1940. Ein Tunnel für Hitlers Sonderzug. Gastbeitrag TZ 99-10-22

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TaunusZeitung 22.10.1999
Zeitungsserie: „Das Jahrhundert im Taunus“. Heute 1940
Ein Tunnel für Hitlers Sonderzug
Hasselborn.
Es war 1940: Am 10. Mai 1940 griff Hitlers Wehrmacht die Benelux-Länder und danach
auch Frankreich an. Die für den Westfeldzug ausersehene Befehlszentrale war das Führerhauptquartier “Adlerhorst” in Ziegenberg/Wiesental, das dort mit einem Riesenaufwand
ab Sommer 1939 gebaut wurde.
Diese militärischen Planungen sollten auch einschneidende Auswirkungen auf den “Hasselborner Tunnel” zwischen Gävenwiesbach und Hasselborn und seine nähere Umgebung haben. Dieser Eisenbahntunnel war bis dahin eine lokal bedeutende Verkehrsverbindung. So wurde er bereits Ende 1939 zum “Führertunnel” erklärt – in ihm sollte der
Sonderzug von Hitler bombensicher untergestellt werden können.
Im Frühjahr 1940 untersuchten Generalstabsoffiziere die Umgebung des im Bau befindlichen Führerhauptquartiers “Adlerhorst”, um einen möglichen Standort für ein beigeordnetes Hauptquartier des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, Hermann Göring, zu finden. Ihre
Wahl fiel auf Hasselborn, einem Dorf mit damals nur etwa 120 Einwohnern, das wegen
seiner Nähe zu Ziegenberg, seiner relativen Abgeschiedenheit und seinem Eisenbahntunnel ideal war.
Das dafür passende Gelände wurde umgehend beschlagnahmt. Zuerst verlegten Soldaten der Luftnachrichtentruppe ihre Fernsprech- und Fernschreibwagen nach Hasselborn.
Telefonleitungen wurden nach Ziegenberg zum Führerhauptquartier “Adlerhorst” verlegt,
aber auch nach Usingen, wo die zentrale Nachrichtenknoten-Vermittlungsstelle für das
Führerhauptquartier unter der Erde lag.
Im Juni kamen fünf- bis zehntausend Mann der Organisation Todt (einer paramilitärischen
Bautruppe) sowie von Luftwaffenbaueinheiten, um das Luftwaffenhauptquartier in Hasselborn innerhalb von nur vier Wochen aufzubauen.
Es wurden 23 Holzbaracken errichtet, vierzehn davon an der Eisenbahnstrecke vom
Bahnübergang bis zum Tunnel. Der Bahnhof Hasselborn erhielt erhöhte Holzbahnsteige
und zwei Empfangspavillons. Für Göring war ein großes, getarntes Blockhaus vorgesehen. Weiterhin wurden zwei Schwimmbäder und eine große Kantine gebaut. Die Straßen
wurden überall befestigt, auf einer Wiese wurde sogar ein kurzes Flugfeld für kleinere Kurierflugzeuge vom Typ Fieseler “Storch” angelegt. An der Stelle des heutigen Dorfgemeinschaftshauses stand damals ein großes Zelt für den umfangreichen Fuhrpark. Im
Gasthaus “Onkel Max” wurde die Ortskommandantur und in einem Anbau das Offizierskasino eingerichtet.
Der Ort Hasselborn, der “Hasselborner Tunnel” und sein Grävenwiesbacher Tunnelausgang wurden zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Das gesamte Gelände wurde von einer Kompanie des “Wachregiments Hermann Göring” und einem Zug der Feldgendarmerie gesichert. Die Zufahrtsstraßen wurden mit Schranken abgesperrt. Die Bewohner erhielten besondere Ausweise, damit sie den Ort betreten konnten. Insgesamt sieben Flakstellungen wurden in der Nähe errichtet.
Das Luftwaffenhauptquartier erhielt zur Tarnung die Bezeichnung “R.A.B.-Ausladestelle
Hasselborn/Ts.” (R.A.B. = Reichsautobahn). Doch die damals rege Bautätigkeit dürfte bei
den Alliierten nicht ganz unbemerkt geblieben sein, denn es wurden in der Umgebung
auch Flugblätter gefunden mit dem Text: “Hasselborn im Loch – wir finden dich doch!”
Mit dem Baubeginn wurde der Eisenbahnverkehr zwischen Grävenwiesbach und Hasselborn unterbrochen und durch Autobusse von Grävenwiesbach bis nach Brandoberndorf
ersetzt.
Nach dem “Blitzkrieg” im Westen stand Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er plante
jetzt die Invasion Englands durch die deutsche Wehrmacht, die sogenannte Operation
“Seelöwe”. Dazu gab er am 16. Juli 1940 seine Weisung “Über die Vorbereitungen einer
Landungsoperation gegen England” heraus. Als Befehlszentrale war sein inzwischen fertiggestelltes Führerhauptquartier “Adlerhorst” in Ziegenberg vorgesehen. Die beigeordneten Hauptquartiere der Oberbefehlshaber von Heer, Marine und Luftwaffe sollten im Umkreis von höchstens 50 km von Ziegenberg aus liegen. Das traf für die Hauptquartiere der
Luftwaffe in Hasselborn, aber auch für die von Heer und Marine in Gießen zu.
Doch zuerst einmal mußte Großbritannien von der deutschen Luftwaffe invasionsreif gebombt werden. Die Schlacht um England begann am 10. Juli 1940 und wurde in mehreren Etappen verstärkt und ausgeweitet. Doch die Luftwaffe sollte im Herbst am unterschätzten englischen Widerstandswillen scheiterten. Das Unternehmen “Seelöwe” mußte
aufgegeben werden.
So erlangte das Luftwaffenhauptquartier Hasselborn auch nie seine vorgesehene Bedeutung. Bis zum Herbst 1941 wurde die anfangs sehr zahlreiche Bewachung immer weiter
verringert und dann ganz abgezogen. Lediglich ein kleineres Polizeikommando blieb zurück. Die Anlagen verfielen in einen Dornröschenschlaf, ebenso wie große Teile des Führerhauptquartiers “Adlerhorst” und von Schloß Kransberg.
Ab Oktober 1941 wurde der “Hasselborner Tunnel” für den zivilen Eisenbahnverkehr wieder freigegeben – doch, wie sich später zeigen sollte, nur bis zum Frühjahr 1944.
Bernd Vorlaeufer-Germer
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