Nicht alles übersetzen – konzentrieren Sie sich auf folgende Phänomene (wie besprochen): --> mehr Relativsätze --> mehr Nebensätze --> Temporalsätze einfache Vokabeln! Nach seiner Amtszeit wurde Verres als Propraetor nach Sizilien geschickt. In dieser Provinz blieb er drei Jahre, obwohl normalerweise eine solche Statthalterschaft ein Jahr dauerte. Aber im Jahr 72 war sein designierter Nachfolger Q. Arrius außerstande, sein Amt anzutreten, da er einen (am Ende glücklosen) Feldzug gegen aufständische Soldaten führte. 71 dann bestätigte der Senat Verres für ein weiteres Jahr auf seinem Posten in Syrakus, weil man befürchtete, die von Spartakus befehligten Sklaven könnten über die Meerenge von Messina setzen und auf der Insel strategisch wichtige Positionen einnehmen. Die Erinnerung an die beiden vorausgegangenen Sklavenkriege war noch nicht erloschen. Um diese Zeit war den Senatoren das Ausmaß der Übergriffe ihres Statthalters weitgehend bekannt. Die Affäre Sthenius und Ciceros diesbezügliche Rede hatten ihnen die Augen geöffnet, trotzdem müssen zwei Überlegungen sich zugunsten von Verres ausgewirkt haben. Zum einen die Sorge um die Verteidigung Siziliens. Ob zu recht oder zu Unrecht, Verres galt als fähiger oder zumindest tatkräftiger Militär, als Mann für kritische Lagen, und auf jeden Fall schien es unvernünftig, im Augenblick der Gefahr den Kommandeur der nicht besonders starken Schutztruppe auf der Insel abzulösen. Ein neuer Statthalter hätte gweiss langsamer reagiert. Aber es gab vermutlich noch einen zweiten Grund: Die gleichen Senatoren, die aus Rücksicht auf Verres' Vater, ihren Kollegen, den Beschluss bezüglich Sthenius' noch nicht formuliert hatten, diese Senatoren hatten nichts dagegen, die Rückkehr des Proprätors hinauszuschieben. Denn nur solange er dieses Amt innehatte, war er geschützt gegen eine Strafverfolgung, die unweigerlich auf ihn zukommen würde, wäre er erst Privatmann. Verres verließ Sizilien Anfang Januar des Jahres 70. Er landete in Velia an der lucanischen Küste, von wo aus er auf dem Landweg Rom erreichte. Cicero sah in Velia, als er dort einige Monate später durchkam, das prachtvolle Schiff, das Verres und den Ertrag seiner Raubzüge übers Meer befördert hatte. Verres war noch nicht in Rom eingetroffen, hatte noch nicht einmal die Insel verlassen, da hatten schon die sizilischen Städte – mit Ausnahme von Messina und Syrakus – Bevollmächtigte zu Cicero geschickt. In ihrem Namen sollte er gegen ihren ehemaligen Prätor Anklage de repetundis erheben. Ein Repetundenprozess war der Versuch, Gelder zurückzuholen, die ein Statthalter illegal aus dem Land gezogen hatte. Warum beauftragten sie Cicero? Offenbar weil er neben Hortensius der berühmteste Redner war. Die Sizilier wussten, dass sie mit ihrem Anliegen, das den Senatsinteressen zuwiderlief, nicht zu Hortensius kommen konnten, dem erklärten Sympathisanten der patrizischen Nobilität – und in der Tat verteidigte er Verres. Cicero war den patres weniger verpflichtet, auch wenn er es in den vorausgegangenen Jahren vermieden hatte, für die populares Partei zu ergreifen. Andererseits hatte er aufgrund seiner Anständigkeit, seines Gerechtigkeitssinns, seiner liebenswürdigen Umgangsformen in Sizilien einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen. In allen Städten der Insel war er der geschätze Gastfreund der angesehensten Bürger gewesen, und jedermann war bekannt, dass er ungemein viel für die hellenische Kultur übrig hatte. Alles Gründe, die zählten. Warum aber akzeptierte Cicero diesen Auftrag, der ihm die Position des Anklägers einbrachte? Mit siebenunddreißig Jahren war er kein Anfänger mehr, weder vor den Gerichten noch in der Politik, und bekanntlich war die Rolle des Anklägers den jüngeren Leuten vorbehalten. Was bewog ihn also, eine Anklage gegen Verres einzureichen? Einige Gründe nennt Cicero am Schluss seiner Rede Divinatio in Q. Caecilium, auf die wir gleich zu sprechen kommen. Er betont, schließlich gebe es ja ein Gesetz zum Tatbestand "Erpressung von Geldern durch Staatsbeamte", und es wäre absurd, es zum Schutz der Provinzialen nicht heranzuziehen. Auch moralisch seien die Römer gebunden, sie müssten ihre Verbündeten, die sich auf die römische fides verlassen hätten, schützen. Wenn man diese Aufgabe unerfahrenen jungen Leuten überantwortet, verletzt man damit nicht das Treueverhältnis, nimmt man nicht mit der einen Hand wieder weg, was man mit der andern bietet? [aus: Pierre Grimal, Cicero, München 1988, S. 132-134]