Südstern I und II Mitte Februar 1944, als das Wintermärchen gerade wieder anfing in die sowjetischen Truppen zu wirken, wurde Gunter d'Alquen befohlen sich sofort nach Italien zu begeben 1, um dort ein neues Kampfpropagandaunternehmen zu beginnen. Es erhielt den Namen Südstern. Ziel war es, polnische Einheiten im Verbund der alliierten Italienarmee durch Zersetzung so zu schwächen, daß sie nicht mehr an der Front eingesetzt werden konnten2. Italien hatte am 8.September 1943 die Waffen niedergelegt und war danach zum größten Teil von deutschen Truppen besetzt worden3. Die in Salerno gelandeten alliierten Truppen merkten schnell, daß die Kämpfe in Italien nicht dem angekündigten Urlaubsfeldzug entsprachen. Sie kamen nur langsam und unter unerwarteten Verlusten in Richtung Rom vorwärts. Im Januar 1944 kam ihr Vormarsch bei Monte Cassino an der sogenannten "Gustavlinie" erst einmal zum stehen4. Die erste Schlacht bei Monte Cassino begann am 17.01.1944 und endete am 18.02.1944. Während die deutsche Seite dort einen Abwehrerfolg errang, waren in Süditalien die ersten polnischen Einheiten des II. Korps gelandet und befanden sich auf dem Marsch zur Front. Diese Truppen waren das Ziel Südsterns. Die polnischen Soldaten schienen eine leichte Beute der deutschen Kampfpropaganda zu werden. Für Gunter d'Alquen lagen die benötigten "… Argumente auf der Hand" 5. Tatsächlich sprachen einige Faktoren im Frühjahr 1944 für einen 1Unterredung S.27 und BA-NS 19-2450 2Ortwin Buchbender/ Julius Mroisk; Die vierte Waffe- Deutsche Kampfpropaganda gegen das Anders-Korps 1944/45 aus deutsche Studien, Vierteljahrsheft- XXIII Jahrgang 1985 Seite 193-210; S. 195, im folgenden deutsche studien genannt 3Katriel Ben Arie; Die Schlacht bei Monte Cassino, Freiburg im Breisgau 1985, S.55, im folgenden Ben Arie genannt 4Ben Arie S.96/97 5Unterredung S. 27 schnellen deutschen Erfolg. So waren die deutschen Stellen über die polnischen Gegenüber bestens informiert, was sich aus ihrer Besatzerrolle in Polen einerseits und aus der Unterwanderung des polnischen Widerstands andererseits ergab 6. Zusätzlich war man durch den Agenten Cicero in Ankara über die geheimen Absprachen der Alliierten betreffend Polens unterrichtet7. Aber wie immer in der Propaganda gibt es nichts Wirksameres als faktisch Erlebtes. Und die polnischen Soldaten des II. Korps hatten einiges erlebt was die deutschen Kampfpropagandisten zu nutzen gedachten. Die polnischen Mannschaften dieses II. Korps waren als polnische Soldaten 1939 beim Angriff der Sowjets auf den Ostteil Polens als Gefangene in sowjetische Hände gefallen8. Sie waren ein Teil der 250.000 in die Sowjetunion deportierten polnischen Soldaten und waren dort in Arbeitslagern ausgebeutet worden. Erst 1941 waren sie aus den Lagern entlassen worden, als die Sowjets aus ihnen mit Zustimmung der Londoner Exilregierung Truppen aufstellen wollten9. Noch schlimmer hatte es die polnischen Offiziere getroffen. Ungefähr 15.000 Offiziere oder Offiziersanwärter waren in speziellen NKWD Lagern festgehalten worden 10, und ca. 11.000 weiter Offiziere, Reserveoffiziere und andere waren in Gefängnissen der Sowjetunion eingesperrt gewesen11. Die Offiziere in den drei NKWD lagern und die anderen 11.000 wurden im Frühjahr 1940 auf Befehl des ZK der Sowjetunion ermordet. Den Großteil der Leichname verscharrte man in Massengräbern bei Miednoje12, Kalinin (Heute Twer), 6Der Warschauer Aufstand- 1.August-2.Oktober, Ursachen-Verlauf-Folgen, Warschau, Hannover 1996 S. 31/32 7deutsche studien S.195 8Gerd Kaiser; Katyn- Das Staatsverbrechen- das Staatsgeheimnis; Berlin 2002, S. 28, im folgenden Kaiser genannt 9Ben Arie S.316 10Czeslaw Madajczyk; Das Drama von Katyn; Berlin 1991, S.48, im folgenden Drama genannt 11Kaiser S.79 12Ebenda S.185 Pjatichatki13 nahe Charkow und in Katyn 14 in der Nähe von Smolensk. Nur 448 polnische Offiziere überlebten15. Von diesen meldeten sich 1941 280 Mann freiwillig für die Aufstellung polnischer Truppen unter Generalleutnant Wladislaw Anders. Während in der Sowjetunion die Aufstellung dieser Anderstruppen begann, besetzten deutsche Truppen bei ihrem Vormarsch Smolensk. Nach einiger Zeit nahmen die Nachrichten von einem Massengrab bei Katyn so zu, daß auch die oberste deutsche Führung davon erfuhr. Ab April 1943 berichteten die Deutsche Presse in großer Aufmachung vom Massengrab polnischer Offiziere bei Katyn 16. Die polnische Exilregierung, die bereits nach den vermissten Offizieren hatte suchen lassen17, und die Deutschen forderten eine Untersuchung durch das internationale Rote Kreuz18. Dieser Versuch die Alliierten zu spalten19 misslang, obwohl die Sowjetunion die Beziehung zur polnischen Exilregierung abbrach, mit der Behauptung diese würde mit den Deutschen zusammenarbeiten20. Für die Polen im allgemeinen war das Geschehen die Bestätigung eines lange gehegten Verdachts21. Bei dieser Ausgangslage ist es einsichtig warum sich die deutsche Führung zuversichtlich gab. Die polnischen Mannschaften waren schon von Sowjets in Lagern gehalten und dort so vor die Hunde gekommen, daß sie, nachdem das Korps aus der Sowjetunion in den Nahen Osten verlegt worden war, erst einmal von den Westalliierten aufgepäppelt werden mußten22. Ein Teil der Offiziere waren Überlebende eines sowjetischen Massenmords, und General Anders selbst war als 13Drama S.55/56 14Ebenda S.191 15Ebenda S.161 16Ebenda S.201 17Franz Kadell; die Katyn Lüge, München 1991 S.50 18Ebenda S.85 19Ebenda S.76 20Ebenda S.96f 21Ebenda S.79 22Ben Arie S.317 Gefangener gewesen23. in einem Sowjetgefängnis, der Lubjanka Diese Ausgangslage wurde noch verschärft durch die Rede Winston Churchills im Unterhaus vom 22.02.1944 in der er ausführte, die britische Regierung habe niemals eine bestimmte polnische Grenze garantiert24. Von den polnischen Soldaten wurden diese Worte auf die polnische Ostgrenze gemünzt, und – richtig – so verstanden, daß Großbritannien der Sowjetunion bei ihren Wünschen die Grenze betreffend entgegenkommen signalisieren wollte. Da die sowjetischen Streitkräfte in absehbarer Zeit Polen betreten würden, schockierte dies die polnischen Soldaten. Es kam sogar zu mehreren Selbstmorden unter Offizieren 25. Gunter d'Alquen konnte also einerseits die Angst vor der Sowjetunion nutzen und andererseits konnte er ein latentes Mißtrauen der Zielgruppe den westliche Alliierten gegenüber voraussetzen. Er ging sofort daran, die neue Kampfpropagandaaktion vorzubereiten. An Material herrschte zunächst kein Mangel, hatte doch Adolf Hitler persönlich angeordnet: "Das OKW und alle anderen militärischen Sektoren werden dem Unternehmen jede Unterstützung gewähren"26. Gunther d'Alquen bekam einen 20KW Rundfunksender, Großlautsprecher, Himmelsschreiber und große Mengen Munition für die Propwerfer 27. Neben diesem Material übernahm Südstern im Laufe der Zeit auch ganze vor Ort befindliche Propagandakompanien des OKW28. Gunter d'Alquen konnte innerhalb von "Kurt Eggers" nicht genug Personal freimachen. Schließlich lief ja noch mit Wintermärchen ein zweites Großunternehmen unter der Regie der Standarte. Außerdem hatte das den Vorteil, daß die schon vor Ort befindlichen PK-Einheiten mit der Lage vertraut und 23deutsche studien S.196 24Ebenda S.206 25deutsche studien S.206 26Zitiert nach Waffe S.86 27Ebenda 28Unterredung S.27/28 eingearbeitet waren. Als erste Truppe übernahm Südstern den Aktivpropagandazug der Luftwaffe29. Dieser wurde von Leutnant Henri Nannen, dem späteren „Stern“-Macher, geführt. Der vom Wintermärchen abgezogene Hans Weidemann übernahm offiziell die Führung des Kampfpropagandaunternehmens. Südstern bestand anfangs aus nur sechs Mann Personal der SS-Standarte "Kurt Eggers" und ca. zwei dutzend Mann aus unterschiedlichen Heeres- und Luftwaffen-Propagandakompanien30. Gunter d'Alquen plante, seine Zielgruppe mit kombinierten Aktionen im Sinne der Weidemannschen Denkschrift anzugehen. Konzipiert als Demoralisierungskampagne sollte das Unternehmen auf Rundfunkmaterial basieren und mit Flugblättern und anderem abgerundet werden 31. Er stellte für sich fest "… irgendwie polnisch muss ich sie ansprechen“ 32. Schon für die Abfassung polnischer Flugblätter, aber erst recht für polnische Rundfunksendungen brauchte er polnisches Personal. Obwohl der deutsch Generalgouverneur Polens, Hans Frank, Einwände hatte33, gelang es mit Hilfe deutscher Dienststellen diese Personen zu beschaffen34, so zum Beispiel die weibliche Sprecherin für den Rundfunk Maria Kalamacka. 35 Das Wintermärchen hatte den Wert weiblicher Stimmen gezeigt. Es kamen auch der Journalist Krawetzki und mehrer Hilfskräfte zum Korrekturlesen und Verfassen von Flugblättern. Zudem verfügte Südstern über zwei polnischsprachige SSDolmetscher, die Kontrolltätigkeiten durchführten36 und erhielt vom Presseattaché Starcke des auswärtigen Amtes Informationen.37 Über den General der Abwehr, Reinhardt Gehlen, 29Ebenda 30Hermann Schreiber, Henri Nannen- der Herr vom Stern; München 2001, S.161,im folgenden Schreiber genannt 31deutsche studien S.195 32Unterredung S.27/28 33BA NS 19 2448 34deutsche studien S.195 35Ebenda S.195/196 36Ebenda S.198 37Unterredung S.27/28 erwirkte Gunter d'Alquen einen Befehl der aussagte, daß alle Überläufer direkt nach Hause geschickt würden. Als erster von fünf Standorten des Senders wurde ein großer Baum hinter dem Vatikan genutzt.38 Durch den Standort sollte verschleiert werden, daß es sich um einen deutschen Sender handelt. Tatsächlich vergingen auch drei Wochen ab Sendebeginn, bis die deutsche Urheberschaft aufflog. 39 Am 03.03.1944 sendete der Sender das erste Mal. Unter dem Namen "Wanda" sendete man zu festgesetzten Zeiten Zersetzungspropaganda. Von 13.00 bis 13.30 Uhr eine Mittagssendung, die Nachmittagssendung von 18.00 bis 18.30 Uhr, eine Abendsendung von 19.30 bis 20.30 Uhr und eine Nachtsendung von 23.00 bis 23.45 Uhr.40 An Sonntagen gab es zusätzliche Sendezeiten für Gottesdienste. Hinzu kamen Sondersendungen zu spektakulären Ereignissen. Zu Beginn und Ende jeder Sendung spielte man schmetternde Fanfaren als Wiedererkenunngszeichen ein.41 Die Sendungen bestanden aus Wortbeiträgen unterbrochen von Musikeinlagen. Zu Anfang gelang es nicht Musik und Wortsequenzen harmonisch zu verbinden.42 Dies lag sowohl an der fragwürdigen Qualifikation des Musikredakteurs 43 als auch dem Mangel an polnischer Musik. 44 Als besonderen Aufhänger nutzte Südstern in diesen Sendungen Briefe, die von polnischen Angehörigen von Soldaten des Anderskorps zur Veröffentlichung eingingen. Im deutsch besetzten Polen wurde gezielt eine Kampagne geführt, damit Verwandte von dieser Möglichkeit der Kontaktaufnahme Gebrauch machten 45. Diese – natürlich zensierten – Briefe sorgten dafür, daß die polnischen Soldaten sich tatsächlich in die Sendung einschalteten, in der Hoffnung von ihren Familie zu hören, die sie 38Unterredung S.27 39BA-NS 19 2450 40Unterredung S.27 41Ebenda 42deutsche studien S.198 43Ebenda S.199 44Ebenda S.198 45Ebenda S.200 seit mehreren Jahren nicht mehr gesehenen hatten. Damit hatte "Wanda" eine große Hürde genommen: Trotz der Erkenntnis, daß "Wanda" ein deutscher Sender war, wurde er von den polnischen Soldaten eingeschaltet. Somit war der Kontakt zur Zielgruppe hergestellt. Diesen nutzte Südstern um immer wieder das Versprechen – Jeder Überläufer darf sofort nach Polen zurückkehren – in die Sendungen einzuflechten. Auf der Basis des von Gehlen erwirkten Befehls kreierte man die Parole "do domu" (Nach Hause). Es wurde immer wieder ausgeführt, daß ein potenzieller Überläufer sich nur den deutschen Vorposten zu nähern bräuchte und diese Losung rufen müsse, um auf den kürzesten Weg nach Polen geschickt zu werden. 46 So koppelte Südstern die Sehnsucht nach der Heimat, ausgelöst durch die Briefe, mit einer Möglichkeit diese schnell zu erreichen, um einen emotionalen Druck aufzubauen der zum Überlaufen führen konnte. Dieser Ansatz verrät in aller Deutlichkeit, daß die Südsternmacher davon ausgingen der polnische Soldat hätte innerlich mit den Westalliierten gebrochen, sich zu mindestens aber innerlich gelöst. Außerdem versuchte "Wanda" Besonderheiten der polnischen Kultur auszunutzen, um zersetzende Inhalte zu transportieren. So wurde ein bekannter Psychologismus aus dem Selbstverständnis der polnischen Gesellschaft aufgegriffen, um die "do domu" Kampagne zu differenzieren. Man versuchte den polnischen Messianismus zu instrumentalisieren. Dieser fußt auf der Vorstellung, das polnische Volk sei ein Christus der Nationen47 und hätte den gleichen Weg bis zur Auferstehung und Freiheit zurückzulegen. Südstern nahm Bezug auf ein beliebtes polnisches Heimatgedicht und interpretierte es um, damit eine Verbindung zwischen Psychologismus und Überläuferparole konstruiert werden konnte.48 Die Zersetzungspropaganda von Südstern gegen die polni46Ebenda S.200/201 47deutsche studien S.202 48Ebenda S.201 schen Truppen lässt sich in drei Phasen Teilen: In der Ersten Phase überwogen Aufforderungen zur Rückkehr in die Heimat, also Überläuferpropaganda. In der zweiten Phase wurde vor allem versucht, das Mißtrauen gegenüber den westlichen Alliierten zu intensivieren. In der letzten Phase wurde der Fokus auf die Schilderung der politischen und allgemeinen Lage Polens beim Vorrücken der Roten Armee gelegt. 49 In den einzelnen Phasen entstanden Sondersendungen die einerseits die Zersetzung fördern sollten und häufig Höhepunkte der Kampagne waren.50 So zum Beispiel die Sondersendung zur Kapitulation der polnischen Kämpfer im Warschauer Aufstand am 3. und 4. Oktober 1944, die schon wirkte durch die "... normative Kraft des Faktischen" wirkte.51 "Wanda" versuchte den polnischen Zuhörern in dieser Sendung den "Verrat der Alliierten" an Polen zu belegen. Genutzt werden konnte dabei ein Tagesbefehl eines polnischen Generals der den Alliierten vorwarf, Polen im Stich gelassen zu haben.52 Ein guter Beleg für die immense Bedeutung der effektiven Informationsbeschaffung der SS-Propagandisten. Eine der wirksamsten Sendungen Wandas war "Der Karneval der Atlantikcharta, von Teheran und ähnlicher politischer Erklärungen ist verraucht und verklungen. Geblieben ist der graue Aschermittwoch von Jalta".53 Die Sendungen von "Wanda" erreichten einen großen Hörerkreis unter ihrer Zielgruppe. Sogar der exilpolnische Premierminister Stanislaw Mikolajczyk erwähnt in seinen Memoiren den Sender "Wanda", genauso wie General Anders.54 Die Flugblattpropaganda gegen das Anderskorps hingegen ist nicht so wahrgenommen worden. Das lag zum einen an der Schwerpunktsetzung auf den Rundfunk durch Südstern, zum anderen hatte es technische Gründe. Die 49Waffe S.86 50deutsche studien S.198 51Ebenda 52Ebenda S.202 53Ebenda S.204 54Ebenda S.205/206 polnischen Soldaten wurden ab dem 24.03.1944 an der Front eingesetzt,55 und waren mit Propwerfern vorher nicht zu erreichen. Ein Einsatz der Luftwaffe zur Flugblattverteilung im Hinterland der alliierten Front war durch die Überlegenheit der alliierten Luftstreitkräfte unmöglich. Nachdem die polnischen Soldaten durch Propwerfer erreichbar waren, wurden auch Flugblätter benutzt. Ein Teil der ersten für Südstern gedruckten Flugblätter wurde in Krakau produziert und angeliefert.56 Im weiteren Verlauf von Südstern war so etwas nicht mehr notwendig, weil eigene Kapazitäten für Entwurf und Druck aufgebaut wurden. Im März verschoss Südstern bereits ein eigenes Flugblatt in dem die "do domu" Parole behandelt wurde. Das Flugblatt zeigte dazu ein Porträt der Staatsschauspielerin Maria Wimmer die eventuellen Lesern als "Wanda" vorgestellt wurde. Damit sollte die Sprecherin des Senders "Wanda" für die polnischen Hörer personifiziert werden.57 Die sexuelle Komponente dieser Personifizierung wird durch die mittig auf das Flugblatt gedruckte Aufforderung deutlich, in der es heißt: "Schau dem Mädchen unter den Rock"58. Südstern verschoss Flugblätter solange polnische Truppen durch Propwerfer erreichbar waren.59 Auch Lautsprecher gelangten zum Einsatz. 60 Den Deutschen erschien der Ansatz erfolgreich. Der General der Armee, in der Südstern wirkte, von Vietinghoff, schrieb im Juli an Himmler über die Ergebnisse von Südstern: "Ferner spricht es laufend den Feind mehrmals am Tage durch den Kampfsender "Wanda" an, der über den Rahmen der polnischen Divisionen hinaus beim Gegner politische Bedeutung erlangt hat. Die unmittelbaren Erfolge dieser Einwirkungen sind Gefangene und Überläufer. Darüber hinaus muss man mit einer gewissen Erlahmung des Widerstandswillens des Gegners rechnen, dem immer wieder die Trostlosigkeit des polnischen Schicksals in dem Tauziehen zwischen Churchill und Roosvelts 55Ben Arie S.315 56Waffe S.86 57Schreiber S.151 58BA-NS 19 2450 59Ebenda 60BA-NS 19 2448 einerseits und Stalin andererseits vor Augen geführt wird"61. Abseits solch recht schwammig formulierten Lobs, läßt sich keine konkrete Überläuferzahl feststellen62. Das ganze Gruppen, wie im April Korporal Borlanski mit vier Mot. Schützen überliefen63, war die absolute Ausnahme. Wenn Gunter d'Alquen ausführt, daß "… ganze LKW-Ladungen ..." überliefen,64 ist diese Aussage mit Vorsicht zu gebrauchen. Laut Quartiermeisterakten des II. Polnischen Korps sind von Februar 1944 bis Mai 1944 97 Mannschaften und 5 Offiziere vermisst gemeldet worden. Da die Dritte Schlacht bei Monte Cassino, bei der polnische Truppen erstmals offensiv in Italien eingesetzt wurden, am 11.05.1944 begann 65 und die Front vorher recht ruhig war, sind das die absolut höchsten Überläuferzahlen, die in diesem Zeitraum möglich waren. Da unter der Rubrik Vermisste auch Opfer nicht bekannter Gefechte und verschollene Körper geführt werden, muß die tatsächliche Überläuferzahl bis Mai unter Hundert liegen.66 Der Großteil der Überläufer war bis Juli 1944 zu verzeichnen. 67 Der Kommandeur des II. polnischen Korps sah die Überläuferpropaganda von Südstern als gescheitert an. Für ihn habe Südstern gerade einmal "...fünf Überläufer eingebracht...“68, was jedoch genauso unglaubwürdig ist wie d'Alquens Aussage. Er war aber weit entfernt davon, Südstern für ungefährlich zu halten. vielmehr differenzierte er zwischen der Überläuferaktion "do domu", die Aufgrund des Wissenstandes der polnischen Soldaten über das Besatzungsregime in ihrer Heimat nicht sehr ernst genommen wurde,69 und der Präsentation politischer Nachrichten. Die Nachrichten wurde von "Wanda" im verlauf des Kampfpropagandaunternehmens zunehmend in 61Ebenda 62deutsche studien 63Unterredung S.28 64Ebenda 65Ben Arie S.335 66deutsche studien S.207 67Ebenda S.207 68deutsche studien S.206 69Ebenda S.205/206 den Mittelpunkt gestellt. Wladislaw Anders urteilte: "Der Soldat spürte, daß er hier mit der bitteren Wahrheit konfrontiert wurde"70. Südstern befand sich in der für die deutsche Kampfpropaganda einmaligen Situation dass die Propaganda, die vom Unternehmen gemacht wurde, nur die psychologisch geschickte Verpackung für Meldungen war "… von deren Seriosität sich die angesprochene Zielgruppe überzeugen konnte" 71. Daher kann tatsächlich davon ausgegangen werden, daß Südstern dazu beitrug die Stimmung der polnischen Soldaten und ihre Moral zu erschüttern72. Daß sich das nicht in hohen Überläuferzahlen niederschlug, lag auch daran das die Polen über den Terror der deutschen Besatzung ihrer Heimat informiert waren73. Stärker limitiert wurde der Erfolg durch einen strukturellen Mangel der dem Kampfpropagandaunternehmen Südstern anhaftete. Südstern führte in seiner Berichterstattung immer wieder aus, das Polen "verloren war", weil die Alliierten an ihnen Verrat begehen würden und Polen den Sowjets anheim fallen lassen würden. Die Verbrechen der Sowjets wurde den Zuhörern ebenfalls immer wieder ins Bewußtsein gebracht, wobei das bei den individuellen Erfahrungen der Anderssoldaten keine sehr herausfordernde Aufgabe war. Was die polnischen Hörer und Leser nicht zu hören bekamen, war ein positiver Ansatz, eine konkrete Hoffnung. Die Argumentation Südstern war nur negativ und eine ernsthafte Alternative nicht Bestandteil der Aussagen. General von Vietinghoff schrieb genau das Heinrich Himmler am 20.07.1944 wobei er sich auf Gefangenen und Überläuferaussagen bezog, die eben diesen Mangel einer polnischen Perspektive unter deutscher Herrschaft thematisierten.74 Sehr Aussagekräftig ist die Antwort Himmlers. Er reagierte überhaupt nicht auf die Fragestellung, 70Ebenda 71Ebenda 72Ebenda S.207 73Ebenda 74BA-NS 19 2448 sondern schrieb: "Ich glaube aber auch andererseits, dass gerade jetzt die Verhältnisse in Polen, der Streit der Sowjets mit den völlig Ohnmächtigen Engländern, die ihrerseits die Polen restlos im Stich lassen, das ihre zur Zersetzung der polnischen Truppen tun werden" 75. Es sollte alles beim alten bleiben. Gunter d'Alquen selbst bekam hiervon nur am Rande etwas mit. Wie auch schon beim Wintermärchen erlebte er die späteren Phasen der Kampfpropaganda nicht mehr vor Ort. Schon im April 1944 hatte Heinrich Himmler ihn gedrängt einen Vertreter einzusetzten damit er einen anderen Auftrag übernehmen konnte.76 Er setzte SS-Sturmbannführer Damrau von "Kurt Eggers" ein und erhielt den Auftrag im Süden der Ostfront ein großes Kampfpropagandaunternehmen zu beginnen, das helfen sollte das Kriegsglück im Osten zu wenden. Die Südsternpropaganda gegen die Polen lief bis zu einer letzten Rundfunksendung am 26.04.1945 weiter.77 Die Struktur des Kampfpropagandaunternehmens hatte aber bis dahin einschneidende Änderungen erfahren. Mitte Juni wurde wegen der alliierten Invasion in Frankreich der Großteil vom Südsternpersonal der Standarte "Kurt Eggers" dorthin verlegt. 78 Nur wenige, wie Hans Weidemann, blieben und stellten mit einigen Neuzugängen Südstern II auf. 75Ebenda 76BA-NS 19 2450 77deutsche studien S.204 78Schreiber S.152