Filmgeschichte 08.04.05 Robert Bresson Allgemeines zu Robert Bresson und der Zeitgeschenisse Nouvelle Vague Französische Autorenfilmbewegung (cinema d'auteurs), deren wichtigste Vertreter sich aus der Redaktion der Filmzeitschrift Cahiers du Cinema rekrutierten. Bei aller Unterschiedlichkeit ist den Filmen der N.V. ein hoher Grad der Selbstbewusstheit, die Kenntnis insbesondere des amerikanischen Genrekinos und ein forcierter Stilwille, der bislang geltende Konventionen des Schnitts (Montage), der Lichtführung und der Kameraarbeit über Bord wirft, gemeinsam. Die Themen der N.V. sind große philosophische Entwürfe, die oft im individuellen Scheitern gezeigt werden. Zu den bekanntesten Regisseuren der N.V. gehören Frangois Truffaut, Jean-Luc Godard, Alain Resnais, Claude Chabrol, Jacques Rivette. (aus Metzlers FILM LEXIKON Seite 662) Zahlreiche Regisseure, innerhalb wie außerhalb des Mainstreams, die bei Beginn der Nouvelle Vague bereits fest etabliert waren, machten auch während der 60er und 70er Jahre lohnende Filme. Unter ihnen befanden sich einige, die in den Gunst der Cahiers-Kritiker standen. Robert Bresson bekleidete als Einzelgänger, der weder zum kommerziellen Kino noch zur Nouvelle Vague gehörte, eine einzigartige Position. Er verfolgte seine unermüdliche Sondierung des Erlösungsthemas in einer immer persönlicheren und faszinierenden Art (flache nüchterne Bilder, knappe psychologische Beschreibungen, Abwesenheit eines konventionellen Handlungsstrangs, durch Laiendarsteller noch betonte, unrealistische Dialoge) in LE PROCÈS DE JEANNE D'ARC (1961, DER PROZESS DER JEANNE D’ ARC), Au HASARD BALTHAZAR (1965, ZUM BEISPIEL BALTHASAR), Mouchette (1966, MOUCHETTE), UNE FEMME DOUCE (1968, DIE . SANFTE;) und LE DIABLE PROBABLEMENT (1976, DER TEUFEL MÖGLICHERWEISE). ARENA DER COWBOYS /LustyMen L'ARGENT (Das Geld). Frankreich/ Schweiz (Marion's Films/FR 3/EOS) 1982/83. 35mm, Farbe, 84 Min. R: Robert Bresson. B: Robert Bresson, nach Motiven der Novelle »Der gefälschte Coupon« von Leo Tolstoi. K: Pasqualino De Santis, Emmanuel Machuel. A: Pierre Guffroy, D:Christian Patey (Yvon), Sylvie van den Eisen (die kleine Frau), Michel Briguet (ihr Vater), Caroline Lang (Elise), Vincent Risterucci (Lucien). Ein Fall von Altersradikalität: Robert Bresson drehte seinen 13. Film L'argent mit. 81 Jahren. Die Uraufführung fand auf dem Filmfestival in Cannes 1983 statt; der Regisseur wurde mit einem Spezialpreis ausgezeichnet. Diese Entscheidung stieß beim Publikum auf heftige Ablehnung - es gab Buhrufe und Pfiffe. Bei der Pressekonferenz gab sich Bresson ungewöhnlich schroff, beschimpfte die Kritiker und nannte seine Regisseurskollegen »Betrüger«. Der Film erzählt eine simple Geschichte. Einem Gymnasiasten, der Schulden hat, wird von seinem Vater ein Vorschuss aufs Taschengeld verweigert. Daraufhin drehen er und sein Freund einer Verkäuferin einen gefälschten 500-Franc-Schein an. Der Besitzer des Ladens gibt das Falschgeld an den ahnungslosen Tanklastwagenfahrer Yvon weiter. Dieser wird wegen Betrugs angeklagt und auf Grund von Falschaussagen des Ladenpersonals verurteilt, woraufhin er seine Arbeit verliert. Ein Freund überredet ihn dazu, das Fluchtauto bei einem Banküberfall zu fahren. Der Überfall misslingt. Yvon wird gefasst und verurteilt. Während des Gefängnisaufenthaltes verlässt ihn seine Frau; seine kleine Tochter stirbt an Diphterie. Nach seiner Entlassung bringt er ein Hotelbesitzerehepaar um. Eine alte Frau nimmt ihn auf, obwohl sie weiß, dass er als Mörder gesucht wird. Er tötet sie und alle Familienmitglieder mit einer Axt, anschließend stellt er sich der Polizei. Bresson stellt die Mechanismen eines gesellschaftlichen Systems, dessen sichtbarer Gott das Geld ist, mit der ihm eigenen Konsequenz dar. Er zeigt das Schicksal des Arbeiters in kargen, durchkomponierten Bildern, verzichtet auf alle Effekte und jeden Anflug von Sentimentalität. Sonst aufwendig inszenierte Szenen wie ein Banküberfall, eine Schlägerei oder eine Flucht aus dem Gefängnis verdichtet er zu wenigen Einstellungen, die oft das Ergebnis im sinnfälligen Detail, nicht die Aktion direkt ins Bild bringen. Oft sind es Ausschnitte-, eine Hand, Türschlösser, eine zitternde Lampe, ein Schöpflöffel in Großaufnahme. In seinen aphoristischen Reflexionen »Noten zum Kinematographen« hat er sein ästhetisches Verfahren formuliert: »Die Dinge aus der Gewohnheit ziehen, sie entchloroformieren.« Durch die Tonspur erschließt sich jedoch auch die nicht gezeigte Handlung dem Zuschauer. Bis auf eine Ausnahme verwendet Bresson keine Musik, sondern nur Umweltgeräusche. Es gibt kaum Dialoge, und die Darsteller - wie immer bei Bresson Laien -agieren größtenteils emotionslos. »Der Film ist kein Schauspiel, sondern eine Schrift«, heißt es in den »Noten zum Kinematographen«. Gefühle entstünden nicht durch theatralisches Spiel, sondern durch die Dialektik der Bilder und Töne. Frieda Grafe hat L'argent einen »konstruktiven Horrorfilm« genannt: »Die Vivisektion der Bilder macht Angst, denn unter der Oberfläche von Abbildung tun sich Abgründe auf.« Der Film schildert die Entwicklung eines Menschen, der so wird, wie die bürgerliche Gesellschaft ihn sieht. Weder durchschaut noch praktiziert er deren Verlogenheit. So ist Yvon, obwohl längst Täter, auch immer noch Opfer. Selten hat ein Alterswerk so verstörend, analytisch und zugleich unversöhnlich die Gesellschaft dargestellt. (aus Metzlers FILM LEXIKON Seite 39ff)