Südstern I und II Mitte Februar 1944, als das Wintermärchen gerade

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Südstern I und II
Mitte Februar 1944, als das Wintermärchen gerade wieder
anfing in die sowjetischen Truppen zu wirken, wurde Gunter
d'Alquen befohlen sich sofort nach Italien zu begeben 1, um
dort ein neues Kampfpropagandaunternehmen zu beginnen.
Es erhielt den Namen Südstern. Ziel war es, polnische
Einheiten im Verbund der alliierten Italienarmee durch Zersetzung so zu schwächen, daß sie nicht mehr an der Front
eingesetzt werden konnten2.
Italien hatte am 8.September 1943 die Waffen niedergelegt
und war danach zum größten Teil von deutschen Truppen
besetzt worden3. Die in Salerno gelandeten alliierten Truppen
merkten schnell, daß die Kämpfe in Italien nicht dem
angekündigten Urlaubsfeldzug entsprachen. Sie kamen nur
langsam und unter unerwarteten Verlusten in Richtung Rom
vorwärts. Im Januar 1944 kam ihr Vormarsch bei Monte
Cassino an der sogenannten "Gustavlinie" erst einmal zum
stehen4. Die erste Schlacht bei Monte Cassino begann am
17.01.1944 und endete am 18.02.1944. Während die
deutsche Seite dort einen Abwehrerfolg errang, waren in Süditalien die ersten polnischen Einheiten des II. Korps gelandet
und befanden sich auf dem Marsch zur Front. Diese Truppen
waren das Ziel Südsterns.
Die polnischen Soldaten schienen eine leichte Beute der
deutschen Kampfpropaganda zu werden. Für Gunter d'Alquen
lagen die benötigten "… Argumente auf der Hand" 5. Tatsächlich sprachen einige Faktoren im Frühjahr 1944 für einen
1Unterredung S.27 und BA-NS 19-2450
2Ortwin Buchbender/ Julius Mroisk; Die vierte Waffe- Deutsche
Kampfpropaganda gegen das Anders-Korps 1944/45 aus deutsche Studien,
Vierteljahrsheft- XXIII Jahrgang 1985 Seite 193-210; S. 195, im folgenden
deutsche studien genannt
3Katriel Ben Arie; Die Schlacht bei Monte Cassino, Freiburg im Breisgau
1985, S.55, im folgenden Ben Arie genannt
4Ben Arie S.96/97
5Unterredung S. 27
schnellen deutschen Erfolg. So waren die deutschen Stellen
über die polnischen Gegenüber bestens informiert, was sich
aus ihrer Besatzerrolle in Polen einerseits und aus der Unterwanderung des polnischen Widerstands andererseits ergab 6.
Zusätzlich war man durch den Agenten Cicero in Ankara über
die geheimen Absprachen der Alliierten betreffend Polens
unterrichtet7.
Aber wie immer in der Propaganda gibt es nichts Wirksameres
als faktisch Erlebtes. Und die polnischen Soldaten des II. Korps
hatten einiges erlebt was die deutschen Kampfpropagandisten
zu nutzen gedachten. Die polnischen Mannschaften dieses II.
Korps waren als polnische Soldaten 1939 beim Angriff der
Sowjets auf den Ostteil Polens als Gefangene in sowjetische
Hände gefallen8. Sie waren ein Teil der 250.000 in die Sowjetunion deportierten polnischen Soldaten und waren dort in
Arbeitslagern ausgebeutet worden. Erst 1941 waren sie aus
den Lagern entlassen worden, als die Sowjets aus ihnen mit
Zustimmung der Londoner Exilregierung Truppen aufstellen
wollten9.
Noch schlimmer hatte es die polnischen Offiziere getroffen.
Ungefähr 15.000 Offiziere oder Offiziersanwärter waren in
speziellen NKWD Lagern festgehalten worden 10, und ca.
11.000 weiter Offiziere, Reserveoffiziere und andere waren in
Gefängnissen der Sowjetunion eingesperrt gewesen11. Die
Offiziere in den drei NKWD lagern und die anderen 11.000
wurden im Frühjahr 1940 auf Befehl des ZK der Sowjetunion
ermordet. Den Großteil der Leichname verscharrte man in
Massengräbern bei Miednoje12, Kalinin (Heute Twer),
6Der Warschauer Aufstand- 1.August-2.Oktober, Ursachen-Verlauf-Folgen,
Warschau, Hannover 1996 S. 31/32
7deutsche studien S.195
8Gerd Kaiser; Katyn- Das Staatsverbrechen- das Staatsgeheimnis; Berlin
2002, S. 28, im folgenden Kaiser genannt
9Ben Arie S.316
10Czeslaw Madajczyk; Das Drama von Katyn; Berlin 1991, S.48, im
folgenden Drama genannt
11Kaiser S.79
12Ebenda S.185
Pjatichatki13 nahe Charkow und in Katyn 14 in der Nähe von
Smolensk. Nur 448 polnische Offiziere überlebten15.
Von diesen meldeten sich 1941 280 Mann freiwillig für die
Aufstellung polnischer Truppen unter Generalleutnant
Wladislaw Anders. Während in der Sowjetunion die Aufstellung
dieser Anderstruppen begann, besetzten deutsche Truppen
bei ihrem Vormarsch Smolensk. Nach einiger Zeit nahmen die
Nachrichten von einem Massengrab bei Katyn so zu, daß auch
die oberste deutsche Führung davon erfuhr. Ab April 1943
berichteten die Deutsche Presse in großer Aufmachung vom
Massengrab polnischer Offiziere bei Katyn 16. Die polnische
Exilregierung, die bereits nach den vermissten Offizieren hatte
suchen lassen17, und die Deutschen forderten eine Untersuchung durch das internationale Rote Kreuz18. Dieser Versuch
die Alliierten zu spalten19 misslang, obwohl die Sowjetunion
die Beziehung zur polnischen Exilregierung abbrach, mit der
Behauptung diese würde mit den Deutschen zusammenarbeiten20. Für die Polen im allgemeinen war das Geschehen
die Bestätigung eines lange gehegten Verdachts21.
Bei dieser Ausgangslage ist es einsichtig warum sich die
deutsche Führung zuversichtlich gab. Die polnischen Mannschaften waren schon von Sowjets in Lagern gehalten und
dort so vor die Hunde gekommen, daß sie, nachdem das Korps
aus der Sowjetunion in den Nahen Osten verlegt worden war,
erst einmal von den Westalliierten aufgepäppelt werden
mußten22. Ein Teil der Offiziere waren Überlebende eines
sowjetischen Massenmords, und General Anders selbst war als
13Drama S.55/56
14Ebenda S.191
15Ebenda S.161
16Ebenda S.201
17Franz Kadell; die Katyn Lüge, München 1991 S.50
18Ebenda S.85
19Ebenda S.76
20Ebenda S.96f
21Ebenda S.79
22Ben Arie S.317
Gefangener
gewesen23.
in
einem
Sowjetgefängnis,
der
Lubjanka
Diese Ausgangslage wurde noch verschärft durch die Rede
Winston Churchills im Unterhaus vom 22.02.1944 in der er
ausführte, die britische Regierung habe niemals eine bestimmte polnische Grenze garantiert24. Von den polnischen
Soldaten wurden diese Worte auf die polnische Ostgrenze gemünzt, und – richtig – so verstanden, daß Großbritannien der
Sowjetunion bei ihren Wünschen die Grenze betreffend
entgegenkommen signalisieren wollte. Da die sowjetischen
Streitkräfte in absehbarer Zeit Polen betreten würden,
schockierte dies die polnischen Soldaten.
Es kam sogar zu mehreren Selbstmorden unter Offizieren 25.
Gunter d'Alquen konnte also einerseits die Angst vor der
Sowjetunion nutzen und andererseits konnte er ein latentes
Mißtrauen der Zielgruppe den westliche Alliierten gegenüber
voraussetzen.
Er ging sofort daran, die neue Kampfpropagandaaktion vorzubereiten. An Material herrschte zunächst kein Mangel, hatte
doch Adolf Hitler persönlich angeordnet: "Das OKW und alle
anderen militärischen Sektoren werden dem Unternehmen
jede Unterstützung gewähren"26. Gunther d'Alquen bekam
einen 20KW Rundfunksender, Großlautsprecher, Himmelsschreiber und große Mengen Munition für die Propwerfer 27.
Neben diesem Material übernahm Südstern im Laufe der Zeit
auch ganze vor Ort befindliche Propagandakompanien des
OKW28. Gunter d'Alquen konnte innerhalb von "Kurt Eggers"
nicht genug Personal freimachen. Schließlich lief ja noch mit
Wintermärchen ein zweites Großunternehmen unter der Regie
der Standarte. Außerdem hatte das den Vorteil, daß die schon
vor Ort befindlichen PK-Einheiten mit der Lage vertraut und
23deutsche studien S.196
24Ebenda S.206
25deutsche studien S.206
26Zitiert nach Waffe S.86
27Ebenda
28Unterredung S.27/28
eingearbeitet waren.
Als erste Truppe übernahm Südstern den Aktivpropagandazug
der Luftwaffe29. Dieser wurde von Leutnant Henri Nannen,
dem späteren „Stern“-Macher, geführt. Der vom Wintermärchen abgezogene Hans Weidemann übernahm offiziell die
Führung des Kampfpropagandaunternehmens. Südstern bestand anfangs aus nur sechs Mann Personal der SS-Standarte
"Kurt Eggers" und ca. zwei dutzend Mann aus unterschiedlichen Heeres- und Luftwaffen-Propagandakompanien30.
Gunter d'Alquen plante, seine Zielgruppe mit kombinierten
Aktionen im Sinne der Weidemannschen Denkschrift anzugehen. Konzipiert als Demoralisierungskampagne sollte das
Unternehmen auf Rundfunkmaterial basieren und mit Flugblättern und anderem abgerundet werden 31. Er stellte für sich
fest "… irgendwie polnisch muss ich sie ansprechen“ 32. Schon
für die Abfassung polnischer Flugblätter, aber erst recht für
polnische Rundfunksendungen brauchte er polnisches Personal. Obwohl der deutsch Generalgouverneur Polens, Hans
Frank, Einwände hatte33, gelang es mit Hilfe deutscher Dienststellen diese Personen zu beschaffen34, so zum Beispiel die
weibliche Sprecherin für den Rundfunk Maria Kalamacka. 35
Das Wintermärchen hatte den Wert weiblicher Stimmen
gezeigt. Es kamen auch der Journalist Krawetzki und mehrer
Hilfskräfte zum Korrekturlesen und Verfassen von Flugblättern.
Zudem verfügte Südstern über zwei polnischsprachige SSDolmetscher, die Kontrolltätigkeiten durchführten36 und erhielt
vom Presseattaché Starcke des auswärtigen Amtes Informationen.37 Über den General der Abwehr, Reinhardt Gehlen,
29Ebenda
30Hermann Schreiber, Henri Nannen- der Herr vom Stern; München 2001,
S.161,im folgenden Schreiber genannt
31deutsche studien S.195
32Unterredung S.27/28
33BA NS 19 2448
34deutsche studien S.195
35Ebenda S.195/196
36Ebenda S.198
37Unterredung S.27/28
erwirkte Gunter d'Alquen einen Befehl der aussagte, daß alle
Überläufer direkt nach Hause geschickt würden.
Als erster von fünf Standorten des Senders wurde ein großer
Baum hinter dem Vatikan genutzt.38 Durch den Standort sollte
verschleiert werden, daß es sich um einen deutschen Sender
handelt. Tatsächlich vergingen auch drei Wochen ab Sendebeginn, bis die deutsche Urheberschaft aufflog. 39 Am 03.03.1944
sendete der Sender das erste Mal. Unter dem Namen "Wanda"
sendete man zu festgesetzten Zeiten Zersetzungspropaganda. Von 13.00 bis 13.30 Uhr eine Mittagssendung, die
Nachmittagssendung von 18.00 bis 18.30 Uhr, eine Abendsendung von 19.30 bis 20.30 Uhr und eine Nachtsendung von
23.00 bis 23.45 Uhr.40 An Sonntagen gab es zusätzliche
Sendezeiten für Gottesdienste. Hinzu kamen Sondersendungen zu spektakulären Ereignissen. Zu Beginn und Ende
jeder Sendung spielte man schmetternde Fanfaren als
Wiedererkenunngszeichen ein.41
Die Sendungen bestanden aus Wortbeiträgen unterbrochen
von Musikeinlagen. Zu Anfang gelang es nicht Musik und
Wortsequenzen harmonisch zu verbinden.42 Dies lag sowohl
an der fragwürdigen Qualifikation des Musikredakteurs 43 als
auch dem Mangel an polnischer Musik. 44 Als besonderen
Aufhänger nutzte Südstern in diesen Sendungen Briefe, die
von polnischen Angehörigen von Soldaten des Anderskorps
zur Veröffentlichung eingingen. Im deutsch besetzten Polen
wurde gezielt eine Kampagne geführt, damit Verwandte von
dieser Möglichkeit der Kontaktaufnahme Gebrauch machten 45.
Diese – natürlich zensierten – Briefe sorgten dafür, daß die
polnischen Soldaten sich tatsächlich in die Sendung einschalteten, in der Hoffnung von ihren Familie zu hören, die sie
38Unterredung S.27
39BA-NS 19 2450
40Unterredung S.27
41Ebenda
42deutsche studien S.198
43Ebenda S.199
44Ebenda S.198
45Ebenda S.200
seit mehreren Jahren nicht mehr gesehenen hatten. Damit
hatte "Wanda" eine große Hürde genommen: Trotz der Erkenntnis, daß "Wanda" ein deutscher Sender war, wurde er
von den polnischen Soldaten eingeschaltet. Somit war der
Kontakt zur Zielgruppe hergestellt.
Diesen nutzte Südstern um immer wieder das Versprechen –
Jeder Überläufer darf sofort nach Polen zurückkehren – in die
Sendungen einzuflechten. Auf der Basis des von Gehlen
erwirkten Befehls kreierte man die Parole "do domu" (Nach
Hause). Es wurde immer wieder ausgeführt, daß ein
potenzieller Überläufer sich nur den deutschen Vorposten zu
nähern bräuchte und diese Losung rufen müsse, um auf den
kürzesten Weg nach Polen geschickt zu werden. 46 So koppelte
Südstern die Sehnsucht nach der Heimat, ausgelöst durch die
Briefe, mit einer Möglichkeit diese schnell zu erreichen, um
einen emotionalen Druck aufzubauen der zum Überlaufen
führen konnte. Dieser Ansatz verrät in aller Deutlichkeit, daß
die Südsternmacher davon ausgingen der polnische Soldat
hätte innerlich mit den Westalliierten gebrochen, sich zu
mindestens aber innerlich gelöst.
Außerdem versuchte "Wanda" Besonderheiten der polnischen
Kultur auszunutzen, um zersetzende Inhalte zu transportieren.
So wurde ein bekannter Psychologismus aus dem Selbstverständnis der polnischen Gesellschaft aufgegriffen, um die
"do domu" Kampagne zu differenzieren. Man versuchte den
polnischen Messianismus zu instrumentalisieren. Dieser fußt
auf der Vorstellung, das polnische Volk sei ein Christus der
Nationen47 und hätte den gleichen Weg bis zur Auferstehung
und Freiheit zurückzulegen. Südstern nahm Bezug auf ein
beliebtes polnisches Heimatgedicht und interpretierte es um,
damit eine Verbindung zwischen Psychologismus und Überläuferparole konstruiert werden konnte.48
Die Zersetzungspropaganda von Südstern gegen die polni46Ebenda S.200/201
47deutsche studien S.202
48Ebenda S.201
schen Truppen lässt sich in drei Phasen Teilen: In der Ersten
Phase überwogen Aufforderungen zur Rückkehr in die Heimat,
also Überläuferpropaganda. In der zweiten Phase wurde vor
allem versucht, das Mißtrauen gegenüber den westlichen
Alliierten zu intensivieren. In der letzten Phase wurde der
Fokus auf die Schilderung der politischen und allgemeinen
Lage Polens beim Vorrücken der Roten Armee gelegt. 49 In den
einzelnen Phasen entstanden Sondersendungen die einerseits
die Zersetzung fördern sollten und häufig Höhepunkte der
Kampagne waren.50
So zum Beispiel die Sondersendung zur Kapitulation der
polnischen Kämpfer im Warschauer Aufstand am 3. und
4. Oktober 1944, die schon wirkte durch die "... normative
Kraft des Faktischen" wirkte.51 "Wanda" versuchte den polnischen Zuhörern in dieser Sendung den "Verrat der Alliierten"
an Polen zu belegen. Genutzt werden konnte dabei ein Tagesbefehl eines polnischen Generals der den Alliierten vorwarf,
Polen im Stich gelassen zu haben.52 Ein guter Beleg für die
immense Bedeutung der effektiven Informationsbeschaffung
der SS-Propagandisten. Eine der wirksamsten Sendungen
Wandas war "Der Karneval der Atlantikcharta, von Teheran
und ähnlicher politischer Erklärungen ist verraucht und
verklungen. Geblieben ist der graue Aschermittwoch von
Jalta".53
Die Sendungen von "Wanda" erreichten einen großen
Hörerkreis unter ihrer Zielgruppe. Sogar der exilpolnische
Premierminister Stanislaw Mikolajczyk erwähnt in seinen
Memoiren den Sender "Wanda", genauso wie General
Anders.54 Die Flugblattpropaganda gegen das Anderskorps
hingegen ist nicht so wahrgenommen worden. Das lag zum
einen an der Schwerpunktsetzung auf den Rundfunk durch
Südstern, zum anderen hatte es technische Gründe. Die
49Waffe S.86
50deutsche studien S.198
51Ebenda
52Ebenda S.202
53Ebenda S.204
54Ebenda S.205/206
polnischen Soldaten wurden ab dem 24.03.1944 an der Front
eingesetzt,55 und waren mit Propwerfern vorher nicht zu
erreichen. Ein Einsatz der Luftwaffe zur Flugblattverteilung im
Hinterland der alliierten Front war durch die Überlegenheit der
alliierten Luftstreitkräfte unmöglich. Nachdem die polnischen
Soldaten durch Propwerfer erreichbar waren, wurden auch
Flugblätter benutzt.
Ein Teil der ersten für Südstern gedruckten Flugblätter wurde
in Krakau produziert und angeliefert.56 Im weiteren Verlauf von
Südstern war so etwas nicht mehr notwendig, weil eigene
Kapazitäten für Entwurf und Druck aufgebaut wurden. Im März
verschoss Südstern bereits ein eigenes Flugblatt in dem die
"do domu" Parole behandelt wurde. Das Flugblatt zeigte dazu
ein Porträt der Staatsschauspielerin Maria Wimmer die eventuellen Lesern als "Wanda" vorgestellt wurde. Damit sollte die
Sprecherin des Senders "Wanda" für die polnischen Hörer
personifiziert werden.57 Die sexuelle Komponente dieser
Personifizierung wird durch die mittig auf das Flugblatt gedruckte Aufforderung deutlich, in der es heißt: "Schau dem
Mädchen unter den Rock"58. Südstern verschoss Flugblätter
solange polnische Truppen durch Propwerfer erreichbar
waren.59 Auch Lautsprecher gelangten zum Einsatz. 60 Den
Deutschen erschien der Ansatz erfolgreich. Der General der
Armee, in der Südstern wirkte, von Vietinghoff, schrieb im Juli
an Himmler über die Ergebnisse von Südstern: "Ferner spricht
es laufend den Feind mehrmals am Tage durch den Kampfsender "Wanda" an, der über den Rahmen der polnischen
Divisionen hinaus beim Gegner politische Bedeutung erlangt
hat. Die unmittelbaren Erfolge dieser Einwirkungen sind Gefangene und Überläufer. Darüber hinaus muss man mit einer
gewissen Erlahmung des Widerstandswillens des Gegners
rechnen, dem immer wieder die Trostlosigkeit des polnischen
Schicksals in dem Tauziehen zwischen Churchill und Roosvelts
55Ben Arie S.315
56Waffe S.86
57Schreiber S.151
58BA-NS 19 2450
59Ebenda
60BA-NS 19 2448
einerseits und Stalin andererseits vor Augen geführt wird"61.
Abseits solch recht schwammig formulierten Lobs, läßt sich
keine konkrete Überläuferzahl feststellen62. Das ganze
Gruppen, wie im April Korporal Borlanski mit vier Mot.
Schützen überliefen63, war die absolute Ausnahme. Wenn
Gunter d'Alquen ausführt, daß "… ganze LKW-Ladungen ..."
überliefen,64 ist diese Aussage mit Vorsicht zu gebrauchen.
Laut Quartiermeisterakten des II. Polnischen Korps sind von
Februar 1944 bis Mai 1944 97 Mannschaften und 5 Offiziere
vermisst gemeldet worden. Da die Dritte Schlacht bei Monte
Cassino, bei der polnische Truppen erstmals offensiv in Italien
eingesetzt wurden, am 11.05.1944 begann 65 und die Front
vorher recht ruhig war, sind das die absolut höchsten Überläuferzahlen, die in diesem Zeitraum möglich waren. Da unter
der Rubrik Vermisste auch Opfer nicht bekannter Gefechte
und verschollene Körper geführt werden, muß die tatsächliche
Überläuferzahl bis Mai unter Hundert liegen.66 Der Großteil der
Überläufer war bis Juli 1944 zu verzeichnen. 67 Der Kommandeur des II. polnischen Korps sah die Überläuferpropaganda
von Südstern als gescheitert an. Für ihn habe Südstern gerade
einmal "...fünf Überläufer eingebracht...“68, was jedoch
genauso unglaubwürdig ist wie d'Alquens Aussage.
Er war aber weit entfernt davon, Südstern für ungefährlich zu
halten. vielmehr differenzierte er zwischen der Überläuferaktion "do domu", die Aufgrund des Wissenstandes der polnischen Soldaten über das Besatzungsregime in ihrer Heimat
nicht sehr ernst genommen wurde,69 und der Präsentation
politischer Nachrichten. Die Nachrichten wurde von "Wanda"
im verlauf des Kampfpropagandaunternehmens zunehmend in
61Ebenda
62deutsche studien
63Unterredung S.28
64Ebenda
65Ben Arie S.335
66deutsche studien S.207
67Ebenda S.207
68deutsche studien S.206
69Ebenda S.205/206
den Mittelpunkt gestellt. Wladislaw Anders urteilte: "Der Soldat spürte, daß er hier mit der bitteren Wahrheit konfrontiert
wurde"70.
Südstern befand sich in der für die deutsche Kampfpropaganda einmaligen Situation dass die Propaganda, die vom Unternehmen gemacht wurde, nur die psychologisch geschickte
Verpackung für Meldungen war "… von deren Seriosität sich
die angesprochene Zielgruppe überzeugen konnte" 71. Daher
kann tatsächlich davon ausgegangen werden, daß Südstern
dazu beitrug die Stimmung der polnischen Soldaten und ihre
Moral zu erschüttern72. Daß sich das nicht in hohen Überläuferzahlen niederschlug, lag auch daran das die Polen über
den Terror der deutschen Besatzung ihrer Heimat informiert
waren73.
Stärker limitiert wurde der Erfolg durch einen strukturellen
Mangel der dem Kampfpropagandaunternehmen Südstern anhaftete. Südstern führte in seiner Berichterstattung immer
wieder aus, das Polen "verloren war", weil die Alliierten an
ihnen Verrat begehen würden und Polen den Sowjets anheim
fallen lassen würden. Die Verbrechen der Sowjets wurde den
Zuhörern ebenfalls immer wieder ins Bewußtsein gebracht,
wobei das bei den individuellen Erfahrungen der Anderssoldaten keine sehr herausfordernde Aufgabe war. Was die
polnischen Hörer und Leser nicht zu hören bekamen, war ein
positiver Ansatz, eine konkrete Hoffnung. Die Argumentation
Südstern war nur negativ und eine ernsthafte Alternative nicht
Bestandteil der Aussagen. General von Vietinghoff schrieb
genau das Heinrich Himmler am 20.07.1944 wobei er sich auf
Gefangenen und Überläuferaussagen bezog, die eben diesen
Mangel einer polnischen Perspektive unter deutscher Herrschaft thematisierten.74 Sehr Aussagekräftig ist die Antwort
Himmlers. Er reagierte überhaupt nicht auf die Fragestellung,
70Ebenda
71Ebenda
72Ebenda S.207
73Ebenda
74BA-NS 19 2448
sondern schrieb: "Ich glaube aber auch andererseits, dass
gerade jetzt die Verhältnisse in Polen, der Streit der Sowjets
mit den völlig Ohnmächtigen Engländern, die ihrerseits die
Polen restlos im Stich lassen, das ihre zur Zersetzung der
polnischen Truppen tun werden" 75. Es sollte alles beim alten
bleiben. Gunter d'Alquen selbst bekam hiervon nur am Rande
etwas mit.
Wie auch schon beim Wintermärchen erlebte er die späteren
Phasen der Kampfpropaganda nicht mehr vor Ort. Schon im
April 1944 hatte Heinrich Himmler ihn gedrängt einen Vertreter einzusetzten damit er einen anderen Auftrag übernehmen konnte.76 Er setzte SS-Sturmbannführer Damrau von
"Kurt Eggers" ein und erhielt den Auftrag im Süden der
Ostfront ein großes Kampfpropagandaunternehmen zu beginnen, das helfen sollte das Kriegsglück im Osten zu wenden.
Die Südsternpropaganda gegen die Polen lief bis zu einer
letzten Rundfunksendung am 26.04.1945 weiter.77 Die Struktur des Kampfpropagandaunternehmens hatte aber bis dahin
einschneidende Änderungen erfahren. Mitte Juni wurde wegen
der alliierten Invasion in Frankreich der Großteil vom Südsternpersonal der Standarte "Kurt Eggers" dorthin verlegt. 78 Nur
wenige, wie Hans Weidemann, blieben und stellten mit
einigen Neuzugängen Südstern II auf.
75Ebenda
76BA-NS 19 2450
77deutsche studien S.204
78Schreiber S.152
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