Ingenieurvermessung 2004 14th International Conference on Engineering Surveying Zürich, 15. – 19. März 2004 SwissRe-Tower, London: Messtechnik im Fassadenbau Michaela Obrist Jermann Ingenieure + Geometer AG Zusammenfassung: Der Innovationsgeist der Schweizer Firma Schmidlin AG aus Aesch (BL) macht es möglich – als Hersteller von hochwertigen Fassadensystemen, können erstmals auch geometrisch komplexe „3D-Architekturprojekte“ aus Glas, so z. B. der SwissRe-Tower des Architekten „Forster and Partners“ in London, realisiert werden. Die hochpräzise Positionierung der Fassadenelemente war ein wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzeptes und stellte an die Vermessung sowie auch an die Fertigungsgenauigkeit hohe Anforderungen. Die Erarbeitung des Messkonzeptes war vor allem in Bezug auf die vielen unbekannten Faktoren in der Vermessung eines Turmes (Stahlbau) und wegen der geringen Toleranzen des Fassadensystems eine grosse Herausforderung für alle Beteiligten. Die werkseitige Kontrolle der Elementfassade wurde mit industrieller Messtechnik von hoher Präzision gelöst. Mit einer Höhe von ca. 190 m und 38 Stockwerken, seinem kreisrunden Grundriss und den im Vertikalschnitt mehrfach wechselnden Kreisradien sticht „the gurkey“, wie der Turm von den Londonern genannt wird, aus der Londoner Skyline heute nach ca. 2 -jähriger Bauzeit auffallend hervor und bildet einen gewagten Kontrast zu den übrigen Bauten der Londoner Innenstadt. Dank der interdisziplinären Zusammenarbeit von Baustatikern, Systementwicklern, Montagespezialisten, Konstruktions- und Logistikprofis und nicht zuletzt uns Geomatikern konnte dieses Projekt mit dem gewünschten Erfolg zum Abschluss gebracht werden. Ein Projekt, das allen „Pionieren“ für lange Zeit in Erinnerung bleiben wird. 1 Einleitung Mitten in London setzte der Stararchitekt Norman Foster mit dem Bau des SwissRe-Towers ein neues Wahrzeichen. Den Auftrag, die Fassade für den neuen Londoner Sitz des Schweizer Rückversicherers SwissRe zu konstruieren, zu produzieren und zu montieren, hat die in der Umgebung von Basel angesiedelte, weltweit tätige Fassadentechnologie-Firma Schmidlin AG erhalten. Die komplexe Fassade stellte für sie eine grosse Herausforderung dar – war doch weltweit noch nie eine derartige Fassade realisiert worden und dies zudem in einer äusserst kurzen Bauzeit. 1/6 2 Projektbeschrieb 2.1 „Statistik“ der Fassadenbestandteile Der durch Schmidlin AG zu verkleidende Teil der Fassade umfasste 38 Stockwerke. Dazu kamen der Eingangsbereich im Erdgeschoss und der Übergang zum Kuppelbereich. Jedes Stockwerk beinhaltete 144 Hauptfassadenelemente, insgesamt ca. 5'500 Stück. Dazu kamen 3'500 weitere Elemente der inneren Fassade und die Aluminiumblechverkleidung der Stahlkonstruktion, die ausgebreitet 35'000 m2 umspannte. Das verwendete Dichtungsmaterial weist eine eindrückliche Länge von 55 Kilometern auf. Die Fertigelemente wurden in der Schweiz am Produktionsstandort gefertigt und während der gesamten Bauzeit mit durchschnittlich 10 Lastwagen pro Woche nach London transportiert. 2.2 Geometrie des Gebäudes Das Gebäude mit der Endhöhe von rund 190 m ist das zweithöchste der Londoner Innenstadt. Es hat einen kreisrunden Grundriss mit einem Durchmesser von rund 50 m. Durch seine mehrfach wechselnden Radien im vertikalen Profil (Korbbogenprofil) wechselt der Durchmesser der einzelnen Etagen in jedem Stockwerk. Pro Stockwerk sind jeweils 6 grosse Atrien sektorförmig und gleichmässig über den Umfang verteilt angeordnet. Diese sind in jeder Etage um einen festen Betrag verdreht und lassen im Innern einen freien Blick über 6 Stockwerke zu. Die Aussenfassade ist in den Atrien-Zonen mit dunklem Glas versehen, die sich dadurch spiralförmig um das Gebäude hochdreht. SwissRe-Tower kurz vor der Fertigstellung 2003 2/6 3 Vermessungsaufgaben Die Vermessungsaufgaben an diesem Projekt können in folgende Hauptaufgaben unterteilt werden: Vermessungskonzept / Beratung / Controlling Grundlagenvermessung vor Ort Fassadenvermessung vor Ort für die Montage Fassadenvermessung in der Produktion für die Qualitätssicherung, Testvermessungen und Vormontage 3.1 Vermessungskonzept / Beratung / Controlling Die erste Hauptaufgabe umfasste die Koordination aller vermessungsbezogenen Prozesse und Probleme. Die Messkonzepte mussten von Grund auf entwickelt und in der Ausführungsphase überwacht werden. Grundlegende Definitionen für Toleranzen, Datentransfer-Formate, Einheiten, die Wahl eines geeigneten Koordinatensystemes etc. mussten erarbeitet werden. Die für die Montage notwendigen Punkte mussten zuerst definiert, nach der Berechnung kontrolliert und für die Vermessung bereitgestellt werden. Insgesamt wurden 50'000 Punkte definiert, berechnet und am Gebäude abgesteckt. Weitere Bestandteile bildeten die Kontrolle und Überwachung von Vermessungs-Unterakkordanten, die Wahl und Überprüfung der Messausrüstung, die Dokumentation der Arbeiten usw. 3.2 Grundlagenvermessung vor Ort Die Grundlagenvermessung vor Ort wurde durch den Generalunternehmer bereitgestellt. Sie umfasste die Bestimmung von Lage -und Höhenreferenzpunkten in den einzelnen Stockwerken unter Berücksichtigung von statischen und atmosphärisch bedingten Setzungswerten und Gebäudedeformationen. 3.3 Fassadenvermessung vor Ort für die Montage Eine wichtige und grundlegende Aufgabe in jedem Stockwerk war die Kontrolle der zur Verfügung gestellten Referenzpunkte und des Rohbaus auf die Einhaltung der Bautoleranzen. Dies bildete die Grundlage, um die Fertigelemente mit der erforderlichen Genauigkeit von ca. +/- 2 mm überhaupt installieren zu können. Die umfassendste Aufgabe stellte die Absteckung der Montage-Hilfspunkte dar. Unter schwierigsten Platz– und Arbeitsbedingungen musste ein Grossteil der Montageelemente an der schwer zu erreichenden Aussenseite des Turmes hochpräzis positioniert werden. 3/6 Grundriss mit Gebäudekern, 6 Atrium-Bereichen und Lage-Referenzpunkten 3.4 Fassadenvermessung in der Produktion für die Qualitätssicherung, Testvermessung und Vormontage Am Produktionsstandort in der Schweiz erfolgten Prototyp- und Testvermessungen. Messkonzepte wurden auf ihre Baustellen- und Montagetauglichkeit hin untersucht und verfeinert. Nachdem die Elemente im Test-Center auf ihre statischen und bauphysikalischen Anforderungen geprüft wurden erfolgte zusätzlich ein geometrischer Test, um die Installierbarkeit zu prüfen. Die Baustellensituation musste dazu simuliert und vermessen werden. Im weiteren mussten die Atriumzonen überbrückenden Stahlträger kontrolliert und die Montage-Elemente vorpositioniert werden. 4 Problemstellungen Die wichtigsten vermessungstechnischen Problemstellungen, die im Rahmen dieses Projektes gelöst werden mussten, sind in der folgenden Auflistung zusammengefasst. Sehr geringe Systemtoleranzen (3D-Fassade) erforderten hohe Vermessungsgenauigkeit vor Ort. 4/6 Systembedingte Abhängigkeiten zwischen den Fassadenelementverbindungen und die kreisrunde, geneigte Geometrie verunmöglichten eine einfache Nachjustierung im Rahmen der Montage und erforderten eine hohe absolute Positionsgenauigkeit der Montageelemente. Trotz der grossen Anzahl abzusteckender Koordinatenpunkte (ca. 50'000) musste die Fehlerquote, sowohl der Berechnung als auch der Vermessung, minimal gehalten werden. Statisch bedingte, unterschiedliche Senkungen zwischen dem GebäudeKern und der Aussenfassade, sowie die unterschiedlichen Lastverhältnisse durch Baukrane und Materiallager führten zu schwer fassbaren Höhenänderungen. Die Auswirkungen von wechselnden, meist unbekannten athmosphärischen Einflüssen wie Wind, Temperatur, Sonneneinstrahlung mussten ins Vermessungskonzept einbezogen werden und wirkten sich negativ auf die erreichbaren Genauigkeiten aus. Der kurze zeitliche Vorlauf der Vermessung am Bau liess nur kurze Reaktionszeiten zu. Die Vermessung musste sich vollständig in die Terminplanung und Logistik zwischen Fabrikation und Installation eingliedern. Die Organisation des Datenflusses und der Datenbewirtschaftung erwies sich als eine grosse Herausforderung. 5 Instrumentarium An die Messausrüstungen der Vermessung in der Produktion und Montage wurden unterschiedliche Anforderungen gestellt. Für die Vermessungsarbeiten „on site“ kamen neben automatischen Lotinstrumenten sowie normalen Ingenieur-Baunivellieren vorwiegend GeodimeterTotalstationen mit +/- 1 mm-Distanzmessgenauigkeit zum Einsatz. Am Produktionsstandort in Aesch wurde aufgrund der erhöhten Anforderungen und der industriellen Anwendung das Leica-Industriemesssystem AXYZ mit dem Tachymeter TDA5005 verwendet. 6 Schluss Dank der interdisziplinären Zusammenarbeit von Baustatikern, Systementwicklern, Montagespezialisten, Konstruktions- und Logistikprofis und Geomatikern konnte dieses Projekt mit dem gewünschten Erfolg zum Abschluss gebracht werden. Ein Projekt, das in jeder Hinsicht ein voller Erfolg war - seien es die technischen Aspekte, die persönlichen Erfahrungen oder die internationale Zu- 5/6 sammenarbeit. Die Arbeit an diesem faszinierenden Gebäude wird wohl allen „Pionieren“ der 3D-Fassade noch für lange Zeit in Erinnerung bleiben. „Schöne Aussichten“: Blick von der Turmspitze des SwissRe-Towers zur TowerBridge, zur Themse und zur neuen London City Hall, einem weiteren anspruchsvollen Glasfassadenbau der Firma Schmidlin AG. Anschrift: Jermann Ingenieure + Geometer AG Michaela Obrist Reichensteinerstrasse 3 CH-4144 Arlesheim [email protected] 6/6