelungen: Der japanische Hersteller hat das Konzeptfahrzeug
für den Stadtverkehr der Zukunft schlechthin entwickelt: Das ohnehin
schon kleine, 2,5 Meter lange Elektroauto kann zum Parken auf unglaubliche 1,5 Meter zusammengeschoben werden. Somit kommen im Ruhezustand drei Hirikos auf einen herkömmlichen Pkw, so William Lark, Wissenschafter und Mitentwickler am Massachusetts Institute of Technology.
Das Falten habe noch einen weiteren Vorteil, betont der Forscher: Die
Sitze würden angehoben, was das Ein- und Aussteigen durch die Tür, die in
der Front sitzt, erleichtert. Dadurch können Nutzer jeden Alters ganz einfach auf den Bürgersteig gelangen. Geradezu sensationell ist die Wendigkeit
des Ministadtflitzers. Mit seinen 500 Kilo beschleunigt er in drei Sekunden
auf 50 Stundenkilometer – und schneller fährt er nicht. Dafür sind alle vier
Räder mit Radnabenmotoren angetrieben und lenkbar. Dadurch kann das
Auto auf der Stelle wenden, oder sich sogar seitwärts in eine Parklücke
drängen. Der Hiriko soll mit einer Akkuladung 120 Kilometer weit kommen, danach muss er für zwölf Minuten an die Steckdose. (rib)
Der Tesla „Model X“
soll Elektroautos zum
Durchbruch verhelfen
Manche vergleichen ihn mit Apple-Gründer Steven Jobs, was seine visionäre Einstellung zu technischen Innovationen betrifft. Elon Musk, Chef des
US-Unternehmens Tesla Motors, hat jüngst sein „Model X“ präseniert, das
ihm zufolge den Durchbruch für Elektro-Autos bringen soll. Warum ist er
davon so überzeugt? Weil es ihm nicht reicht, so gut wie die anderen zu
sein, wie er sagt. „Wir müssen besser sein, um mit dem Elektroauto Erfolg zu haben“, lautet das Credo dieses Charismatikers, der ein Mittelding
zwischen Großraumlimousine und Geländewagen geschaffen hat. Formschön, geradezu elegant, die Motorhaube mit einer Ahnung von Masarati,
das Heck ähnlich dem eines 5er BMW, und in der Mitte Flügeltüren zum
Hochklappen, wodurch man beinahe aufrecht ins Wageninnere und relativ
bequem in die dritte Sitzreihe gelangt. Dazu kommen zwei Kofferräume
vorne und hinten, brillante Instrumentengrafiken und ein riesiger Touchscreen im Cockpit.
Wind-Damm soll die Effektivität
von Windkraftanlagen steigern
Dämme waren bisher der Nutzung durch die Wasserkraft vorbehalten. Wenn es nach dem Londoner
Architekturbüro Chetwood Associates geht, soll es
jedoch bald auch Dämme für Wind geben. Sie haben
ein Windstauwerk konzipiert, das sie „Wind Dam“
nennen. An konventionellen Propellerwindrädern
wird bemängelt, dass grundsätzlich mehr Wind die
Turbinen ungenutzt passiert als die Rotoren antreiben würde. Dem wollen Laurie Chetwood und ihre
Team Abhilfe schaffen, indem sie mit einem großen
Segel aus Kevlarfasern – ähnlich einem SegelbootSpinnacker – den gesamten Wind, der durch ein Tal
strömt, sammeln und auf die Rotoren einer Turbine
lenken.
Das Konzept für eine Anlage am Ladogasee nahe
der Grenze zwischen Russland und Finnland würde laut Computersimulation 120 Megawatt pro Jahr
erzeugen. Ob es denn wirklich so funktioniert, wie
es sich die Architekten London vorstellen, müsste
mittels Testanlage mit einem 2000 Quadratmeter
großen Segel unter Beweis gestellt werden. Dazu
müsste aber ein Investor mit fünf Millionen Dollar
in die Tasche greifen. (rib)
Und jetzt kommt es: Der Tesla ist nicht bloß ein Familienfahrzeug, sondern
auch ein rein elektrisch angetriebener Sportwagen, der mit 4,4 Sekunden
schneller auf 100 Stundenkilometer beschleunigt als ein Porsche 911. Das
Höchsttempo liegt bei 200 Stundenkilometer. In den Sandwich-Boden passen genügend Akkus für mehr als 400 Kilometer Fahrt. Und wer einen Wagen mit Allrad-Antrieb bevorzugt, bekommt einen zweiten Elektromotor
für die Vorderachse dazu. Mit dem „Model X“ steigen Elon Musk und sein
Tesla vom Nischenanbieter (des ebenfalls elektrisch betriebenen Sportautos Roadster) zum Mitanbieter für Wagen der gehobenen Mittelklasse der
Zukunft auf. In Europa wird „Model X“ wahrscheinlich erst in zwei Jahren
zu haben sein. (rib)
12
Foto: Wiki Commons
Hochgebirgspflanzen werden von neuen Arten verdrängt
Gipfelsturm ohne
Happy End
Wissenschafter untersuchen die Veränderungen der Vegetation
in den Alpen als Anzeiger für die Folgen des Klimawandels.
Von Helmut Ribarits
„G
Foto: Felix Deprez
loria“ ist ein Begriff mit vielen Bezugspunkten. Cineasten verbinden damit Kinofilme und deren Stars, Meteorologen einen
tropischen Wirbelsturm aus dem Jahr 1999, Hausfrauen eventuell eine
festkochende Kartoffelsorte. Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt hat
Gloria auch in der Vegetationsökologie ihren festen Platz: Was aus dem
Lateinischen übersetzt Ruhm bedeutet, ist für die Forscher das Kürzel
für „Global Observation Research Initiative in Alpine Environments“.
Das Monitoring-Programm beschäftigt sich allerdings mit dem eher unrühmlichen Phänomen des Klimawandels und dessen Auswirkungen auf
hochalpine Vegetationszonen.
Durch langjährige akribische Feldforschung beweisen Georg Grabherr,
Direktor-Stellvertreter des Instituts für Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und seine Kollegen von der Universität Wien, Michael Gottfried und Harald Pauli, wie sensibel und rasch
ganze Vegetationsgemeinschaften auf Klimaveränderungen reagieren.
Konkurrenz von unten
Gletscherhahnenfuß und Alpenmannsschild: Sie rücken immer weiter nach oben.
Dass kälteliebende oder Kälte tolerierende Pflanzen und Tiere, die auf
den Gipfeln der Hochgebirge leben und gedeihen, in ihrem unwirtlichen
Refugium zunehmend „Konkurrenz von unten“ bekommen, machte die
Herren stutzig. Ihr Fazit: Die Fähigkeit, in kalten Gebieten zu gedeíhen,
hilft wenig, wenn die Temperaturen steigen. Die Forscher initiierten das
Hochgebirgs-Monitoring-Programm, das sich mittlerweile zu einem globalen Forschungsnetzwerk ausgeweitet hat. Beobachtet und bewertet
wird, wie sich die Vegetation oberhalb der Waldgrenze in Folge des Klimawandels verändert.
Ein Forschungsgebiet umfasst üblicherweise vier Gipfel einer möglichst
eng begrenzten, klimatisch einheitlichen Region. Die Gipfel bilden idealerweise den Höhengradienten von der Baumgrenze bis zum Übergang
von der geschlossenen, alpinen Rasenvegetation zur offenen fels-, schuttund schneedominierten Vegetation. Nicht überall liegen die Gipfel hoch:
Die Waldgrenze in Nordschweden liegt bei 300 Metern, in den Ostalpen
13
„Ich trenne konsequent Müll und kaufe regionale Produkte“
Zum Klimaschutz muss jeder Einzelne seinen Beitrag leisten, sagt
Umweltminister Nikolaus Berlakovich zu Helmut Ribarits
Neue Technologien sind kostenintensiv. Sollten Umwelt- und
Klimaschutz, etwa durch Elektromobilität, auch für den Einzelnen nicht bald leistbar werden? Wie könnte man sich individuell in dieses globale Problem einbringen?
bei 1900, in Südspanien bei 2800 und in den
tropischen Anden Südamerikas in 4000 Metern Seehöhe. Grabherr und seine Kollegen
erheben auch Daten zu den Temperaturen:
Datenlogger messen die Temperatur im
Wurzelbereich im Stundentakt. Der Trend ist
eindeutig: Die Vielfalt der Flora in der großen
Höhe nimmt zu.
D
er Trend zum Höherwandern führt
zu einer Veränderung der Pflanzengesellschaften, da die Arten unterschiedliche
Ausbreitungs- und Konkurrenzstrategien
verfolgen. Die Hochgebirgsspezialisten sind
typischerweise gut an ihre Umgebungsbedingungen angepasst, jedoch gegenüber Arten
aus tieferen Lagen wenig konkurrenzfähig.
Verbleibende Individuen einer spezialisierten
Art werden durch die Invasion der neuen,
robusteren Spezies zunehmend voneinander isoliert, erfolgreiche Befruchtung wird
schwieriger und die genetische Diversität
innerhalb der Art verringert sich. Es bleibt
den alpinen Pflanzen also nur der Weg nach
oben. Doch dieser Wanderung sind natürliche Grenzen gesetzt: Je näher die Grenze
einer Population am Gipfel liegt, desto höher
ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei der
nächsten Stufe der Erwärmung ausstirbt.
Die Wissenschafter haben unter der Federführung von Harald Pauli die Ergebnisse des
Gloria-Langzeitprogramms im Wissenschaftsjournal „Nature Climate Change“ veröffentlicht. Dabei haben sie 17 europäische Gebiete
je zwei Mal im Abstand von sieben Jahren untersucht. Da sich das Programm mittlerweile auf mehr als 100 Untersuchungsregionen
weltweit ausgeweitet hat, verdichtet sich nach
Auswertung der Langzeituntersuchungen der
Verdacht, dass die Erwärmung bestimmend
ist für die Zusammensetzung der Vegetation
egal wo – ob im Süd-Ural, am Hochschwab
Holzheizungen, insbesondere Pelletskessel, boomen in Österreich
und auch die Solarthermie zur Warmwasserbereitung ist bereits eine
verbreitete und leistbare Technologie. Auch Photovoltaikanlagen, deren Kosten in den letzten Jahren deutlich gesunken sind, werden am
Markt bis 2020 voll konkurrenzfähig sein. Bei der alternativen Mobilität braucht es sicher noch größere Anstrengungen in Forschung und
Entwicklung, jedoch gibt es auch hier bereits bei einspurigen Fahrzeugen, etwa bei Elektro-Fahrrädern oder E-Scootern, leistbare und
umweltgerechte Alternativen zu kurzen Autofahrten.
Wie leben Sie selbst im Alltag den Umwelt- und Klimaschutz?
Zum Klimaschutz muss natürlich jede und jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Auf der Homepage des Lebensministeriums sind zahlreiche Informationen zu finden, wie Klimaschutz im Alltag aussehen
kann, vom bewussten Einkauf bis zu ökologischem Bauen. Selbstverständlich setze ich unsere Tipps und Vorschläge auch selbst um: Ich
fahre dienstlich ein Elektroauto oder auf längeren Strecken einen
mit Bioethanol betriebenen Pkw. Darüber hinaus heize ich mit Holz,
trenne konsequent Müll, kaufe regionale Produkte und spare Energie mit Energiesparlampen. Die bereits stattfindende Klimaänderung
und ihre Auswirkungen auch auf Österreich, die sich speziell in der
sensiblen Alpenregion zeigen, sind dramatisch. Daher ist es mir wichtig, mit Fördermaßnahmen und Beratungsangeboten zum Klimaschutz
und zur Senkung der CO2-Emissionen dem Klimawandel gegenzusteuern. Sanfte Mobilität, nachhaltiges Umwelt- und Ressourcenmanagement, erneuerbare Energie, Regionalität und moderne Umwelttechnik
sind wichtige Eckpfeiler für die Zukunft. n
Foto: Rita Newman
Future: Gerne heftet sich die Politik den Slogan: „Unsere
Zukunft ist grün“ auf die Fahnen. Ist es jedoch möglich, moderne Standards auf klimafreundlichem Weg aufrechtzuerhalten? Immerhin scheint etliche Global Player der Klimaschutz kaum zu interessieren.
Nikolaus Berlakovich: Klimaschutz bedeutet nicht Rückschritt, sondern Umdenken. Das muss noch stark in den Köpfen der Menschen
verankert werden. Klimaschutz heißt intakte Lebensqualität jetzt und
in Zukunft, saubere Luft, biologische Vielfalt, gute Wasser- und Bodenqualität, geringes Restmüllaufkommen, leistbare Energieversorgung,
hochqualitative und regionale Lebensmittel und mehr Gesundheit –
und zwar gekoppelt mit wirtschaftlichem Erfolg und mehr Arbeitsplätzen: Green Jobs. Tatsache ist aber, dass es international große Auffassungsunterschiede gibt, welche Maßnahmen zum Schutz des Klimas
gesetzt werden sollen, denn manche der Global Player sehen dadurch
ihre wirtschaftlichen Interessen bedroht.
Österreich geht einen klaren Weg, denn wir haben erkannt, dass Klimaschutz eine große Chance bietet, Jobs in erneuerbaren Energien
und in der Umwelttechnik zu schaffen oder mit regionalen Spezialitäten im Lebensmittelbereich international zu punkten. Österreich gilt
als Bioland Nummer Eins und gehört weltweit zu den Spitzenreitern
in der Umwelttechnik. Von 2008 bis 2010 sind in Österreich durch
Fördermaßnahmen 16.500 Green Jobs entstanden, bis 2020 peilen wir
100.000 weitere an.
Umweltminister Berlakovich:
„Größere Anstrengungen bei
alternativer Mobilität sind
notwendig.“
oder in der Sierra Nevada. „Wir konnten
dazu noch zeigen, dass sich Pflanzen aus wärmeren, tiefer gelegenen Regionen viel schneller nach oben hin ausbreiten, als zu Beginn
des Monitoring-Prozesses vor elf Jahren angenommen“, sagt Pauli.
„Messgeräte“ der Erwärmung
Nun mag es sein, dass nur wenige Menschen
den Gletscherhahnenfuß, das Alpen-Mannsschild oder das einblütige Hornkraut kennen,
nd damit deren Verlust nicht unbedingt bedauern. Harald Pauli gibt dazu Folgendes zu
bedenken: „Man sollte nicht vergessen, dass
all diese unscheinbaren Pflänzchen oft mehr
wissen als wir. Sie sind Anzeiger in einem
komplexen System. Für uns Ökologen sind
sie ein sehr sensibles und unabhängig von
menschlichen Nutzungsinteressen platziertes
‚Messgerät‘ für die Folgen des Klimawandels,
und das wird ohne Zweifel die Lebensgrundlage aller Menschen beeinflussen“, sagt er.
Und er betont, dass es offensichtlich nicht
möglich ist, selbst weitgehend unberührte
Ökosysteme zu konservieren, oder besonders gefährdete Arten in ihrem Lebensraum
zu erhalten. Der Schutz der Umwelt brauche
deshalb neue Konzepte.
Natürlich könne man einige Arten in botanischen Gärten kultivieren oder in Samenbanken aufbewahren. Allerdings müsse man
sich für eine Strategie der Artenerhaltung
entscheiden, um Erfolg zu haben. „Wir müssen uns aber einigen, was schützenswert
ist: Natur an sich, genetische Diversität, Artenvielfalt oder Pflanzengesellschaften, die
uns im weitesten Sinne dienen – wie etwa
Schutzwald oder Almen“, sagt Pauli, und: „Die
Ergebnisse unserer Forschungen sollten jeden von uns motivieren, sich für eine Verringern des Ausstoßes der Treibhausgase einzusetzen.“ n
Wien forscht
Dabei sein.
Staunen.
Forschen.
hr
16:30 – 24:00 U
36 Standorte
240 Stationen
Eintritt FREI!
MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG VON
UNTERSTÜTZT IN WIEN VON
www.LNF2012.at/wien
14
Foto: Fotolia
Die Zukunft des Reisens:
Sag niemals nie zur Bahn
Täglich starten und landen innerhalb von Europa 30.000 Flugzeuge. Damit hat sich
das als Ultima Ratio gefeierte Transportmittel selbst überholt. Sollen unsere Himmel
blau bleiben und die Stadtteile unweit der Flughäfen bewohnbar, müssen den Airlines
kräftig die Flügel gestutzt werden. Damit behalten jene recht, die meinen: „Sag niemals
nie zur Bahn“. Von Eva Stanzl
E
inmal Wien-Orvieto mit der Bahn. Zwei
Wochen in einem gemieteten Sommerhaus in der Maremma, danach Freunde
besuchen in Rom, auf dem Nachhauseweg
Aussteigen in Velden am Wörther See, um
noch schnell baden zu gehen, und dann mit
dem nächsten Zug wieder zurück nach
Wien. Ein Schnäppchen war das Bahnfahren zwar selbst in den Achtzigerjahren nicht, aber der Ticketpreis blieb doch
halbwegs überschaubar. Außerdem entdeckten wir dabei die Welt. Gemächlich im
Zug sitzend sahen wir, wie die Landschaft
vorbeizog und sich veränderte, je weiter
wir in den Süden kamen. Geflogen wurde in der Regel nur, wenn die Destination
sehr weit entfernt war, denn Fliegen war
teuer. Dafür gingen die Security Checks
weniger unter die Haut, standen sich auf
den Flughäfen die Warteschlangen nicht
im Weg und trugen die dampfenden Gesichtstücher, die den Passagieren vor dem
Abflug gereicht wurden, den Duft der weiten Welt.
Natürlich jubelten alle, als das Fliegen
kraft des Marktes billiger wurde, dachten
wir doch, dass es in den Lüften so schön
bleiben würde, wie es war. In der Praxis
fahren wir aber nun von Wien eine Stunde mit dem Shuttlebus nach Bratislava, um
von dort für 29 Euro nach Stanstead bei
London zu fliegen, um kaum angekommen
mit einem weiteren Shuttle in die Londoner Innenstadt zu tuckern, wo wir ausgehungert ins nächste Restaurant einfallen,
weil alles, woran wir uns im Flieger laben
konnten, ein Sandwich war in Textur und
Geschmack gleich einem Schuhkarton.
Der hohe Preis
der Instant-Mobilität
Das genussfreie Reisen habe seine Vorteile, könnte man argumentieren: Immerhin kann es sich nun jeder leisten, zu
fliegen. Zugegebenermaßen ist das fantastisch. Wer sich jedoch vor Augen hält, dass
unfassbare 30.000 Kurzstreckenflüge den
Himmel allein über Europa täglich verpesten, dem leuchtet ein, dass der Preis für
die Instant-Mobilität einfach zu hoch ist.
Wir bewegen uns fort mit einer rückwärtsgewandten Technologie, die nach
hinten losgeht anstatt den Weg nach vorne
zu weisen.
Ein einziger Mensch verursacht 360 Kilogramm an CO2-Ausstößen, wenn er in einer ausgelasteten Lufthansa-Maschine von
Wien nach Frankfurt am Main fliegt und
wieder zurück. Säße er den ganzen Weg
alleine im Auto, wären es mit 370 Kilo
noch mehr Emissionen. Würde er dieselbe
Strecke mit der Bahn zurücklegen, würde
er die Umwelt hingegen nur mit 36 Kilo
Kohlendioxid belasten. (Im Vergleich dazu
sondert ein Kühlschrank im Jahr 100 Kilo
CO2 ab. Eine indische Person verursacht
eine Jahresemission von 900 Kilo und
ein europäischer Mittelklassewagen bei
12.000 gefahrenen Kilometern 2000 Kilo
an Treibhausgasen im Jahr.)
Klimafreundliches Reisen in
die Wiege der Gartenkunst
Die Klimaschutz-Organisation „Atmosfair“
mit Sitz in Bonn bietet auf ihrer Website
an, die Treibhausgasemissionen von Reiseflügen auszugleichen. Experten nennen das
Klimakompensation. Hervorgegangen ist
die Idee aus einem Forschungsprojekt des
deutschen Umweltministeriums und der
Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch. Atmosfair bietet einen
Emissionsrechner zur Reise- und Urlaubsplanung und offeriert, die dabei erzeugten
Schadstoffe durch Beiträge in Klimaschutzprojekte wettzumachen. Für einen Betrag
von neun Euro können Geschäftsreisende
der Strecke Wien-Frankfurt-Wien ihren
Emissionsausstoß kompensieren. Bei einer
sechstägigen Kreuzfahrt mit fünf Tagen auf
See und Kohlenstoff-Emission von 1420
Kilo kostet das reine Gewissen schon 34
Euro.
D
och was bedeutet „klimafreundlich
Reisen“? „Wer Spaß daran hat, neue
Ziele und Reisearten auszuprobieren, wird
feststellen, dass klimaverträgliches Reisen
eher Bereicherung als Verzicht bedeutet“,
schreiben die Experten der Reise-NGO.
Atmosfair empfiehlt, was der Hausverstand weiß, aber die träge Gewohnheit
nicht zulassen will: Möglichst kurze Anreisestrecken am besten mit Bus oder Bahn,
vor Ort die Region mit dem Fahrrad oder
zu Fuß zu erkunden, Urlaubsgebiete mit
guter Infrastruktur des öffentlichen Ver-
15
kehrs vorzuziehen und Car-SharingAngebote zu prüfen. Für die Klimaschützer ist klar: In Zukunft werden
wir anders unterwegs sein als heute.
Zu den Sonderangeboten im April
der Partner-Reisebüros zählt ein VierSterne-Bade- und Aktivurlaub auf der
Insel Rügen mit CO2-freier An- und Abreise mit der Bahn, für eine Entfernung
ab 401 Kilometer zum Urlaubsziel zum
Ticketpreis von 184 Euro pro Person.
Weiters zur Auswahl steht eine Fahrt
in einem Luxus-Reisebus – die weitaus
Schadstoff-ärmste Variante des Transports – zu den Wasserschlössern und
königlichen Gärten entlang der Loire,
die Wiege der Gartenkunst. Ferienkurse aller Art gibt es in ganz Europa,
immer unter Beachtung der guten Erreichbarkeit der Kurortes mit dem Bus
oder der Bahn, ebenso wie sowie Bergwandern in Südtirol mit Tagestouren
südlich des vergletscherten Zillertaler
Hauptkammes.
N
un mag all das vielleicht nicht ganz
dem Traum von der Südsee entsprechen. Es spricht allerdings nichts
dagegen, in die Ferne zu fliegen, solange das nicht jeden Monat getan wird
– und solange kurze Strecken eben mit
umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln
unternommen werden. „Bei vielen
Reisen ist das Fliegen unvermeidbar,
es gibt oft keine realistischen Alternativen“, betonen selbst die Klimaschützer von Atmosfair.
Solange es allerdings 4,5 Stunden dauert, um 368 Bahnkilometer von Wien
nach Villach zurückzulegen, darf es
nicht wundern, wenn viele Menschen
für den Kurzstreckenflug optieren,
könnte man völlig zu Recht einwerfen. In Deutschland existiert allerdings
ein Bahnnetz, das Züge wie Pfeile von
München nach Berlin ziehen lässt.
Dennoch legen derart viele Personen
Kurzstrecken von Frankfurt nach Bonn
oder von Bonn nach Stuttgart mit dem
Flieger zurück, dass es die FlughafenAnrainer in der Nacht aus den Betten
wirft.
Keine Flüge unter
1000 Kilometer
Bis endlich lautlos fliegende Maschinen
erfunden sind, die auf der Basis umweltschonender Treibstoffe durch die Lüfte
segeln, müsste das Fliegen für Strecken
von unter 1000 Kilometer wohl per
Gesetz verboten werden. Denn Fliegen ist immer billiger als alles andere,
weil dafür keine Bahntrassen verlegt,
keine Schienen herangekarrt und keine Tunnels gebohrt werden müssen.
Ein Flugzeug braucht nur einen Hafen.
Es braucht keine Grundstücke, keinen
Umbau und keine Streckenerhaltung.
Das Fliegen ist in gewissem Sinn die
Leichtigkeit des Seins, und kein Mensch
wird sich diese Leichtigkeit sich nehmen lassen wenn er nicht muss.
Laut dem wissenschaftlichen Beirat
der deutschen Regierung Globale Umweltveränderungen darf jeder einzelne
Bürger nur eine bestimmte Menge an
Klimagasen produzieren, um die globale Erwärmung in verträglichen Grenzen
zu halten. Würde man allen Menschen
weltweit die gleichen Emissionsrechte
an der Gesamtmenge der klimaverträglichen Emissionen zugestehen, wären
das zwischen 1,8 Tonnen und 2,7 Tonnen CO2 im Jahr. Von diesem Ziel sind
die Industrieländer weit entfernt. Der
Kohlendioxid-Ausstoß lag 2005 in den
USA bei 20 Tonnen pro Kopf im Jahr, in
Deutschland bei 10,5 Tonnen und in China bereits bei 3,6 Tonnen. Wir müssen
dringend umkehren, um zu überleben,
zu einem vielleicht langsameren, aber sicher schöneren Leben. Selbst wenn uns
das Opfer auf den ersten Blick wie ein
Freiheitsentzug erscheint. n
Schadstoffe pro Verkehrsmittel
Zug (Fernverkehr)
Zug (Nahverkehr)
Tram/Metro
Linienbus
Reisebus
PKW
Flugzeug
0
200
300
Gramm CO2
Person x Kilometer
Quelle: Umweltbundesamt 2008:Vergleich der Emissionen einzelner Verkehrsträger im Personenverkehr
Der Flug Wien-Frankfurt-Wien im Vergleich
Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug*
360 kg CO2
Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug*
100 kg CO2
Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug*
900 kg CO2
* Emissionen des ganzen
Flugzeugs geteilt durch die
Anzahl der Passagiere an Bord.
Flugzeugabgase bestehen nicht
nur aus CO2. Die verschiedenen Emissionen sind hier
umgerechnet auf die derzeitige
Erwärmunswirkung der
entsprechenden Menge an CO2Emissionen.
Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug*
2000 kg CO2
Emissionen pro Passagier auf einem Hin- und Rückflug*
3000 kg CO2
Emissionsvergleich der Strecke Wien-Frankfurt/Main-Wien
CO2 Emissionen
Flug
360 kg
Pkw
Bahn
370 kg
36 kg
Energieverbrauch (bei Flug und Bahn umgerechnet in Benzin)
Flug
103 Liter
Pkw
109 Liter
Bahn
24 Liter
Emission Feinstaub in Gramm pro Passagier
Flug
16
Pkw
http://www.wbgu.de/
http://www.atmosfair.de/
http://www.stiftungzukunft.de/
100
Bahn
34
3
Quelle: www.atmosfair.de
Foto: Corbis
future
Telegramm
16
Unterkiefer aus 3D-Drucker
Mini-Max lässt grüßen
Maxwell Smart, wer erinnert sich an den Serienhelden
der Sechzigerjahre, der gerne mit seiner Schuhsohle
telefonierte? Der GPS-Hersteller GTX Corp hat es auch
mit dem Schuhabsatz – allerdings baut das Unternehmen
einen GPS-Empfänger ein. Die Schuhe mit den speziellen
Absätzen sollen vor allem bei abgängigen AlzheimerPatienten zur Anwendung kommen. Allein in den USA
leiden mehr als fünf Millionen Menschen an der DemenzErkrankung. Mehr als die Hälfte von ihnen verlassen
mindesten ein Mal ihr Zuhause, ohne zurückzufinden.
Wenn sie nicht innerhalb eines Tages gefunden werden,
könnten sie dehydrieren, erfrieren oder aber in Unfälle
verwickelt werden. Die „unauffällige Überwachung“ im
Schuh soll solche solche Risiken minimieren.
Karies verschwindet
Das Schweizer Unternehmen Credentis hat einen
Wirkstoff entdeckt, der Kariesschäden rückgängig
machen kann: Das Protein P11-4 regt den Zahn dazu
an, neuen Schmelz zu erzeugen. Bereits im Versuch
bildeten sich Karies-Schäden im Zahnschmelz teilweise wieder zurück. Das Medikament soll 2014 auf den
Markt kommen. Bis dahin heißt es allerdings noch:
durchbeißen!
Belgische Chirurgen haben einer 83-jährigen Frau einen neuen Unterkiefer aus Titan und Keramik eingesetzt. Die Prothese wurde mit einem
3D-Drucker hergestellt – eine Technik aus der Industrie, die auch in der
Medizin immer öfter zum Einsatz kommt. Verwendet werden Kunststoffe
und Metallpulver, die mit einem Laserstrahl punktuell geschmolzen
werden und sich so zu einem Objekt verbinden. Die Patientin litt unter
einer chronischen Entzündung des Kiefers, die Mediziner haben daher das
Knochengewebe durch eine Titankonstruktion ersetzt. Produziert wurde der
Unterkiefer von der Firma Layerwise. Die Techniker erhitzen in diesem Fall
Titanpulver mit dem Laserstrahl: Ein Millimeter Höhe des Materials besteht
aus 33 feinen Schichten. Anschließend wurde der Titankörper mit einer
Biokeramik überzogen. „Die
Behandlungsmethode ist
eine Weltpremiere“, erklärte
Jules Poukens von der Universität Hasselt in Belgien.
Nach seiner Aussage wurde
erstmals der Unterkiefer
eines Patienten vollständig
durch ein Implantat ersetzt.
Es enthält Hohlräume, an
denen die Muskeln befestigt
werden und Aussparungen
für die Nerven.
Eine Hose, die Leben rettet
Nano-Techniker unter der Leitung von Joseph Wang haben an der
Universiy of California eine Unterhose – jawohl, eine Unterhose – entwickelt, die Leben retten kann. Sie misst Blutdruck, Herzfrequenz und
andere Vitalzeichen. Im Bund aufgedruckte Kohle-Elektroden wirken
wie Biosensoren, die mittels Chip die Werte an eine Überwachungseinheit senden. Da dieses Projekt vom US-Militär finanziert
wird, werden zunächst Soldaten die Spezialwäsche testen.
Doch bald könnten auch chronisch Kranke mit Hilfe der
schlauen Schlüpfer zu Hause überwacht werden, was ihnen
Gesundheitschecks in Krankenhäusern ersparen würde.
Wang möchte nun auch Enzym- und Laktatsensoren entwickeln, die etwa den Alkoholgehalt bei Autofahrern oder den
Stresspegel bei Soldaten oder Sportlern messen.
Roboter, der fühlen,
hören und sehen kann
Japanische Forscher wollen dem Traum, an einem anderen Ort sein zu können,
als man ist, einen Schritt näher gekommen sein. Sie wollen eine Art „Avatar“Roboter entwickelt haben, bei dem der Nutzer über den ferngesteuerten
Roboter fühlen, hören und sehen kann, selbst wenn er sich selbst an einem
anderen Ort befindet. Mit Spezialhandschuhen kann der Nutzer die Hände des
Roboters „Telesar V“ steuern – und im Gegenzug fühlen, was der Roboter anfasst. Die „Augen“ des Roboters sind Kameras, die das Gesehene dreidimensional auf Bildschirme vor dem Nutzer übertragen. Die „Ohren“ sind Mikrofone,
die die Geräusche aus der Umgebung des Roboters aufnehmen. Und über Lautsprecher am
Roboterkopf kann die Stimme
seines „Meisters“ erklingen. Mit
dem Gerät nähern sich die Forscher der Fiktion eines zweiten
Ichs, wie sie im Hollywood-Film
„Avatar“ von James Cameron
zu sehen war. „Der Roboter
kann als Ihr Alter ego benutzt
werden“, sagt Professor Susumu
Tachi von der Keio-Universität
in Tokio. Als Einsatzgebiet
schwebt den Forschern vor, dass
er für Menschen unzugängliche
Gebiete besucht – etwa in
verstrahltes Gebiet nach einem
Atomunglück.
Fotodäumling
So groß wie ein Daumen ist die weltkleinste Kamera, die
auf einer Fingerkuppe Platz hat. Mit einer Auflösung von
zwei Megapixel lassen sich Aufnahmen mit immerhin
1600 mal 1200 Bildpunkten machen und ruckelfreie Videos
mit 640 mal 480 Bildpunkten anfertigen. Ein eingebauter
Autofokus soll für scharfe Bilder sorgen. Selbst für eine
USB-Buchse ist noch Platz, sodass der Fotoapparat an
einen PC angeschlossen werden kann. Zum Mitführen ist
keine Kameratasche nötig, sondern es reicht der Schlüsselbund. Die weltkleinste Kamera ist für 100 US-Dollar bei
Hammacher Schlemmer zu haben.
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