Struktur- und Grundmerkmale der aserbaidschanischen

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Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird es darum gehen, die Rolle der Presse im
Transformationsprozess Aserbaidschans vorzustellen und zu analysieren. Die historischen
Grundlagen und die sozio-politischen Rahmenbedingungen werden dabei ebenso erläutert wie
die Ursachen, Absichten und Folgen des medienpolitischen Handelns der Administrative. Die
Darstellung des bestehenden Pressesystems und die Analyse der drei auflagenstärksten
Zeitungen der aserbaidschanischen Republik versucht die Forschungsfrage, welche Rolle die
aserbaidschanische Presse im Transformationsprozess Aserbaidschans spielt, zu beantworten.
Weiterhin sollen folgende Fragestellungen in die Untersuchung eingehen: Wie sehen die
historischen Grundlagen der aserbaidschanischen Presse aus? Unter welchen politischen und
rechtlichen Bedingungen
erfolgt das journalistische Handeln? Erfüllt die Presse
Voraussetzungen für ein demokratisches Gesellschaftssystem, indem sie ethischen und
professionellen Wertebestimmungen einer freien pluralistischen Vorstellung von Presse
genügt?
*
Zur Beantwortung dieser Fragen ist es sinnvoll, ein theoretisches Gerüst aus der
Transformations- und Kommunikationsforschung zugrunde zu legen, um das politische
System und das Mediensystem zu charakterisieren und ihre Interaktion anhand der
Zeitungsanalysen herauszustellen. Die gesellschaftlichen Umbrüche in den ehemals
sozialistischen Ländern Ost- und Südosteuropas sowie der Sowjetunion vor etwa einer
Dekade
bewirkten
einen
neuen
Schub
in
der
sozialwissenschaftlichen
Transformationsforschung. Zu Beginn dominierte eine tiefe Irritation über den Mangel an
Kenntnissen und Prognosefähigkeit hinsichtlich der sozialistischen Gesellschaften. Ein
Ableben des Sozialismus – zumal ohne Gewalt – war noch nicht einmal als längerfristige
Möglichkeit angedacht worden. Eine Dekade später dominiert die Erkenntnis, dass die
Mechanismen des unmittelbaren Umbruchs vergleichsweise leicht zu analysieren sind. Der
Prozess der demokratischen Konsolidierung der neuen Gesellschaften lässt sich ungleich
schwerer erfassen. Die Forschung hat ihr Augenmerk im Laufe der Jahre verlagert und
zunehmend
auf
diesen
bislang
nicht
abgeschlossenen
Prozess
gelenkt
und
die
Konsolidierungschancen, aber auch die Probleme der entstehenden jungen Demokratien in
den Mittelpunkt gestellt. Bei allen Betrachtungsweisen der im Mittelpunkt stehenden
Fragestellungen
und
der
hierbei
bemühten
Theoriemodelle,
die
in
der
Transformationsforschung der letzten zehn Jahre zu beobachten sind, ist eines festzustellen:
Die Rolle der Medien im Transformationsprozess kommt weder in den Länderstudien noch in
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den theoriegeleiteten Analysen vor. Daher soll in einem nächsten Schritt gefragt werden,
welchen Beitrag die Kommunikationswissenschaft zur Erklärung des Stellenwertes der
Medien im Übergang von autoritären Gesellschaften zu pluralistischen Demokratien und zur
Marktwirtschaft leistet. Die Kommunikationswissenschaft hat bisher kaum zur Klärung der
Frage nach der Rolle der Medien in Transformationsprozessen beigetragen. Nach Ulrich
Saxer besteht ein „Ungleichgewicht zwischen Mikro- und Makrotheoriebildung, so dass es
kommunikationswissenschaftliche Erklärungen für viele kurzfristige Mikrophänomene gibt,
gesamtgesellschaftliche Medienauswirkungen aber kaum untersucht werden, entsprechend
unbefriedigend stellt sich die publizistikwissenschaftliche Theoriebildung zum Wandel von
Mediensystemen dar.“
Diese Feststellung bekommt umso größere Bedeutung, wenn man bedenkt, dass der
Wandel von Mediensystemen bisher im Rahmen eines stabilen gesellschaftlichen Systems
untersucht wurde, und ein derartiger historischer Gesellschaftswandel, wie er bislang mit der
Transformation der ehemals Kommunistischenischen Staaten sich vollzog, gar keine
Berücksichtung fand. Hier werde ich nur auf solche kommunikationswissenschaftlichen
Modelle eingehen, die für meine Fragestellung nach dem Stellenwert der Medien im
Transitionsprozess
von
Bedeutung
sind.
Dazu
werden
Teilgebiete
der
Kommunikationswissenschaft auf ihren Beitrag zur Erklärung des Stellenwerts von Medien
im Übergang von sozialistischen Gesellschaften zur pluralistischen Demokratie und
Marktgesellschaft untersucht.
*
Zunächst soll ein Exkurs in die jüngste Geschichte Aserbaidschans Aufschluss über
die letzten, aktuellen politischen Ereignisse geben, die für die Untersuchung relevant sind.
Mitte der 80er Jahre wurden in den kommunistischen Ländern neue Schlagworte wie
„mehr Demokratie ist mehr Sozialismus“, „Neues Denken“, „Schaffung des europäischen
Hauses“, „die Revolution geht weiter“, „Wiederbelebung der Leninschen Ideale“, Glasnost
(russ. ‚Transparenz’) gefeiert. Politische Transparenz und Offenheit wurden als wesentlicher
Bestandteil der Perestroika verstanden. Glasnost stand für demokratische Willensbildung von
unten und Öffnung der Archive, Publikation von Themen, die bislang mit Tabus belegt waren.
Glasnost und Perestroika führten die Sowjetunion in ihren direkten Untergang und ebneten so
den Weg zur Unabhängigkeit der Unionsrepubliken und besiegelten die Auflösung der
Sowjetunion. Der schnelle Übergang – nur in wenigen Monaten brachen die solide
erscheinenden Kommunistischenischen Diktaturen wie ein Kartenhaus zusammen und
wurden durch demokratische Regierungssysteme ersetzt, die rasante Ablösung des
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Kommunismus und die Übernahme von demokratischen (westlichen) Werten und Normen
stehen in einem umgekehrten Verhältnis zur Gründlichkeit und Tiefe der angestrebten
Transformation.
Des Weiteren entzündete die neue Situation das Nationalbewusstsein der
Unionsrepubliken. In diesem Rahmen erklärte auch die aserbaidschanische Enklave BergKarabach ihre Unabhängigkeit. Als Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung BergKarabachs entwickelte sich in Aserbaidschan ebenso eine nationalistische Bewegung, die
dann zu ihrer eigenen Unabhängigkeit führte. Der Berg-Karabach-Krieg entfachte bei den
Aserbaidschanern den türkisch-aserbaidschanischen Nationalismus, wobei die Gruppe
Volksfront Aserbaidschan die treibende Kraft war.
Ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion leidet die kaukasische
Region an chronischen Konflikten. Die Landschaft des Südkaukasus setzt sich neben den drei
unabhängig gewordenen Staaten (Armenien, Aserbaidschan und Georgien) noch aus den drei
Sezessionsgebieten Berg-Karabach, Abchasien und Südossetien zusammen. Die kaspische
Region ist der westliche Abschnitt des größeren kaspischen Raums, der im letzten Jahrzehnt
durch umfangreiche Energielagerstätten und Pipelineprojekte Bedeutung erlangte. Besonders
Aserbaidschan gelangte durch seinen Erdöl- und Erdgassektor im Kontext des Great Game –
bei dem es um wirtschaftliche und strategische Konkurrenz und Einflussnahmen zwischen
Russland, den USA und den Regionalmächten Türkei und Iran geht – in das Interessengefecht
dieser Mächte. Je nach Interessenlage bildeten sich folgende Gruppen: pro- und antirussische,
pro- und antitürkische, pro- und antiiranische. Gegenwärtig haben sich folgende
geostrategische Achsen gebildet: eine West-Ost-Achse (Washington-Ankara-Baku-Tiflis) und
eine Nord-Süd-Achse (Moskau, Jerewan, Teheran).
Aserbaidschan, das zur West-Ost-Achse gehört, liegt im Kaukasus an der Westküste
des Kaspischen Meeres und hat eine Gesamtfläche von 86.600 km², davon hat Berg-Karabach
4400 km² und Nachitschevan 5500 km² (siehe Abbildung 3). Im Norden grenzt es an Russland
(Daghestan) und Georgien, im Osten an Armenien, im Süden an die Islamische Republik Iran
und an die Türkei. Die Bevölkerungszahl liegt bei 8,1 Millionen Einwohnern. Baku, die
Hauptstadt, hat ca. 1,7 Millionen Einwohner. Die aserbaidschanische Gesellschaft setzt sich
aus ca. 85 % Aserbaidschanern, 4 % Russen, 2 % Armeniern sowieso aus Tataren, Lesgiern
und anderen Minderheiten zusammen. 20 % des aserbaidschanischen Staatsgebietes, das
Autonome Gebiet Berg-Karabach mit der Hauptstadt Xankändi (ehem. Stepanakert), sind
gegenwärtig von den Streitkräften Armeniens besetzt. Von den ehemals ca. 190 000
Einwohnern Berg-Karabachs (Armenier und Aserbaidschaner) leben nach der Vertreibung der
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Aserbaidschaner hier fast ausschließlich Armenier. Die Unabhängigkeit Berg-Karabachs
wurde am 26.11.1991 vom Obersten Sowjet Aserbaidschans für unwirksam erklärt. Die
Autonome Republik Nachitschevan hat ungefähr 306 000 Einwohner, davon etwa 96 %
Aserbaidschaner, 1,3 % Russen, 1,1 % Kurden u. a. Nachitschevan hat eine eigene
Verfassung, ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung.
Am 30. August 1991 erlangte das sowjetische Aserbaidschan seine Unabhängigkeit als
Republik
Aserbaidschan
(Azärbeycan
Respublikası).
Der
1991
einsetzende
Transformationsprozess zur Marktwirtschaft und Demokratie hat keines der bestehenden
Probleme
–
Freigabe
Massenarbeitslosigkeit,
der
das
Preise,
Fehlen
die
ausbleibende
sozialer
Zahlung
Sicherungen,
die
von
Löhnen,
Fortexistenz
von
Schattenwirtschaft und Korruption etc. – gelöst.
*
Zu Beginn des Transformationsprozesses 1991, war es nur die Presse, die sich dieser
oben genannten Probleme annahm. Zunächst ein Instrument politischer Organisationen,
entwickelte sie sich sowohl in ihrer Quantität als auch in ihrer Qualität. Das Verhältnis von
Politik und Medien zählt zu einer der wichtigsten Grundlagen jeder politischen Ordnung. Eine
„freie“ und unabhängige Presse ist im Prozess der Demokratisierung unverzichtbar, sofern sie
die Rechte und die Meinungs- und Gewissensfreiheit fördert, die Beachtung des
Bürgerwillens durch die Regierung stärkt und ein pluralistisches Forum politischer
Willensbekundung für eine Vielzahl von Gruppen bietet.
Trotz liberaler Ideen und trotz des „Demokratiewillens“ eines Volkes können Medien
in der Realität aus verschiedenen Gründen in ihrer Aufgabe versagen, die Demokratie zu
stärken. Hauptgründe für das Versagen von Medien sind Einschränkungen der Pressefreiheit
und
Pressefunktion,
die
vielfältig
sein
können:
Offene
Beeinflussung
durch
Regierungspropaganda, amtliche Zensur, gesetzliche Beschränkungen der Meinungs- und
Publikationsfreiheit, wie z.B. durch rigide Regelungen zum Schutz der persönlichen Ehre,
zum Schutz vor amtlicher Geheimhaltung, zum Schutz vor Parteilichkeit in der
Wahlkampfberichterstattung, oder durch Medienkonzentration und Oligopolbildung und
subtilere Parteilichkeit im öffentlichen Diskurs durch Ausgrenzung bestimmter Standpunkte.
Liberale Theoretiker von Milton über Locke und Madison bis Stuart Mill haben
argumentiert, dass eine „freie“ und unabhängige Presse eine unverzichtbare Rolle im Prozess
der Demokratisierung spielen kann, sofern sie die Rechte von Meinungs- und
Gewissensfreiheit fördert, die Beachtung des Bürgerwillens durch die Regierung stärkt und
eine pluralistische Willensbekundung für eine Vielzahl von Gruppen bietet. Auf politischen
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Märkten brauchen die Wähler Informationen, um die Leistungen der Regierung beurteilen
und zwischen alternativen Kandidaten und Parteien auswählen zu können. Wenn die Bürger
schlecht informiert sind und ihnen sogar praktisches Wissen fehlt, fällen sie möglicherweise
(Wahl-) Entscheidungen gegen ihre eigentlichen Interessen.
Die Presse stellt ein öffentliches Forum bereit, das zwischen Bürgern und Staat
vermittelt und einen Diskurs über zentrale aktuelle Fragen ermöglicht. Nur wenn die
Medienberichterstattung die soziale und kulturelle Vielfalt innerhalb jeder Gesellschaft fair,
ausgewogen und unparteiisch widerspiegelt, haben die vielfältigen Interessen und Stimmen
im öffentlichen Diskurs eine gleichgewichtige Chance, gehört zu werden. Diese Funktion ist
besonders in Wahlkämpfen wichtig. Der ausgewogene Zugang zu Radio, Fernsehen und
Zeitung für die konkurrierenden Parteien, Kandidaten und Gruppen ist entscheidend für
offene, freie und faire Wahlen. Gerade in der Zeit von Wahlen ist es besonders wichtig, dass
staatseigene oder öffentliche Fernsehstationen für die Vielfalt der politischen Standpunkte
offen sind und die Regierung nicht einseitig und tendenziös unterstützen.
Die Analysen der Wahlperioden – 1993, 1995, 1998, 2000 und 2003 – und die Analyse
der ersten vier Jahre des Transformationsprozesses von 1988 bis 1992 sollen die Veränderung
der Presse über die Jahre hinweg aufzeigen. Die vorliegende Arbeit beansprucht daher nicht,
den gesamten politischen Diskurs in der Presselandschaft abzubilden, um dann auf die Rolle
der Presse zu schließen. Vielmehr untersucht diese Arbeit die Handlungen der beteiligten
Akteure, um durch die Zusammenführung dieser Entscheidungen ein Gesamtbild von der
Rolle der Presse zu gewinnen.
*
Zum Aufbau der Arbeit: Im ersten Kapitel der Arbeit (1. bis 1.5.3) wird die politische
Transformationsliteratur (akteursorientierte Transformationstheorie) aufgearbeitet, um die
politischen Verkettungen auf der politischen Ebene in Aserbaidschan zu erfassen. Die
gewonnene Erkenntnis aus diesem ersten Kapitel soll im Analyse Teil (Kapitel 5) dazu dienen
den Einfluss der Presse auf die politischen Geschehenisse zu erhellen, und somit die Frage
nach der Rolle der Presse im Transformationsprozess beantworten.
Der akteursorientierte Ansatz geht davon aus, dass politische Transformationsprozesse
weniger durch Strukturen (objektive Umstände) oder Machtkonstellationen, sondern
maßgeblich durch das Verhalten und Handeln (subjektive Einschätzungen) der beteiligten
Akteure bestimmt werden. Ziel dieser Untersuchungsmethode auf der Mikro-Ebene ist es, die
Strategien der an der Transition beteiligten Akteure zu identifizieren und zu analysieren.
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Im makrotheoretischen Transformationsmodell wird ein Transformationsprozess in
drei
verschiedene
Phasen
eingeteilt:
Liberalisierungs-,
Demokratisierungs-
und
Konsolidierungsphase. Anhand der auftretenden typischen Merkmale lässt sich zeigen, dass
sich die Republik Aserbaidschan „noch“ in der ersten, der Liberalisierungsphase befindet.
*
*
Das zweite Kapitel widmet sich den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen
Aserbaidschans. In erster Linie sollen die politischen Akteure und die politischen Ereignisse
vorgestellt werden, damit für das Analysekapitel der Arbeit eine Grundlage geschaffen wird,
um die Hintergründe der Politik und des Pressewesens besser einordnen zu können. Der
wirtschaftliche Aspekt erfüllt den Zweck, die Lebensbedingungen der aserbaidschanischen
Gesellschaft im Hinblick auf den Jahrhundertvertrag mit ausländischen Ölkonzernen
herauszukristallisieren.
Im dritten Kapitel werden die Medien mit ihren gesamten Akteuren vorgestellt, wobei
der Schwerpunkt auf die Presselandschaft gelegt wird. Es soll die historische Entwicklung der
aserbaidschanischen Presse dargestellt werden, die im Vergleich zur Gegenwartspresse eine
Vielfalt bot und sich von ihrer Qualität sogar von den heutigen Medien abhob. Behandelt
werden in chronologischer Abfolge die aserbaidschanischen Periodika von 1875 bis 1920. Die
sowjetische Pressegeschichte wird nur gestreift, da die Presselandschaft in der Sowjetunion
gleichgeschaltet war und die heute erwartete Spannung zwischen Presse und Politik nicht zu
finden ist. Die postsowjetische Presse Aserbaidschans wird nicht an einzelnen Periodika
chronologisch dargestellt, sondern in ihren Etappen, die sie nach 1989/90 durchlaufen hat. Im
Rahmen einer Bestandsaufnahme der Presse- oder Medienlandschaft wird ferner auf die
Ausbildungssituation der Journalisten, die Lage der Presseagenturen, der Fernseh- und
Rundfunkanstalten und des Internets eingegangen.
Im vierten Kapitel wird der Handlungsrahmen der vorgestellten Presselandschaft
behandelt und gleichzeitig auf die Diskrepanz zwischen Rechtstheorie und Rechtspraxis
hingewiesen. Die Verankerung des freien Wortes in der aserbaidschanischen Verfassung kann
den Journalisten die Ausübung des freien Wortes nicht gewährleisten, auch wenn sich der
Europarat und internationale Medienorganisationen für die Rechte der Journalisten einsetzen.
Das fünfte Kapitel dient der Analyse der Tageszeitungen Kommunist (später Xalq
Qäzeti), Azärbaycan, Azadlıq und Yeni Müsavat. Dabei wird mit der Methode der
hermeneutischen Inhaltsanalyse der öffentliche Diskurs während der Wahlperioden in diesen
relevanten Tageszeitungen untersucht. Die Analyseeinheiten werden nach Wahlperioden
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chronologisch strukturiert, und es wird jeweils eine Zeitung zu den anstehenden Wahlen
untersucht. Themen, die in der Wahlperiode den öffentlichen Diskurs bestimmen, sind der
Umgang der Gesellschaft mit den Wahlen, die Kandidaten und ihr Wahlprogramm sowie die
allgemeinen sozialen Probleme der Gesellschaft.
Im Kapitel ‚Schlusswort’ wird abschließend eine Gesamtbewertung der Situation für
die Presse in Aserbaidschan folgen, in die die Erkenntnisse aus den vorherigen Kapiteln mit
einfließen werden. Aus dieser wird die Schlussfolgerung gezogen werden, ob die Presse in
Aserbaidschan in den letzten Jahren etwas zur politischen und gesellschaftlichen Veränderung
beigetragen hat und folglich die ihr in demokratischen Gesellschaften zugeschriebene Rolle
erfüllt.
Zur Umschrift von Namen, Titeln und anderen Texten: Aserbaidschanisch-türkische
Ausdrücke in ursprünglich (arabisch-)persischer Schrift werden gemäß dem System der
Deutschen Morgenländischen Gesellschaft transkribiert. Bei modernen aserbaidschanischtürkischen Wendungen orientiere ich mich an dem seit 1993 in der Republik Aserbaidschan
gültigen Schriftsystem. Eine Ausnahme stellt der im Aserbaidschanischen beibehaltene
kyrillische Buchstabe /ə/ bzw. Э dar, welcher durch ä/Ä wiedergegeben wird. Begriffe, die im
Deutschen gebräuchlich sind, wie Nachitschevan, Berg-Karabach usw., werden in dieser Form
beibehalten.
*
Derzeitiger Forschungsstand
Über die Frage der Rolle der aserbaidschanischen Presse im Allgemeinen oder über
die Presse im Transformationsprozess gibt es bislang im deutschsprachigen Raum keine
wissenschaftlichen Arbeiten oder Dokumentationen, sieht man von Veröffentlichungen von
Nichtregierungsorganisationen und ausländischen Regierungsstellen ab. Es gibt zahlreiche
Arbeiten zu den Transformationsprozessen selbst und zur Transformation in den
osteuropäischen Ländern sowie auch zum Interdependenzgefüge zwischen Politik und Presse.
Zu Aserbaidschan existieren zu diesem Thema nur wenige Forschungsarbeiten.
Diese Arbeiten zu Aserbaidschan haben jedoch einen religionswissenschaftlichen,
historischen, kulturellen, ökonomischen oder ethischen Schwerpunkt im Zusammenhang mit
der politischen Entwicklung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Hier wären als
Hauptvertreter in der deutschen Forschung zu nennen: Volker Adam, Eva-Maria Auch,
Ingeborg Baldauf, Uwe Halbach, Raoul Motika und Rainer Wirminghaus-Freitag. Die
Literatur im englisch- und französischsprachigen Raum ist sehr vielfältig. Das
Themenspektrum berücksichtigt die oben genannten Aspekte, jedoch mit stärkerer
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Akzentuierung auf die gegenwärtigen Entwicklungen; aber auch hier findet sich keine Arbeit
über die Presse Aserbaidschans in der Gegenwart. Zu den Arbeiten zur historischen
Presselandschaft Aserbaidschans gehört die Arbeit von Volker Adam, ferner die Arbeiten von
Alexandre Bennigsen, Urszula Doroszewska (in Uncaptive Minds), Elizabeth Fuller (in
RFE/RL), Grigor Ronald Suny, Tadeusz Swietochowski und Aufsätze aus Caucasian
Regional Studies.
Ein kleiner Exkurs
Die politische Arena in Aserbaidschan ist grundsätzlich in zwei Lager zu teilen, die
regierende Elite und die Opposition. Ersterem gehören der Präsident Ilham Äliyev und dessen
Klan an, dem zweiten gehören die Parteien Yeni Müsavat, AXCP (Azärbaycan Xalq Cäphäsi)
und AMIP (Azärbaycan Milli Istiqlal Partiyası) an. Es hat sich bei der Anwendung der
akteursorientierten Transformationstheorie herausgestellt, dass die vorgegebenen Kategorien
der Theorie nicht in allen ihren Vorgaben wieder gefunden wurden. Die Spaltung der
herrschenden Eliten sowie das gleichzeitige Entstehen beziehungsweise Erstarken von
bedeutsamen oppositionellen Gruppen ist ein in den Transformationstheorien als Beginn eines
Demokratisierungsprozesses beschriebenes Merkmal. Diese Merkmale treffen auf das
Aserbaidschan Anfang der 90er Jahre zu. In den Jahren 1989/90 bis 1992 wurde die
aserbaidschanische politische Elite eingeteilt in einen prosowjetischen konservativen Flügel,
durch den Politiker Wezirov verkörpert und einen „liberalen“ Flügel mit starken
nationalistischen Tendenzen, unter dem Präsidenten Aserbaidschans Mütallibov (s. dazu
Kapitel 2). In den Jahren 1989/90 bis 1993 entstand die erste politische Opposition in der
Bewegung AXC unter Äbülfäz Elçibäy. Weitere Voraussetzungen der Transformationstheorie
wurden in Aserbaidschan nicht erfüllt. Nach den Entwicklungen der ersten Jahre folgten nur
noch Fortschritte in der Gesetzgebung, die dann aber auch nicht umgesetzt wurden. Als eine
weitere
Voraussetzung
für
eine
erfolgreiche
Demokratisierung
nennt
die
Transformationstheorie vorautoritäre Strukturen, die ebenso nicht auf Aserbaidschan
zutreffen. Damit sind eventuell vorhandene Erfahrungen mit einem demokratischen
Regierungssystem gemeint. Eine vorautoritäre demokratische Erfahrung in diesem Sinne ist in
Aserbaidschan nicht zu finden. Es gibt keine Überreste von Parteien aus einer demokratischen
Vergangenheit. Die Einteilungsmuster für die beteiligten Akteure in Hard- und Softliner (s.
Kapitel 1) lässt sich nicht auf die gegenwärtig agierenden Akteure in Aserbaidschan
übertragen (jedoch kann dieses Muster auf die Akteure Anfang der 90er Jahre angewendet
werden). Dieses Einteilungsmuster ist weder in der gegenwärtigen Regierung noch in der
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gegenwärtigen Opposition zu finden. Beide Seiten sind in ihren politischen Vorstellungen
verhärtet, d. h., es gibt keinen Dialog zwischen Opposition und Regierung. Taktische
Koalitionen zwischen den Lagern sind nicht zu erkennen. Auch die besondere Rolle des
Militärs in der akteursorientierten Transformationstheorie stimmt mit der Situation des
Militärs in Aserbaidschan nicht überein. Das Militär in Aserbaidschan spielt überhaupt keine
selbstständige Rolle, sondern ist vielmehr eine Marionette des Präsidentenapparates. Keiner
der politischen Akteure fürchtet das Eingreifen des Militärs. Eher wird die Opposition von der
Polizei unterdrückt, die wiederum ihre Anweisungen direkt von der Regierung erhält. Das
Militär in Aserbaidschan ist schwach und arm, es wird abseits aller politischen Agitationen
gehalten.
Die Freiheitshoffnungen der Journalisten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
waren zunächst überzogen. Das unmittelbar nach dem Systemwechsel bestehende Hochgefühl
wurde kurze Zeit später – vornehmlich nach 1994 – von einer umfassenden Enttäuschung der
Journalisten, Menschenrechtler abgeloest. Ab 1994 wird die Pressezensur in Aserbaidschan
offiziell abgeschafft. Das Land wird 2000 zwar Mitglied des Europarates und im gleichen Jahr
wird ein Massenmediengesetz nach liberal-pluralistischen Wertevorstellungen verabschiedet,
jedoch dominieren immer noch die Staatsmedien oder Medien in der Hand der Oligarchien.
Unabhängigen und oppositionellen Medien wird dagegen das Existenzrecht abgesprochen.
Die Steuerpolizei übernimmt hier die Rolle der ausführenden Kraft und unter fingierten
Steuerproblemen werden Redaktionen geschlossen. Gerichtsverfahren und Verurteilungen zu
drakonischen
Geldstrafen
sind
an
der
Tagesordnung
in
Aserbaidschan.
Die
Einschüchterungsversuche des administrativen Systems schrecken weder vor brutaler
physischer Gewalt noch vor der Ermordung von Journalisten zurück. Hinzu kommt auch, dass
viele Menschen unter finanziellen Engpässen leiden. Die „neue“ Generation der Journalisten
in Aserbaidschan – dies geschieht ungeachtet ihrer beruflichen Qualifikation – setzt sich allen
Bedrohungen zum Trotz für die Presse- und Meinungsfreiheit ein.
Im Laufe eines guten Jahrzehnts hat die Presse im postsowjetischen Aserbaidschan –
auch im Vergleich zu den anderen turkmenischen Staaten Zentralasiens und des Kaukasus –
revolutionäre Veränderungen erlebt. Die Abschaffung der Zensur, die aus dem Boden
schießenden oppositionellen und „unabhängigen“ Zeitungen, eine Vielzahl von Fernseh- und
Rundfunksendern schaffen trotz deren Regierungstreue eine Medienvielfalt, wie es sie in der
sowjetischen Vergangenheit nicht gab.
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