1 Deutscher Bauerntag 2008 Mitgliederversammlung am 30. Juni 2008 in Berlin Gerd Sonnleitner Präsident des Deutschen Bauernverbandes Es gilt das gesprochene Wort! ____________________________________________ I. Liebe Berufskollegen, Delegierte, Junglandwirte, sehr geehrte Gäste, ich begrüße Sie alle herzlich zu diesem ersten Deutschen Bauerntag, den wir als DBV in unserer 60-jährigen Geschichte in Berlin abhalten. Nicht nur deshalb ist es ein besonderer Bauerntag. Wer hätte gedacht, dass Landwirtschaft und Ernährung je wieder so stark im Zentrum des öffentlichen und politischen Interesses stehen. Von daher freut es uns, dass die Spitze der Politik bei uns ist, die Bundeskanzlerin, die Fraktionsvorsitzenden, die zuständige EU-Kommissarin und der zuständige Bundesminister! Wer hätte gedacht, dass wir als DBV ausgerechnet in der Meinungsführerschaft bei Milch gefordert werden! Deshalb kommt dieser Bauerntag als Vollversammlung unserer Delegierten – voran den Kreisvorsitzenden – zur rechten Zeit. Von daher ist es gut, dass auch die Spitze des Landfrauenverbandes und der Landjugend hier ist und eine große Zahl von Junglandwirten. Wir haben ein volles, ein anspruchvolles Programm an zwei Tagen. Wir gehen auf das ein, was unsere Bauernfamilien umtreibt – 2 vom Ackerbau bis zu den Sonderkulturen, von der Milcherzeugung bis zur tierischen Veredlung, vom Ökolandbau bis zur Bioenergie, von der Agrarsozialpolitik bis zum Umweltund Bildungsbereich. Ob heute und morgen hier in diesem Saal, ob nachher in den Fachforen bei Botschaften und Landesvertretungen, oder heute Abend im Haus der Land- und Ernährungswirtschaft – ich lade Sie herzlich zum Mittun ein! Wie gesagt, das ist der erste Deutsche Bauerntag in Berlin. Erstmals sind wir als DBV selber Gastgeber. Wir haben uns 2004 auf einer unvergessenen Mitgliederversammlung aus Bonn und dem Rheinland verabschiedet. Doch hatten wir immer schon – wie man sagt – einen Koffer in Berlin. Die Grüne Woche war immer ein Wahrzeichen Berlins, auch in Zeiten, als die Mauer diese Stadt und Deutschland in Ost und West trennte. Die Grüne Woche war immer ein Zeichen der Hoffnung auf eine Wiedervereinigung auch der deutschen Bauern (dafür stand wie eine deutsche Eiche unser Ehrenpräsident Constantin Freiherr Heereman!) Von Berlin aus wirkte der unvergessene Andreas Hermes auf die Gründung des Deutschen Bauernverbandes hin, die vor 60 Jahren in München – wo sonst – vollzogen wurde. Vor 60 Jahren auch hat Ludwig Erhard die Grundlagen für die Soziale Marktwirtschaft geschaffen – eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Wenig später folgten die ersten Schritte der europäischen Integration – auch das eine Erfolgsgeschichte mit heute 27 Mitgliedstaaten. Ob es um die bäuerliche Interessenvertretung geht oder um die deutsch-deutsche Einigung oder um die Europäische Integration. 3 Es sind herausragende historische Leistungen – nur möglich geworden durch die Verbindung von visionärem Denken und klugem pragmatischen Handeln. Dieser Bauerntag in Berlin ist deshalb ein Weckruf. Das Motto: „Tradition. Verantwortung. Zukunft.“ weist den Weg. Wir wissen, wo wir herkommen. Wir wissen, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, ist kein Zuckerschlecken. Wir wissen aber auch, dass wir Bauern alle Chancen für die Zukunft haben und dafür einen schlagkräftigen Berufsstand brauchen, der für alle da ist, der aber auch die Enden zusammenhält! Wir brauchen im Berufsstand Brückenbauer, keine Grabenzieher! II. Sehr geehrte Frau Kommissarin Fischer Boel, seien Sie uns herzlich willkommen! Umso mehr, da Sie mit Ihren Vorschlägen gerade die deutschen Bauern herausgefordert haben. Das schätze ich an Ihnen: Sie gehen den Problemen nicht aus dem Weg, sondern pflegen einen offenen Dialog auch vor Ort! Wir wissen, dass wir uns Herausforderungen des Marktes und den Ansprüchen der Gesellschaft stellen müssen. Wir erwarten dann aber, dass auch die Europäische Kommission im Health Check fair mit uns umgeht! 4 Was bis 2013 bzw. 2015 zugesagt wurde, muss jetzt auch politisch verlässlich gehalten werden! Seit die Gemeinsame Agrarpolitik in eine erste und eine zweite Säule aufgeteilt wurde, gibt es ständig Ärger. Dieser Streit ist so überflüssig wie ein Kropf, denn wir brauchen doch beides, ein florierende Landwirtschaft und florierende ländliche Räume. Was wir aber nicht brauchen, ist ein gegenseitiges Auseinanderspielen und Auseinanderdividieren. Frau Fischer Boel, hier wende ich mich ganz persönlich an Sie. Wir deutschen Bauern tragen ein Kombi-Flexi-Gleitmodell, eine totale Entkopplung mit einheitlichen Flächenprämien, mit. Damit werden aber noch ganz erhebliche Schwierigkeiten und Anpassungen verbunden sein – das soll ja niemand vergessen! Frau Kommissarin, Herr Bundesminister, es bleibt bei einem klaren Nein der deutschen Bauern für weitere Kürzungen über eine höhere Modulation und progressive Modulation! Sie, Frau Kommissarin, haben an anderer Stelle doch bewiesen, dass trotz anfänglich harter Kontroversen am Ende tragfähige Lösungen möglich sind! Ich denke hier an den Bürokratieabbau bei der Betriebsprämie, wo durch Ihre Initiative einige Giftzähne gezogen wurden. Ich denke auch an die äußerst hitzigen Kontroversen um die Reform der europäischen Weinmarktordnung noch vor einem Jahr, wo es dann aber doch zu einem versöhnlichen und guten Ergebnis gekommen ist! Was für den Wein gilt, muss erst recht für die Milch gelten! Milch ist unser Schlüsselprodukt. 5 Milch ist von herausragender Bedeutung für die menschliche Ernährung, von herausragender Bedeutung für die Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und Molkereiwirtschaft, von herausragender Bedeutung für die Erhaltung und Pflege der Kulturlandschaften. Milch ist mehr als Markt – Milch ist vor allem auch Gesellschaftspolitik. Frau Kommissarin, was Brüssel im Rahmen des Health Check zur Milch vorschlägt, trägt all dem nicht Rechnung, Es ist ja so und die Politik hat entschieden, dass die Milchquote im Jahr 2015 ausläuft. Wir akzeptieren das – aber nicht bedingungslos. Damit eine Anpassung ohne Angst und Panik möglich ist, brauchen wir sowohl ein Begleitprogramm als auch eine klare Perspektive für die Milchbauern über den Tag hinaus! Wir brauchen hierfür einen Milchfonds, der langfristig abgesichert und eigenständig finanziert ist! Bei Zucker, Wein oder Obst und Gemüse ist doch Vergleichbares gelungen. Dies ist, Frau Kommissarin Fischer Boel, Herr Bundesminister Seehofer, eine kardinale Forderung der deutschen Landwirtschaft. Wir möchten auch und gerade in unseren Grünland- und Mittelgebirgsregionen gesunde Milchviehbetriebe haben – und zwar über den Tag des Quotenendes hinaus! Wir bezweifeln, ob es zu der von Brüssel angepeilten „sanften Landung“ kommt. Wir fürchten, dass diese Vorschläge in Wirklichkeit zu einer Bruchlandung werden! Die Aufstockung der europäischen Milchquote in diesem Frühjahr war deshalb ein kardinaler Fehler. Jede weitere automatische Aufstockung ist grundfalsch! 6 Lassen Sie uns doch die absehbar steigenden Weltmarktpreise nutzen, statt sie immer wieder zu untergraben - eine Preissenkungsspirale hilft nur dem Lebensmittelhandel, gewiss nicht uns Bauern! III. Meine Damen und Herren, in wenigen Stunden beginnt die französische EU-Ratspräsidentschaft. Das strategische Denken der Franzosen war noch allemal gut für die Gemeinsame Agrarpolitik. Frankreich ist zu Recht ein strikter Mahner, dass die EU bei den WTO-Verhandlungen die roten Linien nicht überschreitet. Auch fragt die künftige Ratspräsidentschaft zu Recht nach einer Antwort auf die höchst volatilen Preisausschläge und Spekulationen auf globalisierten Märkten. Die EU ist dabei, ihre Sicherheitsnetze abzuschaffen. Wo es sie noch gibt, sind sie oft den Namen „Sicherheitsnetz“ nicht wert. Ein Sicherheitsnetz muss dafür da sein, um sich über Wasser zu halten – nicht um herausgezogen zu werden, wenn man bereits ertrunken ist. Wir wissen doch alle, dass die Witterungs-, Seuchen- und Marktrisiken wesentlich zugenommen haben und weiter zunehmen werden. Sehr geehrter Herr Bundesminister, Sie kennen unsere Zurückhaltung gegenüber staatlichen Versicherungssystemen, auch gegenüber den aktuellen Vorschlägen aus Brüssel. Aber Sie könnten doch Finanzminister Steinbrück überzeugen, dass mit einer Risikoausgleichsrücklage in der betrieblichen Bilanz ein hervorragendes und passendes Instrument geschaffen wird! Voran unsere Veredlungsbetriebe warten sehnlich darauf! 7 Herr Bundesminister Seehofer, diese Forderung ist Teil eines Kostenentlastungspakets, das wir heute im DBV-Präsidium verabschiedet haben. Unsere Betriebe sind derzeit mit einer Kostenlawine konfrontiert wie lange Jahre nicht mehr. Wenn wir darin nicht untergehen wollen, müssen wir uns endlich von dem befreien, was uns die Politik einseitig aufgelastet hat. Das krasseste Beispiel ist der Agrardiesel – das muss sich jetzt ändern! Bei uns in Deutschland liegt die Agrardieselsteuer bei durchschnittlich 40 Cent pro Liter. Was noch dazu kommt: Unten ein Sockel, oben ein Deckel, wo überhaupt nicht zurückgezahlt wird! Wir konkurrieren im europäischen Binnenmarkt: In Dänemark zahlt man 3,2 Cent, in den Niederlanden zahlt man 5 Cent, in Großbritannien zahlt man 6 Cent, in Italien 8,9 Cent, in Irland 8,9 Cent. Doch bei uns wurde die Steuer auf eben diese 40 Cent erhöht und so zahlen wir über 800 Millionen Euro Steuer für den Agrardiesel! Das geht nicht, das ist unerträglich – wir fordern, dass die Besteuerung von Agrardiesel endlich auf den Steuersatz von Heizöl gesenkt wird – eine politische Initiative ist überfällig! Herr Bundesminister, Sie haben doch Ihr Durchsetzungsvermögen an anderer Stelle bewiesen. Voran bei der Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die mit einem guten Kompromiss zukunftsfest gemacht werden konnte. Das gilt erst recht - worauf wir setzen -, wenn der Bund ab dem Jahr 2010 weiterhin 200 Millionen Euro gewährt. Auch bei der Krankenversicherung haben Sie Ihr Versprechen gehalten, dass die Bauernfamilien nicht benachteiligt werden sollen – jetzt muss das im weiteren Gang der Gesetzgebung aber auch Bestand haben! 8 Liebe Delegierte, werte Gäste, für uns deutsche Bauern ist der Agrarstandort Deutschland ohne Alternative. Hier wollen wir Höfe, Arbeitsplätze und Kulturlandschaften sichern, hier wollen wir für anständige Arbeit auch ein anständiges Geld verdienen! Diesem Ziel dient unser aller Einsatz im Deutschen Bauernverband, auf allen Ebenen, in allen Gremien, im Ehrenamt wie bei den hauptamtlichen Mitarbeitern. Packen wir deshalb mit Selbstbewusstsein und Gottvertrauen diesen Deutschen Bauerntag in Berlin an – machen wir daraus einen besonderen Bauerntag und einen Gewinn für Berufsstand und Betriebe!