Pariser Historische Studien Bd. 55 2000

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Pariser Historische Studien
Bd. 55
2000
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AHLRICH MEYER
»DIE FRIEDLICHEN ZEITEN SIND VORÜBER.
WIR BEFINDEN UNS IM FEINDESLAND!«
UNTERNEHMEN DES DEUTSCHEN
MILITÄRBEFEHLSHABERS ZUR BEKÄMPFUNG DES
MAQUIS IN DEN DEPARTEMENTS
AIN UND DORDOGNE IM FRÜHJAHR 1944
I.
Die Geschichte der Bekämpfung der französischen Widerstandsbewegung
durch die deutsche Besatzungsmacht ist bis heute ein Desiderat der Forschung
geblieben. Als der Militärhistoriker Hans Umbreit in seiner 1968 erschienenen
Monographie über den Militärbefehlshaber in Frankreich auf »die Bekämpfung der Résistance mit militärischen Mitteln« einging, konstatierte er, daß
»auf Grund der schlechten Quellenlage der Ablauf dieser Kämpfe [...] noch
weitgehend unerforscht« sei1. An diesem Befund hat sich in den vergangenen
drei Jahrzehnten nichts geändert, doch weiß ich nicht, ob ein Mangel an Quellen dafür verantwortlich gemacht werden kann. Ich möchte den Versuch machen, auf der Basis von Dokumenten vorwiegend deutscher Provenienz sowie
von Akten der französischen Militärgerichtsbarkeit einen Überblick über die
Radikalisierung der deutschen Maßnahmen zur »Bandenbekämpfung« in
Frankreich seit Anfang des Jahres 1944 zu geben, und dazu drei größere »Säuberungsunternehmungen« der Wehrmacht näher beleuchten, die kaum mehr
bekannt sein dürften: die unter den Decknamen »Aktion Korporal«, »Aktion
Brehmer« und »Unternehmen Frühling« im Februar, März und April 1944 in
den Departements Ain und Dordogne durchgeführten Strafexpeditionen, die
sich gleichermaßen gegen den Maquis wie gegen die Zivilbevölkerung richteten. Die militärische Seite der Ereignisse und die Entwicklung des Maquis
bilden nicht das Thema meines Beitrags.
1
Hans UMBREIT, Der Militärbefehlshaber in Frankreich 1944-1944, Boppard 1968, S.
147; s. auch DERS., Les Allemands face à la lutte armée, in: La Résistance et les Français.
Actes du colloque international de Besançon, publiés sous la dir. de François MARGOT, Paris 1996, S. 201-210. Die Abhandlung von Hans LUTHER, Der französische Widerstand
gegen die deutsche Besatzungsmacht und seine Bekämpfung, Tübingen 1957, ist wegen ihres apologetischen Charakters unbrauchbar.
588
Ahlrich Meyer
Für die Auswahl und den Untersuchungszeitraum sprechen mehrere Gründe: Diese Unternehmen fanden in der alleinigen Verantwortung des Militärbefehlshabers statt, und sie lagen zeitlich noch vor der Landung der Alliierten
in der Normandie, standen also nicht im Zusammenhang mit den militärischen
Operationen des Sommers 1944. Daß die in der Südzone gelegenen Departements Dordogne und Ain zum Schauplatz solcher »Säuberungsaktionen« wurden, hatte zweifellos etwas mit der dortigen Konzentration des Widerstands
zu tun, zumal diese Gebiete fur die Sicherung der deutschen Verbindungsund Nachschubwege strategisch nicht unwichtig waren. Gleichwohl handelte
es sich keineswegs um vereinzelte Aktionen. Die im Zeichen oder unter dem
Vorwand der »Bandenbekämpfung« durchgeführten Repressionsmaßnahmen
nahmen, auch das ist in der historischen Forschung kaum dokumentiert, bereits im Frühjahr 1944 ein massenhaftes und flächendeckendes Ausmaß an.
Sie gehören zur Erprobungsphase des offenen Besatzungsterrors in Frankreich
und zur Vorgeschichte der Massaker von Tulle und Oradour-sur-Glane.
Daß Oradour zum Symbol für deutsche Kriegsverbrechen wurde, hat paradoxerweise dazu beigetragen, über die Rolle der Wehrmacht in Frankreich
hinwegzusehen und das Bild einer weitgehend korrekten Besatzungsherrschaft
zu zeichnen. Der von einer aus dem Osten verlegten Einheit der Waffen-SS,
der 2. SS-Panzerdivision »Das Reich«, beim Durchmarsch an die Normandiefront verübte Massenmord an 642 Kindern, Frauen und Männern wurde zu
einem singulären Ereignis, zu einem einmaligen Übergriff erklärt, während die
Frage nach den Kontinuitäten und der schrittweisen Eskalierung der Repressionspolitik, wie sie die deutsche Militärverwaltung in Frankreich betrieben hat
und die von den ersten Geiselexekutionen des Herbstes 1941 bis zu den »Säuberungsunternehmen« des Frühjahrs 1944 reicht, weitgehend ausgeblendet
blieb. So ist auch bis heute ungeklärt, ob die Deutschen ihre Strategie zur Bekämpfung der französischen Partisanen aus den Osterfalirungen übertragen
oder in Frankreich selbst entwickelt haben.
II.
Auf die komplizierten Organisationsverhältnisse und Zuständigkeiten im
»Heeresgebiet Südfrankreich« kann ich hier ebensowenig näher eingehen wie
auf die militärische Befehlslage. Der erste »Bandenkampfbefehl« war bekanntlich der sog. »Sperrle-Erlaß«, ein Befehl des Oberbefehlshabers West
vom 3. Februar 1944, der am 12. Februar vom Militärbefehlshaber in Frank-
»Die friedlichen Zeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
589
reich übernommen und erweitert wurde2 und der auch für die Südzone Geltung hatte. Der Tenor dieser und aller späteren Befehle bis zum Sommer 1944
lautete, daß die Truppe auch bei Übergriffen nicht mit Sanktionen rechnen
mußte und daß Angehörige der französischen Widerstandsbewegung, selbst
wenn sie als Kombattanten gekennzeichnet waren, grundsätzlich als »Freischärler« zu behandeln seien. Was das bedeutete, war klar. So formulierte der
Chef des OKW, Keitel, am 4. März einen weiteren Erlaß zur »Bekämpfung
von Terroristen«, in dem es hieß, Freischärlerei hat die Truppe im Kampf zu
erledigen*. Bei anderweitiger Festnahme drohte die Todesstrafe.
An diesen Befehlen ist zweierlei bemerkenswert. Zum einen galt damit ab
Februar/März 1944 auch für den Westen und das besetzte Frankreich, daß im
Partisanenkrieg keine Gefangenen gemacht werden sollten. Das »Niedermachen« von »Freischärlern«, das Abbrennen von Häusern, Gehöften und ganzen Ortschaften und vor allem auch die Ausweitung von Repressionsmaßnahmen auf die unbeteiligte Zivilbevölkerung wurde von oben gedeckt. Zu
scharfe Maßnahmen, hieß es wörtlich im Sperrle-Erlaß, können angesichts
der derzeitigen Lage kein Grund zur Bestrafung sein. Die Befehle waren so
weitreichend, daß die dadurch eingeleitete Brutalisierung der deutschen
Kampffiihrung sich im Laufe des Jahres 1944 als kontraproduktiv erwies und
von einzelnen Truppenfuhrern begrenzt werden mußte. Bereits Anfang März
gab der Oberbefehlshaber West gegenüber dem OKW zu bedenken:
Terroristen, Saboteure, ihre Helfer und Mitwisser und alle verdächtigen
Subjekte werden schon mit einer Härte angefaßt, die sich nicht mehr steigern
läßt Ob. West würde auch drakonische Maßnahmen gegen weitere Kreise
nicht scheuen, wenn sie die geringste Aussicht auf Erfolg hätten. Dies ist
nach langen und gründlichen Erfahrungen im Westen [siel] nicht der FallA
Zum anderen fällt auf, daß von deutscher Seite ein kriegs- und völkerrechtlicher Diskurs über den Status der »Freischärlerei« bemüht wurde, um die Anerkennung der Maquisards als Kombattanten auszuschließen und deren Tötung zu rechtfertigen. Das ideologisch aufgeladene Feindbild, das den Partisanen- und Guerillakampf als feigen Angriff aus dem »Hinterhalt« zu delegitimieren suchte, während die Deutschen selbst längst alle Grenzen des Völkerrechts überschritten hatten, verweist letztlich auf die Unfähigkeit, sich der
Realität des Widerstands im besetzten Frankreich des Jahres 1944 zu stellen.
So gaben die von oben kommenden Befehle eine - in Ost- und Südosteuropa
2
IMT 34-242, Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) Freiburg, RH 19 IV/131 u. RW
35/551.
3
4
BA-MA, RW 35/551; NOKW 2575.
OB West an OKW/WFSt, 1.3.1944, BA-MA, RH 19 IV/131.
590
Ahlrich Meyer
eingeübte und praktizierte - Strategie vor, die den Terror gegen die Zivilbevölkerung richtete, weil die Partisanen nicht zu greifen waren.
Allerdings war die Situation in Frankreich durch ein Zusammenwirken zwischen den Initiativen des Militärbefehlshabers, den Vorgaben des Oberbefehlshabers West und den Handlungsspielräumen der Truppe gekennzeichnet.
Noch bevor überhaupt zentrale Befehle zur »Bandenbekämpfung« aus Berlin
vorlagen, leitete der Militärbefehlshaber von Stülpnagel - in enger und zumeist als erfolgreich bezeichneter Zusammenarbeit mit der Sicherheitspolizei
und dem SD - im Winter 1943/1944 eine Welle von Repressionsmaßnahmen
ein, um eine weitere Ausdehnung der Widerstandsbewegung im Süden des
Landes zu verhindern. Denn seit Herbst 1943 war es den Besatzern klar, daß
die französische Résistance zu einem Massenphänomen geworden war - vor
allem, weil sich immer mehr Refraktäre der Zwangsarbeit entzogen und dem
Maquis anschlossen, der sich in den unzugänglichen Regionen der Alpen und
des Zentralmassivs sammelte. Die Meldungen über Anschläge auf Wehrmachtsangehörige und Kollaborateure, über Sabotage an militärisch wichtigen
Eisenbahnlinien, Industrieanlagen, Strom- und Fernsprechleitungen nahmen
beständig zu, die Deutschen sahen erstmals ihre Sicherheit gefährdet. Ein Bericht des Militärbezirkschefs Dijon mußte bereits im September 1943 konstatieren, daß die friedlichen Zeiten [...] vorüber waren:
Wir stehen z. Zt. im schärfsten Partisanenkampf Wir müssen diese Gruppen
im schnellen Zusammenfassen erledigen. Nicht der Feind darf uns beunruhigen, sondern wir dürfen ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Jede Woche muß
eine Bande fallen /5
Im Zeitraum von September 1943 bis Januar 1944 verdichteten sich die Truppeneinsätze gegen den Maquis, man zog französische Polizeiverbände heran,
zugleich wurde der Mangel an eigenen Repressionskräften beklagt. Ad hoc
zusammenstellte Einheiten, zumeist bestehend aus den Sicherungsregimentern
des Militärbefehlshabers, Reserve-Divisionen, Feldgendarmerie und SD, gelegentlich auch Ordnungspolizei, führten zahlreiche kleinere und größere Aktionen zur »Bekämpfung von Terroristen und Widerstandsgruppen« durch, bei
denen Lager »ausgehoben« und zunehmend Partisanen »im Kampf erschossen« wurden, wie die Einsatzberichte des Militärbefehlshaber verzeichnen.
Wie sehr sich die >moderate<, >westlich< orientierte Besatzungspolitik in Frankreich Anfang 1944 gewandelt hatte, zeigt ein Dokument des Marinegruppenkommandos West, in dem die »Erfolge« der von den Truppen des Militärbefehlshabers zusammen mit der Sipo-SD durchgefilhrten »Maßnahmen gegen
Terroristen und Kommunisten im Januar 1944« zusammengefaßt wurden. Es
heißt dort:
5
Befehlshaber im Bez. Nordostfrankreich, 23.9.43, BA-MA, RW 35/1281.
»DiefriedlichenZeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
591
In allen Fällen wird den Terroristen gegenüber schonungslos durchgegriffen.
Wo erforderlich, werden in sofortiger Vergeltung Kollektivstrafmaßnahmen
durchgeführt Hierunter fallen zahlreiche sofortige Erschießungen sowie
umfangreiche Verhaftungen mit anschließender Überstellung der Verhafteten
zur Zwangsarbeit in das Reich. Häuser und Gehöfte, aus denen geschossen
wurde, werden seit mehreren Wochen grundsätzlich sofort niedergebrannt. 6
III.
Die ersten großräumig geplanten Unternehmen zur »Bandenbekämpfung«, bei
denen erhebliche militärische Kräfte aufgeboten wurden, fanden im Februar,
März und April 1944 in den Departements Ain, Haute Savoie und Dordogne
statt. In diesem Zeitraum mußten die Deutschen eine weitere Steigerung von
Anschlägen und Sabotageakten des französischen Widerstands verzeichnen.
Über die militärische Großoperation auf dem Plateau des Glières (Haute-Savoie), die zur Unterstützung der französischen Polizei und Miliz angesetzt war
und unter Führung des Kommandeurs der 157. Reserve-Division vom 25. bis
31. März 1944 mit der Zerschlagung der bislang stärksten Konzentration des
Maquis in den Alpen endete, ist in der französischen historischen Literatur
viel geschrieben worden. Ich beziehe mich hier auf zwei Aktionen im benachbarten Departement Ain, die in engem zeitlichen und strategischen Zusammenhang mit den Kämpfen in Hochsavoyen standen: die »Aktion Korporal«,
die vom 5. bis 13. Februar 1944 durchgeführt wurde, und das vom 7. bis 18.
April 1944 ablaufende »Unternehmen Frühling«, bei dem wiederum die 157.
Reserve-Division eingesetzt war.
Für die »Aktion Korporal« wurden u.a. das Sicherungsregiment 200, weitere bereits im Einsatz gegen »Banden« erfahrene, motorisierte und mit schweren Waffen ausgerüstete Truppenteile, Feldgendarmerie sowie der Sicherheitsund Ordnungspolizei - darunter Kräfte des SS-Polizeiregiments »Todt« - herangezogen; allein die Wehrmacht war mit über 2 000 Mann beteiligt. Die Planung und Koordination dieser Aktion, die im Zuständigkeitsbereich des
Kommandanten des Heeresgebiets Südfrankeich lag, erfolgte in den letzten
beiden Januarwochen im Hauptverbindungsstab 590 Lyon, zweifellos unter
Beteiligung des Kommandeurs der dortigen Sipo-SD. Dabei wurde die westlich der Rhône gelegene Gebirgsregion zwischen Ambérieu, Ruffieux, Bellegarde, Nantua und Poncin, die als »stark mit Terroristen verseucht« galt, in
einen Einsatz- bzw. »Säuberungsraum« A und B unterteilt, man legte einen
Ring von »Wehrmacht-Stützpunkten« fest, innerhalb dessen »Jagdkomman6
Marinegruppenkommando West, 5.3.1944, BA-MA, RW 35/45; NOKW 175.
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Ahlrich Meyer
dos« (Jakos) der Polizei operieren sollten, und beschloß »vorbeugende Maßnahmen« gegen die Zivilbevölkerung (Aufenthaltsbeschränkung, Post- und
Telefonsperre, Verbot des Kraftfahrzeug- und Fahrradverkehrs, Eisenbahnsperre, Sperrstunde). Ziel der »Aktion Korporal«, die überraschungsartig beginnen und in zwei Phasen verlaufen sollte, war laut Einsatzbefehl für die
Wehrmacht:
nach völliger Absperrung der Einsatzräume diese von Terroristen und ihren
Helfern zu säubern, Waffen und sonstiges Material sicherzustellen. 7
Die Berichte des Militärbefehlshabers und Kommandanten des Heeresgebietes Südfrankreich weisen aus, daß bei diesem »Sonderunternehmen« im Departement Ain 75 Terroristen im Kampf getötet, 456 verhaftet und insgesamt
64 Lager vernichtet wurden8. Nach Ermittlungen von französischer Seite
handelte es sich allerdings um zahlreiche Ziviltote und niedergebrannte Häuser9. Entscheidender als die statistische Bilanz, die in den Augen der Deutschen offenbar in keinem rechten Verhältnis zum militärischen Aufwand
stand, dürften die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse über den Maquis gewesen sein, die für künftige Operationen dieser Art zu nutzen waren.
Als logistisches Problem erwies sich die »Beweglichmachung« der schnell zusammengezogenen Verbände und die Bereitstellung von Lastkraftwagen; dazu
kam die winterliche Witterung im Gebirge, die zum vorzeitigen Abbruch der
Aktion führte. Der Einsatz der Luftwaffe zur Aufklärung bzw. Bombardierung
der schwer erreichbaren Partisanenunterkünfte wurde fortan für zweckmäßig
erklärt. Die angewandte Repressionsstrategie und ihre demonstrative Auswirkung auf die Zivilbevölkerung verbuchte man dagegen als eigentlichen Erfolg,
obwohl das Gebiet auch nach deutscher Einschätzung keineswegs von den
Maquisards »gesäubert« worden war. In einem »Bericht über die Tätigkeit der
eingesetzten Wehrmachtteile bei der Aktion >Korporal< gegen Terroristen«
vom 17. Februar 1944 wurde festgehalten;
Der Planung des Unternehmens lag der Gedanke zugrunde, den Terroristen
in einem größeren Raum die Versorgungsbasis zu zerschlagen, sie selbst zu
jagen und ihre Unterkünfte zu zerstören. [...] Außerdem galt es, in einem
größeren Gebiet im besonderen die Autorität zu sichern und den Beweis zu
7
Sicherungsregiment 200, »Betr.: Aktion >Korporal< [...] Einsatzbefehl für die Wehrmacht«, 2.2.1944, Archives nationales (AN) Paris, AJ/40/983, dr. 6.
** Militärbefehlshaber in Frankreich, »Einsatzbericht fur die Monate Januar und Februar 1944«, 15.3.1944, BA-MA, RW 35/30.
9
Siehe Dossier zur Operation vom 5. - 13.2.1944 in: Archives Départementales (AD)
Ain, W 286; sowie »Le Bilan des opérations de >nettoyage< des troupes allemandes dans
de département de l'Ain (Début février 1944)«, CFLN/Commissariat à l'Intérieur/ SCDD,
9.4/24.4.1944, AN, F/la/3898.
»Die friedlichen Zeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
593
erbringen, daß größere Aktionen sehr wohl durchgeführt werden können [...].
Darüberhinaus wird der Zuzug zu den Terroristen nachlassen, nachdem endlich einmal gezeigt worden ist, welche Strafen den treffen, der Terroristen
versorgt, sie beherbergt oder zu ihnen gehört^.
Zwei Monate später meldete der Militärbefehlshaber in Frankreich den Abschluß eines neuen Unternehmens im Departement Ain-Jura, bei dem 148
Terroristen getötet, 869 Terroristen und Verdächtige festgenommen und 204
Terroristenlager und Unterkünfte abgebrannt worden waren11. Es handelte
sich um das »Unternehmen Frühling«, mit dem die 157. Reserve-Division, als
zunehmend erfahrene Spezialeinheit der Wehrmacht fiir den Partisanenkampf
in Gebirgsregionen, Ende März in unmittelbarem Anschluß an die Niederkämpfung der Terroristengruppen auf dem Plateau von Glières vom Kommandanten des Heeresgebietes Südfrankreich beauftragt wurde und das vom
7. bis 18. April 1944 im Raum zwischen St. Laurent, Clairvaux, Arinthod,
Nantua, Bellegarde und Gex stattfand - nördlich des früheren »Einsatzraums
B« 12 . Daß sich in diesem Gebiet, in dessen Zentrum Oyonnax liegt, größere
Gruppen des Maquis aufhielten, von denen insbesondere die Eisenbahnanschläge auf den Strecken nordöstlich von Lyon ausgingen, war den Deutschen
aufgrund von Ermittlungen des SD klar. Zusammen mit dem Lyoner Chef der
Sipo-SD, Knab, wurde ein Vorgehen festgelegt, das auf den Erfahrungen des
»Unternehmens Korporal« aufgebaut war. Wiederum wurde der »zu säubernde Raum« in zwei Zonen geteilt und abgesperrt, über die französische Zivilbevölkerung wurden die gleichen »vorbeugenden Maßnahmen« verhängt, und
zu den Planzielen gehörte neben der »Aushebung der Terroristenlager« u.a.
die Verhaftung von Personen, die der Unterstützung der Maquisards verdächtigt wurden, sowie
derjenigen Personen zwischen 18 und 40 Jahren, die sich dem Arbeitseinsatz
in Deutschland bzw. dem kriegswichtigen Einsatz in Frankreich entzogen
hatten^.
Auf diese Weise wurde die »Bandenbekämpfung« des Frühjahrs 1944 auch
direkt mit der Militarisierung der Arbeitskräfteaushebung verknüpft14.
10
Abschnitts-Kommandeur Aktion »Korporal«, 17.2.1944, AN, AJ/40/983, dr. 6.
KTB OB West, 21.4.1944, BA-MA, RH 19 IV/33.
12
157. Reserve-Division, »Bericht über das unternehmen Frühling< vom 7. - 18. April
1944«, 15.5.1944, BA-MA, RH 28-8/5.
13
Ebd.
14
Beispielsweise wurden am 9.4.1944 bei Razzien eines Jagdkommandos der Wehrmacht im Stadtgebiet von Oyonnax »etwa 100 arbeitsunwillige Franzosen festgenommen
und dem S.D. übergeben«; ebd., Anlage 4. - Gleichzeitig wurde eine unbekannte Anzahl
von Juden verhaftet.
11
594
Ahlrich Meyer
Im Gegensatz zu der Operation vom Februar kam es diesmal zu starken
Gefechten zwischen den Widerstandskräften, die das »schluchtenreiche, unübersichtliche Waldgelände« beherrschten, und den »Jagdkommandos« der
Wehrmacht. Außerdem wurden Aufklärungsflugzeuge von Lyon aus eingesetzt. Was in den Wehrmachtsberichten als fortschreitende Säuberung des
Gebirgsgeländes westl. des Genfer Sees bezeichnet wurde15, war jedoch französischen Quellen zufolge weniger durch militärische Konfrontation, als durch
Razzien, Massaker an Zivilisten, Plünderungen und Brandstiftungen gekennzeichnet16. Der abschließende Bericht der 157. Reserve-Division kam zu dem
Ergebnis, daß es gelungen sei, die im südlichen Jura festgestellte starke Terroristenorganisation völlig zu zerschlagen, was sich als irrig erweisen sollte.
Entscheidend aber schien den Deutschen auch diesmal der Erfolg gegenüber
der Zivilbevölkerung:
Außerdem wurde durch das Unternehmen die franzfösischej friedliche Bevölkerung, die an sich den Terroristen ablehnend gegenübersteht, von dem
scharfen Druck der Banden befreit und in dem verseuchten Gebiet Ruhe und
Ordnung sowie die Autorität der deutschen Besatzungsmacht wieder voll
hergestellt^.
Die bei dem »Unternehmen Frühling« gewonnenen Erfahrungen sollten ursprünglich, wiederum von der 157. Reserve-Division, in einer unmittelbar anschließenden Säuberungsaktion im Bergland des Vercors genutzt werden, die
dann bekanntlich bis zum Juni 1944 verschoben wurde. Zudem war es offenbar zwischen der Truppe und dem SD zu Differenzen über die Art des Vorgehens im »Bandenkampf« gekommen, die sowohl taktischer als auch grundsätzlicher Natur gewesen sein dürften. Jedenfalls hielt es der Divisions-Kommandeur Generalleutnant Pflaum fur wichtig, daraufhinzuweisen, daß die von
ihm angeregte Mitwirkung der französischen Miliz beim »Unternehmen Vercors« vom SD abgelehnt wurde, weil die Miliz angeblich zu wenig Erschießungen vornimmt und zu wenig Häuser abbrennen läßt. Da aber - selbst
nach deutschen Angaben - auch während des »Unternehmens Frühling« zahlreiche Personen »auf der Flucht erschossen« und Fermen niedergebrannt worden waren, führte der fur das Unternehmen verantwortliche Kommandeur der
157. Reserve-Division vorsorglich an:
15
KTB OB West, Anl., 12.4.1944, BA-MA, RH 19 IV/36.
Siehe die Bilanz der Operation vom 7. - 17.4.1944 in: AD Ain, 180 W 286; ferner
die dem CFLN übermittelten Berichte vom 31.5., 7.674.7. und 14.6/28.6.1944, AN, F/la/
3762 und F/la/3898; sowie Commissariat de la République, Mémorial de l'Oppression.
Région Rhône-Alpes, Lyon 1945, S. 75 f
17
157. Reserve-Diviston, »Bericht über das unternehmen Frühling< vom 7.-18. April
1944«, 15.5.1944, BA-MA, RH 28-8/5.
16
»DiefriedlichenZeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
595
Es steht zweifelsfrei fest, daß die harten Maßnahmen, die der SD trifft, für die
Befriedigung [sie] eines Gebietes günstig sind. Die Landeseinwohner scheuen sich, Terroristen aufzunehmen, zu verpflegen oder sonstwie zu fördern,
weil sie um Leben und Gut bangen. Den Soldaten aber sind diese Maßnahmen ausgesprochen unsympathisch weil sehr oft Unschuldige unter diesen
Maßnahmen zu leiden habend .
IV.
Während bei den beiden Unternehmen im Departement Ain noch der Anschein eines militärischen Vorgehens gegen den Maquis zu wahren versucht
wurde, hatte die vom 25./26. März bis Anfang April in der Dordogne ablaufende »Aktion Brehmer« den Charakter einer reinen Strafmaßnahme, bei der
marodierende deutsche Kolonnen die französische Bevölkerung einschüchterten. Wiederholt hatte der Präfekt des Departements den Einsatz von starken französischen Polizeikräften gegen die zunehmende Präsenz des Maquis
in der Region gefordert, nun nahmen die Deutschen das Heft selbst in die
Hand. In den Meldungen des Militärbefehlshabers in Frankreich und im
Kriegstagebuch des Oberbefehlshabers West wurde dieser Aktion eine besondere Bedeutung eingeräumt, zumal sie zeitlich mit den Kämpfen auf dem
Plateau des Glières zusammenfiel. Am 27. März 1944 hieß es:
Lt. Meldung Mil. Bef in Frankreich 2 größere Unternehmen zur Terroristenbekämpfung angelaufen.
Erstes Unternehmen unter Führung eines Generals und Einsatz von 7 Batl.
im Dep. DordogneW.
Gemeint war der Generalmajor Walther Brehmer, der beim Kommandanten
von Groß-Paris für Sicherungsaufgaben zuständig war und kurzfristig zum
Kommandeur der sogenannten »Division Brehmer« aufstieg, die aus verschiedenen Einheiten - u.a. dem Georgischen Infanterie-Bataillon 799, Bataillonen
dreier Sicherungsregimenter sowie einem Flakbataillon - zusammengestellt
und dem Kommandanten des Heeresgebiets Südfrankreich in der zweiten
Märzhälfte vorübergehend zur Terroristenbekämpfung zugeteilt wurde20.
Brehmer nahm in Périgueux Quartier, von wo aus seine Kampfgruppe, die ih-
18 Ebd.
KTB OB West, 27.3 1944, BA-MA, RH 19 IV/24.
20
Kommandant des Heeresgebietes Südfrankreich, »Tätigkeitsbericht für die Monate
Januar, Februar und März 1944«, 8.4.1944, BA-MA, RW 35/1324; Tribunal militaire permanent de Bordeaux, Acte d'accusation ... dans l'affaire concernant: Brehmer, Walt[h]er,
Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen (ZStL) Ludwigsburg, Frankreich-Dokumente
4/5224-5225.
19
596
Ahlrich Meyer
ren eigenen Sicherheitsdienst hatte, in enger Zusammenarbeit mit dem Chef
der örtlichen Sipo-SD (Hambrecht) und dem Kommandeur der Sicherheitspolizei Limoges (Meier) weiträumig operierte21.
Der Versorgungsbefehl für die »Aktion Brehmer«, der am 20. März 1944
erging, läßt das Ausmaß des geplanten Unternehmens und die Schwierigkeiten der »Beweglichmachung« erkennen, wofür Kraftfahrzeuge und Betriebsstoff in erheblichem Umfang beschafft werden mußten22. Beginnend mit den
Ortschaften Riberac und Mussidan und dem Forêt de la Double, in denen der
Maquis vermutet wurde, durchquerten Brehmers schwerbewaffhete Verbände,
aufgeteilt in mehrere Kommandos, innerhalb von acht Tagen große Teile des
Departements Dordogne von Westen nach Osten bis Terrasson, um von dort
im April weiter in die Corrèze zu ziehen. Selbst aus den überlieferten deutschen Tagesmeldungen kann man die Blutspur ablesen, die sie hinterließen.
So wurden angeblich
»am 30.3. 25 Lager zerstört, 12 Terroristen erschossen, 277 Personen festgenommen«, »am 31.3. 18 Lager und 35 Häuser zerstört, 24 Terroristen erschossen, 107 Personen festgenommen«, »am 1.4. 10 Lager, 27 Häuser zerstört, 19 Terroristen erschossen« .23
Am 26. und am 27. März wurden, nach voraufgegangenen Überfällen von
Partisanen auf deutsche Truppen und Angehörige der Sipo-SD, in Brantôme
und in Ste. Marie-de-Chignac insgesamt 49 Häftlinge aus den Gefangnissen
Limoges und Périgueux, darunter zahlreiche kurz zuvor verhaftete Juden, im
Rahmen von »Sühnemaßnahmen« erschossen24. Am 31. März 1944 brannte
die Wehrmacht die gesamte Ortschaft Rouffignac bis auf die Kirche nieder25.
Die Deutsche Botschaft in Paris, die zu diesem Zeitpunkt offenbar über genauere Informationen und Zahlen als der Oberbefehlshaber West verfugte,
gab in der ersten Aprilwoche einen Bericht des französischen Präfekten telegraphisch nach Berlin weiter, aus dem hervorging, daß
die in der Dordogne eingesetzten Verbände die Dörfer besetzen und diejenigen Personen standrechtlich erschießen [sollen], die der Widerstandsbewegung materielle Hilfe leisten«.
2
1 Auf die Heranziehung der »Phalange africaine«, einer Hüfspolizei in deutschen Diensten, kann ich hier nicht eingehen.
22
Kommandant des Heeresgebietes Südfrankreich, »Versorgungsbefehl. Betr.: Aktion
Brehmer«, mit Anlage, 20.3.1944, AN, AJ/40/983, dr. 5.
23
KTB OB West, 1.4., 2.4. u. 3.4.1944, BA-MA, RH 19 IV/33.
24
Le Préfet du Département de la Dordogne à M. le Chef du Gouvernement ..., 27.3.
und 28.3.1944, AN, F/lcIII/î 151; Note des Vorsitzenden der Französische Abordnung bei
der Deutschen Warfen still Standskommission, 21.6.1944, RF-392.
2
^ La Terreur en Dordogne. Rouffignac, Mussidan, Saint-Astier, Ribérac etc., Périgueux s.d. [1944],
»Die friedlichen Zeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
597
Gleichzeitig führte die Botschaft den Bericht des Militärbefehlshaber in
Frankreich an, wonach
bis 31.3. 75 Lager und 35 Häuser zerstört, 166 Personen getötet und 208
festgenommen worden [sind]. Ferner wurden als Vergeltungsmaßnahme wegen Sympathiekundgebungen der Bevölkerung mit Terroristen das Dorf
Roujfinioc [= Rouffignac] bei Périgueux verbrannt«. 26
Die Erfolgsbilanz schließlich, die der Oberbefehlshaber West am 17. April für
die beiden Unternehmungen zur Bekämpfung der Widerstandsbewegungen in
den Departements Haute-Savoie und Dordogne vorlegte, bezifferte die »Feindverluste« dabei auf »350 Tote, rd. 1 500 Gefangene«; zudem seien »200 Gehöfte und 1 Dorf« niedergebrannt worden27.
Für die »Aktion Brehmer« kann man allerdings mit Gewißheit festhalten,
daß die Verluste nicht den Maquis trafen, sondern daß es sich in der Mehrzahl
um ermordete Zivilisten handelte. Nach dem Krieg in Frankreich angestellte
Nachforschungen bestätigten den bereits von den Vichy-Behörden ermittelten
Sachverhalt, daß Brehmers Einheiten vom ersten Tage an summarische Erschießungen, Plünderungen und Brandstiftungen vornahmen. In mehr als fünfzig Ortschaften der Dordogne wurden hunderte von Zivilisten massakriert,
zahllose Häuser, Fennen und einzelne Schlösser wurden geplündert und abgebrannt, Kunstschätze wurden geraubt, Wälder gingen in Flammen auf, eine
unbestimmte Anzahl von Männern, die man als Arbeitsdienstverweigerer verdächtigte, wurde verhaftet und deportiert28.
Um nur die Ereignisse eines einziges Tages zu verifizieren: Das Kriegstagebuch des Oberbefehlshabers West gibt für den 1. April 1944 die Zahl der
»erschossenen Terroristen« mit 19 an. Tatsächlich töteten die Deutschen an
diesem Tag in verschiedenen Dörfern östlich von Périgueux französischen
Angaben zufolge mindestens 21 Personen, die - zumeist aufgrund ihrer Namen und der Lebensmittelkarten - als jüdische Flüchtlinge deutscher, elsässischer und osteuropäischer Herkunft identifiziert worden waren. So umstellte
ein aus Thenon angerücktes deutsches Kommando, etwa 200 Soldaten der
»Division Brehmer« und nicht näher bezeichnete SS, am Morgen des 1. April
die Gemeinde Sainte-Orse, begann mit Durchsuchungen und ließ auf der Mairie feststellen, welche Einwohner des Ortes Juden waren. Acht Männer überwiegend höheren Alters, alles elsässische Juden, die sich in Sainte-Orse und
26
Deutsche Botschaft Paris an AA, 6.4.1944, in: Ludwig NESTLER, Friedel SCHULZ,
Die faschistische Okkupationspolitik in Frankreich 1940-1944, Berlin 1990, S. 307.
27
OB West, »Feindlagebeurteilung vom 17.4.44«, BA-MA, RH 19 IV/133.
28
»Liste des personnes tuées au cours des opérations de répression effectuées par les
troupes allemandes«, Périgueux, 7.4.1944, AD Dordogne, 1 W 1802; Tribunal militaire
permanent de Bordeaux, ZStL, 4/5225-5226.
598
Ahlrich Meyer
Umgebung verborgen hielten, und ein Dorfbewohner, der ihnen Quartier gewährt hatte, wurden auf der Stelle erschossen oder zu einem nahegelegen
Sportfeld geführt und dort umgebracht; die übrigen Familienmitglieder wurden
deportiert, die Häuser der Quartiergeber wurden angezündet29. Die gleichen
Mordszenen, bei denen die Opfer mehrheitlich Juden waren, wiederholten
sich in diesen Tagen u.a. in Brantôme, Château-l'Evêque, Azerat, La Bachellerie, Hautefort, Tourtoirac, Excideuil...
In der Dordogne reiht sich ein Dorf an das andere, in denen Juden, die seit
1939/40 in großer Zahl in diese ländliche Region Südwestfrankreichs geflohen waren und dort Unterkunft gefunden hatten, wenige Monate vor der Befreiung ermordet wurden. Die Deutschen machten sich wenig Mühe, aufgegriffene Personen, die sie für Juden hielten, zur Deportation zu überstellen, sondern brachten sie an Ort und Stelle um - jedenfalls die Männer, während man
Frauen und Kinder auf die letzten Transporte in die Vernichtungslager des
Ostens schickte. Mindestens ein Drittel aller von der Wehrmacht gezählten
»Feindverluste« während der Dordogne-Aktion waren jüdische Opfer30, derer
man leicht habhaft werden konnte, wogegen die französischen Widerstandskämpfer kaum zu fassen waren. Damit setzte im Frühjahr 1944 erstmals eine
Phase des »wilden« Judenmords auf französischem Territorium ein - eine Tatsache, die in der Forschung bislang unberücksichtigt geblieben ist. Auch die
erwähnten Massenhinrichtungen von »Geiseln«, die die Sipo-SD Limoges am
26. und 27. März in Brantôme und Ste. Marie-de-Chignac durchführen ließ und
für die überwiegend Juden ausgewählt wurden, sind in diesem Zusammenhang
zu sehen; allerdings gehörte die Verknüpfung von Repressalien mit antijüdischen Maßnahmen seit 1941 zur Praxis der deutschen Militärverwaltung31.
Daß die »Aktion Brehmer«, die vom Militärbefehlshaber zur Widerstandsbekämpfüng angesetzt war, sich zu einem Unternehmen entwickelte, das
hauptsächlich durch Exzesse und Judenmord gekennzeichnet war, läßt sich
nicht mit Willkürakten und individuellen Übergriffen erklären. Im Gegenteil
29
»Opération de police par les troupes allemandes en Dordogne«, CFLN/Commissariat
à Flntérieur/SCDD, 17.5.1944, AN, F/1 a/3762; s. auch Tribunal militaire permanent de
Bordeaux, ZStL, 4/5251-5252.
30
»Liste des personnes tuées au cours des opérations de répression effectuées par les
troupes allemandes«, Périgueux, 7.4.1944, AD Dordogne, 1 W 1802 führt 78 getötete Juden auf; Serge KLARSFELD, Memorial to the Jews deported from France 1942-44, New
York 1983, S. 642-654, nennt 115 Namen, unter denen sich die in Brantôme und Ste. Marie-de-Chignac erschossenen Geiseln befinden; s. auch ZStL, 114 AR-Z 31/67, Bl. 261.
31
Siehe Ahlrich MlîYER, »... daß französische Verhältnisse anders sind als polnische«.
Die Bekämpfung des Widerstands durch die deutsche Militärverwaltung in Frankreich
1941, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik 14 (1997) S.
43-91.
»Die friedlichen Zeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
599
scheint es durch Befehle gedeckt gewesen zu sein. Alle Quellen lassen jedenfalls auf eine geplante Vorgehensweise schließen.
V.
Nach einer Meldung des Militärbefehlshabers in Frankreich wurden allein im
Monat April 1944
durch die Truppe, Feldgendarmerie und Sicherheitsdienst bei 3 großen und
138 kleineren Unternehmen 569 Terroristen erschossen, 4 463 festgenommen, außerdem 528 Personen dem Arbeitseinsatz zugeführt«^
In diesen Angaben ist die mörderische Bilanz der »Aktion Brehmer«, die im
April in der Corrèze fortgesetzt wurde, und des »Unternehmens Frühling« im
Departement Ain enthalten. Ziel dieser »Säuberungsunternehmungen«, deren
»gute Erfolge« alle deutschen Stellen hervorhoben, noch bevor sie abgeschlossen waren, war nicht allein die Zerschlagung des Maquis und seiner materiellen Infrastruktur, der Lager und Unterstützungsnetze. Dies gelang ohnehin nur
selten, etwa bei der Operation auf dem Plateau des Glières. Vielmehr wurde
die Zivilbevölkerung zunehmend in Repressionsmaßnahmen einbezogen, und
zwar ganz unabhängig davon, ob auf deutscher Seite der Verdacht bestand,
daß die Grenzen zwischen Loyalität und Résistance unter den Franzosen fließend geworden waren. Der offene Terror wurde nun auch in Frankreich als
Strategie eingesetzt. Der Grund dafür dürfte nicht zuletzt in der Verschärfung
der seit Anfang 1944 geltenden Befehlslage zu suchen sein. Zugleich ist eine
innere Radikalisierung der deutschen Repressionsmaßnahmen zu beobachten.
Man muß wohl davon ausgehen, daß gerade das Scheitern einer militärisch
erfolgreichen Bekämpfung des Maquis, das jedenfalls in der Dordogne offenkundig war, einen wesentlichen Faktor der Eskalation und Brutalisierung bei
solchen Unternehmen bildete und sich in präventiven Einschüchterungsmaßnahmen und Racheakten an faktisch unbeteiligten Zivilisten niederschlug. In
seiner Einschätzung der während der »Aktion Brehmer« verübten Gewalttaten
kam das französische Militärgericht in Bordeaux zu dem Schluß, daß das Unternehmen auf einen »vollständigen Fehlschlag« hinausgelaufen war und sich
Brehmers Division »offenbar aus Rache durch ihre Verbrechen auszeichnete« 33 . Zugleich hielt das Gericht die bemerkenswerte Tatsache fest, daß die
Deutschen überall »einheitliche Methoden« angewandt und offenbar »nach
klaren Direktiven« gehandelt hatten:
32
33
OKH, Tagesmeldung West, 5.5.1944, BA-MA, RH 2/569; NOKW 481 u. 1307.
ZStL, 114 AR-Z 31/67, Bl. 9, 39.
600
Ahlrich Meyer
Les méthodes employées par les troupes de Brehmer sont caractéristiques:
Après avoir cerné une localité, les Allemands interrogent le Maire, les habitants sur la présence du maquis dans leur commune. Invariablement les
réponses sont négatives. Alors ces Allemands s'emparent d'otages, souvent
des Israélites réfugiés dans la région, les abattent, pillent, incendient, se
livrent à toutes sortes de crimes. Ils tirent impitoyablement sur tous les civils
qu'ils rencontrent sur les routes [...].
En dépit de tous ces crimes, l'opération entreprise par Brehmer se traduisit
par un échec puisque ses troupes dévastèrent la région sans réellement rencontrer le maquis et par conséquent, sans pouvoir le réduire. «34
Das konforme Vorgehen aller eingesetzten Truppenteile läßt nicht nur auf eine
eindeutige Befehlslage schließen, sondern auch auf eine Akkumulation von
Erfahrungen. Weil die Kerne des Maquis der direkten Konfrontation aus wichen, griffen die Deutschen zu Methoden, die eher den Charakter von Polizeimaßnahmen und Strafexpeditionen gegen die Bevölkerung als von militärischen Aktionen hatten. Es bildete sich ein Grundmuster von »Säuberungsunternehmungen« der Wehrmacht heraus, das den systematischen Terror vorwegnahm, den die SS-Division »Das Reich« wenige Monate später in Zentralfrankreich verbreitete: Die Truppen umstellten planmäßig größere Gebiete,
besetzten die Dörfer, nahmen nach vorbereiteten Listen eine »Sichtung« aller
männlichen Bewohner vor, führten summarische Hinrichtungen durch, plünderten, brannten Gehöfte und Weiler nieder, verhafteten Refraktäre und jüdische Flüchtlinge, die nicht ihren Kugeln zum Opfer gefallen waren, um sie
dem SD zu übergeben.
Mehr noch womöglich als durch die realistische Annahme, daß die drohende Zwangsarbeit viele junge Männer in den Untergrund trieb, war die Praxis
der »Bandenbekämpfung« durch die Fiktion bestimmt, der antideutsche Widerstand werde von Juden angeführt. Dieses Thema beherrschte die deutsche
Propaganda im Frühjahr 1944. So findet sich in einer zu propagandistischen
Zwecken aufgenommenen Photoreportage der Wehrmacht, die unter dem Titel »Der rote Maquis in Frankreich« von der Zensur freigegeben wurde, die
folgende Bildlegende:
Die Anführer der Banden sind Juden, geflüchtete Rotspanier und englische
Agenten, die meist gutgekleidet und mit großen Geldsummen versehen sind.
Ihre Gefolgsmänner rekrutieren sich fast ausschließlich aus arbeitsscheuem
Gesindel.«3$
34 Tribunal militaire permanent de Bordeaux, ZStL, 4/5225-5226.
35
Bundesarchiv (BA) Koblenz, Bild Nr. 83/77/14 A; s. auch Ahlrich MEYER, La fin
d'un maquis en France vue par la Wehrmacht, in: La Lettre des résistants et déportés juifs,
N° 39, Mai - Juin 1998, S. 11-15.
»Die friedlichen Zeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
601
Ein auf den 19. März 1944 datierter Presseartikel der Propagandakompanie
619, verbreitet unter der Überschrift »Schwerer Schlag gegen die MaquisBanden«, benutzte die gleiche Sprache, wobei auch hier die Arbeitsdienstverweigerer als »Mitläufer« bezeichnet wurden:
In mehreren großangelegten Aktionen wurden in Mittel- und Südfrankreich
unter Mitwirkung des Deutschen Sicherheitsdienstes zahlreiche Terroristenbanden in ihren Schlupfwinkeln aufgestöbert, festgenommen und unschädlich
gemacht. [...]
Wer waren die Anführer der Terroristen? Wir haben die Gesichter der Festgenommenen betrachtet [...] Es sind die Gesichter von Juden, geflüchteten
Rotspaniern und englischen Agenten. «36
Im Unterschied zum städtischen Guerillawiderstand insbesondere der FTPMOI war der Anteil von Juden unter den Maquisards, soweit wir wissen,
nicht übermäßig groß oder dominant. Aber die Gleichsetzung von Partisanen,
»Freischärlern« und Juden funktionierte als Propaganda- und Feindbild, nicht
nur weil es aus dem Partisanenkrieg in Osteuropa geläufig war, sondern weil
die Repressionspolitik des Militärbefehlshabers sich seit 1941/42 in erster Linie gegen Juden und Kommunisten gerichtet hatte.
Fazit
Zusammenfassend kann man sagen, daß es auch in Frankreich - und zwar nicht
erst nach der Landung der Alliierten - im Rahmen der Partisanenbekämpfung
eine Zunahme von Kriegsverbrechen gegeben hat, die man in ihrer quantitativen Dimension nicht mit den Verbrechen im Osten oder auf dem Balkan vergleichen kann, die jedoch den Weg nach Oradour weisen und die Massaker der
Wehrmacht und der SS während des Rückzugs aus Frankreich ankündigen.
In der hier untersuchten Phase der Besatzungszeit war das Verhältnis zwischen der Mehrheit der Franzosen und dem Maquis keineswegs eindeutig.
Aber die deutsche Militärverwaltung wie die Truppe besaß kaum eine adäquate
politische Einschätzung der französischen Résistance, sondern folgte ihren eigenen Feindbildkonstruktionen. Die Maquisards wurden als »Freischärler« bezeichnet, um Völkerrechtsnormen bei der Partisanenbekämpfung außer Kraft
zu setzen. Unter dem Vorwand, die Bevölkerung von dem »Druck der Banden«
zu befreien und die eigene Autorität wiederherzustellen, eskalierte der Terror
gegen Zivilisten. Blieb die Repressionspolitik des Militärbefehlshabers anfänglich im Jahr 1941/42 auf die Ausgrenzung »unerwünschter« Bevölkerungsgruppen - vor allem von Juden und Kommunisten - beschränkt, so zeichnet
36
BA-MA,RW4/v.804.
602
Ahlrich Meyer
sich seit 1943/44 eine deutliche Wende ab. Sie ist charakterisiert erstens
durch die systematische Ausweitung der Repression auf die Zivilbevölkerung,
zweitens durch die Verbindung des Kampfs gegen Partisanen mit der Zwangsrekrutierung französischer Arbeiter und drittens durch die gezielte Ermordung
von Juden im Rahmen von »Säuberungsunternehmungen« der Wehrmacht.
Die drei dargestellten Operationen in den Departements Ain und Dordogne
wurden vom Kommandanten des Heeresgebiets Südfrankreich angeordnet und
lagen damit in der Verantwortung des deutschen Militärbefehlshabers. Auch
wenn die übergeordneten »Bandenkampfbefehle« nicht ohne Einfluß auf das
Verhalten der eingesetzten Kommandos geblieben sein dürften, ist eher davon
auszugehen, daß sich eine Systematik des Vorgehens und eine Einübung des
Terrors erst in der Aufeinanderfolge der Aktionen herausbildete. Die Wehrmacht hat offensichtlich in Frankreich selbst Erfahrungen im Partisanenkampf
gesammelt, zumal bei den Operationen im Frühjahr 1944 keine aus dem Osten
kommenden Verbände, sondern vorwiegend die dem Militärbefehlshaber unterstellten Sicherungs- bzw. Reservetruppen verwendet wurden. Bei allen drei
Unternehmen, deren Erfolge gegen den Maquis zweifelhaft waren, fielen hunderte von Zivilpersonen summarischen Erschießungen zum Opfer. Jedesmal
handelte es sich auch um eine mit militärischen Mitteln vorgenommene Arbeitskräfteaushebung im Zusammenhang der sogenannten Sauckel-Programme. Andererseits ist der Unterschied zwischen den Operationen im Departement Ain, bei denen der militärische Rahmen nicht völlig aufgelöst wurde,
und dem Vorgehen von Brehmers Horden in der Dordogne nicht zu übersehen. Namentlich die gezielte Suche nach jüdischen Flüchtlingen und ihre Erschießung an Ort und Stelle war eine Besonderheit der »Aktion Brehmer«.
RÉSUMÉ FRANÇAIS
L'exposé se base sur des documents provenant surtout de sources allemandes ainsi que sur
des dossiers de la justice militaire française, et essaie de donner une vue d'ensemble sur
l'évolution et la radicalisation de la stratégie allemande dans la lutte contre le maquis en
France depuis le début de l'année 1944. Pour cela, nous regarderons de plus près trois
grandes »opérations de nettoyage« de la Wehrmacht dans les départements de l'Ain et de
la Dordogne: »l'Action Korporal«, »l'Action Brehmer« et »l'Opération Printemps«.
Les mesures de répression prises sous le signe ou le prétexte de la lutte contre les
maquisards, prirent, déjà au printemps 1944, une ampleur de large envergure. L'étude en
vient à la conclusion qu'à cette occasion, en France aussi, il y eut manifestement terreur
contre la population civile et une escalade de crimes de guerre que l'on ne peut toutefois
pas comparer par leur ampleur avec les crimes à l'Est. Néanmoins, ces crimes commis au
printemps 1944 appartiennent aux antécédents d'Oradour-sur-Glane et ils annoncent les
massacres de la Wehrmacht et des SS pendant la retraite en France.
»Die friedlichen Zeiten sind vorüber. Wir befinden uns im Feindesland!«
603
Les trois opérations ci-présentées, réalisées dans les départements de l'Ain et de la Dordogne, eurent lieu sous la seule responsabilité du Commandant militaire en France et
précédèrent le débarquement des Alliés en Normandie. Ils n'étaient donc pas en relation
avec les évéments militaires de Tété 1944. Même si les ordres de la »lutte contre les bandes« venant de Berlin n'étaient sans doute pas sans influence sur l'attitude des commandos
allemands, on peut dire que la systématisation et la pratique de la terreur évoluent au fil
des actions elles-mêmes, surtout qu'au printemps 1944, on n'utilisait encore aucune unité
ayant une »expérience de l'Est«, mais généralement des troupes de réserve ou de sécurité,
sous l'ordre du Commandant militaire. Au cours des trois »opérations de nettoyage«, dont
le succès contre le maquis fut douteux, des centaines de civils furent victimes d'exécutions
sommaires. Chaque fois, il s'agissait aussi d'une relève d'ouvriers français, exécutés avec
des moyens militaires dans le contexte des programmes Sauckel. D'autre part, la différence
entre les opérations dans le département de l'Ain, pour lesquelles le cadre militaire ne fut
pas entièrement supprimé et l'action de la soi-disant »Division Brehmer« en Dordogne,
n'est pas à négliger. Notamment les exécutions en masse de réfugiés juifs sur place étaient
une particularité de cette dernière l'action.
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